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Google Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 35. *7 Napoleon in Deutlcjland. — — — — Von C. Mühlbad). Erſter Band: Raſtatt und Jena. Dritie Auflage. —Ax— Berlin, 1863. | Drud und Berlag von Otto Jane. Rafatt und Iena, Bon L. Mühlbach. — ö — Dritte Auflage. —— Berlin, 1863. Drud und Berlag von Otto Iante. N or RAIN Inhalt. Seite Erftes Buch. Ber Frieden vom Campo Formio. 1. Die Schreckensbotſchaffenn.. rn 1 II. Der Minifter von Thugut . . . ren 9 IN. Der Minifter und die Leute aus dem Bon 22202020. .77 IV. Die Eonferenz der Staatsminfr .» » 2 28 V. Das Haus in der Yunıpenborfer Vorſadt . .... 38 VI Sofeph Hayon.... .. \ | VII Der General Bonaparte - - » 2 2 2 2 m en nn... 857 VID. Der Frieden von Campo Formio . - » : > 2 69 Zweites Buch. Ber junge König Friedrich Wilhelm III. I. Das junge KRönigepaur » - 2 2 ro ren II. Die Feier der Erinnerungen -. » » 2 2 22 nenn. 107 III. Der junge König - - » - 2 2 onen ee... 115 IV. Friedrich Gentz. .. .. 115 V. Die Audienz beim Finanzminifier on een. 185 VI. Das Sendichreiben an driedrich Wilhelm in. 222.0. 135 vo. Die Hoheit . . . . nn... 14 VII. Mariane Mir » > > 2 Eee... 197 IX. Liebe und Poliiff..W8 v1 Drittes Buch. Frankreich und Beutfchland. I. Die Bürgerin Iofephine Bonaparte . II. Bonaparte und Joſephine III. Die Begrüßung der Geſandten IV. Frankreich und Oeſterreich V. Die Fahne des Ruhms . VI. Minifter Thugut VII. Das Felt ber Freiwilligen VIII. Die Revolte . Biertes Buch. Bie legten Lage des achtzehnten Fahrhunderts. 1. Bictoria von Bontet . IT. In Raftatt . . . III. Die Rechtfertigung . IV. Der Mord V. Sean Debry . VI. Die Coalition VI. Der friebliebende König . VII. Die legitime Gemahlin IX. Der acdhtzehnte Brnmaire. Hünftes Bud. Ber Frieden von Tuneville. j I. Sohannes Müller . I. Der Stun . . III. Fanny von Arnftein . IV. Die Rivalen . V. Das Vermähtniß . VI. Der erfte Eonful > 2 2 VII. Zwei deutihe Gelehrte . . > 2 1 Sechsſstes Bud. Die dritte Koalition. I. Kaiſer Napoleon . . II. Napoleon und die deutſchen Fürſten III. Die Clavierſtunde der Königin Luife . IV. Die Conferenz . . . V. Der Schwur am Grabe Friedrichs bes Großen . Seite. Siebentes Bud. Pas Ende des deutfchen Reichs. 1. Hiobs⸗Botſchaften. Ne... 545 I. Bor der Shladt . . . een en. bb III. Gott erhalte Franz den Raifer. nn 2... 563 IV. Der Patriotismuss.. 368 V. Subitb. . . . nen. 585 VI. Der preußilche Geſandie bei Rapoe ... ne. 597 VII. Judith und Holoferhes . . . . ... .. 605 VII. Das Ende bes deutſchen Reihe . - > 2 2 625 Adıtes Buch. Die Schlacht bei Jena. | I. Der deutſche Buchhändler als Märtyer. nn. 648 II. Die Berhaftung. . - - . nn. 654 III. Die Liebe einer Frau. » > 2 2 2 nenn nn. 660 IV. Die Weiber von Braunau - » 2 2 2 2 nn nn... 60 V. Die Todesflunde . . . .. *) | VI. Die Kriegserflärung Preußens . nenn. 688 VII. Ein böfes Omen . . 2. 2 2 nn nr nn nn... 702 VIII. Bor der Schladht bei Iena » » > 2 2 2 2 nn... Tu IX. Der deutihe Philofoph . » >» > 2 rn innen. 719 Erftes Bund. Der Frieden von Campo Sormio. Sr Wuplöad, Napoleon. 1. Abt. T. N Die Schreckensbotfchaften. Ganz Wien war wie von Entfegen gelähmt, eine tiefe Trauer lag auf allen Gemüthern, und die Kraft der Tapferften fchien gebrochen. Couriere waren heute aus dem Lager der dfterreihifchen Armee ange- fommen und hatten die Schredensfunde von einer Niederlage des Heeres gebracht. Bonaparte, der junge General ver franzöfifchen Kepublif, der in dem Einen Jahre 1790 fo viele Schlachten und fo vielen Ruhm gewonnen, wie mander große und berühmte Feldherr nur im Laufe eines ganzen thatenreichen Lebens, Bonaparte war mit femen Heerescolonnen über die italifhen Alpen herniedergeftiegen, und vor ihm ber flohen die Generäle und Feldherren der Defterreicher. Der Sieger von Lodi und Arcole hatte neue Siege erfochten, und diefe Siege brachten ihn immer drohender und gefahrwoller ver Haupt- ſtadt Oeſterreichs näher. Der Erzherzog Carl war von Maſſena geſchlagen und nach Villach zurückgedrängt worden, Bernadotte war bis Laibach vorgedrungen, die Kaſtelle von Görtz, Trieſt und Laibach hatten ſich ergeben, Klagenfurt hatte nach hartnäckigem Kampfe den Siegern ſeine Thore öffnen müſſen, Loudon war mit ſeinen tapfern Schaaren in Tyrol auseinandergeſprengt, Botzen hatte dem General Joubert ſeine Thore geöffnet, der es nach kurzem Verweilen verließ, um ſich mit Bonaparte zu vereinigen, mit Bonaparte, der in unaufhaltſamem Siegeslauf vorrückte nach Wien. Das waren die Nachrichten, welche die Couriere gebracht, und welche wohl geeignet waren, einen paniſchen Schrecken in der Werts 1* 4 reichifchen Hauptſtadt zu verbreiten. Während die Großen ihren Gram und ihre Sorgen im Innern ihrer Paläfte verbargen, ftürzten die Ar- men und bie Kleinen hinaus auf die Straße, angſtvoll forſchend nad) neuen Nachrichten, bange hoffend, daß vielleiht Gott vom Himmel irgend einen Lichtjtrahl jende, der das Dunkel diefer Verzweiflung und diefer Angſt durchleuchten möge. Aber e8 lag ein trüber Himmel über Wien, und trübe waren alle Geſichter, denen man begegnete. | Auf einmal zudte e8 wie eine Bewegung neuen Schredens durch die Menge, welche fih auf dem Kohlmarkt zufammenbrängte. ALS ob der Sturm die Wogen diefes Schwarzen Meeres aufbaufchte, erhob fih ein Hin- und Wiederwogen und Murmeln, lauter und immer lauter ſchwoll e8 empor, bis es endlich in unendlicher Jammerklage aufheulte und fchrie: „ver Kaifer hat uns verlaffen! Der Kaifer ift mit feiner Gemahlin aus Wien entflohen!“ Während das DVolf einander mit entjetten Mienen dieſe neue Schreckenskunde zurief, während es ſich in Gruppen vertheilte, um diefe legte und furchtbarfte Neuigfeit des Tages in lauter Rede zu befpredhen, kamen plötzlich ungarifche Hufaren daher gefprengt, mit gebieteriihem Machtwort ven Leuten befehlend, Platz zu machen, Platz für die Wagen, melde jo eben um die Straßenede auf den Markt einbogen. Das Voll, von den blanfen Degen und dem ftolzen Soldatenwort eingefchüchtert, drängte fih angftwoll zur Seite und ftarrte in neu— gierigem Entjegen auf den feltfamen Aufzug bin, ver jett fichtbar ward. Es waren zwölf Wagen, melde daher famen, nicht Wagen, wie es fchien, um lebende Menfchen aufzunehmen, fonvern Wagen für die Todten. Statt des Kutfchenraums fah man hier nur über dieſen breiten, eifernen Rädern ſich große eiferne Kaften erheben, die wohl geeignet dazu waren, in ihrem Innern einen Sarg und eine Leiche zu bergen, und dieſe Kaften waren bevedt mit fehweren, fran⸗ zenbefetsten Tuchdecken, in deren vier Eden die öfterreihifche Kaifer- krone geftidt war. Jeder diefer feltfamen Wagen war befpannt mit /ed8 Pferben, auf deren jevem ein Jokey in der Faiferlihen Livree 5 ſaß. Zu beiden Seiten aber ritten in dicht gefchloffenen Reihen bie Hufaren aus der ungarifchen Leibgarde des Kaijers. Langjam und fchwer zogen die Pferde die feltfam geheimnigvollen Wagen dahin, mit dumpfem Donnern rollten die eifernen Räder über das bolprichte Pflafter, und dieſer Donner dröhnte in den Ohren und Herzen der entjegten, bleicyen Zuſchauer wieder wie die Schredenslaute eines neuen Ungewitters. Was war in diefen geheimnißvollen Wagen verborgen? Was Tonnte e8 fein, das man fo forgfam bewacht dahin fuhr? Das fragte fi) Jeder, aber nur leife in feinem Herzen, benn Keiner mochte es wagen, mit einem lauten Wort, einer neugierigen Frage dieſes dumpfe, ängftlihe Schweigen zu unterbreden. Jeder ſchien gebannt von ven finjtern Blicken der Hufaren, betäubt von dem Raſſeln ver Räder. Aber als endlich dieſer lange Wagenzug drüben in jener Straße verſchwunden war, als der Letzte des Huſaren-Detachements, das ihm folgte, ven Pla verlaffen und dem gaffenden Volk ven Rüden gelehrt hatte, da wandten ſich vie Blicke der Menge wieder ven Rednern zu, welche vorher zu ihm gefprochen und ihm erzählt hatten von dem Un- glück Defterreihs und dem Giegerglüd des jungen franzöfifchen Ges nerald Bonaparte. Was ift in dieſen Wagen? ſchrie die Menge. Wir wollen’ wiſſen und wir müſſen's willen! Wenn Ihr’s willen müßt, warum habt Ihr da nicht vorher bie Soldaten felber gefragt? rief eine höhnifhe Stimme aus dem Haufen. Ja wohl, lachte eine andere, warum fein Ihr nicht an die Wagen berangetreten und habt angeflopft? Bielleiht wäre der Teufel dann berausgefahren und hätt! Euch fein ſchmuckes Antlig gezeigt. Das Bolf achtete nicht auf diefe höhnifchen Bemerkungen der Ein- zelnen. Es fuhr fort, ſich zu beumrubigen und zu ängftigen, es er- ſchöpfte fi fort und fort in Vermuthungen über den Inhalt diejer Wagen. | Am Ende find es die Särge der Faiferlihen Ahnen, weldhe man aus der Kapnzinergruft genommen, um fie zu retten vor den Tran- 6 zofen, fagte ein wohlehrfamer Schneider zu feinem Nachbar, und biefer romantifche Gedanke rollte fehnell wie eine Lawine durch die Volkshaufen dahin. | Es find die Leihen der Kaifer, welche man aus Wien rettet! jammerte die Menge. Selbft die Grüfte find nicht mehr fiher. Die faiferlihen Leichen rettet man, aber uns, bie Lebendigen, läßt man umkommen! Wer nicht Geld genug bat, um zu entfliehen, ver ift verloren. Die Franzoſen werben fommen und uns Alle erwürgen. Wir wollen es nicht dulden, daß man uns das anthut! fchrie eine Zeterſtimme. Wir wollen die Leihen von Maria Therefia und von großen Kaifer Joſeph hier behalten, fie haben das Bolf geliebt im Leben, fie werden es befhügen im Zope! Kommt, Brüder, fommt, laßt uns den Wagen nadjlaufen, laßt uns fie anhalten und die Yeichen zurüdführen nad) der Kapuzinergruft. Sa, laßt uns den Wagen nadlaufen und fie anhalten! brüllte die Menge, welche jest, da fie die Waffen der Soldaten nidyt mehr bligen und drohen fah, fid, außerordentlich tapfer fühlte. Aber plöglih warb dieſes Gebräll und dieſes Wuthgefchrei von einer weitjchallenden Stimme unterbrochen, welche dem Volk Halt zu- rief, und man gewahrte eine hohe Männergeftalt, weldye mit Katzen⸗ behendigfeit den eifernen Laternenpfahl hinauffletterte, der fich in der Mitte des Platzes befand. . Halt! Halt! brüllte dieſer Mann, indem er feine beiden Arme weit über die Menge ausftredte, ald wolle er, wie Mofes, das Meer befhwichtigen und es ftille ftehen heißen. Die Menge ließ fih in der That von biefer fehallenden Stimme aufhalten, und alle diefe troßigen, neugierigen und geängfteten Gefichter wandten ſich jeßt dem Redner zu, ber body Über ihnen am Yaternen- pfahl ſchwebte. Seid keine Narren und Aberwitzige, rief er, wollt Euch nicht Eure Knochen zerſchlagen lafſen von den Ungarn, die froh fein würden, ihren Heiduckengrimm einmal wieder in deutſchem Blute baden zu können. Habt Ihr Waffen, um mit Gewalt von ihnen fordern zu Tönnen, daß fie Euch die Wagen fehen laſſen? Und wenn Ihr fie 7 hättet, würden bie Soldaten Euch doch überlegen fein, denn die Meiften von Euch würden doch pavonlaufen, wenn’s zum Kampf kommt, und bie andern würde man in's Hundeloch fperren. Ich will Euch aber den Gefallen thun und Euch fagen, was in den Wagen ftedt, denn ich weiß ed. Wollt Ihr’s aud) wifjen? Ya, ja! Wir wollen’s willen! ſchrie und jauchzte die Menge. Still doch, Ihr da! Schreit nicht fo laut! Laßt uns hören, was in den Wagen tet! Stil! Still! Eine Zodtenftille trat ein, Jeder hielt den Athem an, um zu hören. Nun Hört! Nicht die Leihen Eurer Kaifer find in diefen Wagen, fondern die Juwelen und das Gold unfers Kaifers! Der Staatsſchatz ift es, den man aus Wien flüchtet, den man nach Preßburg bringt, weil man ihn hier nicht mehr für ficher halt.*) Geht, feht, dahin ift e8 gefommen, daß unfere Kaiferfamilie, daß felbft der Staatsſchatz aus Wien ſich retten muß! Und wer ift Schuld an biefem ganzen Unheil und viefer Noth? Wer ift es, der uns die Franzoſen auf den Leib gehetst hat, und der ganz Defterreih mit Krieg und Unheil über- ſchwemmt? Sol ich's Euch jagen, wer das thut? Ja, fagt es uns! Sagt es uns! rief man von allen Seiten. Rache dem, der Defterreic in Krieg und Unheil ftürzt und macht, daß ber Kaiſer und der Staatsſchatz fliehen muß! Der Redner wartete, bis die Wogen des braufenden Vollkszorns fih wieder beruhigt hatten, dann fagte er mit feiner Haren, weittönen- den Stimme: der Premierminifter Baron von Thugut ift daran Schul! Er will nit, daß wir Frieden haben mit Frankreich! Er läßt ung lieber Alle ververben, ehe er Frieden ſchließt mit der franzöfifchen Republik! | Aber wir wollen nicht verderben, brüllte die Menge. Wir wollen nit wie Hammel uns zur Schlachtbank führen laffen! Nein, nein, *) Allgemeine Gefchichte der neueften Zeit vom Tode Friedrichs des Großen bis zum zweiten Parifer Frieden. Bon Joſeph Freiberen von Hormayer. Br. 1. ©. 350. — 8 wir wollen Frieden, Frieden mit Frankreich! Der Minifter Thugut fol uns Frieden geben mit Frankreich! Seht doch und fagt das dem ftolgen Herrn Minifter! rief der Redner mit höhnifchem Lachen. Zwingt ihn doch zu thun, was ber Kaifer und was felbft unfer tapferer Erzherzog Carl wünſcht, zwingt ben allmächtigen Mann, daß er Frieden madht! Wir wollen hingehen und ihn bitten, daß er uns Frieden gebe! riefen einzelne Stimmen aus der Menge. Ja, ja, das wollen wir thun! riefen Andere. Kommt, kommt, laßt uns Alle zum Miniſter Thugut gehen und von ihm fordern, daß er uns den Kaiſer und den Staatsſchatz wieder gebe, und daß er Friede mache mit Bonaparte! Jetzt kletterte der Mann eiligſt den Laternenpfahl herunter. Seine hohe, herculiſche Geſtalt ragte aber, noch als er ſchon mit den Füßen den Boden berührte, hoch über die Menge empor. Kommt, ſagte er laut und entſchieden zu den Umſtehenden, kommt, ich führe Euch zum Miniſter von Thugut, denn ich weiß, wo er wohnt, und wir wollen ſo lange ſchreien und lärmen, bis der ſtolze Herr uns den Willen thun muß! Er ſchritt raſch vorwärts, und die ſtets unmündige und willenloſe Menge folgte jauchzend und ſchreiend ihrem improviſirten Anführer. Nur Ein Gedanke, Ein Wunſch lebte in dieſen Allen: Frieden wollten ſie haben mit Frankreich, damit Bonaparte nicht nach Wien komme, um es in Schutt und Aſche zu verwandeln, wie er es mit ſo vielen italieniſchen Städten gethan. Ihr Anführer ging mit ſtolzen Schritten vor ihnen her, und wie die Menge hinter ihm immerfort brüllte und ſchrie: Frieden mit Frank⸗ reich, flüſterte er leiſe in ſich hinein: Ich denke, ich habe meine Sache gut gemacht, der Erzherzog wird mit mir zufrieden ſein, und wir werden den Herrn Miniſter am Ende doch noch zwingen, Seien zu machen! I. | Ber Minifter von Thugut. Der Premierminifter Baron von Thugut befand ſich in feinem Arbeitö-Cabinet in eifriger Unterhaltung mit dem neuen Polizei- und Binanzminijter von Saurau, welcher ihm Bericht erftattet hatte über bie glüdliche Abführung des Faiferlihen Staatsjchates, der gleich dem Kaiſer und der Kaiferin den Weg nad) Ungarn eingefchlagen. Das ift gut, fagte Thugut mit einem rauhen Lachen. In Ungarn find beide wohl geborgen, denn ich mein’, ich habe den Ungarn hin- länglihen Schreden eingejagt, daß fie fih ruhig und demüthig zeigen. Em. Ercellenz meinen die Verſchwörung, bie wir ba vor zwei Jahren entvedt haben, fagte Graf Saurau lächelnd, und welde bie fluhwürbigen Verräther mit dem Tode von Hentershand gebüßt haben! De mortuis nil nisi bene! rief Thugut. Wir find dieſen guten Hochverräthern viel Dank ſchuldig, denn fie haben uns Ungarn ebenfo zahm gemacht, wie die Hocwerräther von vor zwei Jahren, die bier in Wien ihren Sit hatten, ung die Wiener zahm gemacht haben. Es ift immerhin ein jehr nütliches und brauchbares Ding, eine ent- deckte Verſchwörung, denn eine foldye giebt immer die allerbequemfte Gelegenheit, ein warnendes Erempel zu ftatniven und mit den blutigen Köpfen der Empdrer dem Volk zuzurufen: „jo gejchehe Allen, vie es wagen, wiber bie Negierung und ihre Herien zu murren!“ — Die Wiener find gar willfährig und gehorjam geworben feit den Tagen, wo wir ihnen das Schaufpiel gewährten, den Plathauptmann Heben- ſtreit am Galgen hängen und den Baron Riedel, den Lehrer der Taifer- lihen Kinder, am Pranger ftehen zu jehen*). Und vie Ungarn haben *) Die Hebenftreit’fche Verſchwörung warb im Jahre 1794 in Wien entdedt. Sie hatte, wie man jagte, zum: Zweck, dem Kaijer eine demokratiſche Konftitu- tion abzutroßen. Die ungarifche Verſchwörung, deren Xeiter und Anflifter ber Biſchof Joſeph Ignaz Martinowig war, bezwedte, Ungarn von Defterreich los⸗ zureißen und wieder zu einem ſelbſtſtändigen Reich zu erheben, zu vefen Küuiq, 10 auch wieder gelernt, ihr Haupt zu beugen, feit fie auf der Generals- wieje vor der Feſtung Dfen die Häupter der fünf vornehmen Ver⸗ ſchwörer fallen fahen. Glauben Sie mir, Graf, diefer Tag hat ung für bie Unterwerfung Ungarn's mehr genütt, als alle Wohlthaten, alle Gnade und Bevorzugung der Kaifer uns nügen fonnten. Die Bölfer find einmal leichtfinnige und übermüthige Kinder; wenn man fie mit Liebe erziehen will, verdirbt man fie, aber wenn man fie fürchten und zittern lehrt, erzieht man fie zu ftillen, gehorjamen Menſchen. Und darum ſage idy noch einmal, fchelten Sie mir die Hochverräther, jet ba fie tobt find, nicht fluchwürdig, denn fie haben uns viel genüst, fie find das Werkzeug gewefen, mit dem wir das ganze ütbermüthige Volk von Oeſterreich und Ungary gezüchtigt haben, und es waren fegens- reiche Tage, als wir Schnitterarbeit übten an ven hochgebornen Defter- reihern und Ungarn. Unſere Senſe der Gerechtigkeit hatte da gar vornehme und gute Arbeit, denn fie traf einen Gelehrten und einen Dichter, einen Grafen und einen hohen Pfaffen. Schade, ewig ſchade ift e8, daß nicht auch noch ein Fürft dabei war! *) Nun, der Fürſt hätte ſich vielleicht aud) nod) gefunden, fagte Graf Saurau und wer weiß, ob er ſich nicht nod) einmal bei einer andern Gelegenheit findet. Ew. Excellenz find ein geſchickter Jäger und haben eine gar feine Nafe. Und ich habe an Ihnen einen gar gefchicten Spürhund, ver gleich eine außerorventliche Witterung hat von folden Dingen, rief Thugut mit einem lauten Lachen. - Graf Saurau ftimmte in dieſes Lachen ein und ließ Se. Excellenz nicht ahnen, wie fehr deſſen Scherz feinen ariftocratiihen Stolz ver: legte. Man war vergleihen Berlegungen von dem mächtigen und und Herrn man den Erzherzog Balatin Alexander Leopold auserjeben hatte, Der Plan warb von einem Mitverſchworenen verratben und Martinowit nebft den anbern Häuptern der VBerfchworenen wurben hingerichtet. Ob ber Erzherzog jelber ım die Verſchwörung wußte, ift niemals klar geworben. Er kam balb barauf in einem Brande um’s Leben. j *) Thugut's eigene Worte. Siebe: dormayr, Kaiſer Franz und Metternich, Ein Fragment. 11 ſtolzen Premierminifter nur zu fehr gewohnt, und man wußte, baf Thugut, ver Sohn des armen Schiffbauers, inmitten feiner Größe ſich gern feiner niebrigen Abkunft erinnerte und e8 liebte, ben Adel zu de⸗ müthigen in der Hand des Schiffbauerfohns. Erlauben mir Ew. Ercellenz, daß ich gleich dem Lob, welches Sie mir eben ertheilten, Ehre made, fagte der Polizeiminifter nad) einer Heinen Baufe. Ich denke, wir haben hier wieder jo ein Stüdchen Ver⸗ ſchwörung ausgemittert. Es iſt freilich nur noch ein Embryo im Ei, aber es fann etwas werben, wenn man ihn Zeit läßt! Was ift’s, Saurau? rief Thugut freudig, Jagen Sie fchnell, was iſt's? Eine Verſchwörung, eine gute, gewichtige? Eine boshafte, gewichtige, ja! Eine Berfhwörung, welde auf das Leben Eurer Ercellenz gerichtet ijt! Ah dab, weiter nichts, fagte Thugut gleichgültig und fichtlich ent- täufcht, ich hoffte, Sie würden wir da vielleiht einige ſchöne Ariftos craten überliefern, denen ſich's nachweijen ließ, daß fie im heimlichen Verkehr geftanden mit ver fluchwürbigen franzöfiihen Kepublil. Es wär’ ein gutes Erempel gewejen für all’ dieſe hirnlofen Schreier, welche jett die brei Stichworte der republifanifchen Königsmörber im Munde führen und vor Entzüden verhinmeln über die liberte, egalite, fraternite. Hätte gern ein paar ſolchen Schreiern das Maul ges ftopft, um den republifanifhen Begeifterungen ein Ende zu machen. Aber ftatt deſſen erzählen Sie mir von einer Verſchwörung, bie nichts weiter bezwedt, al® mid zu ermorden! Nichts weiter! rief Graf Saurau mit edler Entrüftung. Nichts weiter! Als ob es nicht das fürdhterlichfte Unglüd für Defterreich wäre, wenn Em. Excellenz ihm entrifien. würden! Sie wiljen es, wir ftehen am Rande eines Abgrundes, noch gähren im Innern die freifinnigen und aufrührerifchen Gelüfte, welche Kaifer Joſeph's unfinnige Refor- men angeſchürt haben, noch beugt fi das Volk nur widerftrebend und mit böfen Rachegedanken ren Reformen, welde Ew. Ercellenz zum Heil Oeſterreich's als nothwendig eingeführt. Bon Außen aber lodt vie blutige franzöſiſche Republit die Unzufrievdenen zu blu- tiger Nahahmung, und fie möchten fi unter die flatternden Siedes⸗ 12 fahnen des Generald Bonaparte retten, damit er ihnen helfe, auch Deiterreich in eine Republik umzuwandeln. Es ift wahr, murmelte Thugut, e8 proben dem Kaiferthum Defter- rei von innen und von außen Gefahren; die Zügel müſſen ftraff an- gezogen werben, um das Staatsichiff fiher durch die Klippen zu leiten, und id) glaube wohl, daß ich der Mann dazu bin, bies zu thun. Sie fehen, Graf, ic unterfchäge nicht die Bedeutung meiner Perſon, id) weiß jehr wohl, daß ich Oeſterreich nothwendig bin. Aber dennoch machen mid) die Mordverſuche und Berfhwörungen, die blos gegen meine Perfon gerichtet find, lachen. Denn ich will. Ihnen etwas fagen, mein lieber Kleiner Graf, ich bilde mir alles Exrnftes ein, baß meine Perfon weder von Dolchen, noch Piſtolen, nody Gifttränfen etwas zu fürdten hat. Glauben Sie an eine Borfehbung, Graf? Ah, Sie ſehen mich erftaunt an, und es wundert Sie, daß foldye Frage won fo ungläubigen Lippen kommt! Ja, ja, id bin ein Ungläubiger, und ic geftehe Ihnen ganz ehrlich, daß mir der Himmel Mahomeb’s, wo man auf Wolfenpolftern figend feinen Tſchibuk raucht, währen ſchönheits⸗ ftrahlende Houris uns mit rofenfarbenem Finger die Fußfohlen kitzeln, daß mir biefer Himmel Mahomed!s viel wünfcdhenswerther erfcheint, als der Himmel der riftlichen Welt, wo man in ewiger, müßiger Lob⸗ fingerei vor. dem Throne des Höchften ftehen und anbeten fol. Ad, ich habe in den glüdlichen Tagen meines Aufenthalts in Conftantinopel ein wenig Borgefchmad gehabt von dem Himmel Mahomeb’s, und in den langweiligen Tagen Maria Thereſia's auch eine Ahnung erhalten von dem Himmel der riftlihen Welt. Und von welcher Borfehung fprachen nun Euere Ercellenz? fragte Saurau. An welche Vorſehung glauben Sie? Ich bitte Ew. Excel⸗ lenz, mir dies zu ſagen, damit ich meinen Glauben nach dem Ihren modele! Ich glaube an eine Vorſehung, welche niemals etwas umſonſt thut, und niemals große Männer ſchafft, um ſie von erbärmlichen Affen wie Fliegen zertreten zu laſſen. Sehen Sie, deshalb fürchte ich auch keine Anſchläge, die gegen meine Perſon gerichtet ſind. Die Vorſehung hat mich geſchaffen, daß ich Oeſterreich nütze und ihm ein Bollwerk ſei 13 gegen die heranfiuthenden Wogen der Revolution und. gegen bie GSiegesfanfaren des Generals Bonaparte. Ih bin ein Werkzeug ber Borfehung und alfo wird fie mich beſchützen, fo lange fie meiner be- darf. Wenn fie aber eines Tages nicht mehr meiner bebürfte, und fie wollte mich fallen laffen, fo würde doch alle meine Vorficht umfonft fein, und alle Ihre Spigerls, mein lieber Graf, würben mich doch nicht gegen die Mörberhand ſchützen Tünnen. Demnach wollen Sie, daß nichts gethan werde gegen dieſe Ver⸗ brecher, bie wider das Leben Eurer Excellenz confpiriren? Oh, nicht doch, das hieße den Fatalismus zu weit treiben! Ich rechne gar fehr auf Ihre Klugheit und die Wachſamkeit Ihrer Diener, Herr Graf! Laſſen Sie das dumme Bolf gut bewachen, forgen Sie, daß überall faux freres fid) in die Verſammlungen meiner Feinde ein- fchleihen, und wenn dieſe Ihnen einige Complotte gegen mid) rappor⸗ tiren, nım, jo läßt man bie Heinen Uebelthäter ganz geräuſchlos ver⸗ Ihwinden. Wir haben ja Gott fei Dank Feltimgen und Staatsge⸗ fängniffe, deren Wände jo did find, daß fein Schreien und Stöhnen daraus gehört wird, und daß man fie nicht durchbrechen fann! Nur fein Aufſehen, fein lautes Gefchrei, kein Zetermordio! Die öffentliche Beitrafung eines Mörders, ber mich verfehlt hat, reizt nur zehn andere Hände zu vwerfuchen, ob fie ficherer treffen Fünnen. Aber das geräufch- Iofe Verſchwinden eines Webelthäters, Das erfüllt die feigen Gemüther mit Grauen und Entfeßen, und zehn fchreden zurück vor einer That, - die vielleiht auch fie beabfichtigten, bloß weil fie nicht willen, auf welche Weife ver Elfte fie gebüßt hat. Das Berfihwinden und bie Dublietten, daß ift es, was ich mir lobe! Man muß feine Feinde und Widerſacher geräufchlos befeitigen, es muß ſcheinen, als habe irgend ein verborgener Abgrund fie verfchlungen, dann benft ever, biefer Abgrund könne auch eines Tages ſich zu feinen Füßen öffnen, und er wird vorfidtig, Angftlih und ſcheu. Einzig und allein durch dieſe Staatsweisheit der heimlihen Beftrafungen und des heimlichen Ge- richts hat fich der Staat Venedig fo viele Jahrhunderte erhalten. Weil, - man bie Shirren der ‘Dreimänner überall gegenwärtig glaubte und bie beiden Löwenrachen auf ber Pinzzetta flicchtete, aehockhte das Weit 14 dieſen unfichtbaren Herrſchern, die es nicht kannte, und deren rächende Hand ewig über ihm ſchwebte. Jetzt indeß ſcheint es, als ob eine ſichtbare Hand, eine Fauft von Eiſen, dieſe unſichtbaren Hände der Dreimänner fortſchleudern möchte, ſagte Graf Saurau haſtig. Bonaparte ſcheint Luſt zu haben, auch Venedig in ſeine italieniſchen Republiken hinein zu zwängen. Es wimmelt dort von franzöſiſchen Emiſſairen, welche alle ihre Beredt⸗ ſamkeit aufbieten, die Venetianer zum Aufſtand gegen ihre Herrſcher zu verleiten, damit — aber horch, unterbrach ſich Graf Saurau auf einmal, was iſt denn bs? Tönt nicht Geſchrei von der Straße herauf? Er ſchwieg und wandte gleih dem Minifter Auge und Ohr dem Fenfter zu. Wirklich vernahm man von da unten jeßt vermorrenes Geräufc), laute Ereifhende Stimmen in einen wilden Durcheinander. Die beiden Minifter erhoben fih, ohne ein Wort zu fagen, von ihren Lehnfefleln und traten eiligen Schrittes an eines ber Fenfter. Diefes bot gerade die Ausfiht in die breite, Ianghingeftredte Straße, weldye von dem Kohlmarft hierher zu dem Palais des Minifters führte. Ein ungeheures Gewühl von Köpfen, breiten Schultern, emporgejtredten Armen ward hier fihtbar, und immer näher rollte das Sturmgeheul der Volkswuth heran. Es ſcheint wahrhaftig, als ob diefe edlen Volfsvertreter die ehren- volle Abficht hätten, mir einen Beſuch abzuftatten, fagte Graf Thugut vollfommen ruhig. Hören Sie nur, die Kerle brüllen meinen Namen, als ob er der Refrain eines ſchäumenden Bierliedes fei! Das ift ja offene Empörung! rief der Polizeiminijter zornglühend. Erlauben Ew. Ercellenz, daß ich mid) entferne! Er wandte ſich haftig vom Fenſter ab. und griff nad) feinem Hut, "aber Thnugut's nervige Hand hielt ihn feft. Wo wollen Sie hin, Graf? fragte er lächelnd. Zum Commandanten von Wien, fagte Saurau, id will ihn fra- . gen, wie er einen ſolchen Unfug dulden kann, und ihm befehlen, mit den ftrengften Mitteln vorzugehen. Bleiben Sie, id bitte Sie, fagte Thugut gelaffen. Der Kom⸗ 15 mandant von Wien ift ein weifer unt einfihtswoller Mann, ver fehr gut weiß, wie man mit dem Volk umgehen muß. Es wäre doch in der That eine unerhörte Tyrannei, wenn man dem armen Bolt nicht einmal geftatten wollte, feine Meinung zu jagen und dem Premier: minifter des Kaiſers feinen guten Rath zu ertheilen. Erlauben wir ihnen doch das, dann werden fie fi einbilden, eine ungeheure Helven- that ausgeübt zu haben, und es wird ihnen fcheinen, ale ob fie fi großer Freiheit zu rühmen hätten. Das ift aber die wahre Staats⸗ weisheit, mein guter Heiner Graf, daß man ven Bölfern den Schein der Treiheit läßt, und mit diefem ihre Augen fo ſehr blendet, daß fie gar nicht fehen, daß von der Freiheit felber dabei gar feine Rede iſt. Da unten auf der Straße war das Geſchrei und Geheul immer ärger geworben, in bichten Haufen wälzte fich das Bolt zu dem Portal bes Meinifterhötel’8 heran, deſſen Pforten indeß bereit$ von dem vor- fihtigen Portier gefchloffen worben. Kräftige Fänfte fchlugen an viefe Pforten, daß fie dumpf erbröhnten, und unter biefen Taktſchlägen ihrer Anführer brüllte und heulte das Volk fein wüthendes Lied: Wir wollen den Minifter ſprechen. Er fol: uns Frieden geben! Frieden! Frieden! Ab, ich weiß, was das bebeutet, rief Graf Saurau zähneknirſchend vor Zorn. Diefe Kerle find von Ihren Feinden angeftiftet. Die Partei, welche Sie und mid) ftilrzen möchte, welche um Alles in der Welt Frieden mit Frankreich machen und um jeden. Breis Belgien bei .Defterreich behalten möchte, dieſe Partei hat dieſe Kerls zum Aufruhr gebdungen. Man will Sie zwingen, Ercellenz, entweder abzubanfen, oder dem Volk feinen Willen zu thun und Frieden mit der franzöſiſchen Kepublif zu machen! Thugut lachte laut auf. Mich zwingen, fagte er Iafonifd). Eben brültte das Volk wieder laut auf, und wie Sturmesgeheul pfiff es an die Fenfter: Frieden! Wir wollen Frieden haben! Zugleid, verboppelten fid) die wüthenden Schläge gegen die Thore des Höteld. N 16 Dies überfchreitet alles Maaß, rief ber der Polizeiminifter außer fi. Ich darf, ich kann nicht länger müßig bleiben. Nein, jagte Thugut gelaſſen, wir wollen aud) nicht Länger müßig bleiben! Es ift meine Frühftüdsftunde, und ich lade Sie daher ein, mein Saft zu fein. Kommen. Sie, . laſſen Sie uns in den Speiſe⸗ | faal gehen! . Er reichte dem Grafen feinen Arm und ging mit ihm in ben an⸗ ftoßenden Salon. In der Mitte veffelben ſah man einen gebedten - Tiſch mit allerlei Speifen und Weinen geſchmückt und wie jederzeit mit acht Couverts belegt; denn Baron Thugut hielt täglih, wenn er nicht eingeladene Säfte bei fich jah, offene Tafel für fieben ungeladene Säfte, und feine vertrauteren Belannten oder bie mit feiner Gunft Begna- digten verfäumten es niemals, ſich allwöchentlich einmal zu den be⸗ kannten und unveränberlihen Brühftüds- und Mittagsftunden des Mi- niſters einzufinden. . Heute indeß begegnete Thugut's raſcher und ſuchender Blick nicht einem einzigen Gaſt. Niemand befand ſich in dem Zimmer, außer den acht Lakaien, die hinter den Stühlen ſtanden. Sie hatten, den ſtrengen und unerſchütterlichen Sinn ihres Herrn kennend, ihre ge⸗ wohnten Plätze eingenommen, aber ihre Geſichter waren farblos und ihre Blicke richteten ſich mit dem Ausdruck höchſter Seelenangſt den Fenſtern zu, welche eben wieder von dem Donner der gegen die Hötel- thüren gerichteten Fauftfchläge erzitterten. Memmen, murmelte Thugut leiſe, indem er ſich zu feinem Sit am obern Ende der Tafel wandte und den Grafen Saurau bedeutete, neben ihm Pla zu nehmen. In dieſem Augenblid indeß warb die Thür, welche in die Anti- hambre führte, heftig aufgeriffen, und ber Hauehefmeiſter ſtürzte mit angſtbleichem Geſicht herein. 17 IN. Ber Minifter und die Leute aus dem Bolke. Halten zu Gnaden, Ercellenz, daß ich ftöre, ftammelte der Haus- hofmeifter athemlos. Aber diesmal ift es Ernſt. Das Volk ftürmt das Thor, es beginnt ſchon in feinen Angeln zu fradyen. Im fpäte- ſtens einer Biertelftunde werben die Aufrührer es genommen haben! Das fommt davon, dar Ihr es ohne Noth habt fehliegen Laffen, rief der Minifter. Wer gab Eud) den Auftrag dazu? Wer befahl Euch, uns wie in einer Feſtung zu verbarricabiren, als hätten wir ein böfes Gemifjen und fürdyteten daher den Beſuch des Volfes? Der Haushofmeifter blidte mit ftarrem Entſetzen in das Antlit feines Herrn und fand fein Wort der Erwiderung. Seht fogleich hinunter, fuhr der Minifter fort, laßt ven Portier das Thor öffnen und Jedermann eintreten. Zeigt den Leuten ben Weg bier herauf, und Ihr Schlingel, vie Ihr da fteht mit blafjen Geſichtern und zitternden Sinieen, öffnet die beiven Flügelthüren, da— mit die Leute, ohne fich zu. ftoßen, bier herein können. Nun thut Alle, wie ich Euch geheißen habe! Der Haushofmeifter verbeugte ſich mit einem Seufzer, welcher einem Todesächzen gli, und verließ eiligft den Salon. Die Diener aber eilten, mit zitternden Händen die Flügelthüren zu öffnen, fowohl die, welche in den Borfaal, als auch diejenigen, welche von dort auf den Corrivor führten. Man hatte nun von den Blägen am Tiſche aus einen freien Ueberblid nad) der großen Treppe hin, welche auf den Corridor unmittelbar’wor dem Vorſaal ausmündete. Und jest, Germain, wandte fi) Thugut zu dem hinter feinem Stuhl ftehenden Kammerdiener, jett laßt uns unfer Frühſtück haben. Seien Sie weife, lieber Graf, und folgen Sie meinem Beifpiel, neh- men Sie etwas von diefem Sorbet. Cr fühlt pas Blut und ift doch feurig zu gleicher Zeit. Trinken Sie, lieber Graf, trinken Sie! Ad, feben Sie nur, mein Roh bat uns heute ein volllommen Artihıe® Mubßlbad Napoleon. 1. Abth. 1. 2 18 Mahl: bereitet, venn da fehe ich den calecutifchen Hahn mit Reis und Paprika. Ich habe zu biefen Gericht von dem Mundkoch des Groß- veziers felber das Recept erhalten, und id, darf jagen, daß Sie dieſe Speife in ganz Wien nicht fo bekommen, wie bei mir. Bon der Treppe her vernahm man jest ein dumpfes Geräuſch, ein wirres Durcheinander von Stimmen. Sie kommen, ſie wagen es wahrhaftig, hier einzudringen, ſagte Graf Saurau, bebend vor Grimm. Excellenz, verzeihen Sie mir, ih bewundere Ihren bergifchen Gleihmuth, aber ich kann es Ihnen nicht nachthun. Es ift ganz unmöglid, ganz unthunlih, daß ich, ver Polizeiminifter, ganz ruhig und unthätig gegenwärtig bin, wenn eine verbrecherifche Rotte e8 wagt, bei Ihnen einzubringen. Berzeihen Sie, diefe Leute find nicht eingevrungen, ſondern ich babe ihnen freiwillig bie. Thüren öffnen laſſen, fagte Baron Thugut gelaffen. Und was Ihre Charge als Polizeiminijter anbetrifft, mein lieber Graf, jo beſchwöre ich Sie, dieſelbe eine halbe Stunde zu ver- geſſen und fidy nur zu erinnern, daß ich die Ehre habe, Sie als fel- tenen Saft an meiner Tafel zu fehen. Ich bitte Sie noch einmal ernftlih, nehmen Sie von diefem Geflügel, es ift wirklich em— pfehlenswerth! Graf Saurau nahm mit einem tiefen Seufzer etwas von ber Speife, welche Germain ihm barreichte, und legte e8 auf den filbernen Teller, der vor ihm ftand. ‚Aber wie er eben den erjten Biſſen zum Munde führen wollte, ftodte jeine Hand und feine Blide richteten fich ſtarr nah der Thür Hin. Er hatte über dem Treppengeländer einige Köpfe mit buſchigem Haar, mit funfelnden Augen auftauchen fehen; jetzt folgten mehrere, jetst hoben die Geftalten fich höher, jett ſah man zwanzig bis dreißig troßgig blidende, wilde Männergeftalten, welhe von der Treppe auf den Corridor traten, hinter ihnen auf der Treppe warb eine neue Reihe von Köpfen. fihtbar und neue Ge— ftalten hoben fid) auf der Treppe empor. Aber das laute Gejchrei, das wüthende Fluchen und Kreifchen war ſchon verftummt, der Nefpect vor der ariftocratifhen Umgebung Datte bie Leute jchweigen gemacht, und felbft der beherzte und kühne 19 Redner, welcher vorher auf dem Kohlmarkt das Volk zu diefem Ge- waltſchritt verführt und es hierher geleitet hatte, ſelbſt der ftand jeßt zögernd und unentichlojien vor der Thür des Speiſeſaals ı und blidte nur mit düftern Wuthbliden hinüber. Thugut ſchien von dem Allen gar nichts zu sehen, er war ganz und gar nur mit feinem Frühſtück befchäftigt und widmete dem Heinen Knochen feines Hühnerflügels feine ungetheilte Aufmerkjamfeit. Graf Saurau gab fich wenigftens ben Anfchein zu eflen und hielt feine Augen unverwandt auf den Teller gerichtet, um nicht feinen Ingrimm und feine Wuth in feinen Blicken leſen zu laſſen. Aber aud) den Leuten aus dem Volk ſchien nicht wohl und be- haglid bei dieſer eigenthümlichen und unerwarteten Scene, melde plöglid) wie ein Taltes Sturzbad ihren Eifer und ihren Heroismus abzufühlen begann. Als triumphirende Sieger, unter lautem Yreube- jauchzen, waren fie in das Hötel eingedrungen, ganz überzeugt, den Minifter zitternd und um Gnade flehend vor ihnen erfcheinen zu jehen, und jett erblidten ihre erftaunten Augen ihn in behaglichiter Ruhe am Frühſtückstiſch. Diefe Situation hatte für die armen Leute etwas außerordentlich Befrempdendes, es warb ihnen bange und unheimlid zu Sinn, und Biele von denen, welche erft fo fiegestrunfen die Treppe heraufgeftürmt waren, fanden es jett gerathener, fich leife wieber zurüdzuziehen. Die Zahl der Geſtalten, welche dort über dem Treppengeländer erfchienen waren, verminderte fich mehr und mehr, und nur gegen zwanzig der Beherzteften und Verwegenſten hielten noch Stand vor der Thür des Vorſaals. An ihrer Spitze ſtand noch immer der Redner vom Kohlmarkt. Er hatte jetzt, eingedenk ſeiner Verſprechungen und des verheißenen Lohns, ſeine augenblickliche Schüchternheit überwunden und trat nun mit trotzigem Schritt in den Vorſaal ein, hinter ihm drängten ſich die Männer, von ſeinem Beiſpiel ermuthigt, vorwärts. Jetzt hob Baron Thugut ſeine Augen mit einem gleichgültigen Blick von feiner Speiſe empor, und richtete fie hinüber auf die Män- 2* 20 ner, die mit geräufchvollen Schritten durch den Borfaal Famen. Dann wandte er fid) ruhig an den hinter ihm ſtehenden Kammerbiener. Germain, fagte er mit lauter Stimme, gehe hin und. frage biefe Herren, ob fie mich zu fprecdyen wünfdhen, und wen Du die Ehre haben ſollſt, mir anzumelden. Keins diefer Worte war ten Männern entgangen, und mit blöber Berlegenheit fahen fie jest ven zierlichen, geputzten Kammerdiener zu ihnen heranſchlüpfen, vernahmen fie die Botjchaft, welche dieſer ihnen mit ſüßlichem Lächeln verkündete. Aber es war jetzt nicht Zeit mehr, zurückzutreten, ſie mußten ſich alſo mit Trotz und Entſchloſſenheit waffnen, um ihre Rolle mit An- ftand weiter. führen. zu Fünnen. Sa, fagte daher der Redner des Kohfmarkts laut und entfchloifen, wir wünſchen den Herrn Miniſter zu ſprechen, und was unſere Namen anbetrifft, ſo heiße ich Meiſter Wenzel von der Schneider-Innung, dies iſt der Schneider Kahlbaum, und Ihr Andern ſagt ſelbſt Eure Namen, damit dieſer höfliche Herr fie dem Herrn Miniſter hinterbrin- gen kann. Aber Feiner von den andern Männern folgte diefer Aufforderung, vielmehr blidten fie Alle ſcheu und verlegen bei Seite, und es däm— merte in ihnen eine Ahnung auf, daß Dies laute Verfünden ihrer Ra- men doch auch feine gefährlichen Seiten haben möchte. Germain wartete ihre endliche Entſchließung nicht ab, ſondern kehrte eilig zu ſeinem Herrn zurück, um ſeine Beſtellung auszurichten. Der Herr Wenzel von der Schneider-Innung, der Herr Schnei- der Kahlbaum nebft den übrigen Herren jollen willfommen fein, fügte Baron Thugut laut, ohne fid) aber in feinem Eſſen ftören zu laffen. Die Männer rücdten indeß vorwärts bis an die Thür des Speife- ſaals. Hier aber ließ ein ftolzer gebieterifcher Blick des Minifters fie Halt machen. Sie haben ohne Zweifel ſchon gefrühftüdt, nicht wahr? fragte Thugut mit fharfer Betonung. Ya, wir haben gefrühftüct, murrte Meifter Wenzel. Run, ih bin nicht jo glücklich, wie Sie, und alfo bitte ich Sie, 21 mid erſt mein Frühſtück verzehren zu laſſen, fagte Thugut, und er begann fid) wieder mit dem Hühnerflügel auf dem Teller zu be- Ihäftigen. Eine lange Baufe trat ein. In peinlichfter Verlegenheit ftanden bie Männer an ber Thür, wo ver Blid res Minijters fie gebannt hatte, und eine unheimliche Furcht vor dem Ausgang diefer Scene bemächtigte fich ihrer Gemüther. Mehr als es blanfe Schwerter und auf fie gerichtete Flintenläufe vermocht hätten, fühlten fie fid) geäng- jtigt von dem Anblick der ruhigen, jtolzen und ernten Geftalt des Minijters, und feine unbekümmerte Sorglofigfeit, das Gefühl voll- kommener Sicherheit, mit welden er einen drohenden Volkshaufen gegenüber jein Frückſtück verzehrte, machte die Aufrührer um die Sicher- heit ihrer eigenen Perfon ängſtlich. | Gewiß hat er bier in feinem Hötel immer eine Menge Soldaten und Poliziften verftedt, dachte Meifter Wenzel, und darum bat er und eintreten lajjen und darum ift er and) fo ruhig und unbeforgt, und wenn wir bier in ven Saal getreten find, werden die Kerls mit den goldenen Zrejjen hinter uns die Thür zufchnappen und aus der Thür ba drüben werden dann die Soldaten hervorjtürzen, um ung feitzunehmen. Ehen, wie er dies dachte, traf ihn ein erniter, Falter Blick des Minifters und machte ihn vom Wirbel bis zur Zehe erbeben. Gebt, wenn es den Herren gefällig ift, treten Sie ein, meh Frühſtück it beenvet, jagte Baron Thugut gelaſſen. Ich bin ganz ‚bereit und gefpannt, zu hören, was Sie mir jagen fünnen! Treten Sie alfo ein. | Die Männer, welche hinter Meijter Wenzel jtanden, ſchoben ſich vorwärts, aber die lange, berculijche Geſtalt des ehrwürdigen Meifters von der Schneiver-Innung leijtete ihnen Widerſtand und nöthigte ſie, ſtill zu ſtehen. Nein, halten zu Gnaden, Excellenz, ſagte Herr Wenzel, feſt ent⸗ ſchloſſen, die Schwelle des Saals nicht zu überſchreiten, es würde ſich für uns arme Lente wenig ſchicken, in den hochfreiherrlichen Speiſeſaal einzutreten. Unſer Platz iſt im Vorzimmer und da wollen wir warten, bis Em. Gnaden ſich herablaſſen wollen, uns einen Augenbü anyahtren. 22 Diefe demüthige Sprache, diefe zitternde Stimme war in fo fhreiendem Gontraft mit dem lömwenmuthigen, zungenfühnen Anführer, der Herr Wenzel auf der Straße geweſen, daß die Männer, welche ihm gefolgt waren, fich von dieſem Contraft in tieffter Seele erichüt- tert, fühlten und wie von Entjegen erftarrt daſtanden. Der Minijter ftand auf, feine breite, robuſte Geftalt richtete ſich ſtolz empor, auf feinen fcharfen, marfirten Zügen zeigte ſich ver Schim- mer eines fpöttifchen Lächelns, feine bufchigen weißen Augenbrauen, vorher Dicht zufammengezogen, das einzige Äußere Zeichen feines Zornes, welches ſich Thugut jemals erlaubte, waren jetzt wieder ruhig und heiter, und mit langſamen, gelaſſenen Schritten näherte er ſich den Männern. Nun ſprecht, was iſt's, was kommt Ihr von mir zu erbitten? fragte Thugut in dem vollkommenen Bewußtſein ſeines Uebergewichts. Wir wollten Ew. Gnaden bitten, uns armen Leuten endlich den Frieden zu ſchenken, ſagte Meiſter Wenzel. Den Frieden mit wem? fragte Thugut gelaſſen. Frieden mit Frankreich, Ercellenz, Frieden mit dieſem General Bonaparte, der, wie bie Leute ſagen, ein Zauberer ift, ver alle Men⸗ fchen behert und alle Länder mit einem Blick und einer Hanpbewegung erobern kann, wenn er nır will. Wenn wir nicht Frieden machen, wird er Oeſterreich auch erobern und wird nach Wien kommen, um ſich ſelbſt zum Kaiſer zu machen, und wird unfere weiſen, guten Mi- niſter abſetzen, um uns franzöſiſche Herren zu geben. Wir möchten aber fo gern unfere Raifer und unfere guten Minifter, die fo vwäterlid) für uns forgen, behalten, und deshalb allein find wir hierher gefom- men, um Ew. Ercellenz zu bitten, Sie möchten fid) des armen Volks erbarmen und Frieden machen, damit der Kaifer nach Wien zurüd- fehrt, und feinen Staatsſchatz wieder mitbringt. Nicht wahr, Ihr Männer, das war Alles? Wir wollten Se. Ercellenz nur bitten ı um Frieden! Ya, Ercellenz, riefen tie Männer, erbarmen Sie ſich unſer, geben Sie uns Frieden! um, Ihr feid für Friedensengel auf eine gar ſtürmiſche Weife 23 bier eingedrungen, fagte der Minifter fireng. Ihr wolltet Frieden holen und brachtet den Aufruhr. Es war bloß die Angſt, die uns ſo haſtig und ſtürmiſch gemacht hatte, ſagte Meiſter Wenzel verlegen. Wir bitten Ew. Excellenz um Vergebung, wenn wir Sie erjchredt haben! Erfchredt! wiederholte Thugut mit einem Ton unausſprechlicher Beratung. Als ob es der Mühe lohnte, vor Euch zu erfchreden! Ich wußte, daß Ihr kommen würdet, und id) wußte au, wer Euch dazu erfauft hatte Ia, ja, ich weiß, man hat Euch gut dafür be- zahlt, Meifter Wenzel, dag Ihr den Aufruhr anftiften folltet, man bat Euch blanfe Ducaten gegeben, damit Ihr hier in mein Hötel ein- dringen folltet. Aber werben die Ducaten auch im Stande jein, Euch bier wieder herauszuhelfen? Meifter Wenzel ſtieß einen Schrei aus und wankte bleich vor Ent⸗ ſetzen einige Schritte zurück. Em. Excellenz wußten, — Ja, ich wußte, unterbrach ihn Thugut ſtreng, daß Leute, denen wenig gelegen iſt an der Ehre und Würde ihres Vaterlandes, Leute, die einfältig genug find, zu glauben, es wäre beſſer, ſich ver fluch⸗ würbigen, franzöfiichen Republik freiwillig zu unterwerfen, ftatt mit Wehr und Waffen gegen fie aufzutreten, daß diefe Leute Euch bezahlt haben, damit Ihr Euer Maul aufreißen und jhreien follt von Dingen, bie Ihr nicht verfteht und die Euch gar nicht kümmern, denn — In dieſem Augenblid vernahm man von außen her angftvolles Schreien und Tlehen, dazwiichen heftige, vrohende Stimmen und mi- litairiſche Commandoworte. Die Männer fchauten angftvoll fih um und mit Entſetzen gewahrten fie, daß die Zreppe, auf welcher fie ſich vorher Kopf an Kopf gedrängt hatten, jest ganz leer war. Aber in diefem Moment erfchienen zwei Geftalten auf verfelben, wenig geeignet, die Angjt der Männer zu fänftigen, denn man er- blidte an ihnen die Uniformen ber gefürchteten und ftrengen Polizei, welche unter dem Minifterium Thugut eine ſo bedeutende und ſchreckens⸗ reiche Rolle ſpielte. Dieſe beiden Geſtalten näherten ſich der Thür der Anime, 24 an welcher ihnen der Kammerdiener Germain entgegentrat und fid leife mit ihnen beſprach. Alsvann eilte Germain zu der Thür bes Salons, und die ſcheu zurückweichenden Empörer kaum eines verächt- lihen Blides würdigend, trat er ein. Nun, was giebt’s, Germain? fragte Thugut. Ercellenz, der Herr Bolizeidivector läßt Ew. Excellenz vermelden, daß er alle Thüren des Hotels befegt hat, jo dag Niemanb heraus fann, daß ferner die Straßen gefänbert und die Empörer auseinander gejagt find. Der Herr Polizeidirecter, welcher unten auf dem Vor⸗ plag jid befindet und damit beſchäftigt ift, die Namen ver im Hötel befindlichen Empörer aufzuzeichnen, läßt fich die ferneren Befehle Eurer Ercellenz ausbitten. Ah, er ahnt nicht, daß fein erfter Chef, der. Herr Bolizeiminifter, fid) felber hier befindet, fagte Thugut, ſich lächelnd zu dem Grafen wendend, welder, da er einmal dazu verdammt war, ein müßiger und unthätiger Zuſchauer diefer Scene zu jein, ſich in eine Yeniter- nifche zurüdgezogen und von dort aus dem Geſpräch zugehört hatte. Erlauben Sie, Herr Graf, daß der Polizeidirector bier herauf komme und Ihnen felber rapportive? fragte Thugut. Ich bitte Sie darım, Ercellenz, fagte der Graf, indem er zu dem Minifter trat. Germain flog wieder in das VBorzimmer zu den harrenden PBolizijten. Und wir? fragte Meifter Wenzel kleinlaut. Ihr werdet warten! fagte Thugut. Drüdt Euch dort in jene Ede, vielleicht fieht Euch dann der Polizeidirector nicht! Sie zogen ſich bebenb in die Ede der Antichambre zurück und wagten nicht einmal, zufammen zu flüften, nur die Blide, pie fie miteinander wechfelten, verriethen ihren Schreden. Die beiden Minifter waren indeß in die Antichambre getreten und, den Polizeidirector erwartend, unterhielten fie ſich leife mit einander. Yet zeigte fih auf dem Corribor die breite, ftolze Figur des Polizeidirectors in feiner ganz Wien befannten Amtstracht, welche bie Geſichter der armen Aufrührer nur noch bleiher machte und ihr Herz zit ben [ohlimmjten Beängftigungen erfüllte. 25 Auf einen Winf des Grafen Saurau trat der Director iq bie Antihambre, in feiner Rechten ein befchriebenes Blatt Papier haltend. KRapportiren Sie, fagte Graf Saurau ſtreng. Wie war es möglich, daß dieſer Auflauf überhaupt ftattfinden konnte? War denn Niemand da, der das aufrührerifche Volk auseinandertrieb, noch ehe e8 wagte, bierber zu ftürmen? Der Bolizeidirector ſchwieg und warf nur einen ängſtlichen, ver⸗ legenen Blick auf den Miniſter Thugut. Dieſer wandte ſich lächelnd an den Polizeiminiſter. Ich bitte Sie, lieber Graf, ſagte er, zürnen Sie dem würdigen Herrn Director nicht, ich bin überzeugt, daß er feine Schulvigfeit gethan hat. Das ganze Hötel ift umzingelt, beeilte fid) der Director zu jagen, Niemand Tann hinaus, und ich habe die Namen aller ver Uebelthäter aufgefchrieben. Bis auf diefe hier, fagte Thugut, auf Meifter Wenzel und Ge noſſen deutend, die Scheu zufammengebrüdt zu ihnen hinftarrten. Aber das ift auch nicht nöthig, denn fie haben uns ſchon ihre Namen gefagt, und ihre Bitten vorgetragen. Und fo wäre aljo die ganze ehrenwerthe Bolfsverfammlung bier in meinem Hötel wie in einer Maufefalle ein- gefangen? Ja, wir haben fie Alle, fagte der Director, und ich erwarte bie Befehle des Herrn Polizeiminijters, was weiter mit ihnen gefchehen fol. Ich bitte Sie, lieber Graf, wandte fih Thugut an Graf Sauran, erzeigen Sie mir einen Yreundfchaftspienft und lafien Sie mich Gajt- freundfchaft üben an dieſen Männern bier. Ich habe ihnen die Pfor- ten meines Hötels öffnen und fie hier eintreten laffen, und es wäre daher nicht großmäthig, fie nicht frei wieder hinauszulajjen. Leſen Sie das Verzeihniß, das der Herr Director ta in der Hand hält, gar nicht, fonvern erlauben Sie, daß er e8 mir giebt, und befehlen Sie ihm, daß er feine Poliziften ſich entfernen und die Gefangenen frei und mit voller Waffenehre abziehen laſſe. Es fei, fo wie Sie wünſchen, Ercellenz, fagte der Graf, ſich tief verneigend. Geben Sie dem Herrn Minifter Ihre Kſte, Her 26 Director, und gehen Sie hinunter, Ihre Befehle ben Wünſchen des Herrn Premierminifters gemäß .zu ertheilen. Der Director that, wie ihm befohlen. Er überreichte Thugut bie Lifte der gefangenen Aufſtändiſchen: und zog ſich dann, rückwärts gehend, auf den Corridor zurüd. Und wir? Können wir auch gehen, Seelen? fragte Meifter Wenzel fchüchtern. Sa, Ihr könnt gehen, ſagte Thugut. Aber unter einer Bedingung! Ihr müßt mir erſt das Lied ſagen, welches das ehrenwerthe Volk beit, als Ihr hierher famt, Meifter Wenzel. | Ah, Ercellenz, ich weiß nur einen einzigen Vers davon aus- wendig. Nun aljo, den Einen Bers! Spredit ihn raſch, denn ich fage Eu, Ihr werdet jene Thür dort nicht überfchreiten, bevor Ihr mir den Bers veclamirt habt. Sei es aber, was es fei, Ihr dürft Euch nicht ängftigen, denn ich verfprehe Euch, daß. Ihr ſtraflos blei⸗ ben ſollt. Nun denn, ſagte Meiſter Wenzel ganz verzweiflungsvoll ich glaube, der Ders lautete jo: Triumph, Triumph! Es fiegt Die gute Sache! Die Fürſtenknechte flieh’n! Laut tönt der Donner der gerechten Sache Nach Wien und nad Berlin.*) Wirklich ein recht hübſches Lied das, ſagte Thugut, und könnt Ihr mir ſagen, wer Euch dies Lied gelehrt hat? Nein, Excellenz, das weiß Keiner, es war auf den Straßen, in ben Häufern als Wlugblatt ausgeftreut in viel taufend Cremplaren, *) Die Anfangsftrophe eines. Gedichtes, das damals (1797) überall in Deutichland gefungen warb und ein Ausflug war ber woreiligen und kurzſich⸗ tigen Freude, mit welcher die Deutfhen das Siegen und Fortfchreiten der fran« zöfiihen Republik feierten. Und nicht bloß Das Volk fang diejes Lied, ſondern fogar in exeluſiven ariftocratifchen Kreifen war e8 beliebt. Die Gräfin Pachta, Rahel's Freundin, citirt e8 fogar in einem Briefe an Rahel. Siehe: Gallerie von Bilbnijfen aus Rahel8 Umgang. Theil I. Seite 179. 27 und da fanden die Arbeiter es, als fie Morgens auszogen an ihr Tagewerk. Und ſolltet Ihr nicht beim Ausſtenen ein wenig behülflich geweſen ſein, mein lieber Meiſter Wenzel? Ich? Gott und die heilige Jungfrau mögen mich behüten, rief Meiſter Wenzel entſetzt. Ich hab' das Lied geſungen, ſo gut wie die Andern, und hab's geſungen nach der Melodie, welche ich die Anderen ſingen hörte. Und das war brav von Euch, denn es sin wirllich ein hübſches Lied, ſagte Thugut, leicht mit dem Kopf nickend. Lieder haben ja das gewöhnlich an ſich, daß kein Wort in ihnen wahr iſt, und das nennt man darum Poeſie. Geht alſo jetzt, mein poetiſcher Herr Wenzel und Ihr Andern, die Ihr vom ſogenannten Volk als Friedensboten an mich abgeſandt worden. Sagt Euren Auftraggebern, ich bewilligte ihnen diesmal in Gnaden noch ihre Bitte und gäbe ihnen Frieden, das heißt, ich ließe ſie laufen und ſperrte ſie nicht in's Loch, wie ſie's ver⸗ dienten, ſondern ich ließe Euch Alle noch einmal in Frieden ziehen. Wenn's Euch aber noch einmal gelüſten ſollte, einen Straßenſcandal zu machen und das ſchöne Lied zu ſingen, ſo ließe ich Euch Alle ein⸗ ſperren und wollte Euch Gaſſenlaufen lehren, dei es eine Luſt fei. Fort mit Euch! Er wandte den zitternden Männern den Rugen und achtete gar nicht auf die ehrerbietigen Kratzfüße und Bücklinge, mit denen ſie ſich verabſchiedeten, um dann mit leiſen aber haſtigen Schritten von dannen zu eilen, wie erſchreckte Mäuſe aus der Höhle eines Löwen. Und jest, mein lieber Graf, da unfer Frühſtück beendet iſt, wandte ſich Thugut an den Örafen, jetst bitte ih Sie, mit mir in mein Ca⸗ binet zurüdfehren zu wollen, denn ich denke, wir haben einander noch mancherlei zu ſagen! 28 IV. Die Conſerenz der Staatsminiſter. Baron Thugut reichte dem Grafen ſeinen Arm und führte ihn wieder zurück in ſein Cabinet. Ich ſehe eine Frage auf Ihrer Stirn, ſagte Thugut lächelnd. Wollen Sie mir dieſelbe nicht mit— theilen? Nun ja denn, Excellenz, rief Graf Saurau, darf ich Sie alſo fragen, was dies Alles bedeutet? Weshalb Sie den Polizeidirector, der offenbar ſeine Pflicht verſäumte und nicht wachſam geweſen, dennoch entſchuldigten und weshalb Sie dieſe Kerle laufen ließen, ſtatt ſie zu Tode prügeln zu laſſen? Sie waren verreift, mein lieber Graf? Sie waren ſeit drei Ta— gen von Wien abwefend, weil Sie die Majeftäten auf ihrer Reife nad) Preßburg geleiteten umd find erft vor einer Stunde von dort zuräd- gelehrt. Dit es nicht fo? Es ijt fo, Excellenz. Sie fonnten alſo nicht willen, was während der Zeit bier in Wien gefhah, und der Director konnte Ihnen Feine Meldung davon machen. Er fan aljo zu mir und meldete mir, daß ein Aufitand gegen die beiden Kaifer — Sie willen. doch, daß das Volk uns bie Ehre anthut, uns die beiden Kaijer von Wien zu nennen? — daß aljo ein Aufftand gegen uns Beide beabfichtigt fei und daß unfere Gegenpartei einen Berfuh machen wolle, uns zu ftürzen. Es war Geld unter das Volk vertheilt, der Fürſt Carl Schwarzenberg Telber hatte ſich einige unvorfichtige Aeußerungen entfchlüpfen Iaffen, genug, jene Partei, weldye mid, haft, weil ich das aufrührerifche Belgien nicht für einen unverlierbaren Edelſtein in der Krone Dejterreihs halte und dem Kaifer nicht rathe, es um jeden Preis zu behalten, jene Partei, weldye ung Beide verwünſcht, weil wir nicht einftimmen in die be- geifterten Lobhymnen auf die franzöfifche Republif und ven Republikaner: general Bonaparte, jene Bartei hat den nichtönutigen Pöbel gebungen, 29 damit er Das Volk repräfentire, mir die Yenfter einfchlage und mir fo viel Furcht und Schreden einflöße, daß ich der Gewalt weichen und nachgeben müſſe. Der Bolizeidirector kam geftern zu mir und melbete mir die ganze Sache und erklärte fi bereit, mein Hötel zu fehlten und den Aufruhr im Keim zu erftiden. Ich bat ihn, das nicht zu tun, fondern die Sache ruhig gewähren zu laſſen, nur ein auf- merfjames Auge zu haben, und aud) erft hierher zu fommen, wenn das Volk ſchon in meinem Hötel fich befinde. Ich wünſchte jehr, einmal eine Probe zu haben von der Stärfe, dem Muth ımb der Be- deutung. unferer Gegenpartei. Es ift immer gut, feine Feinde fennen zu lernen und genau zu erfahren, weſſen fie fühig find. Auch war dies eine wundervolle Gelegenheit für die Polizei, Die Schreier und Aufrührer fennen zu lernen und fi ihre Namen zu merken, um fie nad und nad ubzuftrafen, da wir leider nicht bier in Europa es machen fünnen, wie jene glüdliche Königin von Aegypten, die taufend Empörer zugleidy bei ihren Zöpfen faßte und, fie mit ver Linken an biefen Zöpfen fefthaltenn, ihnen nit einem einzigen Schwerthieb ver Rechten alle taufend Aufrührerköpfe auf einmal abrafirte. Wir müſſen leiver langfamer und vorfidhtiger zu Werke gehen. Und weshalb liegen Ew. Ercellenz diesmal alle Aufrührer laufen? fagte Graf Saurau verbrieflid. Aber wir halten fie nichts defto weniger doch alle bei den Zöpfen, lahte Thugut, denn haben wir nicht hier das Verzeichnig der Namen? Ad, mein lieber feiner Graf, Sie meinten am Ende gar, ich fei in meiner Großmuth jo weit gegangen, dies Regiſter zu zerreißen und es in ale Winde zu freuen und mein Haupt abzumenben, wie jener fromme Bischof e8 that, der einen Mörder unter feinem Bett fand, ihm, da er ihn entdedte, erlaubte, zu entfliehen, fein Haupt ab- wandte, um. des Tliehenden Antlig nicht zu fehen und eines Tages vieleicht wieberzuerfennen? Ic liebe es, meine Feinde von Ange- fiht zu fennen und ihre Namen zu willen, und feien Sie gewiß, daß id die Namen, die bier auf dem Bapier jtehen, mir tief genug ein- prägen werde, um fie nimmer zu vergeilen. Borläufig aber, da biefe Elenven diesmal ſtraflos dvanım ar- * 30 fommen, gehen fie triumphirend nad) Haufe und werben bei nächſter Gelegenheit ihren Streich wiederholen! Ad, mein Lieber, wie wenig kennen Sie das Volk! Glauben Sie mir, nichts angſtigt dieſes feige Geſindel mehr, als daß wir fie laufen ließen. Sie find ſich ihrer Schuld gar wohl bewußt, es ängftigt fie Daher fürchterlich, daß ſie feine Strafe erhalten haben und fie zittern in jedem Moment, daß die Strafe fie ereilen fünne. Sie haben Gewiſſensbiſſe und Furcht, und das find die .beften Hanphaben, mit denen man ein Bol regieren kann. Mein Gott, was. jollte man wohl mit einem Bolt anfangen, das aus lauter tugenphaften, reinen Menſchen beftände! Es würde unangreifbar fein, während feine Lafter und Schwächen ‘gerade es find, durch weldye wir e8 in unfere Hand befommen. Tadeln Sie mir alfo das Volk nicht um feiner Lafter willen, id, liebe es wegen derfelben, denn durch dieſe unterwerfe id, es meinem Willen. Man muß überhaupt niemals baran denken, auf die Menfchen vurd ihre Zugend wirken zu wollen, man kann es nur durch ihre Fehler und Berbrechen, und durch diefe find alle Diefe Leute, welche wir heute ungeftraft nah Haufe geſchickt, unfer Eigenthum. Der freigelajfene und unge: ftrafte Verbrecher ijt ein Shirre, dem die Polizei nur nöthig hat, den Dold. in die Hand zu geben und ihm zu jagen: dahin triff; und er wird treffen! - Demzufolge aljo find Ei. Ercellenz der Meinung, daß Alle, auch die Rädelsführer der Empörer, ungeftraft bleiben follen? Nicht doch, einige Beifpiele mülfen wir allerdings ftatuiren, um das Schrednig nod). größer zu maden unt die Gemüther ver Schul- digen noch mehr zu unterjohen. Aber um Gotteswillen kein öffent- liches Gericht, Feine öffentliche Strafe! Unfihtbar möge unſere Hand Meifter Wenzel faffen und ihn richten. Möge er verfchwinden, er und die andern Rädelsführer, die den feden Muth hatten, bier herauf zu tommen. Steden wir fie vorläufig in ein gut verwahrtes und bidge- 'mauertes Gefängniß, und während bie andern Meinen Aufrührer ſich vie harten Köpfe zerbrechen, um zu errathen, was aus ihren Anführern geworben, machen wir biefe durch allerlei Qualen und Todesvorfpiege- Jungen fo weich und zahm, daß fie endlich, wenn wir fle zulegt frei laſſen, 31 fih als unfere danfbaren Schuloner betrachten und willenlofe Werl: zeuge in unfern Händen find, die wir nad) Belieben verwenden fünnen. Wahrlih, Sie find ein großer Staatsmann, ein weifer Herrfcher, rief Graf Saurau mit allem Enthufiasmus aufrichtiger Bewunderung. Man wird weile, indem man Ihnen zuhört, und glüdlich und mädtig, indem man Ihnen gehorht! Ich fühle mich ganz und gar in Liebe und Anbetung Ihnen ergeben und bin nidyts und will nichts fein, ala Ihr aufmerffamer Schüler. Seien Sie mein Freund, fagte Thugut, gehen wir unfern Weg Hand in Hand, behalten wir unfer gemeinfames Ziel vor Augen und ſcheuen wir fein Mittel, um es zu erreichen! Sagen Sie, was ich thun joll, ich folge Ihnen willig, wie der Blinde feinem Führer! Nun, wenn Sie es wünſchen, mein Freund, fo laflen Sie uns ein wenig überlegen, wie, wir in näditer Zeit das Staatsihiff durch die Klippen hindurch lenken wollen, die es von allen Seiten bevrohen. Es haben fih in den wenigen Tagen, welde Sie von bier entfernt waren, allerlei Ereignijje zugetragen, die den Stand der Dinge wefent- lich verändert haben. Als Sie abreiften, gab ich dem Kaiſer den Rath, auf feinen Yal Frieden zu machen. mit Frankreich. Wir redyneten da⸗ mals noch auf die Grenadier-Regimenter, die wir auf's Neue den Franzoſen entgegengefchidt und die unter Anführung des Erzherzogs Carl die Engpäffe bei Neumarkt gegen die vordringenden Franzoſen vertbeidigen follten. Wir wußten außerdem, daß das franzöfifche Heer felber ermattet, erfchöpft und. frievensbebürftig fei, denn ohne dies würde der General Bonaparte nicht jenen Brief an den Erzherzog gerichtet haben, in welchem er denjelben aufforbert, ben Kaifer von Defterreih zum. Frieden mit Frankreich zu veranlaffen. Auf unfern Kath mußte der Erzherzog an Bonaparte eine ausweichende Antwort ertheilen und ihm fagen, daß er ſich zu ferneren Unterhanblungen Berhaltungsbefehle aus Wien erbitten müjfe. *) *) Memoires tires des papiers d’un homme d’etat sur'les causes se- cretes qui ont determine la politique des Cabinets dans les guerres de la Revolution. Vol. IV. ©. 582. 32 Aber Em. Ercellenz waren feft entfchloffen, feinen Frieden mit Frankreich zu maden! Ich war entfchlojlen, ja! Ich bin es in meinem Innern noch, aber man muß nach Außen oft anders erſcheinen, als man iſt, und es ſind Umſtände eingetreten, welche uns für den Augenblick den Frieden wünſchenswerth erſcheinen laſſen! Schrecken Sie nicht zuſammen, mein lieber Graf, ich ſage ja nur für den Augenblick! Innerlich mache ich nie Frieden mit Frankreich und mein Ziel bleibt unverrückt: eines Tages Oeſterreich zu rächen für die Demüthigungen, welche es uns jetzt auf- erlegt. Vergeſſen Sie das nie, mein Freund, und nun hören Sie! Es ſind neue Depeſchen angelangt. Maſſena iſt nach einem blutigen Scharmützel mit den Unſrigen ſiegreich in Frieſach eingezogen, und am andern Tage iſt er weiter vorgegangen, um in den engen Schluchten von Neumarkt unſere friſchen Grenadier-Regimenter anzugreifen. Der Erzherzog Karl ſelbſt hatte ſich an die Spitze dieſer Regimenter geſtellt und gab unſern Soldaten das Beiſpiel kühnen Muthes. Aber die vereinten, aus Italien und aus Deutſchland zuſammengezogenen fran- zöfifchen Truppen kämpften gegen ihn, und am Abend dieſes unglüd- lihen Zages mußte der Erzherzog mit feinen Grenadieren Neumarft räumen, in weldyes bie Franzoſen als Sieger eingezogen. Jetzt bat der Erzherzog den franzöfifhen General um einen vierundzwanzig- ftündigen Waffenſtillſtand, um Zeit zu gewinnen, denn er hoffte, in diefer Frift pas Corps des Generals von Kerpen an fid) zu ziehen und alsdann den Feind wieber zuridzutreiben. Allein es fcheint, daß dieſer Heine General Bonaparte eimen fcharfen Blid und eine große Divi- nationsgabe beit, denn er ſchlug den Waffenſtillſtand ab und ſandte Skreifparthien gegen. das Kerpen’sche Corps aus, fo daß dies immer weiter zurücdgebrängt ward. Bonaparte felbft aber drang mit feinem Heer bis Judenburg und Leoben. vor. et blieb dem Erzherzog, um Wien zu retten, fein anderes Mittel übrig, als Friedensvorfchläge zu machen. Und er hat das gethan? fragte Graf Saurau athemlos. Er hat das gethban! Er hat zwei unjerer Vertrauten, den Grafen 33 Meerveldt und den Marquis de Galo nach Leoben zu Bonaparte ge- jandt, um mit ihm zu verhandeln. Hatte denn der Erzherzog dazu die. Einwilligung Eurer Excellenz? fragte der Graf. Nein, die hatte er nicht, und ich könnte ihn jettt desanouiren, wenn ich wollte, aber ich will nicht, denn es liegt nicht in unferm Vortheil, und ich kenne nur Eine Politik, das ift die Politik des Vortheils. Man muß allemal das thun, wobei man die Ausficht hat, zu gewinnen, und das unterlaffen, wobei man zu verlieren fürchten muß. Die Gewalt ift Das einzig Unfehlbare, Ewige und Göttliche, und diefe Gewalt hat jest fich zu Gunſten Frankreichs entfchieden. Wir müſſen alfo nachgeben und fo lange frieblich erjcheinen, bis die Gewalt wieder auf unſere Seite tritt und uns erlaubt, feindlic) vorzugehen! Wir müſſen Frieden machen! . Aber unfer Beftreben muß nun darauf gerichtet fein, von diefem Frieden möglichft viel Vorthei zu ziehen und ihn zu Oeſterreichs Gunſten auszubeuten. Auf Koſten Fraukreichs? Ah bah, auf Koſten Deutſchlands, mein lieber kleiner Graf! Wozu führt denn der Kaiſer von Oeſterreich den Titel zugleich eines Kaiſers von Deutſchland, wenn er von dieſer Laſt nicht wenigſtens den Vortheil haben ſollte, mit Deutſchland nach ſeinem Belieben zu handthieren, und wozu nennt er ſich als Kaiſer von Deutſchland „allzeit Mehrer des Reichs“, wenn er nicht auch Verringerer des Reichs ſein könnte? Nun alſo, wir müſſen den Frieden mit Frankreich jo aus- zubeuten fuchen, daß ſich Defterreich auf Koften Deutſchlands arrondirt und vergrößert. Ah, das wird mieber ein Zetergefehrei geben über Verlegung des heiligen deutſchen Reichs, rief Saurau lächelnd. Da wird Preußen wieder eine wilffommene Gelegenheit haben, fich als Vertheidiger Deutſch⸗ lands zu geriren. Mein Lieber, laflen Sie Preußen immerhin hochtbnende Bhrafen ausrufen, wir wollen ſchon dafür forgen, daß es zu weiter nichts kom⸗ men fol! Preußen bat feinen Frieprih den Großen mehr, fondern nur einen Frievrih Wilhelm ben Diden — | DMiüpldad, Napoleon. I. Abtb. T. 3 34 Der indeſſen, unterbradh ihn Graf Saurau, der indeflen, wie id) mit Beftimmtheit weiß, nur noch fein Leben nach Tagen oder höchſtens nah Wochen zu zählen bat, denn die Bruftwaflerfucht hat felbft vor einem König feinen Refpect. Und wenn fie Friedrich Wilhehn den Diden binweggerafft hat, wird Preußen einen Friedrich Wilhelm weiter zählen, und einen jungen Mann von fiebenundzwanzig Jahren zum König haben, voila tout! Er ift juft fo alt, wie der ©eneral Bonaparte, in demfelben Jahr, geboren, wie diefer General, der jet die ganze Welt mit feinem Ruhm erfüllt, aber von dem jungen Thronerben Preußens hat die Welt noch weiter nichts vernommen, als daß er eine ſchöne Frau hat! Der ift ung alſo nicht gefährlid,, und id) denke und hoffe, daß Defterreich immer die Macht behalten wird, diejes Preußen, diefes revolutionaire Element im deutfchen eich, zu demüthigen und bei Seite zu drängen. Aber die Gefahr, die uns bedroht, fommt nicht von Preußen, jondern von Frankreich und vor allen Dingen von dieſem General Bonaparte, der mit feinem Ruhm nnd feinen Schladhten Propaganda macht für bie Revolution und die Nepublif, und diefe dummen ftupiven Völker fo ent- züdt, daß fie ihm entgegen jauchzen als einem Meſſias der Yreiheit! Verhaßtes Wort, das wie der Tarantelbig die Menfchen raſend macht und fie in wilden Tänzen umberipringen läßt, bis fie todt zur Erbe fallen. Diejes Wort ift die Zauberformel, mit der Bonaparte ganz Italien befiegt und die italienifihen Bölfer zu Aufrührern und Empörern gegen ihre Fürften gemacht hat! feufzte Graf Saurau. Noch nicht ganz Italien, Freund! Ein Theil davon fteht noch feft! Der Löwe von St. Marco ift noch nicht ‚gefallen! Aber er wird fallen, Exrcellenz, feine Füße ſchwanken ſchon! Nun jo müſſen wir Sorge tragen, daß er auf eine Weife fällt, welche auch uns berechtigt, an ihm Beute zu machen! Und bier, mein lieber Kleiner Graf, find wir zu dem Punkt gelangt, der uns jeßt zu⸗ nächſt befchäftigt. Die Friedenspräliminarien zu Leoben find abgefchlofien, wir müfjen die Zeit bis zum Abſchluß des wirklichen Friedens fo zu denugen fuchen, baf ber Friede uns Vortheil bringt, und daß Defter- 35 reich fich Dabei arrondirt und kräftigt. Wir müſſen immer den Blid auf Baiern geheftet halten, denn Baiern ift unfer und muß unfer werben bei der. nächften günftigen Gelegenheit. Schreit Frankreich da⸗ wider und will ung diefe Beute nicht gutwillig laſſen, nun fo werfen ‚wir ihm den alten verhaften Zanfapfel Belgien in den Rachen und machen ed dadurch zahm. und Firre. Aber was thun wir, wenn Preußen aud ſchrat? Werfen wir ihm auch ein Stück von Deutſchland hin, um es zu beruhigen? Im Gegentheil, wir ſuchen ihm ſo viel als möglich zu nehmen, wir ſuchen es zu demüthigen und zu iſoliren, damit es keine Macht hat, uns zu ſchaden. Wir bemühen uns, dieſen Frieden, den wir jetzt mit Frankreich abſchließen, ſo einzurichten, daß er uns Vortheil, Preußen möglichſt Schaden bringe! Nach dem Norden hin arrondiren wir uns durch Baiern, — nach dem Süden hin durch Venedig! Durch Venedig? rief Graf Saurau erſtaunt. Aber Sie ſagten es ja vorher ſelbſt, Venedig ſteht noch feſt! Wir müſſen machen, daß es fällt, mein Lieber, das eben iſt unſere Aufgabe, denn Venedig iſt das Stückchen Entſchädigung, das ich für Oeſterreich an ſeinen Südgrenzen erſehen habe! Etwas Sicheres müſſen wir doch dafür haben, wenn wir Belgien an Frankreich abtreten; kann's nicht Baiern ſein, ſo muß es Venedig ſein. Aber ich begreife noch immer nicht — Mein Lieber, wenn das Begreifen meiner Pläne ſo leicht wäre, ſo müßten ſie nicht ſonderlich tief ſein. Das Spiel, das ich ſpiele, mag Jedermann kennen, aber die Karten, die ich in der Hand halte, die müſſen doch Jedermann ein Geheimniß bleiben, bis ich fie ausge- ſpielt habe, fonft liefe ich ja Gefahr, zu verlieren! Aber Sie jollen diesmal in meine Karte fhauen, und Sie follen mir helfen zu gewinnen! Wir fpielen: um Venedig, lieber Graf, und wir wollen es gewinnen für Defterreih! Wie. fangen wir es an? Ich geftehe, Excellenz, daß mein Bischen Berftand mir die Ant- wort verfagt, und daR ich durchaus nicht begreife, wie man es anzu⸗ fangen hat, einen felbitftändigen, für fich beftehenden Staat, auf vex, 5 Ä 3* 36 man weder Erbſchafts- noch andere Anfprüd;e zu machen hat, fih als Beute zu erobern, ohne einen offenen Gewaltſtreich zu führen! Man ftellt dem Staat eine Maufefalle auf und fängt ihn: darin ein, wie eine Maus, mein Heiner Graf. Hören Sie! Wir müſſen machen, daß ſich Venedig zu einem Widerſtandskrieg gegen Frankreich erhebt und den Muth gewinnt, dem Sieger von Lodi die Spite bieten zu wollen. Ach, Excellenz, ich fürchte, die verzagte Signoria wird diefen Muth nicht gewinnen, wenn fie von unjern neuen Nieberlagen und von Frant⸗ reichs neuen Siegen erfahrt. Die Hauptſache alſo iſt, daß die Signoria davon nichts erfährt, fondern daß fie gerade die eritgegengefetten Nachrichten erhält, und dies, mein freund, ift Ihre Aufgabe. Senden Eie, ich bitte, fogleich einige Bertraute nach Venedig und in's Venetianifche Gebiet. Laſſen Sie der .Signoria in Benedig vermelden, die Franzofen feien in Tyrol und Steyermarf befiegt und befänden fich, fo zu fagen, unter dem cau- _ dinifchen Jod. Vermelden Sie durdy. andere vertraute Abgeorbnete dem Grafen Adam Neipperg, der mit einigen unferer Regimenter im fünlihen Tyrol an den Benetianifchen Grenzen fteht, daß Venedig im Begriff ei, fich zu erheben und feines Beiftandes bebürfe, veranlaffen Sie ihn, auf diefe Kunde hin vorzudringen bis Verona. Das wird den Benetianern eine Betätigung fein der andern Siegesnachrichten; als gute Mäufe werden fie nur den gebratenen Sped riehen und vor Freuden darüber die Falle nicht fehen, die wir ihnen aufgeftellt. Sie werben hinein rennen, und wir werben fie einfangen! Denn ein Aufs ftand in Venedig heißt jett jchen eine Empörung gegen Frankreich, und Frankreich wird fich beeilen, ein foldyes Verbrechen zu ftrafen. Die Republif Venedig wird von der Republif Frankreich zerftört werben und alsdann werben wir ung als Entſchädigung für Belgien von Frankreich unſer Kleines Nachbarland Venedig erbitten.*) Bei Gott, ein großer, ein genialer Plan, rief Graf Saurau, ein Plan, würdig in dem Haupt eines fo großen Staatsmanns entſprungen ”) Dormayr: Lebensbilder aus dem Befreiungskriege. M. ©. 144. 37 zu fein. Sie werden auf diefe Weife eine neue Provinz erobern, ohne daß wir eine Kanone abfenern, oder einen Tropfen Blut vergießen! Doch, einiges Blut wird fließen, fagte Thugut ruhig, aber es wird. Fein öfterreichifches Blut, ſondern das der Venetianiſchen Freiheits- helden fein, die wir zum Aufſtand anreizen. Diejes Blut wird fie an uns heften, denn nichts kittet jo feit als Blut! Und jett, mein lieber guter Graf, da Sie meinen Plan fennen und billigen, jest bitte ich, daß Sie fi eilen wollen, ihn in's Werk zu ſetzen und Ihre Unter- händler nad) Venedig und Tyrol abzufenden! Wir haben Feine Zeit zu verlieren, denn die Frievenspräliminarien reihen nur bis zum adht- zehnten April und bis dahin muß -Benevdig wie eine reife Frucht fein, die, weil feine Hand da war, fie zu pflüden, von felber abfällt. | In einer Stunde, Ercellenz, werde ih alle Ihre Befehle erfüllt haben, und die gefchidteften meiner Kundfchafter und Unterhänpler werden unterwegs fein nach Venedig und Tyrol. Wen jenden Sie nad) Benedig an die Signoria? Den gewandteften aller meiner Leute, ven Anton Sculmeifter. Oh, ich kenne ihn, er hat mir ſchon oft gebient und ift in Wahr- beit ein brauchbares Subject. Nur zahlen Sie ihm gut, damit er treu bleibt, denn er hat zum Glück einen Fehler, bei dem man ihn fallen kann. Er ift geldgierig und hat ein ſchönes Weib, welches viel Geld braucht. Zahlen Sie ihm aljo gut, und er wird uns nüten. Und jet leben Sie wohl, mein lieber Graf, ich denke, wir haben uns Beide volllommen verftanden und willen, was wir zu thun haben. Ich babe auf's Neue erkannt, daß das öfterreihiiche Staatsſchiff in den Händen eines Mannes ift, der es, wie fein Anderer, zu lenfen und zu führen verfteht, ſagte Graf Saurau, indem er fi von dem Minifter verabfchiebete. Es ift vielleicht ein Familientalent, mein lieber Graf, fagte Thugut lachend, und ich habe das Schiffslenfen von meinem Vater, dem Sciffs- baumeifter, gelernt. Addio, caro amico mio! Sie drüdten fi zärtlich zum Abſchied die Hände und mit einem von Piebe und Freundſchaft ſtrahlenden Geficht verließ Graf Saurau das Cabinet des Premierminifters. Diefes Lächeln ftand no, auf (einen 38 Rippen, als er in der Antichanbre fi von dem Kammerdiener den Mantel überwerfen ließ, und er ſodann mit leichten Schritten die ftolze Marmortreppe fih hinumterbewegte, welche vor einer Stunde von ben breiten, tölpifchen Füßen der Leute aus dem Volk entweiht worben. Aber als die Thür feines Wagens fi, hinter ihm ſchloß und der edle Graf in feiner dahin rollenden Kutfche ſich ſtcher fühlte vor jevem Spä- . herauge und vor jedem laufchenden Ohr, da ſchwand das Lächeln von - feinen Lippen, bie ſich jet öffneten zu einem Ausbrud) der Berwünfchung. Unerträgliher Uebermuth! - Empörende Anmaßung! murmelte er dann mit finftern Bliden vor fi hin. Wie ein Despot meint er ſchalten und walten zu können und uns Alle, mid) fogar betrachtet er nur als ergebenen, gehorfamen Diener! Erlaubt fih, mid) feinen Heinen Grafen zu nennen! Ich, idy werde dem Sohn des Schiffs: baumeifters doc“ eines Tages beweifen, daß ber liebe kleine Graf Saurau doch größer ift, ale er! Geduld, Geduld, mein Tag wird kommen und au biefem Tage werde id) ven lieben Fleinen Thugut jtürzen. | V. Das Baus in der Gumpendorfer Vorſtadt. Wien zitterte in der That vor dem Anmarſch des franzöfifchen Heeres, und Die Angft vor der Gefahr hatte das fonft jo frierliche und gehor- fame Wiener Volk zu einem Aufſtand verleitet, ber indeß nichts be= zwecken follte, als den allmächtigen Minifter Thugut zum Frieden mit Frankreich zu zwingen. Der Erzherzog Karl war gefchlagen, der Kaiſer war aus Wien geflüchtet. | ‚Rene von allen diefen Nachrichten batte die Bewohner des Heinen Haufes beunruhigt, das am Ende der Gumpenborfer Vors fabt von Wien nahe an der Mariahilfer Linie lag. Ein rechtes Bild 39 bes Friedens und der Ruhe bot diefes Fleine Haus dar. Inmitten eines Gärtchens, das auf feinen zierlid georbneten Beeten die erften - jungen Frühlingsblüthen zeigte, war e8 gelegen, hohes Geſträuch Iehnte fih mit feinen fproffenden Grün an die weißen Mauern des Haufes, hinter deſſen blanfen, durchſichtigen Fenfterfcheiben man blendend weiße Borhänge gewahrte, und zwifchen venfelben fchöne blühende Topfgewächſe. Nichts Auffallendes fonft bot dieſes Heine, nur ein Stodwerf hohe Haus dar, und doch ging Niemand vorüber, ohne mit einem ehrfurdts- vollen, forjchenden Blick zu den Fenftern hinzuſchauen, und wer hinter ben Scheiben aud) nur den flüchtigen Schatten eines menſchlichen Weſens zu ſehen vermeinte, beeilte fich, tief und vefpectvoll zu grüßen, und fein Geficht verflärte ſich dabei zu einem ftolzen und glüdlichen Lächeln. Und dody,"wie gejagt, bot das Haus gar nichts Auffallendes dar. Einfach und beſcheiden war es von außen, einfah und be- ſcheiden war auch fein Inneres. Eine tiefe Stille herrfchte auf dem Heinen, mit weißen Sand zierlich beftreuten Hausflur. Eine große, gefledte Kate, ein wahres Pradhteremplar von Schönheit lag unfern der Hausthür auf einem weichen, weißen Kiſſen und fpielte anmuthig und zierlich mit dem weißen Oarnfnäuel, das eben von dem Schooß der Frau gefallen war, die an dem Fenſter ſaß und ſich emfig mit dem Stridjtrumpf, den fie in Händen hielt, befchäftigte. Diefe Fran in der einfachen, ſchmuckloſen und befcheidenen Kleidung fchien eine Dienerin des Haufes zu fein, aber jedenfalls eine Dienerin, der man unbedingt vertraute, denn ein großes Schlüjfelbund, wie es bie Haus- frauen oder die treuen Haushälterinnen tragen, hing an ihrer Seite. Eine tiefe, lüchelnde Ruhe, wie fie zu der Phyfiognomie des Haufes yaßte, lag auf ihren ehrwürbigen Zügen, ein anmuthiges Lächeln um⸗ fpielte ihre fchmalen, farblojen Lippen, als fie jett das Stridzeug in ihren Schooß gleiten ließ und vornübergeneigt dem muntern Spiel der Kate zuſchaute. Plötzlich warb die Stille durch einen lauten, ſchril⸗ Ienden Ton unterbrochen und eine ſeltſam fehnarrende Stimme rief einige einzelne, abgebrodyene Worte in englifcher Sprade. Bei dem erften Laut derfelben öffnete ſich haftig eine Thür und in berjelben erſchien eine zweite Frau, ebenfo alt, eben\o Kreuth, 40 mit ebenfo ftilen, frievlichen Zügen, wie die Andere. Nur verrieth ber feiner gewählte Anzug, vie feingefältete Spigenhaube auf dem hohen. gepuberten Zoupet und die ſchwere goldene Kette, die ihren Hals um— gab, dag man es jetzt nicht mit einer Dienerin, fondern mit der Herrin zu thun habe. - Aber zwifchen dieſer Herrin und diefer Dienerin ſchien ein eigen- thümliches freundfchaftliches Verhältniß zu herrſchen, denn vie lebtere ließ fi dur das Erjcheinen ihrer Herrin in dem muntern Spiel mit der Kate gar nicht ftören und die Dame fehien das gar nit auffal- lend und vejpectwidrig zu finden, ſondern ſchritt mit leifen trippelnvden Schritten zu ihrer Dienerin bin. Kathrinel, fagte fie, Hör’ nur einmal, wie das Vieh, der Baperl, heut wieder jchreit. Es wird den Herrn jtören, denn er iſt fchon oben gegangen zur Arbeit. | Es iſt ein unausftehlid Vieh, der Paperl, ſeufzte Kathrinel. Weiß nit und kann nit begreifen, was der Herr Kapellmeifter, Doctor wollt’ ich jagen, an dem Thier find’t, und warum er's über’! Meer mit hierher gefchleppt hat! Wenn er halt noch fingen thät, ber Kerl, fo wär's noch zu begreifen, daß der Herr Ka — Doctor ihn mitge- nommen, aber das Vieh jchreit immer bloß fein Kauderwelſch, was fein orventliches Gottesmenfch verfteht. Wer Englifh kann, der verfteht’3 wohl, Kathrinel, fagte bie Dame, denn der Papagei fpricht englifch, und darin ift er gefcheibter, als wir Beide, Kathrinel. Aber dafür fann er nit Deutſch und aud nit Wieneriſch fprechen, eiferte Kathrinel, und ich mein’, unſere Sprady’ ift halt viel fchöner, als das englifche Kauderwelſch. Weiß nit, was der Herr Doctor daran finden thut, und wie er’s leiden kann, daß das Died mit feinem Geſchrei feine Ruhe ftört! Ich weiß’s wohl, Kathrinel, fagte die Frau Doctorin mit- einem fanften Lächeln. Der Papagei erinnert den Heren an die ſchöne und glanzvolle Zeit, die er in England verlebt, und an all den Ruhm, den er da geerntet hat. Nun ich mein’, wegen dei hatte unfer Herr grad nit nöthig, erft 41 nad) England zu reifen, rief Katharina. Er ift nit’ berühmter wieder: gekommen, als er gegangen ift. Die Engländer haben ihm grad’ gar nir mehr zu feinem Ruhm beitragen können, denn er war halt ſchon ver berühmtefte Mann in der Welt, als er hinging, und wenn das nit gewefen wär’, würden fie ihn gar nit hingerufen haben, daß er ihnen feine fchöne Muſik vorfpiele, denn fonft hätten fie halt gar nit gewußt, daß er ſchöne Muſik macht! Über fie haben doch eine große Freud’ gehabt an ihm, die guten Engländer, Kathrinel, und haben gar ſchön und prächtig mit ihm ge- than. Alle Tage haben fie ihm Feſte veranftaltet, und felbft der König und die Königin haben ihm gar ſchöne Worte gegeben, daß er follt’ bei ihnen bleiben. Eine fchöne Wohnung in Schloß Windfor bat ihm die Königin verfproden, und ein groß Jahrgeld dazu, und nichts jollte mein Mann dafür thun, als alle Tage ein bifel mit der Königin fingen und muficiven. Aber er hat doch ven Muth gehabt, Nein zu jagen zum König und ver Königin, und weißt Du, warum er Nein gejagt hat? Die Kathrinel wußte es fehr wohl, fie hatte dieſe Gefchichte feit den zwei Jahren, daß der Herr Doctor aus England heimgefehrt war, jhon oft von ihrer Herrin vernommen, aber fie wußte, daß es ihr Freude machte, fie immer wieder zu erzählen, und fie jelber hatte auch ihre Freude daran, fi) immer wieder von dem Glanz und dem Ruhm ihres Herrn, dem fie feit zwanzig Jahren Ihon diente, erzählen zu laſſen. Nein, wahrhaftig, das weiß ich halt nit, ſagte ſie daher lächelnd, begreif' es auch nit, wie der Herr Doctor hat Nein ſagen können zu dem König und der Königin. Um meinetwillen hat er's dethan, Kathrinel, rief die Frau, und ein Ausdruck ſtolzer Freude verklärte und verſchönte einen Moment ihr gutes altes Geſicht. Ja wahrhaftig, um meinetwillen allein iſt mein Mann wieder heim gekommen. „Bleiben Sie, bleiben Sie“, hat der König zu ihm geſagt. „Es ſoll Alles ſo ſein, wie die Königin wünſcht. In Windſor ſollen Sie wohnen und Sie dürfen auch alle Tage mit der Königin fingen. Auf Sie eifere ih wiht, denn Sie 42 find ein guter, ehrlicher, veutfher Mann.” — Und wie der König das gefagt hat, da bat fih mein Mann tief verneigt und hat geantwortet: „dieſen Ruf zu behaupten, Sire, ift mein größter Stolz. Aber weil ih ein ehrlicher, deutfcher Mann bin, muß ich auch ehrlich Jagen, daß ich nit hier bleiben fann, und daß ich mich halt nicht auf immer von meinem Vaterland und von meiner Frau trennen fan.” — „Ob, was das anbelangt, hat der König gerufen, die Frau wollen wir nachkom⸗ men laffen! Sie fol mit Ihnen in Windſor wohnen!“ — Da hat aber mein Mann gelacht und hat gefagt: „ach Majeftät, das thut bie Grau nimmer! Die fährt nicht über die Donau, viel weniger über das Meer! Und deshalb muß ic denn nur wieder über's Meer zu meinem Weibel zurüdfehren." — Und das hat er gethban, und er hat den König und die Königin und alle die großen Herren und Damen verlaffen und ift halt wieder nad) Wien gekommen zu feinem Weibel. Sag’, Kathrinel, war das nicht Schön und prädtig von meinem Mann? Gewiß war’s das, fagte Rathrinel, aber es macht eben, weil ver Herr Doctor feine Frau mehr geliebt hat, als die Königin und den König und alle die vornehmen Leut’, die ihm da hofirt haben in England. Und er hat aud) gewußt, daß alle Welt ihm hier ebenjo hofirt wie Dort, und daß, wenn er nur wollt’ und möcht’, er alle Tage beim Kaiſer und bei Fürften und hoben Herren jein könnt'. Aber er will's ja nicht. Er ift viel zu befcheiden, unfer Herr, geht immer fo einfady und ftill einher, daß halt Niemand, der's nit weiß, venfen jolt’, was für ein graufam berühmter Mann er ift, zieht fich aud) immer fo einfach und ſchlicht an, und könnt' fi doch ordentlich auf- Donnern mit al’ den Brillantringen und Nadeln und Schnallen, mit allen ven foftbaren Uhren und Dofen und Ketten, die ihm vie hohen Herren geſchenkt haben. Aber. er läßt Alles in feinen Futteralen liegen, trägt immer nody den großen filbernen Suppenzeiger von Uhr, bie er ftetS getragen. | Das war mein Brautgefhent, Kathrinel, ſagte die Herrin ftolz, und darum trägt fie mein Mann noch immer, obwohl ex viel fchönere Uhren bat. Damals, vor vierzig Jahren, als ich ihm bie Uhr ges ⸗chentt, da waren wir halt alle Beid’ nody arm. Er war ein armer 43 lavierlehrer, ich eines Friſeurs Tochter. Er wohnt bei meinem Bater in feinem Meinen Haufe zur Miethe und weil er den Miethzins immer nit zahlen konnt’, gab er dafür mir alle Tag’ eine Clavierſtund'. Und Du meißt. doch, Kathrinel, was die Fugen Leut’ in Wien halt immer fagen: „ein Lehrmeifter ift ein Mehrleiſter“ fagen’s. Und fo war’s auch hier. In den Clavierſtunden lernte ich nit blos die Noten, fondern auch die Lieb' kennen und fo ward ich feine Braut und ſchenkt' ihm zum Hochzeitsangebind' den großen filbernen Suppenzeiger von Uhr und darum hat fie mein Mann aud immer getragen, obwohl er viel fchönere und befjere hat! Was ihm die Grau gegeben, ift ihm lieber, als was ihm Kaiſer und Könige gegeben. Aber er könnt' doch Halt wenigftens eine ſchöne goldene Kett' an der Uhr tragen, fagte Katharinel. Hat dody ein ganzes Dutzend präcdhtiger Ketten! Aber nimmer trägt er eine, felbft neulich nit, ale ihn die Fürftin Efterhazy abholte, um mit ihm zum Kaifer zu fahren. Nichts hatte der Doctor um, als ein einfaches blaues Band, worauf mit filbernen Buchſtaben fein eigener Name eingewirft war. Es hat aber and) feine eigene Bewandtnig mit dem Band, fagte die Herrin finnend. Mein Dann. hat das Band aud) von Yonbon mitgebracht und er hat's da bekommen an einem feiner fhönften Ehren- tage. Ich hab’ die Geſchicht auch Halt nit gewußt, denn Du weißt wohl, der Herr ift immer fo beſcheiden und red't nimmer von feinen großen Triumphen in London, und nichts hätt’ ich erfahren von dem Band, wenn er’s nit neulich umgebunden hätte, als er mit der Frau Fürftin zum Kaifer fuhr. Es ift eine gar fchöne und bewegliche Ge⸗ ſchicht', Kathrinel! Diesmal kannte Kathrinel die Geſchichte wirklich nicht und ſie bat deshalb mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit ihre Herrin, ihr doch die Ge⸗ Ichichte von dem Band zu erzählen. Die Fran Doctorin ließ fich nicht fange bitten. Sie nahm auf dem Binfenftuhl neben Kathrinel Pla und lächelte freundlich der Kate zu, bie jest herbei gefehlichen war und fi) behaglich ſchnurrend auf den Saum ihres Kleides nieberlieh. Ya, es ift eine gar beweglide Geſchicht' mit dem Band, \ane 44 fie finnend, und ich weiß wirklich nit, Kathrinel, ob ich werd’ halt Dir die Geſchicht' erzählen können, ohne daß. mir die Stimme ein biſſel dabei zittert. Es war in London, mein Mann war eben heim⸗ gelommen von Oxford, wo er jehr feierlich im großen Dom zum Doctor war gemacht worden. Ya, ja, ih weiß, murrte Kathrinel, deswegen müfjen wir ihn auch halt jet immer Herr Doctor nennen, was lang nit fo .groß und vornehm Klingt, als Herr Rapellmeifter, wie wir vor ver Reife nad England unfern Herrn nannten. Es iſt aber eine gar große Ehre, ein englifcher Doctor ber Muſik zu fein, Kathrinel. Der große Händel ift dreißig Jahre in England geweſen und iſt's nicht geworben, und mein Mann war erft ein paar Monat in England, da machten fie ihn ſchon zum Doctor. Und aljo, wie er heim fam aus Oxford, da war er den andern Zag bei einem gar reihen und gar vornehmen Herrn eingeladen, und eine große Geſellſchaft war da, und als mein Mann in den Saal trat, ftanben fie Alle auf, ihn zu begrüßen und verneigten fi fo tief, als ob er ein König wär’, und wie nun mein Mann ringsum fein Compliment macht', da warb er gewahr, daß alle bie Damen um ihren Kopf ein blaufeidenes Band gejchlungen hatten und auf jevem Band war mei» nes Mannes Name mit filbernen Budhitaben eingewirtt. Der Haus herr aber hatte den fjelbigen Namen an beiden Enden feines Rods kragens mit feinen Stahlperlen eingeftidt, daß es ansjah, als ſei ex meines Mannes Diener und trage feine Livree. Es war ein präd)- tiges Felt, das ihm der Herr Shaw, fo hieß der Hausherr, gab, und zulest bat Herr Sham meinen Alten, ihm ein Andenken zu geben, und er gab ihm eine Heine Tabacksdoſe, die er fi juft ven Tag für em paar Gulden gelauft hatte, und dann bat er fi aud ein An⸗ benfen von der Hausherrin aus, von der mein Mann jagt, daß fie die fchönfte Frau auf Erven ii. Da nahm die Madame Shaw das Band aus ihrem Haar und gab’8 dem Mann und er hat’8 an feine Lippen gedrückt und hat geſchworen, nur an feinen größten Ehrentagen wolle er das Band tragen. Und fiehft Dar, Kathrinel, er hat Wort gebalten, denn er hat das Band getragen, ald er zum Kaiſer ging. 45 Aber meine Geſchicht' ift no nit ganz aus, hör’ nur weiter. Ein paar Tage fpäter ging ber Herr wieder bin, den Herrn Shaw zu befuchen, da zeigt ihm der die Dos, die mein Mann ihm gefchenkt hat. Er hatte ein Futteral von Silber darüber machen lafjen, darauf war eine Leier gar ſchön eingegraben und ringsum ſtand eine latei= nifhe Inſchrift, welche befagt, daß mein großer, berühmter Mann ihm die Doſe geſchenkt habe.“) Iſt meine Gefchichte nit: fchön, Kathrinel? Ja, ſie iſt ſchön, ſagte die alte Kathrinel ſinnend, nur die ſchöne Madame Shaw will mir nit ganz gefallen. Ich wett', der Herr Doctor hat auch den Papagei von ihr, und mag darum das Vieh ſo gern, obwohl es ſo ſchauderhaft ſchreit und den Herrn gewiß oft in ſeiner Arbeit ſtört. | Sa, er bat den Vogel von ber fchönen Madame Shaw, fagte bie Herrin lächelnd. Sie hat das Paperl gelehrt, drei Melodien aus des Herrn fchönften Duartetten zu pfeifen, fie felbft hat ven Vogel Wochen lang darin unterrichtet, hat ihm alle Tag’ viel Stunden lang bie Melodien vorgefungen und vorgepfiffen, und als er fie dann auch bat pfeifen können, da hat fie den Vogel zum Abſchied an meinen Mann gegeben. Aber das Thier pfeift und fingt ja doc nimmer die Melodien; erft ein einzig Mal, gleich wie er kommen war, hat er fie gefungen, naher nimmer mehr. Das macht gewiß, er hört bier alle Tag’ fo viel Muſik und fo viel neue Melodien, die ver Herr auf feinem Elaveſimbulum trommelt, daß das dem armen Viecherl den Kopf verwirrt und er ſeine eigenen Melodien vergeſſen hat. Aber ſein engliſch Kauderwelſch hat er doch nimmer verlernt, brummte Kathrinel. Was bedeuten denn die Worte wohl, die er all⸗ zeit kreiſcht? *) „Ex dono celeberrimi Josephi Haydn“ lautete die Inſchrift. Siehe: Zeitgenoffen. Ein biographifches Magazin für Die Gefchichte unferer Zeit. Dritte Reihe. Bierter Band ©. 2. 46 Es iſt auch ein Sprüdel, das ihm die Schöne Madam Shaw gelehrt, Kathrinel. Weiß nit ganz mehr, wie es heit, aber es fängt an: Vergiß mein nicht, vergig mein nicht, und — Hilf Gott, da fängt das Thier wieder an zu .jchreien und zu kreiſchen. Gewiß hat er heute noch feinen Zuder befommen. 2 ift denn ber Conrad, daß er den Vogel beſorgt? Er iſt in die Stadt gegangen, der Herr Doctor bat ihm Come miffionen gegeben! Jeſus Maria, das Geſchrei wird immer fürchterlicder! Geh doch, Kathrinel, gieb dem armen Paperl fein Stüd Zuder! Id) wag’s nit, Frau. Doctorin, er jchnappt immer nach mir mit feinem abjcheulihen Schnabel und, wenn ihn die Kett’ nit hindern thät’, würd’ er mir die Augen aushaden! Er macht's mit mir juft ebenfo, fagte die Frau Doctorin ängit- lich, aber wir können doch deshalb das Viecherl nit jo fchreien laſſen. Hör’ ihn nur, er brüllt ja fürmlih, als wenn er gebraten werben jolt’! Er wird meinen Mann ftören und Du weißt, er fehreibt jetzt eine neue Mufil. Kathrinel, komm, wir müſſen das Thier beruhigen. Ich werd’ ihm Zuder geben! | Und id) werd’ meine Stridjcheide mitnehmen und wenn er beißen will, werd' ich ihm tüchtig auf ven dicken Schnabel bauen. Kommen’s alfo jest, Frau Doctorin! Und die beiden Frauen fehritten muthig durch das Borzimmer nad der Thür zu dem feinen Salon hin, um den Feldzug gegen den Pa- pagei zu beginnen. Hinter den beiben fchritt die Kate ernft und gras vitätifch einher, mit einem Geſicht, als habe fie innigen Antheil ges nommen an der Unterhaltung der Frauen und fühle fi als wärbiger Mitlämpfer gegen den jchreienden Vogel. 47 v1. Joſeph Haydn. Während der Papagei mit feinem Geſchrei das untere Stodwert allarmirte, herrfchte in den oberen Räumen des Fleinen Haufes vie tieffte Stile und Rube. Kein Laut unterbrad) das Schweigen dieſes Heinen, zierlid) ausgefchmüdten Salons da oben, felbft die Sonne fhien nur mit einigen verftohlenen Strahlen ſich durch die Fenſter zu wagen, und der Wind jchien jeinen Athen anzuhalten, um nicht die Fenſter des Heinen Gemachs Flirren zu machen, das fi) neben dem Salon befand, und welches von allen Bewohnern des Haufes als der heilige Tempel der Kunft verehrt warb. In dieſem fleinen Gemach, in dieſem Tempel ſaß neben einem geöffneten Clavier an einem Heinen, mit Papieren und Notenheften bevedten Tiſch ein Dann, eifrig, wie es fchien, mit Xefen bejchäftigt. Er war nicht mehr jung, vielmehr, wenn man nur fein dünnes, weißes Haar, das in einzelnen Streifen über feine hohe, gerunzelte Stirn nieverhing, wenn man feine gebeugte Geftalt betrachtete, mußte man fagen, daß er ein Greis fei, ein Greis nahe am Rande ver Siebenziger. Aber wenn er feine Augen von dem Papier erhob, wenn er fie mit einem Ausdruck jeliger Begeifterung zum Himmel aufjhlug, fo flammte aus biefen Augen das Teuer der ewigen Jugend und der ftrablenden Freudigkeit, und was auch das weiße Haar und die Run⸗ zeln auf Stirn und Wangen und ver gebeugte Rüden von den durch⸗ lebten Jahren und vom Greifenalter erzählen mochten, aus biefen Augen fprühte Jünglingskraft und Jugendmuth, und diefer Dann mit dem weißen Haar war nur von außen ein ©reis, innerlih war er ein Jüngling geblieben, ein Iüngling von feuriger Bhantafie, mit der Kraft des Schaffens und Schauens begabt, wie nur irgend Einer. Diefer Greis mit der Seele, dem Herzen und den Augen eines Zünglings, diefer Greis war Iofeph Haydn, der große Mufiker, defien Ruhm damals jchon die ganze Welt erfüllte, obwohl x od 48 nicht feine größten Meifterwerfe, obwohl er noch nicht Die „Schöpfung“ und die „Jahreszeiten“ gefchrieben hatte. Aber mit der Compofition der Schöpfung war er doch heut ſchon beichäftigt;*) das Gedicht, das man ihm aus England geſandt, und das fein würbiger Freund van Swieten in's Deutfche überjegt hatte, lag vor ihm, er hatte es wieder und immer wieber gelefen, und all- mälig fchienen fih ihm die Worte zu Tönen :zu verklären, allmälig vernahm er flüfternd und leife, dann immer voller, immer gewaltiger bie Jubelftimmen des Himmels und der Erve, die er in feiner Schöpfung erklingen laſſen wollte. Noch hatte er fein Wort nievergefchrieben, nur gelefen, und im Leſen componirt, und ſich innerli umraufcht gefühlt von den Melodien, denen er nur no Form und Maaß geben mußte, um ein neues Kunft- werf zu Schaffen. Und wie er jo las und componirte, verwandelte ſich der Greis immer mehr in einen Süngling, flammte die Begeifterung immer freubiger in feinen Augen auf und verflärte feine Stirn und machte feine Wangen erglühen im Purpur der Freude. Ja, ja, e8 geht, e8 wird mir gelingen, rief er auf einmal mit lauter, voller Stimme. Gott wird mir die Kraft geben, dies Wert zu vollenden, aber mit Gott muß es begonnen werden! Bon ihm fommt die Begeifterung und bie Kraft. | Und ganz unwillfürlih, ohne ſich vielleicht deſſen bewußt zu fein, glitt Iofeph Haydn von feinem Sefjel auf feine Kniee nieder, und bie gefalteten Hände und die ftrahlenden Augen zum Himmel erheben, rief er: „ob, mein Herr und mein Gott, gieb mir Deinen Segen und Deine Kraft, daß ich dies Werk, welches Dich und Deine Schöpfung preift, glüdlid) und würbig ausführe! Hanche den Worten, bie ich Did, Iprechen lafje, ven Athen Deines Mundes ein, ſprich durch mid) zu den Menfchen, und laß meine Mufif Deine Sprache fein!“ Er ſchwieg, aber er blieb noch auf feinen Knieen und ſchaute mit andachtsvollen Bliden und gefalteten Händen no immer zum Simmel . *) Haydn begann die Eompofition der Schöpfung im Jahr 1797 und bon Ende April 1798 hatte er fie beendet. | 49 empor. Dann erhob er fi langſam von feinen Knieen, und wie ein Berklärter oder ein Nachtwandler mit weit geöffneten Augen, die nichts fahen, fohritt er, ohne zu willen, was er that, zu feinem Clavier hin. Er glitt nieder auf den Seffel und wußte es nicht, feine Hände fenften fihh auf die Taften und fchlugen volle Accorde, er hörte es nidt. Er börte nur bie taufend und taufend jauchzenden Engelsftinmen, bie drinnen in jemer Bruft ertönten, er hörte nur den Flügelfchlag feiner eigenen Seele, die begeifterungvoll fi) aufwärts ſchwang zum Reich ber ewigen Harmonieen. Immer voller und Fräftiger tönte die Mufil, die er den Taſten entlodte, bald ſchwoll fie auf zu mächtigem Jubel, bald fenkte fie fich zu wehmuthsvollen Klagen und leiſem Geflüfter, dann wieder raufchte fie auf zu freudiger Luft. Jetzt mit einem lauten volltönenden Accord machte Haydn den Schluß und fprang mit jugendlicher Lebendigkeit von feinem Sit empor. | Das war die Borrebe, fagte er laut, jett geht's an's Werk! Mit einer haftigen Bewegung warf er den weiten, bequemen Haus⸗ rock von feinen Schultern und jchritt raſch zu dem Spiegel hin, ver über der Kommode hing. Alles lag zu feiner Toilette bereit, ber Diener hatte forgfam Alles geordnet. Mit eiligen Händen fchlang Haydn das fpigenbefeste Halstudy um, und fnüpfte vor dem Spiegel kunſtgerecht die große Schleife, dann legte er die filberverbrämte, lange Sammetwefte an und zog darüber ven braunen Rod mit den langen Schößen und den großen Perlmutterfnöpfen. Dann griff er nach ber Uhr, dem „filbernen Suppenzeiger“, und wollte ihn eben in feine große Weftentafche gleiten laffen, da fiel fein Auge auf das blaue, filberge- wirkte Band, das noch vom neulichen Kaiferbefuch her auf der Com- mode lag. Ich will's anlegen und mid) damit ſchmücken am heutigen Fefttag, fagte Haydn Tebhaft, denn ich mein’ doch, der Tag, an welchem man ein neues Werk beginnt, ift ein Fefttag, und man darf fid) dazu wohl ſchmücken mit dem Beten, mas man hat. Er befeftigte mit raſchen Fingern das blaue Band an feiner Uhr, Mühlbach, Napoleon. I. Abtp. 1. N 50 hing es um ſeinen Nacken und ließ jetzt den „Suppenzeiger“ in feine Weftentafche gleiten. | Wenn fie mich jett fehen würde, die fhöne Miftreß Shaw, mur- melte er leife vor fi hin, wie würden Da ihre wundervollen Augen leuchten und weld ein himmlifches Lächeln würde ihr ſchönes Engele- angeficht verflären. Ja, ja, ihr Lächeln will ih in Muſik fegen, und es fol in hellen Tönen aus meiner Schöpfung wiederklingen. Aun's Werk! An's Werk! | | Er ging mit raſchen Schritten auf feinen Schreibtifch zu, dann aber plöglich blieb ex ftehen. Halt! fagte er, bald hätte ich die Haupt- fady’ vergefjen, meinen Ring! Wahrhaftig, über vem prachtvollen Uhr- band meiner fehönen Engländerin hätte ich beinahe den Ring meines großen Könige vergeilen und es it doch der Talisman, ohne den ic gar nicht arbeiten kann! | Er ging wieder zu der Commode und öffnete e ein Käfthen, um daraus einen Ring zu nehmen, ven er an feinen. Finger ftedte. Mit einem freudigen Ausdruck betrachtete er die großen funfelnden Diamanten des Ringes. Ja, rief er, ja, Du bift mein Talisman, und wenn id Dich anſchaue, meine ich, die Augen des großen Königs Friedrich feuchteten mir entgegen und blitten mir Muth und Freudigkeit zur Arbeit in's Herz. D’rum kann ich auch nicht arbeiten, wenn ih Did nicht an meinem Finger hab’.*) So, jet aber bin ich fertig und ge- ichmiücdt, wie ein Bräutigam, der zu feiner Braut gehen will. Ja, ja, es ift auch fo, zu meiner Braut will ich gehen, zur heiligen Cäcilie! Wie er jebt wieder zu feinem Schreibtiſch ging, nahmen feine Züge einen ernften feierlihen Ausprud an. Er wandte fi erft noch einmal dem Klavier zu und ließ vie heilige Weife eines Chorals ertönen, dann fegte er fih rafch nieder, nahm das Notenblatt und begann zu fhreiben. Wie mit Windeseile flog feine Feder über das Papier bin *) Haydn hatte Friedrih dem Großen ſechs Duartette gewidmet und als. Gegengejhent von dieſem einen Foftbaren Brillantring erhalten. Diejen Ring trug Joſeph Haydn feitdem immer, wenn er arbeitete, und es ſchien ihm, als ob fein Genius erft dann frei fich entfalten fönne, wenn er den Ring am Finger ug. Siebe: Zeitgenoffen. Dritte Reihe. Band IV. ©. 17. 51 und Seite nach Seite bevedte fi mit diefen wunderlichen Heinen Puncten, Strihen und Zeichen, die wir Noten nennen. Und Haydn's Augen flammten und feine Wangen glühten, und ein himmliſches Lächeln umfpielte feine. Lippen, während er ſchrieb. Aber auf einmal ftodte feine Feder und eine leichte Wolfe flatterte über feine Stirn hin. Irgend eine Modulation, eine Ausbiegung mochte ihm in dem eben Gefchriebenen mißfallen, denn er überflog raſch mit den Blicken die Ießten Zeilen und fchüttelte leife den Kopf. Er fenfte traurig fein. Haupt und ließ die Fever aus feiner Hand gleiten. Dann auf einmal ſprang er auf. Hilf mir, mein Herr und Gott, hilf mir, viefer ganz laut, und mit zitternder Haft nahm er den Kofenkranz, der immer neben ihm auf ' dem Schreibtijcd liegen mußte. Hilf mir, murmelte er noch einmal, indem er unruhigen Schritte auf- und abging, den.Rojenfranz durch feine Singer gleiten ließ und leife ein Ave Maria vor fid) bin flüjterte.*) Und dieſes Gebet ſchien feine Wirkung zu thun, denn die Wolfe verſchwand von jeiner Stirn umd feine Augen flammten wieder auf im Feuer der Begeifterung. Er ſetzte ſich wieder zu feiner Arbeit und fuhr fort eifrig zu fehreiben. | Heiliger Friede ftrahlte jeßt aus feinen Zügen und heiliger Friebe herrfchte rings um ihn in dieſem ftillen, Heinen Gemad). Auf einmal ward biefer Friede und dieſe Stille durch ein lautes Geräuſch, das ven unten herauf erönte, unterbrochen. Klagende, jam- mernde und angjtvolle Stimmen ließen ſich vernehmen, polternde Schritte kamen die Treppe herauf. Haydn hörte noch immer nichts, er war im Flug der Begeiſterung, vor ſeinen Ohren rauſchten noch immer die göttlichen Harmonieen. *) Haydn war immer ein ſehr frommer, gläubiger Chriſt, „aber, ſagte er ſelber, ich war nie ſo fromm, als während der Zeit, da ich an der Schöpfung arbeitete. Wollte es mit dem Componiren nicht ſo recht fort, ſo ging ich mit dem Roſenkranz im Zimmer auf und ab, betete einige Ave, und dann kamen die Ideen mir wieder. Täglich fiel ich auf meine Kniee nieder und bat Gott, daß er mir Kraft zur glücklichen Ausführung diefes Werks berleihen möchte,” Zeitgenofien ꝛc. ©. 26. 4* 52 Aber jet ward bie Thür des Fleinen Salons heftig aufgerijfen und mit bleihem, angſtvollem Geſicht eilte die Frau Doctorin herein, hinter ihr ſah man vie alte Kathrinel und den alten Diener Conrad, neben der Frau Doctorin fchlüpfte die Kate eilig in's Gemach herein, und von unten herauf vernahm man das laute, durchdringende Gekreiſch des Papageis. Haydn fuhr erſchreckt aus ſeiner Begeiſterung empor und ſtarrte ſeine Frau an, ohne im Stande zu ſein, nur ein Wort, eine Frage auszuſprechen. Es war etwas ſo Unerhörtes, nie Dageweſenes, von der Frau in ſeiner Arbeitszeit geſtört zu werden, daß in der That etwas Unerhörtes, Fürchterliches geſchehen ſein mußte. Und daß es ſo war, das las er auf dem Antlitz ſeiner Frau, auf den bleichen Ge⸗ ſichtern ſeiner Diener. Oh, Mann, armer, lieber Mann, jammerte jetzt die Frau Doctorin, pack Deine Sachen zuſammen, denn es iſt jetzt nicht Zeit zum Arbeiten und Componiren. Schreckliche Nachrichten hat ver Sepperl mit heim- gebracht aus der Stadt. Wir find Alle verloren, ganz Wien ift ver- Ioren! Ob, ob, es ift fürchterlich, und ich fag’ Dir, ich hab’ eine graufame Angft! | Und die alte Dame ſank ganz zerbrodhen und zitternd auf einen Seſſel nieder. Was iſt's denn? rief Haydn. Was hat Euch denn Alle wieder fo außer Eudy gebracht? Sprid Du, Conrad, was hat's denn für Nachrichten gegeben? Oh, Herr, jammerte Conrad, indem er mit gefaltenen Händen und ſchlotternden Knieen fich feinem Herrn näherte, es iſt Alles aus und vorbei. Defterreich ift verloren. Wien ift verloren, und alſo find wir auch verloren! Nachrichten find gefommen von der Armee! Ad, was fag’ id), wir haben gar feine Armee mehr, Alles ift auseinander ge- fprengt, der Erzherzog Carl hat wieder eine Schlacht verloren, der Wurmſer ift verjagt worden, und der General Bonaparte rüdt mit feiner Armee auf Wien zu! Schlimme und traurige Nachrichten freilich, ſagte Haydn achſelzucend, 53 aber das ift immer nody Fein Grund zum VBerzweifeln. Hat der Erz berzog eine Schlacht verloren, fo ift das ſchon jedem Feldherrn paſſirt. Dem Bonaparte nimmer, ſeufzte Conrad, der gewinnt jede Schlacht und frißt jedes Land auf, das er haben will. Wir müſſen einpaden, Joſeph, fagte die Frau Doctorin, müſſen unfer Geld, unfer Silberzeug und vor allen Dingen Deine Koftbar- feiten vergraben und verfcharren, daß biefe Räuber und Menfchenfreffer, tiefe Franzoſen, fie nicht finden! Komm, komm, Daun, laß uns raſch an's Werk gehen, ehe jie fommen und uns Alles rauben! Ruhig, Frau, ruhig, fagte Haydn milde, und ein fanftes Lächeln glitt über feine Züge bin. Aengftige Dich nicht um unfere paar Klei- nigfeiten, und denk nicht, daß die Franzoſen juft deshalb nach Wien fommen wollen, um meine paar goldenen Dojen und Ringe zu Holen. Wenn's ihnen um Brillanten und Gold zu thun wär’, da brauditen fie ja nur, da fie doch einmal als Feinde kommen, fich die Faiferliche Schatzkammer zu öffnen und zu nehmen, was ihr Herz reizt! Sie würden halt nix finden, rief Conrad. Das iſt's ja eben, Herr Kapellmeifter, das iſt's ja, daß der Staatsfchaß leer iſt. Es ift Alles fort, Feine einzige Kron’ und Feine Diamanten mehr in der Schag- fammer. Na, und wo iſt's denn geblieben, Du Narr? fragte Haydn lächelnd. Fort gebracht nach Preßburg, Herr! Ich ſelbſt hab' die Wagen geſehen, Soldaten ritten vorauf, Soldaten hinterher. Alle Straßen, alle Plätze waren voll Menſchen, und einen Aufruhr hat's gegeben und ein Zetern und Heulen, und endlich iſt alles Volk desperat worden und hat geſchrieen und gebrüllt, daß ſollt' Frieden gemacht werden, damit die Franzoſen nit kommen und Wien in'n Klump ſchießen, und in der Deſperation ſind die Leut ganz couragös und tapfer worden und ſind zu Tauſenden hingezogen zum Miniſter Thugut, den ſie den eigentlichen Kaiſer von Wien nennen, und haben ihn zwingen wollen, daß er ſollt Frieden machen! Das ſind freilich ſchlimme Nachrichten, ſeufzte Haydn, ſein Haupt ſchüttelnd, ſchlimmer, als ich dachte! Das Volk in Aufruhr und Em— pörung, die Armee geſchlagen und der Feind im Anmarſch ai Wien 54 Aber verzagt Doch nicht, fein muthig und ftanphaft, Kinder, und laßt uns auf Gott vertrauen und auf unfern braven Kaifer. Die Beiden’ werben ung nimmer verlaffen, die werden Wien behüten und befchirmen, und werden's nimmer dulden, daß auch nur ein Stein von feinen Mauern genommen werbe. | Ach, rechne nimmer auf den Kaifer, Mann! Hagte die Frau Doctorin. Das ift ja eben die fchlimmfte Nachricht, und daraus eben kann man ja fehen, daß Alles verloren ift, denn der Kaifer hat ung verlafien! Wie? rief Hayon, und ein Ausdrud edlen Zorns flammte in fei- nen Zügen auf. Wie, man wagt es, unfern Raifer fo fhmählich zu verleumden? Man wagt es, zu fagen, daß der Kaiſer feine Wiener verlaffen jollt’, wenn fie in Gefahr find? Nein, nein, der Kaifer ift - ein braver Mann und ein treuer Fürft, er wird Glück und Unglüd mit feinem Volk theilen! Ein guter Hirt verläßt nicht feine Heerbe, und ein guter Fürft nicht fein Volk! | Aber der Kaifer hat uns verlaflen, fagte Conrad, es ift wahr, Herr! Ganz Wien weiß es, und ganz Wien heult und jammert dar- über! Der Kaifer ift fort, und die Kaiferin auch, und die Kaiſerkinder auch! Alles fort und davon nach Prefburg. Fort! Der Kaifer fort! murmelte Haydn ſchmerzvoll, und eine tiefe Bläffe bevedfte auf einmal feine Wangen. Oh, armes Oeſterreich, armes Volk, Dein Kaiſer hat Did, verlajjen und iſt von Dir geflohen! Er ſenkte traurig fein Haupt und ſchwere Seufzer hoben feine Bruft. Siehft jest ein, Mann, daß ich Recht habe? fragte feine Frau. Iſt's Phrafe, daß es die höchſte Zeit ift, an unfer Hab und Gut zu . venfen, und unfere Sachen zu verpaden und zu vergraben? Nein, rief Haydn, raſch fein Haupt wieder erhebend, nein, es ift jetst nicht Zeit, an uns zu benfen und für unfer elend Hab und Gut zu forgen. Der Kaifer ift auf der Flucht, das heißt, ber Kaiſer ift in Gefahr, und fo müffen wir als treue Unterthanen für ihn beten, und auf unfern Herrn und Kaifer al unfere Gevanfen und Wänfche richten. In den Stunden ver Gefahr muß man nicht Heinmüthig fein Daupt zur Erbe fenten, fonvern fein Ange zu Gott empor heben und 55 auf ihn hoffen und vertrauen. Was wollen bie Wiener verzweifeln und fehreien! Singen und beten follen fie, damit der Herrgott da oben ihre Stimme vernehme, fingen und beten follen fie für ihren Herrn und ihren Kaiſer, und ich will ſie's lehren! Mit hochgehobenem Haupt und ſtolzem Schritt ging Haydn zu ſeinem Clavier hin, und ſeine Hände legten ſich auf die Taſten, und begannen leiſe eine einfache choralartige Melodie zu ſpielen, dann aber trat die Melodie ſtärker und kräftiger hervor, dann leuchtete es höher - auf in Haydn's Angeſicht, und feine Lippen öffneten ſich wie von ſelbſt, und mit begeiftertem, ſchallendem Ton fang er Worte, die er nicht fannte und nicht wußte, Worte, die ihm mit der Melodie aus der Seele quollen. Halb Gebet, halb Siegeslied war die Melodie, und unſchuldiges, ſchlichtes Kindergebet waren die Worte, die von feinen Lippen ftrömten, und die alfo lauteten: Gott erhalte Franz den Kaifer; Unjern guten Kaijer Franz, ‚Zange lebe Franz der Kailer In des Glüdes hellem Glanz! Ihm erblühen Lorberreifer, Wo er geht, zum Ehrenkranz! Gott erhalte Franz den Kaiſer, Unfern guten Kaifer Franz! Tiefe Stile war eingetreten, während Haydn fang, und als er jest mit einem fejten, mannhaften Accord fchloß und fi) umfchaute, -da ſah er, wie fein Weib, überwältigt von Rührung und Andacht, auf ihre Kniee gefunfen war mit gefaltenen Händen, die Augen gen Himmel gewandt, und hinter ihr kniete die alte Kathrinel und der Conrad, und zwijchen beiden ftand die große Kate und laufchte auch, und auch der Papagei da unten fehien zu laufen auf das neue Lied, denn aud er war till geworben. Ein köſtliches Yächeln flog über Haydn's Antlig hin und machte es wieder jung und ſchön. est fingt mit mir, Ihr Alle Drei, fagte er, fingt laut und feft, damit Gott uns hört. Ic fang’ von vorne an und Ihr follt mitfingen. "56 Er ſchlug kräftig auf die Taſten, daß die Saiten Mlirrten und tönten, und begann auf's Neue zu fingen: „Gott erhalte Franz den Kaiſer!“ und hingerijfen von der einfachen, ſchönen Weife ftimmten bie Beiden Frauen und der alte Diener mit ein in das Lied und in die ſchlichten, kunſtloſen Worte. Und jetzt, rief Haydn eifrig, als das Lied zu Ende war, jetzt will ich die Melodie gleich aufſchreiben und die Worte drunter ſetzen, und dann läufſt Du damit zum Hofrath van Swieten hin. Er ſoll noch ein paar Verſe dazu machen! Und dann wollen wir's abſchreiben laſſen, ſo oft wir können, und in allen Straßen wollen wir's aus- fireuen und auf allen Pläten wollen wir’s fingen lajfen, und wenn die Franzojen wirklich nad Wien fommen, fo fol ganz Wien fie em⸗ pfangen mit dem Jubellied: „Gott erhalte Franz den Kaiſer!“ Und Gott wird unfer Lied hören und wird gerührt werden von unferer Liebe, und wird ihn uns zurüdführen, den guten Kaifer Franz! Er jeßte fih an feinen Schreibtiih und fehrieb mit jugendlicher Haft die neue Melodie auf. So, fagte er dann, nimm das, Conrad, und trag's zum Hofrath van Swieten, bring ihm mein Raiferlied. Oh, id) mein’ immer, ed muß dem Kaifer Glück bringen, und darum ſchwör' ich, daß ich's fpielen will alle Tag’, fo lang ich lebe, dem Kaifer ſoll allzeit mein erjtes Gebet gelten!*) Und jetzt lauf, Conrad, und laß den Herrn Hofrath das Lied dichten, und Ihr Weiber geht hinaus. Ich fühl’ jest, wie die Gedanken, in meinem Kopf brennen, *) Haydn hielt Wort und fpielte feitdem täglich fein Kaiferlied, ja es war das letzte, was er fpielte Furz vor feinem Tode; am 26. Mai des Jahres 1809 fpielte er drei Mal hintereinander fein Lied, vom Clavier mußte man ihn in’s Bett tragen, das er nicht wieder verließ; am 31. Mai ftarb er. Als Iffland ihn im Jahr 1807 befuchte, fpielte Haydn ihm zum Abſchied auch fein Kaiſer⸗ lied: „Gott erhalte Franz den Kaifer!” vor. Dann blieb er noch einige Augen- blidde wor dem Inftrument ftehen, legte beide Hände darauf und fagte mit dem Ton eines ehrwürdigen Patriarchen: „Ich fpiele biefes Lied an jedem Morgen und oft habe ich Troft und Erhebung daraus genommen in ben Tagen ber Unruhe. Ich kann auch nicht anders, ich muß es alle Tage einmal jpielen. Mir ift herzlich wohl, wenn ich es fpiele, und noch eine Weile nachher.” — Siehe: Theater⸗Almanach. Herausgegeben von Sffland. Jahrgang 1811. ©. 181. 57 wie die Melodien aus meinem Herzen hervorfixömen wollen! Das Lied bat mir erft die rechte Begeifterung und Weihe gegeben, und jest will . ih mit Gott und meinem Kaiſer meine Schöpfung beginnen! Ihr aber verzagt und verzweifelt nit,- und wenn Euch gar jo bang wird, fo fingt mein Kaiferliev und es wird Euch Muth und Troſt in's Herz rufen, Euch und allen Defterreihern, die e8 fingen werden! Denn nicht für Euch allein, ſondern für Oeſterreich habe ich mein Kaiferlied gefungen, und ein Lied foll es fein für das ganze öfterreichifche Volk! VII. Ber General Bonaparte. Der Friede follte endlih zum Abſchluß kommen. In Udine verweilten feit einigen Wochen ſchon die öfterreichifchen Abgefandten, ver Graf von Meerveldt, ver Graf Ludwig von Eobenzl und der Marquis de Gallo, welcher den beiden Herren als Rathgeber vom Wiener Hofe zugegeben, obwohl er felber fein Beamter des Kaifers, fondern Geſandter Neapels am Kaiferhofe zu Wien war. Sn Pafleriano verweilte der General Bonaparte; er allein, den dreien Bevollmächtigten Defterreichs gegenüber, war von ber großen Republik Frankreich bevollmäctigt, den Frieden mit Defterreich zu ihließen, oder den Krieg zu erneuern, je nachdem es ihm gut dünkte. | Die Augen Frankreichs, Deutſchlands, ja ganz Europa's waren: alſo auf diefen Kleinen Punkt an der Grenze Deutſchlands und Italiens bin gerichtet, denn dort follte ſich jet die nächte Zukunft Europa’s entſcheiden, dort follten die Würfel fallen, welche der Welt Krieg oder Frieden bringen follten. Defterreich wollte den ‚Frieden, es mußte ihn wollen, weil es ſich 58 nicht ftark genug fühlte zum Krieg, weil e8 die Gefahren und Verlufte fortgefegter Niederlagen. fürdtete. Aber e8 wollte ven Frieden nicht um jeden Preis, fondern es wollte aus dem Frieden Vortheil ziehen, es wollte fich vergrößern auf Koften Italiens, auf Koften Preußens; wenn e8 fein mußte, auch auf Koften Deutfchlanns! Was aber wollte Frankreich? Ober vielmehr, was wollte ber General Bonaparte? Niemand außer ihm felber wußte das. Niemand vermochte aus dieſem ehernen Angeſicht ſeine Gedanken zu errathen, aus feinen lako⸗ niſchen Worten die Thaten ſeiner Zukunft zu entziffern. Niemanden war es gegeben, zu ſagen, was Bonaparte beabſichtigte, welch ein Ziel er ſeinem Ehrgeiz geſteckt. | Seit Monaten [hwebten die Friebens-Unterhandlungen mit Defter- reich, ſeit Wochen traten die öfterreihifchen Bevollmächtigten mit dem General Bonaparte täglich zu vielftündigen Konferenzen zufammen, die abmwechfelnd in Paſſeriano und in Udine ftatt fanden, aber immer noch war das Friedenswerk nicht abgefchloffen. Defterreich verlangte zu viel und Frankreich wollte zu wenig zugeftehen. Oft war es in diefen Con- ferenzen ſchon zu den heftigften Erörterungen gekommen, oft hatte man bei venfelben Bonaparte’s Stimme fid) zu lauten Donnertönen erheben hören, und Blige des Zorns waren in feinen Augen aufgeflammt. Aber die öſterreichiſchen Diplomaten waren nicht davon zerjchmettert worden; an ihrem unverwüſtlichen Lächeln waren die Blige der Felb- herrnaugen machtlos abgeglitten, vor den Donnern feiner Stimme hatten fie ihr Haupt gebeugt, um es doch wieber langfam zu erheben, wenn er ſchwieg. Heute, am breizehnten Oftober, follte wieder eine diefer Confe⸗ renzen in Udine beim Grafen Cobenzl ftattfinden, und vielleicht war es deshalb, daß der General Bonaparte fih ſchon in. ungewohnt früher Morgenſtunde erhoben hatte. Seine Toilette war eben vollendet; die vier Kammerdiener, die ihm bei derſelben behülflich geweſen, hatten eben ihr Werk beendet— Bonaparte hatte fich, wie immer, willenlos ihren Händen übergeben und ſich 59 wie ein Kind won ihnen anfleiven, waſchen und frifiren laffen.*) Jetzt hieß er mit einem ftummen Wink feiner Hand die Diener hinausgehen, und rief mit lauter Simme: Bourrienne! Sofort öffnete fi) die Thür da drüben und ein junger, hodhge- wachfener Mann in der Civiltracht damaliger Mode trat ein. Bona⸗ parte deutete mit der Rechten auf den Schreibtifch Hin, indem er feinen jungen Gecretair mit einem raſchen Neigen feines Hauptes begrüßte. | | Bourrienne ging mit geräufchlofen Schritten nach dem Tifch, fi vor demfelben nieverfegend, legte er ein leeres Papier zurecht und nahm die Feder, das Dictat Bonaparte’s erwartend. Aber Bonaparte ſchwieg. Die Hände auf dem Küden . gefaltet, ging er mit vafchen Schritten in dem Gemach auf und ab. Bourrienne, bie Feder in der Hank haltend und in jedem Moment bereit, zu ſchrei⸗ ben, genoß dieſes Schweigen, diefes gedankenvolle Sinnen des Gene⸗ rals mit wahrem Entzüden, denn diefes Schweigen günnte ihm bie Muße, Bonaparte anzufehen, fi zu vertiefen in fein Wefen, jeden Zug, jede Bewegung des Siegers von Italien fi tief einzuprägen. Bourrierine war Bonaparte’8 Jugendfreund, fie waren zufammen auf der Kriegsfchule geweſen, fie hatten fich wieder gefunden in Paris, und der junge mittellofe Lieutenant Bonaparte hatte ſich oft gefreut, von feinem veicheren Schulfreund Bourrienne ein Mittagseffen anzu⸗ nehmen. | Seitdem waren einige Jahre erft vergangen, und jett war ber Lieutenant Bonaparte ſchon ein Lorbeerbefränzter General geworben, und Bourrienne, den die Männer der Schredenszeit auf die Lifte der Proferibirten gefegt, war froh, ben Schuß feines einftigen Jugend⸗ freundes zu genießen und bei ihm eine Stelle als Secretair gefunden zu haben. *) Schon als General hatte Bonaparte in Italien immer vier Kammer⸗ diener um fich, und er ließ ſich von ihnen ankleiden wie ein Kind, erzählt fein Kammerdiener Eonftant. „Er war dazu geboren, von KRammerbienern bedient zu werben,“ jagt er. Memoires de Constant, premier valet de chambre de !’Empereur Napoleon. Vol. I. ©. 180. 60 Seit zwei Tagen war Bourrienne in dieſer Eigenſchaft bei Bona- parte, feit zwei Tagen hatte er ihn ftünblich gefehen, und doch be- trachtete er immer mit neuem Erſtaunen diejes wunderbare Angeficht, auf welchem er vergeblich die Züge. feines Jugendfreundes wieder zu finden fuchte. Freilih waren e8 noch dieſelben Contouren und Linea⸗ mente, aber doc war dies Antlig jegt ein ganz anderes. Nichts von der Sorglofigfeit, der harmlojen Fröhlichleit früherer Tage ſprach mehr aus diefen Zügen. Sein Gefiht war von einer faft Fränflichen Bläffe, feine Geftalt, die nicht über die Mittelgröße fi) erhob, war mager und knöchern. Bei dem erften Anfchauen glaubte man, einen jun- gen, Eraftlofen Dann zu fehen, ver unrettbar zum frühen Tode hin- fiehte. Aber je länger man ihn betrachtete, deſto mehr fchienen ſich viefe Züge zu beleben und zu durchgeiftigen, defto mehr fühlte man ſich durchdrungen von der Erfenntniß, daß man es mit einer feltenen, ungewohnten Erjcheinung, einem Ausnahmewejen zu thun babe. Ein- mal erſt an dieſe anfcheinend bleiche, kränkliche Häßlichkeit gewöhnt, verflärte fie fih dem Anfchauenden bald zu einer feſſelnden Schönheit, wie man fie auf den alten römifchen Cameen und Imperator-Münzen bewundert. Wie nad) den antilen Münzen geformt war: fein fchönes, regelrechtes Profil, hoch und ehern war feine Stirn, an deren beiden Geiten das feine, dünne, Faftanienbraune Haar in fchlidhten Streifen fi) anlegte. Seine Augen waren von einem ſchönen Blau, aber von dem munderbarften Ausdruck und Teuer, ein treuer Spiegel feiner Feuerſeele, bald außerordentlich ſanft und milde, bald ernſt und jelbft hart. Sein Mund war von Haffiiher Schönheit, die evelgeformten Lippen jchmal und ein wenig zufammengepreßt, bejonders im Unmuth; wenn er lachte, zeigten ſich zwei Reihen nicht eben fchön geformter, aber perlenweißer Zähne. Jeder Zug, jeder einzelne Theil feines Gefichtes war von antiker, claffiiher Schönheit, und doc hatte das Enfemble etwas Häfliches, Abſchreckendes, Erfältendes, und man mußte fih erft an diefe außergewöhnliche Erfcheinung gewöhnt haben, um fie bewundern zu können. Nur feine Füße und feine Fleinen, weißen Hände waren von einer feltenen, gleich in die Augen fallenden Schön- heit, und vielleicht fam es daher, daß der General Bonaparte, der 61 fonft an feiner Toilette und an feiner Perfon die größte Einfachheit liebte, feine Hände mit einigen koſtbaren Brillantringen geſchmückt hatte. *) Bourrienne war noch immer in das Anfchauen feines Jugend⸗ freundes vertieft, als diefer plöglih vor ihm ftehen blieb und ihn mit einem freundlichen Blick anlächelte. Was betracnhteft Du mich fo unverwandt, Bourrienne? fragte er in feiner kurzen, haftigen Weife. ' General, ich betrachte mir nur die Xorbeeren, mit denen die Siege Ihre Stirn geſchmückt haben, feit ih Sie zum letten Mal ſah, fagte Bonrrienne. | Ab, und Du findeft, daß ich mich ein wenig verändert habe, feit Du mich zum legten Male ſahſt, rief Bonaparte raſch. Es ift wahr, diefe Yahre unferer Trennung haben Manches verändert, und es hat mid, gefreut, daß Du das mit feinem Tact anerfannt und bei unjerm Wiederſehen eine hübſche, zarte Zurüdhaltung beobachtet haft. Ich bin Dir dafür dankbar, und Du bift von heute an der Chef meines Ca⸗ binets, mein erfter Geheim-Secretair.**) Bourrienne erhob fih, um dem jungen General mit einer tiefen Berbeugung zu danken. Aber Bonaparte adhtete gar nicht mehr auf ihn, er ging wieder haftig aufı und ab, das Yächeln war fchon von feinem Antlig gewichen, und daſſelbe hatte wieder feinen ehernen, um- durchdringlichen Ausdruck angenommen. Bourrienne ließ ſich wieder leiſe auf ſeinen Stuhl niedergleiten und wartete; aber er wagte es jetzt nicht mehr, Bonaparte anzuſchauen, da dieſer fein Anblicken bemerkt hatte. Nach einer langen Baufe blieb Bonaparte neben dem Schreibtifc) ftehen. Haft Du die Depeſchen gelefen, die mir das Directorium geftern durch feinen Spion, den Herrn Botot, gefandt hatt fragte ber General haftig. *) Die Befchreibung der Perfönlichkeit Bonaparte’s ift nad: Memoires de Constant. Vol. II. ©. 52. **) Memoires de Monsieur de Bourrienne. Vol. I. ©. 33. 62 Zu Befehl, General! - | Es find unvernünftige Narren, rief Bonaparte zürnend, von ihren Boliterfigen im Luxembourg wollen fie unfern Krieg in Italien lenken, und meinen, der Commandoſtab ftehe ihren bdintenbeflediten Händen ebenfo gut an, als die Feder. Bon Paris aus wollen fie uns einen neuen Krieg dictiren, fie, die nicht willen, ob wir im Stande find, einen neuen Krieg zu ertragen. Berlangen, daß Oeſterreich Frieden mache, ohne Venedig zur Entſchädigung für Belgien zu erhalten! Ja, Talleyrand geht in feiner Unvernunft fo weit, von mir zu forbern, dag ich ganz Italien aufs Neue revolutionire, damit bie Italiener ihre Fürſten abwerfen und die Sonne republifanifcher Freiheit ganz Italien durchſtrahle. Um ihnen die Freiheit zu geben, wollen fie ihnen erft den Krieg und die Revolution bringen! Sie willen. nicht, dieſe un- vernünftigen Parifer Mundhelden, daß Italien uns erjt in Wahrheit nad) wiederhergejtelltem Frieden gehören wird, und daß fchon bei dem ‚Schimmer bes Friedens das Directorium von den Bergen der Schweiz an, die Schweiz mit inbegriffen, bis zu den äußerten Spiten von Kalabrien Herr fein wird. Dann erft und dann allein kann das Di- rectorium nad) jeinem Gefallen die verfchievenen Gouvernements von Italien abändern, deshalb müſſen wir Defterreich durch einen Friedens⸗ tractat an ung fejleln. Wenn es ben gezeichnet hat, wird es nicht mehr wagen, fi zu. rühren, erſtens, weil es unjer Alliirter ift, und vor allen Dingen, weil e8 fürchten wird, daß wir ihm wieder nehmen werden, was wir ihm .großmüthig gegeben, um es an unfer Syitem zu feileln. Die Kriegspartei in Wien wird ſich indeß nicht refigniven, ohne fih die Hoffnung auf eine Contre-Revolution zu bewahren, weldhe immer noch der Traum der Emigrirten und der Diplomatie von Pilnig ijt.*) Und diefe unvernünftigen Herren vom Directorium wollen den Krieg, die Revolution, und fie wagen mid) zu verbäd- tigen! Ah, ich fehne mid nah Ruhe, nad) Zurüdgezogenheit, ich fühle mich erfchöpft, degoutixt, und ich werde zum dritten Mal *) Bonaparte's eigene Worte. Siehe: Memoires d'un homme d'état. Vol. IV. S. 578. 63 den Abſchied fordern, den mir bag Directorium ſchon zwei Mal ver- weigert hat! Er hatte das Alles mit halblauter, haftiger Stimme gefagt, nicht ale ob er zu Jemand Anders fprädhe, fondern nur zu fidh felber, zu dem einzigen Mann, der es würbig fei, die geheimften Gedanken feiner Seele zu erfahren, und doch wieder mit der jtolzen Mißachtung gegen den, der ihn hören konnte. Er fühlte fi) allein, obwohl Bour- rieme zugegen war, und er ſprach und berieth nur mit fich ſelber, obwohl Jener ihn hörte. Jetzt trat wieder eine lange Pauſe ein, und Bonaparte ging von Neuem mit haſtigen Schritten auf und ab. Heftige, leidenſchaftliche Gefühle ſchienen feine Bruſt Zu durchſtürmen, denn feine Augen leud)- teten immer höher auf, feine Wangen färbten fi mit einem leijen Roth, der Athem ging ſchwer aus jeiner Bruft hervor; als fühle er ſich beängftigt und der Luft bebürftig, trat er zum Fenſter und ftieß es heftig auf. Ein Ausruf der VBerwunderung entfuhr feinen Lippen, denn bie Gegend, welche fich geftern noch im vollen Schmud einer ſchönen, bumtgefärbten Herbftlanpfchaft gezeigt, bot heute einen volllommen winterlihen Anblid dar. Starker, gligernder Reif bevedte die Bäume und das Grün der Wiejen, und die Norifhen Alpen, die in majeltä- tiſchem Kranz den Horizont begrenzten, hatten in dieſer Nacht fich mit ſtrahlenden Schneegewändern und blitenden Eisfronen geſchmückt. Lange und gedanfenvoll blidte Bonaparte auf dies unerwartete Schaufpiel hin. Weld ein Land, fagte er dann leife vor fi hin, Schnee und Eis vor Mitte Oktober! Wohlen! Man muß Frieden machen!*) Er ſchlug das Fenſter wieder zu und trat dann haſtig zu dem Schreibtiſch. Gieb mir die Liſten über die Armee, ſagte er zu Bour⸗ vienne, indem er ſich neben ihm niederſetzte. Bourrienne legte die Papiere und Bücher eins nad dem andern. *) Bonaparte'8 eigene Worte. Siehe: Bourrienne. Vol. I. Seite 313. 64 vor ſich hin, und Bonaparte las und prüfte fie mit ernſten, aufmert- famen Bliden. Sa, fagte er dann nad) einer langen Baufe, es ift wahr, ich habe da effectiv nahe an achtzigtauſend Mann; ich ernähre und bezahle ſie, aber am Tage einer Schlacht würde ich doch nur auf ſechszigtauſend zählen können; ich würde die Schlacht gewinnen, aber an Todten, Verwundeten und Gefangenen würde ich wieder zwanzigtauſend Mann weniger haben: wie ſollte ich alsdann den vereinten öſterreichiſchen Streitkräften, die zur Hülfe Wiens heran marſchiren würden, Wider⸗ ſtand leiſten können? Es bedarf mehr als eines Monats, ehe die Armeen vom Rhein mich unterſtützen können, und in vierzehn Tagen wird der Schnee alle Straßen und Paſſagen unwegſam gemacht haben! Es iſt beſchloſſen, ich mache Frieden. Venedig muß die Kriegskoſten und die Rheingrenze bezahlen. Das Directorium und die' gelehrten Advocaten mögen ſagen, was fie wollen.*) Schreibe, Bourrienne, ich will Dir meine Antwort an das Directorium dictiren. Bourrienne tauchte die Feder ein, Bonaparte erhob ſich von ſeinem Sitz, und, die Hände auf den Rücken legend, begann er wieder auf und ab zu gehen, indem er langſam und klar, daß jedes Wort wie eine Perle von ſeinen Lippen fiel, dictirte, bis allmälig der Lauf ſeiner Rede ſich mehr beflügelte und in einem einzigen, glänzenden, feurigen Strom dahin rollte. „Wir werden, dictirte er mit ſeiner Feldherrnſtimme, wir werden heute den Frieden unterzeichnen oder die Negociationen abbrechen. Der Friede wird uns Vortheil bringen, der Krieg mit Oeſterreich Schaden. Der Krieg mit England hingegen eröffnet uns das Feld einer weiten, weſentlichen und ſchönen Thätigkeit!“ Und nun begann er mit logiſcher Schärfe und Genauigkeit dem Directorium die Vortheile und Convenienzen des Friedens mit Defter- reich, des Krieges mit England abzumägen. Schneidend und feharf *) Bonaparte's eigene Worte. Siehe: Memoires d’un homme d’etat. Vol. IV. ©. 558. 65 wie Schwertfehlag waren feine Worte, kurz, ehern und kalt wie die eines Cato. Dann ſchwieg er einen Moment, nicht um feine Gedanken neu zu ſammeln, fondern nur, um Bourrienne einen Moment ausruhen zu laffen vom rafchen Schreiben, und felber aufzuathmen vom rafchen - Spredyen. Weiter jett, fagte er dann nad) Furzer Paufe, und mit begeifterter Stimme, mit flammenven Augen bictirte er: „Wenn ich mid) in mei- nen Berechnungen. getäufht habe, fo ift doch mein Herz rein und meine Abficht lauter: ich habe die Imtereffen meines Ruhms, meiner Eitelkeit und meines Chrgeizes fchweigen laſſen; ich habe auf nichts gejehen, als auf das Vaterland und das Gouvernement. Wenn Dies meine Thaten und meine Anfichten nicht billigt, jo bleibt mir nichts übrig, al8 in die Menge zurüdzutreten, den Holzſchuh des Cincinnatus wieder anzuziehen und ein Beifpiel zu geben von der Achtung vor der Obrigfeit und der Abneigung vor dem militeirifhen Regime, das jo viele Republiken zeritört und fo viele Staaten vernichtet hat.” *) Fertig? fragte- Bonaparte alsdann, hochaufathmend. Ja, General, ich bin fertig! So nimm ein anderes Blatt, Freund. Wir wollen jetzt an dieſen ſchlauen Fuchs ſchreiben, der ſonſt jedes Loch wittert, wo er hinein ſchlüpfen kann, und der einen ſo ſcharfen Geruch hat, daß er jede Gefahr und jeden Vortheil von Weitem riecht. Diesmal hat ſelbſt er die Witterung verloren und iſt auf einer falſchen Fährte. Ich will ihm ‚wieder auf. ven rechten Weg helfen. An Talleyrand den Herrn Minifter des Auswärtigen alſo! UWeberfchrift gemacht? Ya, General! So ſchreib! | Und ohne auch nur einmal inne zu halten oder zu ftoden, bictirte Bonaparte folgenden Brief: „In drei oder vier Stunden, Bürger Minifter, wird Alles ent- *) Bonaparte's eigene Worte. Siehe: Memoires d’un homme d’etat. Vol. IV. ©. 588. Mißbach Napoleon. 1. Abt}. T. 8 66 f&hieden fein, Krieg oder Frieden. Ich geftehe Ihnen, daß ich Alles für den Frieven thun werde, wegen der vorgerlüdten Jahreszeit und ver geringen Hoffnung auf bedeutende Erfolge.“ „Sie kennen ſehr wenig dieſe Völker hier; ſie verdienen es nicht, daß man um ihretwillen vierzigtaufend Franzofen töbten läßt. Ich erfehbe aus Ihrem Brief, daß Sie immer von einer falfchen Hypothefe ausgehen; Sie bilden fich ein, daß die Freiheit auf ein träges, aber- glänbifches, feigherziges und heruntergefommenes Volk großen Eindrud machen wird.“ „Was Sie von mir fordern, find Wunder, und bie vermag ich wicht zu thun! — Ich habe, feit ich nach Italien gekommen, nicht die Liebe der Völker für die Freiheit und Gleichheit als Bundesgenoſſen gehabt, oder zum Mindeſten war dies ein fehr ſchwacher Bundesge⸗ noffe. Alles, was nur dazu gut ift, um in Proclamationen und ge- druckten Reden gefagt zu werden, ift nicht mehr werth, als ein Roman.“ „Da ich Hoffe, daß die Negociationen gut gehen werben, gehe ich nicht auf weitere Details ein, um Sie über viele Dinge aufzuklären, bie man mir falſch anfgefaßt zu haben fcheint. -Nur mit Klugheit, Weisheit und großer Entſchiedenheit kann man zu großen Zielen ge- langen und alle Hinderniſſe überwinden, fonft aber erreicht man nichts. Dom Trinmph bis zum Fall ift oft nur Em Schritt! Ich habe in ben größten Umftänvden immer ein Nichts über die größten Begeben- heiten entfcheiben fehen!“ „Es ift ein Characterzug unferer Nation, daß fie zu raſch umd fenrig im Glück if. Wenn man als Baſis unferer Operationen bie wahre Politik nimmt, die nichts Anderes ift, als das Refultat ver Berehnung der Kombinationen und Wechfelfälle, fo werden wir lange Zeit die größte Nation und der Öipfelpunft Europa’s fein, ja, id jage mehr, wir werben die Wage halten, wir werden fie ſich neigen laſſen, wohin wir wollen, und felbft wenn es ver Wille ver Borfehung ift, wäre es feine Unmöglichkeit, daß man in einigen Jahren zu biefen großen Refultaten gelangte, weldhe bie erglühte und enthufieftifche Einbildungstraft vielleicht vorherfieht, und welche nur ein äußerft 67 kalter, beftändiger und befonnener Mann allein erreichen Tann, wenn” —*) _ Plötzlich ſchwieg Bonaparte, wie Einer, der im Begriff ift, ein tiefes Geheimniß zu verrathen, und es fchnell wieder in fich felbft verfchließt. Es ift genug, fagte er dann, radire das letzte Wort wieder aus und made den Schluß. Was ftehft Du mich fo feltfam an, Bourrienne? Berzeihung, General, ich hatte eine Bifion. Es ſchien mir, als ob es wie eine Driflamme auf Ihrem Haupte leuchtete, und ich meine, wenn alle Bölfer und alle Menſchen Sie fo fehen könnten, wie ich Sie eben febe, fo würden fie wieder an die Mythen ver alten Götterwelt glauben und würden überzeugt fein, daß Zeus der Donnerer die Welt einmal gewürdigt habe, in Menfchengeftalt zu ihr herabzufteigen. . Bonaparte lächelte, und dieſes Lächeln erhellte wie Sonnenfchein fein vorher fo ernftes ftrenges Angefiht. Du bift ein Schmeichler und ein Hofmann, fagte er, indem er fcherzend Bonrrienne fo derb in das Ohr Eniff, daß dieſer Mühe hatte, einen Schmerzensausruf unter einem Lächeln zu verbergen. Ia, wahrhaftig, ein rechter Hofmann bift Du, und die Republit hat daher fehr wohl gethan, Dich zu ächten und fort- zujägen, venn die Schmeichelei ift durchaus eine ariftocratifche Manier md ſchadet unferer republifanifchen, fteifen Würde. Und welche Idee, mich dem auf die Erde nievergeftiegenen Zeus zu vergleihen! Weißt Du denn nicht, Du gelehrter Schulfuchs und Schmeidhler, dag Zeus allemal, wenn er auf die Erde niederftieg, ein fehr irvifches und un- göttliches Abentener zu verfolgen hatte? Es fehlte nur noch, daß Du meiner Iofephine mittheilteft, ich fei im Begriff, mid um irgend einer fhönen Europa willen in einen Ochſen zu verwandeln oder einer Danae zu Liebe als goldener Regen nieverzuriefeln. General, das Erfte würde die Auge und geiftoolle Iofephine für unmöglich halten, denn wenn Ihnen alle Mirafel der Welt gelängen, in einen Dchfen würden Sie Sic, doch nie umfchaffen fünnen! Was, Du haft mich eben erft dem Zeus verglichen, und jetzt be- *) Memoires d’un homme d’dtat. Vol. IV. ©. 581. 5* 68 zweifelft Du ſchon, daß ih thun könnte, was doch Zeus gethan hat? rief Bonaparte lahend. Siehſt Du, Schmeidhler, da habe id Dich gefangen in Deinen eigenen Schlingen. Aber würde etwa meine Jo— fephine glauben können, daß id, mid) für eine Danae in einen Gold— regen verwandeln fünnte, Du Iofer Vogel? _ Ya, General, aber fie würde allemal vafür jorgen, daß fie ſelber und ganz allein die Danae ſei! Wahrhaftig, da haſt Du Recht, rief Bonaparte laut lachend. Sie liebt den goldenen Regen, meine Joſephine, ein ganzer Wolkenbruch würde ihr nicht zu viel werden, denn wenn ſie zuerſt darin verſenkt wäre bis an den Hals, in einigen Stunden würde ſie doch wieder auf dem Trocknen ſitzen. Die Generalin iſt freigebig und großmüthig wie eine Furſtin, und daher kommt es, daß ſie viel gebraucht. Sie ſtreut ihre Wohlthaten mit vollen Händen aus. Ja, ſie hat ein edles und großes Herz, meine Joſephine, rief Napoleon, und jetzt hatten ſeine großen blauen Augen einen milden, ſchwärmeriſchen Ausdruck. Sie iſt ein Weib, wie ich fie liebe, fo ſanft und gut, fo kindiſch und ſpieleriſch, jo mildherzig und großſinnig, fo leidenfchaftlih und närriſch. Und dabei von jo edlem Anjtand, fo feinen Manieren. Ad, Du hätteft fie fehen jollen in Mailand, wenn fie die Fürften und Nobili in ihrem Salon empfing! Wahrhaftig, Freund, die Frau des Heinen Generals Bonaparte hatte dann ganz das Aus- fehen und das Weſen einer Königin, welche Audienzen ertheilt, und man huldigte ihr auch als einer ſolchen! Ach, Du hätteft pas fehen follen. Ich habe es gefehen, General. Ic war ja in Mailand, bevor ich hierher kam. Ah, das ift wahr, ich vergaß das! Du Glücklicher haft meine Frau fpäter gejehen, als ih. Nicht wahr, fie ift Schön, meine Joſephine? Kein junges Mädchen hat mehr Frifche, mehr Anmuth, Unfhuld und Grazie, als fie! Wenn ich bei ihr bin, fühle ich mich fo befriedigt, glüdlih und ftil, wie man fi fühlt, wenn man an einem heißen Tage unter dem Schatten eines Föftlichen Myrtenbaumes ausruht, und wenn ich fern von ihr bin, ſo — 69 Plötzlich ſchwieg Bonaparte, und der Schimmer eines Erröthens flog über fein Antlig bin. Der junge verliebte Mann von achtumd- zwanzig Jahren hatte einen Moment über den ernften, berechnenden General den Sieg davon getragen, und der General fhänte ſich defien. Es ift jett nicht Zeit, an dergleichen zu denken, fagte er faft um- willig. Du, fiegle die Briefe und erpedire einen Courier nach Paris. Ah Paris, ich wollte, id) wäre erft wieder dort in meinem feinen Hanfe. in der Rue Chantereine, allein und glüdlich mit meiner Jo⸗ jephinel Aber um dahin zu: gelangen, muß ich hier erft Frieden machen, Frieden mit Defterreih, mit dem Kaifer von Deutſchland. Ach, ich fürchte, dieſes Deutſchland wird nicht fehr erbaut fein fünnen von dieſem . Frieden, den fein Kaifer machen wird, und der ihm einige feiner Schönften Rheinfeftungen Toften fan! - | | Und die Republik Venedig, General? Es wird bald feine Republik Benedig mehr geben, rief Bonaparte, die Stimm in finftere Falten legend. Venedig hat fi) des Namens einer Republik unwürdig gemacht, es wird verfchwinden. : General, die Abgefandten der Republik warteten gejtern den ganzen Tag in Ihrem Borzimmer vergeblid, auf Gehör. | Sie werden auch heute warten, bis ich zurückkehre won der Con⸗ ferenz, die entweder den Krieg oder den Frieden bringt. In beiden Fälfen Wehe den Benetianern! Sag’ ihnen, Bourrienne, fie follen warten, bis id) wieder fomme! Und jett meinen Wagen vor, ich darf die öfterreichifchen Herren Diplomaten nicht länger auf mein Ultimatum warten laſſen! 70 . vn. Ber Frieden von Campo Formio. In der großen Alberga zu Udine erwarteten die öſterreichiſchen Abgeordneten den General Bonaparte zur Conferenz. Alles war zu feinem Empfang geordnet, die Tafel war ſervirt und die Köche harrten nur der Ankunft des franzöftihen Generals, um das ausgeſuchte und prächtige Dejeuner zu ferviren, mit welchem vie heutige Gonferenz be- ginnen follte. Graf Ludwig Cobenzl und ber Marquis de Gallo erwarteten den General im Speiſeſaal, und ſchauten, neben einander im Fenſter ſte⸗ hend, hinaus in die Landſchaft. | Es ift kalt heute, fagte Graf Cobenzl nach einer Pauſe des Ge- fprächs. Ich meinestheils liebe die Kälte, denn fie erinnert mich an meine fchönften Jahre, an meinen Aufenthalt am Hof der ruffifchen Semiramis. Aber Sie, Herr Marquis, werben durch dieſe Kälte wahr- ſcheinlich noch empfindlicher an Ihr Heimweh nad) dem fchönen Neapel . und der glühbenden Senne des. Südens gemahnt. Ich Tenne gar ein Heimweh, Graf, fagte der Marquis, id) bin überall da zu Haufe, wo id meinem König und meinen Baterlande nüßen Tann. Aber heute, tbeurer Marquis, ift es Ihre Aufgabe, einem fremden Fürſten zu nützen. Oeſterreich iſt das Heimathsland meiner edlen Königin Karoline, ſagte der Marquis ernſt, und die Kaiſerin iſt die Tochter meines Kö⸗ nigs. Was ich vermag und bin, ſteht daher dem öſterreichiſchen Kai⸗ ſerhauſe zu Gebot. Ich fürchte, wir werden heute einen ſchweren Stand haben, Marquis, ſeufzte Graf Cobenzl. Dieſer franzöſiſche General iſt vraiment ein Sansculotte von der ſchlimmſten Sorte. Es fehlt ihm alle Nobleſſe, aller bon ton und alle Feinheit! Ach, Herr Graf, ich halte dieſen Bonaparte hingegen für einen 71 Kopf von großer Yeinheit, und ich denke, wir müſſen fehr auf unferer Huth fein, um ihm einige Vortheile abringen zu können. Sie glauben, Marquis? fragte der Graf mit einem ungläubigen Lächeln. Sie haben alfo nicht gefehen, wie fein bronzenes Geſicht fi verflärte, als ich ihm vor einigen Tagen das Handfchreiben Sr. Ma⸗ jeftät des Kaiſers gab? Sie haben nicht gefehen, wie er erröthete vor Vergnügen, als er es las? Oh, ich habe es gejehen, und in jenem Moment jagte ich mir felber: dieſer republikaniſche Bär ift nicht un⸗ empfinblich.gegen die Gunft und Hulp der Großen, Schmeicheleien find eine Speife, die er gern ißt, wir werben ihn alfo bamit füttern und er wird unſer fein und uns ven Willen thun, ohne daß er es merft. Die ‚große Kaiferin Katharina ‚pflegte immer zu jagen: Die Bären zäbmt man am Beften durch Zuckerbrod und die Republifaner. durch Ordensbänder und Titel. Run denn, wir werben biefem Bären Zuder- brod geben. Sehen Sie nur, Marquis, wie ich ihn ehre! Ich laſſe ihn Heute feine Chocolade aus meinem herrlichſten Kleinod trinken, aus biefer Taſſe bier, welche mir die große Kaiferin geſchenkt bat und auf ‚welcher, wie Sie fehen, der Czaarina Bild gemalt iſt. Ach es war bei dem Ietten Felt in der Eremitage, als fie mir die Taffe mit Cho- colade darreichte, und um ihr erft den wahren Werth zu geben, be- rührte fie ben Rand der Taffe mit ihren .erhabenen Tippen, fchlürfte von der Chocslade und erlaubte mir alsdann, auf derſelben Stelle zu trinken, wo fie getrunten hatte. Dieſe Zaffe tft daher eine meiner fü- Beften Erinnerungen. an Petersburg, und der Kleine General Bonaparte darf fehr ftolz darauf fein, aus Katharina’s Tafle trinken zu bürfen. Ia, ja, wir wollen vem Bären Zuckerbrod geben, aber er fol alsdann auch nad unſerm Willen tanzen. Wir wollen nicht nachgeben, ſondern er fol uns nachgeben! Wir müflen unfere Forderungen ſo hoch ſpannen als möglich. Wenn man eine Saite allzuhoch ſpannt, pflegt ſie gewöhnlich zu reißen, ſagte der Italiener bedächtig. Der General Bonaparte, fürchte ich, wird nicht einwilligen, irgend etwas zu thun, was der Ehre und Würde Frankreichs entgegen iſt. Außerdem hat er noch eine ſchlimme Eigenſchaft, — er iſt unbeſtechlich, und felbft die Orhenskän- 72 ⸗ der und Titel der Kaiſerin Katharina würden dieſen Republikaner nicht gezähmt haben. Laſſen Sie uns klug und beſonnen ſein, Herr Graf, fordern wir viel, aber geben wir zu rechter Zeit nach und ſeien wir mit etwas Wenigerem zufrieden, damit wir nicht Alles verlieren. Oeſterreich kann nur einen Frieden eingehen, der ſeine Grenzen erweitert und fein Gebiet vergrößert, rief Cobenzl haſtig. Gewiß haben Sie Redt, ſagte der Marquis de Galle bedächtig, aber Defterreich kann fid) doch nicht auf Koften Frankreichs vergrößern wollen. Wozu ift denn dieſes fogenannte Deutfchland ta? Nehme fih doch Defterreih, was es haben will, ein Stück von Baiern, ein Stüd von Preußen, meinetwegen gebe es Frankreich aud ein Stüd von Deutfchland, vie liebe Aheingrenze ‚zum Beifpiel! Mein Gott, diefes fogenannte deutjche Reich ift Doc wohl morſch genug, daß man ohne Mühe einige Stückchen davon abbrödeln fann? - Sie find fehr Hart gegen das arme deutfche Reich, fagte Graf Cobenzl lächelnd, das macht, Sie find eben fein Deutſcher, und des⸗ halb, Marquis, find Sie auch befjer dazu geeignet, wie es ſcheint, in diefer Angelegenheit als Defterreih8 Bevollmädtigter zu "wirken. Aber ſeltſam und komiſch bleibt es immer doch, daß in dieſen Ber- handlungen, bei denen es fich zumeift um das Wohl und Weh Deutjch- lands handelt, ver Kaiſer von Deutſchland durch einen Staliener, und die Republit Frankreich durch einen Corfen vertreten wird. Sie vergeffen Sich felbft, theuerfter Graf, fagte der Marquis verbindlich. Ste find der eigentliche Vertreter des deutſchen Kaifers, und ich fehe, daß ver Kaifer die Intereſſen Deutſchlands in Feine bef- feren Hände hätte nieberlegen können. Aber da Sie mir erlaubt haben, Ahnen als Rathgeber zur Seite zu ftehen, jo möchte ich Sie bitten, zu bevenfen, daß das Wohl Defterreihs dem Wohl Deutſchlands vorangehen muß! Und — aber hören Sie nur, da rollt ein Wagen heran! Es ift ver General Bonaparte, fagte Graf Cobenzl, an das Fenfter eifend. Sehen Sie nur, in welcher prächtigen Carroſſe er daher kommt. Sechs Pferde ziehen feinen Wagen, vier Bebiente figen auf dem Bod, und eine ganze Schwadron Lanciers escortirt ihn. Und Cie fagen, 73 biefer Republikaner fei nicht empfänglich für Schmeicheleien? Ach, ach, wir wollen dem Bären Zuderbrod geben! Kommen Sie, ihn zu em⸗ pfangen! Er nahın den Arm des Marquis und eilte mit ihm dem General entgegen, deſſen Wagen eben vor dem Haufe anhielt. Auf der Mitte der Treppe trafen die öfterreihifchen Diplomaten mit Bonaparte zufammen und geleiteten ihn hinauf in den Salon, in welchem das Dejeneur ihrer harıte. Aber Bonaparte lehnte das Dejeuner ab, troß der dringenden und wiederholten Aufforderungen des Grafen Cobenzl. - Sp nehmen Sie mindeftens, um fich zu erwärmen, eine Taſſe Cho- colade, bat ver Graf. Trinken Sie aus diefer Taffe, General, und ſei's auch nur, um mir ben Werth derfelben zu erhöhen. Die Kaiferin Katharina hat mir dieſelbe verehrt und hat Daraus getrunken, und wenn auch Sie dieſe Taſſe jetzt benugen, fo Fünnte ich mich rühmen, eine Taffe zu befiten, aus welcher der größte Mann und die größte Frau biefes Jahrhunderts getrunten haben! Ich trinke nicht, Graf, fagte- Bonaparte barſch, ich mag feine Ge⸗ meinfchaft haben mit biefer kaiferlichen Meffaline, welche burd ihr lie- verliches Leben bie Würde der Krone und der Frau gleich fehr entehrt hat. Sie fehen, ich bin ein ſtarrköpfiger Republikaner, welcher es nur verfteht, von Geſchäften zu ſprechen! Laſſen Sie uns. daher von biefen reden! ⸗ Er ſetzte ſich, ohne eine weitere Einladung abzuwarten, auf ben Divan, ber. unfern von dem Frühftädstifch ftand, und bebeutete Den beiden Herren mit einer. raſchen Hanpbewegung, neben ihm Plag zu nehmen. Ich babe Ihnen vorgeftern mein Ultimatum gegeben, fagte Bo- naparte-trogig, ‚haben Sie e8 überlegt und wollen Sie es annehmen? Diefe barfche und haftige Frage, welche fo grade auf pas Ziel lesging, verwirrte die beiden Diplomaten. Wir wollen mit Ihnen er- wägen und berathen, was fid) thun läßt, fagte Graf Cobenzl ſchüchtern. Frankreich verlangt zu viel und bietet zu wenig. Oeſterreich ift bereit, Belgien an Frankreich abzutreten und die Lombarbei aufzugeben, aber 74 e8 verlangt dafür das ganze Gebiet von Venedig, Mantua mit einge: ſchloſſen. Mantua muß bei der neuen eisalpiniſchen Republik verbleiben, rief Bonaparte heftig. Es iſt das eine Bedingung meines Ultimatums, und Sie ſcheinen das vergeſſen zu haben, Herr Graf. Und Sie ſagen nichts von den Rheingrenzen, nichts von ber Feſtung Mainz, welde beide ich für Frankreich beanfpruche? Aber, General, der Rhein gehört nicht zu Oeftsrreih und in Mainz liegen deutfche Truppen. Wir können nicht weggeben, was uns nicht gehört! Gebe ich Ihnen nicht Venedig? rief Bonaparte. Venedig, das noch bis zu dieſer Stunde ein ſelbſtſtändiger Staat iſt, und deſſen De⸗ putirte in meinem Quartier ſitzen und auf meinen Beſcheid warten! Der Kaiſer von Deutſchland hat wohl das Recht, eine deutſche Reichs⸗ feſtung fortzugeben, wenn's ihm beliebt. Auch iſt ja Oeſterreich gar nicht abgeneigt, die Rheingrenze an Frankreich abzutreten, bemerkte der Marquis de Gallo. Ueberhaupt iſt Oeſterreich gern geneigt, ſich enger an Frankreich anzuſchließen, um den ehrgeizigen Plänen Preußens Widerſtand zu leiften. Oeſterreich muß ſicher ſein, daß, wenn es für ſich ſelber im Ein⸗ verſtändniſſe mit Frankreich neue Erwerbungen macht, man nicht auch Preußen das Recht zu neuen Erwerbungen einräumen will, ſagte Graf Cobenzl baftig. *) Frankreich und Defterveich könnten. fih in einem geheimen Traktat verpflichten, Preußen keine weitern Erwerbungen machen zu laflen, ſon⸗ bern. ihm einfach feine früheren Befigungen am Rhein wiederzugeben, fagte ve Gallo. \ Reben wir zuerft von ber Hauptfache, rief Bonaparte ungebulbig. Bon meinem Ultimatum! Ic, babe Ihnen im Namen Frankreichs ben Frieden geboten unter der Bebingung, daß Fraukreich die Gebiete links vom Rhein nad den vertragsmäßigen Grenyen mit Einſchluß e) Die eigenen Worte des Grafen Eobenzl. Siehe: Deutſche Gefchichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Grundung bes deutſchen Bundes. Bon Ludwig Häufſer. Th. IL ©. 129. 75 von Mainz erhalte, daß in Italien die Etſch zwifehen Defterreih und der ciSalpinifchen Republik vie Grenze bilde, fo daß alfo auch Mantua zu derſelben gehöre. Sie treten Belgien an Franfreich ab, dafür über- lafien wir Ihnen das Benetianifche Feftland, nur die Iufeln im Jo⸗ uifchen Meer und Corfu fallen an Frankreich, und die Etfch bildet Die Grenze des Benetianifhen Oeſterreichs. Sch fagte Ihnen ſchon zuvor, General, fagte Graf Cobenzl mit feinem freundlichiten Lächeln, wir können dieſe letztere Bedingung nicht eingeben! Mantua muß uns. auch noch zufallen, wir. geben Ihnen bafür Mainz, und wicht vie Etih, fondern die Adda muß unfere Grenze fein! Ah, Sie machen neue Schwierigkeiten, neue Ausflüchte, vief Bonaparte, und ein flammender Zornesblid feiner Augen traf ven Dipiomaten. | Aber dieſer Zorneshlid prallte ab an dem freundlichen Lächeln des Grafen. Ich erlaubte mir, Ihnen auch unfer Ultimatum zu fagen, General, fagte er janft, und ich fehe mich leiver zu der Erklärung ge- nöthigt, daß, wenn Sie nicht annehmen, ich mich gezwungen fehe, ab- zureifen. Aber ih made Sie alsdann verantwortlich für das Blut der. Taufende, das dann wieder vergoſſen werben wird! Bonaparte fprang auf mit flammenden Bliden, mit wuthzitternden Lippen. - Gie. wagen es, mir zu drohen? rief er zornig. Sie machen Aus- flächte und immer wieder Ausflüchte! Sie wollen alfo durchaus ben | Krieg? Rum gut, Sie fellen ihn haben! Haftig firedte er den Arm aus und ergriff die koftbare Tafle, das Geſchenk der Kaiferin Katharina an den Grafen Cobenzl, und fchlen- derte fie mit eimer ungeftümen Bewegung zur Erbe nieber, daß fie klirrend in Scherben zeriprang. Secechen Sie, rief er. mit boımernder Stimme, fo wie biefe Taſſe fol Ihre öfterreihifche Monarchie zerfchmettert fein, noch bevor brei Monate vergangen find. Das verfpredhe ich Ihnen!“) ) Bonaparteis eigene Worte. Siehe: Memoires d’un homme d’etat. Vol. IV. ©. 589. 4 76 Ohne die beiden Herren noch eines weitern Blicks zu würdigen, eilte er mit heftigen Schritten ver Thür zu und ging hinaus. Bleich vor Entfeßen und vor Zorn ftarrte Graf Cobenzl auf die Scherben ver koſtbaren Taffe nieder, die jo lange jein. Stolz und ferne Freude gewefen. Er gebt, murmelte Marquis de. Gallo. Wollen wir ihn denn gehen laſſen Graf? Womit könnten wir dieſen Bären halten! —* der Graf ae zudend. In diefem Moment hörte man. draußen im Borzimmer— Bona- parte’s mächtige Stimme, welche rief: Heda, einen Orbonnanz-Offizier, ſogleich! | - Er ruft zum Fenfter hinaus, fläfterte der Marquis, hören ı wir doch, was er fagt! Die beiden Diplomaten ſchlüpften auf den Zehen nach dem Fenſter bin, vorſichtig hinter den Draperieen deſſelben hervorlugend. Sie ſahen, wie drunten ein franzöſiſcher Lancier heranſprengte und, unter dem Fenſter des Nebenſaales anhaltend, ſalutirte. Wieder vernahmen fie alsdann Bonaparte's donnernde Stimme. Sie reiten in's Hauptquartier des Erzherzogs Carl, rief Bonaparte. Verkünden Sie ihm in meinem Namen, der Waffenſtillſtand ſei aufge⸗ hoben, und der Krieg beginne von Stun an. Weiter nichts! Borwärts! Jetzt hörte man ihn klirrend das Fenſter zuſchlagen u und mit halle dem Schritt den Vorſaal durchſchreiten. Die beiden Diplomaten fahen fih mit ftarrem Entſetzen am. Graf, flüfterte ver Marquis, hören Sie, er geht, und er hat Deiter- reich den Untergang gedroht. Er ift der Mann dazu, feine Drohungen wahr zu machen! Mein Gott, dürfen wir ihn denn im Zorn abreiſen laſſen? Haben Sie die Vollmacht dazu? Wollen Sie's verſuchen, dem Sturmwind Stillſtand zu gebieten? fragte Graf Cobenzl. Ja, ich will's verſuchen, denn wir dürfen nicht mit ihm brechen und nicht den Krieg wieder beginnen! Wir müſſen den Fürchterlichen verſöhnen! | 7. Er ſtürzte zur Thür hin und eilte mit -beflägelten Schritten über ven Borjaal und die Treppe hinunter zur Hausthür. | Bonaparte hatte fehon feine Caroſſe beftiegen, feine Esforte hatte ih ſchon geordnet, der: Kutſcher faßte hen vie Zügel und hob bie Peitfche, um den. ftampfenden Roffen das Zeichen zur Abfahrt zu geben. In dieſem Moment zeigte ſich am Wagenſchlag das bleiche, de⸗ muthsvolle Antlitz des Marquis de Gallo. Bonaparte ſchien ihn nicht zu ſehen, in die Polſter zurückgelehnt, ſchaute er düſtern Auges zum Himmel empor. | General, f agte | ber Marquis flehend, ich beſchwöre Sie, reifen Sie nicht ab. Marquis, erwieder Bonaparte achjelzudend, es ziemt mir nicht, friedfertig bei meinen Feinden zu bleiben. Der Krieg ift erklärt, venn Sie haben mein Ultimatum nit angenommen! Do, General, ich erlaube mir, Ihnen zu melden, daß bie Bevollmächtigten Defterreichs entfhloffen find, Ihr Ultimatum anzu⸗ nehmen! | Bonaparte's ehernes Angeficht zeigte nicht Die leifefte Bewegung ber Ueberrafchung und der Freude, nur heftete er feine großen Augen mit einen durchbohrenden Blid auf den Marquis. . Anzunehmen ohne Winfelzüge und Vorbehalte? fragte er langfam. Ja, General, ganz fo, wie Sie e8 wollen! Wir find’ bereit, ven Frieden zu unterzeichnen und das Ultimatum anzunehmen. Haben ‚Sie nur die Güte, wieder auszufteigen und mit uns die Conferenz fortzuſetzen. Nicht doch, ſagte Bonaparte, man muß nie wieder einen Schritt zurückthun, den man vorwärts gethan. Da ich einmal ſchon in meinem Wagen ſitze, will ich nicht umkehren. Auch erwarten mich die Depu⸗ tirten der Benetianiſchen Republik in Paſſeriano, und es iſt wohl Zeit, ihnen auch mein Ultimatum zu geben. In drei Stunden, bitte ich Sie, Herr Marquis, und den Grafen Cobenzl, ſich zu mir nach Paſſe— riano verfügen. zu wollen. Dann wollen wir. gemeinfdaftlic Die 78 Friedens⸗Artikel berathen, und vie Bffentlihen, To wie bie geheimen Artikel deſſelben feftfeßen. Aber Sie vergeſſen, General, daß Ihr Orbonnanz- Offizier. ſchon in's öſterreichiſche Hauptquartier eilt, um den Waffenſtillſtand aufzu⸗ kündigen. Das iſt wahr, ſagte Bonaparte gelaſen. Heda, zwei Ordon⸗ nanzen. Eilen Sie der erſten Ordonnanz nach, und bringen Sie dem Offizier meinen Befehl, umzukehren! Sie fehen, Herr Marquis, daß ih an bie Aufrichtigkeit Ihrer Gefinnungen glaube. Im drei Stun ven aljo erwarte ich Sie in Paſſeriano zur Feſtſetzung ver Friedens⸗ Artifel. Unterzeihnen aber wollen wir den Frieden auf neutralem Boden. Sehen Sie dort drüben am Horizont das hohe graue Ge bäude? Ja, General, das iſt das alte, verfallene Sci von Campo Formio! Nun, in dem verfallenen Schloß wollen wir den Frieden unter⸗ zeichnen! In drei Stunden alſo! Bis dahin leben Sie wohl! Er grüßte von feinem Sig herunter mit einem leichten Kopf⸗ neigen den Marquis, der bemüthig, wie ein Bafall zu den Füßen bes Thrones, an dem Wagen ftand, den Federhut in der Hand, fich fortwährend tief verneigend und feinen Hut zum Abſchied ſchwen⸗ fend. *) Vorwärts! rief Bonaparte, und dahin braufte der Wagen, gefolgt von feiner glänzenden Suite. Bonaparte aber lehnte nadhläffig in der Ede, und mit einem heimlichen Lächeln fagte er leife zur fih felber: „Es war ein Theater⸗ coup, und wie es ſcheint, ift er mir ziemlich gut gelungen! Sie haben *) Napoleon erinnerte fih noch auf &t. Helena mit großem Ergöten biefer Scene und erzählte fie dem General Gonrgaud. „Monsieur de Gallo, fagt er, m’accompagna jusqu’& mon carrosse, essayant de me retenir, me tirant forcecoups de chapeau, et dans une attitude si pitieuse, qu’en depit de ma colere ostensible, je ne pouvais m’empächer d’en rire interieurement beau- coup.“ — Memoires de Napoleon, dictees par lui-möme au general Gour- gaud. Vol. I. 79 ben Frieden von mir als eine Gnade annehmen müäflen. Ach, wein fie geahnt hätten, ie fehr ich feiner bedurfte! Aber diefe Menfchen ahnen nichts und fehen nichts! Sie haben kein Ziel, fie leben nur von Minute zu Minute, und wenn fie auf ihrem Wege einen Abgrund finden, fo ftürzen fie hinein und find rettungslos verloren! Mein Gott, wie jelten find doch die wirklichen Männer! In Italien allein find achtzehn Millionen, und ich habe faum zwei Männer darımter gefun- den!*) Diefe zwei Männer will ich retten, die Andern aber mögen ihr Geſchick erfüllen. Die Republik Venedig fol vom Erdboden verjchwin- ben, dieſe graufame und blutbürftige Regierung joll vernichtet werben! Bir werfen fie dem heißhungrigen Defterreich als eine Beute vor, aber wenn es fie verfchlungen hat und in träger Berbauungsruhe fich dehnt, dann wird es Zeit fein, Defterreich aufzuftören aus biefer Ruhe! Bis dahin — Frieden mit Defterreih! Frieden!" — Drei Tage fpäter ward in dem verfallenen Schloß von Campo Formio der Frieden zwiſchen Defterreich und Frankreich unterzeichnet. Frankreich gewann in diefem Frieden Belgien, das linke Rheinufer und die Feſtung Mainz. Defterreich gewann das Venetianiſche Gebiet! Aber diefen Erwerbungen, welche man veröffentlichte, waren nod) geheime Artikel Hinzugefügt. Im tiefen geheimen Artikeln verſprach Franfreih, daß, wenn Preußen verlange, gleich Defterreich neue Be⸗ figungen zu erwerben, Frankreich dies nicht gut heißen werbe. Dagegen verpflichtete ſich der Kaifer von Defterreih, daß er noch vor dem Schluß des Reichsfriedens, der in Raſtatt gefchloffen werben follte, feine Truppen aus Mainz, Ehrenbreititein, Mannheim, Ulm, und im Allgemeinen aus dem deutſchen Keich herausziehen wollte, mit an- dern Worten, daß er das deutſche Reich wehrlos feinem franzöfifchen Nachbar überlaffen wolle. **) Defterreich hatte fich vergrößert, aber Deutſchland jolte mit jenem _ Blut und Leben dafür zahlen. *) Bonaparte's eigene Worte. Siehe: Bourrienne Vol. I. ©. 139. **) Schloffer: Geſchichte des achtzehnten Jahrh. ꝛc. Vol. V. ©. 48. 80 Defterreich hatte zu Campo Formio feinen Frieden mit Frankreich gemacht, und es war darin feftgefegt, daß. auch das beutjche Reich feinen Frieden mit Frankreich zu machen habe. Ein Congreß ſollte zu dieſem Zweck in Kaftatt zuſammentreten, | alle deutfchen Fürften jollten dahin ihre Geſandten fchiden, um mit drei Vertretern der franzöfifchen Republif das Schickſal des deutſchen Reichs zu beftimmen, Zweites Bud). Der junge König Sriedric Wilhelm II. SWRüplsad, Mapoleon. I. Bb. 8 I. Bas junge Königspaar. Die Frau Oberhofmeifterin von Voß ging mit unrubigen Schritten: im Borfaal der Königin Zouife auf und ab. Sie war in großer Gala, mit langem ſchwarzem Schleppfleid, die große Schnebbenhaube von ſchwarzem Krepp auf dem Haupt. Im ihren weißen, mit halben Ihwarzen Filethandſchuhen bededten Händen hielt fie den großen Fächer, den fie ungebuldig bald öffnete und ſchloß, bald wie einen Taktirſtock langfam auf und ab bewegte. Wäre irgend Jemand da gewefen, der fie hätte beobachten können, fo würde die Gräfin Oberhofmeifterin ſich diefe ausbrechenden Zeichen ihrer Ungeduld nicht erlaubt haben, doch fie war zum Glüd allein und in ber Einfamfeit durfte felbjt eine Oberhofmeifterin fi wohl geflatten, einmal die Etifette zu verlegen, bie Etifette, welche fonft das Evangelium der Frau Gräfin war. Aber gerade die Etikette war es ja, um berentwillen Die Oberhof» meifterin in fo großer Bewegung war, und ber Etifette wollte fie eben jeßt, bier im Vorzimmer der Königin, einen Sieg erringen. - Jetzt oder nie muß es gejchehen, murmelte fi. Was ich leiden durfte während des Kronprinzentbums, darf ich jet dem jungen Kö⸗ nigspaar nicht mehr geftatten, und darum muß ich gleich heute, am erften Tage der Regierung des Königs,*) ein ernftes und aufrichtiges Wort mit ihm reden, wie e8 meine Stellung und meine Pflicht erforbern. *) 16. November 1797, 6* 84 Eben öffnete ſich die große Flügelthür und eine hohe, fchlanfe Männergeſtalt in glänzender Uniform trat herein. Es war der junge König Friedrich Wilhelm ver Dritte, welcher fo eben auf dem innern Hof des Schloffes Die Generalität dem neuen Monarchen den Fahneneid hatte ſchwören laſſen. Das edle, jugendliche Antlitz des jungen ſiebenundzwanzigjährigen Königs war ernſt und ſtreng, aber aus ſeinen großen blauen Augen ſprach eine tiefinnerliche Milde und Freundlichkeit, und ein wunderbarer Frieden leuchtete aus ſeinem ſchönen und guten Angeſicht. Mit haſtigem, leiſem Schritt ging er durch das Gemach und ſich leicht und freundlich vor der Oberhofmeiſterin verneigend, näherte er ſich der gegenüberliegenden Thür. Aber die Oberhofmeiſterin vertrat ihm den Weg und. ſich gerade vor dieſe Thür hinſtellend, ſagte ſie ernſt: Majeſtät, es iſt unmöglich! Ich darf es nicht zugeben, daß ſo aller Etikette und Form Hohn geſprochen wird, und ich muß Ew. Majeſtät bitten, mir gnädigſt zu ſagen, wad Sie beabſichtigen. Nun, ſagte der König mit einem ſanften Lächeln, ich beabſichtige, heute zu thun, was ich jeden Morgen um dieſe Stunde thue, ich be» abfichtige, meiner Frau einen Beſuch zu machen. Ä Ihrer Fran! rief die Oberhofmeifterin entfegt. Aber, Majeftät, ein König hat Feine Frau! Ad, dann wäre ein König ja wahrlich zu beflagen, fagte ber König lächelnd, und ich meinestheil® würde lieber meiner Krone, ale meiner Frau entfagen! Mein Gott, Majeftät, mögen Sie immerhin eine Frau haben, aber ih muß Sie beſchwören, Ihre Majeftät nicht vor andern Men- ſchen mit diefem Namen zu nennen. Es iſt gegen die Etikette und ſchadet der Ehrfurdtt. Meine liebe Gräfin, fagte der junge König ernft, ich glaube viel- mehr, daß es die Ehrfurcht erhöhen kann, wenn Ihro Majeftät zugleich im ebelften und ſchönſten Sinn eine Frau bleibt, und Das ift meine Frau, verzeihen Sie, ich wollte jagen, die Königin. Und jett, meine Jiede ®räfin, erlauben Sie, daß idy zu meiner Frau gehe! 85 Nein, rief die Oberhofmeifterin entfchlofien, Ew. Majeftät müſſen erft die Gnade haben, mich anzuhören. Geit einer Stunde erwartete ih hier die Ankunft Eurer Majeftät und Sie müflen mir jest gnädigſt geftatten, zu Ihnen offen und frei zu reden, wie e8 meine Pflicht und mein Amt befiehlt. | Nun, fo reden Sie, liebe Gräfin, fagte der König mit einem leifen Seufzer. -Majeftät, fagte die Oberhofmeifterin, ich halte es für Pflicht, jetzt an dieſem wichtigen Tage Ew. Majeftät zu beſchwören, daß mir die Macht gegeben werde, mein Amt mit mehr Strenge und Entſchie⸗ denheit zu verwalten. Und mid, jelber unter Ihr Scepter zu beugen. Nicht wahr, das wollen Sie jagen, Frau Oberhofmeifterin? fragte der König lächelnd. Sire, es ift wenigftens unmöglih, die Würde und Hoheit eines ‚Königshaufes aufreht zu erhalten, wenn der König und die Königin jelber allen Gefegen der Etikette Hohn fprechen! | Ach, rief der König rafch, Tein Wort gegen die Königin, meine liebe Dberhofmeifterin. Klagen Sie mich felber an, fo viel Ihnen beliebt, aber feine Borwürfe gegen meine Rouife, wenn ich bitten darf! Nun alfo, was ift es, worin habe idy ſchon wieder gefehlt? Sire, fagte die Oberhofmeifterin würdevoll, fehr wohl das leife Lächeln bemerfend, welches bie Lippen des Königs umfpielte, Site, ih fehe wohl, daß Ew. Majeftät mid, innerlich verfpotten, aber ich halte e8 dennoch für meine Pflicht, meine mahnende Stinnme verneh- men zu laflen. Die Etikette ift eine große und heilige Sade, fie ift bie geweihte Schugmauer, welche den Fürften von feinem Volk trennt. Hätte die unglüdlihe Königin Marie Antoinette nicht dieſe Mauer niedergeriffen, jo würde fie vielleicht ein minder trauriges Ende ge⸗ habt haben. . Ah, Gräfin, Sie gehen zu weit, Sie drohen fogar mit der Guil⸗ lotine, rief der König gutmüthig. Da muß ich mich wohl in der That fhwer vergangen haben! Sagen Sie aljo, was Sie abgeändert zu ſehen wünfchten, und ich gebe Ihnen mein Wort, wenn id) es vermag, will ich es thun! 86 — Sire, bat die Oberhofmeiſterin leiſe und eindringlich, haben Sie nur die Gnade, in Ihrem Haufe weniger Hausvater und mehr König zu fein, wenigftens im Beifein Anderer! Es kommt aber vor, daß Ew. Majeſtät im Beifein Anderer die Königin ohne alle Form. bloß mit Du anrevden, ja, Em. Majeftät haben fogar oft fremden und untergeorbneten Perfönlichkeiten, felbft Dienern die Ehre erzeigt, daß, wenn Sie von Ihrer Majeftät Sprachen, Sie biefelbe kurzweg „meine Frau” nannten. Sire, das mochte in dem befcheidenen Familienkreiſe und Hauje eines Kronprinzen zu entfchuldigen fein, aber es ift un- möglich in dem Palaft eines Königs. Alſo, fragte der König lächelnd, dieſes Haus hier hat ſich feit geſtern in einen Palaſt verwandelt? Ew. Majeſtät beabſichtigen doch gewiß nicht, auch als König in dieſem beſcheidenen Hauſe zu bleiben, fragte die Oberhofmeiſterin entſetzt. Ihre aufrichtige Meinung als Oberhofmeiſterin, liebe Gräfin: können wir nicht in dieſem Haufe”bleiben? Aufrihtig, Majeftät, das ift ganz unmöglich! Wie follte man in dieſem Heinen Haufe mit Anftand und Würde den Hof eines Königs und einer Königin führen können. Die Hofhaltung der Königin muß ja um das Doppelte erhöht werben, wir müflen vier Hofdamen, vier Kammerfrauen und in dieſem Berhältniß abwärts alle Dienerfchaft verdoppelt haben. Ebenfo müfjen ja den Regeln der Etikette gemäß auch Em. Majeftät Ihr Haus vergrößern. Ein König muß zwei Ge- neral- Apjutanten haben, ferner vier Kammerherren, vier Kammer Diener und — ‚Halt, unterbrady fie der König lächelnd, mein Haus gehört glüd- lihermweife nicht in Das Departement einer Oberhofmeifterin, und wir können alfo darüber jchweigen. Im Uebrigen werde ich mir Ihre Vor- ſchläge und Wünfche überlegen, denn ich hoffe, Sie find jest am Ende mit denjelben. Majeftät, ich babe noch fehr viel zu fagen, und es muß heute gejagt werden, meine Pflicht erforbert es, ſagte die Oberhofmeiſterin gravitätiſch. Der König warf einen ſehnſuchtsvollen Blick nach der Thür und 87 feufzte tief auf: Nun denn, reden Sie, da es Ihre Pflicht erforvert, fagte er. | Ih muß alſo Ew. Majeftät befhwören, daß Sie mir beiftehen in meinem ſchweren Amt. Nur, wenn das Königspaar felber fi ven ſtrengen und gerechten Anforberungen ber Etikette unterwirft, kann ich mit Ernft und Strenge das aud von dem ganzen Hof beanfprucden. Es reift aber jeßt ein Geift der Neuerungsſucht und Formloſigkeit ein, der mich tief beträbt und den ich nicht billigen kann. Auch die Hof- bamen und Kammerherren werben ſchon davon ergriffen, und ba fie gehört haben, wie Ew. Majeftät aller Etikette zuwider im Geſpräch mit Ihro Majeſtät der Königin Sich ftatt der franzöfifhen Sprache, welche doch überall in Deutfchland die Hoffpradje iſt, oft der vulgären deutfhen Sprache bedienen, fo meinen fie auch berechtigt zu fein, zu- weilen deutſch zu fprehen. Ya, es iſt unter ihnen förmlich Mode ge- worden, daß fie ſich beim Dejeuner mit einem deutfchen „guten Morgen“ begrüßen.*) Das ift eine Neuerung, die fich eigentlid Niemand er- lauben bürfte, ohne dafür die Billigung ver Oberbofmeifterin ver Kö— nigin und des Dberhofmeiftere Em. Majeſtät eingeholt zu haben. Berzeihen Sie, fagte der König ernft, in diefem Punkt kann ich Ihre Meinung nicht theilen. Seine Etikette darf es einem deutſchen Mann oder einer deutfchen Frau verbieten, in ihrer Mutterfprache zu einander zu reden, vielmehr ift es Unnatur und Ziererei, wenn bies nicht gefchieht. Damit die Deutfchen ſich als Deutfche fühlen, müffen fie vor allen Dingen ihre eigene Sprache lieben und ſich nicht mehr berablafien, die Sprache eines Landes zu der ihren zu maden, das fi mit dem Blut feines Königspaares befledt hat, und deſſen unfeliges Beijpiel jeßt alle Throne zittern macht. Ich wünſchte fehr, daß es an meinem Hofe immer mehr Sitte werden möchte, der deutſchen Sprade fi zu bedienen, denn deutſch zu fühlen, zu denken und zu fpreden, das fteht den Deutſchen wohl an, und das wird aud) bie befte Schugmauer fein, die man den blutigen Wogen der franzöfijchen Republik entgegenftellen kann, wenn fie auch nah Deutſchland ſich *) Ludwig Hänffer: Deutſche Geſchichte ꝛe. Th. II. 88 herein wälzen möchte. Sie wiflen jett jetst meine Anſicht, Frau Ober- hofmeifterin, und ich bitte Sie, wenn in Ihrem Ceremonienbuch vor- ‚gefchrieben fteht, daß die Hofbeamten ſich der franzöſiſchen Sprache in der Converfation zu bebienen haben, biejer Artikel ausgeftrihen und ftatt defjen gefchrieben werde: „ba Preußen ein deutſches Land: ift, fo iſt natürlich Jedermann erlaubt, deutfch zu ſprechen; e8 wird dies aud bei Hofe geichehen, vorausgefegt, daß ſich Niemand in der Gefellfchaft befindet, welcher der deutſchen Sprache nicht mächtig iſt.“ Ich bitte, vergeflen Sie das nicht, und jest, Frau Oberhofmeifterin, da Sie doch eine jo firenge Hüterin jener Thür und der Etifette find, jetzt erfuhe ih Sie, mid Ihro Majeftät meiner Gemahlin anzumelden und anzufragen, ob id die Ehre haben fann, Ihro Majeftät zu ſpre⸗ hen; ich möchte ihr gern mein Kompliment machen und hoffe, fte wird es gnädigſt geftatten.*) Die Oberhojmeifterin verneigte ſich mit freudeſtrahlendem Geſicht und trat dann raſch durch die Thür in das anſtoßende Gemach. Der König ſchaute ihr einen Moment lächelnd nach. Sie hat ſechs Säle zu durchwandern, bevor ſie zu Louiſens Wohnzimmer gelangt, ſagte er leiſe vor ſich hin. Jene Thür aber führt durch den kleinen Corridor und das kleine Vorzimmer gerade zu ihr. Das iſt der kürzeſte Weg, und den gehe ich! Und ohne ſich weiter zu bedenken, öffnete der König raſch die kleine Tapetenthür, ſchlüpfte durch den ſtillen Corridor und das kleine Vorzimmer und klopfte an die hohe, mit ſchweren Portieren verhan⸗ gene Thür. Eine helle Frauenſtimme rief: Herein! und fofort öffnete der König bie Thür. Eine junge Dame in tiefer Trauer fam ihn entgegen und reichte ihm jetzt ihre beiden Hände bar. Ob, mein Herz fagte mir, daß Du es feift, mein geliebtefter Freund! rief fie, und ihre wundervollen blauen Augen hefteten ſich auf ihn mit einem unausſprechlichen Liebesblick. *) Des Königs eigene Worte. Siehe: Characterzüge und hiſtoriſche Frag⸗ mente aus dem Leben bes Königs von Preußen, Friedrich Wilhelm III. Ge— Jammelt und herausgegeben von R. Fr. Eylert, Biſchof ıc. Th. UI. ©. 91. 89 Der König ſchaute fie an mit eimem träumerifchen Lächeln, ganz verloren in ihren Anblid. Und in der That, e8 war ein lieblicer, ſchöner und herzgewinnender Anblid, den biefe junge Königin von zwanzig Jahren darbot. Ihr blaues Auge ſtrahlte im Feuer der Jugend, der Begeifterung und des Glückes, ihr fein gefchnittener Mund mit ben purpurrothen Lippen war ſtets von einem holden Lächeln umhaucht, zu den beiden Seiten ihrer fanft gerötheten Wangen floß ihr ſchönes bunfelblondes Haar in lodigen Wellen nieder, ihre edle, reine Stimm wölbte fid, über einer feingefchwungenen Nafe, und zu dieſem fchönen und jugendlichen Angefiht paßte in vollfter Harmonie die zugleich ftolze und reizende, üppige und keuſche Geftalt voll edler, königlicher Würbe und lieblicher Frauen⸗Anmuth. Nun? fragte die Königin lãchelnd. Du ſagſt mir kein Wort zum Willkommen, Geliebter? Ich ſage Dir nur: Gott ſegne Dich auf Deinem neuen Wege und Gott erhalte Dich mir, fo lange ich lebe! rief der König tief bewegt, bie Königin mit leidenfchaftlicher Zärtlichkeit in feine Arme jchließend. Sie ſchlang ihre beiden ſchönen Arme um feinen Naden und Ichnte ihr Haupt mit einem feligen Lächeln an feine Schulter. So ruhten fie aneinander, . [hweigend vor unausfprechlihem Glück, feierlich geftimmt in dem tiefen Bewußtfein ihrer ewigen, unvergänglichen Liebe. Blöglih wurden fie aus dieſem fühen Schweigen aufgefchredt durch einen leifen Schrei, und wie. fie zufammenfchredend fi) rafch ummanbten, fahen ſie die. Oberbofmeifterin, Gräfin von Voß, welde da brüben in ver geöffneten. Thur ſtand und mit düſtern Blicken zu ihnen hinſchaute. Der König lachte hell auf. Gehen Sie, liebe Voß, ſagie er, meine Frau und ich fprechen uns unangemelvet, fo oft wir wollen und wänfchen, und fo ift e8 damit aud in guter, chriftliher Ordnung. Aber Sie find eine harmante Oberhofmeifterin und follen von nun an Dame v’Etiquette heißen! Will mich auch, foviel ich e8 vermag, nad) Ihren Wünſchen richten! *) *) Des Königs eigene Worte. Siehe: Eylert ꝛc. II. 98. 90 Er nickte ihr gnädig zu, und die Oberhofmeiſterin, welche dieſes Nicken verſtand, zog ſich ſeufzend zurück und ſchloß hinter ſich die Thür. Die Königin ſchaute lächelnd zu ihrem Gemahl empor. War's wieder ein Etiketteſtreit? fragte fie. | | Ya, und ein Streit von der fhlimmften Sorte, fagte der König raſch. Die Oberhofmeifterin verlangt, daß ich mid) jedesmal erſt bei Dir anmelden laſſe, Louiſe. Oh, Du biſt immer angemeldet, rief fie zärtlich, mein Herz vers kündet mir immer Deine Nähe, und an dieſem Herold ſoll es genug ſein, er gefällt mir beſſer, als das ernſte Angeſicht der guten Frau Oberhofmeiſterin. Er iſt der Engel meines Glückes, ſagte der König innig, leiſe ſeinen Arm um die Schulter ſeiner Gemahlin legend und ſie ſanft an ſich ziehend. Weißt Du, was ich jetzt denke? fragte die Königin nach einer kleinen Pauſe. Ich denke, daß die Oberhofmeiſterin gewiß allerlei neue Einrichtungen machen und neue Geſetze geben, und daß ſie mir ſehr viel Vorleſungen über die Pflichten einer Königin in Hinſicht der Etikette halten wird. Ih glaube, daß Du Recht haft, ſagte der König lächelnd. Aber ich glaube nicht, daß fie Recht hat, rief die Königin raſch, und indem fie fi, zärtlich ihrem Gemahl anjchmiegte, fuhr fle fort: Sag’ mir, mein Herr und König, da Du jest zum erften Male als König zu mir fommft, habe ih ta nicht das Recht, von Dir einige Gnaden zu erbitten und deren Gewährung zu beanfpruchen ? Das Recht haft Du, meine holpfelige Königin, fagte der König beiter, und ic gebe Dir mein Wort, daß, was Du aud fordern mögeft, Deine Wünfche erflillt werben follen! Nun, denn, rief die Königin heiter, es find vier Wünjche, die ich zu erflehen habe. Komm, fege Dich da neben mid auf den Heinen Divan, lege Deinen Arm um mi, damit ich fühle, daß ich unter Deinem Schuß ruhe, laß mich mein Haupt an Deine Geftalt lehnen, wie das Beilhen an den Stamm der Eiche, und nun höre meine Wünſche. Zum Erften wünſche ich, daß es mir erlaubt fein möge, 91 im Innern meines Haufed ohne allen Zwang und alle Feſſeln Frau, "Mutter und Hausfrau zu fein und meine heiligften Pflichten ausüben zu können, wozu jede. Frau von Gott und der Natur berechtigt ift, ohne allen Zwang und ohne alle Etikette. Wird mir das bemilligt? Bon Herzen und mit Freuden, allen Oberhofmeifterinnen zum Trotz. Die Königin nidte leife und lächelnd. Zum Zweiten, fuhr fie fort, bitte ich Dich, mein Seliebter, daß auch Du von ber Etikette mir gegenüber Dich nicht einengen und befchränfen läßt, daß Du mid) immer, audy den Menfchen gegenüber, nicht Deine Gemahlin nennft, fondern Deine rau, weldhes mein höchſter und fchönfter Ehrentitel iſt, und ferner, daß das fteife und fürmlihe Sie uns beiden im gegenjeitigen Geſpräch niemals nahen dürfe. Willſt Du mir aud) das gewähren, mein theuerfter Freund? Der König neigte fi zu ihr nieder und küßte ihr lodiges Haar. Rouife, flüfterte er, Du verftehft es, in meinem Herzen zu lejen, und grogmäthig, wie Du immer bift, kleideſt Du die Erfüllung meines MWunfches in Deine Bitte ein! Ya, wir Beide wollen ung immer be- nennen mit dem höchſten Ehrentitel, mit „Mann“ und „Frau“, und wie ih zu Gott Du fage, fo will ich es auch zu meiner Louiſe thun! Und nun, Deinen dritten Wunfd? Ah, um den dritten Wunſch babe ich etwas ; Zucht, fenfzte bie Königin, mit einem füßen Lächeln zu ihrem Gemahl emporfchauend. Ich bange, ob Du ihn mir wirft erfüllen können, und ob nicht wirklich, wie bie Frau Oberhofmeifterin fagt, die Etikette Dir dies ganz un⸗ möglich madıt. Ad, die Frau Oberhofmeifterin Hat alſo auch Dir fchon einen Bortrag gehalten? fragte der König lächelnd. Die Königin nidte bejahend. Sie hat mir einige wichtige Para— graphen aus dem Geremonienbudye mitgetheilt, feufzte fi. Aber das fol midy doch nicht abjchreden, Dir meinen Wunfch vorzutragen. Ich bitte Dich aljo, mein Friedrich, befiehl Du dem König, daß er mei- nem Mann, meinem geliebten Mann erlaube, einfady und bejcheiven zu leben, wie er e8 gewohnt if. Der König möge immerhin in dem großen Tüniglichen Schloſſe feiner Ahnen feine Feſte geben, da in ven 92 ‚großen, ‚glänzenden Sälen möge er bie Hulbigung feiner Untertbanen, ven Beſuch fürftlicher Gäfte empfangen, und die Königin möge ihm dabei als feine Gemahlin zur Seite ftehen, aber wenn: viefe Pflichten des Königthums beendet find, dann foll es und vergönnt fein, ebenfo ‚wie die Uebrigen, nach Haufe zu gehen, und inmitten unferer lieben, traulihen Häuslichkeit auszuruben von ven Herrlichleiten und dem Glanz ber Feſte. Laß uns dieſe ſchöne Häuslichkeit nicht vertaufhen mit dem großen Königsſchloß, wolle nicht, daß ich eine Wohnung verlaffe, in welcher ich die fchönften und glüdlichiten Lage meines Lebens zugebracht ‚babe. Sieb, hier in diefen meinen lieben Zimmern erinnert Alles mid) an Di, und die ganze geheime Geſchichte unferer Liebe und unferes Glückes jpricht zu. mir, wenn ich durch Diefe Gemächer gehe. Bier, mein Freund, in dieſem Zimmer fahen wir uns zuerft allein und ohne Zeugen nad meiner Ankunft in Berlin, bier gabft Du Deiner Frau den erften Kuß, und er drang mir wie ein Lächeln Gottes tief in bie Seele und das Herz, und ift ba geblieben wie ein Engelein, das un⸗ ſere Liebe behütet. Seit jenem Tag ift mir auch in der höchſten Fülle meines Glüdes doc immer ganz fromm und heilig zu Sinn, und weun Du mich Füfjeft, betet der Engel in meinem Herzen für Di, und wenn ich bete, fügt er Dich! - | Oh, Louife, Du bift mein Engel und mein Glüd! rief der König begeiftert. Die Königin achtete nicht auf dieſe Unterbrehung, fie war ganz verloren in ihre Erinnerungen. Auf diefem Sopha hier, fuhr fie fort, haben wir oft eng aneinander gejchmiegt, wie heute, gejeffen, und wenn Alles ftil um uns. ber war, Sprachen unfere Herzen um fo lauter zu einander, und oft habe ich hier von Deinen Lippen bie fehönften und beiligften Dffenbarungen Deiner evlen, reinen und männlid ftarfen Seele vernommen. In meinem Cabinet, dicht bier neben, ftandeft Du einjt trübe und ſinnend am Fenſter, eine Wolfe lag auf Deiner Stirn, und ich wußte, daß Du Heute im Haushalt Deines Vaters wieder ſchweres Leid vernommen. Aber feine Klage fam über Deine Xippen, denn Du warft allezeit ein guter und demüthiger Sohn, und felbft zu mir gedachteſt Du niemals zimend der Schwähen Deines Baters. 93 Aber ich mußte, was Du litteft, Doch ich wußte auch, daß ich in dieſer Stunde die Macht hatte, alle Wolfen von Deiner Stirn. zu verſcheu⸗ hen und Deine Augen aufleuchten zu machen in Freude und Glüd. Leife trat ich zu Dir und legte meinen Arm um Deinen Hals und meine Haupt an Deine Bruſt, und dann flüfterte ih drei Worte, Die nur Gott und das Ohr meines Mannes hören jollten! Und Du börteft fie und fchrieeft laut auf vor Freude, und ehe ich wußte, wie mir geihah, ſah ih Dich vor mir auf Deinen Knieen liegen, und Du küßteſt meine Füße und den Saum meines Kleides, und nannteft mich mit einem Namen, der wie eine köftliche, heilige Muſik mid um⸗ ranfchte und mein Herz mit Entzüden, meine Wangen mit Schamröthe übergoß. Und wie’s geſchah, das weiß ich nicht, aber ich fühlte, daß ih neben Dir auf den Knieen lag, und unfere vier eng in einander gefalteten Hände zum Himmel emporhebend, danften wir Gott mit lauten, ſeligen Worten für unfer Glüd, und baten ihn, unſer Kind zu jegnen, das wir zwar noch nicht fannten, das wir aber doch ſchon unausſprechlich Tiebten. Ob, und nun zulegt noch, mein Geliebter, entfinnft Du Dich jener anderen Stunde in meinem Sclafgemad? Du faßeft an meinem Lager, die Hände gefaltet, betend, und bod, indem Du beteteft,. nur mich anfhauend, mid, die id in Schmerzen mi) auf meinem Lager wand und doch in meinen Schmerzen fo felig war, denn ich wußte, daß die Natur in diefer Stunde mich weihen wollte zu dem höchften und heiligften Beruf und daß Gott unfere Liebe ſegnen wollte mit einem fichtbaren Pfand des Glüdes. Die ſchwere Stunde war da, es dunkelte vor meinen Augen, wie in einem Nebel verfhwimmend fah ich nur noch die heilige, von Engeln umflatterte Mutter Gottes, die da in einem herrlichen Semälde Guido Reni’s meinem Bette gegenüber hing. Auf einmal durchdrang es die Nacht, die mich umgab, wie ein heller Bligftrahl, und durch die Stille des Gemachs erklang eine wunderbare, nie gehörte Stimme, e8 war bie Stimme meines indes! Und bei dem Ton dieſer Stimme fah ich bie. Engel aus dem Bilde herniederfteigen und an mein Lager treten, um mid zu füflen, und die Mlutter Gottes neigte fih zu mir mit einem himmliſchen Yädeln und rief: „Geſegnet ift das Weib, werner 94 Mutter: ift!” — meine Sinne fhwanben, th glaube, ich fiel in Ohn⸗ macht vor unausſprechlichem Glück! Ja, Du warſt ohnmächtig geworden, mein geliebtes Weib, ſagte der König leiſe nickend, aber die Ohnmacht hatte das Lächeln nicht von Deinen Lippen, und den Ausdruck ſeliger Freude nicht aus Deinen Zügen verwiſcht. Du lagſt da, wie in Seligkeit verloren, nur gefeſſelt von dem Zauber des Glückes, und ich wußte, daß Du unausſprechlich glücklich warſt und ängſtigte mich daher gar nicht um Dich! Auch erwachte ich bald wieder, ſagte die Königin raſch, ich hatte nicht Zeit zu einer langen Ohnmacht, denn eine Frage brannte in meinem Herzen. Ich wandte meine Augen zu Dir hin, Du ſtandeſt in der Mitte des Zimmers und hielteſt in Deinen Armen das Kind, das Dir jo eben in feinem Spigenkleibchen in die Arme gelegt worben. Jetzt Ichlug mein Herz wie ein Hammer in meiner Bruft, ich fchaute Dih an, aber meine Lippen hatten nicht die Kraft zu einer Trage. Du verftanveft mich auch ohne Frage, und nahteft meinem Lager und fnieteft neben demjelben nieder, und das Kind in meine Arme legend fagteft Du mit einer Stimme, die ich nie vergeffen werde: „Louiſe, fegne Deinen Sohn!" — da war's, als ob das Entzüden mir bie Bruſt zerfprengen wollte, ich mußte laut auffchreien, ich wär’ ſonſt ge- ftorben vor Wonne Emm Sohn! fchrie ih, ih habe Dir einen Sohn geboren! Und ich fchlang meine Arme um Did) und das Kind, und wir weinten vor feliger Luft und — und — Ihre Stimme ftodte vor Ruhrung, und helle Thrünen ſtürzten wie Perlen aus ihren Augen hervor. Ach, flüſterte ſie leiſe, ich bin eine Thörin, lache über mich! Aber der König lachte nicht, denn auch ſeine Augen waren feucht, nur ſchämte er ſich ſeiner Thränen und hielt ſie in ſeinen Augen zurück. Eine Pauſe trat ein und die Königin lehnte ihr Haupt an die Schulter ihres Gemahls, der ſeinen Arm um ihre edle Geſtalt geſchlungen hatte. Auf einmal richtete fie ſich empor und mit ihren großen, glüdftrahlen« den Augen dem König tief in das bewegte Antlig ſchauend fragte fie: Mein Oeliebter, können wir das Haus verlaffen, in weldem ih Dir einen Sohn und Kronprinzen geboren habe? Wollen wir unfere bei- 95. ligften Erinnerungen aufgeben um eines großen, prunfhaften. Königs⸗ ſchloſſes willen ? | | Nein, das wollen wir nicht, fagte ber König, die Gemahlin fefter an jein Herz brüdenn Nein, wir bleiben in dieſem unferm Haufe, wir. verlaffen es nicht. Hier ift unfer Glück gewachſen und gebiehen, hier. fol. es. blühen und Früchte tragen! Es fol fein, wie Du fagft, bier wollen wir leben und wohnen als Mann und Frau, und wenn der König und die Königin Fefte geben und viele Säfte empfangen müſſen, fo gehen fie hinitber in’s Schloß, um ihrer Königspflidht Ge⸗ nüge zu thun, kehren aber am Abend wieder heim in ihr ftiles Aſyl! Dh mein Freund, mein geliebter Freund, wie dank’ ich Dir, rief bie Königin, ihre beiden Arme um feinen Hals fchlingend und einen glühenvden Ruß anf feine Lippen preſſend. Aber jett, mein geliebtes Weib, jet Deine vierte Bitte, fagte der König, fie in feinen Armen fefthaltend, ich hoffe, daß dieſe wirklich eine Bitte, nicht blos darauf berechnet ift, mid) glüdlidy zu machen, fonbern auch Dich betrifft. Dh, meine vierte. Bitte geht mich ganz allein an, rief die Königin mit einem fchalfhaften Lächeln. Dir und nur Dir allein kann ich fie vertrauen, und Du mußt mir verfpredhen, fie geheim zu halten unter uns Beiden und fein Wort davon an die Oberhofmeifterin zu verrathen. Ich verjpreche Dir das, meine liebe Louiſe. Nun denn, fagte die Königin, die Hand ihres Gemahls auf ihr Herz legend und fie leife mit ihren vofigen Fingern ftreichelnd, ich fehe fhon, wir werben dieſen Winter fehr oft König und Königin fein müflen, man wird uns Feſte geben und wir werden fie erwidern müflen, das Land wird feinem König huldigen und die Kitterfchaft wird ihre Schwire ablegen wollen. Das wird viel Königepomp, aber. wenig Freude geben dieſen Winter. Gut, ih will mich darein fügen und beeifert jein, meiner erhabenen Stellung an Deiner Seite Ehre zu machen, aber dafür, mein geliebter Herr und Freund, dafür mußt Du mir auch im Sommer, wenn die Rofen blühen, einen Tag ganz für mich ſchenken und an dieſem Tage wollen wir vergeflen, daß wir ein Königspaar, und uns nur erinnern, daß wir ein glückliches Kebeshoox 98 find. Berfteht ſich, daß wir den Tag nicht in Berlin, auch nicht in Parez bleiben, fondern wie die Iuftigen Vögel wollen wir ausflattern, weit, weithin in ‚bie ferne, nach. meiner mecklenburgiſchen Heimath, nah dem Paradies meiner Kinderjahre, nad dem Luftfchloß Hohen- zierit. Und Niemand foll’s willen, unangemelvet wollen wir kommen und in der Stille des Haufes und des Gartens da wollen wir uns eine köſtliche Idylle aufführen. An dem Tage gehörft Du mir allein und Niemanden fonfl. An dem Tage bin ih Deine Hausfrau und Deine Geliebte, nichts weiter, und ich forge für Dein Amüfement und Deine Nahrung. Ich allein bereite Dir Dein Efien und dede Deinen Tiſch und lege Dir vor. Ob, guter, lieber freund, ſchenke mir einen ſolchen Tag, eine ſolche Idylle des Glücks! Ich ſchenke ihn Dir und mir mit Freuden, ſagte der abrig lachelnd, und ich geſtehe Dir, Louiſe, ich wollte, der Winter wär' erſt vorüber und die Roſen ‚blühten und der Diorgen jenes fchönen Tages dämmerte berauf. Dank, taufend Dant, rief die Königin freudvoll, nun mögen immerhin die ſteifen, ceremoniellen Tage kommen und das kriechende Hofgeſinde und der Weihrauch der Schmeicheleien, ich werde durch das Alles hindurch doch immer ſchon den ſanften Duft meiner Roſen der Zukunft einathmen und an den ſteifen Hoftagen werde ich des idylliſchen Tages gedenken, der einſt kommen und mich entſchädigen wird für alle Langeweile und Beſchwerde. Der König legte ſeine Hand wie ſegnend auf ihr Haupt und hob mit der andern ihr Antlitz, das an ſeine Bruſt geneigt war, zu fich empor. Und glaubſt Du wirklich, Du holder und glücklicher Engel, ich verſtände Dich nicht? fragte er leiſe. Meinſt Du, ich fühlte und wüßte nicht, daß Du mir dieſen Troſt ſpenden und mir die Hoffnung auf einen ſolchen Tag nach den Tagen der Langeweile eröffnen willſt? Dh Du, meine Louiſe, Du bedarfſt eines ſolchen Troſtes nicht, denn Did hat Gott dazu gefhaffen, eine Königin zu fein, und aud bie Laſten Deines Amtes werden Did nur wie holde Genien umflattern und fi in Deiner echten Menſchenliebe Dir zu reinem Liebespienft verflären. Dir ift zu allen Zeiten das rechte Wort und das rechte 97 Thun gegeben, unt die Grazien haben Dir zu Allem die holde An muth und Sitte verliehen. Ich aber bin jchwerfällig und ungelent, ich weiß e8 wohl, eine ernfte Jugend und manderlei Kummer und Sorgen haben mein Herz fteif gemacht und es verſchüchtert. Mir fehlt vieleicht nicht immer der rechte Gedanke, aber fehr oft das rechte Wort. Du, meine Rouife, wirft als Königin für uns Beide die Honneurs machen müffen, Du mußt mit Deinem holden Lächeln und Deinem geiftreichen Wort die Herzen der Menjchen gewinnen, während ich fchon zufrieben fein will, wenn ich mir ihre Köpfe gewinne. Werde ich ihre Herzen gewinnen? fragte die Königin finnend. Oh fteh mir bei, geliebter Freund, jage mir, was ich thun muß, um von dem Bolf geliebt zu werden! Bleibe, wie Du bijt, Louife, fagte der König ernft, bleibe immer fo, in der Verklärung der Schönheit, der Unſchuld und Anmuth, wie ih Did an den beiden wichtigften Tagen meines Lebens gejehen babe, und wie Du immer vor meinen innern Augen ftehen wirft. Ob, ich babe auch meine Erinnerungen, und wenn ich fie auch nicht mit fo be- flügelten und ſchönen Worten erzählen kann, wie Du, fo leben fie doch ebenfo in mir, und begleiten mid) als holde Genien überall hin, nur daß ſie ftumm find vor Andern, wie ich felber. Erzähle mir, mein Geliebter, jagte die Königin fanft bittend, ihr fhönes Haupt an ihres Gemahls Schulter gelehnt. Laß uns heute eine fhöne Stunde der Erinnerungen feiern! Sa, eine ſchöne Stunde der Erinnerungen, rief der König, denn was giebt es für mid Schöneres, als Deiner zu gedenken und jener Stunde, wo idy Dich zum erften Male ſah! Sol ic Dir das erzählen, Louiſe? Erzähle es mir, mein geliebteſter Freund. Deine Worte werden mich umrauſchen, wie eine köſtliche Muſik, die man, je öfter man ſie hört, deſto lieber gewinnt, und beſſer begreift. Erzähle, mein Freund. Aubſiva Napoleon. I. Ab. 98 Il. Die Teier der Erinnerungen. Nun denn, fagte der König, jo oft ich meinen Blick rüdmärts ‚wende in bie Vergangenheit, ift mir Alles wie von grauen Schleiern und Nebeln umfloffen, aber zwei Sterne und zwei Lichtpunfte treten aus dieſen Nebeln hervor, die Sterne find Deine Augen, und bie Lichtpunkte, das find die beiden Tage, von denen ich vorher ſprach, ber Tag, an welhem ich Dich zuerft fah, und der Tag, an welchem Du als meine Gemahlin in Berlin einzogſt. Ob, Louife, nie werde ich jenes eriten Tages vergeſſen! Ich nenne ihn den eriten Tag, denn ex ift auch ber erfte Tag meines wirklichen Lebens! Es war in Frankfurt am Main in unferer damaligen Campagne am Rhein. Der König machte in meiner Begleitung dem Herzog von Medlenburg, Deinem erlauchten Vater, jeinen Gegenbefud auf feine am Tage zuvor em⸗ pfangene Bifite. Wir trafen ihn im einem einfachen, Heinen Landhauſe, hinter dem ein Schöner Garten fich befand. Die beiden Fürften ſprachen lange und ernft miteinander, und ich hörte fhweigend ihnen zu. ‘Dies Schweigen genirte und beläftigte vielleicht den König, meinen Vater. „Was meinen Ew. Hoheit,“ fragte er auf einmal Deinen Vater, „wollen wir nicht, während wir hier über Kriegsoperationen verhandeln, dem jungen Herrn da erlauben, den Damen feine Aufwartung zu machen und ſich bei ihnen melden zu laffen? Wenn wir alsdann bier fertig find, bitte ich um bie gleihe Gunft.“ Der Herzog war bereit, ben Wunſch des Königs zu erfüllen, und rief aus dem Vorzimmer den La⸗ faien herbei, ihm ven Befehl ertheilend, mich zu ven Damen zu führen und zu annonciren. Es ging Alles einfach und ohne Ceremoniell zu, denn wir befanden uns ja im Feldlager. — Ich folgte dem Lalaien, der mir jagte, daß die Damen fih im arten befänden, und mid dahin führte. Wir gingen eine lange Allee hinab und durdy mancherlei Anlagen hin, vergebens warf der mir vorausfchreitende Diener feine Augen lin!8 und rechts, die Damen waren nirgends zu ſehen. Endlich 99 bei einer Biegung des Weges ſahen wir in der Ferne eine Laube, und darin ſchimmerte etwas Weißes. Ah, das iſt Prinzeß Louiſe, ſagte der Lakai ſich zu mir wendend, und dann eilte er raſcher vorwärts. Ich folgte ihm langſam und theilnahmlos, und wie er wieder kam und mir ſagte, daß die Prinzeſſin Louiſe bereit ſei, mich zu empfangen, war ich noch wohl zwanzig Schritte von der Roſenlaube entfernt. Ich ſah da ein weibliches Weſen ſich von ihrem Sitz erheben und ging raſcher vorwärts. Und auf einmal begann mein Herz zu klopfen, wie ich es nie gefühlt, auf einmal war ed, als ob da in meinem Herzen eine Kapſel auffpränge und es frei machte, als ob taufend und taufenb Stimmen in mir fängen und jubelten: „Das ift fie! Iſt die Erwählte Deines Herzens.“ Und je näher ich kam, defto langjamer ging ich und ſah nur Did, Di, die da am Eingang der Laube ftand in dem weißen Gewande, das. nur lofe Deine edle, wundervolle Geftalt ums wallte, pas unſchuldsvolle, edle Angeficht angehaucht von einem fanften, reizenden Lächeln, goldige Locken herniebderfliegend zu beiden Gei- ten Deiner rofigen Wangen, und das Haupt umkränzt von ben vollen, dunkeln Roſen, die fih von ber Laube hernieder zu neigen ihienen, um Dich zu küſſen und zu ſchmücken, die vollen, weißen Arme nur halb verhällt von leichten Spigenärmeln, in der Rechten, die Du bis zum Gürtel erhoben batteft, eine volle Roſe haltend. Und wie id) Dich fo vor mir fah, da glaubte ich mich wie der Erde entrüdt und es war mir, als fähe ich einen Engel ber Unſchuld und Schönheit, mit bem der Himmel mid) begrüßen wollte.*) Jetzt fland ich Dir gegen- über und über meinem Anfchauen vergaß ich jede förmliche Begrüßung. Ich ſah nur Dich, ich hörte nur, wie Alles in mir jauchzte: „Das ifl *) Nicht blos ber Tiebende König fprach fo von ber holden Erfcheinung Louiſens; auch Göthe beurteilt fie fo in feiner: „Campagne in Frankreich.” Er erzählt, daß er im Felblager bei Mainz bie beiden Medlenburgifhen Prin- zeffinnen (die nachherige Königin Loniſe und bie Königin von Hannover) ge- fehen. „In mein Zelt eingeheftelt, fagt er, konnte ich fie vertraulich mit ben Herrichaften auf und nieder und nahe voriibergehend auf das Genauefte beobach⸗ ten, unb wirklich mußte man dieſe beiben jungen Damen für himmliſche Er⸗ ſcheinungen halten, deren Eindrud auch mir niemals verlöſchen wird.” Campagn in Frankreich. ©. 282. Ir 100 das Weib, welches Du lieben wirft, ewig, unvergänglich!" Es war feine verliebte Sentimentalität, jondern ein beftimmtes, klares Bewußtſein, was wie ein Lichtblid meine Augen mit einer Freudenthräne benegte.*') Oh Lonife, warum bin ich fein Maler, warum Tann ich mir jenen Mo⸗ ment nicht fefthalten in einem fchönen, duftigen Gemälbel Aber was ich nicht Tann, das foll mir ein Anderer verfuchen, ein Künftler foll mir jenen Moment verewigen und feithälten,**) Damit bereinft, wenn wir nicht mehr find, unfer Sohn zu dem Bilde auffhanen und fagen fann: „So war meine Mutter, als mein Bater fie zum erften Male ſah. Er glaubte einen Engel zu ſehen und er irrte ſich nicht, denn fie ift der Engel feines ganzen Lebens geweſen.“ Zu viel, zu viel der Güte und des Glüds! rief die Königin, und fie verfchloß die Lippen ihres Gemahls mit einem glühenden Kuß. Xobe und preife mich nicht fo fehr, damit ich nicht ftolz und hoffährtig werbe, flüfterte fie dann. Der König ſchüttelte Leife fein Haupt. Stolz und hoffährtig wer- den nur die Einfältigen, die Schuldbeladenen und die Böfen, fagte er. Wer aber Dich gejehen hat, Louiſe, an dem Tage Deines Einzugs in Berlin, dem wird Dein Bild ewig im Schimmer der Anmuth, Bes ſcheidenheit und Xieblichfeit vor Augen ſtehen. Es war Sonntag, ein wunbervoller, heller Wintertag, der Tag vor dem heiligen Chriftfeft, der für mich diesmal ein rechter heiliger Abend des Glüdes werben ſollte. Zaufende von Menfchen wogten auf dem Pla vor dem Zeug. haufe und bie Linden hinunter auf und ab. Jedermann war begierig, Di zu fehen. Am Eingang ber Linden, unweit des Opernplaßes, Hatte man eine prachtvolle Ehrenpforte errichtet und bier wollte eine *) Des Königs eigene Worte. Siehe: Biſchof Eylert. II. Seite 22. **) Der König ließ wirklich dieſen Moment feines erften Begegnens mit der Brinzeffin Louiſe al8 Gemälde fefthalten. Auf demſelben fieht man die Prinzeffin ganz fo, wie ber König fie oben gejchildert hat, in einer Rofenlaube ftehen und im Hintergrunde den König, fie mit entzüdten Blicken betrachtend. Das Ge- mälde hängt in dem Königlihen Schloffe zu Berlin. Die ganze Erzählung des erften Begegnens bes Königs mit der Prinzeß Louiſe ift genau nach den eigenen Mittbeilungen des Königs. Siehe: Eylert. II. Seite 48. 101 Deputation der Bürgerfhaft und eine Schaar junger, blühenber Mädchen Did erwarten. Ich follte, der Etikette gemäß, Did auf dem Schloß erwarten, aber meine Ungebuld, Dich zu ſehen, ertrug das nicht. Tiefeingehällt in meinen Militeirmantel, die Müge tief in bie Augen gedrüdt, fo daß mid Niemand erfennen konnte, hatte ich mih unter das Voll gemifht und mir mit Hülfe eines vertrauten Dieners einen Pla hinter einer der Säulen der Ehrenpforte erobert. Auf einmal erfholl unermeßlicher Jubel aus hunderttaufend Kehlen, von den enftern, von den Dächern der Häufer wehten taufend win- fende Arme mit weißen Tüchern, die Gloden läuteten, die Kanonen donnerten, denn Du hatteft joeben das Brandenburger Thor über- ſchritten, batteft jet Deinen Wagen verlaflen und fchritteit, umgeben von Deinem Gefolge, die Linden hinauf. Yubel und Entzüden be- gleiteten Dich bei jedem Schritt, nun trateft Du unter die Ehrenpforte, nicht ahnend, wie nahe ich Dir war und wie mein Herz ‘Dir entgegen ſchlug. Eine Schaar junger Mädchen in weißen Gewändern, mit Mortenzweigen in den Händen, trat Dir entgegen und die Erfte von ihnen, die auf geftidtem Kiffen einen Myrtenkranz trug, reichte ihn Dir dar und ſprach ein einfaches, finniges Gedicht dazu. Ob, noch fche ih, wie Dein ſchönes Antlig ſich röthete, wie Dein Auge höher glänzte, wie eine tiefe, Heilige Rührung in Deinen Zügen zudte und wie Du, überwältigt von dieſer Rührung, Dich nieverbeugteft zu dem Fleinen Mädchen, wie Du fie in Deine Arme jchlofjeft und ihre Augen und ihre Lippen küßteſt. Hinter Dir aber ftand die Oberbofmeifterin, Gräfin von Voß, bleih vor Entfegen, bebend vor Schred über das Unerhörte, nie Erlebte. Mit baftigen Händen fuchte fie Dich zurück⸗ zuziehen und in ihrem Erſtaunen rief fie faft laut: „Mein Gott, was haben Ew. Königliche Hoheit gethan! Das ift ja gegen allen Anſtand und alle Sitte.” Es war ein hartes, unüberlegtes Wort, Du aber in Deiner glüdjeligen Heiterkeit fühlteft es nicht, blicteft heiter ımd ruhig zu ihr um und fragteft unſchuldig und treuberzig: „Wie? darf ich das nicht mehr thun?“*) Oh, Louiſe, in jenem Augenblid und bei diefer *) Sieße: Eylert. II. 79. 102 Deiner lieblihen Frage füllten fi meine Augen wieder mit Thränen, und kaum konnte ich mich zurädhalten, daß ich nicht hervorſtürzte, um Dich an mein entzücdtes Herz zu drüden und Deine Augen und Deine Lippen zu küſſen, fo unſchuldig und keuſch, wie Du es dem. Heinen Mädchen getban! Siehft Du, fagte der König aufathmend und einen Moment inne baltend, das find meine beiden Erinnerungstage, und da Du mich jet fragft, wie Du es machen folft, um die Liebe Deines Volles zu ge: winnen, fo erwiebere ih Dir noch einmal: bleibe, wie Du bift, bleibe fo, daß diefe beiden fchönen Bilder, die ich von Dir im Herzen trage, Div immer ähnlich find und bleiben, und die Herzen aller Menſchen werben Dir entgegen fliegen. Ob Du meine Rouife, Du haft es leicht, Du brauchſt nur Du felbft zu fein, Did nur von Deinen treuen Ge- fährten, den Grazien, leiten zu laffen und bift dann gewiß, immer das Rechte zu treffen. Ich aber habe ein jchweres Amt und einen harten Dienft, und viel werde ich zu kämpfen haben mit dem Uebelwollen, der Bosheit und dem Unverftand Anderer nicht allein, fondern aud) mit meiner eigenen Unerfahrenheit, meinem Mangel an Kenntniffen, meiner Unentjchlofjenheit, die aber nur aus der Erfenntniß defjen, was mir fehlt, hervorgeht. Die Königin legte mit einer vajchen Bewegung ihre Band auf des Königs Schulter. Vertraue Dir felber, denn Du fannft es und barfit es, fagte fie ernft. Wer hätte Grund, zufrieden zu fein mit. fih jelbft, wenn Du zagen wollteft, welcher Yürft könnte den Muth haben, das Scepter zu faflen, wenn Deine Hände davor zurüdfchreden wollten, ‘Deine Hände, die rein find von aller Schuld und ſtark und feft, wie eine echte Manneshand. Ich verftehe nichts von der Politik und will auch nichts davon verftehen und werde mid nie erfühnen, mic, in Deine Regierungsgefchäfte miſchen und Dir einen Rath geben zu wollen, aber das weiß ich und fühle ich, daß Du immer nur das Wohl und Gedeihen Deines Volles und Deines Landes wirft vor Augen haben und daß all Dein Thun und Wollen nur auf dieſes ge- richtet jein wird. Der Geift des großen Friedrich ruht auf Dir und rd Did ſegnen und geleiten. 103 Der König ſchaute fte betroffen an. Erräthft Du meine Gedanken, Louiſe? fragte er. Weißt Du, daß ich heute Morgen mit meiner gan- zen Seele immerfort bei ihm war und zu ihm ſprach und mir alles wiederholte, wa8 er eines Tages in einer ernften und großen Stunde zu mir gefprocden hat? Oh es war im der That eine heilige Stunde und nie habe ich zu irgend einem Menſchen darüber gejprochen, denn jedes Wort wäre mir wie Entweihung erfchienen. Aber von Dir, mein edles Weib, können diefe Worte immer nur die ſchönſte und befte Weihe erhalten, und da ich denn heute einmal vor Dir von meinen fchönften Erinnerungen ſpreche, fo will ih Dir auch erzählen, was der große Friedrich einft zu mir gefproden bat. Die Königin nidte ihm freundlich zu und richtete ihr Haupt von jeiner Schulter auf und faltete die Hände in ihrem Schooß, wie zur Andacht und zum Gebet. Der König ſchwieg einen Moment und ſchaute ſinnend vor ſich bin. Es war im Jahre 1785, fagte er dann, als id an einem ſchönen und heißen Summertage im Garten von Sansjouci dem König be- gegnete. Ich, ein junger Menfd von funfzehn Iahren, kam luftig, ein Liedchen trällernd, durch das Gebüſch daher, als ih auf einmal des Königs anfichtig ward, der unfern von dem Japanifhen Balais auf der Bank unter der großen Buche faß. Er war ganz allein, zwei Windſpiele lagen zu feinen Füßen, die beiden Hände hatte er auf ben Krüdftod gelehnt, das mit dem Hut bededte Haupt ruhte ſanft rüd- wärts geneigt an dem Stamm der Bude Ein letter Strahl der Abendfonne traf fein Antlig und machte feine großen wunderbaren Augen noch höher aufleuchten. Ich ftand vor ihm mit ehrerbietigem Schweigen und er betrachtete mich mit einem gütigen Lächeln. Dann begann er zu examiniren in allerlei Dingen, die ich damals trieb, und zuletzt zog er einen Band Lafontaineſcher Fabeln aus feiner Bufen- taſche, ſchlug das Buch auf und deutete darauf hin, indem er mich aufforderte, ihm die aufgeſchlagene Fabel zu überſetzen. Ich that's, aber als er mich nachher dafür loben wollte, ſagte ich ihm, daß ich juſt dieſe Fabel erſt geſtern mit meinem Informator geübt hätte. Ein Janftes Sücheln erbelſte ſogleich fein Angeſicht, und indem er mir Art 104 lih die Wangen ftreichelte, fagte er mit feiner. wundervollen, Janften Stimme: „So iſt's Recht, lieber Frig, nur immer ehrlih und auf- richtig! Wolle nie ſcheinen, was Du nicht bit; fei ftets mehr, als Du ſcheinſt!“ — Ic habe diefe Ermahnung nie vergeſſen, und die Lüge und Verſtellung iſt mir ſtets zuwider geweſen. Die Königin legte ſanft ihre Hand auf ſein Sa, Ehrlich iſt Dein Auge, ſagte ſie, ehrlich auch Dein Herz und Dein Sinn! Zu | einer Rüge ift mein Friedrich zu ftolz und zu mutbig! Und was ſprachſt Du weiter mit Deinem großen Ahn? Er fprad zu mir, ich ftand und hörte ihm zu. Er ermahnte mich, fleißig zu fein, niemals zu glauben, daß ich genug gelernt habe, niemals ftille zu ftehen, fondern immer vorwärts zu ftreben. Dann ftand er auf und ging langfam und immerfort mit mir fprechend die Allee hinunter, die zum Ausgang des Gartens führt. Auf einmal blieb er ftehen, und auf feinen Krüdftod gelehnt ſchaute er mid mit jeinen großen Augen fo lange und forſchend an, daß mir fein Blid bis tief in’8 Herz drang. „Nun, Fritz, fagte er, werde was Tüchtiges par excellence! &8 wartet Großes .auf Did. Ich bin am Ende meiner Carriere und mein Tagewerk ift bald abſolvirt. Ich fürdte nad meinem Tode wird’8 Pele-möle gehen. Ueberall liegen Gährungs- ftoffe, und leider nähren fie die regierenden Herren, befonders in Franl- reich, ftatt zu calmiren und zu erftirpiren. Die Maflen fangen ſchon an, von unten auf zu drängen, und wenn dies zum Ausbrud kommt, ift der Teufel los. Ich fürchte, Du wirft einft einen fchweren, böſen Stand haben. Habilitire, rüfte Dich! Sei firm! Denke an mid! Wache über unjere Ehre und unfern Ruhm! Begehe feine Ungerech— tigkeit, dulde aber auch keine!" — Er ſchwieg wieder und ging lang» fam weiter, und ich, tief bewegt und erhoben von der Bedeutung diefes Momentes,. wiederholte mir innerlic, jedes Wort, das er gefprochen, um feine Rede im Gedächtniß zu behalten, fo lange ic) lebe. — Vet waren wir zum Ausgang von Sansſouci gefommen, wo der Obelist fteht. Hier reichte mir der König zum Abſchied feine Linfe Hand, und indem er die meinige fefthielt, deutete er mit der erhobenen Rechten ad bem Dbelist hinauf. „Sieh ihn an, fagte er laut und feierlich. 105 Schlank aufftrebend und body ift der Obelisk und doch feft im Sturm und Ungewitter. Er fpridt zu Dir: „Ma force est ma droiture!“ Der Eulminationspunet, die höchſte Spige überſchauet und frönet das Ganze, aber trägt nicht, fondern wird getragen von Allem, was unter ihr Liegt, vorzüglihd vom unſichtbaren, tief untergebauten Fundament. Das tragende Fundament, das ift das Volk in feiner Einheit. - Halte es ſtets mit ihm, Daß es Dich liebe und Dir vertraue. Darin nur allein kannſt Du ſtark und glücklich ſein.“ Dann überflog er mich nod einmal mit einem langen, feſten Blid und reichte mir die Hand. Als ih mich neigte, um fie zu küffen, drüdte er einen Kuß auf meine Stimm. „Bergiß diefe Stunde nit,” fagte er mit einem freundlichen Kopfniden, indem er fih umwanbte und langſam, begleitet von feinem Windfpiele, die Allee wieder binaufjchritt.*) — Ich habe dieſe Stunde nie vergefjen und werde ihrer eingedenk ſein, jo lange ich lebe! Und der Geift des großen Friedrich wird bei Dir fein und bleiben, ſagte die Königin bewegt. Ah, ich wollte, es lebte etwas in mir von feinem Geiſt, ſeufzte der König. Aber ih fühl's, ich bin ſchwach und unerfahren, ich bedarf der weijen, erfahrenen Rathgeber, ih — Ein leifes Klopfen an der Thür machte ven König verſtummen. Auf ſein Herein öffnete ſich die Thür und der Hofmarſchall etſchien auf der Schwelle. Ew. Majeſtät verzeihen auädigſt, daß ich zu ſtören wage, ſagte er, ſich ehrfurchtsvoll verneigend, allein ich muß Ew. Majeſtät um Entſcheidung in einer wichtigen häuslichen Angelegenheit anflehen, in einer Angelegenheit, welche keinen Aufſchub leidet. Nun, was iſt's? fragte der König aufſtehend und zu dem Hof- marſchall hingehend. Majeſtät, es handelt fih um bie Feſtſtellung des Kuchenzettels für die königliche Zafel, und ich) muß Ew. Majeftät um die Gnade bitten, meinen Entwurf hier lefen und genehmigen zu wollen. Er überreichte mit wichtiger Amtsmiene dem König ein be- *) Nach des Königs eigener Erzählung. Siehe: Eylext. I. ©. A. 108 fhriebenes Papier, das biefer mit langſamen, aufmerkſamen Blicken überflog. Wie? fragte er auf einmal cafe, zwei Gänge mehr, als fonft? Majeſtät, bemerkte ber Hofmarſchall demäthig, es iſt auch jetzt die Tafel eines Königs. Und Sie glauben, daß mein Magen größer geworben iſt, ſeit ich König bin? fragte Friedrich Wilhelm. Nicht doc, es foll mit dem Eſſen fo bleiben, wie e8 bis jetzt gewefen ift:*) Es müßte denn fein, wandte fi der König verbindlich an feine Gemahlin, es müßte denn fein, daß Du es anders wünſcheſt. Die Königin ſchüttelte lebhaft ihr Haupt. Nein, fagte fen mit einem reizenden Lächeln, mein Magen it auch nicht größer geworben ſeit geſtern. Es bleibt alſo beim Alten, rief der König, den Hofmarſchall ver⸗ abſchiedend. Siehſt Du, fuhr er dann fort, als die Thür ſich hinter dem Hofmarſchall ſchloß, ſiehſt Du, fo find die Menſchen! Wollen uns mit Gewalt heraustreiben aus unſerer Einfachheit und unſerm bishen Menſchenthum, wollen mit Allem unferer Größe jchmeicheln, fogar mit dem Eſſen. Wir aber, mein Geliebter, wollen der Worte Deines großen Oheims eingeben? bleiben, fagte die Königin, und wenn fie uns von allen Seiten beftürmen mit ihren eitlen und lächerlichen Zumuthungen, fo wollen wir ung „firm halten” und uns felber getreu bleiben. Ja, das wollen wir, meine Rouife, fagte ber: König ernft, und ſo möge denn das neue Leben uns umrauſchen, wir wollen immer die . Alten bleiben! Abermals ward jetzt leife an die Thür geflopft und ein tzniglicher Kammerlakai trat ein. Ew. Majeſtät, der Obriſt⸗Lieutenant von Köckeritz bittet um Audienz. Ah, es iſt wahr, rief der König nach der Kaminuhr ſehend, ich habe ihn um dieſe Stunde zu mir beſchieden. Lebe wohl, Louiſe, ich will ihn nicht warten laſſen! *) Des Königs eigene Worte. Siehe: Eylert ꝛc. I. ©. 18. - 107 Er verneigte fih vor feiner Gemahlin, derem bargereichte Hand er zärtlid an feine Lippen brüdte, und wandte fih dann der Thür zu. Der Lakai, der kerzengrade bis dahin neben der Thür geſtanden und den Beſcheid des Königs erwartet hatte, beeilte ſich jest, haſtig die beiden Flügel der Thür aufzureißen und weit zu Öffnen. Wie? fragte der König lächelnd und abwehrend, bin ich denn auf einmal fo viel breiter geworben, daß ich nicht mehr durch Eine Thür fommen fann?*) Die Königin. ſchaute der hohen, ſtolzen Geftalt ihres Gemahls mit einem glädlichen Lächeln nad, und dann ihre fchönen, ſtrahlenden Augen mit einem unausfpredlichen Ausprud zum Himmel emporfchla- gend, flüfterte fie leife: Ob, weld ein Mann! Mein Mann!**) In. Ber junge König. Der König durcheilte haftig die Zimmer und den Verbindungs⸗ gang, welder die Gemächer der Königin von den feinen trennte. Raum in fein Cabinet eingetreten, öffnete er bie Thür des Vorſaals und rief: Ich bitte, treten Sie ein, lieber Köckeritz! Sofort erfhien auf der Schwelle ein Kleiner, wohlbeleibter Here von funfzig Iahren, mit freundlichem, gutmüthigem Geſicht, mit Eleinen, lebhaften Augen, aus denen wenig Geift, aber viel Gemüth ſprach, mit breiten, aufgeworfenen Lippen, bie fich vielleicht nie zu geiftreichen, aber oft zu heitern und ſcherzenden Worten geöffnet hatten. . Der König reichte dem ehrfurchtsvoll ſich Verneigenden feine Hand dar. Sie haben meinen Brief erhalten, mein Freund? fragte er. *) Des Königs eigene Worte. Siehe: Eylert. I ©. 19. *9 Eylert. IT. ©. 157. . | 108 . Sa, Majeftät, ich habe ihn geftern erhalten und ich habe ihn die ganze Nacht ftubirt. - Und jet? Welche. Antwort bringen Sie mir? fragte der König raſch. Sind Sie entichloffen, vie Stelle anzunehmen, die id Ihnen angewiefen? Wollen Sie mir ein treuer, unparteiifcher Rathgeber fein, ein rechter, wahrheitsliebender Freund und Gewiffensrath? Majeftät, fagte der Obrift- Lieutenant feufzend, ich fürchte, Em. Majeſtät haben eine zu gute Meinung von mir. Als ih Ihr erhabenes, wundervolles Schreiben las, überlief ein Schauder mein Herz und id) ſagte zu mir felber: der König täufcht fi über Did. Zu dem, was ih ihm fein fol, bevarf es eines Mannes voll des höchſten Geiftes und ber tiefften Weisheit. Der König hat mein Herz mit meinem Kopf verwechſelt. Mein Herz fitt auf dem rechten led, ift tapfer, brav und treu, aber meinem Kopf fehlt es an der Weisheit und an dem Wiflen; ich bin fein Gelehrter, Majeftät! Aber Sie haben einen gefunden, practifchen Berftand, und der ift mir lieber als alle Gelehrfamkeit, rief ver König. Ich babe Sie feit Jahren beobachtet, und dieſe Jahre haben mich immer mehr in ber Idee beftärkt, in Ihnen einen. Mann zu befigen, der mir einft durch jemen Bieberfinn, feine richtige Beurtheilung, feinen feften Charakter und die erprobtefte Rechtlichkeit ganz vorzügliche Dienfte zu leiſten im Stande fein wird. Ich jege mit Recht mein ganzes Bertrauen in Sie. Ich bin ein junger Menſch, der die ganze Welt noch immer zu wenig fennt, um fi allein auf fich felbft verlaffen zu können und um nicht befürchten zu müflen, bei aller Vorſicht doch von unreb- lichen Menſchen Hintergangen zu werden. Ihm muß daher ein jeber gute Rath, jobald er redlich gemeint ift, willlommen fein. Diefen Rath erwarte ich von Ihnen. Ich bitte Sie, bleiben Sie immer mein Freund, verändern Sie nicht Ihre Art, gegen mich zu fein und zu denken, feien: Sie mein Rathgeber. *) Koͤderit, wollen Sie meine Bitte zurückweiſen? *) Des Königs eigene Worte. Siehe: Schreiben des Könige Friedrich Wilhelm ID. an ben Obrift-Xientenant von Köderig. 109 Nein, rief Herr von Köderig, wenn es das ift, was. Ew. Majeftät von mir fordern, das kann ich. verfprechen und halten. Einen trenen, ergebenen, aufrichtigen ‘Diener, den follen Em. Majeſtät allzeit an mir finden. . Sch verlange mehr, jagte der König fanft, nicht blos einen treuen Diener, fondern einen ergebenen Freund. Einen freund, der mid aufmerkſam macht auf meine Yehler und Irrthümer. Steben Sie mir bei mit Ihrer Menfchentenntnig. Denn Niemand irrt fih mehr in der Benrtheilung der Menfchen, als ein Fürft, und das ifl ganz natürlich. Keiner zeigt fi dem Fürften in feiner wahren Geftalt, Jedermann bes müht fi, die Schwächen und Neigungen der Fürften zu erforfchen, und nimmt dann eine Maske an, die ihm feinen Zwecken angemeffen fcheint. Bon Ihnen alfo erwarte ih, daß Sie ohne Geräufh, und ohne be- jondere Abfichten merken zn Iaffen, ſich nady braven und einfichtswollen Männern umfehen und zu prüfen bereit find, wie und auf welche Art man fie befier brauchen und verwenden künnte. *) Sch werde mir Mühe geben, Majeftät, ſolche Männer zu finben, fagte Herr von Köderig ernfl. Nur fcheint mir, daß Em. Majeftät ſchon zum guten Glüd viele tüchtige und ausgezeichnete Männer in ber Nähe haben und alfo nicht weit zu fuchen brauchen. Bon wen wollen Sie reden? rief der König haftig und mit leicht grungelter Stirn. | | Herr von Köderig warf einen rafhen Blick auf das Antlig des Königs und fehien feine Gedanken auf feiner vüftern Stirn gelefen zu haben. Majeſtät fagte er ernft und langſam, ich will nicht von dem Mi- nifter Wöllner und feinen beiden Räthen Hermes und Hiller reden, auch nicht von dem General-Lieutenant von Biſchofswerder. Des Königs Stirn hatte ſich ſchon wieder aufgellärt. Er trat zu feinem Schreibtifh und nahm von demfelben ein Papier, das er jeinem Bertrauten darreichte. Leſen Sie einmal das und rathen Sie mir, was ich thun fol! *) Des Königs eigene Worte. Siehe: Brief des Königs ıc. 110 Ah, der. Herr General-Lieutenant von Bifchofswerder fordert feinen Abſchied! vief Herr von Köckeritz, nachdem er gelefen. Dean. muß ger ftehen, daß der Herr General eine feine Naje befigt und jehr Hug ge handelt bat. Sie meinen, daß ich ihm ohnedies feinen Abfchied gegeben haben würde? Ya, das meine ich, Majeftät! Und Sie haben Recht, Köderit. Biel: Unheil hat dieſer finſtere und bigotte Mann über Preußen gebracht und der gute Genius unſeres Landes hatte ſein Haupt verhüllt und war entflohen vor den Geiſtern, welche Biſchofswerder heraufbeſchworen. Oh, mein Freund, wir haben eine finſtere und unheilsvolle Zeit durchlebt und viel böſe Geiſter haben wir hier geſehen und ſind von ihnen geplagt worden. Indeſſen kein Wort mehr davon! Es ziemt mir nicht, die Vergangenheit zu richten, denn fie gehört nicht mir! Nur die Zukunft iſt mein, und Gott gebe, daß, wenn diefe einft Vergangenheit ift, ſie nicht mic richtet. Der General-Lieutenant von Bifhofswerder war der Freund und Bertraute meines Vaters, des hochfeligen Königs, das muß und will ich in ihm ehren! Ih will ihm feinen Abfchiev geben, aber mit ausreichender Penfion. Das macht dem großmüthigen Herzen Eurer Wajepä Ehre, rief Herr von Köderig lebhaft. Was den Minifter Wöllner anbetrifft, fuhr der König mit gerun- zelter Stirn fort, fo will ich, in ehrfurdgtSvoller Erinnnerung an meinen Bater, ihm aud nicht feinen Abſchied aufbrängen, fondern es ihm überlafien, venfelben zu fordern. Möge er zufehen, ob er im Stande fein wird, ſich in die neue Zeit zu fügen; denn eine neue Zeit, hoffe ih, fol aufgehen über Preußen, eine Zeit der Duldung, der Aufs Härung und der wahren Frömmigkeit, welche nicht im äußern Prunk der Worte, nicht im bloßen äußern Kirchendienft ihr Genüge ſucht, fondern in frommen und guten Thaten. Die Religion ift nidt aus der Kirche hervorgegangen, fondern umgelehrt die Kirche aus der Re⸗ ligion, und die Kirche ſoll ſich daher der Religion unterordnen, fie nie bedingen wollen. Aller Glaubenszwang und alle fanatifhe Verfolgung 111 jol aufhören... Ich jelbft. ehre die Religion, folge gern ihren beglüden- den Borfchriften, und möchte um Vieles nicht über ein Volk herrſchen, welches feine Religion hätte. Aber ich weiß, daß die Religion nur Sade des Herzens, des Gefühle und der eigenen Veberzeugung fein und bleiben muß und nicht durch methodifchen Zwang zu einem ge⸗ dankenlofen Plapperwerk herabgewürdigt werben darf, wenn fie Tugend und Rechtfchaffenheit befördern fol. Es fol fortan in Religionsſachen nur allein nach den Iutherifhen Grundſätzen verfahren werben, denn biefe find ganz dem Geiſt und dem Stifter unferer Religion ange- mefjen. Keine Zwangsgeſetze find nöthig, um ‚wahre Religion im Lande aufreht zu erhalten und ihren wohlthätigen Einfluß auf das Glück und die Moralität aller Bolksklaffen zu verbreiten.*) — Dies, fürchte ih, find Grumdjäge, welche ver Minifter Wöllner nicht adop⸗ tiren fann, und er wird deshalb, wenn er ein gewifienhafter Dann ift, feinen Abjchied nehmen! Thut er das nady einiger Zeit nicht, dann freilich werde ich ihm denfelben geben müfjen! — Sie fehen, Köderig, id rede offen und. ohne Rüdhalt mit Ihnen, wie zu einem wahren Freunde, und betrachte Sie ſchon als meinen Rathgeber. Sagen Sie mir jeßt, welches die Männer find, von denen Sie reden wollten, und bie nad Ihrer Meinung tüchtig und bewährt find? Das Antlig des Herrn von Köderig nahm einen verlegenen und ängftlihen Ausdruck an, aber der König wartete auf feine Antwort. Er durfte daher nicht länger ſchweigen. Nun denn, Majeftät, fagte er ein wenig beflommen, ich dachte an den Miniſter des Auswärtigen, Herrn von Haugwig, der, wie ich glaube, ein ebenfo redlicher Mann ift, wie fein erſter Rath, der Herr Lombard, ein talentvoller und genialer Gejhäftsmann ift. | Der König nidte lebhaft mit dem Haupt. Ich bin ganz Ihrer Meinung, fagte er, der Minifter von Haugwitz ift nicht blos ein red⸗ liher Mann, fondern au ein feiner Kopf, ein gewanbter ‘Diplomat und ein gewiegter Staatsmann. ch bedarf feiner Erfahrungen und *) Des Königs eigene Worte. Siehe: Zwanzig Jahre preußiicher Ge- ihichte von Menzel. ©. 534. 4 112 Kenntniffe, und da ich ihn außerdem für einen guten Batrioten halte, möge er bleiben, was er ift, Minifter des Auswärtigen! Ein Blig der Freude leuchtete in den Augen des Herrn von Köderit auf, aber er flug fie raſch nieder, um nicht von dem König errathen zu werden. | Was den Lombard anbetrifft, fuhr der König fort, fo haben Sie auch darin Recht, er iſt ein talentvoller und genialer Mann, nur von gar laxen und jacobiniſtiſchen Grundſätzen. Das franzöſiſche Blut regt fich in ihm mit allerlei democratiſchen Gelüſten. Ich wünſche, daß er dieſe unterdrücke, und werde ihm dabei behülflich ſein, wenn er ſich bewährt. Seine Stellung iſt zu hoch und zu bedeutend, um es mir nicht wünſchenswerth erſcheinen zu laſſen, ihn auch äußerlich in den hergebrachten Formen auftreten zu ſehen und ihn jeder Ausnahmeſtellung zu entheben. Er ſoll darauf antragen, in den Adelsſtand erhoben zu werden, ich werde es ihm gewähren! Sagen Sie ihm das! Herr von Köckeritz verneigte ſich ſchweigend. Haben Sie noch Jemand, den Sie mir empfehlen möchten? fragte ber König mit einem forſchenden Bid. Majeftät, fagte Köderig, ich weiß Niemand weiter! Aber ich bin überzeugt, daß Ew. Meajeftät allemal die rechte Wahl und ven rechten Mann treffen werden. Auch bei mir, hoffe ih, haben Ew. Majeſtät das gethan, denn wenn es darauf ankommt, einen treuen und ergebenen Diener in Ihrer Nähe zu haben, der auf der Welt nichts fo hoch ſchätzt, nichts jo innig Hebt, nichts fo verehrt, als feinen jungen König, fo bin ich der rechte Mann, und kein Anderer darf mit mir rivalifiren. Und wenn e8 ferner darauf ankommt, ftetS und zu allen Zeiten vor Em. Majeftät vie Wahrheit zu fagen, fo bin ich abermals der rechte Mann, denn ich hafje die Lüge, und wie jollte ich fie alfo jemals Ew. Majeftät geben wollen, da ih Em. Majeftät liebe! Ih glaube Ihnen, ich glaube Ihnen, rief der König, dem Obrift- Lieutenant feine Hand darreichend. Sie lieben mid und find ein recht— liher Mann, von Ihnen alfo werde ich immer die Wahrheit erfahren. Sie follen mir aber aud die öffentlihe Meinung, die man über mich and meine nene Negierung hegt, erforfchen, die Urtheile, vie man darüber % 113 fällt, prüfen, und wenn fie Ihnen richtig zu fein fcheinen, jo ſprechen Sie darüber mit folhen Perfonen, von denen Sie glauben, daß ſie unpar- teiifch reden werben und die Sadyen zu beurtheilen im Stande find. Wenn Sie auf diefe Weife die öffentlihe Meinung ausgeforfht und die Dinge erprobt haben, jo erwarte ich von Ihnen, daß Sie mir Alles gelegentlich vorhalten und mir Ihre Meinung feft und rüdhaltlos fagen. Ich werde gewiß nie bie gute Abdficht verfennen, vielmehr bemüht fein, da⸗ von Gebrauch zu maden.*) Und jet gleih will id) Sie einmal auf die Probe ftellen. Was denken Sie von dem Kongreß, der jest feit einigen Wochen. in Raftatt zufammengetreten ift, und auf weldhem das deutfche Reich um den Frieden mit Frankreich unterhandeln fol? Majeftät, ich denke, dag es für uns Alle gut fein wird, Frieden mit Frankreich zu haben, rief Herr von Köderig lebhaft. Wenn Preußen mit Frankreich fich entzweite, würde das für Defterreich nur eine gute Gelegenheit fein, während der Zeit, daß Preußen anderweitig beſchäf⸗ tigt wäre, feine alten Gelüfte auf Baiern endlich zur Ausführung zu bringen, und damit Preußen ihm gemiß nicht dabei hinderlich fein fönnte, würde Defterreih, das ſchon jetzt einen jo günftigen : Frieden mit Frankreih in Campo Formio abgefchloffen hat, fih zum Bundes⸗ genofien Frankreichs machen, um feiner alten Feindſchaft gegen Preußen Senüge zu thun. Ein Krieg zwifchen Oeſterreich und Preußen wäre die unausbleiblihe Folge davon, ganz Deutſchland würde fi in Par⸗ teien für und wider uns auflöjfen, und diefer Zuftand würde alsdann Tranfreich Gelegenheit, Zeit und Vorwand geben, auch feinerfeits feine Raubgelüſte auf Deutſchland auszuüben und, während wir vielleicht in Schleſien und Baiern mit Defterreich kämpfen, unfer linfes Rhein⸗ ufer zu erbeuten. | Ich bin ganz Ihrer Meinung, rief der König, das freut mich wahrhaft, mich in vollfonmener Uebereinftimmung mit Ihnen zu finden. Herr von Köderig wußte das freilich jehr genau, denn Alles, was er fo eben gefagt, war nur eine Wiederholung deſſen, was ihm ber *) Des Königs eigene Worte. Siehe: Schreiben bes Königs an den Obrift- Lieutenant von Köckeritz. Adbrſbaᷣ Napoleon. I. Bb. 8 114 König als Kronprinz oft in feinen vertraulichen Unterredungen gefagt hatte. Aber er hütete fi wohl, den König daran zu erinnern, und verneigte fi nur mit einem dankbaren Lächeln. Ya, fuhr der König fort, ic halte, glei Ihnen, e8 für ein Ges bot der Klugheit und des Vortheils, ung den Frieden mit Frankreich zu erhalten und uns diefer Macht immer enger anzufchliegen. Nur dadurch allein fünnen wir es verhindern, daß Defterreich feine Vers größerungspläne zur Ausführung bringe. Nur Defterreih, nicht aber Frankreich ift uns gefährlich; letzteres ift unfer natürlidher Bundesge- noffe, erfteres unfer natürlicher Widerſacher. Jeder Schritt, den Defter- veih in Deutfchland vorwärts thut, drängt Preußen um einen Schritt zurüd. Möge es immerhin feine Grenzen gegen Süden nach Italien bin erweitern, aber nie werde idy es zugeben, daß es feine Nord⸗ und MWeftgrenzen nad) Deutfchland weiter hineinfchiebe. Der Friede von Campo Forınio hat Venedig den Defterreihern eingebracht, aber Baiern darf es Demfelben nicht verdbanfen. Darauf zu wirken, daß Frankreich Died nicht gewährt, das ift die Aufgabe Preußens, und deshalb müffen ‚wir und immer enger mit Frankreich befreunden und verbinden. Das, mein lieber Köderig, ift meine Anfiht von ber Politit, die wir in nächſter Zeit zu verfolgen haben. Frieden nad außen, Frieden nad) innen! Kein gewaltfames Rütteln und Umftoßen, feine raſchen Neues rungen und Umgeftaltungen. Aus dem Beftehenden muß das Neue in eigener, jelbftftändiger Kraft aufwachjen, dann allein kann man gewiß fein, daß es Wurzel gefaßt bat. Ich werde ber Welt nicht als ein ſchöpferiſcher Reformator vorangehen, ich werbe nicht eine neue Ord⸗ nung der Dinge jchaffen, aber ich werde ſtets bemüht fein, die Reformen anzunehmen, die ſich bewährt haben, und allmälig Das zum Guten und Nüslichen umzugeftalten, was jegt vielleicht noch ſchlecht und man- gelyaft ift. Und in allen diefen Dingen follen Sie mir rathend, hel⸗ fend und fördernd zur Seite ftehen, mein lieber Köderig. Verſprechen Sie mir das, daß Sie es wollen? Er fah dem Obrift-Pieutenant tief und ernft in's Angefiht und reichte ihm feine Hand dar. 115 Ich verfprehe es Em. Majeftät, rief Herr von Köckeritz feierlich, jeine Hand in die des Königs legend. Gut denn, fagte der König, mit diefem Handſchlag nehme ich Sie in Eid und Pflicht, und bin überzeugt, daß ich eine gute Wahl ge- troffen babe! Bleiben Sie, was Sie find, ein offener, redlicher Mann! Meinerſeits haben Sie fih alsdann der volllommenften Dankbarkeit und Erfenntlichkeit zu verfichern, aber andrerfeits müſſen Sie bedenken, daß Sie mich nicht allein perfünlich verbinden, jondern, daß ih Sie gewiffermaßen im Namen des Staats auffordere, wirkſam für biefen zu fein. Deveinft aber werden Sie die jüße Meberzeugung und Be- ruhigung gewinnen, daß Sie nicht wenig zum Wohl und Beften des Ganzen mitgewirkt und daburd den Dank jedes wohldentenden Pa- trioten verbient haben. Für einen Dann von wahrer Ehre und Am⸗ bition, für einen Mann, wie Sie, kann e8 wohl feine füßere Beloh- nung geben. *) IV. JFriedrich Gentz. Es war noch früh am Tage, die Vorhänge aller Fenſter in der Taubenſtraße waren noch feſt verſchloſſen, nur in Einem Hauſe regte fi ſchon das friſche, frohe Leben des Tages, und vor der Thür deſ⸗ felben ftand ſchon ein Reiſewagen, den der aus⸗ und eingehende Diener mit immer neuen Koffern, Kiften und Paleten belud. Auch im ben Zimmern des erften Stockes ging es lebhaft und bewegt zu, auch hier -waren eifrige Hände befhäftigt, zu räumen und zu paden; die Meu- bles wurden mit Stroh ummidelt und in leinene Bezüge eingenäht, die Spiegel und Schilvereien von den Wänden genommen und in Holz- tiften gelegt, die Vorhänge der Yenfter wurden gelöft, und Alles ver- *) Des Königs eigene Worte. Siehe: Schreiben des Königs ıc. or 116 rieth, daß man hier nicht blos eine Neife, fondern einen Auszug, ein Aufgeben gewohnter Kebensverhältniffe beabfichtige. So war ed au, und während es in den Vorzimmern und braußen bei dem Neifewagen munter und lebhaft zuging, verweilen Diejenigen, um deren willen all dieſer Lärmen, dieſe Unruhe entftanden, in trüber, ernfter Abſchiedsſtimmung in ihrem Wohnzimmer. E8 war eine junge Frau von faum vierundzwanzig und ein Dann von ungefähr fehsundpreißig Jahren. Sie eine liebliche, zarte Ge- ftalt mit bleihem, traurigem Angeficht, er eine derbe, Fräftige Er- fheinung mit vollem, rundem Geficht, mit großen, Iebensvollen Augen, die ſich jegt mur bemühten, ernft und trübe zu bliden, und es doch faum vermodten; fie im Reiſe-Coſtüm, er im bequemen, eleganten Hausrod. Beide hatten fie eine Zeitlang gefchwiegen, und am Fenſter ſtehend — ober Jeder an einem andern Fenſter — Hatten fie ftumm dem Aufbau des Keifewagens zugefehen. Jetzt wandte ſich bie junge Frau mit einem tiefen Seufzer von dem Yenfter ab und näherte fi) dem Manne, der gleihfalls von dem Fenſter zurüdgetreten war. Ich glaube, man ift fertig mit ven Koffern, und ich kann jet reifen, Friedrich, jagte fie mit leifer, zitternder Stimme. Er nidte leiht mit dem Haupt und reichte ihr feine Hand dar. Und Du zürnft mir nicht, Julie? fragte er. Sie nahm feine Hand nit an, fondern fhaute nur mit einem langſamen, traurigen Blid zu ihm empor. Ich zürne nicht, fagte fie, ic, bitte Gott, daß er Dir vergebe. | Und Du, Yulie, vergiebft aud Du mir? Denn ich weiß, ich habe mid ſchwer an Dir vergangen, babe Dich viele Thränen vergießen machen, Dir zwei Jahre Deines Lebens getrübt, zwei Jahre, welche einen grauen Schatten über Deine ganze Zukunft breiten werben. Al Du zuerft in diejes Zimmer trateft, warft Du ein junges, un- ſchuldiges Mädchen mit rofigen Wangen und leuchtenden Augen, und heute, wo Du e8 für immer verläfjeft, bift Du eine arme, bleiche Frau, deren Herz gefnicdt, deren Auge trübe ift. Eine gefhiedene Frau, das jagt Alles, flüfterte fie Leife. Ich 117 kam hierher mit einem Herzen vol Glück, ich gehe mit einem Herzen voll Unglüd! Ich kam mit dem freudigen Vorfag und mit der feften Gewißheit, Dich glücklich machen zu wollen, und ih gehe mit bem ichmerzuollen Bewußtfein, aud) Dir das Glüd nicht gegeben zu haben, nad) welchem ich für mich fo fehmerzlich fuchte. Ach, es ift jehr traurig und bitter, dies als das einzige Nefultat von zwei langen Jahren annehmen zu müſſen. Ya wohl, es ift traurig, ſagte er feufzenb. Aber wir find doch im Grunde Beide ganz unfhuldig daran. E8 war ein Mißton in unjerer Ehe, ſchon bevor fie begonnen, und deshalb konnte es nie zu einer wirflihen Harmonie fommen. Diefer Mißton, — nun ja, in biefer Stunde darf ih Dir auch dies noch bekennen, — diefer Mißton war: — daß ih Dich nie geliebt habe! Ein ſchmerzliches Zuden zeigte fih um die bleichen Lippen ber jungen Frau. Dann warft Du alfo ein großer Heuchler, jagte fie leife, denn Deine Worte, Deine Schwüre ließen mid das nicht ahnen. Ya, ih war ein Heuchler, ein Erbärmlicher, ein Feigling! rief er ungeftüm. Man beftürmte mich mit Ermahnungen, mit Bitten, mit Borftelungen. Man wußte mir jo Hug zu fchmeicheln mit dem Ge⸗ danken, daß Du, die fohöne, die reiche und ummorbene Julie Gilly, Did in mih, den armen, unbefannten Frievrih Gens, den unbe- deutenden Kriegsrath, verliebt hätteft, man verjiand es, mir ben Triumph auszumalen, wenn ich zum Aeger aller Deiner Freier Dich heimführte! Mich beraufhen Schmeicheleien, und ein Erfolg und Triumph über Andere entzücdt mich wie eine Opiumphantafie. Wein Bater fprah von meinen Schulden, meine Gläubiger drohten mit Vers folgungen und Einftedungen — Und fo, unterbrady fie ihn, jo opferteft Du mid) Deiner Eitelkeit und Deinen Schulden, logſt mir eine Liebe, die Du nicht empfandeſt, und nahmſt meine Hand an. Mein Vater bezahlte Deine Schulden, Du verſprachſt ihm, mir und Dir ſelber, keine neuen zu machen, aber Du hielteſt nicht Wort. Statt, daß Du bisher Hunderte vergeudet hatteſt, vergeudeteſt Du jetzt Tauſende, bis mein mütterliches Erbtheil dahin war, bie mein Bater ſich im Zorn von uns wandte wod GWwx, 118 ung niemals wieder zu fehen. Die Gläubiger, die Schulden, bie Ber- legenheiten famen wieder, und da ich nicht mehr Geld hatte, um zu zahlen, warft Du mir feine Rüdfichten mehr ſchuldig, hatteft Du Did nit mehr zu erinnern, daß ih Deine Frau fei. Du hatteft Lieb⸗ Ihaften, ich wußte es und fchwieg, es kamen Liehesbriefe an Dich, nicht von einer Beftimmten, welde Du liebteft, fondern bald von Diefer, bald von Jener, id wußte e8 und ſchwieg. Aber als Du endlich die ganze Stadt zum Zeugen Deiner Leidenſchaft für eine Schaufpielerin machteft, als ganz Berlin fi lachend von diefer Leidenfchaft erzählte und von ben Thorheiten, die fie Dich begehen ließ, da burfte und fonnte ich nicht mehr fchweigen, da forderte meine.beleidigte Frauenehre, baß ich eine Scheidung begehrte. | Und Jedermann muß anerkennen, daß Du Recht thateſt, ich ſelber hätte Dir als Freund nicht anders rathen können, denn ändern werde ich und kann ich mich nie! Ich bin einmal nicht dazu geſchaffen, ein ſtilles, gemüthliches Familienleben zu führen. Der Geruch einer Häus- lichkeit widert mid) an, das Gefühl der Gebundenheit macht mich auf- bäumen, wie ein edles Roß, dem zum erften Mal Zügel und Zaum angelegt werden. Ich Tann feine Fefleln tragen, Julie, felbft nicht bie eines guten gefühlwollen Weibes, wie Du es bift. Du fannft feine Feſſeln tragen und liegft doch immer im Feſſeln, ſagte ſie bitter, in den Feſſeln Deiner Schulden, Deiner Liebſchaften und Deines Leichtſinns. Oh, höre mich, beachte nur dies Eine Mal meine Worte, ſie find wie die einer Sterbenden, denn wir werden uns niemals wiederſehen! Denke, es ſei eine Mutter, welche zu Dir ſpricht, eine Mutter, welche Dich liebt. Denn ich will es Dir geſte— hen, ich liebe Dich noch immer, Gentz, mein Herz kann ſich immer noch nicht losreißen, und auch jetzt, wo ich Dich aufgeben muß, fühle ih doch noch, daß ich an Dich gefeſſelt bleibe für ewig und immerdar. Dh, die wahre Liebe ift jo ftark im Hoffen, und deshalb blieb id in Deinem Haufe, obwohl mein Vater ſchon für mid auf Scheidung an: getragen. Ich hoffte noch immer, daß Dein Herz zu mir zurüdfehren würde, — ad, ich ahnte ja nicht, daß Du mic, niemals geliebt hatteft, /o Hoffte. ich vergeblih und muß jett gehen, benn heute wird un- 119 fere Scheidung proclamirt, und die Ehre verbirtet mir, noch länger bier zu bleiben! Aber jest, va ich gehe, jett höre noch einmal bie mahnende Stimme einer Freundin: Friedrich Geng, fehre um! Gehe nicht weiter auf diefem fthlüpfrigen Pfade des Leichtfinns und ber Wolluſt. Rufe Dich felber zurüd aus biefem Strudel der Vergnü- gungen und ber eitlen Freuden. Gott hat Dir einen edlen Geift, einen iharfen Berftand gegeben, gebrauche Deine Kräfte. Werbe der große, ber berühmte Dann, der Du zu fein berufen bift! Siehe, ich glaube an. Dich, und obwohl Du nur den Zerftreuungen, den Bergnügungen zu leben fcheinft, fo weiß ich do, daß Du zu Großem berufen bift und daß Du Großes vollbringen fannft, wenn Du nur willft! Wolle aljo, reife Dich los aus diefem Strudel der Genußſucht. Verſtopfe Dein Ohr gegen das verlodende Lied der Sirenen und horche auf bie großen gewaltigen Stimmen, welde in Deiner Bruft ertönen und Did) auf die Bahnen des Ruhmes und des Ehrgeizes rufen. Folge ihnen, Friedrich Geng, werde ein Mann, treibe nicht umber auf ſchutzloſem Kahn, befteige ein ſtolzes, hoch bewinpeltes Schiff, faffe nach dem Ruder und führe es hinaus auf den Ocean. Du bift ver Mann dazu, es zu lenfen, und ber Ocean wird Dir gehorchen, und Du wirft in den Hafen gelangen, beladen mit Schägen, mit Ruhm und Ehre! Wolle nur! Gedenke meiner Worte, und jett lebe wohl, Friedrich Gentz, und damit Du glüdlid, lebeft, gedenke niemals meiner! Sie wandte fih raſch um und verließ eiligft das Gemad. Er ftand wie an den Boden gewurzelt, er ſchaute mit träumerifchen Blicken ihr nad, und ihre Worte tönten wie ein mächtiges Sturmlieb noch immer in feinen Obren nad). Als aber dann von der Straße her das Rollen eines abfahrenden Wagens herauf tönte, fchredte er zufammen und fuhr fih mit der Hand über fein zudendes Angefiht und flüfterte leife: ich babe Unrecht an ihr gethan, Gott vergebe es mir! Auf einmal richtete er ſich wieder empor, unb jetzt flammte ein Ausprud feliger Freude in feinem Antlig auf. Ich bin frei! rief er laut und mit einem Ausbrud unausſprechlichen Glüdes. Ja, ih bin’ frei! Das Leben, die Welt gehört mir wieder! Alle Frauen find wieder mein, alle Amoretten flattern wieder zu mir her, denn fte haben 120 nicht mehr nöthig, fich vor dem Ängftlichen Angeficht eines vielleicht zu ertappenden Ehemannes, vor den fpähenden Blicken einer eiferfüchtigen Ehefrau zu verfriehen. Das Leben ift wieder mein und ich will’s genießen, bei Gott, ich will's genießen, wie einen buftigen Wein, den man in goldenem, brillantenfuntelnden Becher an feine Lippen drüdt! — Ah, wie ſie da hämmern und pochen im Vorzimmer, das ſind die Paukenſchläge meines Freiheitsmarſches! Die Meubles des Eheſtandes fort, und die Bilder, die Spiegel, Alles fort, fort! Es ſoll leer werden von der Vergangenheit in allen dieſen Zimmern, ich will neue Meubles haben, Meubles von Gold und Sammet, große Venetianiſche Spiegel, berrlihe Gemälte! Oh, es fol ſchön und glänzend bei mir werben, wie bei einem Fürſten, und ganz Berlin foll ſich erzählen von dem Glanz und dem Lurus tes Kriegsraths Friedrih Geng! Und wem werde ich dies Alles danken? Nicht der Mitgift einer Frau, fondern mir, mir allem, meinem Talent und meinem’ Genie! Ob, darin fol ſich wenigſtens dieſe arnıe Julie nicht getäufcht haben, Ruhm will ich mir erwerben und Ehre und Herrlichkeit, in ganz Europa fol man meinen Namen fennen, in allen Cabinetten. joll er wiedertönen, alle Miniſter jollen zu mir ihre Zuflucht nehmen und — horch, was iſt das, unterbrah er fih auf einmal felber, ich glanbe wahrhaftig, \ man zankt fih da im Vorzimmer! In der That hörte man da von außen heftige Stimmen im leb- haften Streit miteinander; plöglih ward die Thür aufgerifien und ein fräftiger, breitfhultriger Mann mit zorngerötheten Antlig erſchien auf der Schwelle. Nun, rief er mit einem rauben Lachen, fih an den hinter ihm ftehenden Livreebebienten wendend, habe ih nun nicht Recht gehabt, zu fagen, daß der Herr Kriegsrath Geng zu Haufe fei? Er wollt’ mid nur nicht melden, weil Sein Herr Ihm befohlen, Beſuche meiner Art niht anzunehmen. Aber ich will angenommen werben, ih will nicht wie ein Narr im Vorzimmer mich abweifen laffen,. während der Herr Kriegsrath ganz behaglih auf feinem Sopha fitt und mich auslacht! Sie ſehen wohl, mein guter Herr Werner, ich ſitze weder auf 121 meinem Sopha, noch lache ih, fagte Geng, indem er fi, langfam dem Zürnenden näherte, und id) bitte Sie, mir zu fagen, was Sie von mir wünfchen? Was ich von Ihnen wünjche! rief der Angeredete mit einem jpöt- tigen Lachen. Herr, Sie wiflen, was ih von Ihnen will! Mein Geld will ih! Meine fünfhundert Thaler, die Sie mir feit einem Jahre Schulden! Ich habe Ihrem ehrlichen Wort, Ihrem Namen ver- traut, habe Ihnen meine beften Rheinweine, meinen beften Champagner geliefert und die ansgezeichnetften Delicateffen zu Ihren Gaftmahlen. Sie haben Ihre Freunde bewirthet, das ift gut und lobenswerth, aber es jo. nicht auf meine, fondern auf Ihre Koften gefchehen. Und darum bin ih hier und Sie müfjen zahlen, und ich fordere zum hundertften und zum legten Male mein Gelo! Und wenn ich Ihnen leiver zum hundertſten, aber nicht zum lebten Male erkläre, daß ich fein Geld habe? Dann gehe ich in’s Kriegsminifterium und laſſe Arreft legen auf Ihr Gehalt! Ad, mem Lieber, Sie fommen zu fpät, rief Gent lachend. Mein edler Hauswirth ift Ihnen fehon zuvorgelonmen, er hat mein Gehalt auf ein ganzes Yahr mit Beſchlag belegt, und ich glaube, es reicht noch nicht aus für das, was ich ihm ſchulde! Aber zum Teufel, Herr, fo müſſen Sie auf andere Weije Rath ihaffen, denn ich fage Ihnen, ich gehe nicht von bier fort, ohne be- zahlt zu fein. Lieber Herr Werner, ich bitte, fehreien Sie nicht fo fürchterlich, ſagte Gens ängftlih, ich habe ein ſehr empfinblidhes Ohr und folche Stimmen ängftigen mid, wie ein Gewitter! Mein Gott, ich bin ja gern bereit, Sie zu bezahlen, geben Sie mir nur ein Mittel an, wie ih es kann! Borgen Sie Sich Geld von Andern und bezahlen Sie mich damit! Mein Lieber, das iſt ein Mittel, welches ich ſchon längſt erſchöpft habe. Niemand borgt mir mehr, weder auf Zinſen, noch auf Ehrenwort. Aber zum Teufel, Herr, wovon wollen Sie mid) denn bezahlen? Das ift es ja, was ich eben noch nicht weiß, aber eiges Target 122 werde ich e8 willen und dies wird fehr balo fein. Denn ih ſage Ihnen, mein Herr, diefe Tage der Erniebrigung und der Schulden werben für mid aufhören, ich werde eine hobe, eine glänzende Stellung einnehmen, der junge König wird fie mir geben und ih — - Rarifari, unterbrach ihn Werner, fpeifen Sie mid) nit mit Hoff: nungen ab, da ich Sie mit Delicateffen gefpeift und Ihnen meinen Champagner zu trinken gegeben. Mein Lieber, nicht ich allein, ſondern alle meine Freunde mit mir haben Ihre. Gaben genoſſen, und jetzt wollen Sie, daß ich allein be- zahle. Das ift gegen alle Naturgefege, gegen alle National-Oekonomie! Herr Kriegsrath, wollen Sie mi verhöhnen mit Ihrer Nationab⸗ Oekonomie? Was verſtehen Sie von Oekonomie! Doch, ich verſtehe etwas davon, und meine Schrift über die Finany verwaltung Englands hat mir Ehre und Ruhm eingetragen. Sie hätten Sich lieber um Ihre eigene Finanzverwaltung beküm⸗ mern ſollen, Herr Kriegsrath. In was für einen Zuſtand die aber iſt, das weiß ganz Berlin. Und doch gab es immer noch edle Menſchen, die ein edles Ver⸗ trauen zu mir hegten und mir glaubten, daß ich bezahlen würde, wenn ich von ihnen borgte. Sie gehören zu dieſen edlen Menſchen, Herr Werner, und ich werde Ihnen das nie vergeſſen. Haben Sie alſo nur noch ein klein wenig Geduld und ich werde Sie bezahlen und Ihnen auch noch die Zinſen berechnen! Ich kann keine Geduld mehr haben, Herr Kriegsrath, ich bin ſelber in der äußerſten Noth und Verlegenheit, habe heute noch große Wechſel zu bezahlen, und wenn ich das nicht kann, bin ich verloren, mit Weib und Kind ruinirt, geſchändet vor allen Leuten, denn ich muß alsdann Banquerott machen und es geſchehen laſſen, daß man mich einen Betrüger, einen Schuft nennt, der Schulden macht, ohne zu wiſſen, wovon er ſie bezahlen kann. Herr, dies dulde ich nicht, und deshalb muß ich mein Geld haben, und deshalb werde ich nicht eher fortgehen, als bis Sie mich bezahlt, auf Heller und Pfennig ber zahlt haben. 123 Dann, mein Lieber, fürchte ih, Sie werben hier bleiben und wie Lot's Weib zur Salzfäule erftatren! Herr, jeien Sie ernfthaft, wenn ich bitten darf, denn es handelt fih bier nur um ernfibafte Sachen. Fünfhundert Thaler find Feine ſcherzhafte Kleinigkeit, man kann fie in wenigen Tagen verſchwenden, aber man kann ſich aud) eine Kugel darüber durch den Kopf jagen. Bezahlen Sie mich, ich will bezahlt fein, ih muß mein Geld haben! Herr Gott, ſchreien Sie nicht fo fürchterlich, ich fagte Ihnen fchon, ih kann das Schreien nicht aushalten! Ich fehe ja ein, daß fünf- hundert Thaler eine ernithafte Sache find, und daß Sie fie durchaus haben müſſen. Ich will mic auch bemühen, ich will das Aenferfte verfuchen, nur feien Sie rubig. Ich verfpreche Ihnen, Alles zu verfuchen, um Ihnen zu Geld zu verhelfen, dafür aber müſſen Sie mir ver- iprehen, ruhig und friedlich nah Haufe zu gehen und zu. erwarten, daß ih Ihnen Ihr Geld bringe. Was wollen Sie thbun? Wie wollen Sie fi Geld verichaffen? Sie fagten ja, daß Niemand Ihnen mehr borgt! Aber vielleicht ſchenkt mir Jemand die armfeligen fünfhundert Thaler, und das ſcheint mir, iſt eben ſo viel werth. Oh, Sie wollen mich zum Narren machen! Nicht doch! Seien Sie ſtille und laſſen Sie mich einen Brief ſchreiben, ich werde Sie nachher die Aufſchrift leſen laſſen, damit Sie ſehen, von wen ich Hülfe erwarte! Er trat eilig zum Schreibtifch, fchrieb raſch einige Zeilen und ftedte das Papier in ein großes Couvert, das er alsdann ftegelte und adreffirte. . Lejen Sie die Adreſſe, fagte er, Herrn Berner den Brief hinhaltend. An Se. Ercellenz, ven Herrn Grafen und Finanzminifter General der Artillerie von Schulenburg-Kehnert! las Werner mit ftodender Zunge, inden er feine ftaunenden, fragenden Blide auf Geng richtete. Und diefen Mann bitten Sie um ©eld, Herr Kriegsrath? Ja, diefen bitte ih, und Sie müſſen geftehen, das ein Yinanz- minifter fehr geeignet dazu ift, ihn um Gelb zu bitten. Ich habe Sr. Ercellenz gefchrieben, Daß ich heute in großer Berlegenheit hin wm 124. fünfhunvdert Thaler und ihn bitte, mic aus der Noth zu helfen. Ich babe ihn gebeten, mir heute im Laufe des Vormittags eine Stunde zu beftimmen, in der ich zu ihm kommen und mir das Gelb abholen fann. Und Sie glauben wahrhaftig, daß er Ihnen das Gelb geben wird, Herr Kriegsrath.? Mein Lieber, ih bin davon überzeugt, und damit auch Sie über- zeugt werden, mache id Ihnen einen Vorſchlag. Begleiten Sie meinen Diener zum Haufe des Minifters, tragen Sie felber meinen Brief hinein und laffen Sie fid) die Antwort geben, dann jagen Sie biefelbe meinem Bedienten, gehen getröjtet nach Safe und warten allva, bis id) Ihnen Ihr Geld bringe! Und wenn Sie num nicht fommen? fragte Werner Eleinlaut. Dann bleibt Ihnen noch immer das legte- Mittel übrig, ſich eine Kugel durch den Kopf zu jagen! Gehen Sie, mein Lieber! Sohann! Johann! Der Diener öffnete mit einer Schnelligkeit, welche bewies, daß ſein Ohr vielleicht dem Schlufſelloch nicht ſehr fern geweſen, die Thür. Johann, ſagte Gentz, begleite ven Herrn bis zum Hötel des Mi- nifters Schulenburg-Kehnert und warte draußen auf den Befcheid, ben er Dir zurüdbringen wird. Und jegt, Herr Werner, leben Sie wohl, Sie fehen, ich habe gethan, was ich kann, und ich hoffe, Sie werben fih deffen in Zukunft erinnern und nicht folden Lärm machen um einiger elenden hundert Thaler willen. Mein Gott, wenn id) Nie— manden mehr fhuldig wäre, als Ihnen, ſo könnten meine Gläubiger ſich glücklich ſchätzen! Die armen Gläubiger, ſeufzte Herr Werner, indem er Gentz zum Abſchied begrüßte, und mit dem Bedienten, ven Brief wie eine Sieges⸗ trophäe in der Hand haltend, hinaus ging. 125 V. Die Audieny beim Finanzminiſter. Nun, ich bin in der That begierig, ob mir der Miniſter das Geld giebt, ſagte Gentz leiſe vor ſich hin, das wird mir ein Zeichen ſein, ob mein Brief, den ich geſtern Menken für den König gegeben habe, gut aufgenommen iſt, und ob ich endlich auf Beförderung und Ehren hoffen kann! Mein Gott, ich verſchmachte ja auf dieſer untergeordneten, elenden Stellung! Ich bin zu Höherem und Größerem berufen, bin mehr werth, als alle dieſe Generäle, Miniſter und Geſandte, die ſich blähen und groß dünken und ſich unterſtehen, auf mid) als einen Unter- geordneten herabjehen zu wollen! Ah, ich werde mich nicht fo weit erniedrigen, vor dieſem vornehmen Lumpengefindel zu kriechen und zu hundewedeln, ich will nicht von ihnen emporgehoben werben, jonvern ih will ihnen gleich fein, den Erften und Größten von allen dieſen fogenannten Staatslenfern fühle ich mich ebenbürtig, und nit Ich bedarf ihrer, fondern fie bebürfen Meiner! Ab, mein Gott, da klopft e8 Schon wieder, und Johann ift nicht zu Haufe! Mein Gott, wenn es nun wieder einer biefer fchreienden unverſchämten Gläubiger ift! AU dieſe Unruhe verdan®’ ich Julien! Weil ihre Sachen fortgejchidt werben, find alle Thüren offen, und Jedermann kann ohne Weiteres zu mir gelangen! Ia doc, ja! Ich made ſchon auf! Er eilte zur Thür und ſchob den Riegel zurüd. Draußen indeß fand dies Mal nicht einer feiner Gläubiger, fondern ein königlicher Lakai, der ſich tief und ehrfurchtsvoll vor dem Herrn Kriegsrath verneigte. Se. Königliche Hoheit der Prinz Louis Ferdinand, fagte er, läßt den Herrn Kriegsrath morgen Mittag zur Tafel einlaven! Gentz nickte gravitätiſch. Ich werde kommen! ſagte er kurz und winkte dann lebhaft ſeinem Diener zu, der eben in das andere Zimmer eintrat. | Nun, Johann, was für Botfchaft bringft Du mir? > 126 Se. Ercellenz läßt den Herrn Kriegsrath erfuchen, fih in einer Stunde zu ihm zu bemühen! Es ift gut, fagte Gen, und ein Ausdruck innerer Befriedigung flog über fein Antlis bin. Er ſchloß die Thür und trat wieder in fein Arbeitszimmer zurüd, in welchem er, die Hände auf dem Nüden ge- faltet, mit großen Schritten auf und abzugeben begann. In einer Stunde will er mich empfangen, fagte er vor fidh hin, das beweift mir alfo, daß der König meinen Brief gut aufgenommen bat, und daß ich endlich im Begriff bin, meine Karriere zu machen! Ah, nun ift mein Kopf leicht und mein Be frei, nun will ich ar⸗ beiten. Er ſetzte ſich an ſeinen Schreibtiſch und begann eifrig zu ſchreiben. Seine Züge nahmen einen ernſten Ausdruck an, und edle, ſtolze Ge- banken Leuchteten von feiner hohen Stirn. — So ganz war er ver- tieft in feine Arbeit, daß er die Audienz bei dem Minifter ganz ver- geſſen hatte, und fein Diener fommen mußte, ihm zu mahnen, daß bie feftgefegte Stunde gekommen jei. Ah, fih in feiner Arbeit ftören zu müſſen um folcher Lappalie willen! ſeufzte Gentz, indem er unwillig die Feder fortlegte und auf⸗ ſtand. Nun denn, wenn es ſein muß, gieb her den Frack, Johann, ich will zu der Excellenz gehen! Eine Viertelſtunde ſpäter trat der Kriegsrath Friedrich Gentz in das Antichambre des Finanzminiſters von Schulenburg⸗Kehnert. Melden Sie mich Sr. Excellenz, ich werde erwartet! befahl er mit ſtolzem Kopfneigen dem Kammerdiener und folgte dem raſch durch das Vor⸗ zimmer Eilenden bi8 zur Thür des minifteriellen Kabinets. Erlauben Sie, daß ih Sie Sr. Ercellenz melve, fagte der Kammer- biener, und fchlüpfte hinter bie Portiöre. Aber nad einigen Minuten Ihon fehrte er zurüd. Se. Erxcellenz laſſen den Herrn Kriegsrath bitten, ein wenig zu warten! Er hat nur no einige Depeſchen abzufertigen, wird aber jehr bald die Ehre haben, den Herrn Kriegsrath in fein Kabinet zu bitten! Out, ich werde warten! fagte Gens mit einem leifen Stirn» 127 runzeln, und er näherte ſich den Büchern, die in präcdtigen Einbänden in einer Reihe vergoldeter Schränke an ven Wänden aufgeitellt waren. Die herrlidhiten, koſtbarſten Werke der älteften und neueften Literatur, die feltenften Ausgaben, die prächtigften Kupferwerke waren in biefer Bibliothef vereinigt und Gent ſah das mit innerm Grimme. Und das Alles können dieſe Menjchen haben, haben fie und achten ſolche Schäge fo gering, daß fie fie im Borzimmer aufftellen, fagte er mürrifh vor ſich bin, ganz vergeflend, daß ver Kammer⸗ biener no da war und ihn hören konnte. Auch hatte er ihn wirklich gehört. Verzeihen Sie, Herr Kriegsrath, ſagte er, ſich Gentz nähernd, Se. Excellenz achten dieſe Schätze nicht gering, ſondern halten ſie viel⸗ mehr ſehr hoch und freuen ſich jedes Mal, wenn ein ſo prächtiger Einband vom Buchbinder abgeliefert wird. Deswegen haben Se. Er- cellenz auch befohlen, daß die Bibliothek hier im Vorſaal aufgeftellt werde, damit auch Andere fich derfelben freuen, und damit die Herren, welche hier ein wenig warten, body auch Serftvenung u und Unterhaltung baben. Man darf alfo viefe Bücher herausnehmen und darin lejen? fragte Gentz. Der Kammerbiener machte ein verlegenes Gefiht. Das, fagte er (hüchtern, das glaube id, würden Se. Ercellenz nicht jehr gern fehen, dein wie der Herr Kriegsrath fehen, find alle dieſe fhönen Bücher mit Goldſchnitt verjehen, und der Goldſchnitt leidet gar fehr, wenn bie Bücher gelefen werden. Jedes Aufichlagen der Bücher ſchon läßt eine Spur zurüd. Und der Goldſchnitt auf dieſer Reihe der Vücher bier ift wie neu und vollkommen unverlegt, jagte Gent ernfthaft. Sie ftehen alle auch noch fo da, wie fie vom Buchbinder gefommen find, rief der Kammerbiener feierlih, Niemand würde e8 wagen, fie zu laediren! Auch der Herr Minifter lieft nicht darin? Behüte der Himmel! Se. Ercellenz liebt die Bücher, aber er hat nicht Zeit, viel zu Iefen. Sp oft aber Excellenz hier dureh das Vor⸗ 128 zimmer kommt, bleibt er vor feinen Bücherfchränfen ftehen und betrachtet fie fih und wijcht oft mit eigenen Händen ven Staub von dem Gold- fchnitt fort. _ Wahrlich, das macht einem Sinanzminifter viel Ehre, fagte Gent emphatifch, es ift immer tröftlih, wenn ein Yinanzminifter den Staub vom Gold abwifcht! Ich wäre fehr glüdlih, wenn Se. Excellenz das auch für mich vecht oft thun wollte! Aber finden Sie nicht, mein Lieber, daß Se. Exeellenz recht lange Zeit zu ihren Depefchen braudhen? Es ift faft fchon eine halbe Stunde verfloffen, daß ich warte. Se. Ercellenz werben gewiß gleich Flingeln. Klingeln? fragte Gent erfhroden. Nah wen? Nun nad) mir, um mic zu beauftragen, daß ich den dere Kriegs: rath einführen fol! Ab, nach Ihnen! ſagte Geng aufathmend, indem er fich wieber ben Büchern zumandte, um wenigftens mit dem Leſen der Titel die Zeit binzubringen, ba er nicht wagen dürfte, eins biejer prächtigen Bücher aus feiner Reihe zu nehmen und aufzufchlagen. So verftrih die Zeit, Geng ging an den Schränfen auf und ab, ſtudirte die Büchertitel und wartete; der Kammerbiener hatte fih im das lebte. Fenſter zurüdgezogen und wartete auch. Die große Wanduhr begann jest langfam und feierlich zu ſchlagen und verlündete damit, daß der Herr Kriegsrath Geng ſchon eine volle Stunde im Borzimmer des Finanzminifters wartete. Und Se. Excellenz ſchellte noch immer nicht. Yegt wandte ſich Geng mit finfterm Angefiht zu dem Kammer⸗ diener hin. Ich bin überzeugt, daß der Herr Minifter ganz vergeſſen haben, daß ich bier im Vorzimmer ftehe, jagte er ingrimmig. Die Depefchen ſcheinen ſich ſehr in die Länge zu ziehen, ich warte jchon eine Stunde. Ih muß Sie daher bitten, dem Herrn Minifter jagen zu laſſen, daß ich nicht länger warten fann, denn aud ich habe viel fache Gejchäfte und muß in mein Studirzimmer zurüdfehren! Sagen Sie das Sr. Exeellenz. Aber ic, darf doch Se. Excellenz nicht fören, ohne daß es klingelt? fragte der Kammerdiener ängſtlich. 129 Sie mäflen fo gut fein, ihn zu flören und ihm zu fagen, daß, wenn er mich nicht ſogleich annehmen kann, ich fortgehen muß! rief Gentz energiſch. Gehen Sie! Der Kammerdiener ſeufzte tief auf. Nun denn, auf Ihre Ver⸗ antwortung, Herr Kriegsrath, ſagte er leiſe, indem er hinter die Por- tiere ſchlüpfte. Bald darauf kehrte er zurück und ein ſchadenfrohes Lächeln umfpielte feine Lippen. - Se. Excellenz lafien bedauern, daß der Herr Kriegsrath nicht länger warten können, ſagte er, da Excellenz leider fo bejchäftigt find, daß Sie ſich nicht unterbrechen können. Excellenz bitten daher ben Herrn Kriegsrath, morgen um viefelbe Stunde wiederkommen zu wollen! Ge. Ercellenz ſchicken mich fort, ohne mich anzunehmen, nachdem ich hier eine Stunde gewartet habe? fragte Gentz ungläubig. Excellenz ſind überhäuft mit unerwarteten Arbeiten, ſagte der Kammerdiener achſelzuckend. Excellenz laſſen daher auf morgen bitten! Gentz ſchleuderte auf den Kammerdiener einen Blick, der ihn einem Blitzſtrahl gleich hätte zerſchmettern müſſen, wenn er nicht von Stein geweſen wäre. Aber er war von Stein und der Blitz prallte daher von ihm ab. Er war dem Herrn Kriegsrath lächelnd be⸗ bülflich, feinen Mantel umzulegen, gab ihm mit einer tiefen Berbeu- gung feinen Hut und flog dann vor ihm ber, um ihm bie Thür zu öffnen. In dieſem Augenblid ließ ſich aus dem Cabinet des Miniſters lautes und heftiges Klingeln vernehmen. Der Kammerdiener öffnete raſch die Thür, die nach dem Corridor führte und deutete einladend darauf hin. Aber Gentz rührte ſich nicht. Er hatte mit einer haſtigen Bewegung ſich den Hut aufgeſetzt, und zog ſich jetzt ſeine Handſchuhe an mit einem Geſicht und einer Wichtigkeit, als ob es Fechthandſchuhe wären, mit denen er ſich bewaffnen wollte, um auf den Kampfplatz hinaus zu treten. Die Klingel des Herrn Miniſters ließ ſich jetzt noch lauter, noch heftiger vernehmen. Berjeiben He, Herr Kriegsrath, rief ver Kommedienet CHE Auditbad Rapoleon. I. Bb. N 130 Se. Excellenz ruft mid. Sie haben wohl die Güte, die Thür hinter fih zuzubrüden. Ich muß zum Herrn Minifter. Er flog raſch durch das Zimmer zurück und eilte in das Cabinet des Minifters. Gens war jest mit dem Anziehen feiner Handſchuhe fertig und näherte ſich der Thür. Noch einen letzten zornflammenden Blick ließ er durch den Vorſaal ſchweifen, und heftete ihn auf die goldblitzenden Bücher in den Schränken. Ein Ausdruck boshafter Schadenfreude flog plötzlich über ſein Antlitz hin, er trat wieder von der Thür zurück, und eilig das Gemach durchſchreitend, näherte er ſich den Büchern. Ohne viel zu wählen und zu ſuchen, nahm er eines der größten, von Goldverzierungen und Goldſchnitt funkelnden Bände aug der Keihe, verbarg das Buch unter jeinem Mantel, eilte dann haftig wieder zurüd, drückte die Thür hinter ſich zu umd verließ mit trogigem Angefiht und hochgehobenem Haupt das Hötel des Finanz⸗ minifters. Haftig, weber links noch rechts ſchauend, Niemand’ beadhtend, Nie- mand grüßend, eilte er durch die Straßen nad) feiner Wohnung hin. Bor ver Thür ftanden zwei ungeheure Meubleswagen, halb bepadt mit ben Divans, Lehnftühlen, Tiſchen und Spiegeln, die fonft in feinen Gemächern geftanden, und bie jest mit feiner Frau fih von ihm ſcheiden wollten. Die Leute waren noch immer nicht mit dem Her⸗ unterfchaffen der Sachen fertig, und auf feinem eigenen Ylur mußte er ftehen bleiben, um erft den großen jeidenen Divan vorbei zu laffen, der fonft in feinem Salon geftanden. Das vermehrte noch feinen Grimm; mit wüthender Geberde fprang er die Treppe hinauf und trat in feine Wohnung. Alle Thüren waren geöffnet, öde und leer waren jett die Räume, durch weldhe er mit hallendem Schritt dahin ging. Yet enplih war er Eis zu ber Thür feines Zimmers gelangt, vor welcher fein Diener Wade hielt. Gen winkte ihm ftumm mit der Hand, fie zu Öffnen, und trat ein. Als aber der Diener ihm folgen wolle, wehrte er ihn baftig, aber ftumm zurüd, und ſchlug ungeduldig die Thür ihm vor der Nafe zu. Jest endlich war er allein, jett Tonnte ihn Niemand mehr ſehen, 131 mehr beobachten, jegt durfte er diefen Schrei der Wuth ansfloßen, ver jeine Bruft erfüllte und ihm zu jedem Wort unfähig gemacht hätte, und nach dieſem Schrei konnte er feinem Grimm nody eine andere Genug⸗ thuung bereiten. Er warf Mantel und Hut auf einen Stuhl, faßte dann das prächtige, golbfunfelnde, mit unberührtem Goldſchnitt gezierte Buch aus der Bibliothek bes Miniſters mit beiden Händen und warf es ur Erbe. Da lieg, Du Spielzeug eines ftolzen Minifters, fagte er wüthend. Ich will Dich) behandeln, wie ich ihn behandeln möchte, will Dich mal⸗ trairiren, wie ich ihn maltraitiren möchte. Da! Nimm das und das und das! | Und er ftieß und ftampfte mit ven Haden feiner Stiefel auf das glänzende Buch, und trat und trampelte darauf umher mit geballten Händen, grimmige Scheltworte ausftoßend. *) Ein lautes, fröhliches Lachen erfchallte hinter ihm und als er mit jomigem Geſicht fih ummanbte, fah er in der Thür einen feiner Freunde, der ihn mit ſtrahlendem Geſicht betrachtete. Herr von Öualtieri, Sie laden, und ich bin wüthend, rief Gentz, und aufs Neue ftampfte er mit den Füßen auf dem Buch umber. Aber weshalb find Sie wüthend? fragte Herr von Gualtieri, und weshalb, um Gotteswillen, üben Sie jolhen Vandalismus gegen dies ihöne, prächtig gebundene Buch? Weshalb? das will ich Ihnen fagen. Ich war hente beim Finanz- minifter von Schulenburg- ftehnert; er hatte mi um zehn Uhr Hin» beftellt, und als ich demzufolge kam, ließ er mich eine Stunde im Borzimmer ftehen, gleich feinen Büchern in den goldenen Einbänden, die er, wie mir fein Kammerdiener erzählte, niemals auffchlägt, aus Furcht, den Goldſchnitt zu Iaebiren. Und nachdem Sie eine Stunde gewartet hatten, nahm er Sie an? Nein, nachdem ich eine Stunde gewartet hatte, ließ er mir durch | *) Gallerie von Bildniffen aus Rahel's Umgang. Herausgegeben von Barnbagen von Enfe. , Eheil II. Seite 168. 9% 132 feinen - Rammerbiener jagen, er babe feine Zeit. Ich folle morgen wieder fommen. Pah, er wollte es mit mir machen, wie. mit feinen Büchern, mid nicht auffchlagen, mich, der mehr Inhalt, mehr Wifien, mehr Geiſt bat, als alle feine Bücher zufammen genommen. Mid ließ er eine Stunde im Vorzimmer ftehen und dann abweifen! Und Sie ließen ſich abweijen? Ich ließ mid abmeifen, ja, aber ih nahm eins feiner präd- tigen, mit Goldſchnitt gezierten Bücher mit, um es unter meine Füße zu treten, um es zu mißhandeln, wie ich ihn mißhandeln möchte. So! . fol e8 mit Füßen zu treten! Es thut mir wohl, e8 erleichtert mich! In diefem Moment kann ich gegen den Menſchen ja nıtr diefe elende Race üben!*) Herr von Gualtieri lachte laut auf. Ah, das ift ein ganz neues jus gentium, rief er, ein ungeheuer luſtiges jus gentium. Freund, laſſen Sie ſich umarmen, Sie find himmliſch! | Er fchritt mit geöffneten Armen auf Gent zu und brüdte ihn zärtli und lachend an fein Herz. Gens fand nicht die Kraft, diefer Zärtlichkeit und biefem Rachen zu wiberftehen, ex ftimmte mit fchnell befänftigtem Zorn in das Lachen des Freundes ein. Sie finden meine Rache gelungen? fragte er. Wundervoll, es ift die Rache eines echten Corfen, ſagte Gual⸗ tieri ernſt. Eines Sorfen? fragte Gent zufammenfchredenp. Das ift ein ſchlechter Vergleich, Herr! Ich mag nichts gemein haben mit biefem Corſen, dem Herrn Bonaparte. Ic fage Ihnen, ich vermuthe Schlimmes von diefem Mann. Und ich bete ihn an, rief Gualtieri. Es ift der wiedergeborne Alexander von Macebonien, der Welteroberer, der Weltbezwinger. Er allein hat ver Revolution in Frankreich Stilftand geboten, ihm ver- danken es bie Franzofen, daß endlich wieder Ruhe und Ordnung bei ihnen einkehrt. Der preizehnte Vendemiaire ift eine eben fo große *) Gentz's eigene Worte. Siehe: Rahel’ Umgang. II. ©. 168. & * 133 | Heldenthat, eine ebenfo große Siegesſchlacht, als die Schlachten von Lodi und Arcole. | Mag fein, fagte Gent verftimmt, ich bin fein Soldat, und mag überhaupt nichts hören vom Krieg und Schlachtendonner. Was geht ung Deutfche übrigens der Eorfe an, wir haben genug mit uns felber zu thun, dächte ih. Deutſchland ift aber fo glüdlich und zufrieden, da es, wie der Pharifäer, auf den Böſewicht Frankreich hinblicken und fagen kann: Ich danke Dir, Gott, daß ich nicht bin, wie diefer hier! Sie haben Recht, rief Gualtieri, auch uns thut eine Revolution Notb, auch bei und muß eine Guillotine aufgeftellt werden und bie Köpfe müſſen fallen, und der Tod muß feine blutige Ernte halten! Um Gotteswillen, ſchweigen Sie, Freund! rief Geng, ſcheu und ängftlich zurüdiweihenn. Sind Sie nur bierhergelommen, um von fo färdhterlichen Dingen zu fpreden, da Sie doch wiflen, daß ich nicht ‚gern vom Tode: fprechen höre, und den Gedanken an Mord und Gräuel nicht vertragen kann? Ich wollte Sie nur ein wenig anf die Probe ftellen, ob Sie noch immer derſelbe liebe, kindliche Feigling find, ‚rief Gualtieri lachend, baffelbe große Kind mit der männlich ftarfen Seele und dem weichen, ſchwachen, leichtbewegten Kinderherzen. Nun Tagen Sie mir rafch, was wollten Sie beim Finanzminifter, und zum Lohn Dafür will ich Ihnen auch eine gute Neuigkeit erzählen! Nun alfo, was wollten Sie bei Schulenburg? \ Ich hatte ihn gebeten, mir fünfhundert Thaler zu leihen und mir eine Stunde zu beftimmen, wo id) das Geld abholen könnte. Er be- ftimmte zehn Uhr, und ich ging bin, um nad einer Stunde befhämt und mit leeren Händen wieder abzuziehen. E8 ift ſchändlich, es ift fürchterlich! Es iſt — | Eben ward die Thür geöffnet. und der Diener trat ein. Bon Str. Ercellenz, dem Herren General, Minifter von Schulen- burgeflehnert, fagte er, Gent ein verfiegeltes kleines Paket darreichend. Der Lakai ift bereits wieder fortgegangen, e8 fei keine Antwort nöthig, memte er. | Gens wintte feinem Diener, binauszugehen, und erbrad dann 134 haſtig zuerſt das Paket. Zwölf Funfzig⸗Thalerſcheine! rief er freudig. Noch hundert Thaler mehr, als ich geforbert babe! Das iſt ſehr noble, ſehr freundſchaftlich! Vielleicht giebt er es Ihnen nicht, ſondern iin es Iynen nur, ſagte Gualtieri lächelnd. Mir leihen! rief Gentz verächtlich. Mir leiht man nicht, denn man weiß, daß ich nicht wiedergeben kann! Man belohnt mich, Herr, man bezeigt fi dankbar gegen mich, aber man iſt nicht ſo gemein, mir Geld zu leihen! Steht das in dem Brief des Herrn Miniſters⸗ fragte der: von Gualtieri troden. Ah, es iſt wahr, ben Brief habe ich noch nicht gelefen, rief Gent lach end, indem er das Siegel brach. Während er ihn las, flog eine leichte Röthe über ſein Antlitz hin und ein Ausdruck von Beihämung ſprach aus feinen Zügen. Da, leſen Sie. einmal, ſagte er leiſe, dem Freund das Papier darreichend. Gualtieri nahm es und las laut: „Mein lieber Herr ariegsrath! Sie wünſchten mich zu ſprechen, und ich bat Sie, um zehn Uhr zu kommen, obwohl meine Zeit ſehr bedrängt und ich mit Arbeiten über⸗ häuft war. Ich war genau um zehn Uhr bereit, Sie zu empfangen, denn ich bin in Geſchäftsſachen ein ſehr pünktlicher Mann. Nachdem ich Sie indeſſen eine halbe Stunde vergeblich erwartet hatte, nahm ich meine Arbeiten wieder auf. Es waren verwickelte Rechnungen, in denen ich mich nicht unterbrechen konnte, und darum mußte ich Sie bitten, zu warten, und darum, als Sie, nachdem Sie gleich mir eine halbe Stunde gewartet hatten, ungeduldig wurden und nicht länger warten mochten, ließ ich Sie bitten, morgen wieder zu kommen. Jetzt indeß, da ich ſertig bin, eile ich vor allen Dingen, Ihre Bitte zu erfüllen. Sie wünſchten fünfhundert Thaler, hier ſind ſie. Da ich aber weiß, wie koſtbar Ihre Zeit iſt, und da Sie durch meine Schuld eine halbe Stunde warten mußten, erlaube ich mir für die ver⸗ lorne Zeit noch hundert Thaler beizufügen. ‚Leben Sie wohl und er- freuen Sie die Welt und mid recht bald wieder mit einer Ihrer trefflihen Arbeiten.“ 159 WW Bas Sendfihreiben an Friedrich Wilhelm III. Ich glaube, jagte Herr von Oualtieri, Geng das Blatt wieder barreichend, ic ‚glaube, der. Herr. Minifter wollte Ihnen eine Lehre geben. Er bat Sie warten laflen, um Sie zu lehren, daß man pünft- lich fein muß! Und ich werde mir dieſe Lehre wohl einzuprägen wiſſen! Sie werben punktlich fein? Im Gegentheil! Diesmal bin ich eine halbe Stunde zu fpät ges fommen, er bat mich wieder eine halbe Stunde warten lafien, und mir dann dafür hundert Thaler gezahlt. Künftig werde ich eine ganze Stunde. zu jpät fommen, er wirb mid eine ganze Stunde warten lafien und mir dafür zweihundert Thaler zahlen. Das ift ein richtiges Rechnenexempel, vente ih. Sehen Sie mich nicht fo verächtlich an, Öualtieri, e8 wird. nicht immer jo bleiben, vielmehr Hoffe ich, daß einft eine Zeit Tommt, wo fein Minifter fi unterſteht, mich in feinem Borzimmer warten zu laffen, over aud mir jo elende, erbärmliche, Heine Summen zu zahlen. Die Miniſter werden in meinem Vor⸗ zimmer warten, und fie werben ſich glüdlich fchägen, wenn ich bie Tauſende annehme, die fie mir bieten werben. . Ich babe einmal den feften Borfag gefaßt, mir ein glänzendes Sort zu machen und meinen Geift auszumünzen! Und id bin überzeugt, daß Sie Ihren Borfat ausführen, fagte Gualtieri. Ja, ich bin überzeugt, es wartet Ihrer eine große Zukunft. Sie find ein Öenie, wie e8 in Deutjchland noch Fein gegeben, denn Sie find ein politifches Genie, und geftehen Sie nur, daß Deutjch- land fehr arm ift an Politikern, die ihre Feder zu führen wiffen wie ‚ein tapferes, ſcharfes Schwert, mit dem fie nad allen Seiten hin tödtli verwunden und den Gieg erfämpfen! Deutfchland ift bereits aufmerkffam auf Sie geworden, und jelbft in England nennt man mit Anerkennung Ihren Namen, jeit Ihre vortreffliche Ueber- 136 fegumg von Burke's Schrift über die franzöftfhe Revolution erjchienen if. Die politifhen Flugfchriften, die Sie ſeitdem herausgegeben, dann das vortrefflihe politiſche Journal, das Sie begründet, haben den wärmften Anklang gefunden, ımb überall hofft und erwartet . man das Größte und Schönfte von Ihnen. Fahren Sie jo fort, mein Freund, gehen Sie muthig weiter auf der betretenen Bahn und ed wird für Gie eine Bahn des Ruhms, ber Ehren u und ber Reich⸗ thümer werden! . Gentz fah ihn faft zürnend an. Ich hoffe, fagte er, daß Sie mir nicht eine Heinlihe Neigung für Neichthilmer und für Auffammeln von Geld zutrauen. Das Geld bat für mih nur den Werth, . daß es ein Mittel ift, fi) Annehmlichkeiten und Genuß zu verfchaffen, und daß man ohne daſſelbe der Sclave des Elends, der Entbehrungen und der Noth ift. Geld macht frei, und in unfern Tagen, wo man bie Freiheit zu der Religion und dem Eultus aller Völker erheben möchte, ſollte Jeder vor allen: Dingen bemüht fein, fich recht viel Geld zu verfhaffen, denn nur dadurch allein wird er frei. : Die fluhwärbige franzöfifhe Revolution, welche alle Prinzipien, alle Geſetze, alles Her- gebrachte unter die Guillotine gefchleppt, fie bat Doch eine Macht be- ftehen laſſen müflen: die Macht des Geldes! Die Ariftofratie, ber Briefterftand, ja felbft das Königthum hat: unter der Guillotine ver- bluten müflen, aber das Geld Hat niemals feine Macht, feine Bedeu⸗ tung und fein Anfehen verloren. Das Geld redet eine univerfale Sprache, und der Sansculotte und ber Hottentote verftehen fie fo gut al8 der König, der Minifter und das fehönfte Weib. Das Geld be- barf niemals eines Dolmetſchers, es fpricht für ſich felber! Sehen Sie, mein Freund, deshalb liebe ich das Geld, deshalb ftrebe ich da⸗ nah, nit um es aufzuhäufen, fondern weil ih mir Die Welt, Die Liebe, den Genuß, die Ehre und das Glüd dafür kaufen kann! Da ih aber nicht zu denen gehöre, weldye das Geld gleid, in ihrer Wiege gefunden, fo muß ich mich wohl entfchließen, es mir zu. erwerben und das Capital auszuminzen, welches mir Gott in mein Gehirn gelegt. Und das will ih und das werde ih, aber ich gebe Ihnen mein Wort Darauf, niemald auf eine unwürdige und unrühmliche Weile. Ich 137 werde vielleicht mich mit fehr hohen Summen bezahlen, aber ich werbe mich niemals erkaufen laffen; alle Diillionen der Welt könnten mich nicht dahin bringen, gegen meine Prinzipien zu fchreiben, aber alle Millionen der Welt werde ich beanfpruchen, wenn man von mir fordert, daß ih für meine Prinzipien fchreiben fol! Sehen Sie, mein Freund, da haben Sie mein Glaubensbekenntniß, und Sie löunen fiher fein, daß ich nach demfelben leben und handeln werde. Ich bin ein Ariftofrat meiner innerften Natur nad, und darum haſſe ich auch die franzöftfhe Revolution, weldhe jede Ariftofratie,. nicht blos Die des Stammbaumes, fondern aud) die des ©eiftes, ſtürzen wollte, und barum habe ich mir gefhworen, als ein ‚unverwäftlicer und unbeugfamer Kämpe ihr gegenüberzuftehen und ihr mit meiner Feder und mit meiner Zunge jo viel Hiebe und Stihwunden beizubringen, als ich nur irgend vermag. Ich werde daher auch niemals einſtimmen in die Lobhymnen, welche die allzeit gefälligen ‘Deutjchen dent Heinen Korjen, dem General Bonaparte Spenden. Was Sie auch fagen mögen von feiner Helden- fühnbeit und feinem Genie, ich wittere in ihm einen Feind Deutjch⸗ lands und bin auf meiner Huth! Sie bewundern alſo nicht ſeine Siege, ſeine unvergleichlichen Schlachtpläne, die er mit der Ruhe eines weiſen, vielerfahrenen Feld⸗ bern anlegt, mit der Bravour und Kübnheit ‚eines Heros ber alten Welt ausführt? Ich bewundere das, aber es macht mid) zugleich ſchaudern, wenn ich bedenke, daß dieſer Mann, der Alles beſiegt und erobert, eines Tages auch auf ven Einfall kommen könnte, ſich Deutſchland erobern zu wollen. Ich glaube wahrhaftig, er würde auch das zu Stande ‚bringen, denn ich fürchte, wir haben unfrerfeits' keinen ebenbürtigen Mann entgegenzuftellen. Ad, mein Freund, warum gleicht nicht einer unferer deutfchen Fürften diefem franzäftfchen General, dieſem Heros von fiebenundzwanzig Iahren!. Denken Sie nur, daß er. nicht älter it, als unfer junger König, mit ihm in Einem Jahr geboren! Sein Leben zählt nicht nad) Jahren, rief Gualtieri, fondern nad; Tagen und Schladhten. Deshalb auch fliegt ihm die Begeifterung von ganz Europa entgegen, denn an ber Spige feiner Legionen kämpft 138 er für die edelſten Güter der Menſchheit, für die Freiheit, die Ehre und dns Hecht! Nein Wunder aljo, dag er überafl-fiegreich ift, bemn überall hoffen die gefnechteten Völker von ihm, daß er fie erlöfe von ihrem Joch, daß er aud) ihnen bie freiheit bringe. | Er ift eine Zuchtruthe, welche Gott den deutſchen Fürften geſandt hat, damit fie ſich beſſern ſollen, rief Gent, damit ſie gedrängt wer⸗ den, auch ihrerſeits ihren Völkern ihren Antheil an der Freiheit und Menſchenwürde zu geben, indem fle ſich dadurch eine Schutzmauer auf- richten müſſen gegen biefen Ujurpator, der nicht blos mit dem Schwert, fondern aud mit Ideen kämpft. Möchten unfere veutfchen- Fürften das einjeben, möchten alle die, welche eine Zunge haben zu reden, ihnen das zurufen und fie weden aus dieſem Taumel ſtolzer Sicherheit und Selbſtverblendung! Nun, haben Sie nicht auch eine Zunge, um zu reden, und doch ſhmeigen Sie? fragte Gualtieri lächelnd. Nein, ich habe nicht geſchwiegen, rief Gentz begeiſtert, ich habe meine Pflicht als Staatsbürger und als Menſch erfüllt, und dem König die Wahrheit geſagt. Das heißt? Das heißt, ich habe an den König geſchrieben, nicht mit hunde— wedelnder Unterthanen-⸗Devotion, ſondern wie ein Mann, der viel ge fehen, viel gedacht, viel erfahren bat, und der zu einem jüngern Dann fpricht, welcher‘ berufen ift, eine bedeutende Rolle zu fpielen, und das Glück von Millionen Menſchen in Händen hält. Es wäre ein Frevel ‚gegen Gott und die Menfchheit, wenn man einen folden Mann nicht die Wahrheit fagen wollte, wenn man die Wahrheit weiß. Weil ich glaube, fie zu wiffen, habe ich fie dem König gefagt. Nicht in einem Brief, ven er heute leſen und morgen in den Papierkorb werfen kann, fondern in einem gedrudten Schreiben, das ich, ſobald ich nur erfah- ren, daß der König es erhalten, in Tauſenden von Eremplaren in ber Welt verbreiten werbe. Und Sie glauben, daß ber König Ihren gedruckten Brief anneh- men werde? 139 Mei Freund, der geheime Kabinetsrath Menlen hat es über⸗ nommen, ihm denſelben zu übergeben. Dann wird er ihn annehmen, denn er hält viel auf Menken. Aber was haben Sie denn dem könig in Ihrem gedrudten Briefe gefagt? Ich babe ihm Rath gegeben, wie er regieren. nf! Kath! Mein Freund, die Könige nehmen nicht gern Rath an, vorzüglich nicht, wenn er ihnen unangemelbet ertheilt wird! Haben Sie fih auf allgemeine Rathſchläge beſchränkt? Sie jehen, ich glühe vor Neugierde und Berlangen, von Ihren kühnen Unternehmen genau unter- ichtet zu fein. Leſen Sie mir doch diefen Brief, Freund! Ab, das wäre eine Riefenarbeit für Sie zu hören, für mich zu leſen, denn das Sendſchreiben ift lang und ausführlich. Ich bitte in bemjelben den König mit einpringlichen und bewegten Worten, — ob, ich habe felbft dabei geweint, als ich fie fehrieb, feinen. Bölfern das Glück zu geben. Ic, lenke feinen Blid auf alle die verſchiedenen Zweige ber Verwaltung, zuerjt auf die Militairanftalten. Und Sie rathen ihm zum Kriege? fragte Gualtieri raſch. Nein, ich rathe ihm, immer gerüſtet zu fein, aber fo lange es mit feiner Ehre veträglich ift, den Frieden aufrecht zu erhalten. Alsdann lenke ich feinen Blid auf die Rechtspflege und Finanzverwaltung. Ich warne ihn vor jeder Willfür in der Nechtsverwaltung, ich vermahne ihn, darauf zu halten, daß ein gleihmäßiges Verhältniß zwiſchen ben Ausgaben und den Einnahmen des Staates jei, auf daß feine Unter- thanen nicht mit Abgaben überlaftet werden, und die Freiheit der Ge- werbe, des Handels und ber Induſtrie nicht durch läſtige Monopole zu befhränfen. Dann endlih fortere ich von ihm, daß er and) auf den Geiſt und auf die Preſſe ſein Augenmerk richte. Oh, ich wartete darauf, ſagte Gualtieri lächelnd, und ich würde mich gar nicht wundern, wenn Sie die Kühnheit gehabt, von dem jungen, ſchüchternen und ängſtlichen König zu begehren, daß er ſeinem Volk die Preßfreiheit gebe. Ja, das iſt es, was ich von ihm fordere, rief Gentz glühend. Sie wünſchen, daß ich Ihnen mein ganzes Sendſchreiben vorleſe, ich 140 will Ihnen alfo wenigftens das mittheilen, was u über bie Preßfreipeit gefagt habe. Wollen Sie es hören? Ich bin ganz Obr, ſagte Guabieri, indem er na auf ben Die van feste. Gens nahm von feinem Schreibtiſch einige , veſchuhene Blätter und fette ſich damit feinem Freunde gegenüber. Nun hören Sie, rief.er, und mit lauter, begeiſterter Stimme bes. gann er zu leſen: „Bon Allem, was Feſſeln ſchent, taun nichts ſo wenig ſie ertragen, als der Gedanke des Menſchen. Der Drud, der dieſen trifft iſt nicht blos ſchädlich, weil er Das Gute verhindert, fondern auch, weil er un⸗ mittelbar das Böſe ‚befördert. Bon Religionszwang darf hier nicht mehr die Rede fein. Er: gehört zu den veralteten Hebeln, worüber zu einer Zeit, wo weit eher die gänzliche Entkräftung veligiöfer Ideen, als ein fanatifcher Mißbrauch derfelben zu beforgen ift, nur noch keihte Schwäter declamiren. Mit der Freiheit der Preffe ver- hält es fi anders. Von einer falfchen, durch die Zeitumftände we⸗ nigftens zu entſchuldigenden Angſt verleitet, könnten hier felbft weifere Männer ein Syſtem begünftigen, weldhes, aus feinem wahren Stand⸗ punkt betrachtet, dem Iuterefie ber Regierung nachtheiliger ift, als es ie, auch in feiner ſchlimmſten Ausdehnung, den Rechten des Bürgers werben fann.“ „Was ohne alle Rudſicht auf andere Gründe, jedes Geſetz, welches Preßzwang gebietet, ausfchließlich und peremtorifch verdammt, ift ber wefentliche Umstand, daß es feiner Natur nah nicht aufrecht erhalten werben kann. Wenn neben einem. jeden ſolchen Geſetz nicht ein wahres SInquifitions- Tribunal wacht, fo ift es in -unfern Tagen unmöglich, ihm Anfehen zu verfchaffen. Die Leichtigfeit, Ideen ins Publitum zu bringen, ift jo groß, daß jede Maaßregel, die fie beſchränken will, vor ihr zum Gefpött wird. Wenn aber Gefege dieſer Art auch nicht wirken, fo können fie doch erbittern, und das eben ift das Verderb⸗ lihe, daß fie erbittern, ohme zu jchreden. Sie reizen gerade bie- jenigen, gegen welche fie gerichtet find, zu einem Widerſtand, ber nit immer nur glüdlicd bleibt, fondera am Ende fogar rühmlich 141 wird. Die armfeligftien Probucte, denen ihr innerer Gehalt nicht ein Leben von zwei Stunden fihern würde, drängen fich in den Umlauf, weil eine Art von Muth mit ihrer Hervorbringung verknüpft zu fein ſcheint. Die nüchternften Scribenten fangen an, für „belle Köpfe" zu gelten und die feilften erheben fi auf einmal zu „Märtyrem ver Wahrheit." Tauſend bösartige Infecten, die Ein Gonnenftrahl ver Wahrheit. und des Geiftes verfeheucht hätte, fchleichen jetzt, begünftigt von der: Finfterniß, die man ihnen gefliffentli ſchuf, an die unbe wehrten Gemüther des Volles. und fegen ihr Gift — als wäre es eine verbotene Koſtbarkeit — bis auf den letzten Tropfen ab. Das einzige Gegengift, die Probucte der beſſeren Schriftfteller, verliert feine Kraft, weil der Ununterrichtete nur allzuleicht den, welcher von Schranken fpriht, mit dem vermechfelt, welcher bie ungerechten gut heißt.” | „Richt alfo, weil der Staat oder die Menfchheit dabei intereffirt wäre, ob in diefen von Büchern umflutbeten Zeitalter taufend Schriften mehr ober weniger das Licht der Welt exrbliden, fondern weil Em. Ma⸗ jeftät zu groß find, um einen fruchtlofen und eben deshalb ſchädlichen Kampf mit Heinen Gegnern zu kämpfen: — darum fei Preßfreiheit das ummwandelbare Prinzip Ihrer Regierung. Für geſetzwidrige Thaten, für Schriften, die den Character folder Thaten anziehen, müſſe Jeder verantwortlih, ftreng verantwortlich fein: aber bie bloße Meinung finde leinen andern Widerſacher, als bie entgegengefetste, und wenn fie irrig ift, die Wahrheit. Nie kann diefes Syſtem einem wohlgeorbneten Staate Gefahr bereiten, nie hat e8 einem: foldhen ge- fhadet. Wo es verberblich wurde, da war: die BZerftörung ſchon vor- angegangen, und ber gefräßige Schwarm wuchs nur aus der Verwe⸗ fung hervor! *) Nun? fragte Gen mit glühenden Wangen und bligenden Augen, *) Sendſchreiben, Sr. Königlichen Majeftät Friedrich Wilhelm III. bei feiner Thronbefteigung alleruntertbänigft überreicht. Am 16. November 1797. Bon Friedrich Gent. Einzeln abgebrudt in Berlin bei Vieweg 1797, dann in Brüffel 1820, auch mitgetheilt in dem Werk: Kleinere Schriften von Friedrich von Beng. Derausgegeben von Guſtav Schleiler, Th. I. 142 als er. zu leſen aufgehört. Was jagen‘ Sie zu meiner: Auseinander⸗ fegung ber Preßfreiheit? Iſt fie nicht Mar, überzeugend und unab⸗ weisbar? Wird der König nicht einjehen, daß meine "Worte die Wahrheit enthalten, alfo ihnen folgen? Sualtieri fah ven Freund mit einem Ausdrucke mitfeibiger gärt- lichfeit an. Welch ein großes Kind find Sie doch, fagte er, glauben noch an eine Verwirklichung utopifcher Träume, glauben fo ehrlich, fo mannhaft! Wollen einem jungen, ſchüchternen König, der um Alles in der Welt Frieden halten und unbemerkt bleiben will, eine Geißel in die Hand vrüden und zu ihm fagen: „treibe damit die Böfen aus und verjage die Lüge, auf daß e8 Tag werde und die Sinfterniß ver- ſchwinde!“ Mein Gott, als ob der Tag nicht gar ſehr auch alle die Schäden aufdeden würde, an denem unfer eigener armer Preußenleib frank ift, und für bie er gar ſehr der Dämmerung u und ded Schwei= gens bevarf! . Wie, Sie glauben, daß der König. meine e Border unbenchtet laflen wird? fragte Gent erftaunt. Ich glaube, fagte Gualtieri achſelzudend, ich glaube, daß Sie ein genialer Schwärmer ſind, und daß der König ein ziemlich verſtän⸗ diger, ziemlich nüchterner junger Herr iſt, der, wenn er Schlittſchuhe laufen will, ſich nicht von der glatten, glänzenden Fläche blenden und enthuſiasmiren, ſondern erſt vielfach das Eis unterſuchen läßt, ob es auch ſtark genug iſt, ihn zu tragen. Und damit Lebewohl, mein armer Freund. Ich kam hierher, um Ihnen zu gratuliren, daß Sie Ihre Freiheit wiedergefunden haben und wieder zu dem edlen und allein glückſeligen Stande der Junggeſellen gehören, aber ſtatt Sie darüber jauchzen zu hören, finde ich Sie als pilanthropiſchen Schwärmer, der ſich für die Freiheit der Preſſe enthuſtasmirt. Aber das hindert doch nicht, daß Sie mir Glück wunſchen zu meinem Junggeſellenthum, rief Gentz lachend. Ja, mein Freund, ich bin frei, das Leben iſt wieder mein, und nun mögen die Flammen der Luſt und des Genuſſes wieder über meinem Haupte zuſammenſchlagen, nun möge das Vergnügen und die Freude in glühenden Strömen mich Aberfſutben, ich werde mich jauchzend in ihre Svpcodel hioeivſthrzen 143 und mich felig dünken, wie em Gott! Wir müſſen das Feſt meiner Wiedergeburt auf würdige Weife .begehen, wir müſſen es feiern in Ihdäumendem Champagner, mit Träffelpafteten und Auftern, und wenn wir meiner Frau eine letzte Thräne weihen wollen, nun fo trinten wir- ihr zu ehren ein Glas Lacrimae Christi! Sein Sie fo gütig, Freund, und kommen Sie heute Abend zu mir. Ich merbe noch einige andere Freunde einladen, und wenn Sie uns einen Genuß bereiten wollen, fo Iefen Sie uns einige von den Lafontaine'ſchen Fabeln vor, die Niemand ſo herrlich zu leſen verſteht. Ich werde es thun, ſagte Herr von Gualtieri, Gentz zum Abſchied die Hand reichend, ich werde Ihnen eine Lafontaine'ſche Fabel vorleſen, von welcher die beiden Anfangszeilen die ganze tragiſche Geſchichte Ihrer Vergangenheit mit beredten Worten ausdrücken. | Und wie heißen dieſe zwei Zeilen? Herr von -Öualtieri fette feinen Hut auf und ſchon unter ber Thür ſtehend, um Sinauszugehen, beflamirte er mit ernftem Pathos und tief melancholiſcher Stimme: Deux coqs vivaient en paix; une poule survint, Et voila la guerre allumee. Er nidte feinem Treunde einen legten Abſchiedsgruß zu und verſchwand hinter der Thür. | Gent ſchaute ihm lachend nah. Wahrbaftig, er hat Recht, rief er, das ift die Gefhichte aller Ehen! Nun, Gott fei Dank, bie. meine it zu Ende, und bei allen Göttern ſei's gefchworen, ich werde niemals ein ſolcher Narr fein, eine zweite Ehe einzugehen. Ich bleibe ein Jung⸗ gefelle, jo lange ich lebe, denn wer feiner Frau gehört, dem gehören alle Frauen! Aber jetzt ift es die höchfte Zeit, an mein Feſt zu denken. — Um indeß ein Feſt geben zu Tünnen, muß id vor allen Dingen meine Zimmer mit neuen Meubles verfehen haben, und zwar glän- zende und fchöne müſſen es fein! Aber woher die nehmen? Ach, parbleu, ih vergaß Die Sechshundert Thaler, die mir der Minifter gefchidt! Ih werde mir dafür Meubles faufen! Nein, e8 wäre ein Xhorheit, mein Geld dafür auszugeben, da ich e8 anderweitig fo nothwendig ge⸗ brauche) Die Deubleshänbler werben mir ohne Zweife nad gem 144, und willig Credit geben, denn ich habe noch niemals. bei ihnen gekauft. Aber ein Anderes iſt e8 mit den Lieferanten für mein heutiges Zauber⸗ fe! : Zudem babe ich ja nur hundert Thaler, Die mir gehören. Die andern fünfhundert Thaler muß id ja Diefem Blutfauger, dieſem herz Iofen Gläubiger, dem Werner, ſchicken! — Muß ih das wirklich? Ad, - wahrhaftig, ich ‚glaube, das wäre eine. Thorheit! Diefer Menſch wäre fich einbilden, mich in Furcht. gefeßt: zu haben, und würbe, fos bald ich ihm wieder etwas ſchuldig bin, meine Thür mit feinen Schimpf- worten belagern. Nein, ich werde ihm zeigen, daß ich ihn .nicht fürchte, und daß fein unverjchämtes Betragen eine Zuchtigung verdient hat! He, Johann, Johann! | Sogleich öffnete ſich die The und der Öerufene trat ein. Johann, fagte Gent gravitätifch, gehe fogleih zu. Herrn Werner bin. Sage ihm, ich erwarte hente Abend einige Yreunde zum Beſuch. Herr Werner möge mir alfo heute Abend vier und zwanzig Flafchen Champagner, drei große Trüffelleberpafteten, zweihundert Auftern, und außerdem Alles beforgen, was zu einem Souper erforderlich ift, und hierher fenden. Wenn er meine Befehle pünktlich und genau ausführt, fol er mir morgen eine Quittung über zweihundert Thaler fenden, die ich ihm alsdann zahlen will. Wenn aber audh nur Eine Aufter fchleht, eine Flaſche Champagner abgeftanden ift, oder er gar ſich weigert, mir das Souper zu liefern, fo befommt er nicht einen Grofihen! Lauf und fag’ ihm Das! Und komm fchnell: zurüd! IH will indeß .einige Einlapungen ſchreiben, fagte Geng, als er. allein war. Aber ich werbe nur lauter unverheirathete Männer einladen. Alfo zu allererft: dem öſterreichiſchen Gefandten Fürften von Neuß, der begnügt fich doc wenigftens, nur Eine Geliebte zu haben, und da er zum Glück nicht ahnt, daß die ſchöne Mariane Meier zu- gleih auch meine Geliebte ift, fo ift er mir von Herzen zugethan. Ja freilih, wenn er wüßte, daß — Ad, unterbrady er fich lachend, Das wäre wieder eine Illuſtration von Lafontaine's Gefhichte von ben beiden Hähnen und der Henne! Nun, ich will die Einlapungen Jchreiben! 145 Er hatte eben die legte Einladung beendet, als die Thür fich öffnete und Johann athemlos eintrat. Nun? haft Du Herrn Werner gefprodhen? fragte Gent, das lebte Billet zufammenfaltend. Sa, Herr! Der Herr Werner läßt fih dem Herrn Kriegsrath empfehlen, er würde das Souper auf's Bünktlichfte und Beſte herftellen, auch vier und zwanzig Flaſchen vom beften Champagner, drei große Trüffelpafteten, zweihundert Auftern und alles Uebrige heute Abend berfenden, aber unter einer Bedingung. Was? Dieſer Menſch unterſteht ſich, Bedingungen zu machen? rief Gentz empört. Was fordert er denn? Er fordert, daß, ſobald er alles, was der Herr Kriegsrath be- ftellt haben, abgeliefert hat, und bevor Sie zu Tiſche gehen, Sie bie Güte haben, einen Augenblid in das Borzimmer zu fommen, wo Herr Werner Sie erwarten will, um dann gegen feine Quittung Ihre zwei⸗ hundert Thaler in Empfang zu nehmen. Ich fol ihm Beſcheid brin- gen, ob der Herr Kriegsrath diefe Bedingung eingehen, und alddann will Herr Werner das Souper beforgen. Ab, das heißt mir das Mefjer an die Kehle fegen, rief Gent lachend. Nun, eile zu ihm und fage diefem fchlauen Kaufmann, id gehe feine Bedingung ein; er folle, fobald das Souper aufgetragen, mich im Vorzimmer erwarten, und da er natürlic ungeheuren Lärm machen würde, wenn ich ihn vergeblich warten ließe, fo kann er übers zeugt fein, daß ich fomme. Gehe alfo! Und ih, fagte Gens, feinen Mantel umwerfend, ich will gehen, mir für einige Taufend Thaler Meubles zu kaufen. Es fol glänzend bei mir fein, wie bei einem Fürſten. Uebrigens bin ich zu großmüthig gewefen. Hätte ih Wernern einhundert Thaler geboten, er wäre auch zufrieden geweſen. Audblſbac Rapoleon. I. Bb. 20 146 VII. Die Hochzeit. Im Haufe des reihen Banquier Itzig fand heute ein feltenes Felt ftatt, ein Feſt, das feit einigen Tagen ganz Berlin von fidh reben machte, und von dem das Volk auf der Gaſſe ſowohl, als die vor- nehmen Leute in den Salons fih erzählten. — Der Banquier Itzig verheiratbete heute an einem Tage brei feiner fchönen jungen Zöchter, und der reiche, prachtliebende und wohlthätige Mann hatte Alles dazu gethan, dieſen Fefttag feines Haufes würdig und glänzend zu begehen. Er Hatte für feine Töchter feit Monaten bei allen Gewerbetreibenden und Handwerfsleuten Berlins arbeiten laſſen, indem er laut erklärte, daß feine Töchter nur die Erzeugniffe deutſcher Induftrie und Die Arbeiten deutfher Handwerker tragen jollten, und daß. kein Stüd ihrer Aus- fteuer aus Frankreich entlehnt werden dürfe. Alle die prächtigen Brocate, Sammete und Damafte zu den Kleidern und Meubles- waren daher in Berliner Fabriken gewirkt worden, das herrliche LXeinenzeug war. aus Schlefien verfchrieben, und eine Schaar von Nätherinnen und Stiderinnen hatte e8 zu allen nothwendigen Gegenftänden der Toilette auf das Geſchickteſte und Kunſtvollſte verarbeitet. Auch das Silber- zeug und das koſtbare Goldgeſchmeide war von Berliner Juwelieren angefertigt worden, und das reiche, Eunftvoll gemalte Tafelfervice war aus der Königlichen Porzellanfabrif hervorgegangen. Diefe glänzen den brei Ausftenern waren daher gewiljermaßen ein Triumph ber vaterländifchen Kunft und Induſtrie und dadurch gewannen fie eine allgemeine Bedeutung. Herr Itzig hatte daher auch nach langem Wider⸗ ftreben ven lebhaften Bitten und Borftellungen feiner Freunde nachge⸗ gegeben und hatte zu den Zimmern und Sälen feines Haufes, in denen die Ausftener feiner Töchter ausgelegt war, Jedermann freien Zutritt geftattet, wie Dies bei den Ausfteuern ber Prinzeffinnen des Königlichen Haufes zu gefchehen pflegt. Nur hatte er, um fich vor der Beföulbigung bochmüthiger Prahlerei zu wahren, viele Ausftelung zu _ 147 einer gemeinnägigen gemacht. Ueber dem Eingang feiner Säle hatte er eine Tafel angebracht mit der Infchrift: „Ausftellung von Erzeug- niffen vaterländifcher Inbuftrie”, außerdem mußte Jedermann beim Eintritt für einige Grofchen eine Karte Löfen, und ber Betrag biefer Karten war für die Armen beftimmt. Jedermann beeilte fih daher, nach dem Haufe des Banguier eig zu gehen, um die „Erzeugniffe vaterlänpifcher Induſtrie“ zu be- wundern. GSelbft die Königin war mit einer ihrer Hofdamen ge- fommen, fi dieſe Herrlichkeiten anzufhauen, und indem fie bie Pracht der Sammete und Seibenftoffe, die kunſtvolle Faflung ber Brillanten bewunberte, hatte fie freudig ausgerufen: „wie glücklich bin ih, zu jehen, daß Deutſchland wirklih ganz und gar Frankreichs ent- behren und felbft allen feinen Bebürfnifien genügen Tann!“ Bielleiht hatte die Königin diefe Worte ganz harmlos und unbe- fangen gemeint, aber das Publikum gab ihnen Tendenz und Colorit, und die Zeitungen, bie öffentlihe Stimme des Publikums, konnten nicht müde werben, dieſe Königlichen Worte zu preifen und die Berliner zum fleigigen Beſuch der „vaterländifchen Ausftelung” zu ermahnen. Die Neugierde beeiferte außerdem den Antheil der Frauen, die politifche Gefinnung ließ die Männer hingehen. Als man aber erfuhr, daß bie Geſandtſchaft der franzöfifchen Republik diefen Eifer der Berliner, die „Ausftelung vaterländifcher Induſtrie“ zu ſehen, gar übel vermerft, daß fogar der franzöſiſche Geſandte es gewagt habe, ſich an ber Königlichen Tafel laut und bitter über die Worte ber Königin, die fie in der Ausftellung des Herrn Itzig geſprochen, zu beklagen, da war bie Entrüftung allgemein und machte jegt den Beſuch ber Ausftellung zu einer Art nationaler Demonftration gegen die übermüthigen Franzofen. Ganze Schaaren von Beſchauern eilten jet zu dem Haufe des Herrn ig, und übermüthige junge Leute machten fi alsdann das Ber gnügen, truppweife auf der Straße, in welcher der franzöſiſche Ge- ſandte wohnte, und gerade vor deſſen Hötel ftehen zu bleiben, um laut und in franzöfifcher Sprache ſich über die Herrlichfeiten der Ausftellung bes Herrn Itzig zu unterhalten und den edlen Batrioten zu preifen, ber \0* ‚148 es verfhmähe, fih vom Ausland zu holen, was er im Inland eben fo ſchön, wenn nicht fehöner ſich befchaffen könne. Diefer Erfolg feiner Ausftellung ging indeß weit über die Wünfche des Bangquiers hinaus, und er war froh, als endlich die zur Austellung beftimmten Tage verfloffen und er feine Säle ven nengierigen Be⸗ ſchauern ſchließen konnte. Aber am heutigen Tage ſollten ſie ſich den eingeladenen Gäſten öff⸗ nen, denn heute, wie gejagt, wollte der Banquier Itzig drei feiner Ihönen Töchter auf Einmal verheiratben, und das ganze Haus war in Bewegung, um dieſen Freudentag würdig zu begehen. Während die Lakaien und Diener in den Sälen befhäftigt waren, um fie mit Hülfe von geſchickten Decorateuren prachtvoll auszufchmiüden, während in Küche und Keller hundert gefchäftige Hände die Speifen und Pafteten für das folenne Mittagsmahl vorbereiteten, während Herr Sig mit feiner Gemahlin die legten Anordnungen zu dem Feſt verab- redete; ſaßen die brei Bräute in traulicher Unterrebung in ihrem ge= meinfchaftlihen Wohnzimmer. Alle drei waren fie jung; bie ältefte von ihnen hatte faum das zweiundzwanzigfte Jahr erreicht. Alle drei waren fie ſchön, von diefer energifchen, impofanten Schönheit, wie fie den Orientalinnen eigen ift, von dieſer Schönheit mit den flammenden, ſchwarzen Augen, den glänzend ſchwarzen Haar, dem glühenven, dunkeln Solorit, ven fchlanfen, üppigen Formen. Alle drei waren fie in vollfter Parure, an den entblößten, vollen Armen und Bufen funtelnd von Brillanten und Goldgefchmeide, die Fräftigen hohen Geftalten umhüllt von weißen Atlasgewändern, über welde foftbare Spigenroben nieber- floffen. Wer fie fo gefehen in dieſer Fülle von Schönheit, Anmuth und Jugend, in diefer Pracht der Umgebung, das glänzende Haar ge- ſchmückt mit den blühenden Myrtenkronen, der hätte meinen follen, drei von dem Schickſal Begünftigte zu fehen, welche noch Feine Sorge, feine Schmerzen gekannt, und über deren Haupt das Glück als ewiger Sonnenſchein geſtrahlt. Vielleicht war dem auch ſo, vielleicht waren es nur die hohen, voſlen Myrtenkränze, welche einen Schatten über die Angeſichter der 149 Bräute warfen, nicht ihre geheimen Gedanken, ihre verfchwiegenen Wünfche. | Gie hatten eine Zeitlang lebhaft mit einander geſprochen, jetzt waren ſie ſtill geworden und blickten alle Drei ſinnend zur Erde nieder. Endlich hob die Eine von ihnen langſam ihre glühenden ſchwarzen Augen empor und heftete ſie mit einem ſcharfen durchdringenden Blick auf ihre Schweſtern. Sie fühlten dieſen Blick und hoben auch Beide zu gleicher Zeit ihre Augen empor. Was ſiehſt Du uns ſo ſcharf und prufend an, Fanny? fragten Beide. Ich möchte ſehen, ob ich auf Euren Stirnen Wahrheit leſen Tann, fagte Fanny, oder ob die Brillanten und Myrten Alles überbeden. Kinder, was meint Ihr, laßt uns doch einen Moment das funfelnde Lügengewand, mit dem wir ung vor aller Welt fhmüden, ein wenig abftreifen, und im Naturzuftande ver Wahrheit uns gegenüber ftehen. Wir haben einander immerfort belogen, Jede bat zu der Andern ge⸗ fagt: „Ich bin glücklich! Ich beneive Dich nicht, denn ich bin eben fo glüdlih, wie Du!" Aber was meint Ihr, wenn wir jett einmal den Mund aufthäten und ließen vie Wahrheit unferes Herzens ausftrömen ? Wär's nicht originell und neu? Wär's nicht ein Föftliches Mittel, um diefe halbe Stunde hinzubringen, bis unfere Berlobten fommen, uns abzuholen zur Trauung? Seht, e8 ift heute das legte Mal, daß wir fo zufammen find, das legte Mal, daß wir uns nennen mit dem Namen unferes Vaters, laßt uns alfo ein einziges und legtes Mal offen zu einander reden. Wollen wir's? Ja, wir wollen’s, riefen die beiven Schweftern. Aber wovon wollen wir denn die Wahrheit jagen? Bon unferen Herzen, fagte Fanny ernft. Du, Eſther, Du bift die Heltefte, Du mußt anfangen. Sag’ uns alfo, liebſt Du Deinen Bräu- tigam, den Herrn Geheimen Commerzienrath Ephraim? Efther ſah fie fait erftaunt an. Ich ihn lieben? fragte fie. a, mein Gott, wie follte ich denn dazu kommen, ihn zu lieben? Ich kenne ihn ja faum. Der Bater hat ihn mir ausgewählt, es ift eine glän- zende Partie, ich bleihe in Berlin, werde Geheimräthin, gebe glänzende 150 Geſellſchaften und ärgere durch meine Pracht biefe Damen ber foge- nannten Haute volée, welche fich zuweilen erlaubt haben, auf bie „Jüdinnen“ naferämpfend herniederzuſchauen. Ob ich Ephraim lieben ann, das weiß ich nicht, aber wir werben ein gutes, glänzendes Haus machen, und ba wir. auserlefene Diners geben werben, fann ed uns an der vornehmften und ausgefuchteften Gefellfchaft nicht fehlen. Das find meine Ausfichten in die Zukunft, und wenn ich auch nicht behaupten will, daß ich damit zufrieden bin, fo weiß ih doch, daß die Andern mich beneiven werben, und das ift immerhin ſchon Etwas. Erftes Bekenntniß! fagte Fanny lächelnd. Jetzt ift an Dir bie Reihe, Lydia. Nun jage uns, wie fteht es mit Dir? Liebft Du ven Herrn Baron von Eskeles, Deinen zukünftigen Gemahl? Lydia blidte traurig und ſchweigend zu ihr hinüber. Frage mid) nicht, fagte fie, denn Ihr Beide wißt, daß ich ihn nicht liebe. Ich hatte einft einen jchönen Traum. Da jah ich mich als geliebtes Weib an der Seite eines jungen Mannes, den ich liebte und der mid; wieder liebte. Er war Künftler, und wenn ex vor feiner Staffelei faß, fühlte er, daß er reih und glücklich ſei aud) ohne Geld, denn er hatte fein Genie und feine Kunſt. Wenn ich feine Gemälde anſchaute und ihn jelber, den Ihönen begeifterten Künjtler, dann fehien es mir, es gäbe auf Erben nur Ein Glück und Einen Reichthum: dieſem Manne anzugehören, ihn zu lieben, ihm zu dienen, und, wenn es fein müßte, mit ihm zu buns gern und zu darben. Es war ein Traum, und unfer Vater wedte mid daraus, indem er fagte, daß ich Braut fei des Barons von Es⸗ keles, daß er ſchon mit dem Vater des Bräutigams handelseinig ge- worben, und daß in vierzehn Tagen meine Hochzeit fein folle. Arme Lydia, murmelten die Schweitern leife vor fich hin. Eine Pauſe trat ein. Nun, fragte Either dann, und Du, Fanny? Du fragft uns aus, und Du felber ſchweigſt? Wie fteht eg mit Dir, mein Kind? Liebft Du etwa Deinen Verlobten, den Herrn Baron von Arnftein, ven Compagnon Deines Schwagers Eskeles? Wie? Du Ihweigit? Haft Du uns nichts zu jagen? Sch habe Euch zu fagen, daß wir alle Drei unglüdlich und bes Hagenswerth find, fagte Fanny leidenſchaftlich. Unglüdlih und be- 151 Hagenswertb, troß unſers Reichthums, unferer Brillanten und unferer glänzenden Zukunft! Man hat uns verkauft wie eine Waare, Niemand bat danach gefragt, daß dieſe Waare zufällig ein Herz bat, ſondern Jeder hat nur überlegt, wie viel Gewinn er von ihr haben wirb! Ob, meine Schweftern, e8 gebt uns, den reichen Jüdinnen, wie den armen Brinzeffinnen, man verſchachert uns an den Meiftbietenden. Und wir haben feinen Willen, feine Kraft und Selbſtſtändigkeit, uns dieſem un, würdigen Menſchenhandel zu entziehen! Wir beugen unfer Haupt und gehorchen, und ftatt mit Liebe und Glüd, füllen wir unfer Herz mit Eitelkeit, mit Prunkſucht und Hochmuth, und darben doch in der Fülle unſeres Reichthums. Ja, wir darben, ſeufzte Lydia, und wir dürfen es nicht einmal ſagen und klagen! Verdammt zur ewigen Lüge, müſſen wir ein Glück heucheln, das wir nicht empfinden, müſſen Liebe lügen, die wir nicht fühlen! Ich werde das nicht thun, rief Fanny ſtolz. Es iſt genug, wenn ih mich dem Zwang füge und mein Haupt beuge, aber ic) werde nick. mich bis zur Rüge demüthigen. Wie, Du wollteft aljo Deinem Gemahl jagen, daß Du ihn nicht liebft? fragten die Schweitern. Ich werde es nicht meinem Gemahl jagen, fondern meinem Bräu⸗ tigam, fobald er kommt! Aber wenn er feine Frau heirathen will, vie ihn nicht liebt? Dann ijt Er es, welcher zurüdtritt, nicht Ich, und unfer Vater bat mir feine Vorwürfe zu machen. Hört Ihr nit Schritte im Cor- ridor? Das ift mein: Bräutigam. Ich habe ihn gebeten, eine Viertel⸗ ſtunde vor der feftgefegten Zeit hierher zu kommen, weil ich ihn zu ſprechen wünſchte. Er kommt! Nun bitte ih Euch, geht in den Salon und erwartet mich dort. Vielleicht fomme ich allein, dann bin id) frei, vielleicht fommt Arnftein mit mir, dann hat er die Zukunft angenommen, wie ich fie ihm biete. Xebt wohl, meine Schweitern, und Gott ſchütze ung Alle! Gott fhüge Dich! fagte Lydia, ihre Schwefter zärtlich umarmend. 152 Du bift eine muthige und ſtarke Seele, und ich wollte, ich Fünnte Dir gleichen! Was würde es Dir helfen, Lydia? fragte Fanny mit ſcharfer Betonung. Was hilft uns aller Muth und alle Kraft, wir müſſen doch dulden, doch uns unterwerfen! Er kommt! Sie drängte die Schweſtern nach der Thür des Salons hin und ging dann ihrem Verlobten entgegen, der eben in die Thür trat. Herr von Arnſtein, ſagte Fanny, ihm die Hand darreichend, ich danke Ihnen, daß Sie meiner Einladung ſo pünktlich gefolgt ſind. Ein Geſchäftsmann iſt immer pünktlich, ſagte der junge Baron, ſich leicht verneigend. Ah, und Sie betrachten dies auch als ein Geſchäft? fragte Fanny raſch. Ja, aber als ein Geſchäft der ſchönſten und ſeltenſten Art. Eine Conferenz mit einer ſchönen, reizenden Dame, das iſt mehr werth, als eine Conferenz mit dem reichſten Geſchäftsfreund, und wenn man auch hundert Procent dabei verdienen könnte! Ah, ich glaube, daß Sie mir da eine Schmeichelei ſagen wollten? fragte Fanny, mit ihren großen funkelnden Augen die kleine, ſchmächtige Geſtalt, das bleiche Angeſicht des Barons prüfend betrachtend. Er verneigte ſich mit einem ſanften Lächeln, aber er hob nicht das Auge zu ihr empor. Fanny ſah, daß ſeine Stirn von einem trüben Schatten umdüſtert war. Herr Baron, ſagte ſie, ich habe Sie gebeten, hierher zu kommen, weil ich nicht zum Altar gehen will mit einer Lüge im Herzen. Ic will weder Gott, nody Sie betrügen, und. darum fage id Ihnen jet frei und offen: ich liebe Sie nicht, Herr Baron, und nur der Wille meines Vaters giebt Ihnen meine Hand! j Kein Zug in dem Antlig des jungen Barons veränderte fih, er ſchien weder überrafcht, noch beleidigt zu fein. Lieben Sie einen Andern? fragte er gelaffen. Nein, ich liebe Niemand, rief Fanny. Ab, dann find Sie beneidenswerth, fagte er düſter. Es ift viel leichter, mit einem falten Herzen in die Ehe zu treten, als mit 153 einem gebrochenen, benn das Talte Herz kann fi) erwärmen, das ge- brochene nicht. Fanny's glänzende Augen rubten unverwanbt auf feinen Zügen. Herr von Arnftein, rief fie jegt raſch und heftig, Sie lieben mich eben jo wenig, als ih Sie liebe! | Er zwang fih zu einem Lächeln. Wer Könnte Sie fehen, Sie, bie flolze, berrlihe Erſcheinung, und nicht entzüdt von Ihnen fein! rief er emphatifch. Keine leeren Schmeicheleien, ich bitte Sie, fagte Fanny ungebulbig. Oh, jagen Sie mir die Wahrheit, mein Herr, nicht wahr, Sie lieben mich nicht? | Ich habe Sie zu fpät gefehen, fagte er ſeufzend. Hätte ich Sie früher gekannt, würde ich Sie grenzenlos geliebt haben! Jetzt aber kam ich: zu ſpät und Sie liebten bereits eine Andere? - fragte fie haftig. Sa, id, liebe eine Andere, fagte er ernſt und feierlich. Da Sie | mic) fragen, bin ich .Ihnen die Wahrheit ſchuldig. Ich liebe eine Andere! Und dennoch, rief fie zürnend, dennoch wollen Sie mich heirathen? Und Sie? fragte er fanft. Lieben Sie mich denn? Aber ich fagte Ihnen ja, mein Herz ijt frei, ich liebe Niemand, während Sie — Warum heirathen Sie nicht biejcuige— welche Sie lieben? Weil ich nicht darf und auch nicht kann! Warum dürfen Sie nicht? Weil mein Vater es nicht will! Er iſt der Chef unſeres Hauſes und unſerer Familie. Er hat zu gebieten und wir zu gehorchen. Er will es nicht, denn das Mädchen, welches ich liebe, iſt arm. Sie würde unſerm Hauſe keine neue Capitalien zuführen. Oh, ewig, ewig dieſer kalte Mammon, dieſer Götze, dem man unſere Herzen als Opfer vorwirft! rief Fanny ſchmerzlich. Um Geld verkaufen wir unſere Jugend, unſer Glück und unſere Liebe. Ich habe meine Liebe nicht verkauft, ich habe ſie geopfert, ſagte Herr von Arnſtein ernſt, ich habe fie ven Intereſſen unſeres Handels⸗ hauſes und unferer Birma geopfert. Aber indem ich Sie fo ſchön, 154 fo vol edlen Zorns vor mir ftehen fehe, fühle ich ſchon, daß ich nicht mehr zu beflagen bin, denn ich werde das ebelfte und fchönfte Weib in ganz Wien befigen. | Sie wollen mich alfo heirathben? Sie wollen nicht zurädtreten, obwohl Ihr Herz einer Andern gehört, und obwohl Sie wiſſen, daß ih Sie nicht Liebe? Meine ſchöne Braut, täufchen wir uns doc, nicht, fagte er Lächelnd, es ift nicht eine Ehe, ſondern ein Affocie-Gefchäft, das wir im Begriff find, auf den Wunſch unferer Bäter mit einander abzufchließen. Man bat dabei nicht an die Herzen, fondern an die Capitalien gedacht; bie Häufer Itzig, Arnftein und Eskeles werden herrlicher aufblühen; ob die Menfchen, die zu dieſen Häufern gehören, dabei verwelfen, das gilt gleih. Nehmen wir unfer Gefchid an, meine Liebe, denn entgehen können wir ihm doch nicht! Was hülfe es Ihnen, wenn ich zurüdträte? Ihr Vater würde Ihnen einen andern, vielleicht noch reichern Mann . auswählen, vielleicht in Polen, in Rußland, was weiß ich's, und Sie tönnten mit den Schägen Ihrer. Schönheit und Ihres Geiftes in irgend einem Heinen Weltwinfel verfchüttet werden, während ich Sie doch nad) Wien auf das Theater der Welt, auf eine Bühne führe, wo e8 Ihnen wenigftens an Triumphen und Huldigungen nicht fehlen wird. Und ih? Warum follte id ein blövder Thor fein, Ihnen zu entfagen, Ihnen, weldye mir weit mehr bringen wird, als id) verdiene, Ihre Schönheit, Ihren Geift und Ihre Güte. Ah, ich werde zu beneiden fein, denn es wird in ganz Wien feine Frau fein, die mit Ihnen riva⸗ lifiren könnte. Da ich Diejenige, welche ich liebe, nicht befiten Tann, fo habe ich Gott zu danken, daß Sie es find, welche mein Vater für mic gewählt. Sie allein find dabei zu beflagen, Fanny, denn ich habe Ihnen feinen Erſatz zu bieten für das Opfer, das Sie mir bringen. Ich bin Ihrer nicht werth. Sie ftehen über mir an Schönheit, an Geiſt, an Bildung. Ich bin ein Gefhäftsmann, weiter nichts! Aber ih habe Ihnen doc etwas zu bieten, Reichthum, Glanz und einen Namen, der felbft am Kaiferhof einen guten Klang. bat. Naflen Sie alfo mich Ihnen als Freund rathen, nehmen Sie meine Hand an, es ift die Hand eines Freundes, der duch fein. ganzes Leben bemüht jein 155 wird, Sie dafür zu entſchädigen, daß er Ihnen wicht das Glück und vie Liebe geben konnte. Er reichte ihr mit einem offenen, berzlihen Ausprud feine Hand ar, und das junge Mädchen legte langſam ihre Hand in die feine. Es jei, fagte fle feierlich, ih nehme Ihre Hand an, und ich bin ‚ereit, Ihnen zu folgen. Wir werben fein glüdliches Liebespaar, aber ir werden zwei gute und aufrichtige Freunde fein. Mehr verlange ich nicht, jagte Arnftein fanft. Nie werde ich Sie st Anfprühen und Forderungen beläftigen, vie Ihr Zartgefühl und Ihr Herz verlegen könnten, nie werde ich mehr von Ihnen fordern, 18 was ich mir hoffentlich verdienen kann: Ihre Achtung umb Ihr zertrauen. ch werbe niemals die aufgeblajenen Prätenfionen eines zemahls haben, der von feiner Gemahlin vie Liebe und bie Treue dert, die er doch ſelber ihr zu bieten nicht vermag. Wir werben or der Welt vermählt fein, weiter nichts, aber im Innern Ihres Yaujes, da werben Sie die Freiheit, die Unabhängigkeit finden, da erden Sie jede Ihrer Launen, Ihrer Wünfche befriedigen können, da ird Jeder fi vor Ihnen beugen und Ihnen gehorchen. Ich zuerft nd wor allen Dingen! Sie follen der Glanz, der Stolz und die rende meines Haufes. fein, und ihm eine glänzende Stellung in der defellfchaft verleihen. Wir wollen ein fürftlihes Haus machen, und Sie jollen als Yürftin darin herrihen. Sind Sie damit zufrieben? tehmen Sie meinen Vorſchlag an? Ich nehme ihn an, rief Fanny mit leuchtenden Augen, und ich hwöre Ihnen, es ſoll in ganz Wien kein zweites Haus geben, das em unſern gleicht. Wir wollen es zu einem Mittelpunkt der edelſten nd beſten Geſellſchaft machen, und inmitten dieſer Geſellſchaft, in elcher Alles ſich vereinen ſoll, was es an Rang, Schönheit und Be⸗ eutſamkeit giebt, wollen wir vergefjen, daß wir Beide ohne Glüd und hne Liebe an einander gefettet find. ° Aber ein Tag wird fommen, an weldem Sie die Liebe fennen men werden, fagte Arnftein. Schwören Sie mir, daß Sie mid an iefem Tage nicht verwänfchen wollen, weil ich alsdann zwiſchen Ihnen nd Ihrer Liebe ſtehe. Schwören Sie mir, daß Sie mid immer als 156 Ihren Freund betrachten, al8 foldem mir vertrauen und es mir fagen “wollen, wenn für Sie diefe unfelige, jelige Stunde gefommen, in ber Ihr Herz ſpricht! Ich ſchwöre es Ihnen, ſagte Fanny ernſt. Es ſoll immer Wahr⸗ beit zwiſchen uns fein, dadurch können wir uns wenigſtens vor dem Unglück bewahren, wenn es auch nicht in unſerer Macht gegeben iſt, uns das Glück zu erobern! Und jetzt, mein Freund, kommen Sie, geben Sie mir Ihren Arm und laſſen Sie uns in den Salon gehen, wo man uns erwartet. Jetzt beklage und beweine ich den heutigen Tag nicht mehr, denn ich habe ihm einen Bruder, einen Freund zu verdanken! Kommen Sie! Sie legte ihren Arm in den ſeinen und folgte ihm in den Salon. Ein fanftes Lächeln umfpielte ihre Tippen, als die Thür deſſelben ſich öffnete und fie eintraten; mit einem Ausorud ftiller Zufriedenheit ſchaute fie hinüber zu ihren beiden Schweitern, die an der Seite ihrer Ver⸗ lobten ftanden und fie mit zitternder Ungebuld erwartet hatten. Keine Hoffnung mehr, murmelte Lydia leiſe, auch fie nimmit ihr Schickſal an und unterwirft ſich. Sie macht es wie ich, dachte Eſther, ſie tröſtet ſich mit dem Steig. thum und einer glänzenden Stellung in der Welt. E8 giebt auch feinen beffern und fchönern Troſt, als dieſen! In dieſem Augenblid öffnete ſich die Thür, und der Rabbiner in jeinem ſchwarzen Zalar, mit dem Käppel auf dem Haupt, erihien auf der Schwelle, gefolgt von dem Vorfänger und den Tempeldienern. Eine feierlihe Stille trat ein und betend neigten fi alle Häupter, während der Rabbiner durch den Saal ging, die Eltern der Bräute zu begrüßen. VIII. Aariane Meier. Niemand achtete in dieſem Moment der Andacht auf dieſe zweite Erſcheinung, welche ſich drüben auf der Schwelle zeigte. Es war eine ſtolze, hohe Frauengeſtalt von wunderbarer Schönheit. Ihr ſchwarzes Haar, ihre glühenden Augen, die feingebogene Naſe, der ganze Schnitt des Geſichtes gaben ihr eine Aehnlichkeit mit der ſchönen Fanny Itzig und verriethen, daß auch ſie dieſem Volk angehöre, welches, überall in der Welt verſtreut und umhergetrieben, ſich doch überall ſeinen Typus und ſeine Gewohnheiten in unerſchütterlicher Treue bewahrt hat. Und doch, wenn man dieſe Fremde näher betrachtete, glich ſie weder Fanny, noch irgend einer ihrer Schweſtern. Es war eine Schönheit ganz für fih, anziehend und abſtoßend zu gleicher Zeit. Eine hohe, königliche Seftalt, umfloffen von einem purpurrothen Sammetgewand, das unter dem Bufen von einem breiten goldenen Gürtel zuſammen gehalten war. Ihre Schultern von wunderbarer Weiße und evelfter Fülle waren ent» blößt, der kurze Hermelinmantel war von ihnen niedergeglitten und bing lofe und leicht Über ihren Naden niever, feitgehalten von ihren tötlihen, vollen Armen, an denen die practvolliten Bracelets von Brillanten bligten. Ihr fhwarzes Haar fiel in langen, fchweren Locken von beiden Seiten ihrer durchſichtig bleihen Wangen nieder, und war binterwärts in einen griechiſchen Knoten zufammengefaßt, der mit brillantenen Nadeln befeftigt war. Ueber ihrer hohen gedankenvollen und edlen Stirn erhob fid ein Diadem von Brillanten, bie im herr⸗ lichſten euer glänzten und funfelten. Stolz und herrlich wie eine Königin war fie anzufchauen, und auch ihr Blick, der jetzt langſam und ſuchend durch den Saal ſchweifte, hatte etwas Hoheitsvolles, Gebietendes und Kaltes. Sugen Sie mir, flüfterte Herr von Arnftein, fih zu feiner Braut hinneigend, fagen Sie mir, wer ift diefe prachtvolle Dame, welde da in der Thär ftebt? 158 Oh, rief Fanny freudig überrafcht, fie ift alfo doch gefommen! Wir wagten faum, noch auf fie.zu hoffen. Das ift Mariane Meier. Wie, Mariane Meier? fragte Herr von Arnftein. Die berühmte Mariane Meier, melde Göthe geliebt hat, für die ver ſchwediſche Ge- fanbte in Berlin, Herr von Bernftorf, jahrelang in glühenpfter Leiden⸗ ſchaft gefhwärmt und gelitten hat, und die jett die Maitreſſe des Öfterreihiichen Gefandten, des Fürften von Reuß, ift. Still, um Gotteswillen ftill, flüfterte Fanny. Sie kommt auf ung zu! Und Fanny ging der fhönen Dame mit lächelndem Gruß einige Schritte entgegen. Mariane neigte fanft ihr Haupt und küßte leicht die Stirn der Braut, mit dem Anftand und der Haltung: einer Fürftin. Ih bin gefommen, um Dir und Deinen Schweftern Glüd zu wünſchen, fagte fie mit ihrer fonoren, herrlichen Altftinme, ich wollte auch jehen, wie ſchön Du feift, und ob Dein Verlobter es werth ift, Dich zu befigen! Fanny wandte ſich um, Herrn von Arnftein herbei zu winken, aber er hatte fich foeben mit dem Rabbiner und den Prieftern entfernt; pie rauen waren jeßt allein, denn die Seremonie follte beginnen. Und es famen die Klageweiber, welchen vie Pflicht obliegt, laut zu jammern und zu weinen um die Bräute, welche jett das elterlihe Haus verlaffen und ihren Männern folgen follten. Sie breiteten föftlihe Teppiche aus zu den Füßen der Bräute, welche eine neben der andern auf ben Lehnfefleln in ver Mitte der Frauen da faßen, und dieſe Teppiche mit Blumen beftreuend, murmelten fie ſchluchzend und weinend althebräifche Lieder. Hinter den drei Bräuten fland ihre Mutter, mit bleichen Wangen, mit zitternden Lippen, die von Thränen umbüfterten Augen gen Himmel gerichtet. Jetzt öffnete fih die Thür, und im wallenden Talar, den weißen Bart lang herniederfließend auf feine Bruft, erfchien der Tempels biener, ein fammetnes Kiffen auf feinen Händen tragend und auf dem⸗ felben drei weiße Spigenfjchleier. Hinter ihm her fchritt der Banquier Sarg, ber Bater der Bräute. Er nahm von dem Kiſſen einen nad 159 bem andern der Schleier und breitete fie, Gebete murmelnd, über ben Häuptern feiner Töchter aus, daß fie ihr Antlig und ihre ganze Geftalt wie mit einem zarten Nebel umfloffen. Und bie Klageweiber weinten lauter auf, und aus den gen Himmel gewandten Bliden der Mutter floffen ein paar Thränen über ihre bleihen Wangen nieder. Schweigenn entfernten fich die beiben Männer und bie rauen waren wieber allein. Aber jegt vernahm man in der Terne ein helles Klingen und Singen von weichen, tönenden Knabenftimmen. Wie lodenb und rufend klangen ‚ bie Zöne durch das Frauengemach und ſchienen mit ihren ſüßen Me⸗ lodien die Bräute zu rufen. Langſam, wie bezaubert von diefen - Tönen, erhoben fich die verfchleierten Bräute, der älteften von ihnen nabete fih die Mutter und bot ihr, die Hand, bie zwei Aelteſten ver Frauen naheten fi) den zwei andern Bräuten, paarweiſe orbnete fich hinter ihnen der Zug der rauen und feßte fih dann in Bewegung, immer den rufenden, tönenden Stimmen entgegen. So zogen fie durch die Säle dahin, die verfchleierten Bräute, die betenden Frauen, ber Geſang kam näher und näher, und jegt, durch bie legte Thür fohrei- tend, traten die Frauen in eine lange, mit Blumen gefhmüdte, mit Teppichen belegte Halle, deren Dede aus Glasfenftern beftand, durch welhe man das durdhfichtige, tiefe Blau des Winterhimmels gewahrte. In der Mitte diefer Halle erhob fih ein purpurner Baldachin mit goldenen Duaften und Troddeln, und unter vemfelben ftand ber Rabbi mit gefalteten, zum Himmel erhobenen Händen, neben ihm die Vers lobten der Bräute. Lauter und jubelnder erfchallte der Chor der hinter Blumen und Orangenbäumen verborgenen Sänger. Unter diefen Jubel⸗ Hängen führten die Frauen die Bräute unter den Baldachin, und bie Ceremonie begann. | Als fie beendet war, als die Schleier von den Häuptern der Bräute abgenommen, fo daß fle als Frauen offen und frei hineinfchauten in die Welt, fehrte man zurück in die Säle und die drei Paare empfingen die Glückwünſche ihrer Gäfte. In einer Fenfternifche, abfeits von den Andern, ftand Fanny, und neben ihr ftand Mariane Meier. Arm in Arm gefchlungen fanden fte da, Fanny in ihrem weißen Atlasgewanvde wie eine xveine Niralilentr 160 Lilie anzufchauen, Mariane in ihrem Purpurgewande ber ſtolzeſten Kö. nigin der Blumen gleid). Du willft heute noch mit Deinem Gemahl Berlin verlafjen? fragte Mariane. In einer Stunde fhon reifen wir ab, fagte Fanny feufzend. Mariane hatte dieſen Seufzer gehört. Kiebft Du Deinen Mann? fragte fie haſtig. Ich habe ihn erſt zwei Dal gefehen und gefprochen, flüjterte Fanny leiſe. Ein jpöttifches Lächeln umfpielte Darianens Lippen. Du bift alfo _ einfach an ihn verkauft, wie eine Sclavin an einen reihen Plantagen- befiger, fagte fi. Es ift ein Hanbelsgefhäft, und dennoch dünkt Ihr Euch groß damit und gebt Euren Menſchenhandel für Tugend aus und meint ſtolz und verächtlich auf diejenigen herabjchauen zu können, welde ſich nit verkaufen laffen wollten, wie eine Waare, welche es vorge- zogen, ſich lieber freiwillig zu verſchenken, und fi in Liebe hinzugeben, als ohne Liebe entweiht zu werben. | Ich dünke mich gar nicht groß damit, verheirathet zu fein ohne Siebe, fagte Fanny ſanft. Ob, ich würde gern allem Reichthum, allem Glanz entfagen, ich würde gern bereit fein, in Armuth und Niebrigfeit zu leben mit einem Manne, welchen ich liebte. Über diefer Mann müßte Dir doch vorher durch den alten Rabbi angetraut fein, nicht wahr? Sonft würbeft Du ihm nicht folgen, troß Deiner Liebe? fragte Mariane. Ya, Mariane, fo müßte e8 fein, fagte Fanny ernft, ihre großen Augen feft auf die Freundin gerichtet. Ein Weib fol fih nicht in Conflikt fegen wollen mit ven Sitten der Welt, denn fie wird immer darunter zu leiden haben: Wenn ich liebte und ich könnte ven Dann meiner Wahl nicht befigen, nicht als feine angetraute Gattin ihm an- gehören, jo würde ich ihm entfagen. Ich würde vielleicht fterben vor Sram, aber ich würde fterben mit dem ZTroft, daß ich der Tugend treu geblieben. “ Und daß Du die Liebe verrathen bätteft, rief Mariane höhniſch. Phrafen, nichts al8 angelernte Phrafen, mein Kind, aber mit dieſen Porafen fpreizt fi die Welt und nennt «8 Moral. OH ftill, ſtill! 161 Ich weiß Alles, was Du mir fagen und wie Du mich ermahnen willft! Ic habe es wohl gehört, mit welchem verädtlihen Ton Dein Bräu- tigam mich die Maitrefje des Färften von Reuß genannt hat! Ent- ſchuldige ihn nicht, und leugne nicht, ich habe e8 gehört. Ich könnte darauf erwidern, was jüngft Frau von Balbi gefagt hat, als man fie verächtlich die Maitreſſe des königlichen Prinzen von Artois ſchalt: Le sang des princes ne souille pas! Aber ich will mid nicht ent- fhuldigen, fondern Ihr Alle ſollt eines Tages Euch bei mir entſchul⸗ digen müſſen! Denn ich fage Dir, Fanny, ich gehe meinen Weg und ich habe mein Ziel vor Augen! Es iſt ein großes, ein herrliches Ziel! Die ganze Welt will ich vor meinen Füßen ſehen, vor der Jüdin ſollen ſich alle dieſe lächerlichen Vorurtheile der Geburt, des Ranges, der Tugend beugen, und Zleich berechtigt ſoll die Jüdin daſtehen inmitten der erſten und vornehmſten Geſellſchaft. Sieh, Fanny, das iſt mein Plan und mein Ziel, es iſt auch das Deine, nur daß wir Beide es auf verſchiedenen Wegen verfolgen. Du an der Seite eines Mannes, deſſen Gemahlin Du biſt, dem Du Treue und Liebe vor Gottes Altar gelobt haſt, ohne ſie zu empfinden; ich an der Seite eines Mannes, deſſen Freundin ich bin, dem ich zwar nicht vor dem Altar Treue und Liebe geſchworen, dem ich ſie aber halten werde, weil ich ſie empfinde! Gott möge entſcheiden, bei welcher von uns Beiden die wahre Mora» fität wohnt. Die Welt giebt Dir Recht und verurtheilt mich; ich aber will ihr eines Tages all ihre Beratung und ihren Spott in's Ge- fit ſchleudern und will ſie zwingen, ſich in Demuth vor mir zu beugen! Und wenn man Dich anſieht in Deiner ſtolzen, leuchtenden Schön⸗ heit, ſo fühlt man, daß Dir Alles gelingen wird, was Du willſt, ſagte Fanny, mit bewundernden Blicken die ſtrahlende Erſcheinung Marianens betrachtend. Mariane nickte leicht mit dem Haupt. Laß uns unſer Ziel ver- folgen, ſagte ſie, denn es iſt daſſelbe. Wir haben Beide eine Miſſion zu erfüllen, Fanny, wir haben die Jüdin zu rächen an dem Hochmuth der Chriſtinnen, wir haben ihnen zu beweiſen, daß wir in jeder Hinficht ihnen gleich ſtehen, daß wir vielleicht beſſer, bedeutender, MiſpiIbach Napoleon. 1. Ab. AL 162 % \ talentvoller und fchöner find, als fie alle, diefe hohmüthigen Chriftinnen ! Wie oft haben fie ung in der Gefellihaft vernadhläffigt und überfehen, wie oft haben fie fich hervorgedrängt, um uns zu verbunfeln, wie oft mit fpöttifhen Bliden, mit wegwerfender Ueberhebung uns geärgert. Wir wollen ihnen das Alles zurüdgeben, wir wollen fie züchtigen mit ben ©eißeln, womit fie uns gezüchtigt haben, fie follen fi vor ung beugen müſſen Sie follen wenigftens ung als Gleichberechtigte betrachten und gelten laſſen müſſen, ſagte Fanny ernft. Ich verlange nicht, mich zu rähen, aber ih will meine Stelle einnehmen in ver Gefellfehaft, ich will ihnen beweifen, daß ich eben fo gut, wie fle, eine vornehme Dame und eine Ariftofratin bin, daß ich den Adel eben fo gut vertreten Fann, und beſſer, als fie, denn wir find von älterem Adel, als alle dieſe chriſtlichen Ariftofraten, und mehr Ahnen von uns bis in entferntere Geſchlechter können wir zählen, als fie. Unfere Väter, die ftolzen Levi, haben als Hohepriefter geftanden in dem Tempel Salomons, und das Bolf hat fie ſchon damals als adlige Herren geehrt. Das wollen wir den chriſtlichen Damen zu bebenfen geben, wenn fie uns von ihren Ahnen, die höchſtens bis in's Mittelalter oder zu Earl dem Großen | reihen, erzählen wollen! So ift es recht, fo höre ih Dich gern, rief Mariane freudig. Ich fehe, Du wirft uns in Wien auf eine edle und ftolze Weife vertreten und der Berliner Iudenfhaft Ehre mahen. Ob, das freut mid, Fanny, und ih werde Did immer dafür lieben! Vergiß auch Du meiner nicht! Ich werde, fo Gott will, aud eines Tages nah Wien fommen und werde da meine glänzende Kolle fpielen. Wir aber wollen doch niemals Rivalinnen, fondern immer Freundinnen fein. Verſprichſt Du mir das? Ich verſpreche e8 Dir, fagte Fanny, der Freundin ihre ſchlanke, weiße Hand darreichend. Mariane drückte fie feft in der ihrigen. Ich nehme Dein Berfpreben an, und werde Di einft daran mahnen, fagte fie. Jetzt Iebe wohl, Fanny, denn ich ſehe da Deinen jungen Gemahl, welder Dich gern fpredhen möchte und doch nicht wagt, bierher zu Tommen, aus Furcht vor der Berührung mit ber 163 Maitrefie des Fürften von Neuß. Gott fegne und fchüte feine Tugend, bie ſich fo fehr vor der Anftedung zu fürdten hat! Lebe wohl, vergiß nicht unferes Schwurs und denke mein. Sie ſchloß die Freundin feft in ihre Arme und drüdte einen glühenden Kuß auf ihre Stirn. Dann wandte ſie fih rafh um und ſchritt durch den Saal dahin. Aller Augen folgten ver hoben, ftolzen Erſcheinung mit bewundernden Bliden, und hier und da flüfterte man: „Wie fhön fie iftt Wie ftolz! Wie prächtig!" — Sie aber adıtete nicht darauf, fie war der Huldigung dieſes Geflüfters zu fehr gewohnt, als daß es fie noch hätte erfreuen können. Ohne Gruß, mit ſtolz ge- hobenem Haupte fchritt fie durch den Saal, den Hermelinmantel eng über ihre Schultern gezogen, nichts um ſich her ihrer Beachtung, ihres Anfhauens würdig haltend. Im äußern Borzimmer erwartete fie ei ein Lakai in goldner Livree, er flog vor ihr her die Treppe hinunter, riß die Hausthür weit auf und ſtürzte hinaus, um den Wagen ſeiner Herrin aus dieſer Wagenburg, welche die beiden Seiten der Straße erfüllte, hervorzurufen. Mariane ſtand wartend unter der Hausthür, angeſtiert von den neugierigen ſtechenden Blicken der Menge, welche in dichten Haufen die Straße belagerte, um die Hochzeitsgäſte des reichen Banquiers Itzig beim Einſteigen in ihre Wagen zu beſchauen. Mariane achtete gar nicht auf dieſe Leute, ihre großen, ſchwarzen Augen ſchweiften mit kalter, theilnahmloſer Gleichgültigkeit an allen Geſichtern vorüber, feiner von allen dieſen Menſchen hatte irgend ein Interefje für ſie und ihr Anftarren war ihr ganz gleichgültig. Aber bie Menge fühlte fich verlegt von dieſer ftolzen Ruhe, diefer fürſtlichen Gleichgültigkeit. Seht, murmelte man hier und dort, ſeht die ſtolze Jüdin! Wie ſie uns anſtarrt, als wären wir nur leere Luft, nichts weiter! Welche köſtlichen Brillanten ſie trägt! Ob ihr das der Schacher ihres Vaters eingetragen hat? Bei dieſer lauten und ſpöttiſchen Frage eines alten, zerlumpten Weibes brachen Alle in ein lautes, höhnifches Lachen aus. Mariane achtete noch immer nicht darauf. Sie dachte nur, daß es aufßerorbent- ih lange dauere, bis ihr Wagen vorfahre, und bie vermeintliche 11% 164 Fäffigfeit ihres Dieners war es allein, welche einen Schatten über ihre hohe Stirn warf. Als das Lachen der Menge verftummt war, drängte fich plötzlich ein Weib, eine Jüdin in ſchmutzigen, zerfegten Gewändvern, aus ber _ Menge bervor und trat diht zu Marianen heran. Der Schacher ihres Vaters, meint Ihr, habe ihr diefe Brillanten eingebradt? rief fie mit freifchender Stimme der Menge zu. Nein, id weiß das beijer! Ihr Vater war mein guter Freund, und wir haben manches Kleine Geſchäftchen mit einander gemacht, als er noch ein Feiner Handelsjude war, der mit dem Pädchen auf dem Rüden durch die Straßen ging. Nachher ift er durch Handel reih und ic arm geworben, aber bie Brillanten hat fie do nicht von ihrem Vater. Leute, hört, wer dieſe iit, die und fo ſtolz anſchaut. Das ift die Jüdin Mariane Meier, die Maitreffe des alten Yürften Reuß! Ach, eine Maitreffe, lachte und jubelte das Volk. Und bie ſchaut uns an, als ob ſie eine Königin wäre. Trägt Brillanten im Haar, meint ihre Schande zu verbergen unter Sammet und Seide! Hat — Eben fuhr mit donnerndem Geräuſch der Wagen vor, die gallo— nirten Diener öffneten den Schlag und beeilten ſich, die Leute bei Seite zu ſchieben, damit ihre Herrin auf dem ausgelegten Teppich zu ihrer Kutſche ſchreiten könnte. Wir laſſen uns nicht zurückdrängen, brüllten die Leute, wir wollen uns die ſchöne Maitreſſe in der Nähe beſchauen! Und unter Hohngelächter und Geſchrei ſchoben ſie ſich dicht an Mariane heran. Sie ſchritt langſam, mit hochgehobenem Haupt, vor⸗ wärts und ſchien alle die beleidigenden, höhnenden Worte gar nicht zu vernehmen. Nur ihre Wangen waren noch bleicher geworden und ihre Lippen zuckten leiſe, wie von verhaltenem Zorn. Jetzt hatte ſie ſich bis zu ihrem Wagen durchgedrängt und ſtieg ein. Die Diener ſchlugen, den Schlag in die Höhe, aber die Menge umbrängte den Wagen und fchaute durch die Glasfenfter und hohn- lachte: Sebt, ſeht! Die ſchöne Maitreſſe! Hurrah! Es lebe die Maitreſſe! Der Kutſcher ji auf die Pferde ein und der Wagen fette fih 165 in Bewegung, aber nur langfam und im Schritt fonnte er ſich fort» ihieben, denn das höhnende Volk machte fih ein Vergnügen daraus, wie eine ſchwarze, ungeheure Woge mit fortzurollen und ber ftolzen Equipage der Maitrefje jeden Schritt vorwärts ftreitig zu machen. Mariane ſaß aufreht in ihrem Wagen, mit flammenven, kalten Bliden die Menge anftarrend. Nicht eine Thräne umdüſterte ihr Auge, fein Wort, fein Schrei fam von ihren feft aufeinandergepreßten fippen. Auch jet nicht, al8 der Wagen, um die Ede biegend, envlih Raum gewann und mit tonnerndem Geräuſch dahin flog, auch jetzt nicht veränderte ich ihre Stellung oder der Ausprud ihres Gefichtes. Bald hatte fie das Hötel erreicht, vor dem Beftibule hielt ver Wagen an, und der Lakai öffnete den Schlag, Mariane flieg aus und fahritt langjam, ftolz und ruhig zu der Treppe hin. Der Lafai eilte ihr nad, und wie fie eben bis zu dem erften Abſatz gelangt war, ftand er hinter ihr und flüfterte: Madame, ich bitte um Vergebung. Ich war wirflih ganz unſchuldig. Da Ihre Gnaden zulegt gekommen waren, mußte der Wagen als ver legte in der Reihe anfahren, und deshalb tauerte e8 fo lange, bis er vorwärts fommen konnte. Ich bitte um Berzeihung, Ihre Gnaden! | Marianne wandte nur langfam einen Moment das Haupt zu ihm und ſchaute ihn flüchtig an mit einem müden, verächtlichen Blicke, dann ſchritt fie, ohne ein Wort zu fagen, die Treppe höher hinauf. Der Lakai blieb ftehen und ſchaute der .ftolzen Geftalt nad, wie fie langfam empor ſchwebte, und flüfterte fenfzend: Sie wird mid) . fortjagen laſſen! Sie verzeiht niemals! — Drariane hatte jegt die obere Etage erreicht und ſchritt den Cor- ridor hinunter, langfam, ftolz wie immer. An der Thür ftand ihr Kammerdiener, der fie mit tiefer Verneigung empfing und vor ihr vie beiden Flügel der Thür öffnete. Sie durchſchritt ernft und ftill die lange Reihe der glänzenden Gemäder, bie ſich vor ihr aufthat, und trat in ihr. Toilettenzimmer ein. Dort harrten ihrer die beiden Kam⸗ merfrauen, um ihr bein Anlegen einer bequemeren Haustoilette bebülf- lich zu fein. ” Wie fle fich ihrer Herrin näherten, madte fie eine ale, alinche 4 166 rende Bewegung mit der Hand. Hinaus! fagte fie, hinaus! Nichts weiter, aber e8 Klang wie ein Schmerzensfchrei, ein Zornesruf, und bie Kammerfrauen beeilten fi daher, zu gehorchen, oder vielmehr zu entfliehen. Als die Thür fih hinter ihnen jchloß, ſtürzte Mariane bin, fchob den Riegel vor ließ die Portiere niederraufchen. | Nun war fie allein, nun konnte Niemand fie jehen, Niemand fie hören. Mit einem wilden Aufſchrei hob fie ihre Schönen Arme empor und riß das Brillantendiadem aus ihrem Haar und fchleuderte e8 zur Erde. Dann löfte fie mit zitternden Händen den goldenen Gürtel von ihrer herrlichen Geſtalt und die funfelnden Nadeln aus ihrem Haar und warf al dies koſtbare Gefchmeide zu Boden. Und mit ihren Kleinen Füßen, mit den golvgeftidten Atlasfhuhen trat fie, ſtampfte fie auf das Gefchmeide, mit flammenden Bliden, die Lippen vor Zorn emporgehoben, daß man die zwei Reihen föftlicher Zähne fah, die fie feft auf einander gepreft hatte. Ihr langes Haar, nit mehr von den Nadeln und Spangen zurüdgehalten, war niedergefallen und ums floß jett, einem fhwarzen Schleier gleich, ihre Geftalt und legte ſich biht an das fammetne Purpurgewand. Wie die Göttin der Rache war fie anzufhauen, fo ſchön, fo ftolz, fo zermalmend und jo prädtig, vie Meinen, geballten Hände zum Himmel empor ſchleudernd, mit den Süßen das bligende Geſchmeide zertretend. Berhöhnt, verlacht! murmelte fie. Das gemeinfte Weib ver Straße glaubt ein Recht zu haben, mid verachten zu können, mich, bie ftolze, bie gefeierte Mariane Meier, mich, zu deren Füßen Grafen und Yürften umfonft gefeufzt haben! Und was bin ich denn, daß man ed wagen darf, mich zu verachten? Sie fragte e8 mit einem trogigen, flammenden Blide gen Himm el, aber auf einmal zudte fie zufammen und ließ demüthig und zerbrochen ihr Haupt auf ihre Bruft niederfinken. | Ich bin eine Schmachbeladene, flüfterte fie, Brillanten und Gold⸗ geſchmeide verhüllen nit meine Schande. Ich bin die Maitrejle des Fürſten, weiter nichts! e ber dies foll anders werden, rief fie auf einmal laut und ftürs auf, Ich will ein Ende machen, ih muß ein Ende maheın. Diele 167 Stunde hat über mein Schickſal entſchieden und meinen Starrfinn ge: broden! Ich glaubte, der Welt Troß bieten zu können in meiner Weiſe, glaubte, ihre Borurtheile verhöhnen und verachten zu können, aber die Welt ift ftärfer, als ich, und fo muß ich mich fügen und ihr Trotz Bieten in ihrer Weile. Und das will ih und das werde ich! Gleich jest ſoll's geſchehen! Ohne weiter zu überlegen und zu ſinnen, verließ ſie das Gemach und eilte wieder durch die glänzenden Säle dahin. Ihr Haar flatterte jetzt wild um ſie her, wie züngelnde Schlangen, ihr Purpurgewand, nicht mehr von dem goldenen Gürtel zuſammengehalten, floß loſe um ihre Geſtalt nieder. Sie achtete gar nicht auf dieſe Unordnung ihrer Toilette, ihre ganze Seele war nur erfüllt von Einem Gedanken, Einem Wollen. In athemloſer Haſt war ſie vorwärts geeilt und öffnete jetzt mit raſchem Griff eine legte Thür, durch welche fie in ein mit allem Luxus und Comfort ausgeftattetes Gemad eintrat. Bei ihrem fo unvermutheten und plößlihen Erſcheinen erhob fih der Herr, der auf dem ſeidenen Divan geruht, und blidte mehr erichrect, als erfreut nah der unerwarteten Störung fiy um. ALS er indefjen Mariane erkannte, flog ein Kacheln über feine Züge und er beeilte fih, ihr mit freundlihdem Gruß entgegen zu gehen. Schon wieder zurüd, meine Theuerfte? fragte er, ihr feine beiden Hände darreichend. Ya, Durchlaucht, ih bin zurüd, fagte fie troden und kalt. Ueber bie alternden, matten Züge des Herrn flog ein ängftlicher Ausdruck und er beftete feine großen, von diden, weißen Augenbrauen beichatteten Augen feft und prüfend auf feine Freundin hin. Jetzt erft gewahrte er ihr zorniges Antlig, die Unordnung ihrer Toilette. Mein Gott, Mariane, fragte er lebhaft, was bedeutet Ihre Auf- regung, Ihre Unfreundlichkeit gegen mih? Was ift Ihnen gefchehen? Es ift mir gefchehen, daß ich befhimpft, infultirt, bis auf den Tod gekränkt bin, rief fie mit zitternden Tippen, mit flammender Zor⸗ nesröthe auf den Wangen. Es iſt mir gefchehen, daß ich eine Biertel- ftunde, nein, eine Ewigkeit dad Hohngelädter, die Berahtung, VAL 168 ‚ Gefpött des Pöbels habe ertragen müflen, daß man mich öffentlich geſchimpft und geſchändet hat. Mein Gott, rief der alte Herr, ängſtlich die Hände faltend, was iſt denn geſchehen, wer trägt denn die Schuld an dieſer Beleidigung? | Wer die Schuld daran trägt? fragte fie, ihre flammenden Augen mit einem fascinirenden Ausdrud auf ihn richtend. Sie allein, mein Fürſt, Sie find die Schuld meiner Schmad und meiner Demüthigung. Um Ihretwillen hat mich der Pöbel verhöhnt und hat mid Ihre Mai- treffe genannt und bat gefpottet über meine Brillanten, den Kaufpreis meiner Schande! Dh, wie viel Schmad, wie viel Demüthigung habe ih nicht um Ihretwillen ſchon erbulvet, mit wie viel blutigen Thränen habe ich nicht dieſe Liebe fhon verwünſcht, die mih an Sie feflelt, "und die ih doch nicht aus meinem Herzen reißen fonnte, denn ſie ift ſtärker, als ih. Aber jett ift e8 genug! So viel Schande und Spott erträgt mein Stolz nicht. Leben Sie wohl, mein Fürft, mein Geliebter, ih muß Sie verlaffen, ich darf nicht mehr bei Ihnen bleiben, wenn die Schande midy nicht tödten fol! Leben Sie wohl! Niemand fol es mehr wagen dürfen, mic eine Maitreffe zu nennen! Sie wandte fid) mit einem legten glühenden Scheiveblid nad der Thür Hin, aber der Fürft hielt fie zurüd. Mariane, fragte er zärtlich, willen Sie denn nicht, daß ich Sie liebe, daß ih nit ohne ie leben kann? Sie fhaute zu ihm hin mit einem bezaubernden Lächeln. Und id ? fragte fie. ern von Ihnen werde ich fterben vor Liebesfummer, bei Ihnen werde ich fterben vor Schmach. Ich ziehe den Liebestummer vor! Leben Sie wohl! Niemand fol mid mehr eine Maitreſſe nennen bürfen! — Und fie legte ſchon die Hand auf den Griff der Thür. Der Fürft legte feine beiden Arme um ihre Geftalt und zog fie zurüd. Ich laffe Did nicht fort, fagte er glühend. Du bift mein und folft es bleiben. Oh warum bift Du fo ftolz und Falt! Warum willſt Du unferer Liebe nicht das Opfer Deines Glaubens darbringen! Warum beftehft Du tarauf, eine Jüdin zu bleiben! | Durchlaucht, fragte fie, ihr Haupt an feine Schulter legend, wes⸗ balb follte ich benn eine Chriftin werben? 169 Weshalb? rief er. Deshalb, weil meine Religion und die Landes» gefege es mir verbieten, eine Jüdin zu meiner Gemahlin zu maden. Und wenn ich Ihnen auch das Letzte noch opferte, was id) befite? flüfterte fi. Mein Gewiſſen und meine Religion? Mariane, rief er feierlich und laut, ich wiederhole Dir, was ich Dir fhon oft gejagt habe: werde eine Chriftin, damit Du meine Ge- mahlin werben kannſt! Sie ſchlug mit einer heftigen Bewegung ihre Arme um feinen Hals und fchmiegte ſich feft an ihn. Ich werde eine Chriftin! flüſterte fie. IX. . . Tiche und Politik. Endlich alfo, endlich! rief Geng mit dem Ausdruck glühenber Zärtlichkeit, fih Marianen nähernd, welde ihm mit einem holven Lächeln entgegen ging. Wiſſen Sie, Thenerfte, daß Sie mich feit acht Tagen zur Verzweiflung gebracht haben? Kein Wort, feine Botſchaft von Ihnen! So oft ich kam, Sie zu fehen, immer abgewiejen. Im⸗ mer biefes fürdhterlihe: „Ihro Gnaden find nicht zu Haufe!" während ih doch Ihre Nähe in jedem Nerv, jeder Ader fühlte und ven Zauber Ihres Wefens in meinem zudenden Herzen empfand. Und abgewiefen! Keine Antwort auf meine Briefe, auf mein glühenves öiehen, Gie nur eine Biertelftunde zu fehen! Nun, Sie Undankbarer? fragte fie lächelnd. Habe ich nicht heute zu Ihnen gefandt? Habe ich Ihnen nicht ganz freiwillig dieſes Rendez⸗ vous gewährt und Sie zu mir gerufen? Sie wußten wohl, daß ich geftorben fein würde, wenn Sie nicht endlich Sich meiner erbarmten! Ob, Sie können nicht denken, himm- liſche Mariane, welche Thorheiten mid die Verzweiflung ſchon hat begeben laffen. Um Sie zu vergeffen, habe ich mid, in Yeritreuungen, 170 in Arbeiten, in Liebesaventuren geftürzt! Alles umfonft. Inmitten unferer Fefte war ich traurig, bei meinen Arbeiten war ich zerjtreut, und um meinen tiebesbethenerungen Leidenſchaft und Wahrheit zu geben, mußte ich die Augen ſchließen und mir einbilven, Sie feien es, zu ber ich rebete. Und dann gelang es Ihnen, nicht wahr? fragte Mariane lachend. Sa, dann gelang es mir, fagte er volllommen ernfthaft, aber meine Geliebte der Zerftreuung und Verzweiflung ahnte nit, daß ic) fie nur deshalb fo feurig umarnıte, weil ich in ihr meine Geliebte des Herzens und der Begeifterung füßte. Und mer war Ihre Geliebte der Zerftreuung und Berzweiflung ? fragte Mariane. Ah, Mariane, können Sie verlangen, daß ich ein Weib verrathen ſoll? . , | Nein, nein, e8 freut mid, Sie als einen discreten Cavalier fennen zu lernen. Sie follen fein Weib verratben! Ih will - Ihnen ben Namen jagen! Die Geliebte der Zerftreuung und Berzweiflung war das fchönfte und bezaubernpfte Weib in Berlin, es war bie Schau- jpielerin Chriftel Enghaus. Mein Freund, id) made Ihnen mein Compliment, bei diefer Schönen ven Sieg über alle die girrenden, ſchmachtenden, verliebten Fürften, Grafen und Herren Davongetragen zu haben. Sie haben Ihre acht Tage der Verzweiflung wirklich gut und würdig zu benugen verftanden! Und doch, Marianne, doch wiederhole ih Ihnen: fie war nur meine ©eliebte der Zerftreuung, und nur um Sie zu vergeflen, jtürzte ich mid in dieſes Verhältniß! Sie lieben mid aljo wirklih? fragte Mariane. Mariane, ich bete Sie an! Sie willen ed. Ob, ich darf Ihnen das jett jagen. Früher fchredten Sie mid zurüd und wollten nichts hören von ber Liebe des verheirathbeten Mannes. Aber jegt ift biefe Schmad von mir abgefallen, Mariane, jest bin ich fein verhei- ratheter Mann! Jetzt bin ich frei und alle Frauen der Welt dürfen fi) fein Gewiſſen mehr daraus machen, mich zu lieben. Ich bin frei, vie ber Bogel in ber Ruft. 171 Und wollen wie der Vogel hierhin und dorthin flattern? Keim, fhönfte, herrlichſte Mariane, ihr Herz fol ver Käfig fein, in welchem id, mich einfchließe. Hüten Sie Sih, mein Freund! Wenn diefer Käfig nun Feine Thür hätte, aus welder Sie wieder entjchlüpfen könnten? Wär’ eine Thür darin, ich würde fie verwünfchen. So grenzenlos alſo lieben Sie mih, daß Sie mir Ihre kaum erworbene Freiheit opfern wollen? Sie fragen noch, Mariane? fragte Gentz, zärtlich ihre ſchöne Hand an feine Lippen drückend. Ernſthaft geſprochen, Freund, ſagte ſie lächelnd. Sie bieten mir alſo Ihre Hand an? Sie wollen mich heirathen? Gentz -zudte leife zufammen und blickte erſtaunt und erſchrocken zu ihr empor. Mariane lachte laut. ‘ Ach, fagte fie, Ihr Geſicht ift die wundervolle Illuſtration von Goethe's Gedicht. Sie kennen's doch? Und mit komifhem Pathos recitirte fie: Heirathen, Kind, ift wunderlid Wort. Hör’ ich's, möcht' ich gleich wieder fort. Mein Sott, weld ein tiefer Menſchenkenner ift doch der große Goethe, und wie ftolz bin ih darauf, ihn meinen Freund nennen zu fünnen! „Heirathen, Kind, ift wunderlih Wort.“ Meariane, Sie find graufam und ungeredt, Sie — Und wiſſen Sie, wie das Gedicht weiter geht? unterbrad fie ihn. Das Mädchen antwortet darauf: Heiratben wir eben, Das Uebrige wird ſich geben. Sie höhnen und fpotten, rief Gent lächelnd, und willen doch, daß bei uns das Uebrige fich leider nicht hinterher geben würde, fondern vorher mein fhönftes Glüd, das Glück, Ihr Gemahl zu fein, unmöglid madt. Sie find ja leider feine Chriftin, Marian. Ich kann Sie alſo nicht heirathen. Und wenn ich doch eine Chriſtin wäre, Friedrich? fragte ſie mit jüßer, Abtender Stimme. 172 Er richtete feine Augen mit einem forjchenten Ausdruck auf ihr reizendes, lächelndes Angefiht. Wie? fragte er verlegen. Wenn Gie doch eine Chriftin wären? Was wollen diefe Worte fagen, Mariane ? Sie wollen fagen, Friebrih, daß ich dem Manne, weldyer mid) fo glühend, fo ausdauernd und treu liebt, den höchſten Beweis meiner Liebe gegeben habe. Ich bin Chriftin geworten um jeinetwillen. Seftern ift die Ceremonie der Taufe geweſen. Jetzt, mein Freund, frage ih Sie noch einmal, frage Sie als Chriftin: Gent, wollen Sie mich heirathen? Chrlih und offen, mein Freund! Bedenken Sie, daß es die Geliebte Ihres Herzens und Ihrer Begeifterung ift, welche vor Ihnen ftehbt und von Ihnen eine Antwort fordert. Bedenken Sie, daß tiefer Augenblid über unfrer Beider Zukunft entſcheidet und jofort und auf der Stelle entſcheidet. Denn Sie fehen, ich habe alle Hin- derniffe aus dem Wege geräumt, id) bin Chriftin geworben, und id) fage Ihnen, ich bin bereit, noch in diefer Stunde Ihre Gemahlin zu werden. Noch einmal alfo: Gens, wollen Sie mich heirathen? Er war aufgeftanden und ging heftig einige Male auf und ab. Mariane verfolgte ihn mit einem lauernden Blid, einem fpöttifchen Lächeln, aber als er jeßt zu ihr trat, nahm fie fehnell eine ernfthafte Miene an. Mariane, fagte er feft, Sie wollen die Wahrheit wiſſen, und id liebe Sie zu fehr, um Ihnen diefelbe verhehlen zu können. Ich will, ih darf, ich kann Sie nicht heirathen. Ich will nicht, weil ich mid außer Stande fühle, die Feſſeln der Ehe noch einmal zu tragen! Ich darf nit, weil ih Sie unglüdli und elend machen würde Ich fann nicht, weil das hieße, einen. Berrath an der Freundfchaft begehen, denn Sie wiflen e8 wohl, der Fürſt von Reuß ift mein Freund! Und ich kin feine Maitrefje, das wollten Sie doch jagen? Er liebt Sie grenzenlos, wollte id) jagen, und er ift ein ebler, großfinniger Mann, deſſen Herz bredhen würde, wenn man Sie ihm raubte. | Alfo zum legten Male: Sie wollen mid, nicht heirathen? Mariane, ich liebe Sie zu fehr, um Sie heirathen zu fünnen! Mariane lachte laut auf. Ein jeltiamer Wreigerungdgrund, in ter 173 That, fagte fi. So originell, daß ih Ihnen vedhalb fogar . Ihre Weigerung verzeihen fünnte. Und dennoch hatte ich fo feft und ficher auf Ihre Liebe und Ihre Einwilligung gerechnet, daß ich, im Vertrauen darauf, ſchon alle Borbereitungen getroffen hatte, um heute nod unfere Zrauung vollziehen zu laſſen. Schauen Sie mich doch an, Geng, fehen Sie nit, Daß ih im Brautanzug bin? Im weißen Atlasgewand ? Ihre Schönheit umgiebt Sie immer mit einem Brautanzug, Mariane. Schön gejagt! Aber fehen Sie nit dort auf dem Tiſch ven Kranz von blühenden Myrthen, meinen Brautfranz? Hony soit qui mal y pense! In der Heinen Kapelle fteht auch fchon der Priefter bereit und erwartet das Brautpaar, die Lichter brennen vor Dem Altar, Alles ift bereit zur Trauung. Nun denn, wir dürfen ten Priefter nicht länger warten laſſen. Sie wollen nit al8 mein Bräutigam bei der Trauung wirfen, nun wohl, fo fungiren Sie dabei ald Zeuge! Wollen Sie das? Wollen Sie ald treuer, verfchwiegener Freund mir zur Seite ftehen nud meinen Contract mit unterzeichnen ? | Ich bin bereit, Ihnen jeden Beweis meiner Liebe und Freund Ihaft zu geben, fagte Gentz ernit. | Wohl, ih rechnete auf Sie, rief Mariane lächelnd, und um Ihnen die Wahrheit zu jagen, ich rechnete audy auf Ihre Weigerung, fih mit mir zu vermählen. Kommen Sie, reihen Sie mir Ihren Arm! Ich will Ihnen die Heine Kapelle zeigen, welche ver Fürft von Neuß bier im öſterreichiſchen Gefandtichaftshötel hat einrichten laſſen. Das wird Niemanden von der Dienerichaft auffallen, ich hoffe überdies, daß ung Niemand begegnen wird. DBielleicht treffen wir in der Kapelle den Fürften Heinrich, das ift ein Zufall, der Niemandem auffallen kann. Kommen Sie! Helfen Sie mir diefen langen, [hwarzen Mantel um- werfen, der ganz und gar mein weißes Atlasfleid verbirgt. Den Myrthenkranz nehme ich unter den Arm, fo fieht ihn Niemand. Und nun fommen Gie! | | - ga, kommen Sie, fagte Gent, ihr den Arm reichend, ich ſehe 174 wohl, daß Sie eine Myftification mit mir vorhaben, aber ich folge Ihnen, wohin Sie wollen, in die Hölle oder — Oder in die Kirche, fagte fie lähelnd. Nun ftil, daß ung Nie- mand hört! Schweigend gingen fie durch die Säle, dann einen langen Corridor hinunter, eine female, verborgene Treppe hinab, und traten jest im ein Feines Gemach ein, in weldem brei Herren ſich befanden. Der Eine war’ ein katholiſcher Geiftlicher im vollen Ornat, der Andere der öfterreihiihe Gefandte, Fürſt von Reuß, Heinri XII, und der Dritte der erfte Attache von ber öfterreichifchen Geſandtſchaft. Der Fürft näherte fih Marianen, und indem er ihr die Hand reichte, grüßte er Gent mit einem freundlichen Kopfneigen. Alles ift bereit, fagte er, fommen Sie, Mariane. Laſſen Sie mich Ihnen ven Kranz aufjegen! Mariane warf ihren Mantel ab, und dem Fürften den Myrthen- franz darreihend, beugte fie ihr Haupt und kniete halb vor ihm nieder. Er nahm den Kranz und befeftigte ihn in ihrem Haar, dann winfte er dem Attadhe, ihm das große Etui darzureihen, das dort auf dem Tiſch ftand. Diefes Etui enthielt eine Heine Färftenfrone von wun- dervoller Arbeit, geziert mit den köſtlichſten Brillanten. Der Fürſt befeftigte diefe Krone Über bem Kranz Marianens, und wie Sterne funfelten jegt die Brillanten über dem grünen Miyrtbenzweige. Stehen Sie auf, Mariane, fagte er dann laut, ich habe die Krone Ihrer neuen Würde in Ihrem Haar befeftigt, laſſen Sie uns alſo jegt zum Alter gehen. Mariane richtete ſich empor, kin wunderbarer Glanz triumphiren- ber freude war über ihr Antlig ergoffen, ihre Wangen, fonft immer fo durchſichtig bleih, glühten jest purpurrothb, um ihre vollen Tippen fchwebte ein feliges Lächeln. Mit einem ftolzen, fiegreihen Blick auf Gent, der erftaunt, ſprachlos zu ihr hinſtarrte, reichte fie dem Fürften ihren Arm. Der Priefter fchritt ihnen voran, und aus dem fleinen Gemach traten fie jet ein in bie Meine Hauskapelle. Vor dem Altar, über . weldhem ein herrliches Gemälde van Dyk's hing, bie Himmelfahrt der 175 heiligen Jungfrau barftellend, brannten die Kerzen auf hohen filbernen Leuchtern, auf dem Teppich vor dem Altar waren zwei Betfchemel für das Brautpaar hingefegt, dahinter befanden fich Lehnſeſſel für bie Zeugen. Dem Altar gegenüber, an der andern Seite des Raumes, war eine Art Chor oder Balfon angebraht, auf welchem eine Orgel ſich befand. Aber Niemand war da, diefelbe zu fpielen. Alle übrigen Pläße und Stühle waren leer, ganz im Geheimen und in ter Stille follte die heilige Handlung vorgenommen werben. Gent ſah und beobadıtete das Alles wie ein Traumgebilde, er konnte immer noch nicht die Wahrheit deſſelben glauben, er war verwirrt, be⸗ klommen, er wußte ſelbſt nicht, ob vor Ueberraſchung, oder vor Aerger, ſo düpirt worden zu ſein. Wie im Traum ſah er das Paar auf den Betſchemeln niederknien, ſie, Mariane Meier, die Jüdin, zur rechten Hand, an dem Ehrenplatz, den nur die legitimen, ſtandesmäßigen Bräute einnehmen, hörte er den vor dem Altar ſtehenden Prieſter feierliche Worte der Ermahnung und des Segens ſprechen, und endlich von dem knieenden Brautpaar das Gelübde ewiger Treue, ewiger Liebe fordern. Beide ſprachen ſie das feierliche Ja zu gleicher Zeit, der Fürſt, ruhig, ernſt, Mariane haſtig mit einem freudigen Accent. Dann ſprach der Prieſter das Gebet und den Segen, und die Ceremonie war beendet. Das Brautpaar kehrte in das kleine Gemach, das zur Sacriſtei diente, zurück. Schweigend empfingen ſie die ſtummen Glückwünſche der beiden Herren, die ihnen gefolgt waren. Alsdann nahm der Attahe aus feinem Portefeuille ein Papier hervor, auf welchem er ſchon im Voraus ein Protokoll der eben beendeten Ceremonie auf- gefeßt hatte. Das Brautpaar fette feine Namen darunter, dann folgten die Unterfchriften der Zeugen und des Priefters, der feiner Unterfhrift das kirchliche Siegel hinzufügte. Es war jest ein voll kommen gültiges Document ihrer legitimen Trauung, das Mariane aus den Händen des Fürſten empfing, und wofür fie ihm dankte mit einem zärtlichen Lächeln. Sie find jetzt meine legitime Gemahlin, ſagte Reuß ernſt, ich wollte Ihnen dieſen Beweis meiner Liebe und Achtung geben, und ich 176 danke diefen Herren, daß fie Zeugen deſſelben gewefen find, denn Sie fönnten eines Tages biefes Zeugniffes bebürfen. Vorerſt aber habe ich trifftige Grünte, unfere VBermählung nody geheim zu halten, und Sie haben mir verfprodhen, das Geheimniß zu bewahren. Und ich erneuere Ihnen diefes Verfprechen hier an heiliger Stätte, und im Beifein des Priefters und unferer Zengen, mein Gemahl, fagte Mariane. Niemand foll von mir aud nur mit einem Wort, einer Andeutung erfahren, was hier eben gejchehen. Sch werde gehorfam und gebuldig vor den Augen der Welt fo lange nur als Ihre Geliebte gelten, bis es Ihnen gefällt, zu lagen, daß ich auch Ihre legitime Ge- mahlin bin. Diefer Zeitpunkt fol nicht fern fein, fagte der Fürft. Und Sie, meine Herren, wollen auch Sie mir verfpreden, auf Ihr Ehrenwort verjprechen, daß Sie unfer Geheimniß bewahren wollen? Wir verfprehen e8 mit unferm Ehrenwort! riefen die Herren. Der Fürft verneigte fih dankend. Laſſen Sie uns jegt einzeln, wie wir gekommen, bie Kapelle wieder verlaffen, fagte er, unfer ge- meinfchaftliches Fortgehen würde auffallen, wenn irgend Jemand von ber Dienerfchaft uns begegnete. Kommen Sie, Herr Baron, Sie be- gleiten mich! Er reichte dem Attache feinen Arm und verließ mit ihm bie Rapelle. Und Sie begleiten mic, fagte Mariane, Gent freundfi zu⸗ nickend. Und ich bleibe hier, für das neuvermählte Baar zu beten, mur⸗ melte der Priefter, die Heine Sacriſtei verlaſſend und wieder zu dem Altar hinſchreitend. Mariane löſte jet mit haſtiger Hand bie Fürſtenkrone und den Myrthenkranz aus ihrem Haar, und verbarg Beides unter dem ſchwarzen Mantel, den ihr Gentz um die Schultern legte. | . Schweigend kehrten fie wieder über die Treppen und Corridore zu Marianens Gemädern zurüd. In ihrem Wohnzimmer angelangt, warf Mariane mit einem unbefchreibliden Ausdruck ftolzer Freude ihren Mantel wieder ab, und legte Myrthenkranz und Krone auf den Tifc. 177 Nun, fragte fie mit ihrer vollen, tönenden Stimme, was fagen Sie jegt, mein zärtliher Gent? Er hatte feinen Hut genommen, und fidy tief verneigend ermwiberte er: Ich fage, daß ih mid vor Ihrer Klugheit und vor Ihrem Talent beuge! Sie haben da eine Meifterftüd gemacht, Theuerfte! Nicht wahr? fragte fie triumphirend. Die verachtete, außerhalb der Geſellſchaft ſtehende Jüdin ift plöglich eine legitime Fürftin geworden, und bat die Macht, allen Spott, allen Hohn und alle Verachtung zu rähen! Ob, wie füß fol viefe Rache fein, wie will ich fie Alle vor mir demüthigen, dieſe Weiber, die einft mich verächtlich über bie Schultern anzufehen wagten, und die mir jegt den Vorfig und den Ehrenplag werden lafjen müſſen! Und werden Sie Si auch an mir rächen, Marine? fragte Gentz demüthig. An mir, der es wagte, Sie zu verſchmähen? Aber nein, Sie müfjen mir gerade dafür ewig dankbar fein! Denn nehmen Sie an, ich hätte Sie gezwungen, mir Ihr Wort zu halten, foswären Gie jest ftatt einer Fürftin die unglüdlie Gemahlin de& armen Kriegsrath Friedrih Gent. Mariane lachte. Sie haben Recht, fagte fie, ich bin Ihnen dafür dankbar. Aber, mein Freund, Sie dürfen und follen nicht der arme Kriegsrath Gent bleiben. Der Himmel weiß es, daß dies auch nicht meine Abficht ift! rief Seng lachend. Gott hat ein Kapital in mein Haupt gelegt, und id) werbe mir hohe Zinfen davon verfhaffen, feien Sie deſſen gewiß! Aber hier werden Sie dieſe Zinfen nicht erlangen, fagte Mariane baftig. Sprechen wir vernünftig mit einander, Freund. Wir haben jetzt der Liebe, der Freundſchaft ihren Tribut dargebracht, reden wir jetzt auch einmal von Politik! Ich bin dazu bevollmächtigt, und die jetzt zu Ihnen ſpricht, iſt nicht Mariane Meier, ſondern die Gemahlin des öſterreichiſchen Geſandten, autoriſirt, Ihnen allerlei Vorſchläge zu machen. Kommen Sie, Freund, ſetzen Sie Sich auf den Lehnſeſſel mir gegen- über, und laſſen Sie und eine diplomatifhe Konferenz halten! %a, laſſen Sie uns das thun, fagte Gent lächelnd, indem er feinen Sig einnahm. 0 Aplivaq; Napoleon, 1. Bb. 2% 178 Freund Gens, was haben Sie. für Hoffnungen auf Ihre Zukunft? Eine inhaltſchwere Frage, aber ich will mich bemühen, fie kurz zu beantworten. Ich habe bie Hoffnung, Ehre, Ruhm, Rang und Einfluß und eine bedeutende Stellung durch meine Talente zu erwerben. Und Sie glauben, daß Sie das Alles hier in Preußen erobern fünnen ? Ih — ich hoffe es! fagte Gens zögernd. "Sie haben einen Brief an den jungen König gerichtet, ihn ermahnt, feinen Völkern Wohlſtand, Glüd, Ehre und Preßfreiheit zu ſchenken. Wie lange ift e8 ber, daß Sie diefen Brief abgefchidt? Es find vier Wochen feitvem vergangen! Bier Wochen, und man bat Sie noch nicht belohnt für Ihren herrlihen Brief, ven doch ganz Preußen mit Jubel begrüßt hat? Dan hat noch nicht daran gedacht, Ihnen eine Ihren Talenten würbige Stellung zu geben? Man bat Sie nicht an den Hof gerufen? Do, man hat mic an den Hof gerufen, die Königin hat gewünſcht, mich kennan zu lernen, Gualtieri bat mic) ihr vorgeftellt und die Königin hat mir fehr viel Verbindliches und Schmeichelhaftes gefagt.*) Worte, Worte, mein Freund! Aber die Thaten fprechen entjchei- dender. Der König hat Sie nicht rufen lafjen, der König bat Ihnen nicht gedankt. Der König bedarf Ihrer nicht, und gleihfam um Ihnen und allen Denen, welche Ihren Brief mit fo großem Enthuflasmus aufgenommen haben, zu beweifen, daß er feinen eigenen Weg gehen, nicht auf Rathſchläge und Warnungen hören will, hat-ver König in biefen Tagen eine Verordnung an das Kammergericht ergehen Laffen, -iu welcher er ernftlih erinnert und befiehlt, die Mscale zu ſtrenger Wachſamkeit über Verleger und Verkäufer uncenfirter, oder ungeftatteter Drudichriften zu verpflichten. **) Das ift nicht wahr, das ift nicht möglich! rief Gentz auffahrend. Ich verzeihe Ihrem gerechten Kummer dieſes heftige Streiten, fogte Marianne lächelnd. Daß ich aber die Wahrheit gefagt, werden Sie aus der morgenden Zeitung erfehen, in welcher dieſer Erlaß des Königs erfcheinen wird. Ob, Sie willen wohl, mein Freund, die öfterreichifche *) Barnhagen, Gallerie von Bilbniffen ꝛc. Bd. II. *#) 5. Förfter, Neuere und nenefte Preußiiche Geſchichte. Bb. I. ©. 498. 179 Geſandtſchaft hat überall ihre guten Freunde, weldhe fie mit Nach⸗ richten verforgen, und fie au fait erhalten. Hoffen Sie alfo auf feine Anerkennung, feine Bevorzugung von dem jungen König. Ihr herr- licher Brief hat ihn verlegt, ftatt ihn- zu gewinnen, er hat ihn zu kühn gefunten. Friedrich Wilhelm ift fein Freund des Kühnen, des Extra⸗ vazanten, er fhredt zuräd vor jeder gewaltfamen Reform. Der König von Preußen will nichts zu Schaffen haben mit den Welthändeln, der König von Preußen will neutral bleiben inmitten der Parteien. Statt ' mit dem Krieg und der Politif beſchäftigt er fich mit der Kirchenagende, den Eramina der Candidaten, und hat doch aud da nicht eimmal den Muth, das Wöllnerfhe Religions⸗-Edikt förmlich zurüdzunehmen, und damit in der Verwaltung wenigftens einen entfcheidenden Schritt zu thun. Man wird bier immer laviren, immer halbe Schritte thun, glauben Sie mir das, fommen Sie nad) Oeſterreich. Und was fol ich in: Defterreih? fragte Gentz ſinnend. Mas Sie da follen? rief Mariane leidenſchaftlich. Sie follen dem Baterland, Sie follen Deutſchland dienen, denn Deutſchland ift ja fo gut in Defterreich wie e8 in Preußen iſt! Oh glauben Sie mir, Freund, nur in Defterreih finden Sie Tapfere, welche e8 wagen wer- den, der franzöfifhen Dejpotie ein Ziel zu feßen. Und dort wird man Sie mit Freuden willlommen heißen, wirb ihrem Genie einen geeigneten Wirkungstreis, Ihrem Ehrgeiz eine genügende Stellung ge- währen. Ich bin officiell beauftragt, Ihnen dieſen Vorſchlag zu machen, denn Defterreihh weiß ſehr wohl, daß es in. ver nächſten Zeit ausgezeichneter Männer bedarf, und es will Sie daher zu ſich rufen, und es wird Ihre Dienfte fürftlich Iohnen. Kommen Sie, mein Freund; ich felber trete heute noch mit dem Fürften eine Reife nach Defterreich an. Begleiten Sie uns! Werden Sie der Unfere! Derlinfere? Sie haben alfo auch ſchon aufgehört, eine Preußin zu ſein? Ich bin mit Herz und Geift Oefterreiherin geworben, denn ich liebe Entfchiedenheit und energifches Handeln, und das finde ich in Defterreich, bei dem Mann, der dort das Steuerruber des Staats⸗ fchiffes in Händen hält, dem Baron von Thugut. Kommen Sie mit ans, Thugut jehnt fih, Sie neben ſich zu haben, begleiten Sie ung zu ihm. i 12% 180 Und was wollen Sie in Wien? fragte Gent ausweichend. Ift es eine bloße Vergnügungsreife, die Sie vorhaben? Zu einem Andern würde ich dieſe Trage bejahen, Ihnen aber will ih durch mein unbedingtes Vertrauen beweifen, wie fehr ih Sie für meinen Freund halte. Nein, es ift feine Vergnügungsreife. Ich be- gleite den Fürſten nah Wien, der fi dort vom Baron von Thugut Inſtruktionen geben laffen und erfahren will, was in,Raftatt weiter gefchehen fol! Ach, in Raſtatt beim Friedens· Congreß! rief Geng. Der Kaiſer bat ja die Reichsſtände aufgeforbert, ihre Deputirten nad Raſtatt zu fenden, um, wie es in bee kaiſerlichen Zujchrift heißt, über einen anftändigen und billigen Keichöfrieven auf der Grundlage der Inte- grität des Reichs und feiner Berfafjung mit Frankreich zu unterhandelr. Preußen bat ja auch ſchon feine Deputirten, ven Grafen Görk und den Herrn von Dohm, dahin gefandt. Oh, ich hätte wohl gewünjcht, fie begleiten zu können, um meinen Antheil zu haben an dem gefeg- neten Werk, daß dort gefchaffen werden fol. Diefer Congreg in Raftatt ift die legte Hoffnung Deutfhlands, von ihm allein können wir eine Wiedergeburt des Reichs erwarten. Er wird den deutfchen Völkern endlic alles das geben, was ihnen fehlt, eine Reichsjuſtiz, eine geregelte Drganifation, Schuß der deutſchen Manufaktur gegen den brittifchen Uebermuth, und enblid und vor allen Dingen bie erfehnte Preßfreiheit, nad welcher die Völker pürften, wie nach dem Labetrank ihrer Seele. Mariane lachte laut auf. Sie Ihwärmen und träumen, wie ein Nachtwandler, fagte fie, aber laſſen Sie uns leife reden, denn felbft die Wände dürfen nicht hören, was wir jeßt ſprechen wollen. Sie neigte fi über den Tiſch herüber näher zu Geng, und ihn mit ihren großen, flammenden Augen firirend, fragte fie leife: - Nicht wahr, Sie lieben Deutſchland? Sie möchten nidt, daß das kluge Frankreich es verfpeif'te, wie es Stalien verfpeift hat? Sie möchten doch auch nicht, Daß es in fich felber zerfiele und zerbrödelte? Ya, ich liebe Deutſchland, fagte Gent begeiftert. Alle meine Wünſche, meine Hoffnungen gehören ihm, und wollte Gott, daß ich 181 einft fagen könnte, auch alle meine Kräfte, meine Arbeit und Wirkſam⸗ feit ift ihm, meinem Baterlande, ift Deutfchland geweiht! Nun, wenn Sie Deutfchland wirklich nützen wollen, flüfterte Ma- riane, fo eilen Sie, eilm Sie nah Raſtatt. Wenn Deutfchland noch gerettet werben fol, jo muß es raſch gefhehen. Sie kennen bie Be- dingungen bes Friedens von Campo Yormio, nicht wahr? Ich Tenne fie, wie alle Welt fie kennt. Aber Sie kennen nicht die geheimen Beringungen. Ih will fie Ihnen jagen. Hören Sie: die geheimen Bebingungen, melde der Raifer eingegangen ift, Iauten fo: der Kaiſer verpflichtet fih, zwanzig Tage nach der Ratifilation des Friedens, welche innerhalb zwei Mo- naten erfolgen muß, feine Truppen aus Mainz, Ehrenbreitften, Mann⸗ heim, Königsftein und im Allgemeinen aus dem deutſchen Reich her⸗ auszuziehen. *) | | Aber das heißt ja, dem Feind ganz wehrlos das Reich überliefern, rief Gent entfeßt. Das ift nicht möglich, das kann nicht fein! Kein teutfher Dann kann, ohne vor Scham in die Erbe zu finken, folde Bedingungen zugeftehen und unterzeichnen. Das hieße jedem hohen Geranten, jedem Gefühl der Vaterlandsliebe Troß bieten! Und doch ift der Artikel unterzeichnet und wird erfüllt werben! Eilen Sie alfo, Deutſchland ruft Sie, ftehen Sie ihm bei, Sie haben die Kraft, haben Sie auch den Willen. Werben Sie ein Defterreicher, wie Brutus ein Kaiferdiener war, werden Sie ein Defterreicher, um vieleicht noh Deutfchland retten‘ zu können! — Ad, Sie wollen mi verleden, Delila, rief Geng. Sie wollen mir ein ſchönes Ziel entgegen halten, um mid die krummen Wege gehen zu machen, die vielleicht dahin führen! Nein, Delila, es ift umfonft! Ich bleibe hier, ich gehe nicht nad) Defterreich, denn Defter- reih ift e8 ja, welches Deutſchland verratben will. Bielleicht kann Preußen ed noch retten, vielleicht bedarf es Dazu meines Arms, meiner . Feder, meiner Zunge! Ich bin ein Deutſcher, aber ich bin zunädft auch ein Preuße, und jeder gute Patriot hat zunächſt feinem engern ®) Schloffer: Geſchichte des achtzehnten Jahrhunderts. Th. V. See 8, 182 Baterland zu nützen und zu dienen und feines Rufs zu harren! Noch hoffe ich auf den König, noch erwarte ich, daß Er berufen ift, Preußen groß und Deufchland frei zu maden. Noch muß ic alfo ein Preuße bleiben und bereit fein, meinene Baterlande zu bienen. Armer Schwärmer, Sie werben eines Tages bereuen, daß Sie Ihre Zeit mit phantaftifchen Hoffnungen vergeubeten. Nun, ich verfpredhe Ihnen, wenn diefer Tag fommt, wenn Preußen mid nicht brauchen kann, dann will ich zu Ihnen fommen, dann follen Sie mich anwerben für Defterreich, vielleicht kann ich dann noch etwas thun für Deutſchland. Bis dahin aber laffen Ste mid bier. Ich Ihwöre Ihnen, fein Wort von dem, was Sie mir eben gefagt, fol von mir verratben werben, aber ich kann dem nicht bienen, welcher Deutſchland verrathen hat. Sie find aljo unbeugfam? Sie bleiben hier? Gehen nicht mit mir nach Wien, nicht nad Raſtatt, um vielleicht dort noch zu retten was von Deutſchland zu retten ift? Wenn ich einer Armee zu gebieten hätte, rief Gentz mit flammen- ben Augen, wenn id; der König von Preußen wäre, ja dann ginge ih nad) Raftatt, aber ich ginge hin, um alle dieſe Heuchler und Feder⸗ fuchſer und Schreiberfeelen, weldhe fih Diplomaten nennen, ausein- anderzufegen, um die franzöfiihen Republikaner, welche fi) geberven, als hätten fie ein Recht, drein zu reden in bie inneren Angelegenheiten Deutfchlands, über den Ahein zurüd zu jagen! Ich ginge hin, um die Rheinfeftungen, welde der Kaifer von Deutſchland wehrlos madhen will, mit meinen Truppen zu befegen und fie zu vertheidigen gegen jeden Feind, er komme von außen, oder von innen. Das thäte ich, wenn ich der König von Preußen wäre! Da ich aber nur der arme Kriegsrath Frievrih Gent bin und nichts habe, als ein wenig Genie und eine fcharfe Feder, fo bleibe ich bier und warte, ob Preußen mein ©enie und meine Jeder verwenden will! Gott ſchütze Deutfchland und errette e8 vor feinen Aerzten, die in Raftatt eine Todes-Arzenei brauen! Gott ſchütze Deutſchland! Drittes Bud. — — Frankreich und Beutfchland, ID Bie Bürgerin Sofephine Sonaparte. Eine freudige Bewegung herrfchte am 8. November 1797 auf den Straßen und Pläßen der deutfchen Feftung Raſtatt; die ganze niebere Bevölkerung der Stadt wogterauf den Straßen umher, während bie vornehmen Leute in reichfter Toilette ſich an den geöffneten Fenftern ihrer Häufer zeigten, des Schaufpiel® gewärtig, das ihrer harrte, und dem bie ganze Stabt nicht allein, fondern aud) Die fremden Geſandten, Die jest in fo großer Menge in Raftatt verfammelt waren, mit leb⸗ bafter Ungeduld entgegenfhauten. Ä Und allerdings, es war auch ein feltenes Schaufpiel, das ſich ihnen darbieten follte; e8 war die Ankunft des Generald Bonaparte und feiner Gemahlin Joſephine, welche Man erwartete. Aber nicht gemeinfhaftlich wollten fie fommen, fondern hier in Raftatt erft follten fi ihre getrennten Wege wieder vereinigen. Sofephine, deren Ankunft man zuerſt' erwartete, fam von Mailand ber auf dem nächſten und fürzeften Wege, Bonapvrte hatte von Campo Yormio au eine weitere Reife durch Italien und die Schweiz unternommen. Man wußte fchon, daß er überall mit Enthufiasmus war begrüßt worden, daß alle Böl- ter ſtämme ihm entgegengejauchzt hatten als dem Meſſias der Freiheit. ‚Reine Stadt war gewefen, welche ihn nicht mit glänzenden Feſtlichkeiten empfangen bätte, überall batte man ihn gehulbigt wie einem Trium⸗ phator, einem erhabenen Fürſten, vor dem Alles fih in den Staub beugt. Selbſt die freie Schweiz hatte davon feine Ausnahme gemacht. In Genf hatten die Töchter der erften und größten Zamitien, in ir 186 franzöfifhen Nationalfarben gekleidet, ihm im Namen der Stadt einen | Lorbeerkranz überreicht, in Bern war er durch zwei Reihen glänzender Equipagen dahingefahren, in denen fchöne, reihgefhmüdte Frauen faßen, die ihn begrüßten mit dem lauten Jubelruf: Es lebe ber Triedensftifter! *) Auch feiner Semahlin Jofephine waren auf ihrer Reife die höchſten Ehren widerfahren, aud ihr Hatte man überall gehuldigt wie einer fouveraineg Fürſtin. Die Kunde davon war ſchon nad) Raftatt ge- fommen, und es war daher natürlih, daß man aud hier jest nicht zurüdbleiben durfte, daß man auch hier fich beeilen mußte, dem Sieger von Italien feine Huldigung darzubringen. Man hatte daher vor dem Thor, das der General Bonaparte zu paffiren hatte, einen ftolzen Triumphbogen errichtet, und unter dem⸗ jelben erwarteten die Väter der Stadt in feierlider Amtstracht den fieggefrönten Helden, um ihn zu der für ihn beftimmten Wohnung zu geleiten. Bor diefem Haufe, welches fih auf dem großen Marktplatz befand, hatte ſich eine Schaar weißgekleideter Jungfrauen aufgeſtellt, Körbe mit Blumen und Früchten in den Händen, um dieſe der ſchönen Joſephine als Huldigung zu Füßen zu legen. An dem Thor, durch welche dieſe kommen mußte, hatte eine glänzende Cavalcade von Ca—⸗ valieren fi) aufgejtellt, die Gemahlin des franzöfiichen Generals zu bewillflommmen und ihr als Ehrenwade das Geleit zu geben. Unter diefen Cavalieren befanden ſich die meiften der Geſandten, welche aus allen Gegenden Deutfchlands jeßt zu dem großen Friedenswerk bier in Raftatt verfammelt waren. Jeder jouveraine Fürſt von Deutſch⸗ land, jeder Churfürft und regietende Graf hatte hierher feine Abge- orbneten gejendet, um mit den franzöfiihen Bevollmächtigten über das fernere Schidjal Deutſchlands zu unterhandeln. Selbft Schweden hatte einen Vertreter geſchickt, der indeß nicht fo ſehr für feinen Antheil an Deutſchland, für Ihwebifh Pommern, gefandt war, als er bie Rolle eines Vermittlers und Beſchwichtigers zu fpielen wünfchte. Alle dieſe Geſandten Hatte man ftil und unbemerkt in Raſtatt *) Bourienne Memoires II. 14. ' . 187 einziehen laſſen, feinem dieſer deutſchen Herren hatte die deutſche Stadt irgend eine Öffentliche Aufmerkſamkeit erwiefen, aber dem fran- zöſiſchen General beeilte Jedermann fih zu huldigen, und felbft die Geſandten mochten nicht wagen, fi) zurüdzuziehen. Nur verfuchten fie auch hier zu diplomatifiren, und ftatt gewifjermaßen als demiüthige Bafallen den fiegreihen Feldherrn zu empfangen, zogen fie es vor, als galante Kavaliere feiner Schönen Gemahlin ihre Huldigung darzu- bringen und diefe zu empfangen. Bor dem Thor alfo, weldes Joſephine zu palfiren hatte, harrten die deutſchen Geſandten auf ihren köſtlichen, courbettitenden Pferden der Generalin Bonaparte. Selbſt der alte Graf Metternich, der Ver⸗ treter des Kaiſers von Oeſterreich als deutſches Reichsoberhaupt, hatte, ſeiner ſteifen Glieder unerachtet, ſich zu Roß geſchwungen; neben ihm hielten die beiden andern Vertreter Oeſterreichs, Graf Lehrbach, der Oeſterreich als Mitglied der Reichsfriedensdeputation repräſentirte, und Graf Ludwig Cobenzl, der für Böhmen und Ungarn als Abgeſandter fungirte. Hinter dem alten Grafen Metternich ſah man auf einem fchönen, faum zu bändigenden Roß einen jungen Cavalier von berr- licher Geſtalt und feltener Schönheit, das war ber junge Graf Cle- mens Metternich, welcher das weitphälifche Grafen-Collegium zu ver- treten hatte und bier in Raftatt feine officielle biplomatifche Earriere unter den Augen feines Vaters beginnen ſollte. Neben ihm erblidte man die ernften ftattlichen Figuren der preußifchen Geſandtſchaft, ten Grafen Görk, der einft beim bairiſchen Erbfolgefrieg eine für Preußen fo wichtige und für Defterreih fo feindliche Rolle gefpielt hatte, und ben Herrn von Dohm, einen eben fo gewandten Cavalier als Schrift- fteller. Ihnen zur Seite hielten die Vertreter von Baiern, von Sachſen, Württemberg ‚und der ganzen Schaar deutfcher Reichsunmittelbaren, denen ſich die Literaten und Publiciften anjchloffen, welhe nad Raſtatt geftrömt waren in ber Hoffnung, hier eine glüdliche Ausbeute für ihre heißhungrige Weder zu finden. Aber nicht die deutſchen Diplomaten allein und bie jungen Herrn, melde zu den Bewohnern Raſtatt's ge- hörten, harten bier der Ankunft der Generalin Bonaparte, da war noch dieſe ganze Schaar franzöfiiher Sänger, Scaufpieler und 188 Glücksritter, welche fi mit dem Kongreß zugleich über Kaftatt nieber- gelaffen, und den Herren Diplomaten die Langeweile der deutſchen Kleinftadt durch ihte Vaudevilles und Dramen und ihr Tuftiges Opern- geträller verfüßen wollten. Da waren nblidy noch vie franzöfifcyen Schaufpielerinnen, Sängerinnen und Tänzerinnen, welche den Herren Diplomaten gegenüber an der Seite des Weges in einer langen Reihe föftlicher Equipagen, fte felber in glämzender Toilette, ſich aufgeftellt hatten. Viele diefer Equipagen trugen an ihren Schlägen große MWappenfchilder und ein guter Heraldiker hätte daraus erfehen Können, daß diefe Wappen einige der Herrn Diplomaten da drüben als bie Eigenthümer der Equipagen verriethen. In der That, es herrſchte ein jehr gutes und freundliches Einvernehmen zwiſchen den Diplomaten und den Damen des franzöfifchen Theaters. Das verriethen nicht blos die Equipagen, welche Die deutſchen Diplomaten den franzöfifhen Damen zu dem heutigen Feſttag geliehen, das fah man aud an den feurigen, zärtlichen und verheißungsvollen Bliden, bie herüber und hinüber flogen, an dem Lächeln von Einverftänpnig und Schelmerei, an dem verftoh- Ienen Winken mit dem Haupt oder mit dem Fächer. Plötzlich indeffen ward dieſes mimifche Riebesfpiel durch das Heran- fprengen eines Couriers unterbroden. Das war das Zeichen, welches bie Annäherung der Generalin Bonaparte verkündete. Wirklich erblicte man ſchon in der Ferne die Köpfe von vier Pferden, fie famen näher und näher, und jett fonnte man deutlich die Kutſche, welche dieſe Pferde zogen, und darin eine Yrauengeftalt erfennen. Es war ein wundervoller, warmer Novembertag, die Generalin batte daher ihre Kutfche zurädichlagen laffen, und den Neugierigen war es verftattet, nicht blos ihr Antlig, fondern auch ihre ganze Geftalt, ja fogar ihre Toilette mit Muße zu betrachten. Der Wagen war im vollen Galopp herangefommen, jetzt aber, ven Menfchengruppen ſich an- nähernd, fuhr er im Schritt, und Jedermann hatte Zeit und Muße, diefe Dame zu betrachten, welde in dem Wagen thronte. Sie war nicht mehr in der Blüthe der erften Jugend; mehr als dreißig Jahre waren ſchon über ihrem Haupte hingezogen, fie hatten ihrem Teint Jeine natürliche Frifche genommen und ihre fchöne, edle Stirn mit den 189 erften, leifen Schriftzügen des Alters gezeichnet. Aber ihre großen, dunklen. Augen ftrahlten noh in dem unvergänglichen Feuer innerer Jugend, und um ihren edel geformten, leicht aufgeworfenen Mund fpielte ein holdes, anmuthiges Lächeln, das ihr ganzes Antlig wie mit einen Abenpfonnenftrahl verklärte. Ihre zierlihe, anmuthige Geſtalt war in, ein enganſchließendes Sammetgewand von dunkelgrüner Farbe gehüllt, das reich mit koſtbarem Pelzwerk verbrämt war, ein Heiner gleichfalls mit Pelz eingefoßter Hut bevedte ihr Haupt, und unter biefem Hut floſſen reiche, dunkle Locken nieder und fahten das fchöne, edle Oval ihres Angefihts wie mit einem dunklen Rahmen ein. Immer noch war die Öeneralin Joſephine Bonaparte eine anzie- hende, reizende und liebenswürdige Erſcheinung, und. man begriff bei- ihrem Anfchauen fehr wohl, daß Bonaparte, obwohl jünger an Iahren, von dieſer liebreizenden. Frau gefeflelt und für fie in höchſter Leiden⸗ ſchaft erglüht war. | Die franzöſiſchen Schayfpieler machten jetzt ihrem Entzüden durch lautes Jubelgeſchrei Luft, ihre Hüte hoch emporſchwenkend, riefen fie: vive la citoyenne Bonaparte! Vive l’auguste Epouse de !’Italique: Iofephine nidte lebhaft und mit liebenswürdiger Herablafjung ven entbufiaftiichen Schreiern zu und. fuhr langfam weiter. Jetzt, den Di- plomaten ſich nähernd, nahm, fie eine ernftere, aufrechtere Haltung an; fie empfing die, tiefen, ehxfurchtsvollen Verbeugungen der Cavaliere mit dem vornehmen, zugleich nachläſſigen und verbindlichen Anſtand einer Königin, fie jchien für jeden Einzelnen einen Blid des Dantes, ein Lächeln ver Huld zu haben. Jeder war überzeugt, von ihr befonders bemerft und. ausgezeichnet worden zu fein, und Jeder war daher ge- ſchmeichelt und. erfreut. Bon den Diplomaten wandte fie einen Moment ihr Haupt auf die andere Seite, deu Damen zu, welde da in den ftattlihen Equipagen faßen. Aber ihr ſcharfer Blid, ihr zarter Frauen- Iuftinct lehrte fie, daß diefe Damen, troß des Glanzes, der fie umgab, nicht die DVertreterinnen der ‚vornehmen Welt feien; fie begrüßte fie daher mit einem raſchen Ropfneigen, einem gütevollen Lächeln, einem flüchtigen Gruß ihrer Hand und wandte das Haupt wieder ab. Nun fuhr ihr Wagen durch das Thor, die Eavaliere umgaben ihn 190 von beiden Seiten und trennten fo die Oeneralin von ihrem Gefolge, das in vier hodhbepadten Wagen hinter ihr herkam. Diejen fchloffen ſich alsdann die Equipagen der Schaufpielerinnen an, neben denen die Bühnenhelden pirouettirten und galoppirten und den ladhenden Schönen mit den hochgeſchminkten Wangen ihre Keiterkünfte zeigten. Es war ein langer, glänzender Zug, mit welchem die Generalin Bonaparte ihren Einzug in Raftatt hielt, und der legte der Wagen hatte no nicht das Thor paffirt, als Joſephinens Equipage ſchon bis zu dem Marktlatz gelangt war und vor dem Haufe anhielt, das fie mit ihrem Gemahl bewohnen ſollte. Noch ehe die Bedienten Zeit ge= habt, fih von dem Bod zu jchwingen, hatte Joſephine mit eigener Hand fhon den Kutſchenſchlag geöffnet, in zarter und ſchmeichelhafter Zuvorfommenheit für diefe jungen Damen, welde fie da vor der Thür ihres Haufes erwarteten. Mit freundlicher Haft ſchwang fie fih aus dem Wagen und trat mitten unter fie, den nächſtſtehenden ihre Hände barreichend und ihnen anmuthige Dankesworte für die Schönen Blumen und Früdte fagend, den ferner Stehenden dankend mit lebhaften Kopf- niden und freundlichen Bliden. Zugleich hoheitsvoll und einfach ftellte fie fi) dar, ariftofratifh und fürftlih vornehm in jeder Bewegung, jedem Kopfneigen, jedem Winfen mit ver Hand, und doc wieder einfach, zuborfommenb und vertraulih, ſich Jedermann gleich ftellend, wie es der Bürgerin der großen Republik geziemt, welche bie liberte, egalite, fraternite zu ihrer Devife gemacht. Beladen mit Blumen, fröhlich lachend wie ein junges Mädchen, trat Iofephine endlich in das Haus ein; dort auf dem Flur erwarteten fie die Damen der franzöfifhen Geſandten, die Frauen und Töchter von Bonnier, Roberjot und Iean Debry. Joſephine, welche eben im Kreife der jungen Mädchen ganz Heiterkeit, Anmuth und Vertraulichkeit gewejen, war jetzt wieder die vornehme Frau, die Gemahlin des Ge⸗ neral8 Bonaparte, und empfing die Begrüßung der Damen mit freund- Iiher Zurüdhaltung. Doch reichte fie jeder der Damen eines ber fhönen Bouquets dar und wußte jeder von ihnen eine Verbindlichkeit zu jagen. An der Thür der für fie beftimmten Gemächer angelangt, entließ fie Die Damen und winkte nur ihrer Kammerfrau, ihr zu folgen. 191 est, Amelie, ſagte fie haftig, als bie Thüren fi) hinter ihnen geſchloſſen, jett laß uns vor allen Dingen an meine Toilette denken. Ich kenne Bonaparte, er ift immer ftürmifch, immer ungebuldig, er fommt immer früher, als er gejagt hat. Er wollte um zwei Uhr bier fein, aber er wird um ein Uhr fommen und jest ift es faft ſchon die Mittagsftunde Laß fchnell die Koffer heraufbringen, denn es ift bie höchſte Zeit zur Toilette. Amelie eilte von dannen, die Befehle ihrer Herrin auszuführen, und Joſephine war jett ganz allein. Mit haftigen Schritten eilte fie zu dem großen Spiegel hin, der in dem zu ihrem Schlafzimmer be- ſtimmten Gemache aufgeftellt war, und betrachtete aufmerkfamen, prü- fenden Blides ihr Angefidht. Ob, ob, ich werde alt, murmelte fie dann leife, Bonaparte muß mich fehr lieben, wenn er das nicht fieht, oder ih muß fehr viel Kunft anwenden, um es nicht fehen zu laffen. Eh bien, nous verrons! Und fie lächelte ſich felber fo fiegreih und reizend zu, daß ſich fofort ihr Gefiht um ein Iahrzehent verjüngte und verſchönte. Oh, er fol mi fchön finden und lieben müſſen, flüfterte fie, denn ich liebe ihn ja fo fehr. Eben trat Amelie wieder ein, beladen wit Kiften und Cartons und gefolgt von den Dienern mit den großen Reiſekoffern. Joſephine überwachte felber das Nieberfegen der Koffer und Kaften, fie hatte felber Acht, daß feiner diefer Cartons gebrüdt und geftoßen ward, und als alle diefe Dinge endlich geordnet waren, ſchaute fie ſich rings um mit einem triumphirenden Blide, wie ein Feldherr, ver feine Truppen muftert und feinen Schladhtplan entwirft. est Ichließ die Thüren, Amelie, und laß Niemand ein, fagte fie, fi mit vafher Hand das fammetne Reiſekleid öffnend. In einer Stunde muß meine Zoilette vollendet fein! Aber halt! Zuerft müffen wir an Zephyr denken, er ift frank und angegriffen. Das liebe kleine Thier kann das Fahren nicht vertragen, er bat mich unterwegs oft fo ſchmerzvoll und flehend angefehen, als wollte er mich beſchwören, doch endlich dies fatale Reifen aufzugeben. Komm ber, Zephyr, komm ber, zu mir, mein Thierchen. 192 Auf ihren Ruf erhob ſich ein Fleiner, fetter Mops mit verbrieß- lihem Geſicht und hochgehobener, fhwarzer Schnauze von dem Koffer, auf welchem er gelegen, und watſchelte langfam und träge zu feiner Herrin bin. - Ich glaube wahrhaftig, Zephyr ſchmollt mit mir, rief Joſephine laut lachend. Sieh nur, Amelie, fich dieſes vornehme Blinzeln der Augen, dieſe fchnüffelnde Stumpfnafe, dieſes ſtolz zurüdgeworfene Haupt, das zugleich einen Braten zu riehen und ein Schimpfwort auszuftoßen ſcheint. Er gleicht auf ein Haar meinem freund Tallien, wenn der den Berliebten bei den Damen fpielt. Komm ber, mein Heiner Zallien, ih will Dir Zuderbrod geben, fei dafür auch artig und freundlich gegen Bonaparte, belle nicht wieder jo wüthend, wenn er eintritt, fahre ihm nicht zwifchen bie Füße, wenn er mir einen Kuß giebt, Inurre nicht, wenn er Dich aus Verſehen tritt. Sei recht fanft, recht. wohlwollend und ‚liebenswürbig, mein fchöner Zephyr, damit Du Bonaparte nicht zornig machſt, denn Du weißt wohl, er liebt bie Hunde nicht und möchte Dich lieber zum Fenſter hinauswerfen, als zu meinen Füßen bulpen. Sie hatte den Mops mit fanftem Streicheln auf einen Lehnſeſſel gehoben. und breitete jettt Bisquit und Zuderwerf vor ihm. aus, das Zephyr mit vornehmen Schnüffeln feiner Prüfung unterwarf. Jetzt, Amelie, zur Toilette, fagte Joſephine dann, als fie gefehen, daß Zephyr envlid von den Bisquits zu eſſen gerubte. Amelie hatte alle Koffer geöffnet und den Toilettentiſch mit einer Unmenge Heiner Büchſen und Flacons verfehen. Joſephinens Schön- beit bedurfte ſchon einiger Nachhülfe und die Liebenswürbige Frau war fehr. bereitwillig, ihr biefelbe zu gewähren. Die republifanifche Sitte verachtete zwar die Schminke, denn biefe war unter der „Zeit der Tyrannei,” unter dem Königthum, Mode gewefen und Marie Antoinette hatte dieſe Mode begünftigt und viel Roth angelegt; aber Joſephine fand doch, daß die Schminke ein nothwendiges Surrogat ber Schönheit fei, und da man fie des republifanifchen Anftands halber verleugnen mußte, machte fie aus ihrem Gebraud ein Geheimniß; aber fie gebrauchte fie. — Amelie allein fah und wußte es, Amelie 193 allein war Zeugin all diefer Meinen Geheimniffe und Kunftgriffe, mit denen Iofephine, die Frau von drei und dreißig Jahren, ihrer Schönheit: zu Hülfe fommen mußte. Aber nur der Kopf bedurfte ein wenig der Nachhülfe, die Geftalt war noch jugendlich, anmuthig und von fchönen, vollen Formen, und als Yofephine ihre Toilette jet vollendet hatte, war fie wirfli von bezaubernder Schönheit und Anmuth. Ihre Augen waren fo ftrahlend und feurig, ihr Lächeln fo lieblih und ſiegesgewiß; und das fchwere, weiße Seidengewand umfloß eng und feft ihre Ge⸗ ftalt und ließ deren ſchöne Formen und Contouren erfennen. Jetzt noch ein wenig Schmud, jagte Iofephine, gieb mir Brillanten, Amelie, Bonaparte liebt das Funfelnde, Glänzende. Komm, ih will felbft ausſuchen! Sie nahm aus Amelie's Händen die große Caſſette, in welcher alle ihre Schmudfäften fih befanden, und überflog fie mit lächelndem Blid. Wie reih Italien ift an Koftbarkeiten und Goldgeſchmeide, fagte fie mit leifem Kopfſchütteln. Als ich vor einigen Monaten von Paris hinfam, hatte ih nur drei Schmudfäften und es war nicht viel Koftbares darin, jett zähle ich hier vier und zwanzig Etuis und welche herrliche Dinge find darin enthalten.*) Siehe dieje koftbaren Perlen, die mir der Marquis Lambertin als Andenken gegeben. Er ift ein alter Mann und ich durfte feine Bitte nicht abfchlagen. Diefes Etui enthält ein Bracelet, das mir Mancini, der legte Doge von Venedig, . verehrt und von dem er behauptet, daß Benvenuto Cellini e8 für eine feiner Urältermütter gearbeitet hat. Diefen Shmud von Corallen und Brillanten gab mir neulich die Stadt Genua, als fie mih um Schuß anflehte und mid, bat, für fie bei Bonaparte zu ſprechen. Und hier — Aber mein Gott, hörft Du das Schreien und Rufen? Was beveutet das? Sollte Bonaparte — *) Sofephine hatte nicht allein in Italien fehr viele Schmuckſachen gelauft, fondern fie hatte auch jehr viele und die Loftbarften und auserlejenften Dinge zum Geſchenk erhalten. Jede italienifhe Stadt, in welcher fie erichien, beeiferte fih, ihr Geſchenke und Huldigungen darzubringen, die Joſephine, nicht aus Eigennuß, aber um die Geber nicht zu betrüben, freundlihd annahm. Siehe: Dentwürdiger Rheiniſcher Antiquarius II. 2. ©. 575. Aſbaᷣ Napoleon. 1. Bb. 13 194 Sie vollendete ihren Sat nicht, fondern eilte an’ Fenſter. Der Marktplatz, den fie von hier aus überfchauen fonnte, war jest dicht gedrängt voll Menjhen, aber nicht um Sojephine zu fehen, hatten alle diefe Leute fih da verfammelt. Aller Blide waren nad jener Straße hingewandt, von welcher man immer neue, jubelnde Menſchen⸗ maflen beranftrömen fah und aus ber man immer näher und näher beranfchwellend lautes Bivatfchreien und Jubeln vernahm. Jetzt be- merkte man inmitten dieſer fhwarzen, wogenden Menjchenmafje einen weißen Punkt. Er kam näher und warb deutlicher, es waren bie Köpfe weißer Pferde. Langfam nur rüdten fie vorwärts, aber raſcher flog das YJubelgefohrei durch die Luft daher und fand feinen Wiverhall in taufend und tauſend Fehlen. Und unter diefem Jubelſchrei fam der Zug näher, jegt bog er aus der Straße nad) dem Marktplag ein. Sofephine ri mit einent freudigen Aufjchrei das Yenfter auf und winfte hinunter, denn Er war es, Bonaparte, den das jubelnde Volk begrüßte. | Er faß ganz allein in einem zurüdgejchlagenen Wagen, den ſechs prächtige, milchweiße Roſſe, mit filbernem Geſchirr aufgezäumt, zogen.*) Nachläſſig und erfchöpft zurüdgelehnt in die Kiffen, ſchien er dag Subelgefhrei, das ihn umraufchte, faum feiner Beachtung werth zu. balten. Sein Antlig war bleich und angegriffen, eine Wolfe ftand auf feiner breiten, ehernen Stirn, und wenn er fi von Zeit zu Zeit danfend nach beiden Seiten hin verneigte, fo gefhah das mit einem müden, trüben Lächeln. Aber gerade dieſe falte Ruhe, diefe befcheidene Unfcheinbarteit, dieſes bleiche, düftere Angeficht fchien den Zufchauern zu imponiven und ihnen zugleich ein Gefühl grauenvollen Entzüdens, bewundernden Sſchauders einzuflößen. Dieſes bleihe, kalte, düſtere, impoſante Antlig hatte kaum etwas von einem irdiſchen, ſterblich ge= borenen Weſen. Es war, als ob das Geſpenſt eines der alten römi- [hen Cäſaren, al8 ob das Geſpenſt Julius Cäfars fih in diefen *) Diefe ſechs Pferde mit ihrem Geſchirr waren ein Geſchenk des Kaifers von Defterreih an Bonaparte bei Gelegenheit des Friedens von Campo Formio. Das einzige Geeſchenk, das Bonaparte hatte annehmen wollen. Siehe: Bou⸗ sienne Vol. 1. ©. 389. | 195 Wagen gefegt hatte und fidy von ben ſchneeweißen Roſſen daherziehen ließ in die Wirklichkeit, in das fluthende Leben. Mean jubelte halb aus Erftaunen, halb aus Furcht, man rief: es lebe Bonaparte! halb um fid zu verfihern, daß er wirflich lebe und nicht ein antikes Raifer- bild fei. Jetzt hielt der Wagen vor dem Haufe an; ehe Bonaparte ſich von feinem Sig aufrichtete, hob er einen raſchen Blid zu den Fenftern empor. Wie er Iofephinen gewahrte, die da oben am geöffneten Fenſter ftand, belebten fid, feine Züge und ein langer, feuriger Blitz feiner Augen traf ihr Gefiht. Aber er grüßte fie nicht und die Wolfe auf feiner Stirn warb büfterer. | Er ift verftiimmt und zornig, flüfterte Iofephine, das Fenſter fchließend, und ich fürchte, fein Zorn gilt mir. Mein Gott, was fann es wieder fein, was fann feinen Zorn veranlaßt haben? Ich bin mir feiner Unvorfichtigfeit bewußt, ih — Eben ward die Thür haftig geöffnet und Bonaparte trat ein. Il. Bonaparte und Sofephine. Bonaparte hatte die franzöfifhen Gefandten mit ihren Frauen, welche ihn an der Treppe begrüßten, faum eines DBlides, eines Kopf- neigens gewürdigt. Alle feine Gedanken waren zu Sofephinen gewandt, an fie denfend, war er mit ftürmifcher Eile die Treppe hinauf geftürzt, und hatte die Thür aufgeriffen, überzeugt, daß fie da ftehen und ihn mit offenen Armen empfangen würde. Als er fie nicht fah, ftürzte er weiter, bleich, mit finfterem Angeſicht, wie ein zürnender Löwe. So ftürmte er jegt in das Gemach, in weldem Joſephine fich befand, und ohne fie zu begrüßen, nur feine düſter flammenden Blide auf fie gerichtet, fragte er mit gepreßter, zorniger Stimme: Mabome, 13* 196 Sie halten e8 nicht einmal der Mühe werth, mid zu ‚begrüßen? Sie kommen mir nicht entgegen? Aber, Bonaparte, Du haſt mir nicht die Bei dazu gelaſſen, fagte Joſephine mit einem reizenden Lächeln. Während ih Did noch im Begriff glaube, aus dem Wagen zu fteigen, leuchtet Du ſchon wie ein Blig vom Himmel in dies Gemad herein. Oh, und das hat Ihnen fo fehr die Augen verblendet, daß Sie mich nicht einmal begrüßen können? fragte er zornig. Und Du, Bonaparte? rief fie zärtlih. Du öffneft mir niht Deine Arme? Du beißeft mich nicht willfommen? Statt mid an Dein Herz zu drüden, zürnft Du mir? OH, komm, mein freund, laß uns dieſe erfte Stunde des Wiederſehens nicht verbüftert hinbringen. Wir haben uns faft zwei Monate lang nicht gefehen und — Ab, Madame, Sie willen das alfo mindeftens, rief Bonaparte, es ift Ihnen alfo doch nicht ganz aus bem Gevächtnif gefhwunden, daß Sie vor zwei Monaten von mir Abjchieb nahmen und mir damals ewige Liebe, ewige Treue ſchwuren und mir heilig zuſicherten, täglidy an mid zu ſchreiben? Sie haben Ihre Schwüre und Berfiherungen Ichledht gehalten, Madame. Aber, mein Freund, ih habe gejchrieben, To oft man mir ſagte, daß ein Courier an Dich abginge. Du hätteſt täglich einen eigenen Courier abſchicken ſollen, um mir Deine Briefe zu ſenden, rief Bonaparte, wild mit dem Fuße ſtampfend, daß die Gläſer auf dem Tiſch klirrten und Zephyr, von ſeinem Lehn⸗ ſeſſel ſpringend, zu knurren begann. Joſephine ſchaute ängſtlich nach ihm hin und ſchien ihn mit dem leiſen Winken ihrer Hand beruhigen zu wollen. Bonaparte fuhr fort: Briefe! Aber dieſe Zettel, welche ich von Zeit zu Zeit erhielt, waren nicht einmal Briefe! Officielle Bülletins Deines Befindens, weiter nichts, Falt wie Eis! Madame, wie konnten Sie mir folde Briefe fchreiben, und noch dazu nur alle vier Tage? Wenn Sie mich liebten, würden Sie alle Tage gefchrieben haben. Aber Sie lieben mich nicht mehr, ih weiß es! Sie haben mich nur aus Saune geliebt, Sie fühlen jett, wie lüherlih es (ein würde, wenn 197 Sie einen armen Menfchen lieben wollten, der nichts ift, al8 Solpat, der Ihnen nichts zu bieten bat, als ein bischen Ruhm und feine Liebe. Aber ich werde „Diele liebe aus meinem Herzen verbannen, und müßte ich mein Herz mit meinen eigenen Zähnen zerreißen. *) Bonaparte, rief. Iofephine halt zärtlih, halb entfegt, was that ih denn, daß Du mir zümft? Weshalb befchulvigft Du mich der Gleichgültigkeit, va Du doch weißt, daß ih Dich liebe?. | Ah, es ift wenigftens eine fehr Falte Liebe, fagte er höhniſch. Freilich, ih bin nur der Ehemann, und es paßt nicht zu ben abdligen Sitten, feinen Ehemann zu lieben, das ift gemein, bürgerlid), republi= kaniſch! Ich bin aber ein Republikaner, und idy will nicht eine Yrau mit den Eitten des ancien regime. Ich bin der Ehemann, wehe dem, ber fid) mir barftellt mit dem Titel eines Liebhabers. Ich würde nicht einmal meines Edjwertes nöthig haben, um ihn zu tödten, id) würde ihn mit meinen Bliden zerichmettern! **) Und ich werde ihn zu finden wiffen, und flöhe er bis an's Ende der Welt. Mein Arm reiht weit, und ich werde ihn über die ganze Welt ausftreden, um ihn zu paden. Über von wen willit Du ſprechen? fragte Iofephine entſetzt. Bon wen? rief er mit dDonnernder Stimme Ab, Sie glauben, Madame, ich weiß nicht, was geſchehen ift? Sie glauben, wenn ich nicht bei Ihnen bin, ſehe und erfahre ich nichts? Ich mache Ihnen mein Compliment, Madame! Der fchöne Adjutant Leclerc’8 ijt eine Eroberung, um welde die Frauen von Mailand Sie gewiß beneidet haben, und DBotot, der Spion, den Barras mir nadhgefandt, gilt felbft in Paris für einen Aponis! Madame, was bedeuten die Ver⸗ traulichleifen mit diefen beiden Männeın? Sie haben den Adjutanten Charles Morgens um eilf Uhr empfangen, pährend Sie doch niemals vor ein Uhr aus Ihrem Bett aufftehen. Oh, ver junge, ſchöne Charles wollte Ihnen von feinen Heimweh nad Paris erzählen, von feiner *) Bonaparte’s eigene Worte. Siehe: Lettres a Josephine. Memoires d’ane contemporaine. I. 353. **) Bonaparte’8 eigene Worte. Siehe ebendajelbft. 198 Mama und feiner Schwefter, nit wahr? Deshalb mußte man bie bequemfte Stunde wählen? Deshalb fam er um eilf Uhr, als Sie noh im Bett lagen? Die Hite war fo groß, und um ein Uhr wäre feine Seele verbrannt vor Ungebulp! *) Er wollte um zwölf Uhr ſchon abreifen nad) Paris, deshalb em- pfing ich ihn fo früh, mein Freund! fagte Sofephine fanft. Oh, Du leugneft alfo nicht, daß Du ihn empfangen haft, fchrie Bonaparte, und fein Antlig war jet bleih wie Marmor. Mit flam- menfprühenden Augen, mit hochgehobener Rechten ſchritt er dicht zu Sofephinen hin. Madame, rief er mit donnernder Stimme, Sie wagen es alfo, einzugeftehen, daß Charles Ihr Liebhaber ift? Ehe indeß Joſephine noch Zeit hatte zu einer Erwiederung, ftürzte Zephyr, der feine Herrin bedroht ſah, mit rafender Wuth auf Bona- parte los, mit wüthendem Geheul und Gebell, mit fletichenden Zähnen, ganz bereit, den Feind feiner Herrin zu zerfleifchen. Ah, dies verwünſchte Thier ift aud noch da, mid zu martern, rief Bonaparte, und den Fuß erhebend, trat er mit zerfehmetternder Kraft auf den Leib des feinen Hundes; ein einziger gellender Schrei warb gehört, dann flürzte das Blut ihm aus dem Maul, und zudend lag das arme Thier am Boden. **) Bonaparte, Du haft das Thier getöbtet! rief Joſephine fchmerz- vol, fih zu dem fterbenden Hunde niederbeugend. Ja, fagte er mit einem Ausprud wilder Freude, idy habe ihn getöptet, und alfo, wie ihn, will ic) jedes lebende Weſen zerftören, das fih zwiſchen mid und Sie zu drängen wagt! Sofephine hatte feine Worte nicht beachtet. Sie war neben dem Hunde niedergefniet und ftreichelte zärtlich feinen Kopf und feine zuden- den Glieder, bis fie ftarr und regungslos lagen. Er ift todt, fagte fie, fich wieder erhebend. Armes, Kleines hier, er ift geftorben, weil er mich liebte! Berzeihen Sie mir, Herr ©e- *) Bonaparte’8 eigene Worte. Siehe: Memoires d'une contemporaine. II. :380. *) Rbeiniſcher Antiquar. II. 2, ©. 574. 199 neral, daß ich um ihn weine. Allein er war mir ein liebes und theures Andenken an einen freund, der aud erſt kürzlich geſtorben iſt Er war ein Geſchenk vom General Hoche. Von Hoche? fragte Bonaparte faſt verlegen. Ja, von Lazarus Hoche, der vor einigen Wochen geſtorben iſt, und kurz vor ſeinem Tode mir das Thier nach Mailand ſandte, von Lazarus Hoche, der mich, Sie wiſſen es, geliebt, und deſſen Hand ich ausſchlug, weil ich Sie liebte, ſagte Joſephine mit einer edlen Würde und Ruhe, die indeß bitterer trafen, als alle lauten Vorwürfe es ver- mocht hätten. Und jetzt, General, fuhr ſie fort, jetzt will ich Ihnen auch auf Ihre Vorwürfe antworten. Ich ſage nicht, mich rechtfertigen, denn das hieße, Ihre Anklage annehmen, aber ich will antworten! Ich habe Ihnen gejagt, weshalb ich Charles zu fo früher Stunde annahm. Er wollte nad) Paris, und ich hatte ihm wichtige und geheime Briefe und Aufträge zu geben. Warum fandten Sie nicht einen eigenen Courier damit ab? fragte Bonaparte, aber mit viel fanfterer Stimme, als zuvor. Weil e8 gefährlich gewefen wäre, meine Briefe an Botot einem Courier anzuvertrauen, fagte Joſephine ruhig. An Botot? Sie geftehen alfo audy Ihre Vertraulichkeit mit Botot zu? Dan hatte mic alfo nicht bintergangen, als man mir fagte, daß Sie diefen Spion, welchen mir Barras nahgejandt, um mid zu belaujhen, daß Sie Botot jeden Morgen in Ihrem Cabinet empfingen, daß Sie Ihre Kammerfrau ftetS entfernten, wenn er fam, daß Sie ftundenlange linterredungen mit ihm hatten? Dies Alles ift wahr, ich leugne es nicht, ſagte Joſephine ftolz. Bonaparte ftieß eine Berwünfhung aus und mollte auf fie zu- ftürgen. Sie aber trat einen Schritt zurüd, und mit einer raſchen Bewegung auf das getödtete Thier hindeutend, fagte fie: Sehen Sie fih vor, General, e8 giebt hier Fein zweites Thier mehr. zu töbten, und ich bin nur ein ſchwaches, wehrlojes Weib, das zu zerbrechen dem Sieger von Arcole ſchlecht anftehen würde. 200 Bonaparte ließ feinen Arm ſinken und that faſt beſchämt einige Schritte rückwärts. Sie leugnen alſo Ihren vertraulichen Verkehr mit Boiet und mit Charles nicht? Ich leugne nicht, daß Beide mich lieben, daß ich es wußte und daß ich ihre Liebe benutzt habe. Hören Sie mich wohl, General, ich babe fie benutzt. Das iſt niedrig, iſt verdammungswürdig, das heißt ein unwürdiges Spiel mit den edelſten Gefühlen Anderer treiben, ich weiß es, aber ich that es für Sie, General, ich that es in Ihrem Intereſſe! In meinem Intereſſe? fragte Bonaparte erſtaunt. Ja, in dem Ihren, ſagte ſie. Jetzt kann ich Ihnen Alles ſagen, Alles geſtehen. Aber ſo lange Charles und Botot da waren, durfte ich das nicht, denn wenn Sie aufgehört hätten, eiferſüchtig zu ſein, wenn Sie, von mir in's Vertrauen gezogen, dieſe beiden Männer gütig und freundlich behandelt hätten, ſtatt ihnen aus Eiferſucht finſter und abſtoßend zu begegnen, jo würden fie vieleicht Verdacht geſchöpft, wür- ben meine Intrigue durchſchaut haben, und ich hätte fie nicht mehr benugen können. Aber wozu, um's Himmels willen, benugten Sie fie denn? Dh, mein Herr, man fiehbt wohl, daß Sie fi) beſſer auf das Schwert, als auf Intriguen verftehen, rief Joſephine mit einen: rei- zenden Lächeln. Ic benugte alſo meine beiden Liebhaber, um ihnen ihre Geheimniffe zu entloden. Und fie hatten deren, ©eneral, denn Sie wiffen es, Botot ift der vertrautefte und. einflußreichfte Freund von Barras, und der fhöne Charles wird von Madame Tallien an⸗ gebetet. Sie hat fein Geheimniß vor ihm, und was er will, das thut fie, und wiederum, was fie will, das thut ihr Gemahl, ver edle Tallien, der gleih Barras einer von den fünf Directoren unferer Republik ift. Dh, Weiber, Weiber, murmelte Bonaparte vor ſich hin. Joſephine fuhr fort: Auf dieſe Weiſe, General, erfuhr ich alle Pläne, alle Gedanken des Directoriums, auf dieſe Weiſe, durch meine mir ergebenen Freunde Botot und Charles, iſt es mir gelungen, 201 mandes Unheil von Ihrem Haupte abzuwehren. Denn, Sie waren und find bedroht, General, und was Sie bedroht, das ift Ihr Ruhm und Ihre Größe, das ift die Eiferfucht der fünf Könige von Frank—⸗ reih, die jest unter dem Namen von Directoren herrſchen, dort im Zurembourg herrſchen. Nur mit Schreden und Zorn fah das Quin⸗ tumvirat Ihre wachſende Macht und Ihren fteigenden Ruhm, und all’ ihr Bemühen war dahin gerichtet, dieſem entgegen zu arbeiten. Ein Hauptmittel, Ihnen zu ſchaden, fahen fie darin, daß fie falfhe Nad- richten über Sie verbreiteten. Durch Botot erfuhr ih, daß Barras fogar Journaliſten beſoldete, um gegen Sie zu fehreiben und Sie zu verbädtigen. Bald verfündeten biefe unter der Rubrik Berona, daß Bonaparte im Begriff fei, fih zum Dictator ernennen zu lafjen, bald erzählte man in einem Artikel von der Grenze oder aus irgend einem Lande, daß die ganze Lombardei ſchon wieder am Vorabend eines Auf- ftandes fei, dag die Italiener die Tyrannei verabjcheuten, weldye der Sieger ihnen auferlegte, und daß Sie im Begriff feien, ihre alten Herzoge zurüdzurufen. . Ab, die Miferablen, rief Bonaparte zähnefnirfchend, ih — Stil, General, hören Sie meine Antwort auf Ihre Vorwürfe bis zu Ende, fagte Sofephine mit gebieterifher Ruhe. Ein anderes Mal verfündeten dieſe gedungenen Zeitungsfchreiber in einem Brief aus Turin, daß eine weitverzweigte Verſchwörung in Paris auf dem Punft fei, auszubrechen, daß das Directorium durch diefe Verſchwörung ab- gefegt, und durch eine militairiihe Dictatur, deren Chef Bonaparte fein würde, erfegt werben follte. Hierauf fußend, verbreitete man in ben Departements die Nachricht, daß die Anftifter des Complots er⸗ griffen und vor die Militair- Commiffionen geführt wären, daß aber der Sieger von Italien für rathfam gefunden, ſich durd die Flucht feiner Vefangennehmung zu entziehen. *) Das ijt ja ein wahres Höllengewebe von Lüge und Bosheit, rief Bonaparte empört. Aber idy merde mich zu rechtfertigen wiſſen, ic) *) Le Normand Memoires. Vol. I. ©. 267. 202 werde nah Paris gehen und dieſem elenden Directorium feine Ber- leumbungen und Bosheiten in’8 Geſicht werfen. General, Sie haben nicht nöthig, in die Arena hinab zu fteigen, um fich zu vertheibigen, fagte Iofephine lächelnd. Ihre Thaten ſprechen für Sie, der Eifer Ihrer Freunde wacht über Ihnen. Jedes Mal, wenn ein ſolcher Zeitungsartikel erſchien, hat mir Botot ihn geſandt; wenn das Directorium eine neue Mine angelegt, hat Botot mich be- nadridtigt. Und dann rief ich meinen Freund Charles zu Hülfe, und biefer mußte durd einen Journaliſten, den id beſoldete, dieſe Artikel widerlegen und den Minen eine Contremine legen. Dh, Iofephine, wie viel Dank bin ih Dir ſchuldig, rief Bona- parte glühend. Wie fehr — Ich bin noch nicht zu Ende, ©eneral, unterbrad) fie ihn falt. Die Widerlegungen und die wahre Darftellung Ihrer ruhmwürdigen Thaten fanden in ganz Frankreich einen begeifterten Wieberhall, und Jeder⸗ mann ſehnte fih, Sie zu fehen im Glanz Ihres Ruhmes und Ihnen in Paris zu Huldigen. Aber das eiferfüchtige Directorium berechnete im Voraus, wie fehr der Glanz Ihres Ruhmes den Staatdmännern der Republik gefährlich fei und wie fehr Ihre Heimkehr die fünf Könige verbunfeln würde. Deshalb befhloß man, Sie aus dem Wege zu räumen und zu bejeitigen, deshalb allein ernannte man Sie zum erften Bevollmächtigten des zu eröffnenden Congreſſes in Kaftatt und über- trug Ihnen das Geſchäft, hier an der Sicherung und Yeltitellung des Glückes der Völker zu arbeiten. Man wollte den Löwen an die Kette legen und ihn fühlen lafien, daß er einen Herrn hat, dem er ger horchen muß. Aber der Löwe wird die Kette zerreißen und wird nicht gehorchen, tief Bonaparte zornig. Noch heute verlaſſe ih Raſtatt und eile nad) Paris. Warten Sie noch einige Tage, General, fagte Sofephine lächelnd. Sie werden nicht nöthig haben, einen Gewaltftreih zu machen, meine Freunde Botot und Charles haben mit mir für Sie gearbeitet. Da Botot allein nit mächtig genug war, denn er konnte nur Barras be- arbeiten, jandte ich ihm Charles zu Hülfe, damit der Mapanıe Tallien 203 infpirive. Und die Kriegsliſt ift geglüdt. Nehmen Sie bier biefen Brief, den ich geftern durch einen eigenen Courier von Botot erhielt. Gie kennen doch Botot's Handſchrift? Ich kenne fie. Nun, ſo überzeugen Sie ſich, daß er das wirklich geſchrieben hat, ſagte Joſephine, aus ihrer Brieftaſche ein Blatt Papier hervorziehend und Bonaparte darreichend.«“ r ſchaute darauf hin mit einem flüchtigen Blick, aber ohne das —* zu berühren. Ja, es iſt Botot's Handſchrift, mur⸗ melte er. So leſen Sie doch, General, ſagte Joſephine. Ich kann nicht, mag nicht, ich glaube Dir Alles, Alles, rief er ſtürmiſch. Ich werde Ihnen vorleſen, ſagte ſie, denn der Inhalt wird Sie intereſſiren. Hören Sie: „Angebetete Bürgerin Joſephine. Wir ſind am Ziel und haben geſiegt. Das Directorium hat endlich weiſen Vor- ftellungen Gehör gegeben, e8 bat erfannt, daß es eines mächtigen und ftarfen Arms bevarf, der es aufrichte, einer Säule, an die es fid lehne. Es wird Bonaparte zurüdrufen, damit er ihm Säule und Arm fei. In einigen Tagen wird Bonaparte in Raftatt einen Courier erhalten, der ihn nad Paris ruft. Botot.“ — Das ift der ganze Brief, General, Sie fehen, es jteht darin nichts geſchrieben von Liebe, ſondern nur von Ihnen. Ich ſehe, daß ich der glücklichſte Menſch bin, rief Bonaparte freu⸗ dig, denn ich werde nach Paris zurückkehren, und meine ſchöne, edle, angebetete Joſephine wird mich begleiten. Nein, General, ſagte fie feierlich. Ich werde nad Italien zurüd- fehren, ich werde in irgend einem Klojter mid) verbergen, um da über den funzen Traum meines Glüdes zu weinen und für Gie zu beten. Ih habe Ihnen jet Alles gejagt, was ih Ihnen zu fagen hatte. Ich habe auf Ihre Vorwürfe geantwortet. Sie jehen, daß ich bie Liebe diefer beiden armen Männer ſchmachvoll benutt, daß ic mid an dem heiligften Gefühl verfünbigt habe, um Ihnen zu nügen. Ich handelte in der Stille und im Geheimen, tenn ich fagte Ihnen ſchon, General, 204 Ihre tapfere Hand weiß befier das Schwert zn führen, als Intriguen zu leiten. Ein ftarker Griff dieſer Hand hätte leicht das ganze Fünft- lihe Gewebe meiner Pläne zerftören können, darum fehwieg ich. Aber ich rechnete auf Ihr Vertrauen, auf Ihre Achtung! Jetzt aber habe ich erkennen müſſen, daß ich dieſe nicht befite, und das trennt ung für ewig. Das rüdhaltlofe Vertrauen ift nicht blos die Nahrung, von welcher die Freundſchaft lebt, ſondem auch die Liebe ftirbt und ver- hungert ohne dies Bertrauen.*) Leben Sie aljo wohl, General, ich vergebe Ihnen Ihr Miftrauen, aber ih fann mich dem Zorn deſſelben nicht länger ausſetzen. Leben Sie wohl! Sie verneigte fi vor Bonaparte und wandte fich der Thür zu. Aber Bonaparte ftürzte ihr nah, und mit feinen beiden Händen fie zurüdhaltenn, fagte er mit vor Bewegung zitternder Stimme: Wo wilft Du hin, Jofephine? | Ich fagte Ihnen ſchon, feufzte fie ſchmerzvoll, id will in ein Klofter geben, um zu weinen und für Sie zu beten! Das heißt, Du willft mid, tödten, rief er mit flammenden Augen. Denn Du weißt es, ich kann nicht ohne Dich leben. Wenn ich Dich, Deine Liebe, Deine reizende Berfon verlieren müßte, würde ich Alles verlieren, was das Leben angenehm und wünſchenswerth macht. Jo⸗ fephine, Du bift für mid, eine Welt, die ih mir nicht erklären kann, und mit jedem Tage liebe ih Dich mehr. Selbft, wenn idy Dich nicht jehe, wächſt meine Liebe, denn die Abwefenheit heilt nur die Fleinen Reidenfchaften, die großen fteigert fie.**) Mein Herz hat niemals Mittelmäßiges empfunden. Es hatte fid) gegen bie Liebe gewehrt, Du aber haft ihm eine Leidenfhaft ohne Grenzen eingeflößt, eine Trunken⸗ beit, welche es entwürbigt. Der Gedanke an Did lebte in meiner Seele vor allen andern, Deine Laune war mir ein heilige Gefeg. Dich fehen ift mein höchſtes Glück, Du bift fhön und anmuthig, Deine janfte und himmliſche Seele malt fid) in Deinen Zügen. Ob, *) Sofephinen’s eigene Worte. Siehe: Le Normand. I. 248. **) Bonaparte’3 eigene Worte. Memoires d’une contemporaine. Vol. II. Seite 368, 205 id) bete Alles in Dir an, wie ‘Du bift; jünger würde ich Dich) weniger geliebt haben. Alles, was Du thuft, ift für mich Tugend, was Dir gefällt, ift für mid Ehre. Der Ruhm bat für mid nur noch Werth, weil er Dir angenehm ift und ‘Deiner Eigenliebe fchmeichelt. ‘Dein Portrait ruht immer auf meinen Herzen, und wenn id von Dir fern bin, vergeht feine Stunde, ohne Daß ich es anidhaue und es mit Küſſen bevedte.*) Neulih, wie ic es allzu heftig an meinen Bufen drückte, zerbrad das Glas, Meine Verzweiflung war grenzenlos, venn die Liebe ift abergläubifh und Alles ift ihr bedeutungsvel. Ich hielt das für eine Anfündigung Deines Todes, und fein Schlaf fam in meine Augen, feine Ruhe in mein Herz, bis der Courier, den ich fo- fort an Did abſchickte, mir die Nachricht gebracht, daß Du gefund und von feinem Unheil betroffen ſeieſt!“*) Siehft Du, Weib, Weib, fo liebe ih Di, willſt Du nun noch fagen, daß Du mich verlaffen willft? | Ich muß es, General, fügte fie feſt. Die Liebe kann ohne die Adtung nicht dauernd fein, und Sie adhten mich nit. Ihr unwür⸗ diger Verdacht bat mich entehrt, und eine Entehrte und Befchimpfte kann nit mehr Ihre Gemahlin fein. Leben Sie wohl! Sie wollte fih von feinen Häuden los maden, aber er hielt fie nun um fo fefter. Sofephine, fagte er mit dumpfer Stimme, höre mich, treibe mic nicht in Verzweiflung, denn wenn ic Dich verlieren follte, würde ich aufhören zu leben. Keine Pflicht, fein Titel würde mih an bie- Erde feileln. Die Menfchen find fo verädtlih, das Leben fo jammervol, Du allein Löfcheft in meinen Augen die Schmady ber Menfhennatur aus.***) Ohne Did) giebt c8 fein Leben, fein Glüd, ich liebe Dich grenzenloe. Nein, General, Sie verachten mid, Sie lieben mich nicht! Sie, Sie, rief er, wild mit dem Fuße ftampfend, Du felber Sie! Fahre nur fo fort, und ic werbe todt zu Deinen Füßen nieberfallen. *) Bonaparte’8 eigene Worte. Siehe: Correspondance inedite avec Jo- sephine. Lettre V. \ *%%*) Memoires sur Napnleon, par Constant. Vol. I. 309. ), Bonaparte’8 eigene Worte. Correspondance etc. 375. 206 Martere mich nicht fo fürdterlih! Erinnere Dib, was ih Dir fo oft gefagt habe: Die Natur hat mir eine ſtarke, entjchievene Seele gegeben, Did hat fie aus Gaze und Spigen gebaut. Ich liebe Dich nicht, fagit Du. Höre e8 zum legten Mal. Ic habe, ſeit Du fern von mir bift, nicht einen Tag verlebt, ohne Dich zu lieben, nicht eine Nacht, ohne Di im Geift an mein Herz zu drüden, ich babe nicht eine Taſſe Thee getrunken, ohne den Ruhm und den Ehrgeiz zu ver- wünſchen, die mich fern hielten von der Seele meines Lebens.*) In— mitten der Gefchäfte, an der Spige der Truppen, auf dem Marſch und im Felde, immer ift meine himmliſche Sofephine in meinem Herzen gewejen, bat meinen Geiſt befchäftigt, meine. Gedanken abjorbirt. Wenn ich mich von Dir entfernte mit der Unaufhaltſamkeit des Sturzes des Rhone, fo gefhah es, um bald wieder bei Dir zu fein. Wenn ich mid in der Mitte der Nacht erhob, um noch zu arbeiten, jo that ich es, um den Zeitpunkt unferer Wiedervereinigung zu befchleunigen. Die fhönften Frauen haben mic) umbrängt, haben mir gelächelt, haben mid ihre Gunſt hoffen lafjen, juchten mir zu gefallen, aber feine glich Dir, keine hatte die fanften und melodiſchen Züge, die fi fo tief in mein Herz eingeprägt haben. Ic fah nur Dich, dachte nur an Dich, das machte mir alle unerträglich, ich verließ die ſchönſten Frauen, um midy auf mein einfames Lager zu legen, uud zu feufzen: wann wird meine angebetete Heine Frau wieder bei mir jein?**) Und wenn idy jegt zornig und aufbraufend war, fo geſchah das doch audy nur, weil ih Dich fo grenzenlos liebe, daß ich eiferfüchtig bin auf jeden Blick, jedes Lächeln. Verzeihe mir aljo, Joſephine, verzeihe meiner grenzen- Iofen Liebe zu Dir! Sage, daß Du wieder gut fein willit, daß Alles vergeſſen und vergeben fein fol. Er ſah fie mit flehenvden Bliden, mit angftvollen Mienen an, aber Joſephine erwiederte ſeinen Blick nicht, ſie wandte ihre Augen zur Seite und blieb ſtumm. Joſephine, rief er außer ſich, laß es jetzt genug ſein. Fühle meine *) Bonaparte's eigene Worte. 552. *#) Bonaparte’s eigene Worte. Correspondanee. 349. 207 Stirn, fie ift mit faltem Schweiß bebedt, und mein Herz zittert, wie es nie in einer Schladht gezittert hat. Laß es genug fein, ich bin er⸗ fchöpft, außer mir, Iofephine, öffne mir endlich Deine Arme! Nun, fo fomm, Du böfer, Du geliebter Mann, rief fie mit ber- vorftürzenden Thränen, ihm die Arme entgegenbreitenv. Bonaparte ftieß einen Freudenfchrei aus und preßte fie mit wilden Ungeſtüm an fein Herz und bedeckte jie mit feinen Küffen. Set, nicht wahr, jegt ift Alles wieder gut, Alles vergeſſen? fügte er dann, fie noch immer in feinen Armen baltend. Du verzeibft mir meine tolle Leidenfchaft, meine häßliche Eiferſucht? Ich verzeihe Dir, Bonaparte, wenn Du Beflerung verſprichſt, jagte fie mit einem ſchönen Lächeln. Ich verfprehe Dir, niemals mehr eiferfüchtig zu werben, jondern bei jedem Rendezvous, das Du einem Andern giebft, zu denken, daß ed nur um meinetwillen gefchieht, und um für mich zu confpiriren. Ad, mein braves Weib, Du haft tapfer für mid) gearbeitet, und von nun an weiß ih, daß ih Dir meine Ehre und meinen Ruhm mit voller Zuverfiht anvertrauen fann. Ya, ſelbſt die Zügel eines Staates würde ich Dir ohne Furcht anvertrauen. Bete aljo, Joſephine, bete, daß Dein Gemahl zu dem höchſten Range emporfteige, denn alsdann würde ich Dir eine berathende Stimme in meinem Confeil zugeftehen und Did zur Herrin über Alles jegen, eins nur ausgenommen. *) Nun, und das Eine wäre? fragte Joſephine lebhaft. Das Eine, was id) Dir nicht anvertrauen würde, Joſephine, ſagte er lachend, das wären die Schlüffel meiner Schagfammer; dieſe, meine‘ fchöne, verfchwenderifche Frau von Gaze und Spigen, Brillanten und Perlen, diefe würbeft Du niemals befommen. **) Ah, Du würbeft mir alfo das Recht entziehen, Wohlthaten in Deinem Namen auszutheilen? fragte fie traurig. Iſt das nicht Die ſchönſte und köſtlichſte Pflicht der Frau eines großen Mannes, ihm duch Wohlthaten den Himmel* zu erobern, während er fih durd *) Bonaparte’s eigene Worte. Le Normand. 241. **) Le Normand. I. ©. 242. 208 Thaten die Erde erobert? Und dazu wollteft Du mir die Mittel ent- ziehen, Bonaparte? Du bift eine wilde, leidenfchaftlihe Natur, und oft werde ich die Wunden heilen müſſen, Die Du in Deinem Zorn gefchlagen haft. Wohl mir, wenn fie fih immer heilen laſſen, wenn Dein Zorn nicht auh den Menſchen gleih fo tödtlih if, wie meinem armen, Heinen Hündchen, das nichts weiter verbroden hatte, als daß es mich vertheidigen wollte gegen Deinen Zorn. Armes, Meines Thier, fagte Bonaparte, einen bejhämten Blick ‘zu Zephyr hinüberwerfend. Es thut mir wahrhaft leid, ihn getöptet zu haben, noch dazu, weil er ein Andenken an Hohe war. Aber da al’ mein Klagen ihn nicht wieder lebendig machen wird, Iofephine, fo will ih ihn wenigftens unfterblid machen! Er foll nidt, wie fo mander Held, ein unbelanntes Grab finden, nein, wir wollen dem tapfern und unerſchrockenen Bertheidiger dieſer ſchönen Feſtung Jo⸗ ſephine ein Denkmal errichten, welches der ſpäteſten Nachwelt erzählen ſoll von ſeinen Thaten. Laß Zephyr in einen Kaſten packen, es gehen noch heute Couriere und Transporte nach Mailand ab. Sie ſollen die Leiche mitnehmen, und ich werde Ordre geben, daß man Deinem Zephyr in dem Garten unſerer Billa ein kleines Denkmal errichte.*) — Aber jetzt, meine Joſephine, genug des Plauderns, das Leben ruft mich mit ſeinem Ernſt und ſeiner Strenge. Ich muß gehen, die Herren Geſandten zu empfangen! *) Bonaparte hielt Wort. Das kleine Opfer ſeiner Eiferſucht, der Hund Zephyr, ward in den Gärten von Mondeza, nahe bei Mailand, begraben und ihm dort ein Denkmal von Marmor errichtet. Siehe: Le Normand. I. 498. 209 II. | Die Begrüßung der Gefandten. ‚Ein buntes Gewühl von Uniformen und golpgeftidten Staats⸗ gewändern war jeit ber Ankunft des Generals Bonaparte und feiner Gemahlin in den VBorzimmern der franzöfifchen Geſändtſchaft. Alle tiefe hohen Vertreter deutfher Fürften und Länder eilten herbei, um der franzöfiihen Dame ihre Huldigungen darzubringen und fich ber Gnade und Huld des fiegreihen Generals der Republik zu empfehlen. Aber die Thüren des Generals und feiner Gemahlin öffneten fi) eben jo ſchwer, wie die der franzöftlihen Gefandten Bonnier, Iean Debry und Koberjot. Der General Bonaparte hatte die Geſandten Defter- reichs empfangen und ihnen feinen Gegenbeſuch gemadt. Aber Niemand fonft war von ihm an dem erften Tage empfangen worben. Um fo eifriger drängten fi) heute an dem zweiten Tage nad feiner Ankunft die Gefandten in die Borzimmer der franzöfifchen Herren, denn Jeder wollte der Erfte fein, der für feinen Fürſten und für fein deutfches Land die Gunft des franzöfifhen Sieger gewinnen könnte. Jeder wollte Bortheile erringen, Uebel abwenden und Gnaden erbitten. Südlich ſchon diejenigen, welde überhaupt bis in die Vorzimmer der franzöfifhen Gefandtichaft gelangt waren, denn man mußte fehr viel: Geld gegeben haben, um nur bis dahin die Thüren für fich offen zu finden. Bor diefen Thüren ftanden die Kammerdiener der Gefandten, mit ernjten, ftrengen Geſichtern Jedem ten Eintritt verweigernd, ver nicht zuvor ihnen ſchon empfohlen war, oder fi ihnen nicht jeßt auf eine glänzende Weile zu empfehlen wußte.*) Und wenn man endlich, *) Das franzöfiiche Gefandtfchaftsperjonal, von dem erften Secretair bis hinunter zum Lalaien und Koh, empfing von allen deutſchen Gefandten be- trächtliche Geſchenke, denn Jedermann wollte die franzöfifhen Herren gewinnen, und getreu dem alten, diplomatiiheg Kunftgriff, wollte man durch die Diener- Schaft fich die Gunft der Herrichaft erobern. Das Dienftperfonal der franzöfifchen Geſandtſchaft machte daher ein ſehr gutes Geſchäft mit den deutſchen Gefandten. Siehe: Deutſche Gefchichte von Ludwig Häuffer. II. ©. 163. Mühlbach, Napoleon. 1. Bd. 14 210 Dank diefen Ueberredungsfünften, die Schwelle des Vorzimmers über- Schritten hatte, fo waren da wieder die Secretaire, die Schreiber der franzöfifhen Herren, und diefe wieder belagerten die Thür des Ca—⸗ binets, in weldhem die Gefandten zu finden waren. Und die Secretaire und die Schreiber mußten wieterum gewonnen werben mit Bitten, mit - Schmeicheleien und mit klingendem Metall, nur daß man ftatt des Silbers fi) hier des Goldes bedienen mußte. Und wenn fie dann endlih alle diefe Hinderniffe befiegt hatten, wenn biefe Geſandten beutfcher Mächte endlich bis zu den franzöfiichen Diplomaten gelangt waren, fo fanden fie da ftatt der gehofften Freund- Schaft ftolzges Abwehren, ftatt der Anerkennung ihrer Zuvorkommenheit höhnenden Spott. Bergebeng, daß Deutfchland ſich fo vemüthigte und in den Staub warf, Frankreich war feiner Siege und feiner Ueber- ‚ Iegenbeit fi zu ſehr bewußt, und die Gervilität der deutfchen Herren erregte nur Verachtung und Epott, den die franzöfifhen Herren ſich nicht fcheuten, den demüthigen Bittftellern in's Geficht zu werfen. Se mehr jene krochen, defto ftolzer richteten fi) diefe auf, und immer fefter und unerfchütterliher warb bei tiefen wie bei jenen die Weber- zeugung, daß in den Händen Frankreichs allein das Glück und die Ruhe Deutfchlants liege, daß Frankreich allein die Macht habe, den deutfchen Fürften ihre Länder zu erhalten, zu vergrößern, oder zu ents reißen, je nachdem e8 ihm beliebe. Uber heute waren alle dieſe vornehmen Herren, die beutfchen Reichsgrafen, Neichsfreiherren, Biihöfe und Prälaten nicht gelommen, - um das Dreigeftirn der franzöfiihen Geſandtſchaft zu erobern, heute war ein neues, ein ftrahlenderes Geftirn aufgegangen und das wollten fie anftarren, Bonaparte und Joſephine wollten fie bewundern. Aber Bonaparte achtete wenig auf diefe im Borzimmer verlam- melten Herren. Die Hände auf dem Rüden gefaltet, ging er in feinem Zimmer auf und ab und hörte mit gefpannter Aufmerffamfeit den Berichten zu, welde die drei franzöfifhen Geſandten ihm über ihre bisherige Wirkfamkeit abftatteten. Mir baten Alles gethan, um den republifanifchen Geift auch bier auszubreiten, fagte Jean Debry am Schluß feiner langen Rede. Wir 211 baten überall in diefe Meinen deutſchen Staaten unfere Agenten gejenbet, weldhe das Volk aufflären jollen über feine Würde und feine Rechte und über die Schmach, fid, elenden Fürften zu unterwerfen, ftatt frei und groß in republifanifcher Freiheit dazuftehen. Wir haben außerdem auch bier am Orte unjere gewandten Unters händler und Kundſchafter unter den Herren Gefandten, fagte Roberjot, und wir haben durch fie geſchickt das Teuer der Zwietradht genährt, das unter diefen Herren fortglimmt. Sie halten freilich täglich geheime Berathungen, in denen fie über die Zwede, die fie verfolgen wollen, fi zu einigen ſuchen, aber die Zwietradht, der Neid und die Habjucht gehen immer mit ihnen in die Berathungszimmer und daher einigen fie fih nie Außerdem find dieſe deutfhen Herren ſehr ſchwatzhaft, wir erfahren daher alle ihre Geheimnifje und es wird ung leicht, ihren Plänen entgegen zu arbeiten. Jeder von ihnen will ſich vergrößern, wir laffen daher Jeden eine Vergrößerung auf Koften feines Nachbars hoffen und machen damit die Uneinigfeit und die Verwirrung nod immer größer. Wir erfüllen die Geſandten der Heinen, und beſonders der geiftlihen Fürften, mit Mißtrauen gegen die mächtigen und großen deutſchen Fürften, und vertrauen ihnen, daß dieſe fih an ihnen zu vergrößern bezweden und dazu Frankreichs Zuftimmung verlangt haben; wir theilen den großen deutſchen Geſandten das Gelüfte, welches vie Heinen nad einer Gebietsvergrößerung begen, mit und warnen fie. So ſäen wir Zwietracht unter die Fürftendiener und ſuchen die deut- Ihen Throne wanfend zu maden. Deutſchland muß alle feine Fürften wie reife Geſchwüre abftoßen, rief Bonnier mit wildem Hohnlachen. Diefe vielen Throne jenfeits des Rheins find unferer erhabenen, einigen und untheilbaren franzö- ſiſchen Republik gefährlid und verderblich, denn das böfe Beijpiel verdirbt die guten Sitten. Alle Throne müſſen von dem Erdboden verfchwinden und bie Freiheit und Gleichheit der Republit muß einer Sonne gleich die ganze Welt umleuchten. Sie haben Recht, fagte Bonaparte ernft, es ift unfere Pflicht, Bropaganda zu machen bei tiefen deutſchen Völkern, weldye nody in ber Knechtſchaft leben, und den armen Eclaven zur Freiheit zu verhelfen. 14% 212 Deutfhland muß eine Conföderativ-Republik werben, und die Zwietracht ift das befte Schwert, mit dem man diefe Fürftendiener angreift. Aber was will denn der ſchwediſche Geſandte, deſſen Namen ich auf der Lifte der Angemeldeten fah, unter den deutſchen Herren? Er bat die Prätenfion, hier als Gerant des Weftphälifchen Ver—⸗ trags auftreten zu wollen, rief Jean Debry achſelzuckend. Seine Bertretung des Herzogtbung Pommern ift nur ein Borwand, fagte Bonnier düſter. Diefer Herr Ferſen ift ein Royalift, man kennt ja die politifche Rolle, die diefer Unterhändler am Hofe Ludwig Capet's gefpielt und nachher noch fortgefegt hat. Er drängt ſich an ung mit freund- liher Zuvorkommenheit, ev möchte durch uns der Republik Fallſtricke legen. Ah, wir werben dem Herrn bemeifen, daß die Republif ein offenes Auge und eine fefte Hand hat, uud daß fie alle Schlingen und Halftride fieht und zerreift, rief Bonaparte heftig. Genug der Ge— fhäfte für heut, ich will gehen, dieſe Herren Geſandten, die ſchon lange in meinem Vorzimmer warten, zu empfangen. Er begrüßte die Herren mit einem raſchen Kopfnicken und begab ſich dann in den Empfangsſaal, deſſen Thüren endlich geöffnet wurden, um die deutſchen Geſandten eintreten zu laſſen. Es war eine glänzende Schaar, welche in feierlichem Zug durch die weitgeöffneten Flügelthüren eintrat. Die Geſandten aller Fürſten Deutſchlands waren hier zugegen; nur die von Oeſterreich und von Preußen fehlten, denn dieſe hatte Bonaparte ſchon in beſonderer Audienz empfangen. In ſtattlicher Zahl zog die große deutſche Friedensdeputation in den Saal ein, um dem franzöſiſchen General zu huldigen; da waren zuerſt die Geſandten von Baiern und Sachſen, von Baden und Württemberg, von Hannover und Mecklenburg, dann folgte die Schaar der kleinen Fürſten und freien Standesherren, denen zur Seite die geiſtlichen Herren, die Vertreter der mächtigen Churfürſten und Bisthümer, einherftolzirten.*) *) Die große deutſche Friedensdeputation beſtand aus 79 Perſonen, und alle dieſe 79 hochmögenden, vornehmen Herren, die Abgeſandten von Kaiſern, Königen und Fürſten, bewarben ſich um die Gunſt der Geſandten Frankreichs, und dieſe drei Herren ſchienen mächtiger und ſtärker, als alle Vertreter des ganzen Deutſchlands. "213 Bonaparte ftand ftolz gehobenen Hauptes in der Mitte des Saale und fein büfterer Blid flog umher an den Reihen dieſer Herren, die fih zu beiden Seiten des Saale aufzuftellen begannen. Der erwählte Ceremonienmeifter des Congreſſes fchritt jeßt feierlich einher, und an den Herren vorüber chreitend, verfündete er mit lauter Stimme eines Jeden Namen, Rang und Stan. Se. Ercellenz, der Herr Graf Ferſen, rief er eben laut und feier- Lich, Sejandter Sr. Majeftät des Königs von Schweden und Herzogs von Pommern. Graf Ferfen hatte noch nicht feine ceremonielle Berbeugung beendet, als Bonaparte mit haftigem Schritt fi ihm näherte. Sagen Sie doch, mein Herr, rief er mit brusquem Ton, wie heißt der Gefandte, ven Schweden jett in Frankreich hat? Graf Ferſen blidte fihtbar überrafht und verwirrt in das bleiche Antlig des Generals, deſſen flammende Augen mit zornigem Ausprude auf ihm ruhten. Ich weiß nicht, ftammelte er verlegen, id bin ungewig — Ad, mein Herr, Sie willen es nur zu gut, daß Schweden bem Herrn von Siael noch immer feinen Nachfolger gegeben hat, unterbrady ihn Bonaparte heftig, und daß der Einzige, den es ſenden wollte, von dem Directorium zurüdgewiefen werben müßte. Diefer Einzige ‘waren Gie, mein Herr! Innige Bande haben von langen Zeiten ber die franzöfiiche und die ſchwediſche Nation vereinigt, und ich glaube, Schweden follte gerade jegt die große Wichtigkeit derfelben mehr als je erwägen und erfennen. Wie fol man fich daher viefes Benehmen des Hofes von Stodholm erklären, ‚ver es ſich zur Aufgabe zu machen fcheint, überall, fei’8 nad Paris oder fonft, wo vie franzöfifchen Bevollmächtigten ſich befinden, Minifter und Geſandte zu fchiden deren Perfonen jedem franzdfishen Bürger wejentli zuwider ſein müflen. Dies ift gewiß nicht die Abficht meines Hofes, rief Graf Ferfen Haftig. I Mag fein, ſagte Bonaparte ſtolz. Aber ich möchte doch willen, ob es ber König von Schweden mit Gleichgübägteit anlegen wütir, “N 214 * wenn ein franzöfiſcher Geſandter verſuchen wollte, das Volk von Stock⸗ holm gegen ihn aufzuregen. Ebenſo wenig kann die franzöſiſche Re— publik es dulden, daß Männer, die durch ihre Verbindung mit dem alten Hofe von Frankreich nur zu bekannt ſind, kommen, um die repu⸗ blikaniſchen Geſandten zu ärgern und zu reizen, die Geſandten des erſten Volkes der Erde, das, bevor es noch ſeine Politik um Rath fragt, das Gefühl ſeiner Würde aufrecht zu erhalten weiß. Ich werde ſogleich nach Stockholm abreiſen, um meinem Hofe dieſe Anſicht des Siegers von Italien mitzutheilen, ſagte Graf Ferſen, bleich vor Aerger und Scham. Thun Sie das, reiſen Sie ſogleich ab, rief Bonaparte ungeſtüm, und ſagen Sie Ihrem Herrn, daß, wenn er dieſes alte Gerölle einer verbrauchten Politik nicht ändert, ich ihm eines Tages einen guten diplomatiſchen Gascogner ſchicken werde, der es verſteht, die Maſchine zu vereinfachen und ſie im Schritt gehen zu machen. Der König Guſtav wird es vielleicht auch zu ſpät und auf feine Koſten einſehen lernen, daß man die Zügel der Regierung mit feſter Hand halten, und ſich mit der andern nützlicherweiſe des Schwertes bedienen muß, ſo lange es noch Zeit iſt. Gehen Sie, mein Herr, das Ihrem König zu ſagen. Graf Ferſen erwiederte nichts, er machte nur eine ſtumme, haſtige Verbeugung, und ſeinem hinter ihm ſtehenden Geſandtſchaftsperſonal einen Wink gebend, verließ er mit feinem Gefolge den Saal. *) Bonaparte verfolgte ihn bis zum Ausgange mit jeinen glühenden, finfteren Bliden, dann wandte er fih wieder den Gefanbten zu. Ich durfte einen Berräther und Feind nicht in unferer Verſamm— lung dulden, fagte er mit lauter, fefter Stimme. Wir find bier, um Frieden zu maden, er aber trug Unfrieden im Herzen und wollte bie böfe Saat der Zwietracht unter uns ausfäen. Friede zu maden, meine Herren, daß fei unfer Aller eifrigftes Bemühen. Zwingen Sie *) Diefe ganze Scene ift hiſtoriſch und enthält nur Bonaparte's und Ferien 's eigene Worte. Siebe: Memoires d’un homme d'état. Vol.V. ©.64. — Le ‚Normand: Memoires. I. ©. 263. 215 mid nicht, auch gegen Sie in die Schranken zu treten, denn ber Kampf könnte nicht gleihmäßig fein zwifchen einem Volk, das jo eben erft feine Freiheit erobert hat, und zwifchen Herren, die fle ihm wieder ftreitig machen wollen. Wenn Sie heute die Mittel zur Verſöhnung, weldye icy Ihnen biete, verwerfen, jo werde ich Ihnen morgen andere Bedingungen machen; aber wehe demjenigen unter Ihnen, der meine Bermittelung verweigern wollte, denn ich würde dann Das ganze Gerüft einer falſchen Politif umftürzen, und der Thron, der fidy auf eine ſchwache, thönerne Unterlage ftügte, würde bald zufammenbredhen. Ich fpredhe zu Ihnen mit dem Freimuth eines Soldaten und dem edlen Stolze eines Siegers, idy warne Sie, weil mir das Wohl der Völker, welche der Segnungen des Friedens bedürfen, am Herzen liegt. Im Ihren Händen ruht jegt der Krieg oder der Frieden, und von Ihrer Fügſamkeit allein wird es abhängen, ob Frankreich mit feinen deutjchen Nachbarn einen ehrenvollen Frieden maden fann, oder ob Sie ung zwingen wollen, abermals die Waffen zu ergreifen. Wehe aber als- dann Ihnen, denn wir würben eine blutige Satisfaction nehmen an denen, welche uns entgegen zu treten wagen. *) Er fhwieg und ließ feine Augen mit einem raſchen Blid an ben Herren vorübergleiten. Sie ftanden da mit ernten, bültern Geſichtern, aber Keiner von ihnen hatte den Muth, den ftolzen, demüthigenden Morten des franzöfiihen Generals einen würdigen Beſcheid zu geben; mit dem Schweigen der Unterwürfigkeit nahmen die Gefandten Deutſch⸗ lands die ftolze Strafpredigt des Abgeordneten Frankreichs entgegen. Ueber Bonaparte's bleiches Antlig flog ein leifes, höhniſches Lächeln. Er grüßte die Herren mit einem raſchen Kopfniden, und ſich dann militairiſch fteif kurz ummenbend, verließ er den Saal: und fehrte in fein Gemach zurüd. Ä *) Bonaparte’8 eigene Worte. Siehe: Le Normand. I. ©. 964. 216 IV. Fankreich und Veſterreich. Bonaparte war kaum wieder in ſein Gemach zurückgekehrt und hatte die Thür deſſelben hinter ſich zugedrückt, als die entgegengeſetzte Thür geöffnet ward und der eintretende Diener „Se. Excellenz den Grafen Ludwig von Cobenzl“ meldete. Bonaparte winkte raſch mit der Hand und ging dem Grafen bis in den Vorſaal entgegen, um ihn mit der äußerſten Höflichkeit und Freundlichkeit willkommen zu heißen. | | Hand in Hand traten die beiden Herren in das Gemach ein, Jeder mit einem Lächeln auf den Pippen, Jeder dem Andern freund- lihe Worte fagend, Jeder mit dem geheimen Wunſch uud Vorfag, die Gedanken des Andern zu erforfhen und zu errathen, feine eigenen aber in tieffter Bruft verborgen zu halten. Mit zuvorkommender Freunde lichkeit bot der General dem Grafen den Ehrenplag auf dem Divan und fette fi ihm gegenüber auf den Fauteuil. Ein Heiner runder Tiſch mit Schreibzeug und Papieren ftand zwifchen ihnen und bildete jo gewiſſermaßen die Grenze zwijchen Defterreih und Frankreich. Die heißen Wünſche Oeſterreichs find alfo jegt erfüllt, fagte Graf Sobenzl mit einem füßen Lächeln. Frankreich wird ung fortan nicht mehr feindlich gegenüberſtehen, es wird uns ein Freund und Bundes⸗ genoſſe ſein. Frankreich wird dieſen Freund und Bundesgenoſſen willkommen heißen, rief Bonaparte lebhaft, vorausgeſetzt, daß er es ehrlich meint. Ah, mein Herr Graf, keine Proteſtationen! In der Politik beweiſen keine Worte, ſondern allein die Thaten. Oeſterreich beweiſe uns alſo durch ſeine Thaten, daß es das gute Einvernehmen mit Frankreich aufrichtig wünſcht und ſeine feindliche Haltung gegen die Republit ehrlich und für immer aufgegeben hat. Aber hat Oeſterreich das nicht ſchon bewieſen? fragte der Graf erſtaunt. Bat Se. Majeſtät der Kater hr Th weurditt etliat, ve 217 diplomatifhen Beziehungen zu Frankreich wieder aufzunehmen und dadurch förmlich und bor aller Welt die franzöftfche Republik anzu⸗ erfennen. Mein Herr, rief Bonaparte ftolz, die franzöfifhe Republik bedarf feiner Anerkennung. Sie weiß ſich diefe Anerkennung zu erzwingen, denn fie wirft wie die Sonne ihr Licht über den ganzen Erdball hin, und wer ſich den Anfchein geben wollte, fie nicht zu fehen, dem würde fie in die Augen ftechen, daß er auf ewig davon erblindete!*) Oeſter⸗ reih hat bei Lodi, bei Rivoli, Arcole und Mantua dieſe ftrahlenve Sonne ſcheinen fehen, wo follte e8 alfo den Muth hernehmen, fte ver- leugnen zu wollen? Aber ftatt der Worte geben Sie uns thatſächliche Beweiſe Ihrer Anerkennung. Wir find auch dazu bereit, ſagte Graf Cobenzl verbindlich. Oeſter⸗ reich iſt bereit, dem großen General, deſſen Ruhm jetzt ſchon die ganze Welt mit Staunen und Bewunderung erfüllt, einen öffentlichen, glän= zenden Beweis feiner Bewunderung zu geben. Se. Majeftät der Kaiſer bat Ihnen ſchon in dem Schreiben, deſſen Ueberbringer zu fein ich in Wien die Ehre hatte, mit berenten Worten gefagt, wie jehr er ben Sieger Italiens bewundere, wie glüdlicd Seine Majeftät fein würde, Ihnen irgend etwas Angenehmes erzeigen zu können. Damals lehnten Sie alle Anerbietungen ab, General, und nichts, was wir Ihnen dar- zubieten wäünfchten, hatte für Sie genug Werth, daß Sie es ange⸗ nommen hätten. Sagen Sie vielmehr, Graf, Alles hatte zu viel Werth, um nicht leiht als eine Beftehung angefehen zu werben, rief Bonaparte. Mit bem Schwert in ber Hand unterhandelte ih mit Ihnen um Krieg oder Trieden, es würde mir ſchlecht angeftanden haben, das Schwert bei Seite zu legen, um meine Hände mit Ihren Gefchenfen zu füllen! Aber jest, General, jetzt, da wir das Schwert bei Seite gelegt, da wir Friede gemacht haben, da wir geftern fchon bie Friedens⸗ Rotificationen ausgewechfelt haben, jetzt, wo Sie Defterreich in Frieden und Freundfhaft Ihre Hand darreihen, jest Fünnten Sie vielleicht 9 Bonaparte’8 eigene Worte. Siehe: Constant. I. WA. 218 Str. Majeftät dem Kaiſer Franz von ODefterreich geftatten, Etwas in Ihre Freundeshand niederzulegen, das Ihnen beweijen fünnte, wie aufrichtig der Kaiſer Sie liebt und verehrt. Und mas wäre dies, was der Kaiſer wünjdt, in meine Hand nieberzulegen? fragte Bonaparte ruhig und lächelnd. Graf Cobenzl zögerte cin wenig, bevor er antwortete. ©eneral, fagte er dann, wenn id Sie fo anfchaue in Ihrer ehernen Schönheit, jo muß ich unwillfürlich der Heroen Roms und Griechenlands gedenken, dieſer Herven, welche den Ruhm ihrer Länder unfterblich gemacht haben, bie aber die Nachwelt mit ihrer Bewunderung für die Undankbarkeit ihrer Mitwelt entihädigen mußte. General, die Republiken find nie- mals dankbar gewefen gegen ihre großen Männer, und nur zu oft haben fie ihnen ihre glorwürdigen Thaten fogar zum VBerbreden an: gerechnet, denn in der Größe ihrer Helden fahen die Republifen eine Ueberhebung, und wer ſich auszeichnete, hob damit die Gleichheit und Brüperlileit auf. Perifles warb aus Athen verbannt, und Yuliug Cäfar warb ermordet! — General, werben die modernen Republifen danfbarer fein, als die antiten? Ich meinestheild wage es zu bezwei- feln, und da die Franzojen Nachkommen der Römer find, fo fürdte ih, fie werden auch nicht dankbarer fein, als es die Kömer waren. Der Raifer, mein erhabener Herr, theilt meine Furcht, und da er Sie liebt und verehrt, möchte er Sie gern fo body erheben, daß die Hände der politifchen Parteien nicht bis zu Ihnen emporzureichen vermögen. Se. Majeftät erbietet fih daher, Ihnen in Deutſchland ein Fürften- thum zu errichten und Sie zum jouverainen Herrn über zweimalhundert- taufend Seelen zu machen, auch Sie zum Keichsfürften zu ernennen, der im beutfchen Reich Sit und Stimme hat.*) General, nehmen Sie das Erbieten des Kaiſers an? Ein Vaſall des Kaifers zu werden? fragte Bonaparte mit einem leifen Lächeln. Ein Heiner deutſcher Reichsfürſt, der bei feftlihen Ges legenheiten vielleicht der Ehre theilhaftig werden fünnte, dem Raifer das MWafchbeden reihen, oder die Schleppe feines Mantels tragen zu *) Biftorifh. Siehe: Memoires d'un homme detgt. ToL.N, SL, 219 dürfen, und ber jedem König und Churfürften den Vortritt lafjen müßte? Nein, Herr Graf, ich nehme das Erbieten niht an. Ich danke dem Kaifer aufrichtig für das Intereffe, das er an meinem Shidjal nimmt, aber ich darf feine Geſchenke und feine Gunft an- nehmen, die mir nicht unmittelbar von ber franzöfifchen Nation fom- men, und ich werde ftetS zufrieden fein mit dem Einkommen, weldyes diefe mir bewilligt. *) Sie lehnen das Erbieten des Kaiſers ab? fragte Graf Cobenzl ſchmerzlich. Sie verfhmähen es, eine Krone zu tragen? Wenn die Krone mir die wenigen Rorbeerblätter, mit denen meine Siege mich gefhmüdt haben, zerbrüden würde, ja, dann ziehe ich es vor, Die Krone auszuſchlagen zu Gunften meiner Lorbeern. Und, mein Herr Graf, wenn es mir fo fehr um eine Krone zu thun gewefen, fo hätte ich ja nur eine diefer Kronen aufheben können, die in Italien zu meinen Füßen nieberfielen. Aber ich zog e8 vor, fie unter meinen Füßen zu zertreten, wie St. Georg den Linpwurm zertritt, und das Gold der zertretenen Kronen legte ich als danfbarer und gehorfamer Sohn auf dem Altar der großen franzöftfchen Republik nieder. Gie ſehen alfo, es gelüftet mich nicht nach Kronen, dürfte ich meiner Nei- gung folgen, fo fehrte ich in das Schweigen und die Dunkelheit meines früheren Lebens zurüd und legte dag Schwert aus der Hand, um nur als friepliher Bürger zu leben. Db, General, wenn Sie das thäten, rief Cobenzl, dann würben fih bald Männer finden, die es aufhöben, um mit dieſem Schwert Die Republit zu befämpfen und die BourBonen wieder zurüdzurufen auf den Thron ber Lilien! Ein fchneller Blig aus Bonaparte’8 Augen traf das Antlig des Grafen und begegnete feinen fcharfen, forſchenden Bliden. Herr Graf, fagte er ruhig und gelaffen, die Lilien von Frankreich find abgefallen und im Blut der Guillotine ertränkt, fie werben ſich nicht wieber. zum Blühen aufrihten. Das wäre ein fchlechter und *) MWörtlihd Bonaparte’s eigene Antwort. Siehe: Memoires un homme d’eiat. Vol. V. 67. 220 unkluger Gärtner, ber es verfudhen wollte, aus todtem, keimloſem Samen Blüthen zu ziehen! Und glauben Sie mir, wir find in Frank—⸗ reich Feine fchlechten und unklugen Gärtner! Sie ſprachen vorhin von dem Undank der Kepublifen und fürchteten, daß auch id davon Er⸗ fahrungen machen möchte. Ic verfihere Ihnen aber, daß felbft der Undant meines VBaterlandes mir lieber fein würde, als der Dank rines Tremden, und daß die Dornenkrone, welche Frankreich mir auf's Haupt drüden mag, mir doch ehrenvoller erfcheinen würde, als die Fürften- frone, mit welcher der Feind Frankreichs meine Stirn ſchmücken könnte. Und jet, Herr Graf, ſprechen wir nit mehr von diefer Bagatellet Spreden wir von unſern Gefhäften. Wir haben die Friedens » Kati- ficationen, welde dem Kongreß vorgelegt werben follen, unterzeichnet; es bleibt uns nur nod übrig, aud die geheimen Artikel, die nur Frankreich und Defterreih erfahren follen, zu unterzeihnen. Die Hauptſache ift, daß Ihre Truppen fofort Mainz räumen, damit die franzöfiihen Truppen die Feſtung befegen können. Ich fürdte, General, dies gerade wird ein Stein des Anftoßes fein, über welchen alle Mitglieder des Congrefjes ftolpern und Wehe Schreien werben. Raffen Sie die Herren da ſchreien, fagte Bonaparte verächtlich, wir haben fie ja bier zufammengerufen, um zu plaudern, und während fie plaudern, handeln wir! Man wird fagen, Defterreich opfere feinen Privat- Intereflen das Wohl und die Größe Deutſchlands auf, rief Graf Cobenzl angftooll. Thoren find diejenigen, welde fi an das kehren, was die Leute fagen! rief Bonaparte achfelzudenn. Der Euge Mann gebt feinen Weg, grad auf fein Ziel hin, und das Gefumme der Schwäger ftört ihn nidt. Hören Sie mein legtes Wort: Wenn die üfterreichifchen Truppen nicht in acht Tagen Mainz verlaflen und an die franzöſiſchen Truppen übergeben haben, fo bleiben die franzöfifhen Truppen in Benedig, und ich würde es lieber in den Grund des Meeres bohren, als daß Defterreih auch nur einen Stein davon befomme. Mainz muß unjer jein, oder ic, zerreiße den Vertrag, und der Krieg fol fo» fort wieber beginnen! 221 Und Bonaparte ergriff mit wüthender Geberde bie auf dem Tiſche liegenden Papiere und war im Begriff, fie zu zerreißen, als Graf Gobenzl aufiprang und ihm raſch beide Hände fefthielt. Öeneral, fagte er flehend, was wollen Sie thun? Mas ih thun will? rief Bonaparte mit mädtiger Stimme. Ich will einen riedenstraftat zerreißen, ven Ihr nur mit der Feder, aber nicht mit Thaten unterzeichnen. wollt! Dh, das war alfo das faubere Kunftftühhen Eurer Diplomatie. Mit Eurer Fürftenkrone wolltet Ihr meinen DBerftand umnebeln, mit den zweihunderttaufend Geelen, die Ihr mir anbietet, möchtet Ihr meine Seele beftechen, daß fie die Ehre und bie Größe Frankreichs verſchachere für einen elenden und fleinen Burpurmantel! Nein, mein Herr, um fo geringen Preis ift mir meine Ehre nicht feil. Ich ftehe bier im Namen der franzöfifhen Republit und fordere von Ihnen, dem Bevollmädtigten Defterreihs, daß Sie erfüllen, was wir in Campo Formio verabredet haben. Mainz muß unfer fein, bevor unfere Truppen Venedig verlaffen, verweigern Sie mir Das, fo ift unjer Vertrag gebroden und der Krieg beginnt auf's Neue. Nun, mein Herr, entjcheiden Sie fid), ih bin nur ein Soldat und verftehe mich ſchlecht auf das diplomatiihe Hantwerf, ich gebe mit meinem Schwert und meinem Wort immer grad auf ein Ziel los. Alfo furz und gut, Herr Graf, wollen Sie Ihre Truppen aus Mainz und den Übrigen Nheinfeftungen herausziehen und unferen Truppen Mainz übergeben? Sa, oder nein! Nun denn, rief Graf Cobenzl feufzend, ja, wir wollen Ihren Wünſchen genügen, wir wollen unfere Truppen aus Mainz zurüdziehen und den Franzoſen die Feſtung übergeben. Wann wird die Uebergabe ftattfinden? So fehnell als möglid,, wenn ich bitten darf! Alfo am neunten December, General. Gut denn, am neunten December. Wir find einig! Aber machen wir aus der Mebergabe Feine feierlihe Handlung, fagte Cobenzl bittend, laffen wir unfere Truppen in der Stille abziehen, Ihre Truppen in der Stille Befig nehmen, damit, wenn der Reichstag, ber bier tagt, und dem der Kaifer von Deutſchland die volle und 222 unantaftbare Integrität des Reichs verfprohen hat, von der Sade erfährt, viefelbe” fei fchon ein fait accompli, das nicht mehr zu än⸗ bern ift! Es fei, wie Defterreich es wünſcht, fagte Bonaparte lächelnd. Und nun zu den andern geheimen Punkten. Die dfterreihiihen Truppen ziehen ſich aus dem deutjchen Reich bis hinter den Inn und Lech zurüd bis auf unmittelbares Sfterreihifches Gebiet. Ya, General, dafür aber verlaffen die franzöfiihen Truppen am dreißigften December bie Feltungen und das Territorium von Venedig, das der Friede von Campo Formio Defterreih zugeſichert hat, und ziehen ficy hinter die Demarcations- Linie zurüd. Zugeftanden! Zu gleiher Zeit bemächtigen fid) die Truppen ber Republit des Brüdenfopfes bei Mannheim, jei es, indem fie die auf ihre Kraft befchränfte Bejagung einfhlichtern, fei es, daß fie ſich der- felben durch einen Handſtreich bemächtigen;*) und fo lange die Unter- handlungen hier dauern, verlaffen die franzöfifhen Truppen das Iinfe Rheinufer und bejeten das vechte Ufer von Bafel bis Mainz. | Zugeftanden, feufzte Graf Cobenzl, Defterreich gefteht Frankreich die Aheingrenze zu, das heißt, es überliefert ihm durch den gleidy- zeitigen Rückzug feiner eigenen Truppen die widhtigften Punkte des beutfchen Reichs, Ehrenbreitenftein mit eingerechnet, Der Congreß der deutſchen KReihsfürften wird alfo hier tagen nnter dem unmittelbaren Einvrud, den die Nähe einer franzöfifhen Armee auf die Ge— müther macht. Der Congreß kann ja alsdann, wenn ihm bie franzöfifcen Sol- daten nicht gefallen, feine Augen nad) der andern Seite wenden, wo bie öfterreichifche Armee an ter Donau und am Led fteht, rief Bo- naparte. Die Deputation des deutschen Reichs wird aljo von zwei *) Memoires d’un homme d’etat. — Der Brüdentopf bei Mannheim ward, da die Beſatzung fich nicht gutwillig fügen wollte, von ben Franzojen am 25. Sanuar 1798 mit Sturm genommen. Mainz ergab ſich ohne Kampf, und in der Nacht des 28. December 1797 zogen die Franzofen in Mainz ein, das jet der franzöfischen Republik einverleibt ward. 223 Armeen umfchloffen fein! Das wird dieſe guten Herren vielleicht ein wenig in der Nebefreiheit geniren, aber es wird das Gute haben, Daß fie ihre Arbeiten etwas bejchleunigen und früher fertig fein werben. Freilich, im Angefiht diefer beiden Armeen werden mwenigftens bie kleinern deutſchen Fürſten nicht zu oppeniren wagen, wenn ber deutſche Raifer das Linke Rheinufer ganz an Frankreich abtritt. Aber e8 er- ſcheint nit mehr als billig, daß man bvenfelben eine Entfhäpdigung bewilligt. Wir follten daher in einem unferer geheimen Artikel bie Berpflihtung anerkennen, den Fürſten und Churfürften, je nachdem fie von Frankreich oder Oeſterreich beſchützt werben, Entſchädigungen zu verſprechen. a Ya wohl, verfpreden wir ihnen Enfhädigungen, fagte Bonaparte mit einem leifen Ausprud des Spottes. Was die Befigungen Preußens auf dem linken Rheinufer anbelangt, jo erflärt ſich Frankreich bereit, dem Könige von Preußen diefelben zurüdzugeben. Dafür aber verbürgen fi) die beiden Mächte, daß der König von Preußen feine neuen Befigungen erwerben jolle, rief Graf Cobenzl haſtig. Ja, ſo lautet unſer Uebereinkommen von Campo Formio, ſagte Bonaparte. Oeſterreich aber erhält als Entſchädigung außer Venedig noch Salzburg und ein Stück von Ober-Baiern. Sollte es indeſſen noch weitere Eroberungen in ſeinen Nachbarländern machen, ſo ſoll alsdann auch Frankreich noch einige weitere Erwerbungen auf dem rechten Rheinufer machen dürfen.*) Es war dies der letzte Artikel unſeres vorläufigen geheimen Tractats von Campo Formio, ſagte Cobenzl ſeufzend. Wir ſind alſo nur unſerm Uebereinkommen treu geblieben, rief Bonaparte, wir haben in keinem Punkt das Programm verändert, das wir damals verabredet und ſchriftlich aufgenommen haben. Es bleibt uns heute alſo nur noch übrig, daſſelbe zu unterzeichnen. *) — Siehe: Schlofſers Geſchichte des achtzehnten Jahrhunderts. Th. V. S. 48 | 224 Er nahm die Feder und fchrieb mit rafchen Zügen feinen Namen unter die beiden, auf dem Tiſche ausgebreiteten Actenftüde. Graf Cobenzl unterzeichnete gleich ihm, nur zitterte feine Hand ein wenig, als er fchrieb, und fein Antlig war trübe und forgenvoll. Bielleiht überfam ihn einen Moment das Gefühl, daß Defterreih in biefer Stunde das Unglüd und die Schande Deutſchlands unterzeichne, um ſich dafür einige Provinzen zu erfaufen, daß Defterreich ſich ver- größere auf Koften und zum Unheil des Reichs, deſſen Kaifer Yranz der Zweite ſich nannte! — Die Geſchäfte waren jett beendet, und Graf Cobenzl zog fi zurüd. Bonaparte begleitete ihn wieber bis zum Ausgang des Vor⸗ faals und kehrte dann in fein Gemach zurüd. Ein ftolges, triumphirendes Lächeln umfpielte jegt feine bleichen, fhmalen Lippen und in feinen Augen war ein faft unheimliches Leuchten und Bligen. Einen Moment trat er zu dem Tifch und heftete feine Blide auf das Protocol mit den beiden Unterſchriften. Das linke Rheinufer ift unfer, jagte er, feine Hand ſchwer auf das Papier niebervrüdend. Aber das rechte? Er fchüttelte leife Das Haupt, und Die Arme auf dem Rüden hal⸗ tend, ging er langjam, in tiefe Gedanken verloren, auf und ab. Seine Züge waren jeßt von einer ehernen Ruhe, es war wieder Das bleihe Gefpenft Julius Cäſar's, das da auf und ab ging mit unbör- barem, leifem Schritt, und die alten Gedanken Julius Cäſar's, dieſe Gedanken, um berenwillen er den Tod hatte erleiden müffen, fchienen auch wiever in Bonaparte aufgelebt zu fein, denn einmal murmelte er leife: Eine Fürſtenkrone für mih! Eine Fürftenfrone in Deutſchland! Die ijt zu Hein für mid! Wenn ic meine Hand nadı einer Krone ausftrede, jo muß es — | Er ſchwieg und blidte ſtarr vor ſich hin, als fchaue er hinein in die Zukunft, die mit gar wunderfamen Bildern ihn umgaukelte. — Dann nad einer langen Baufe zudte er zufammen und fchien wie aus einem Traume zu erwachen. Ih will doch diefen Brief, den ich gejtern durch die Poft be= fam, noch einmal Iefen, fagte er leife vor ſich bin. Es ift ein 225 wunderbares Schreiben, und id} möchte wohl wifjen, von wen es mir kommt! Er zog aus ſeinem Buſen ein zuſammengefaltetes Papier hervor und ſchlug es auseinander. In die Niſche eines Fenſters tretend, überlas er das Schreiben mit langſamen, prüfenden Blicken. Das helle Tageslicht beleuchtete fein Profil und hob deſſen antite Schönheit noch ſchärfer hervor. Tiefe Stille umgab ihn, man börte nichts als feine leifen, langen Athemzüge und das Kniftern des Papiers, das er mit feinen beiden Händen vor fi hinhielt. Als er e8 zu Ende gelefen, begann er es noch einmal, aber dies Mal jhien er es nicht blos mit feinen Augen leſen, fonbern feinen Inhalt auch hören zu wollen, doc nur leife und gebämpft las er, und inmitten der Stille, die ihn umgab, tünten die Worte, die von ben bleiben Lippen des wieder auferftandenen Julius Cäfar fielen, wie unheimliches Geiftergeflüfter. „Sie befinden ſich jetzt, las er, in einer fo großen Alternative, daß, jo kühn aud Ihr Eharacter fein mag, Sie body ungewiß fein. müfjen über die Partei, welche Sie zu nehmen haben, wenn Sie wäh- len müffen zwifchen der Achtung und dem Haß, dem Ruhm ober der Schande, einer großen Macht oder einer Nullität, die Sie auf das Schaffot führen wird, endlich zwifchen der Unfterblichfeit eines großen Mannes ober der eines beftraften Parteigängers.” — Ah, unterbrady fih Bonaparte in feiner Lectüre, und jet war feine Stimme laut und feft, ah, ich werbe niemals ſchwankend fein, unter folden Alternativen zu wählen. Schande, Nullität, Machtloſigkeit follte ich ertragen? Und meine Hand follte nicht verborrt, und fie follte nod im Stande fein, ein Schwert zu fallen, um es fich felber "dur die Bruft zu ftoßen? Er ſenkte feinen Blid wieder auf das Papier und las weiter: „Sie haben zu wählen zwifchen drei Rollen: bie erfte ift, ruhig nad Frankreich zurüdzufehren und ba als einfacher Bürger zu leben; bie zweite ift, nad Frankreich zurlidzufehren an der Spite einer Armee und da ber Chef einer Partei zu werben; bie britte ift, aus Stalien ein großes Reich zu bilden und Sich felber zum König beffelben zu Müuhlbach, Napoleon. 1. Bd. 15 226 proclamiren. Ic rathe Ihnen, dies zu thun und mit fefter Hand nad) der Krone zu greifen.“ *) Thor, unterbrad fih Bonaparte, Thor, ber da vermeint, man könne fi zum König von Italien machen und ſich halten, wenn man nicht zuvor ſich der fonverainen Gewalt Frankreichs bemächtigt hat.**) Doch till von folden Gedanken! Ich will zu Joſephinen gehen! Er ballte das Papier haftig zufammen und verbarg e8 wieder in feinem Bufen. Dann trat er zum Spiegel und fchaute hinein, als wolle er fein Antlig prüfen, ob es auch feine Gedanken nicht verriethe, und als er e8 ehern und bleich wie immer gefunden, wandte er ſich um und verließ, haftig das Gemad). V, Die Fahne des Ruhms. Bier Tage waren feit Bonaparte's Ankunft in Raftatt vergangen, und der Congreß hatte diefelben benugt, um dem franzöfifchen General und feiner ſchönen, anmuthigen Gemahlin zu Ehren die glänzenpften Tefte zu geben. Alle dieſe Gefandten, dieſe NReichsgrafen, Barone, Biſchöfe und Rathsherren fehienen ſich nur deshalb hier in Raſtatt verſammelt zu haben, um Gaftmähler zu geben, Feſte zu arrangiren und Bälle zu veranftalten, von Geſchäften war gar keine Rebe, aller Ernſt fchien untergegangen in den Blumengewinden der Tanzſäle, dem Släferklingen der herrlichen Diners, auf denen man mit [hwungvollen ZToaften ven fiegreihen General Frankreichs feierte und gar eifrig bes müht fchien, das arme, fieche, geduldig wartende Deutfchland ganz und gar zu vergefien. | *) Diefes anonyme Schreiben, das Bonaporte um jene Zeit erhielt, war von Sabatier de Eaftres, der damals im Hamburg wohnte. *#) Memoires d’un homme d’etat. V. ©. 69. 227 Joſephine gab ſich mit lebensvoller Heiterkeit dieſen Feftlichkeiten bin. Sie war die Königin verfelben, Alles huldigte ihr, Jeder war beeifert, ihr zur ſchmeicheln, Jeder drängte fi in ihre Nähe, um von ihr ein huldvolles Wort, einen freundlichen Bli zu erhafchen, um, muthig gemacht durch ihre ftet8. bereite Freundlichkeit, fie um ihre Ver⸗ mittelung, ihr Fürwort bei dem General zu bitten, in defien Händen allein jest die Gefchide der deutſchen Fürften und ihrer Lande zu liegen ſchienen. Aber während Joſephinens ſtrahlendes Lächeln Jedermann entzückte, während ſie mit huldvollem Munde Jedermann ihre Verwendung und ihr Fürwort verſprach, blieb das Antlitz ihres Gemahls ernſt und büfter, und nur mißmuthig und gezwungen wohnte er ben Feſten bei, bie man ihm zu Ehren veranftaltet hatte. Oft richteten fich feine Blide fhon mit einem drohenden Ausprud auf feine Gemahlin hin, und der unheimliche Zweifel, der immer in feiner eiferfüchtigen Bruft wach war, flüfterte ihm zu: Joſephine hat Dich abermals betrogen! Sie hat, um Dich zu befhwichtigen, eine gar ſchöne Geſchichte er- funden, von der indeß Fein Wort wahr ift, denn das Abberufungs- ihreiben, das fie mir verheißen bat, kommt nicht, und das Directorium "hält mich bier gefeflelt. Und wenn er das dachte, nahmen feine Züge etwas Unheimliches an, und feine Tippen murmelten leife: wehe Joſephinen, wenn fie mid betrogen hat! So war der vierte Tag gekommen, und heute wollte der Geſandte von Baiern ein glänzendes Feſt geben. Bonaparte hatte die Einla⸗ dung angenommen, aber mit drohenden Blicken hatte er zu Joſephinen geſagt, er werde nur hingehen, wenn der erwartete Courier aus Paris endlich angekommen ſei und er auf dem Feſt alſo zugleich Abſchied nehmen könne von all dieſen ſchmeichleriſchen und „hundewedelnden“ Geſandten des deutſchen Reichs. Aber der Morgen war vergangen, und immer noch war der er⸗ wartete Courier nicht gelommen. Bonaparte hatte fi in fein Zimmer zurüdgezogen, und wie ein Löwe in feinem Käfig ging er mit finfterm Grolen in dem Gemach auf und ab. Auf einmal indeffen warb bie . \H5* 228 J Thür haſtig aufgeriſſen, und Joſephine trat ein, ſtrahlenden Ange- fihts, in ihrer Rechten ein großes verftegeltes Schreiben hoch empor baltend. Bonaparte, rief fie mit jubelnder Stimme, kannſt Du errathen, was ih Dir da bringe? Er flürzte zu ihe bin und wollte haftig das Schreiben erfaſſen. Aber Iofephine entzog es ihm und barg es hinter ihrem Rüden. Halt, mein Herr, fagte fie. Erſt Abbitte gethan für die böfen Gedanken, die ih m dieſen legten Tagen auf Ihrer Stirn gelefen babe. Oh, mein Herr General, Sie find ein armer Sünder, und id weiß wahrlich nicht, ob ich Ihnen überhaupt die Abfolution ertheilen, und Ihnen die Pforten des Paradiefes öffnen darf. Aber was that ich denn, Joſephine? fragte er. War ich nicht ge- buldig wie ein Lamm? Ließ ih mi nicht wie ein Tanzbär an ber Kette von einem Felt zum andern führen, ſchaute ich nicht mit Engels⸗ geduld zu, wie alle Welt Div den Hof madte und Du nad allen Seiten hin Deine Blide und Dein Lächeln verfchwendeteft? - Was Du thateft, Bonaparte? rief fie ernfl. Du verleumpeteft Deine Yofephine, Du klagteſt fie an in Deinem Herzen, und Nacht und Tag. fand mit Flammenſchrift auf Demer Stimm gejchrieben: „Sofephine ift eine Verrätherin, Joſephine hat mich betrogen.” Nun, wollen Sie gar zu leugnen verſuchen, mein Herr? Nein, fagte Bonaparte, ich will nichts leugnen, mein lieblicyer, ſchöner Herzenskündiger. Ich befenne meine Sünden und flehe um Vergebung. Aber nun, Joſephine, fei aud) ſo gut, laß mich nicht länger warten, gieb mir das Schreiben! Still, mein Herr, dieſes Schreiben iſt nicht an Sie, ſondern an mich gerichtet, ſagte Joſephine lächelnd. ‚Bonaparte ſtampfte haſtig mit dem Fuß auf dem Boden. Nicht an mich, rief er zornig. Alſo wieder nicht vom Directorium, wieder nicht meine Abberufung! Still, Bonaparte, fagte Iofephine lächelnd, mußt Du ewig auf- braufen, wie das fturmbewegte Meer, das Deine Wiege umraufcht 229 hat, Du großes Kind? Sei ganz fiill jest, und höre mich vorleſen. Willſt Du? Ja, ich will, ſagte Bonaparte haſtig. Lies nur, ich beſchwöre Dich, lies! Joſephine machte eine tiefe, ceremonielle Verbeugung und die Hand mit den Papieren hinter ihrem Rücken hervorziehend ſchlug ſie haſtig ein Blatt auseinander. Zuerſt ein Schreiben von meinem Freund Botot, ſagte Joſephine. Hören Sie: „Bürgerin Generalin. Das Directorium wollte heute mit beifolgendem Schreiben einen Courier an den General Bonaparte ab⸗ ſenden. Ich aber bewirkte, daß man mir dieſes Schreiben anvertraute. und mir geſtattete, an Sie und nicht an den General den Courier zu ſenden. Ihnen zunächſt hat der General den Inhalt dieſes Schrei⸗ bens des Directoriums zu verdanken. Es iſt daher nicht mehr als billig, daß Sie, Bürgerin, die Freude haben, ihm daſſelbe zu über- reihen. Thun Sie das, Bürgerin, und bitten Sie zugleih Ihren Gatten, Ihre und feine Freunde nicht zu verfennen. Botot." — Das ift mein Brief, Bonaparte, und bier, mein Freund, ift die Einlage an Did! Du fiehft, ich babe nicht den Fehler der Frauen, ich bin nicht neugierig, denn, prüfe es nur, das Giegel ift unverlegt! Und mit einem köſtlichen Lächeln reichte fie Bonaparte das Schrei- ben dar. Aber er nahm es nicht an. Brich das Siegel, meine Yofephine, fagte er weih. Bon Dir will ich erfahren, was in dem Brief fteht. Ift es eine üble Nachricht, fo wird fie minder berbe Flingen von Deinen Lippen, ift es eine Freudenbotſchaft, jo wird Deine Stimme fie mit der fchönften Mufit begleiten! | Sofephine nidte ihm zu mit einem zärtlihen, dankbaren Blick, und brach haſtig das Siegel. | | Jun, ich beſchwöre Dich, raſch, raſch! rief Bonaparte, bebend vor Ungeduld. Joſephine las: „Das ausübende Directorium vermuthet, Bürger General, daß Sie in Raſtatt angelangt ſind. Es iſt ungeduldig Sie zu feben, und -mit Ihnen die größten und vielfadhiten Interefen ua ⸗ 230 Baterlandes zu beſprechen. Es wünſcht daher, daß Sie ſelber die ausgewechſelten Ratifikationen nach Paris bringen, und uns benad- richtigen, welche Dispofitionen Sie für den Einmarſch unferer Truppen in Mainz getroffen, bamit derfelbe auf der Stelle, und ohne Verzug ftatt haben fann. Es wäre indeß möglich, daß Sie diefe Nachrichten durch einien Courier oder einen Adjutanten an uns abgeſchickt hätten: in diefem Fall wird man fie geheim halten bis zu Ihrer Ankunft. Die augenblidliche Reife, die Sie nadı Paris machen, wird zuerft das Ver⸗ langen des Directoriums erfüllen, Ihnen öffentlich feine äußerſte Zus frievdenheit zu bezeugen, und Ihnen gegenäber der erſte Dollmetfcher ber. nationalen Dankbarkeit zu fein. Es ift überdies nothwendig, daß Sie die Abfihten der Regierung genau erfahren, und mit ihr bie äußeriten Yolgen der großen Operationen, zu denen man Sie beftimmt bat, überlegen; alfo, Bürger General, Sie werben erwartet. Das ausübende Directorium wünſcht auch, daß Sie ihm mit dem rüd- fehrenden Courier, der Ihnen diefe Depefche Überbringt, ungefähr den Tag Ihrer, Ankunft beftimmen mögen. Barras. Im Namen des Directoriums." | Ä Mir werden ſogleich abreifen, rief Bonaparte freudeftrahlend. Um zugleich mit dem Courier anzulommen? fragte Joſephine lachend. Um fo aller Triumphe verluftig zu gehen, die Dir das danf- bare Baterland bereitet? Nein, mein ungeduldiger Freund, ‘Du wirft heute noch ruhig an der Seite Deiner Joſephine verweilen, und morgen erft werben wir abreifen. PVerfprihft Du mir das? Wohl, eö fei, rief er glühend vor Aufregung, wir werden morgen abreifen, um nad Paris zurüdzufehren. Mein Tagewerk in Italien ift vollbracht, jest wird es, fo Gott will, in Paris neue Arbeit für mich geben! | Deine Feinde werden bald Mittel finden, Dich wieder von dort zu vertreiben, wenn Du nit vorfichtig bift, und wenn fie fürdhten, daß Deine Arbeit ihnen felbft gefährlich wird. Es ift nichts gefähr- licher, als ein großer Mann zu fein, Heinen Seelen gegenüber. Sei befjen eingedent, mein Freund! Bonaparte fafte lebhaft ihre Hand. Glaube mir, Klee er le, n \ 231 fo wie ich in Paris bin, werde ich willen, was ih zu thun habe. Nicht zwei Jahre follen vergehen, ohne daß biefes ganze lächerliche Gebäude der Republif zufammenftürzt.*) | Und dann, rief Iofephine freudig, wenn Du dies erreicht haft, wenn Du daftehft ald Sieger auf den Trümmern der Republik, dann wirft Du auf denfelben ven Thron wieder aufrichten? j Sa, ich werde den Thron wieder aufrihten,**) fagte Bonaparte begeifterungsvoll. Und auf diefen Thron wird Dein Arm Denjenigen fegen, dem dieſer Thron gebührt. Ob, mein großmüthiger, edler Freund, meld)’ ein bimmlifher Zag wird es fein, wenn an Deiner Geite der König von Frankreich feinen Einzug in Paris hält, denn Du wirft e8 fein, * der den rehtmäßigen König Ludwig den Achtzehnten wieder zurückruft aus dem Eri. | Bonaparte ftarrte fie mit verwunderten Bliden an. Du glaubft Das? fragte er mit einem eigenthümlichen Lächeln. Ich zweifle nicht daran, fagte fie harmlos. Bonaparte kann Alles, was er will. Er hat in Italien Throne umgeftürzt, er kann in Frank⸗ reich den Thron wieder aufrichten! Ich fage es nod einmal, Bona- parte kann Alles, was er will! Und weißt Du denn, Du Heine Thörin, weißt Du, was id) will? fragte er. Ich will der große Regulator der Schidfale Europa’s fein oder ber erfte Bürger des Erbballs. Ich fühle die Kraft in mir, Alles über den Haufen zu ftürzen und eine neue Welt zu begründen; das erftaunte Weltall fol fi vor mir beugen und meine Geſetze annehmen müffen. Dann will ich die Elenden erbeben machen, die mich zwingen wollten, meinem Baterlande fern zu bleiben.***) Der Anfang. ift gemacht, und biefes elenve Gouvernement muß mid) fhon wider feinen Willen nad Paris zurüdberufen. Es foll bald nichts weiter mehr fein, als ein Werkzeug in meinen Händen, und wenn ich dies Werkzeug nicht *) Memoires d’un homme d’etat. Vol. V. 60. **) Bonaparte's eigene Worte. Memoires d’un homme d’etat. Vol. 70. “er, Bonaparte's eigene Worte. Le Normand ı Memoires. L ©. 24T. 232 mehr bevarf, jo werbe ich es zerbrehen! Dieſes Gouvernement von Advocaten hat Frankreich lange genug gebrüdt, es ift Zeit, daß man es fortjagt.*) | Stil, Bonaparte, um Gotteswillen, ftill, rief Iofephine ängſtlich. Laß Niemand hier Deine Pläne ahnen, denn wir find bier in dieſem Haufe umgeben von firengen und wüthenden Republikanern, welche Dich, wenn fie Deine Worte gehört, als Verbrecher beim Directorium verflagen würben! Pertraue Deine Pläne Niemanden außer mir, Bonaparte, bleibe aller Welt gegenüber der begeifterte- Republitaner, und erft, wenn die rechte Stunde gelommen ift, wirf deine Tunifa ab und laß Deine Königliche Uniform fehen! Bonaparte Iegte lächelnd feinen Arm um ihren Naden. Ia, Du haft Recht, fagte er, man muß verſchwiegen ſein. Seine geheimſten Gedanken muß man tief in ſeine Seele vergraben und ſie Niemand, ſelbſt ſeiner Geliebten nicht, verrathen! Aber komm, meine Joſephine, ich bin Dir noch meinen Dank ſchuldig für die frohe Botſchaft, die Du mir gebracht haſt. Du mußt mir ſchon erlauben, Dir zum Lohn einige kleine Geſchenke darzubringen. Schenke mir Dein Vertrauen und Deinen Glauben, und ich bin . überreich belohnt, rief Joſephine zärtlich. . Bon jegt an vertraue ih Dir für alle Ewigkeit, fagte er innig. : Wir gehören zu einander, und feine Macht der Erde und des Himmels fann uns von einanber trennen! Du bift Mein und ih bin Dein, und ba alfo, was Mein, aud Dein ift, fo mußt Du mir erlauben, Dir einen Schmud zu geben, den mir heute die Stadt Mailand zugeſandt bat. Einen Schmud? rief Iofephine mit leuchtenden Augen. Laß mid) ihn ſehen, ift er prächtig? | Bonaparte lächelte. Prächtig in den Augen Derer, welden der Ruhm Foftbarer erſcheint, als Brillanten und Perlen, fagte er, indem er zum Tiſch trat und ein Feines levernes Etui von demfelben nahm. Sieh, fagte er, dafielbe öffnend, es ift eine goldene Medaille, welde *) Bonaparte’8 eigene Worte. M&moires d’un homme Iätat. V. pag. 70. 233 die Stadt Mailand zu meiner Ehre hat prägen laſſen, unb auf welcher fie mir den Titel „der Italier“ decretirt. Sieb fie mir, rief Iofephine freudig, gieb, mein Italier! Laß mid diefen köſtlichen Schmud tragen, den Dir die öffentliche Gunft gewährt hat! Deffentlibe Gunft, fagte er ſinnend, öffentliche Gunft, fie ift fo leicht wie der Zephyr, To unbeftändig wie die Jahreszeiten, fie vergeht wie diefe, und wenn ber Norbwind fie bewegt, wird fie verfhmwinven!*) Er ſchwieg und blicdte ſtarr vor fi bin, dann fuhr er gelaflener fort: Was meine Thaten anbetrifft, fo ift e8 dem Griffel der Geſchichte vorbehalten, fie für unfere Enkel aufzuzeichnen. Sch werde entweder für ein Jahrhundert gelebt haben, oder ich werde vielleicht für al’ meine hohen Thaten nichts ernten als Schweigen und Bergeflen! Wer kann die Raunen. und die Gunft ver Gefchichte beredhnen? **) Er ſchwieg wieder und verfanf tiefer in ſich ſelbſt. Joſephine wagte es nicht, ihn aus feinem Hinbrüten zu weden, fie heftete ihre Augen auf die große goldene Medaille und war bemüht, die Infchriften . zu entziffern. Plöglih bob Bonaparte fein Haupt wieder empor und wanbte ‚ feine vüfteren Blide zu Joſephinen hin. Nicht wahr, fagte er, Du weißt, daß ich unter allen Mailändern dem Herzog von Fitalba immer den Vorzug gegeben, daß id mid) gewifjermaßen um feine Freund ſchaft beworben habe? Du haft ihm ftetS das feltenfte Wohlwollen gezeigt, ſagte Joſe— phine, auch iſt er Dir dafür mit treueſter Dankbarkeit ergeben! Dankbarkeit! rief Bonaparte ironiſch. Es giebt auf Erden keine Dankbarkeit, und der Herzog von Litalba iſt undankbar, wie ſie Alle ſind. Ich nannte ihn meinen Freund! Weißt Du, wie er mich dafür genannt, wie er von mir geſprochen hat? Oh, man hat Dir alſo wieder Verleumdungen hinterbracht, man hat Dich wieder geärgert, indem man Dir ſagte, was müßige Zungen erzählen und verbreiten! *) Bonaparte's eigene Worte. Le Normand. I. 261. **) Le Normand. I. 262. 234 Man fol mir Alles fagen, ich will Alles wiffen! rief Bonaparte heftig. Ich muß meine Freunde und meine Feinde fennen! Und id hielt Litalba für meinen Freund; ich glaubte ihm, als er mir mit . Thränen in den Augen fagte, wie tief ihn meine ‚Abreife ſchmerze, und wie innig er mich liebe! Ich glaubte ihm, und benfelben Tag fagte er in einem öffentlihen Caſino: „Jetzt enplid wird fih aus unfern Mauern dies Meteor entfernen, Das ganz allein fähig ift, ganz Europa in Brand zu fteden und die Funken feines revolutionairen Feuers bis an die äußerſten Enden der Welt Kinzufprühen." *) — Mich bat er gewagt, ein Meteor zu nennen, ein leudhtendes Nichts, das, indem es aufleuchtet, zerplagt und fi in Dunft auflöft! Ich werbe ihm und aller Welt beweifen, daß ich mehr bin, als das, und wenn ich ein Feuer Über Europa aufleuchten Laffe, fo fol es groß genug fein, um alle meine Feinde zu verbrennen. Dein Ruhm ift das Teuer, das Deine Yeinte verzehren wird, rief Joſephine lebhaft. Auf ihre Verleumbungen wirft Du nicht ant- worten, fondern Deine Thaten werden es für Dich thun. Achte nicht auf die Stinnme der Verleumbung, mein Stalier, fondern horche nur auf die Stimme Deines Ruhms. Er wird vor Dir herziehen nach Frankreich al8 ein Herold, er wird alle Gemüther mit Enthuflasmus erfüllen, und alle Herzen werden Dir zujaudyzen, Dir, dem Schlachten- fieger, dem Eroberer von Italien! | Ih will Dir den Herold zeigen, den ich heute mir vorausfenden will nach Franfreich, und den General Foubert in meinem Namen dem Directorium übergeben ſoll, rief Bonaparte. Es ift ein Herold, deſſen ftumme Sprache doch beredter ijt, als alle Siegeshymnen, mit denen fie mid) empfangen können! Warte hier, ich kehre fogleidh zu Dir zurüd! | | Er winfte ihr mit der Hand und ging eilend hinaus. Joſephine Ihaute ihm nad mit einem Ausdrud zärtliher Bewunderung. Welch ein kühner Geift, welch ein flammendes Herz! flüfterte fie leife. Wer *%) Le Normand. I. 262. 235 wird den Flug biefes Geiftes hemmen und diefen Flammen Stillſtand gebieten? Wer — Die Thür öffnete fih und Bonaparte kehrte zurüd, gefolgt von einigen Dienern, welche eine aufgerollte Yahne trugen. In der Mitte des Zimmers angelangt, nahm er ihnen biefelbe ab und winkte ihnen, hinauszugehen. Dann, als die Thür fi hinter ihnen gejchlofien, entrollte er mit vafcher, fefter Hand die Fahne, daß fie rauſchend über feinem Haupte empor flatterte. Ah, das ift der folge Sieger von ber Brüde von Arcole, rief Joſephine entzüdt. So mußt Du ausgefehen haben, als Du ihnen voranjdhritteft in den Kugelregen, die Fahne body empor ſchwingend in Deiner Rechten. Ob, Bonaparte, wie [hin Du bift unter ver Glorie Deiner Siegeöfahne! Sieh nicht auf mich, fagte er, fieh auf die Fahne! Kommenden Geſchlechtern mag fie dereinft als ein Mährchen erfcheinen, als ein Monument aus der alten Fabelzeit, und doch enthält dies Monument nur Wahrheit und Wirklichkeit! Das Directorium fol dieſe Fahne in feinem Sigungsfaal aufhängen, und wenn fie meine Thaten ableugnen wollen, fo werde ich hindeuten auf diefe Fahne, und fie wird ihnen fagen, was bie franzöfifhe Armee und ihr General in Italien zu Stande gebradt. Sofephine betrachtete mit fhweigender Bewunderung die Föftliche Fahne. Sie war von fchwerften weißen Seivenzeug, eingefaßt mit einem breiten Rande von blau und rother Farbe. Große Adler in Solpftiderei, mit Evelfteinen verziert, befanden fih in allen Eden beider Seiten, friegerifhe Embleme, in kunſtvoller Malerei ausgeführt, zogen fi arabesfenartig innerhalb des farbigen Randes hin, und inmitten derfelben waren Infchriften mit großen goldenen Lettern auf- gezeichnet. Lies dieſe Infchriften, Iofephine, fagte Bonaparte gebieterifch, mit erhobenem Arm darauf hindeuten. E8 ift ein einfacher, kurzer Abriß ver Geſchichte unfers italienifhen Feldzugs. Lies laut, Iofephine, Taf mid) von Deinen Lippen das Triumphlied meiner Armee vernehmen! doſepbine faßte mit beiben Händen die goldene Schnur, wÄahe 236 von dem flatternden Ende der Fahne nieverhing, und hielt fie damit feft und gefpannt. An den goldenen Stiel ver Fahne, die er mit beiden Händen umklammerte, ftolz angelehnt, hörte Bonaparte lädelnd und mit bligenden Augen Joſephinen zu, als ſie jetzt las: „150,000 Gefangene; — 170 eroberte Fahnen; — 550 Kanonen⸗ ftüde; 600 Feldſtücke; — 5 Brüden- Equipagen; — 9 Schiffe von 64 Kanonen; — 12 Fregatten von 32 Kanonen; — 12 Corvetten; — 18 Galeeren; — Waffenftiliftand mit dem König von Sardinien; — Convention mit Genua; — Waffenftilliftand mit dem Herzog von Parma; — Waffenftillftand mit dem König von Neapel; — Waffenftilftand mit dem Papſt; — Präliminarien von Roeben; — Convention von Montebello mit der Republif von Genua; — Friedens -Bertrag mit dem Kaifer in Campo Formio.“ „Die Freiheit gegeben den Völkern von Bologna, Ferrara, Modena, Maſſa Carrara, der Romagna, der Yombardei, von Brescia, Bergamo, Mantua, Cremona, Chiavenna, Bormio und dem Bateline; den Völkern von Genua, den faiferlihen Bafallen, ven Völkern des Departements von Corcyra, des Aegeifhen Meeres und Ithaka's.“ „Nach Paris gefhict alle Kunftwerke von Michel Angelo, Guercind, Titian, Baul Beronefe, Correggio, Albano, den beiden Carracci, Ra- phael und Leonardo da Binci.” *) Ab, mein Freund, rief Joſephine begeiftert, das ift ein Blatt aus der Weltgefhichte, Das ber Sturmwind von Jahrhunderten nicht ver- wehen wird! Bonaparte neigte langfam die Fahne nieberwärts, daß ihre Spite faft die Erde berührte, und ftarr vor fih Hinblidend, murmelte er leife: „gleich den Blättern im Winde, fo find die Geſchlechter der Menſchen; Blätter wehet zur Erbe der Wind, und**) — doch ftill, *) Diefe wunderbare Fahre warb im Situngsfaal des Directoriums auf- gehangen, fo lange bafjelbe im Rurembourg tagte. Später begleitete fie bie brei Confuln in die Tuilerien und ſchmückte Dort den großen Empfangsfaal. Jetzt befindet fie fi im Invalidendom in ber Kapelle, in welcher der Sarg Napo- leon8 ftebt. **) Homer. 237 unterbrach er ſich felber, ich werde meinen Namen auf jeben Fels und jeden Berg von Europa fchreiben, und ihn mit fo ehernen Klammern befeftigen, daß fein Wiud ihn vertreiben fol! Heba, Ihr da draußen, rollt die Fahne wieder auf und legt fie in ihr Futteral! | Die Diener eilten auf den mächtigen Feldherrnruf herbei und trugen die Fahne wieder hinaus. Bonaparte wandte ſich lächelnd wie- der feiner. Gemahlin zu. Ich verſprach Dir einige Geſchenke, fagte er, und ih habe Dir erft die Mevaille gegeben. Das Beſte habe ih noch zurüdbehalten. Marmont hat mir die Statue der heiligen Madonna gefandt, weldye er aus Xoretto entführt hat. Du haft alfo mein Flehen doc nicht erhört, rief Iofephine ſchmerz⸗ vol. Auch die Güter der Kirche und des heiligen Baters zu Rom find nicht fiher gemejen vor den Händen der Sieger! Das ift Das Recht des Krieges, fagte Bonaparte, wehe den Orten, die er durdjchreitet. Aber beruhige Di, Sofephine, ich babe dem heiligen Bater nur das Ueberflüffige genommen, das er leicht entbehren kann. Ic babe ihm nur fein Silberzeug, feine Kleinodien und Dia- manten entführt, ihn auf die Einfachheit der Apoftel zurüdführenn, und id bin gewiß, der gute Mann wird es mir Danf willen. Ueber- dies ift e8 ja nur. das Heil feiner Seele, das ih mit allem dieſem erftrebt babe, und eines Tages wird ihn der römiſche Martyrologe für feine eble Uneigennügigfeit in die Zahl der Heiligen aufnehmen.*) Die Koſtbarkeiten und das Gold habe ich nach Paris geſandt, ebenſo die Statue der Madonna von Loretto, aber einige Reliquien habe ich für Dich, Joſephine, zurück behalten. Sieh hier die koſtbarſte von allen. Er reichte ihr ein kleines zuſammengefaltetes Papier dar; Joſephine öffnete es haſtig, und fragte dann verwundert: Ein Stück ſchwarzes, moirirtes Wollenzeug? Und das iſt eine Reliquie? Und noch dazu eine ſehr koſtbare! Der größte Schatz von Loretto! Es ift ein Stüd von dem Kleide ber Jungfrah Maria, mit welchem *) Bonaparte’s eigene Worte. Le Normand. I. 243. 238 fie um den Heiland getrauert hat.*) Bemwahre Dir diefe Reliquie wohl auf, meine Joſephine, und möge fie Dich behüten vor jedem Un- heil und jeder Gefahr! Sofephine faltete das Stüdchen Zeug zufammen, und ein großes Medaillon öffnend, das an. jchwerer goldener Kette um ihren Hals bing, legte fie die Reliquie hinein und ſchloß ‚die Kapfel wieder. Das ſei das Sanctuarium meiner Reliquie, fagte fie, ich werde fie bewahren bis zu meinem Tode! Was ſprichſt Du vom Tode? rief er faft unwillig. Was haben wir zu fhaffen mit dem Tode, wir, denen das Leben noch fo Vieles zu erfüllen und zu bieten hat! Wir fehren nah Paris zuräd, und fo Gott will, erwartet uns dort eine große Zukunft! So Gott will, eine glüdlidye, fagte Iofephine innig. Oh, Bona- parte, wie freue ich mich, wieder einzuziehen in unfer liebes Heines Hötel in der Aue Chanteraine, wo wir die erften glüdlichen Tage unferer Liebe verlebt haben! Nein, Joſephine, rief er lebhaft, dieſes Heine Haus ziemt ſich nicht mehr für den Sieger von Italien. Ich bin nicht mehr der arme General, der nichts befaß als feinen Degen, ich fehre zurück reich an Ruhm und auh nicht arm an Geld. Es hätte in meiner Macht geftanden, mir die Beute vieler Millionen zuzueignen, aber ich ver- ſchmähete das Geld ver Beute und der Beftehungen, und das Wenige, was ich befige, ift auf ehrlihem und ritterlihem Wege gewonnen. **) Aber diejes Wenige ift genug, um uns eine glänzende Eriftenz zu *) Le Normand. I. 245. | **) Bonaparte hat auf Helena zu Las Cafes gejagt, daß er aus Stalien nicht mehr als 300,000 France fir fi) mitgebracht habe. Bourrienne hingegen verfichert, e8 ganz gewiß zu wiſſen, Daß Bonaparte drei Millionen France heimgebracht habe, aber er fitgt hinzu, daß er biefe Summe nicht durch Unter» fohleife oder Beftechungen gewonnen, denn Bonaparte fei ein durchaus unbeftech- liher Adminiftrator gewejen. Aber man hatte die Minen von Ydria entbedt, man lieferte das Fleiſch die Truppen. Er wollte unabhängig fein, und er wußte beffer al8 irgend ein Anderer, daß man das nicht ohne Geld if. Er fagte in Bezug darauf oft zu mir: „ich bin kein Eapuziner, ih)“ Memoires de Bourrienne. II. 47. 239 fihern. Ich werde nicht eher zufrieden fein, als bis ich mit Dir ein Haus bewohne, das dem Eclat meines Namens entiprehend ift. Ich bedarf eines Palais, und ich werde mir baffelbe ausfchmüden laffen mit den in Italien von mir eroberten Fahnen. Dir allein, meine Joſephine, Dir allein übertrage id) bie Sorge, mir einen Palaft zu bezeichnen, der es würdig ift, mir von der Nation, die ich unfterblich gemadt habe, angeboten zu werden, und würdig zugleich einer Gattin, deren Schönheit und Anmuth ihn nur noch verfchönern fönnen.*) Komm, Joſephine, fomm nah Paris, uns diefen Palaſt auszujuchen. VI. Miniſter Thugut. Der Premierminiſter Baron von Thugut befand ſich in ſeinem Kabinet. Es war noch früh am Morgen und der Miniſter hatte daher fein Kabinet eben erſt betreten, um fein politiſches Tagewerk zu ber ginnen. Auf dem großen grünen Tiſch, vor weldem Thugut fi) eben niebergelaffen, lagen die Depefchen und Briefe, welche vie während der Nacht und des frühen Morgens angelommenen Couriere abgegeben, daneben aufgefchlagene Actenftüde und Verfügungen, die Thugut nur noch zu unterzeichnen hatte. Aber der Minifter würdigte alle biefe Bapiere gar nicht feiner Aufmerkſamkeit, jondern griff zuerft nach den Zeitungen und Journalen, die er mit großer Spannung zu lefen be⸗— gann. Während des Lefens nahmen feine ernften, ftrengen Züge einen noch ftrengeren Ausprud an und eine püftere Wolfe lagerte ſich auf feiner Stirn. Plötzlich ftieß er einen wilden Fluch aus, und das Zei⸗ tungsblatt, in welchem er eben gelefen, mit einer heftigen Bewegung zur Erde fchleudernd, fprang er von feinem Sig empor. *) Bonaparte’3 eigene Worte. Le Normand. I. 265. \ 240 Zu viel der Frechheit! Zu viel des Hohns! rief er zornig. Es ift die höchſte Zeit, dieſen Zeitungsfchreibern wieder einmal ein war- nendes Beifpiel zu geben, und bei Gott, fie follen es haben! Ih — Eben ward die Thür des Borfaals geöffnet und der eintretende Kammerdiener meldete den Polizeiminifter, Grafen Saurau. Baron Thugut befahl, ihn fofort einzulaffen, und ging dann dem Eintretenden lebhaft entgegen. Sie kommen meinen Wünfhen zuvor, lieber Graf, fagte er, ich war eben im Begriff, Sie rufen zu laſſen. Ew. Excellenz wiſſen, daß ich allzeit bereit bin, Ihrem Ruf zu folgen, fagte Graf Saurau mit geſchmeidiger Höflichkeit. Ich erfenne Sie an als meinen Herrn und Meifter, und obwohl unfere Stel- lung im Leben und Staatsdienſt faft eine gleiche ift, ordne ich mid) Ihnen willig unter und fühle mid als Ihren Untergebenen und Ihren Schüler. Und ich glaube, das iſt das Klügſte, was Sie thun konnten, mein lieber, kleiner Graf, rief Thugut mit einem rauhen Lachen. Sie ſind gut dabei gefahren, denke ih, ebenſo gut wie das ganze Staatsſchiff Defterreih, das fih meiner Führung anvertraut hat. Ya, ja, ber Sohn des Schiffsbaumeifters Thunichtgut hat Euch adlig Gebornen und ariftofratiihen Herren ein Beiſpiel gegeben, daß Geiſt und Talent nicht ausſchließliche Borrehte Eures Standes find, und daß man aus gemeinem Schiffsbauholz gar wohl einen Premierminifter ſchnitzen und aus einem bürgerlichen Thunichtgut einen hochadligen Freiheren von Thugut machen kann. Die große Kaiferin Maria The- refia hat an mir ſchon dieſes Wunder und biefe Taufe bewirkt, und id denke wohl, Defterreich hat es nicht zu bereuen gehabt. Der Sciffs- bauerfphn hat das Staatsſchiff bisher ganz gut durch alle Klippen ge- führt und wird e8 auch ferner führen, allen Grafen und Ariftofraten zum Trotz! Sie fehen, ich mache fein Geheimniß aus meiner Abkunft, ich rühme mich derfelben vielmehr, und Ihr habt alfo nicht nöthig, mich an das zu mahnen, was ich nie. vergeifen will! Ich fehe, daß miever etwas gejchehen ift, das Em. Excellenz in gerechten Zorn verfegt hat, rief Graf Saurau. 241 Und das Sie ohne Zweifel wiffen, da Sie Polizeiminifter find, fagte Thugut ironiſch. Garf Saurau zuckte die Achſeln. Ich bekenne, daß ich nicht errathe — Sie haben alſo heute Morgen noch nicht die Zeitungen geleſen? fragte Thugut höhniſch. Sie ahnen nichts von dieſem nichtswürdigen Angriff, den ein hochariſtokratiſcher Zeitungsſchreiber gewagt hat, gegen mich, ja ſogar gegen den Kaiſer zu richten? Ich bekenne, daß ich nicht ahne, wovon Ew. Ereellenz ſprechen wollen, ſagte Graf Saurau verlegen. Nun denn, hören Sie! rief Thugut, das Zeitungsblatt wieder vom Boden aufraffend. Hören Sie wohl zu, was ich Ihnen vorleſen will: „Zu einer Zeit, wo die Sehnſucht nach Frieden das ganze öſterreichiſche Volk belebt, wo unſere erhabene Kaiſerin Thereſia und unſer vielgeliebter Erzherzog Carl dieſe Gefühle des Volles theilen und denſelben Ausdruck verleihen vor den Stufen des Thrones und "denen gegenüber, welche das geliebte Oeſterreich mit dem Unheil und den Gefahren des Krieges überfluthen möchten, zu einer ſolchen ‘Zeit ſchaut man gern zuräd in die große Geſchichte unſers Baterlandes. und erinnert fi, was große und geniale, vom rechten Volksgeiſt be- feelte Mitglieder unfers Kaiferhaufes in frühern Zeiten ſchon für das Wohl und die Ruhe Oeſterreichs gethan haben, erinnert fi zum Bei- fpiel, wie im Jahre 1619 Oeſterreich wie jet von Feinden bedroht wear und am Vorabend eines Krieges fand. Nicht weil die Ehre und das Wohlergehen Defterreihs einen ſolchen Krieg nothwendig machten, fondern weil der ehrgeizige und hochfahrende Minifter, Cardinal Cleſel, ein bartnädiger Friedensfeind und taub daher gegen die Wünfche des Bolles war. Er war es, der allmädhtige Minifter, welcher den Krieg begehrte, er belagerte mit feinen Forderungen das Ohr des ſchwachen Kaiſers Matthias, und als Diefer vor Angft und Sorge erkrantte, verfolgte er ihn fogar mit feinem Kriegsgefchrei bis zu feinem Kranken⸗ lager hin. Da aber faßten die Erzherzöge, bes Kaiſers Brüder, einen kühnen Entſchluß. Bor dem Bett des Kaifers ergriffen fie den tüdi- ſchen Minifter, nahmen ihn gefangen und führten ihn auf das tyroliſche MbIBaq Napoleon. I. Ab. 18 242 Schloß Ambraß, wo er lange Jahre ſaß zur gerechten Strafe feines Hochmuthes und feines volfsfeindlihen Kriegsgelüftes! — Faſt funfzig Jahre fpäter gefhah Achnlihes. Wieder war es ein Minifter, der dem ganzen dfterreichifchen Volt zum Trotz den Krieg begehrte. Es war im Jahre 1673. Der Minifter, der damals das Ohr des Kaiſers Leopold beherrfchte, war der Fürft Lobkowitz. Aber die Kaiſerin Claudia erbarmte fich des Volks, das fchwer feufzte unter ber Hand des tyran⸗ nischen Minifters, Sie allein brachte e8 durch die Gewalt ihrer Rebe und ihrer Schönheit dahin, daß der allmächtige Fürſt Lobkowitz plötzlich aller Ehren und Würden entfegt und auf einem Strohwagen, vom jauchzenden Wiener Pöbel mit Koth beworfen, nad) der Feftung Raud nitz abgeführt ward, mit dem Verbot, bei Todesſtrafe niemals nach der Urſache feiner Beſtrafung zu fragen.’ *) - Nun? fragte Thugut, als er zu Ende gelefen. Was jagen Sie dazu? | Ich finde, daß das höchſt müßige, hiftorifhe Rückerinnerungen find, fagte Graf Saurau adhfelzudend, daß dieſe aber in gar feinem Zuſammenhang mit der Gegenwart ftehen! Das heißt, Sie wollen diefen Zufammenhang nicht zugeftehen, mein kleiner Graf, Sie wollen Sich den Anfchein geben, als wüßten Sie nit, daß diefer ganze Artikel gegen mich gerichtet ift, daß man das Volk gegen mich aufhegen und meinen Feinden Muth machen will, mit mir zu verfahren, wie man mit Cleſel und Lobkowitz verfahren ift. Man fpriht von den Erzherzögen, welche ven hartnädigen Friedens feind und Minifter geflürzt haben, von der Kaiſerin Claudia, welche ihre Gewalt über den Raifer benust habe, um einen allmächtigen Mi- niſter, ihren Feind, zu flürzen. Und Sie wollen nit einfehen, daß man damit den Erzherzog Carl und die Kaiferin Therefia ermuthigen will, auch fo zu handeln, wie Jene gehandelt haben? Sie Beide ftehen an der Spige der Friedenspartei, fie Beide wollen Frieden mit Tranfreih, und in ihrer Dummheit und Einfalt ſchwärmen fie für biefen. franzöfifhen General Bonaparte, den fie „den Italier“ nennen, *) Sormayr: Rebensbilder aus dem Befreiungskriege. I. 321. 243 nicht bedenkend, daß er vielleicht eines Tages fih auch „ben Auftrier” nennen wird, wenn wir ihm nicht energiſch entgegentreten und feiner Eroberungsſucht eine Grenze fegen. Man möchte mich befeitigen, wie man den Minifter, Carbinal Cleſel, befeitigt bat. Aber noch halte ih das Ruder, und ich bin nicht gewillt, es fallen zu Laffen! Es wäre auch ein maßlofes Unglüd für Defterreih, wenn Em. Ercellenz das thäten, fagte Graf Saurau mit feiner janften, fchmeich- lerifhen Stimme. Auch werben die Kaiferin Therefia und der Erz herzog Carl nichts unternehmen wollen gegen Ew. Ercellen;. Und wenn fie es wollen, fo werde ich e8 nicht dulden, rief Thugut. Wer wider mid) ift, der möge ſich wohl hüten, daß mein Elephanten- ihritt ihn nicht in die Erde flampft, er fei, wer er fei. Ich hafle biefes prahlerifche, wühlerifche Frankreich, und Frieden mit ihm halten heißt die Ideen der Revolution und des Umfturzes zu uns herüber- ziehen! — Die kurzfihtigen Menfchen wollen das nicht einfehen und fie find meine Feinde, weil ich der wahre Freund Defterreihs bin! Aber weil id das bin, muß ich auch alle Diejenigen befämpfen, welde e8 wagen wollen, fih mir in den Weg zu ftellen und mich zu hindern, denn fie hindern und befämpfen in mir Defterreih! — Bor allen Dingen und zuerft gilt e8, diefe Zeitungsfchreiber und Fiteratoren aus dem Wege zu räumen; es find aufgeblajene anmafende Gejchöpfe, die fih einbilden, Alles verftehen, Alles beurtheilen zu können, und ſich berufen fühlen, über Alles mitzuſprechen, weil ſie eine Gänſefeder zu führen verſtehen. Das Beſte wäre, die Zeitungen und Journale ganz und gar zu unterbrüden und aufhören zu laffen! Wir, vie wir bie Politik machen, bebürfen der Zeitungen nicht, Die doch nur Die wieder⸗ käuenden Ochfen deſſen find, was wir gegeflen und ſchon verbaut haben; das Volk aber verfteht nicht8 davon und braucht aud nichts davon zu verftehen. Das Volk ift da, um zu arbeiten, zu gehorden, Steuern zu zahlen, und wenn es fein muß, fi für feinen Fürften todtfchlagen zu laſſen; eine andere Politit braucht e8 nicht zu kennen, denn fie jchadet feinem Gehorfam. Fort alfo mit diefem ſchädlichen Ge- würm von Literatoren und Zeitungsfchreibern, welche fi herausnehmen, mit ihrem politiihen Gewäſche das Bolt Eng zu maden. Ad, ich 16* 244 will diefen Grafen Erlach lehren, ein Zeitungsfchreiber zu werden und den Leuten Entremets von hiftorifhen Erinnerungen aufzutifhen! Er fol fie mir in feinen eigenen Hals hinein verfhluden müſſen, daß ihm für immer dabei der Athem vergeht. Dieſer Artikel, ven Em. Ercellenz lafen, ift vom Grafen Erlach? fragte Graf Saurau erjchroden. Da, feine Name fteht mit großen Buchftaben darunter, rief Thugut veräcdhtlih, er hat fi nicht einmal die Mühe gegeben, ihn zu ver- bergen. Wir werben ihm unfern Danf fagen müſſen für feine Xuf- richtigfeit, und ich hoffe, Sie übernehmen es, ihm denſelben aus- zudrüden. Was wollen Ew. Excellenz, daß ich thun foll? fragte die Bolizer- minifter ängftlih. Ich glaube, e8 wäre nicht wohlgethan, es zu einen offenen Eclat zu bringen. Wer fpriht von einem offenen Eclat, rief Thugut lachend. Liebe ich das Eclatmachen, das den Leuten nur Stoff zu müßigem Gefchwätz giebt? Beſinnen Sie Sich doch ein wenig, mein lieber Meiner Graf! Was thaten wir zum Beifpiel mit dem neapolitaniihen Grafen Mion- talban, der uns unbequem ward und Einfluß auf den Kaifer zu ge- winnen tradhtete? Klagten wir ihn des Hochverraths an? Befchul- bigten wir ihn? Mir ließen ihn verfchwinden, Niemand wußte, wo der intereffante, Thöne Graf geblieben war! Mean fprad drei Tage davon, und dann vergaß man e8.T) Mein Lieber, e8 geht nichts über die Dublietten und das Verſchwinden! Ich habe Ihnen das ſchon oft gepredigt, und Sie vergeffen es immer wieder! Gewalt! Wer wird fol ein Thor fein, durch offene Gewaltftreiche feine Heinen Ge- heimniffe zu verrathen. Wir jtehen ja auf der Bühne des Lebens, und da giebt e8, wie auf jeder andern Bühne, Verſenkungen, durch welche diejenigen verfchwinden, welche nicht mehr zu fpielen haben! Bedienen wir uns alfo einer ſolchen Verſenkung für den politifirenden Grafen Erlach! . Ich befhwöre Ew. Excellen;, üben Sie dies Mal Schonung, *) £ebensbilber I. 321. 245 rief Graf Saurau dringend. Der Graf Erlach ift ein perfönlicher Freund des Erzherzogs Carl, und aud die Kaiferin Therefe will ihm wohl! | Um fo mehr ift es nothwendig, ihn verfhwinden zu laffen und mic auf diefe Weife zu bedanken für die Obrfeigen, die fie mir mit ihren biftorifhen Notizen geben wollten. Dieſer Erlach ift überhaupt ein widerlicher Menſch, der gern ven unbeftehlihen Römer fpielen und durch feine Tugend glänzen möchte! Es giebt aber nichts Rangweili- geres und Unausftehliheres als einen tugenphaften Menſchen, ven man nirgends fallen kann! Diefer hat hier eine Blöße gegeben, fallen und halten wir ihn! Er hat weitverzweigte Verbindungen, mädtige Gönner, Excellenz. Wenn er verjhwindet, werden fie Zeter fchreien, und ſich ein Geſchäft daraus machen, ihn zu fuchen, und wenn fie ihn nicht finden, werben fie fagen, daß wir ihn vernichtet haben, weil Ew. Ercellen, ihn fürchteten! Ich ihn fürchten! rief Thugut lachend. Als ob ich mich jemals gefürchtet hätte, als ob ich jemals erſchrocken wäre! Selbſt ein Erb- beben würde nicht im Stande ſein, mir Schrecken einzuflößen, und wie Fabricius würde ich mich nur ganz langſam nach dem verdeckten Ele- phanten des Pyrrhus umſehen. Nein, ich kenne keine Furcht, aber ich will, daß Andere Furcht empfinden, und deshalb muß dieſer Graf Erlach bei Seite geſchafft werden. Nun wohl denn, ſchaffen wir ihn bei Seite, rief Graf Saurau, aber auf einfache Weiſe, und vor Aller Augen! Glauben Sie mir dies Mal, Excellenz, ich kenne das Terrain, auf dem wir ſtehen, ich weiß, daß es unterminirt und bereit iſt, zu explodiren, um uns in die Luft zu ſprengen. Graf Erlach's Verſchwinden wäre die brennende Lunte, welche leicht die Explofion bewirken könnte. Hüten wir ung alfo! Schaffen wir ihn über die Grenze, drohen wir ihm mit dem Tode, wenn er jemal8 wieder wagen follte, Defterreich. zu betreten, aber laſſen wir ihn frei und unbeſchädigt ziehen! Nun denn, es fei, ih will Ihnen den Willen thbun, mein lieber ängftlicher Freund! Laffen Sie Erlach heute no green und Vor, 246 zwei Polizei-Commiffare über die Grenze bringen, und proben Sie ihm mit dem Tode, oder mit mir, was für ihn gleihdeutend fein wird — wenn er zurüdfehrtt. Sorgen Sie au durch unfere Freunde dafür, daß die Scribler und Zeitungsfchreiber erfahren, weshalb der Graf Erlach fortgejagt if. Die Klugen und Vorſichtigen werden fi da- durch warnen laffen und fjchweigen, die Dummen und Tollfühnen werden Zeter fchreien, und wir werben dadurch Gelegenheit finden, auch ihrer habhaft zu werden. Es ift aljo abgemacht, transportiren wir den arifiocratiihen Zeitungsjchreiber, und damit fei die Sache beendet. *) Aber ich werde weitere Genugthuung nehmen für dieſe Artikel ver Zeitung. Ob, die neue Raiferin Claudia und der Erzherzog follen es erfahren, daß ich Fein Elefel oder Lobkowitz bin, den man durch eine Intrigue befeitigen kann. Ich werde nod) heute mir von dem Kaifer einen Befehl erwirken, der den Erzherzog des Dberbefehls bei der Armee entbindet und ihn in Ruheſtand verfegt. Er will ja durchaus Frieden und Ruhe, nun, fo möge er fchlafen und träumen, während wir wadhen und handeln. Ich brauche einen friegesmuthigen, ent- fchloffenen General an der Spige der Armee, einen Franzofenfrefler, nicht einen Franzoſenfreund! Was aber die Kaijerin anbetrifft, jo — Ercellenz, unterbrady ihn Graf Saurau mit geheimnißvoller Miene, ih kam hierher, um mit Ihnen von der Kaiſerin zu ſprechen und Sie zu warnen. Oh, mich zu warnen! rief Thugut mit ſtolzer Verachtung. Was giebt es denn Neues? Sie wiſſen ohne Zweifel, daß die Kaiſerin Thereſia von ihrem Wochenbett völlig wieder hergeſtellt iſt, und bereits ſeit acht Tagen Audienzen ertheilt. | As ob ih nicht der Erfte geweſen wäre, der zur Aubienz und - zum gnädigen Handfuß zugelaflen worden! rief Thugut achjelzudend. *) Der Graf Erlach warb wirklich wegen feines Zeitungsartifel® durch zwei Polizei-Commiffare über die öfterreichiiche Grenze deportirt. Erſt nach Thugut's Rücktritt, 1801, durfte er nach Oeſterreich und Wien zurückkehren. Lebens⸗ #ifber. I. 321. 247 Auch die Herren Geſandten hat die Kaiferin bereit8 empfangen, fuhr Saurau fort. Den Gefandten ver franzöfifhen Republik, General Bernabotte, fogar zwei Mal. Thugut warb aufmerffam und heftetete feine ftechenden Heinen Augen mit einem gejpannten Ausdruck auf den Polizeiminifter. Zwei Mal? fragte er. Und willen Sie, was in biefen beiden Audienzen gejprochen worden? Ercellenz, ih müßte ein ſehr ſchlechter Bolizeiminifter und fehr un- genügend von meinen geheimen Agenten bedient fein, wenn id es niht wüßte! Nun denn, laffen Sie hören, mein lieber Graf. Wovon unterhielt fih die Kaiferin mit Bernadotte? In der erjten Audienz hielt der General Bernadotte zuerft jeinen officiellen Vortrag, und die Kaiferin hörte ihm mit düſterer Miene zu. Alsdann ging man zu ungezwungenerer Unterhaltung über, und Berna- botte verficherte die Kaiſerin, daß Frankreich durchaus feine Feind⸗ jeligfeiten gegen ihr Geburtsland Neapel beabfichtige. Er fei fogar, dies waren feine eigenen Worte, vom Directorium der Republif beauf- tragt, Ihre Majeftät officiel zu verfihern, daß dieſelbe fih in Hinficht auf Neapel durchaus beruhigen könne, denn Frankreich hege nur freund liche Abfihten in Bezug auf daſſelbe. — Das Antlig der Kaiferin Härte fi fofort auf, und fie antwortete Dem General in fehr gnädigen Ausdrüden, erlaubte ihm auch auf feine Bitte, feine Befuche bei Ihrer Majeftät erneuern zu dürfen, jo oft er ihr irgend eine Mittheilung zu machen habe. Diefe erfte Audienz kannte ich bis auf den Schlußſatz, fagte Thugut gelaſſen. Aber gerade dieſer Schlußſatz, Excellenz, iſt von höchſter Bedeu⸗ tung, denn die Kaiſerin gewährt damit dem franzöſiſchen Geſandten beinahe vollkommen freie Entree in die Gemächer. Er darf kommen, fo oft er ihr eine Mittheilung zu machen habe. Es fcheint, der Herr Gefandte hat viele Mittheilungen zu madhen, denn zwei Tage nad) der erften Audienz, aljo gejtern, war der General Bernabotte 248: ſchon wieder in ber Softurg, um eine Audienz von der Kaiſerin zu erbitten.*) Und die Kaiſerin nahm ihn an? fragte Thugut raſch. Sie nahm ihn an, Ercellenz! Dies Mal begnügte ſich der Herr Geſandte niht mehr mit allgemeinen Phrafen und Redensarten, fon- bern er warb fehr offenherzig. Er geftand der Kaiferin, daß Frank: reich nichts fehnlicher wünſche, als den Frieden, fowohl mit Neapel, als auch mit Defterreich aufrecht erhalten zu Tünsen, daß dazu aber aud ein Entgegenfommen, namentlich Defterreihs, dringend nothwendig jei. Dies laſſe indeß Oeſterreich dringend vermiffen und hege durchaus feinpfelige Apfihten gegen Frankreich. Als die Raiferin aber eine nähere Erklärung diefer Worte begehrte, hatte Bernabotte die Kühnbeit, ihr ein Memoire zu überreichen, daß gegen die Politit Eurer Ercellenz gerichtet war, und in welchem, wie der Gefandte jagte, er im Auftrag des Directoriums fich bemüht habe, nachzuweiſen, daß die Politik des Minifters von Thugut durchaus unvereinbar fei mit einem Syſtem guter Intelligenz und Harmonie zwifchen Defterreih und Frankreich, und daß ohne dies Syſtem das Scidfal Neapeld immer nur ungewiß bleiben Eönne. Was antwortete die Kaiferin? fragte Thugut, deffen Mienen auch nicht eine Spur von Aufregung oder Zorn verriethen. Ihre Mojeftät antwortete, fie würde das Memoire mit der größten Aufmerkſamkeit leſen und den Befig defjelben vor Jedermann geheim halten. Sie fügte hinzu, fie fürchte indeß, daß felbft, wenn das Memoire fie audy von der Unzwedmäßigkeit der Politik des Minifters von Thugut Überzeugen möchte, e8 doch ſchwer, wenn nicht unmöglich fein möchte, ven Kaiſer zu ähnlicher Anfiht ver Dinge zu bewegen, da derſelbe unbedingtes Vertrauen in feinen Bremierminifter fege und voll- fommen von der Treue, Reblichkeit und Unbeftehlichkeit Eurer Excellenz überzeugt ſei. — Nach diefer Antwort näherte fi Bernabotte der Raiferin um einige Schritte und ſchaute ſich vorfichtig und fpähend im *) Memoires d’un homme d’etat. V. 485, 249 Zimmer um, gleihfam, um ſich zu überzeugen, daß Niemand außer der Raiferin feine Worte hören könne. Alsdann — Nun, was zögern Sie? fragte Thugut haftig. Meine Zunge fträubt fih, die Berläumdungen zu wiederholen, welche der franzöfifhe Geſandte auszufprechen ſich erfühnte. Gebieten Sie Ihret Zunge, daß fie ſich nicht länger fträube, und laſſen Sie mid) hören, rief Thugut ironisch. Alfo, mit Ihrer Erlaubniß, Excellenz. Jetzt neigte Bernadotte fich faft bis an das Ohr der Raiferin und halb flüfternd fagte er zu ihr: das Directorium von Frankreich ſei in Beflg von Papieren, welche den Minifter Thügut compromittiren und den unmwiberleglichen Beweis führen würden, daß Minifter Thugut durchaus nicht unab- hängig und reblid in feiner Geſinnung fei, fondern im Solde aus- wärtiger Mächte, namentlih Englands und Rußlands, ftehe, die ihn mit Millionen dafür bezahlten, daß er die Feindſchaft Oeſterreichs gegen Tranfreih immer neu anfadhe! — Bernadotte fügte hinzu, daß diefe Bapiere ſchon unterwegs feien und mit dem nächſten Courier bier in Wien eintreffen würden. Er erlaubte fi die Anfrage, ob die Kaiferin ihm geftatten wolle, daß er ihr diefe Papiere übergebe, um biefelben durch fie in die Hände des Kaiſers gelangen zu laſſen. Und die Kaiſerin? Die Kaiferin verſprach es und ſicherte dem Geſandten eine dritte Audienz zu, ſobald er im Beſitz jener Papiere ſei und um die Audienz nadfuche. *) Sind Sie zu Ende? fragte Thugut mit der größten Gelaſenheit. Noch nicht ganz, Excellenz! Es bleibt mir noch übrig, Ihnen zu melden, daß der von Bernabotte erwartete Courier in dieſer Nacht im franzöfiihen Geſandtſchaftshötel eingetroffen ift, und daß der Geſandte fogleih von feinem Lager aufgeftanden ift, um felber die Depefchen in Empfang zu nehmen. Heute Morgen in aller Frühe herrſchte ſchon eine außerorbentlihe Thätigkeit im Geſandtſchaftshötel, und fomohl der erfte Attache, wie auch der Secretair der Geſandtſchaft, verließen *) Memoires d’un homme d’etat. V. 2%. 250 frühzeitig das Hötel. Der erftere begab fi mit einem Brief Berna- dotte's nad) Larenburg, wo die Kaijerin, wie Em. Ercellenz wiflen, feit einigen Tagen mit ihrem Hof refipirt. Nach einer Stunde fehrte er zurüd und überbradte dem General die mündlihe Antwort der Kaiferin, daß diefelbe in drei Tagen, nad dem Feſt der Freiwilligen, nad Wien zurückkehre und alsdann fofort bereit fei, dem Geſandten eine Audienz zu ertheilen. . Und wohin begab fidh der Secretair der franzöſiſchen Geſandiſchaft? Zuerſt zu einem unſerer renommirteſten Militairſchneider und dann in ein Manufacturwaarengeſchäft. Bei dem Schneider beſtellte er eine Fahne, welche heute Abend noch fertig ſein ſoll, und bei dem Seidenwaarenhändler kaufte er die Stoffe zu dieſer Fahne, blau, weiß und roth. — Jetzt, Excellenz, bin ich zu Ende mit meiner Relation! Ich geſtehe Ihnen, Herr Graf, daß ich Ihnen mit der innigſten Freude und Genugthuung zugehört habe und nicht umhin kann, Ihnen meine lebhafteſte Bewunderung auszuſprechen über die Wachſamkeit und Energie Ihrer Polizei, welche nicht blos die Vergangenheit und Gegenwart, ſondern auch ſogar ſchon die Zukunft ergründet. Alſo in drei Tagen wird der Geſandte Frankreichs eine Audienz bei der Kaiſerin haben? Ja, Excellenz, und er wird ihr in derſelben die bewußten Papiere vorlegen! Wenn er dergleichen in ſeinem Beſitz hat, mein Freund! Papiere, welche mich compromittiren ſollen! Als ob es ſolche Papiere gäbe! Als ob ich jemals ein ſolcher Dummkopf geweſen, einem Fetzen Papier Geheimniſſe anzuvertrauen und ihm zu verrathen, was nicht Jedermann wiſſen darf. Wer Geheimniſſe ſicher bewahren will, und ich verſtehe mich darauf! der wird ſie dem Papier eben ſo wenig verrathen, als dem Menſchenohr. Meine eigenen Haare würde ich verbrennen, wenn ich glaubte, daß die Gedanken meines Kopfes in ſie transpirirten! Ich wäre in der That ſehr begierig, dieſe Papiere zu ſehen, welche Ber⸗ nadotte — Das heftige Eintreten des Kammerdieners unterbrach den Mi⸗ 251 niſter. Ercellenz, fagte er, ver Herr Gefandte der franzöfifchen Re⸗ publif, General Bernadotte, wünſcht Se. Excellenz in einer wichtigen und dringenden Angelegenheit ſogleich zu fprechen. Thugut wechfelte mit dem Grafen einen rafchen, lächelnden Blick. Führen Sie den Herrn Gefandten in den Salon und fagen Sie, daß ih fogleidy kommen werde! Nun? fragte er, als der Kammerbiener fi entfernt Hatte. Glauben Sie nun no, daß Bernadotte Papiere hat, bie mich com- promittiren? Würde er fonft hierher fommen? Ohne Zweifel denkt er, auch mir fein albernes Mährchen zu erzählen, oder mich einzu: ſchüchtern mit den Aubienzen der Raiferin, damit ich auf Frankreichs Wünjche eingehen und mid fügfamer zeigen jol! Aber man wird fi) geirrt haben! Ich fürchte weder die Aubienzen der Kaiferin, nod) vie Papiere Bernabotte’s, und ich gehe unerfchütterlih meinen Weg vorwärts! Go Gott will, wird mid dieſer Weg bald zu einer Stelle führen, wo man bequem eine Schlacht gegen biefe über- müthigen Franzojen beginnen kann! Kommen Sie, lieber Graf! Begleiten Sie mid bis in das nächſte Zimmer! Ich werde bie von vemfelben in ven Salon führende Thür ein wenig offen laffen, denn ich wünfche, daß Sie ein ungefehener Zeuge meiner Unterrebung mit dem Gefandten fein können! Kommen Sie! VII. Das Jeſt der Freiwilligen. Er nahm gelaſſen den Arm des Grafen und ging mit ihm in das anftoßende Zimmer. Mit einem Wink feiner Hand auf einen Seſſel hindeutend, der da unfern ber andern Thür ſtand, ſchritt er dann raſch vorwärts und trat allein in ben Salon ein.‘ 252 Der junge General Bernabotte näherte fih ihm in fteifer, würde⸗ voller Haltung, und auf feinem jugendlich fchönen Antlit lag ein Aus⸗ druck kühnen Trotzes, offener Feindſeligkeit. — Thugut hingegen hatte ein Lächeln auf feine Lippen gerufen und, feine Blicke waren vol außerorbentliher Milde und Freundlichkeit. Wie glücklich ich bin, den Herrn Gefandten zu jo unerwarteter Stunde bei mir zu fehen, jagte er freundlid. Wahrlih, das ift eine Auszeichnung, um welde mid, alle unfere fchönen Damen beneiden werden, und ich fürchte, General, Sie werden das ſchöne Geſchlecht, weldyes mir niemals feine Gunft ſchenken mochte, noch mehr gegen mich erbittern, denn ſicherlich trage ich jeßt die Schuld, wenn einige unferer fchönften Damen Sie vergeblich zum Rendezvous erwarten. Ich pflege bei allen meinen Rendezvous pünktlich zu fein, Excel: lenz, jowohl bei denen mit den Waffen in der Hand, als auch bei benen, welche Ew. Ercellenz erwähnen und alfo vorzugsmeife zu lieben feinen, fagte Bernabotte ernft. Indeſſen fomme ih auch zu Em. Ercellenz; im Auftrag einer Dame, im. Auftrag ver franzöſiſchen Nepublit! Und das ift in ber That eine fehr erhabene, fehr große Dame, vor weldyer alle Welt ſich ehrfurchtsvoll neigt, fagte Thugut lächelnd. Ich wollte mir alfo im Namen der franzöfifhen Republik und bes. Directoriums erlauben, Ew. Ercellenz zu fragen, ob es gegründet ift, daß man hier in Wien morgen ein Volfsfeft begehen will? Ein Boltsfeft? Ei, mein Herr General, ich hätte nicht geglaubt, daß die franzöfifhe Republik ein fo lebhaftes Intereſſe an den Volks» feften der Deutfchen nehmen würde! Aber ich muß mir erlauben, General, Ihnen zu fagen, daß. Sie Sid; mit diefer Frage gütigft an den Herrn Grafen Saurau wenden müffen. Denn der Herr Bolizei- minifter hat die Pflicht, fih für dieſe unſchuldigen Beluftigungen und harmlofen Feſte des Volkes zu intereffiren! Das Felt, von weldem ich rede, ift weder eine unfchuldige Be— luftigung, nod ein harmlojes Felt, rief Bernadette haftig, das ift vielmehr eine politifche Demonftration. 253 Eine politifhe Demonftration? wiederholte Thugut erftaunt. Bon wem? Und gegen wen gerichtet? Eine politifhe Demonftration Defterreihs gegen die franzöftfche Republik, fagte der General ernft. Em. Ercellenz fagen zwar, daß Sie wihts wifjen von dieſem Weit des dreizehnten April, indeß — Erlauben Sie, unterbrad, ihn Thugut, ift morgen der dreizehnte April? Ya wohl, Ercellenz! Dann allerdings weiß id von dieſem Feſt, und kann Ihnen dar⸗ über Auskunft geben. Ja, mein Herr General, es findet allerdings morgen ein Volksfeſt ſtatt! Darf ich fragen, zu welchem Zweck? Ah, mein Gott, das iſt ganz einfach! Es iſt morgen am brei- zehnten April gerade ein Jahr her, daß die ganze Yugend von Wien, als fie das Vaterland in Gefahr und vom Feinde bedroht glaubte, in edlem Patriotismus fi freiwillig zur Bertheidigung des Vaterlandes unter die Fahnen ftellte und fich enrolixen ließ.*) Diefe jungen Frei— willigen wünfchen den wiederkehrenden Tag ihrer Einfchreibung feierlich zu begehen, und der Raifer hat ihnen, wie idy glaube, die Erlaubniß dazu ertheilt. Ich muß aber Em. Exeellenz bitten, daß Se. Maieftät der Kaifer diefe Erlaubniß zurüdnimmt. Eine fonverbare Bitte, und weshalb? Weil diefes Felt eine Demonftration gegen Frankreich ift; denn jene vorjährigen Rüftungen waren ja gegen Frankreich gerichtet, mit welchem Oeſterreich jett Frieven gefchloffen. Es ift daher ſehr begreif- li, daß Frankreich dieſes Feſt der Freiwilligen nicht gern fieht! Mein Herr General, jagte Thugut mit einem ſpöttiſchen Lächeln, glaubt denn Frankreich, daß Defterreih etwa alle jene Zelte gern ge- fehen, welche die einige und untbeilbare Republik feit einem Jahrzehent gefeiert hat? Die Feſte der republifanifhen Hochzeiten, zum Beiſpiel, oder die Feſte der Göttin der Vernunft, oder die Jahrestage blutiger *) Mömoires d’un homme d’etat. V. 49. 254 Hinrichtungen? Oder in neuerer Zeit bie Feſte ber gewonnenen Schlachten, davon einige fogar Defterreih Land und Leute gefoftet haben? Ich geftehe Ihnen, daß Oeſterreich fehr gern manche viefer Feſte unterdrückt gefehen hätte, aber Frankreich hatte uns nit um feinen Rath gefragt, und es wäre anmaßend und lächerlich gemwefen, hätten wir denfelben ungefragt ertheilen und uns in die innern Ange- legenheiten Ihres Landes mifchen wollen. Wir haben alfo Ihre Fefte fhweigend geduldet und erbitten uns Ihrerſeits gleihe Duldung! Die franzöfifhe Republik wird und darf nichts dulden, was ihren Intereffen zuwider läuft, rief Bernadotte heftig. Dieſes Weft beleidigt uns, und ih muß Ew. Ercellenz daher bitten, daß baffelbe nicht ſtattfindet. Ueber das kalte, harte Antlitz Thugut's flog eine leiſe Röthe, aber er unterdrückte ſeinen Unmuth ſchnell wieder und ſchien ganz ſorg⸗ los und unbefangen. Sie bitten da etwas, Herr General, was nicht mehr in unſerer Macht ſteht, zu gewähren, ſagte er ruhig. Der Kaiſer hat die Er⸗ laubniß ertheilt, und wie könnten wir den Jünglingen der Hauptſtadt eine Genugthuung verweigern, welche ſie ſo dringend begehren, und die außerdem geeignet iſt, die Liebe des Volks zu ſeinem Souverain und ſeinem Vaterlande zu nähren und neu anzufachen? Erlauben Sie uns, gleich Ihnen unſre patriotiſchen Feſte zu feiern! Ich muß meine Forderung wiederholen, daß dieſes Feſt nicht ge⸗ feiert werde, rief Bernadotte heftig. Ihre Forderung? fragte Thugut mit ſchneidender Kälte. Ich glaube nicht, daß irgend Jemand außer dem Kaiſer und feiner Re— gierung das Recht hat, in Defterreich Forderungen zu ftellen, und ‚Ihre Bitte bevaure ich,.nicht erfüllen zu können! Ew. Ercellenz wollen alſo in ber That morgen dieſes Feſt der Freiwilligen feiern laſſen? Ganz gewiß! Se. Majeſtät hat die Erlaubniß dazu ertheilt! Nun, dann zeige ich Ihnen an, daß, wenn das Feſt morgen ſtatt⸗ findet, ich meinerſeits morgen auch ein Feſt geben werde. Es ſteht hier in Deflerreich Jedermann frei, Feſte zu geben, vor⸗ 255 ausgefegt, daß fie nicht der Wohlanftändigkeit, der Schidlichkeit und der dffentlihen Moral und Sicherheit widerftreben. Mein Herr Minifter, jett werben Sie beleidigend, rief Berna- dotte glühend. Nicht doch, ſagte Thugut gelaſſen, es wäre doch nur in dem Fall beleidigend, wenn ich Ihr Feſt verhindern wollte! Ich ſage aber im Gegentheil, geben Sie es, laſſen Sie Ihr Feſt mit dem unſrigen concurriren! Wir werden ja ſehen, wer bei dieſer Concurrenz Sieger wird. | Sie wollen alfo in der That diefes Freiwilligenfeft begehen, ob- wohl ich Ihnen fage, daß Franfreich daffelbe mißbilligt? Mißbilligt? Frankreich möchte auch in den Rändern, welche es nicht erobert hat, als Herr und Gebieter fprehen? Erlauben Sie mir, Ihnen zu fagen, daß Defterreih fih nicht zu viefen Ländern zählen wird! Das Treiwilligenfeft findet morgen ftatt! Und demgemäß aud) das von mir veranftaltete Feſt! Sie haben alfo ohne Zweifel, gleich uns, gegründete Veranlaſſung, ein Feſt zu feiern? Ja wohl habe ich die! Ich werde morgen die Fahne der frans zöfifchen Republik, die Zricolore Frankreichs, zum erften Male von dem Gefandtfchaftshötel wehen laffen, unb das verbient wohl, feftlich gefeiert zu werben. Sie wollen diefe Fahne öffentlich aushängen laſſen? Ya mohl, mein Herr, fie wird fi über dem Balcon erheben und folz in die Lüfte wehen, wie e8 bie Tricolore Frankreichs überall ge- wohnt iſt. Ich weiß indeß nicht, ob die Lüfte in Oeſterreich ſich an die Tri⸗ colore Frankreichs gewöhnen werden, und ich bitte den Herrn Geſandten, gütigſt zu bedenken, daß es ein ganz unerhörtes und außerordentliches Unternehmen iſt, das er da beabſichtigt. Kein Geſandter irgend einer auswärtigen Macht hat hier an ſeinem Hauſe irgend eine Auszeichnung, und nie bis jetzt hat ein franzöſiſcher Geſandter ſein Hötel mit hervor⸗ ragenden äußeren Zeichen affichirt. Dieſe Fahne wäre daher ganz ohne Beifpiel in der Geſchichte der diplomatifchen Repräſentation. 256 Auch das Feſt, welches Sie unter den Augen der franzöflichen Geſandtſchaft und ihr zum Trog geben wollen, iſt ohne Beifpielt Möge die franzöfiihe Geſandtſchaft ihre Augen fließen, wenn fie unfere öſterreichiſchen Fefte nicht fehen will! Wie oft haben wir in Tranfreich es ebenfo machen und uns den Anfchein geben müffen, das nicht zu ſehen, was uns beleidigte. Alfo zum legten Mal, Sie feiern morgen das Feft der Freiwilligen, trog der Einſprache Frankreichs? Ic vente nicht, daß Frankreich Einſprache thun möchte in Dingen, die daſſelbe nichts angehen. Sie haben gebeten, ich habe Ihre Bitte nicht erfüllen fünnen, das ift Alles! Gut denn, mein Herr Minifter, feiern Sie Ihr Zelt ber Frei⸗ willigen, ich feiere meine Fahnenweihe! Und damit habe ich die Ehre, mich Ew. Excellenz zu empfehlen! Möge Ihre Fahnenweihe eine glückliche ſein, Herr General. Ich erlaube mir noch einmal, Ihnen zu bemerken, daß Ihre Fahne großes Aufſehen machen wird. Die Wiener ſind eigenſinnig, und ich kann nicht verbürgen, ob ſie ſich gewöhnen werden, daß hier in Wien eine andere Fahne weht, als die mit den öſterreichiſchen Farben geſchmückt iſt. Leben Sie wohl! Er begleitete den General bis zur Thür und erwiderte deſſen ceremonielle Verbeugung mit einem ſtolzen, nachläſſigen Kopfnicken. Dann durcheilte er raſch den Salon und trat wieder in das Ge— mad ein, in weldem ber Polizeiminifter ihn erwartete. Haben Sie gehört? fragte Thugut, deffen Mienen jegt ven ganzen Zorn und die Wuth ausprüdten, welche er fo lange verborgen hatte. Ich habe gehört, Ereellenz, jagte Graf Saurau feufzend. : Die Unverfhämtheit Franfreihs ift ohne Grenzen! Wir werben ihr aber eine Grenze fegen, rief Thugut mit unge- wohnter Heftigfeit. Wir wollen diefer unverfhämten Republik ſchon beweifen, daß wir fie weder fürdhten noch lieben! Das Feſt fol alfo morgen wirklich ftattfinden? Sie zweifeln? Es würde fi) wenig vertragen mit der Würde Defterreihs, wenn wir jet nachgeben wollten. Die Jugend Wiens 257 fol ihr patriotifches Feft haben, und — Iaffen wir morgen bie Polizei etwas nachſichtiger fein, als fonft. Die Jugend bedarf zuweilen ein wenig des Austobens! Gönnen wir ihr morgen biefe Freiheit, laſſen Sie die Jugend gewähren! Keine Beauffihtigung morgen, feine Zu- rüdhaltung. Laſſen Sie das junge Bolf feine patriotifchen Lieder fingen! Mer fie nicht hören will, mag ſich die Ohren verftopfen! Wir wollen den guten Wienern morgen einmal einen Tag der Freiheit bewilligen, ich bitte Sie darum! Aber wenn es zu Händeln und Raufereien fommt? Mein Lieber, Sie wiffen wohl, wenn unfere Polizei fid nicht darein miſcht, fommt es nicht zu NRaufereien, das Volk liebt ımb ver- trägt fi) untereinander, wenn es ſich felbft überlaflen und ohne Auf- fiht if. Man wird morgen zu fehr erfüllt fein von Patriotismus, um nicht freudig und einig zu fein. Deshalb noch einmal: feine Be- auffihtigung und Ueberwahung! Mag die Polizei fih mergen im Bolt auflöfen und Eins mit ihm werben, mögen alle ihre Beamten und Agenten ihre Civilfleivung anlegen und fi unter das Volk mijchen, nicht, um es zu überwachen, fondern um feinen Patriotismus zu theilen und zu lenten! Ab, um ihn zu lenken! rief Graf Saurau mit dem Ausdruck eines Menſchen, der eben ein Räthfel zu löſen beginnt. Wenn dieſer Patriotismus auf feinem Triumphmarſch aber unglüdlicher Weife einen Stein oder eine Fahne des Anftoßes fände? So laſſen Sie ihn ruhig feine Bahnen ziehen; der echte Patrio- tismus iſt ſtark und heldenkühn, und er wirb jedes Hinderniß bewäl- tigen, das fi ihm in den Weg zu ftellen wagt. Es kommt nur darauf an, ihm Muth einzuflößen und feine Begeifterung immer zu ihüren! Das ift morgen bie einzige Aufgabe der Polizei! Und fie wird ſich derfelben mit der größten Freudigfeit bingeben. Ich felbft werde morgen — Sie, unterbrad ihn Thugut, Sie werben, wie es mir fdeint, morgen leider wenig Theil nehmen fünnen an dem patriotifhen Feſt. Sie fehen aufßerorventlich blaß und angegriffen aus, mein lieber Graf, Mühlbach, Napoleon. 1. Bd. | 17 258 und wenn ich mir erlauben darf, Ihnen einen freundfchaftlihen Rath zu geben, fo gehen Sie zu Bett und lafien Sie den Arzt rufen! Sie haben Recht, Ercellenz, rief Graf Saurau lächeln, ich fühle mich wirflid) frank und angegriffen. Es wird daher für mid; in der That. das Beſte fein, einige Tage das Bett zu hüten, und mein be- forgter Arzt wird gewiß firenge Orbre ertheilen, daß nıan Niemand zu mir läßt und Niemand erlaubt, mit mir von Geſchäften zu reden! Sobald Ihr Arzt diefe Ordre ertheilt hat, fagte Thugut, melden Sie es mir und bitten mid, während der Dauer Ihrer Krankheit die Geſchäfte Ihres Minifteriums zeitweife zu übernehmen. | In einer halben Stunde werden Sie diefen Brief empfangen! Ich gebe, meinen Arzt rufen zu laffen. Noch Eins, mein lieber Graf! Was ift aus dieſem Volksauf⸗ rührer vom vorigen Jahr, dem Schneidermeifter Wenzel, geworben? Ich empfahl ihn damals Ihrer befondern Fürjorge. | Und ich habe ihm dieſelbe zu Theil werben laſſen, Excellenz. Ich glaube, die aufrührerifchen Gedanken find ihm gänzlich vergangen. und die Politik ift ihm volllommen gleichgültig. Ei, das follte mir leid thun, fagte Thugut lächelnd. Sie haben ihn doch hier in Wien? Ya wohl, und zwar in einem allerliebften halbdunkeln Gefängnif unferes Zuchthauſes. Er jpinnt Wolle? Nein, er bat oft darum gebeten, wie ich höre, gebeten als um eine Gunft. Ich hatte aber ſtrenge Ordre gegeben, ihn unbeſchäftigt und allein zu laſſen. Das iſt die beſte Art, wie man ſolche politiſche Verbrecher und Schreier zum Schweigen und zur Raiſon bringt. Ich möchte dieſen Meiſter Wenzel ſprechen, vielleicht ſchenken wir ihm ſeine Freiheit wieder, ſagte Thugut. Wollen Sie Befehl ertheilen, mir dieſen Mann unbemerkt und ohne Aufſehen hierher zu ſchaffen? Ich werde Ihnen denſelben ſenden, und dieſes ſoll mein lettes Amtsgeſchäft ſein vor meiner Krankheit. So ſei es, lieber Graf! Eilen Sie zu Bett, es iſt die höchſte Zeit, 259 Sie reichten ſich lächelnd Die Hände und fahen einander lange und bedeutungsvoll an. Es wird morgen ein fehr hübſches patriotifches Feft werben, fagte Thugut. Ä Ein fehr patriotifches Felt, und befonvers eine fhöne Fahnenweihe, rief Graf Saurau. Wie fchade, daß meine Krankheit mich verhindert, dabei zu fein! Er grüßte den Premierminifter nod einmal zum Abſchied ‚und eilte dann hinaus. Als die Thür fich hinter ihm gejchloffen, verfchwand ' das Lächeln aus Thugut’8 Zügen und eine fchwert Wolfe lagerte fid auf feiner Stirn. Die Hände auf dem Rüden gefaltet, ging er lang- ſam, in tiefe Gedanken verſenkt, auf und ab. Die Audienz bei der Kaiferin muß auf jeden Fall verhütet werben, murmelte er nach einer langen Baufe, und müßten deshalb alle biplo- matifchen Verbindungen mit Frankreich abgebrochen werben. Auch muß ih diefe Papiere haben, welche er der Raiferin übergeben wollte; meine Ruhe, meine Sicherheit hängt davon ab. Oh, ich weiß fehr wohl, was für Papiere das find, mit denen man mir droht. Es find die Chiffrebriefe, welche ih an den englifhen Emiffair Burton gerichtet, an diefen Burton, den das franzöfifche Directorium vor einem Monat - als Spion und Aufwiegler in Paris hat verhaften und feiner Papiere berauben lafjen. Freilich, diefe Briefe compromittiren mid, denn es ift aud) eine Quittung von mir über empfangene hunderttaufend Guineen dabei. Weld ein Thor id) war, biefe Quittung auszuftellen! Ich muß fie wieder haben und ih will es! — Einige Stunden fpäter warb ein hagerer, bleiher Mann in das Arbeitskabinet des Premierminifters Baron von Thugut geführt. Der Minifter empfing ihn mit freundlichem Kopfniden und betrachtete mit lächelndem Wohlbehagen diefen Franken, düftern, verfallenen Dann, den er vor faum einem Jahr fo trogig und Fed vor ſich gefehen. Ihr habt Euch recht verändert, Meifter Wenzel, fagte er freund- lih. Es feheint, die Gefängnißluft behagt Euch nit? Meifter Wenzel antwortete nicht, fonvdern ließ fein Haupt mit einem tiefen Seufzer auf feine Bruft ſinken. Y\* 260 Ei, ei, Meifter, fagte Thugut lächelnd, es fcheint, Ihr habt Eure fhöne Beredtſamkeit aud gänzlich eingebüßt? 94 habe einft zu viel geredet, darum bin ich jest ſchweigſam, murmelte ber bleihe Mann vor fih bin. Alles hat feine Zeit, Das Reden wie das Schweigen, fagte Thugut. Euch freilid hat das Neben unglüdlih und zu einem Hocverräther gemadt. Wißt Ihr, auf wie viele Jahre Ihr verurtheilt fein? Ich glaube, auf funfzehn Jahre, fagte Meifter Wenzel, in fid erſchauernd. Funfzehn Jahl das ift ein halbes Menſchenleben! Aber Euch Aufrührer und Politiker ändert es doch nicht. Wenn Ihr’ einmal wieder frei jeid, fangt Ihr die MWühlereien doch wieder an, und Eure wohlverdiente Stafe legt Ihr Euch dann als Märtyrerglorie um bie Stim. Die Hocverräther find einmal unverbefferlih, und wenn man fie nicht auf Rebenszeit fnebelt, fchreien fie immer auf's Neue und ftiften, Unruhe und Empörung! Meifter Wenzel wandte feine matten, ftieren Augen mit einem | trüben Ausbrud auf den Minifter hin. Ich werde niemals mehr Unruhe ftiften und niemals mehr fchreien, fagte er dumpf. Ich bin curirt davon für immer, aber es ift eine gar twaurige Eur gewefen! Und fie wird noch recht lange bauern, Meifter Wenzel. Ja, fie wird noch fürdterlidh lange dauern, feufzte der Un- glüdliche. Seid Ihr verbheirathet? Habt Ihr Kinder? Sa, ih babe eine Frau und zwei Feine Mädchen, zwei Fleine Engel! Ad, wenn ich die nur no einmal in meinem Leben wieder: fehen könnte! Wartet noch vierzehn Jahre, dann kann's geſchehen, wenn ſie dann noch leben und Euch noch wieder haben wollen! In vierzehn Jahren lebe ich nicht mehr, murmelte der bleiche, ge⸗ beugte Mann leiſe. | ' Nun, bört mih an, Meifter! Was würdet Ihr thun, wenn ich Eu bie Freiheit ſchenkte? | 261 Die Freiheit? fragte ver Dann erfchroden. Die Freiheit? jubelte und kreiſchte er dann laut. | Ya, Mann, die Freiheit! Aber Ihr müßt fie Euch verdienen. Volt Ihr das? Ich will Alles thun, Alles, was man mir befiehlt, wenn ich wie- der frei fein, wenn ich mein Weib und meine Mädels wiederfehen darf, rief Meifter Wenzel, bebend vor Wonne. Und wenn id Euch beföhle, wieder Volksredner zu werden und einen recht hübfchen, Heinen Volksaufruhr anzuftiften? | Das Feuer in den Augen des Mannes erlofh wieder und er ſchaute ven Miniiter faft vorwurfsvoll an. Sie wollen mid) verfpotten, fagte er traurig. Nein, Mann, idy rede im Exnft. Ihr follt morgen wieder Volks- rebner werden und Bolfsanführer. Getraut Ihre Euch? Nein, ich babe nichts mehr zu fchaffen mit dergleichen Dingen. Ich bin ein guter, gehorſamer Unterthan und verlange nichts, als in Frieden und Ruhe zu leben! | Thugut lachte laut auf. Ah, Ihr haltet mich für den Verſucher und wollt mich abwehren, fagte er. Es ift aber mein Ernft, Meifter Wenzel, wenn Ihr mir morgen einen recht guten und tüchtigen Crawall macht, jchente ih Euch die Freiheit, das heißt, jo lange Ihr fie durch Gehorſam und guten Lebenswandel verdient. Sagt alfo, wollt Ihr frei fein und mir dienen? Meifter Wenzel fchaute fragend und mit gefpannter Aufmerkfamfeit in das Antlig des Minifters, dann, als er fich überzeugt, daß biefer wirflih im Ernſt geſprochen, flürzte er vorwärts, und vor Thugut auf " die Kniee niederfinkend, rief er: Sch will Ihnen dienen wie ein Sclave, wie ein Hund! Nur geben Sie mir meine Freiheit wieder, nur laſſen Sie mich meine Kinder wiederfehen und mein — Ein Strom von Thränen ftürzte aus feinen Augen und erftidte feine Stimme. Es ift gut, id) glaube Eud, fagte Thugut ernft. Steht jegt auf und hört, was ich Eud, zu fagen habe. Ihr werdet heute Abend noch frei! Ihr beſucht Eure guten Freunde von ehemals und erzählt ihnen, 262 dag Ihr eine Keife gemacht, daß Ihr unterwegs.von Franzoſen auf- gegriffen und gefangen gehalten worden, bis Ihr auf Verwendung Defterreich8 wieder frei gelaffen worden. Wenn Ihr Euch unterfteht, ein Wort von Eurer biefigen Gefangenschaft zu verrathen, feid Ihr verloren, denn ich höre und weiß Alles, und habe überall meine Kund⸗ fchafter, die Euch beobachten follen. | Ich werde gewiß nichts verrathen, rief Meifter Wenzel zitternv. Ihr werdet Euch zu Euren Freunden beklagen über bie harte und graufame Behandlung der Franzoſen. Ihr werbet ſprechen, wie ein guter Patriot ſprechen muß! Ja, ich werde ſprechen wie ein guter Patriot, rief Wenzel glühend. Morgen werdet Ihr mit allen Euren Freunden auf der Straße ſein, um dem Feſt der Freiwilligen beizuwohnen und den Zug zu ſehen. Wißt Ihr, wo das franzöſiſche Geſandtſchaftshoͤtel Liegt? Ya, am Kohlmarkt! Dahin richtet Ihr das Voll. Der Gefandte von Frankreich wird morgen von feinem Balcon die franzöftfche Sahne wehen laſſen. Kann das Boll von Wien das dulden ? Nein, das kann das Bolf von Wien nicht dulden! ſchrie Meifter Wenzel. Ihr werbet den Leuten das fagen, Ihr werdet fie aufmwiegeln gegen die Fahne und gegen den Gefandten, Ihr werdet Alle laut und ftür- mifch verlangen, daß der Gefanbte feine Fahne fortnimmt. | Und wenn er’s nicht thut? So werdet Ihr mit Gewalt in das Haus dringen und fie fort- nehmen! Aber wenn fie die Thüren verſchließen? Dann werdet Ihr ſie ſprengen, wie Ihr's bei mir gethan habt. Und giebt es denn nicht außerdem Fenſter, und ſind nicht Steine da, welche auf eine allerliebſte Weiſe die Fenſter öffnen? Ihr erlaubt uns, das zu thun? Ich befehle es Euh! Nun hört Euren befonderen Auftrag. Einige meiner Beanten werben fi zu Euch halten; einmal im Haufe drin, werdet Ihr vor allen Dingen das Arbeitsfabinet des Geſandten 263 auffuhen. Alle Papiere, die Ihr dort findet, rafft Ihr zufammen und bringt fie mir. Sobald ih Euch mit diefen Papieren bei mir eins treten jehe, ſeid Ihr frei und erlöft für immer! Ä Ih bringe Ihnen die Papiere, rief Meiſter Wenzel mit ſtrahlen⸗ dem Angeſicht. Aber hört! Verrathet irgend einer menſchlichen Seele nur ein Wort von dem, was wir hier geredet haben, und nicht blos Ihr, ſondern auch Euer Weib und Eure Kinder ſind verloren! Mein Arm iſt ſtark genug, um Euch Alle zu faſſen, und mein Ohr iſt groß genug, um Alles zu hören! | Ich werbe ftumm fein, wie das Grab, betheuerte Meifter Wenzel. Ich werde nur meine Stimme erheben, um zu dem Volk zu fprechen von unferm vielgeliebten, weifen Minifter Thugut und von ben er- bärmlichen, anmaßenden Franzofen, bie ſich unterjtehen wollen, hier in unferer Kaiſerſtadt, in unferem prächtigen Wien, die Fahne ber blu- tigen Republik öffentlih auszuhängen ! So ift’8 recht, Mann! Nun geht und denkt nad) über Alles, was ih Euch gefagt habe, und morgen früh kommt noch einmal zu mir, da will ih Euch noch weitere Inftructionen geben. Nun fort, gebt zu Eurer Frau nnd haltet reinen Mund! Hurrah, e8 lebe der Herr Minifter! jauchzte Meifter Wenzel. Hurrab, ih bin frei! — Und wie ein Trunfener taumelte er von bannen. Thugut ſchaute ihm nach mit einem Lächeln voll tiefer Beratung. Das ift die Art, wie man das Volk erziehen muß, fagte er. Wahr- haftig, wenn wir jeden Defterreiher nur ein Jahr in's Zuchthaus fteden fünnten, jo würden wir lauter gute und gehorſame Unterthanen haben! 264 VIII. Bie Revolte Ein unermeßliches Gewoge von Menſchen fand am andern Tage auf den Straßen Wiens ftatt. Alle Häufer waren gefhmüdt mit ‚ Jungem Laubwerf und Blumenguirlanden, alle Arbeit ruhte, und in feinen fchönften Fefttagskleidern eilte das Volk durd die Straßen, jauchzend, patriotifhe Lieder fingend, und in freudiger Ungeduld des Moments harrend, wo der Zug der Freiwilligen vom Stadthauſe daher kommen würde, um ſich nach der Burg zu begeben, dort dem Kaiſer ein Lebehoch auszubringen, dann einen Umzug durch die Stadt zu halten, und zuletzt in einem feſtlich geſchmückten öffentlichen Lokal mit Eſſen, Spielen und Tanzen ſich zu beluſtigen. Aber nicht das Volk allein, ſondern auch das gebildete und vor⸗ nehme Wien wollte Antheil nehmen an biefem Felt. An ven geöffneten Tenftern aller Hänfer fah man geſchmückte Damen, mit Blumenfträußen in den Händen, welde fie als Liebesgruß für bie worüberziehenden Treiwilligen beftimmt hatten; eine unabjehbare Reihe der glänzenpften Equipagen bewegte fi im langfamen Schritt, ummwogt von dem Bolt, durch bie Straßen, und in diefen Equipagen fah man bie Damen und Herren der hohen Ariftofratie und Finanzwelt, weldhe mit lächelndem Wohlbehagen dem Enthufiasmus des Volkes zufchauten. Nur die Equipagen der Minifter fuchte man vergeblid in dieſem Zug, Keiner von ihnen war dabei erfchienen, und die Menge erzählte fih, daß zwei der Herren, der erfte Staatsminifter Baron Thugut und ber Polizeiminifter Graf Saurau plöglich erkrankt feien und das Bett hüten müßten, daß die andern Minifter aber beim Kaiſer in Rarenburg fid, befänden. Baron Thugut hatte alfe ganz richtig prophezeiht, der Polizei- minifter war wirklich am geftrigen Tage jo heftig erkrankt, daß er das Bett hüten mußte und den Baron Thugut fchriftlicd gebeten hatte, die Kepröfentation feines Minifteriums auf einige Tage zu übernehmen. 265 Aber der Premierminifter felber war plötzlich unwohl geworben und fonnte fein Zimmer nicht verlaffen. Er war deshalb auch nicht gleich den andern Miniftern zur kaiſerlichen Tafel nad Laxenburg ge- fahren, und hatte fogar, ein unerhörter Fall, ganz allein in feinem Kabinet gefpeif. Sein Kammerbiener hatte firenge Ordre erhalten, jeden Beſuch abzumweifen, und auf jede Beitellung zu antworten, ber Herr Minifter liege im fürchterlichften Fieber im Bett und müfle durch⸗ aus alle Geſchäfte bis morgen verfchieben. So ſchlimm indefjen mar es nicht mit dem Zuftand des Minifters Thugut. Er war allerdings im Fieber, aber e8 war nur das Fieber der Erwartung, der Ungebuld, der langen Spannung. Der ganze Tag war vergangen, ohne daß irgend ein Mißklang vie reine Freude Diefes Tages geftört, irgend eine heftige Scene das patriotifche Jubel⸗ gefchrei unterbrochen hätte. Das Volk firömte in immer bichteren Schaaren auf den Straßen und Plätzen, aber überall herrſchte Friede und Heiterfeit, überall fang und lachte man. Das war es, was das Blut des Herrn Minifters fieberhaft auf- regte, was ihm feine Ruhe ließ und fein jo altes Herz lebhafter Hopfen machte. Mit großen Schritten ging er in feinem Kabinet auf und ab, zumeilen einzelne abgebrochene Worte vor fi hinnurmelnd, tann unruhig an's Fenſter tretend, um, von dem Vorhang verhüllt, vorfichtig Hinumter zu fchauen auf die Straße und das dort auf und ab wogende Bolt. Eben begann die große Uhr auf dem Marmorkamin mit Iautem Schlag die Stunde anzufchlagen; Thugut wandte fih haſtig zu ihr bin. Sechs Uhr, und immer nody nichts! murrte er. Ich Laffe diefen Meifter Wenzel lebenslang in einen unterirbifchen Kerfer fteden und jage alle meine Agenten fort, wenn nichts — Er fhwieg und horchte. Es war ihm gewefen, als habe er an der unfichtbaren Thür, welche zu der geheimen Treppe führte, ein leifes Klopfen gehört. Richtig, es wiederholte fi, und zwar ftärfer, dringender. Endlich! rief Thugut aufathmend, und mit eiligen Schritten näherte er ſich dem großen Bilde, welches, die ganze Wand bedeceov 266 bis zur Erde nieder reichte. Mit vafcher Hand drückte er an einer der Rofetten des goldenen Rahmens, das Bild drehte fih, und hinter demfelben warb in der Wand eine Thür fichtbar. | Ganz deutlih und zum dritten Mal vernahm man jett bas Klopfen. Thugut [hob den Riegel zurüd und öffnete. Sofort ftürzte fein vertrauter Geheimfecretaie Hübfchle mit glühendem Geſicht in athemlofer Haft herein. Excellenz, feuchte er, Excellenz, es geht los! Sie haben angebiffen und ftürzen jegt wie eine wilde Meute über den Hirſch her. Oh, ob, fie werden ihn tüchtig hegen, denfe ich! Thugut warf einen Blid finftern Unwillens auf ven kleinen, be- wegliden Mann mit dem gedunfenen Angefiht. Sie haben fchon wieder getrunken, Hübjchle, fagte er, und idy hatte Ihnen befohlen, heute einmal nüchtern zu bleiben. Ercellenz, ich bin aud) nüchtern, betheuerte Hübjchle, habe wahr- baftig nicht mehr getrunfeu, al8 gerade der Durft erforderte. Freilich, Ihr Durft erfordert immer große Duantitäten, vief Thugut lachend. Aber fprehen Sie jest raſch, kurz und beftimmt. Keine Umjchweife, feine Tiraden, einfah und wahr! Was geht los? Die Fahnenweihe, Excellenz. Alfo Bernadotte hat die Fahne doch noch ausgehangen? Er hat's gethban. Wir famen eben mit ein paar taufend [uftiger Kerls die Straße daher, der Meifter Wenzel, ein präctiger Geſelle, hatte eben mit ungeheurer Gewalt fein: „Gott erhalte Franz ben Kaiſer“ angeftimmt, und alle die taufend und taufend Stimmen brülften das Lied jest im Chor, als brädten fie damit dem franzöfifchen Ge- fandten ein Ständchen, da öffnete ſich plöglich die große Balconthür ba oben, der General Bernadotte erſchien in voller Uniform, begleitet von feinem ganzen Gefandtfchaftsperfonal, einige Diener trugen eine ungeheure Fahne und befeftigten fie an dem Balcon. Wir waren ı mitten in unferm fhönen Liede verftummt und mit neugierigen Bliden Ihaute das Volk zu dem Balcon empor, von welchem die Herren jegt wieder verfchwunden waren. Aber die Fahne war geblieben! Plöglic) Zam ein gewaltiger Windftoß daher und baufchte die Fahne, welde 267 bisher fchlaff niedergehangen, auf. Nun fah man ftolz über unfern deutſchen Häuptern die Tricolore wehen, und in ihrer Mitte ſtand mit großen goldenen Lettern zu lefen: Fraternit6! Liberte! Egalite! *) Welche Frechheit! murmelte Thugut. Richtig, Das war das Wort, rief Hübfchle. Welche Frechheit ! brüllte Meeifter Wenzel, und gleich ſchrie der ganze Haufe ihm nad: Welche Frechheit! Herunter mit der verbammten Fahne! Wir find nicht fo dumm, wie die Leute in Mailand, Venedig und Nom, wir jauchzen nicht vor Wonne Über die franzöfiiche Fahne, wir ärgern un über diefe Fahne! Fort mir ihr! Es ift eine Beleidigung für den Kaifer, daß hier eine fremde Fahne mit folder abſcheulichen Inſchrift wehen fol. Fort mit der Fahne! Sehr gut! fagte Thugut lächelnd, dieſer Wenzel ift wirklich ein brauchbares Subject. Was gefhah weiter? Immer neue Haufen Bolfs ftrömten herbei, immer drohender, immer gewaltiger warb das Gefchrei: Fort mit der Fahne! Da kam aus der nädften Straße ein Kleines Detachement Solvaten herbei. Der Offizier bat das Volk mit freundliden Worten, auseinander zu gehen. Aber es war vergeblid, der Tumult fteigerte fi immer mehr, man fing an, das Straßenpflafter aufzureißen und mit Steinen nad ven Tenftern, nad) der Fahne zu werfen. Und die Solvaten? Die gingen till bei Seite. Aber — es klopft da drüben an der Thür. Sol ich öffnen, Excellenz? Noch einen Augenblid! Ich will erft das Bild in Ordnung bringen. So! Nun Öffnen Sie, Hübfchle. Der Geheimjecretair eilte mit etwas unfihern Schritten nadı der . Thür hin und fchloß fie auf. Der zweite Geheimfecretair Thugut’s trat mit einem verfiegelten Schreiben in der Hand ein. Nun, Heinle, was giebt's? fragte Thugut gelaffen. Excellenz, der franzöfifche Gefandte General Bernadotte hat diefes Schreiben an Ew. Ercellenz gefhidt. *) Memoires d’un homme d’etat. V. 494. 268 Und was haben ‚Sie dem Boten geantwortet? Daß Em. Ereellenz im fürchterlichſten Fieber liegen, daß der Arzt befohlen, Sie auf keinen Fall zu ſtören, daß ich aber, ſobald der Herr Miniſter ſich etwas erholt hätten, demſelben das Schreiben über— geben wollte. Recht ſo! Nun gehen Sie wieder auf Ihren Poſten, und bes wahen Sie mir die Thür gut, Damit Niemand unbefugt zu mir ein— dringt. Und Sie, Hübfchle, eilen Sie raſch wieder hinnnter auf die Straße und fehen Sie zu, wie’ da unten jteht, und was beim ©e- ſandtſchaftshötel gejchieht. Aber nicht mehr getrunten! Ich gebe Ihnen nachher drei Tage Urlaub, um fih fatt zu trinken. Fort, und bringen Sie mir bald wieder Nachricht! Und jest, ſagte Thugut, als er allein war, jegt will ich doch fehen, was ber Herr ©ejandte mir fchreibt. Er öffnete das Papier, und als ob ihm das bloße Anfchauen und Lefen mit den Augen nicht genüge, las er mit halblauter Stimme: „Der Geſandte der franzöfifhen Republik ‚benachrichtigt Herrn von Thugut, daß im Augenblid, wo er ihm fchreibt, eine fanatifche Volks⸗ maffe es wagt, einen Auflauf vor der Thür feiner Wohnung zu bilden. Die Motive, welche die Zufammenrottungen veranlaßt, fönnen nicht im ©eringften zweifelhaft fein, da ſchon mehrere Steine nad den Fenftern des Haufes gefchleudert wurden, in welchem der Gejandte wohnt. Tief “verlegt von jo viel Unverfhämtheit, bittet er Herrn von Thugut, fofort bie nöthigen Unterfuchungen zw befehlen, damit die Anftifter des Tu⸗ multes entdedt und beftraft werden, auf daß ihre Beftrafung Andern zum Beifpiel diene. Der Gefandte der franzöfifhen Republik zweifelt nicht, daß feine Reclamationen mit al’ dem Eifer, den fie einflößen müſſen, aufgenommen werben, und daß außerdem die Polizei wachſam genug fein wird, um ähnliche Scenen zu verhüten, die fich nicht er= neuern könnten, ohne die ernfteften Folgen nady ſich zu ziehen, da der Geſandte feſt entichloffen ift, mit Energie die Hleinfte Beleidigung und um fo mehr foldhe feandaldfen Angriffe zurüdzuftoßen. — Herr von Thugut wird außerdem benachrichtigt, daß man fich fehr über die Agenten ber Polizei zu bellagen hat. Mehrere verfelben wurden re- 269 quirirt, um den Auflauf zu zerftreuen, aber ftatt die Befehle des Ge⸗ fandten zu erfüllen, blieben fie Falte und müßige Zufhauer der em- pörenden Unordnungen.“ *) Welch eine übermüthige und ftolge Sprache dieſer Menfch zu führen wagt, rief Thugut, als er zu Ende gelefen. Sollte man nicht glaus ben, er ſei bier der Herr und Gebieter, und — ha, da klopft es fchon wieder. Sollte Hübſchle fhon wieder — Er drüdte rafch wieder an dem Bilde und die Thür fprang auf. Es war wirtlih Hübfchle, weldher eintrat. Ercellenz, ich komme nur raſch wie eine Kate noch einmal herauf- gefprungen, feuchte er. Habe bier unten vor der Thür von. Einem von unfern Leuten die frifheften Nachrichten befommen, und bin nur bier, um fie Ihnen raſch zu fagen. u Schwätzer, machen Sie keine Vorreden, fondern fprecdhen Sie. Ercellenz, e8 geht mächtig vorwärts. Die Emeute wächſt mit jeder Minute und wird immer drohender. Graf Dietrichftein und der Bolizei- director Graf Ferfen haben fih zum General Bernadotte begeben, und haben ihn beſchworen, die Sahne wegnehmen zu laſſen. Die weichherzigen Narren! murrte Thugut. . Aber ihren Bitten waren vergeblid. Sie wiederholten fie mehr- mals, und immer erhielten fie abſchlägige Antwort. Sie gingen fo weit, dem Gefandten die Verfiherung zu ertheilen, daß, wenn er ihren Bitten nachgebe, damit man nur Zeit gewinne, das Volk zu beruhigen und zu vertreiben, das öſterreichiſche Gouvernement es ſich zur Pflicht machen würde, ihm die Satisfaction, die er fordere, zu geben. Aber Herr Bernadotte beharrte bei feiner Weigerung und erwiederte gebie- terifch: „Nein, die Fahne bleibt!“ Weiter! Weiter! rief Thugut ungedulpig. Weiter weiß ic nichts, aber ich fliege, um neue Nachrichten ein- zufammeln und fie Excellenz zu bringen. Hübfchle verfchwand durch die geheime Thür und Thugut fehob das Bild wiener vor. Die Fahne bleibt! rief er mit höhniſchem Lachen. *) Memoires d’un homme d’etat. V. 495. ‘ 270 Wir wollen doch ſehen, wie lange fie bleibt. Ad, da klopft Heinle ſchon wieder an der andern Thür. Was giebt’s, Heinle? Eine zweite Depeſche des franzöflihen Gefandten, fagte Heinle, blos den Arm mit dem Papier durd die Thür ftedend. Und Sie haben diefelbe Antwort ertheilt? Diefelbe Antwort! Gut! Auf Ihren Poften! Der Arm verſchwand wieder. Thugut öffnete die zweite Depeſche und las, wie vorher, mit halblauter Stimme: „Der Geſandte der franzöſiſchen Republik benachrichtigt Herrn von Thugut, daß die Wuth des Pöbels immer im Steigen iſt; bereits ſind alle Fenſterſcheiben des Hötels zerſchmettert durch die Steine, welche die Aufrührer ohne Un— terlaß gegen dieſelben ſchleußern; er macht Ihnen die Anzeige, daß der Auflauf auf drei bis viertaufenb Köpfe angewachſen ift, und daß die herbeigerufenen Soldaten, weit entfernt, das Haus der franzöft- Shen Geſandtſchaft zu fchüßen, ganz wohlwollende Zufchauer der Laune und der Wuth des Volkes bleiben; ihre Unthätigfeit ermuthigt das Bolf, ſtatt e8 zu erfchreden. Der Gefandte kann nit umhin, zu glauben, daß diefe feandaldfe Scene von den Autoritäten nicht blos geduldet, fondern fogar genährt wird, denn nichts gejchieht, um fie zu enden. Er fieht mit ebenfo viel Bedauern ald Kummer, daß bie Würde des franzöfifhen Volks verlegt wird durch die Beſchimpfung ‚des Gefandten, der vergeblich die Menge befhworen hat, ſich zu zer- freuen und friedlich in ihre Wohnungen zurüdzufehren. In dem Augen blid, da der Gefanbte fchreibt, hat fi die Wuth fo fehr gefteigert, daß die Pforten des Hötels mit Steinwürfen eingefchlagen find, und dies in Gegenwart der Soldaten, die müßig bleiben. Die breifarbige Fahne ift mittelft Hafen und Stangen von dem rafenden Pöbel her- untergeriffen. Der Gefandte, der nicht länger in einem Lande bleiben fann, wo bie heiligiten Gefege mißachtet, die befchtworenen Berträge mit Füßen getreten werben, fordert daher von Herrn von Thugut einen Paß, um fih mit dem ganzen Geſandtſchaftsperſonal nah Frankreich zu begeben, wenn Herr von Thugut nicht fofort verfündigen läßt, daß das öfterreihifche Gouvernement durchaus feinen Antheil genommen 271 hat an den Beleidigungen und Kränkungen, die man gegen die franzd- fiihe Republif ausgeübt, daß es diejelben vielmehr förmlich desavouirt, und befiehlt, daß die Urheber und Mitfchuldigen aufgefuht und auf eremplarifhe Art beftraft werben follen. Unter diefer Bedingung allein, und wenn die öfterreihifche Regierung ſich verpflichtet, die franzöfifhe Fahne zu erfegen und fie durd einen Stabsoffizier wieder auf dem Balcon des franzöfifchen Geſandtſchaftshötels befeftigen zu laſſen, kann der Gefandte bleiben. Herr von Thugut möge bedenken, daß die Zeit drängt, daß die Momente koftbar find und daß er des⸗ halb dem Geſandten eine rafche, kategoriſche Antwort auf alle feine Tragen ſchuldig iſt.“*) Nun, ich denke, die guten Wiener werden es für mich übernehmen, Herrn Bernadotte eine Tategorifhe Antwort zu geben und ben über- müthigen Schwäger zum Schweigen zu bringen, fei’8 auf weldhe Art es wolle, rief Thugut mit einem harten Lachen. Ich bin wahrhaftig begierig, wie die Affeire enden wird, und wie meine braven Aufwiegler den Herin Geſandten für feinen Uebermüth züchtigen werben. Was, es Elopft Schon wieder? Nun, Sie find ja ein wahrer Poftillon d'amour! Schon wieder ein Schreiben ? Eine dritte Depefche vom Herrn General Bernadotte, rief Heinle von außen her, wieder nur den Arm mit der Depeſche durch die Thür ſchiebend. Thugut nahm ſie und entfaltete ſie raſch. Die Sache wird drin⸗ gender, wie es ſcheint, ſagte er lächelnd. Leſen wir! — Und mit dem Ausdruck innigſten Behagens las er: „Der Geſandte der franzöſiſchen Republik benachrichtigt Herrn von Thugut, daß der Tumult und die Exceſſe jeder Art ſchon ſeit fünf Stunden dauern, daß ſich fein öffent- licher Beamter der Sicherheit bei ihm gezeigt hat, daß der wüthende Pöbel fih in Beſitz eines Theil des Hötels geſetzt hat und dort Alles zerſchmettert und zerſchlägt!“ Aha, mein Freund Wenzel ſucht die Papiere in den Zimmern der Geſandtſchaft, rief Thugut triumphirend. Dann las er weiter: „Der *) Memoires d'un homme d'état. V. 501. 272 Geſandte, die Geſandtſchaftsſecretaire, die franzöfifhen Bürger und Offiziere, die fich bei ihm befinden, find gendthigt geweſen, fih in ein Zimmer zurüdzuziehen, wo fie mit dem tapferen Muth, welcher vie Republikaner characterifirt, Die weiteren Begebenheiten erwarten. — Der Gejantte wiederholt feine Forderung, die nöthigen Päſſe zu Ihiden für ihn und alle Franzoſen, die ihn begleiten wollen. Die Zu- fendung diefer Päfle ift um fo dringender, da die Menge, im Begriff, fi in das Zimmer zu ftärzen, wo bie Franzoſen fie erwarteten, erft dann zurüdjchredte, als einige Diener der franzöfifchen Legation ſich genöthigt fahen, von den Feuerwaffen Gebrauch zu machen, die fie in Händen bielten.“ Ab, es ift alfo zu einer öffentlihen Schlacht gekommen, jubelte Thugut, eine Feftungsbelagerung im großen Styl! Mid) wundert, daß Hübfchle noch nicht wieder da iſt. Doch halt, da höre ih ihn ſchon. Er Hopft! Nun, nun, nur gelaffen! Ich öffne Schon! Und Thugut beeilte fi, an dem Bilde zu drüden und die Thür zu öffnen. | Es war allerdings der Geheimfecretaiv Hübfchle, aber er kam nit allein. Meifter Wenzel, mit Blut beiprigt, den Anzug zerriffen und in wildefter Unordnung, trat, auf Hübſchle's Arm gelehnt, mit ihm ein. Ab, Ihr bringt mir da einen angefchoffenen Eber, rief Thugut verbrießlih. Einen Eber, der die Meute gut gehegt und Tüchtiges geleiftet hat, fagte Hübfchle begeiftert. Er hat eine Schußwunde im rechten Arm und ward ohnmädtig. Ich trug ihn mit einigen Freunden unter einen Brunnen, und wir begoflen ihn, bis er aufwachte und wieder Theil nehmen konnte an dem allgemeinen Jubel. Es war alfo ein recht hübfcher Jubel? He, Meifter Wenzel, redet doch! | Es war recht hübſch, fagte Wenzel keuchend. Wir waren in’s Hötel eingedrungen und arbeiteten tüchtig in den prächtigen Sälen. Die Meubles, die Spiegel, die Kronleuchter, die Wagen im Hof, 273 Alles ward zerfchlagen, und dabei fangen und jubelten wir: Es lebe der Kaiſer! Gott erhalte Franz den Kaiſer! Was der liebe, ſanftmüthige Haydn uns da für eine prächtige Marfellaife componirt bat, fagte Thugut leife, fi vergnügt bie Hände reibend. Und die Fahne? Was ift ans der Fahne geworben? Die Fahne hatten wir fhon vorher in Stüde zerriffen, dann waren wir mit den Fetzen auf den Schottenplag gegangen und hatten ‚ fie unter dem Jubelgeſchrei des Volks öffentlich verbrannt. Sehr gut, und was gefhah weiter im Geſandtſchafshötel? Wir ftürmten weiter von Zimmer zu Zimmer. Nichts widerftand unferer Wuth, und endlich jett befanden wir und vor den Zimmer, in welchem der Geſandte ſich mit feinen Leuten wie in einer Feſtung ver- barricadirt hatte. Es war das Arbeitstabinet des Herrn Geſandten, fagte Wenzel beveutungsvoll und langfam, das Kabinet, in weldhem er feine Papiere aufbewahrt. Thugut nidte leife mit dem Kopf und fagte nichts ale: Weiter! Ich ſtürzte auf die Thür los und ermuthigte die Andern, mir zu folgen. Es gelang uns, die Thür zu ſprengen. Im ſelben Augenblick knatterten die Schüſſe der Belagerten. Drei von uns fielen verwundet zuſammen, die Andern liefen davon. Ya, das elende Volk läuft immer, wenn es Pulver riecht, fagte Thugut unwillig. Und Ihr, Meifter Wenzel? Ih war verwundet und ohnmächtig geworden. Die Kameraden trugen mich hinaus. Und die Papiere? fragte Thugut. Ihr ließt fie im Stich? Ercellenz, ver General Bernabotte und das ganze Geſandtſchafts⸗ perfonal war ja in dem Zimmer, wo der Geſandte feine Papiere hatte. Ih wäre mit meinen Freunden eingedrungen, wenn. der Schuß mir nicht den Arm zerfchmettert und ich die Beflnnung verloren hätte. Sa, wahrhaftig, die Befinnung habt Ihr ganz und gar verloren gehabt, fagte Thugut ftreng, denn Ihr Habt fogar vergeffen, daß ich Euch die Freiheit nur unter der Bedingung verſprochen habe, daß Ihr mir bie Papiere des franzöſiſchen Geſandten brädhtet. Ercellenz, rief Wenzel entfegt, ih — | Müublbacb, Napoleon. 1. Bb. R 274 Schweigt! gebot Thugut. Wer hat Euch erlaubt, zu reden, ohne daß man Euch fragt? | Eben‘ warb wieder haftig an bie Thür getlopft und Heinle's Arm erſchien wieder in der Thürſpalte. | Schon wieder eine Depeſche vom franzöfifchen Geſandten? fragte Thugut. Nein, Ercellenz, eine Depeſche von Sr. Majeſtät dem Kaiſer. Thugut griff haſtig nach dem kleinen verſiegelten Briefchen und öffnete es. Daſſelbe enthielt nichts als die Worte: „Der Herr Ge- fanbte hat eine gründliche Lehre empfangen und feine Fahne ift zerftört. Laflen wir es jegt genug fein und vermeiden wir das Aeußerfte. Cs müſſen Regimenter aufgeboten werben, um die Ruhe wieder herzuftellen.” Der Minifter faltete das Papier langfam zufammen und fchob e8 in feinen Bufen. Dann Tlingelte er heftig und laut, daß Heinle und die Kameraden eiligft hereinſtürzten. Alle Thüren aufgemacht, alle Diener in Bewegung, commanbirte Thugut. Jedermann eingelaſſen, der mich zu ſprechen wünſcht. Zwei Boten zu Pferde follen bereit fein, Depefchen zu beförden. Jedermann barf erfahren, daß ich, trog meiner Krankheit, mi von meinem Lager erhoben habe, um die Ruhe wieder herzuftellen. Er trat an feinen Schreibtifch und fchrieb rafch einige Worte auf, bann reichte er das Papier feinem Kammerdiener. Hier, Germain, eile mit dem Bapier zum Polizei-Director, Grafen Ferſen, und nehmt mir gleich den Kerl dort mit. Zwei Diener können Did) begleiten. Ihr übergebt den Menſchen dem Polizei» Director und ſagt ihm, daß es einer der Aufrührer ift, den ih von meinen Agenten habe verhaften laffen. Der Herr Bolizei- Director fol ihn in ein fiheres Gefängniß fegen und Niemand zu ihm laffen außer den Unterfuhungsbeamten. Es ift ein fehr gefährlicher Verbrecher; das ift das zweite Mal, daß er al8 Aufrührer verhaftet wird. Nun, was fällt dem Kerl ein? Er taumelt ja wie betrunfen! Hat fih wohl mit Branntwein begeiftert zu feinen Helventhaten? Berzeihen Ercellenz, fagte Hübſchle, der Menſch iſt ohnmaͤchtig geworden. 275 .... ©o tragt ihn fort und bringt ihn in einem Wagen zum Polizei⸗ Director, fagte Thugut gleichgültig, und mit kaltem, theilnahmlofem Blick ſchaute er zu, wie die Bedienten haftig ben bleihen, ohnmächtigen Mann padten und ihn von bannen fdleppten. Wieder trat er dann an den Schreibtifch und ſchrieb haftig einige Worte auf ein großes, goldgerändertes Papier, das er dann in ein Couvert ſchob, verfiegelte und adreffirte. Eine Depefche an den Kaifer! fagte er dann, fie Heinle darreichend. Dieſelbe ſoll ſogleich durch einen reitenden Boten beſorgt werden. Dieſe Depeſche enthielt die Antwort auf den lakoniſchen Brief des Kaiſers, und fie war faft noch lakoniſcher, als jener, denn fie enthielt nichts als die Worte: „Sire, in einer Stunde fol die Ruhe wieder bergeftellt ſein.“. Jetzt, Hübjchle, fegen Sie fih, fagte Thugut, nachdem auf jeinen Befehl alle Uebrigen das Zimmer verlaffen hatten. Nehmen Sie Ihre fünf Sinne zufammen und fohreiben Sie, was ih Ihnen dietiren will. Hübſchle ſaß ſchon vor dem Schreibtiſch und wartete mit der Feder in der Hand. Thugut, die Hände auf dem Nüden gefaltet, ging lang- fam auf und ab und bdictirte: „Mit unendlichem Bedauern hat der Minifter ber auswärtigen Angelegenheiten von den Unordnungen erfahren, die ben Inhalt der Noten bilden, weldhe der Bürger Geſandter der franzöfifhen Republik diefen Abend an ihn gerichtet hat. Der Minifter wird Sr. Kaiſerlichen Majeftät genauen Bericht darüber abftatten, und zweifelt nicht, daß Derfelbe ein großes Mißbehagen darüber empfinden wird. Der Bürger Geſandter kann überzeugt fein, daß fein Mittel verabfäumt werben fol, um die Begebenheiten diefes Abends ftreng zu prüfen, und ſie zu ſtrafen mit aller Strenge, welche die Gefege vorfchreiben, und mit dem aufrichtigen Intereſſe, welches das üfterreihifhe Gouvernement immer gehegt hat, die fo glüdlich zwifchen den beiden Mächten aufgerichtete Freundſchaft zu cultiviren.” *) *) Memoires d’un homme d’etat. V. 501. \- Br 276 Nun, was unterfteht Ihr Euch denn zu lachen, Hübſchle? fragte Thugut, al8 er die Weder nahm, um die Depefche zu unterzeichnen. Excellenz, ih lache über bie vielen ſchönen und höflichen Worte, mit denen dieſe Depefche fagt: Bürger Gefandter, fordern Sie Ihre Päfſe, Sie können reifen! Thugut lächelte. Wenn Ihr betrunfen ſeid, Hubſchle, ſeid Ihr ungeheuer ſchlau, ſagte er, und darum verzeihe ich Eure Unmäßigkeit. Eure weinduftende Naſe hat doch wieder eine richtige Witterung ge- habt. Der Geſandte hat ſchon feine Päffe gefordert. Aber fort jegt! Tragt die Depefche hinaus, der zweite Courier fol fie fogleih in das franzöfifhe Gefanptfchaftshötel bringen. Ihr aber follt zum Stabt- Commandanten von Wien eilen und ihm dies Papier hier bringen. Mündlich fagt Ihr ihm: Die Thore follen gefchloffen werben, um den Pöbel aus den Vorſtädten abzufperren. Das Regiment Preiß foll das Haus des Gefandten und die umliegenden Straßen befegen und auf Seven ſchießen, der ſich widerfegt oder die Ruhe ftören will. In einer Stunde muß ganz Wien ruhig ſein! Fort! Hübſchle ſtürzte von dannen, und Thugut blieb allein. Langſam und bedächtig nahm er in ſeinem Lehnfeſſel Platz und überdachte mit lächelnder Ruhe die Begebenheiten dieſer Nacht. Ich habe zwar nicht ganz meinen Zweck erreicht, ſagte er leiſe zu fidy felber, aber Herr Bernadotte wird mir doch nicht mehr zu ſchaden verſuchen. Morgen gleich werde ich ihm feine Päſſe fchiden. *) *) Der franzöftiche Gefandte verließ wirklich die Kaiſerſtadt in Folge dieſer Emente. Bergeblich Tieß ber Kaifer einige Beichwichtigungsverfuche machen. Bernabotte blieb bei feinen Forderungen: das öſterreichiſche Gouvernement jolle die Fahne erjegen und durch einen Stabsoffizier auf dem Balcon des Gefanbt- Ichaftshötels befefligen. Als Antwort auf dieſe erneuerte Forderung fenbte ihm Thugut feine Päffe, und die Legation verließ Wien. Siehe: Häuffer, Deutſche Gefchiche II. 180 und Memoires d’un homme d’etat. V. Biertes Bud, — — — Die letzten Tage des achtzehnten Jahrhunderts. ID R J. Birtoria von Poutet. Ein Jahr war faſt vergangen ſeit der Abreiſe des franzöſiſchen Ge⸗ ſandten aus Wien, aber dennoch war es nicht zu dem vom Miniſter von Thugut fo ſehnlich gewünſchten Abbruch des Friedens mit Frank⸗ reich gekommen. Eine ſtarke Partei hatte ſich im Cabinet des Kaiſers gegen Thugut erklärt und diesmal einen Sieg über den ſonſt ſo all⸗ mächtigen Miniſter errungen. An der Spitze dieſer Partei ſtanden die Gemahlin des Kaiſers und der Erzherzog Carl. Thugut mußte daher ſogax ſeinen Zorn unterdrücken und ſeine Revanche auf eine andere Zeit verſchieben. Aber wenn die politiſchen Gewitterwolken ſomit auch wieder in die Ferne gerüdt waren, fo drohten fie doch immer noch als duͤſteres Ge⸗ ſpenſt am Horizont und warfen einen Schatten auf jeden Tag und jede Stunde. Die heitern Wiener waren ernſt geworben von ber unaufhörlichen Andauer diefes dunklen Schattend und nannten laut und leife mit finfterm Groll den Minifter von Thugut den Urheber und Anftifter alles Unheil und aller Sorge, weldye Oeſterreich bedrohe. — In ber That, Baron von Thugut war nod) immer der allmächtige Minifter, und da ber Kaiſer ihn liebte und fürdhtete, beugte fich der ganze Hof, bie ganze Stabt, der ganze Kaiferflant vor ihm. Aber indem man fi beugte, haßte man ihn, indem man ihm gehorchte, verwünſchte man ihn. 280 Thugut wußte e8 und lachte darüber. Was Fümmerte ihn das Lieben und Haffen der Menſchen! Mochten fie ihn verwünfchen, wenn fie ihm nur gehorchten! Und fie gehordten ihm! Die Staatsmaſchine drehte ſich willig nad dem Drud feiner Hand, und mit kräftigem Arm führte er das Ruder. — Bon feinem Cabinet aus lenkte er das Schidfal Defterreiche, fpann er geſchickt und kunſtvoll die Nege, mit denen er Freund oder Teind, je nachdem es feinen Zweden entſprach, umgarnen wollte. Auch heut hatte er in feinem Cabinet gearbeitet bis zum Abend, und eben erft waren die beiden Geheimfecretaire Heinle und Hübfchle von ihm 'entlaffen worden. Dies war die Stunde, in weldher Thugut entweder zum Kaiſer, oder nad feinem Garten in der Währingergaffe zu fahren pflegte. Der Kammerdiener erwartete ihn daher fchon in dem Zoilettenzimmer, und brunten im Hof fand die Equipage fehon bereit. Der Minifter indeß fchien heute von feiner Gewohnheit ab» weichen zu wollen, und ftatt zur Toilette zu gehen, Elingelte er heftig. Germain, fagte er dem emtretenden Rammerbiener, feine Uniform heute, kein Stantscoftüm, fordern meine türkifhen Gewänder. Das türfifche Cabinet erleuchtet, Ambrapäfte in ven Ampeln, Blumen in ten Bafen. Yu einer Stunde das Souper für zwei Perfonen im türfifchen Cabinet. Sorge, daß nichts fehlt. Germain verneigte fi ftumm und eilte hinaus, um bald wieber mit dem befohlenen türfifchen Coſtüm zurüdzufehren. Schweigend ließ fih Thugut von ihm mit bem foftbaren türkiſchen Schlafrod, den gold⸗ geftidten Pantoffeln befleiven, den wundervollen Caſchmirſhawl um feinen Leib fohlingen und das Haupt mit dem türkifchen Fez zieren. Dann trug Germain eine türkifhe Pfeife mit kunſtvoll gefchnigter . Bernfteinfpige herbei und reichte fie dem Minifter dar. - Nun öffne die Thür, fagte Thugut lafonifh. Germain ließ vie Mafchinerie in dem Bilde fpielen und durch die Heine Thür trat Thugut hinaus auf den Corridor. Mit haftigen Schritten eilte er beifelben hinunter und fland jest am Ende veffelben vor der ſchmalen Want, an weldyer ein von einer ewigen Lampe beleuchtetes Muttergottesbilb ding. Wieder brüdte Thugut hier an einer in dem Rahmen ange- 281 braten Rofette und das Bild fprang zurüd nnd eine Thür ward hinter demjelben fidhtbar. Der Minifter ftieß diefe Thür auf, und über die Schwelle ſchrei⸗ tend, drüdte er forgfältig die Thür wieder hinter ſich zu. Er befand fi jetzt in feinem türkifchen Cabinet; alle dieſe ſchönen Goldſtoffe auf den niedrigen Canapees, diefe herrlichen gewirkten Ta- peten, welche die Wände befleiveten, viefe Eoftbaren Teppiche des Fuß- bodens und der Tifche, dieſe filbernen Ampeln von feltfamer Yorm, die von der Dede herniederhingen und mit Ambra gefüllt waren, alle dieſe zierlichen, reich vergoldeten Geräthfchaften, welde an den Wänven umberftanden, waren ſchöne Erinnerungen für Thugut, Erinnerungen an die glüdlichite Zeit feines Lebens, denn er hatte ſich alle diefe Dinge aus Konftantinopel mitgebradyt, wo er zehn Jahre als Gefandter Defter- reih8 gelebt hatte. Thugut betrat daher nie dieſes Kabinet, ohne daß ein mildes Lächeln feine harten Züge verflärte, und er betrat es nur dann, wenn er inmitten feiner Staatsgefhäfte und Kegierungsforgen fih eine Stunde des Glücks erlauben wollte. Auch jest war daher, fobald er die Schwelle diefes Zimmers überfchritten, fein Antlig milde und weich geworben, und der harte, abftoßende Ausdruck war aus feinen Zügen verfehwunden. Mit einem Lächeln durchſchritt er das Cabinet und zog mit rafher Hand an dem goldenen Knopf da drüben in der Wand. Nach einigen Minuten wie- derholte er viefelbe Bewegung vier Mal hinter einander. Dann erhob er fein Auge zu der Heinen filbernen Klingel, die oben in ver äußerften Ede der Wand angebradht war, und betrachtete fie mit unverwandten Dliden. Während er fo da ftand, hatte fich eine Heine Seitenthür geöffnet, und Germain, in ber reichen Tracht eines Haremdieners, war eingetreten. Thugut hatte ſich nicht ein einziges Mal nach ihm umgeſchaut, er hatte nicht einen Blick für dieſe ſilbernen Vaſen mit den herrlichſten Blumen, die Germain auf den Marmortiſchen aufge⸗ ſtellt, ſeine Naſe ſchien ganz unempfindlich dagegen, daß Germain den Ambra in den ſilbernen Ampeln angezündet hatte und die bläulichen Rauchwolken einen ſüßen Wohlgeruch in denſelben verbreiteten. Er fah nur die Meine Klingel nnd ſchien in athemloſer Syannung in 282 Zeihen von ihr zu erwarten. Aber Germain hatte längft den Auspug des Zimmers vollendet und war wieder hinaus gegangen; bie Klingel fhwieg nod immer. Eine Wolfe zog über Thugut’s Stirn und das Lächeln verfhwand von feinen Lippen. Bielleiht iſt fie nicht da gewejen und hat mein Zeichen nicht ge- hört, murmelte er leiſe, ich will noch einmal läuten. Er ſtreckte ſchon die Hand nach dem goldenen Knopf in der Wand aus, als fi plöglih ein heller, filberner Klang vernehmen lief. Es war bie Feine Glocke, weldhe angefchlagen hatte. . Thugut's Antlig verklärte fih wie mit einem Sonnenſchein des Glücks, in flummer Erwartung blidte er wieder zu der Glocke eınpor. Einige Minuten hing fie wieder regungslos da, alsdann erflang fie abermald und zwar dreimal raſch Hinter einander. In dreimal zehn Minuten wird fie bier fein, flüfterte Thugut mit einem glüdlicheu Lächeln. Erwarten wir fie aljo! Er näherte ſich dem Meinen Tifh, auf weldhem er feine Pfeife hingelegt und neben welche Germain eine kleine ſilberne Schaale mit brennendem Ambra hingeſtellt hatte. Mit dem Anſtand und der Ge- laſſenheit eines echten Türken entzündete er ſeine Pfeife und ließ ſich dann auf den niedrigen viereckigen Divan niedergleiten. Die Beine unterſchlagend, in halb liegender Stellung, den rechten Ellenbogen auf goldbrokatene Kiffen aufgeſtützt, überließ ſich Thugut jetzt ſeinen Träu- men und dem ſüßen Genuß des Rauchens. Bald ſaß er da, umhüllt von einer blauen Rauchwolke, aus welcher indeß funkelnd ſeine ſchwar⸗ zen Augen hervorleuchteten, die zu der großen Pendule auf der Conſole hinblitzten. Jetzt, als er ſah, daß die dreimal zehn Minuten abgelaufen waren, ſprang Thugut mit jugendlicher Lebendigkeit. empor und ſtellte ſeine Pfeife bei Seite. Dann näherte er ſich dem großen, ſeltſam ge⸗ formten Fauteuil, der dicht unter der ſilbernen Klingel ſtand. Als er mit kräftigem Arm den Fauteuil zurückgeſchoben, ward hinter demſelben eine kleine Thür ſichtbar. Thugut öffnete dieſelbe und ſtellte ſich dann horchend neben derſelben auf. BPlötzlich war es ihm, als wenn er in der Ferne leiſes Geräuſch 283 vernahm. Es kam näher und näher, und jett erfchien in der Deff- nung ber Thür eine Frauengeftalt von wunderbarem Reiz und über- » rafhender Schönheit. Man Eonnte nichts Lieblicheres fehen, als dieſen Kopf, von langen blonden Loden umflofien, die das Antlig wie mit einem Heiligenfchein umgaben und fo feltfam contraftirten zu den großen Schwarzen Augen, die im Feuer, der Jugend und Leidenſchaft funfelten. Ihre fanft aufgeworfenen Lippen waren von der bunlelften Purpur- gluth, ein zartes Roth, wie das fanfte Incarnat in tem Innern der großen Schnedenmufcel, färbte ihre Wangen. Ihre Nafe, vom edelſten römiſchen Styl, war fein gebogen, ihre breite, hohe Stirn gdb dem zeizenden jugendlihen Angeficht etwas Bedeutfames, Ernſtes. Dan ſah in diefen Augen Gluth und Leidenfhaft, auf diefer Stirn Ge- danfen und energifhe Entichlüffe, auf diefem fchwellenden Munde Jugendluſt, Uebermuth und Scherz, Und in fchönfter Harmonie zu diefem reizenden Haupt jtand die Geſtalt diefer lieblichen Erfcheinung; fie war Mein, zart und ätheriſch, wie die Geftalt einer Sylphe, und doch von den reizendften, Üppigiten Formen; etwas größer, hätte man fie der Juno vergleihen mögen, etwar voller, der Venus; fo wie fie war, machte fie den Eindrud einer Roſenknospe, die fih zu entfalten begonnen, einer jungen Sylphide, die nur nod der Zeit bedarf, um zu einer Venus aufzublühen. Sie blieb unter der Thür ftehen und ließ ihre flammenden Blicke rings in dem Zimmer umberfchweifen, dann heftete fie fie auf Thugut und brach in ein lautes, fröhliches Lachen aus. Ah, ad, das ift das Lied meiner Bülbül, der fchmetternde Ge⸗ fang meiner orientalifhen Nachtigall, rief Thugut, indem er mit fanfter Gewalt die Lachende vorwärts zog und den Stuhl wieder vor die geſchloſſene Thür ſchob. Nun fag’ mir, meine Bülbül, warum lachſt Du? Muß ich nicht laden, Freund? rief fie mit ihrer hellen, klang⸗ vollen Stimme. Iſt dies nicht eine Ueberraſchung wie aus Tauſend und Einer Nacht? Sie ſagen mir vor einem halben Jahr, daß Sie einen Weg einrichten laſſen, auf welchem man von meinen Gemächern in ber Burg ungeſehen in Ihre Gemächer in der Staatskanzlei ge 284 langen könne. Nun, ich zweifelte nicht daran, denn zum Glück liegt ja bie Staatskanzlei neben der Burg, und e8 giebt hier und bort der ge- beimen Treppen und Thüren genug. Ich war alfo auch gar nicht er⸗ ftaunt, als ich eines Tages in der Stille der Nacht leifes Pochen an ber Wand meines Schlafzimmers vernahm und fidh plögli ein Rod in der Wand zeigte, das in wenigen Stunden zu einer Thür mit eben ſolchem Fauteuil, wie der da, fi umgeftaltet hatte; dann erſchien in der nächſten Nacht ein Schloffer und befeftigte in meinem Zimmer eine Meine filberne Olode, die hinter einer Ampel verborgen warb, und geftern flüftern Ste mir zu: „Erwarten Sie morgen das Zeichen! Ic ‚babe Wichtiges mit Ihnen zu fprehen.” — Id warte mit aller Un- geduld der Neugierde, entlich tönt die Glocke ſechs Mal, ich antworte und eile durdy die Heinen Corritore und über nie geahnte Heine Trep- pen hierher, ganz überzeugt, zu einer Staats» Conferenz zu gehen. Und was finde ih? Ein Kleines türkifches Paradies, und darin einen Paſcha — Der nichts erfehnte, als feine reizende Houri, um ganz im Pa- rabiefe zu fein, unterbrad fie Thugut. Alles hat feine Zeit, meine Victoria, die Staatsgefhäfte ſowohl, wie das Glüd. Nur fragt.es ſich, mein Faltherziger Freund, was bei Ihnen vor- angeht, die Staatsgejchäfte oder das Glüd? fragte fie, ihm lãchelnd mit dem Finger drohend. Das Glück, wenn Sie es bringen, Victoria! rief er, die ſchöne Frau mit ungeſtümer Heftigkeit an ſeinen Buſen drückend. Sie lehnte ihr Haupt an ſeine Schulter und blickte mit einem Ausdruck ſchelmiſcher Schwärmerei zu ihm empor. Sind Sie jetzt glücklich? fragte ſie leiſe. Er antwortete nur mit glühenden Küſſen und flüſterte Worte voll Leidenſchaft in ihr Ohr. Sie wehrte ihm nicht, fie lauſchte mit lächeln- dem MWohlbehagen auf feine Zuflüfterungen, und ein glühenderes In- ‚carnat färbte ihre Wangen. | Ad, ich liebe es, Sie fo ſprechen zu hören, fagte fie, als Thugut ſchwieg, es entzüdt mich, den Honig morgenländifcher Poeſie von den Pippen meines wilden Bären zu fchlürfen. Selbft ver Belveberifche 285 Apoll ift nicht fo Schön, als Sie in Ihrer genialen, wunderbaren Häß- lichkeit, wenn Sie von Liebe ſprechen! Thugut lachte. Sie finden mid alſo ſehr häßlich, Bictoria? fragte er. Ya, fo häßlich, daß Ihre Häßlichkeit für mich zur räthfelhafteften Schönheit wird, fagte fie, ihm mit ihren vofigen Fingern über das dunkle, gebräunte Antlig fahrend. Zuweilen, freund, wenn ich Sie mit Ihrem feltfamen Lächeln, Ihrer ernften Ruhe in den Saiferfälen fehe, meine ih, es ift der Gott ber Finfterniß felber, ven ich da er- blide, und der ſich zur Erde nievergelaflen, um einige Menſchenſeelen, auf die es ihm ankommt, perſönlich einzufangen. Ach, ich möchte fie um keinen Zug hübſcher, um fein Jahr jünger haben. ch liebe Ihre dämonifhe Häßlihkeit, und Ihre Höllenglutb, die fih unter dem Schnee Ihres Haars verbirgt, entzüdt mid wahrhaft. Bon jungen Männern mit dem ‚flatternden Strohfeuer der Leidenjchaft geliebt zu werben, ift etwas fo Gemwöhnlihes, aber wenn ein Greis wie ein Jüngling liebt, wenn er die Geliebte immer mit der Glorie eines Feuers verflärt, das er fih aus der Hölle geholt hat, fo ift Das etwas Dezaubernves, Göttlihes! Lieben Sie mid alfo auf Ihre Art, mein fhöner, häßlicher Fürſt der Finfterniß. Sch liebe Dich auf meine Art, mein reizender Engel, von dem Niemand weiß, daß er ein Dämon ift, fagte Thugut lachend. Es geht mir wie Dir, meine Victoria, ich liebe Dich doppelt jo glühend, weil ih Dich erkannt habe in Deiner wahren Geftalt, weil ih, wenn Du Andere anlädhelft, allein die Schlange ſehe, wo die Andern nur die Roſen gewahren, weil ih allein weiß, daß dieſe Engelsgeſtalt vie Seele eines Dämons birgt. So lieben wir und, weil wir zu einander gehören, meine Bictoria, Du nennft mid den Fürften der Finſterniß, und Du bift ohne alle Fräge die Kronprinzeffin der Hölle Wenn ich fterbe, nimmft Du meinen Thron ein. Es ift alfo in der Hölle wie in Oeſterreich? fragte Victoria. Auch die Frauen werden zur Thronfolge zugelaſſen? Nun, zuweilen will es mich wahrhaftig bedünken, als wenn %s in 286 Defterreih wie in der Hölle ift, fagte Thugut, und als wenn bie fleinen Teufel der Dummheit, ver Thorheit und des Unverftandes ſich Defterreih zu ihrem Spielplag auserfehen hätten. So verjagen wir fie, mein Freund, rief Victoria, ich denke doch, wir Beide haben die Macht dazu! Willſt Du mir helfen, fie zu verjagen? fragte Thugut raſch. Sie fragen no? fagte fie vorwurfsvol. Sie haben alfo Alles vergeffen? Unfere ganze. Vergangenheit ift unter dem Staub Ihrer minifteriellen Acten begraben? Nein, ich habe nichts vergeflen, rief Thugut faft ſchwärmeriſch, ich weiß noh Alles, Ob, mie oft, Victoria, fehe ih Dich in meinen Träumen, fo wie ih Dich zuerft fah. Weißt Du noch, wo das war? Im Lager vor Gyurgewo war's. Ya, im Lager vor Gyurgewo, als die Türken unjere Trandeen überfielen,*) als alle Militairs den Kopf verloren, als der comman⸗ birende Prinz Coburg in feiger Flucht davongeritten, al8g Graf Thun zufammengehauen und General Auffeß ſchwer verwundert war! Ob, e8 war ein fürchterlicher Tag, Schreden und Entfegen verbreitete ſich durch das ganze Lager, in panifcher Flucht fürzten die Soldaten aus» einander, Jeder fchrie, Jeder heulte und zitterte für feine eigene elende Eriſtenz. Ich befand mid) gerade im Hauptquartier, und ich darf fagen, idy allein zitterte nicht, denn die Natur hat mir die Eigenfchaft ber Furcht verfagt. Ich ſah mit Entjegen die um ſich greifende Ver⸗ wirrung, da auf einmal ſah ic ein Weib, einen Engel, welder mit flatternden Locken, mit zornfprühenden Augen daher fan, welcher zu den Soldaten fprah und mit glühenden Worten fie an ihre Pflicht mahnte. Nein, das waren feine Worte, welche fie ſprach, es war ein Strom der Begeifterung, der wie bimmlifhe Flammen von ihren Lippen zudte. Und die Soldaten hörten ihr flaunend zu, die Fliehenden ftanven, die Feigen fhämten fi, die Zitternden faßten wieder Muth, als fie die fehmetternden, fühnen Worte der jhönen Frau vernahmen. Die Beſonnenheit kehrte ihnen zurück, fie konnten wieder hören’ und * Im Jabre 1790. 287 überlegen, was wir Beide ihnen fagten, und bie ſchimpfliche Flucht verwandelte ſich, Dank Dir und mir, in einen wohlgeordneten, ruhigen Rückzug. Wir Beide retteten, was noch zu retten war. Ah, es iſt luſtig zu denken, daß in dem großen Lager alle Soldaten den Kopf verloren, und nur ein Civilift und eine Frau ihn behielten.*) An jenem Tage fhwur ich in meiner Begeifterung Dir eine ewige, unvers brüchliche Freundſchaft. Wir ſchwuren es Beide, rief Victoria. Und haben Beide den Schwur gehalten! Ich empfahl Dich nach Wien an meinen Freund, den Grafen Colloredo, und er ehrte meine Empfehlung. Er ftellte Dich bei Hofe vor, er erzählte dem Kaifer von Deinem Heroismus, und ber ganze Hof feierte die fühne Heldin von Gyurgewo. Als Dein kühner Dann, der ſchöne Hıffarenrittmeifter Charles von Poutet, in Belgien bei der Erſtürmung der Aldenhover Schanzen fiel, da kam ich zu Dir und erneuerte Dir meinen Schwur unmwanbelbarer Treue und Freundſchaft. Habe ih Wort gehalten? Gie haben Wort gehalten! Dank Ihnen und Colloredo bin ich die Freundin der Raiferin, die Aja ihrer erfigebornen Tochter, der Erz- berzogin Maria Luiſe, geworben. Aber als ich das ward, erneuerte au, ich Ihnen meinen Schwur ewiger Freundſchaft, ewiger Treue. Habe ih auch Wort gehalten? Sie haben Wort gehalten! Dank Ihnen und Colloredo bin ich ber erfte Staatsminifter, der Lenker Oeſterreichs geworben ! Und jett, mein Freund, eine Srage! Haben Sie diefes türkifche Sabinet, die geheimen Treppen und Corribore und die Zeichenfprade der filbernen Klingeln nur erfunden, um mir bier Gefühle unferer Vergangenheit zu erzählen? Nein, Victoria, um hier das Gebäude unferer Zukunft zu bauen. Hier in dieſem verſchwiegenen Cabinet wollen wir den Grunbftein dazu legen und die Zeichnung entwerfen! Bictoria, id bedarf Deiner Hülfe, wirft Du fie mir verfagen? Streden Sie die Hand mit dem Scepter aus, mein Gott der *) Raifer Franz und Metternich. Ein Fragment. ©. 33. 288 Finfterniß, gebieten Sie mir, und id) gehorche, rief Victoria lächelnd, indem fie auf den Divan nieberglitt und, die Arme über der Bruſt kreuzend, mit ſchmachtenden Liebesaugen zu Thugut emporſchaute. Er ſetzte ſich neben fie und legte feine Hand über ihre Augen. Sieh mid nicht fo bezaubernd an, daß mein Blut wie Feuer durch meine Adern ftürzt, fagte er. Laß uns zuerft von Gefchäften fprechen, und dann, dann wollen wir beim flammenden Sorbet Alles vergeffen! Höre mich denn, Victoria, fei jett etwas weniger der bezaubernde Eng el und etwas mehr der boshafte Dämon. - Gilt e8 einen Minifter zu ftürzen, einen Mächtigen in den Staub zu treten? fragte Victoria, und ihre ſchwarzen Augen bligten wie Doldfpigen. Haben wir einen Feind, den wir über die Ponte dei sospiri in ein«ewiges Gefängniß führen wollen? Sprid fchnell, mein Freund, ich warte auf die Muſik Deiner Worte. Es giebt zwei Feinde auszuforfchen, fagte Thugut langſam. Auszuforfhen! Weiter nichts? Ein bischen Spioniven, das ift Alles? Aber es könnte fein, daß bei biefem Spioniren Blut flöſſe. Ich liebe das Blut, es hat eine ſo ſchöne purpurrothe Farbe, rief Vicetoria lachend. Wer find die beiden Feinde, die ich aus- forfhen fol? | Frankreich und Preußen! Ob, das ift ein luftiger Scherz. Das ift ein tiefer Ernft. Frankreich und Preußen find bie beiden Feinde, deren innerfte Gedanken Du ausforihen ſollſt. Aber Frankreich und Preußen find nicht hier in Wien. Nein, nicht hier in Wien, aber fie find in der Feftung Raſtatt. Ich verftehe Sie nit, mein Freund. Höre mir zu, und Du wirft mich verftehen! Du weißt, daß ich Franfreih haſſe, daß dieſer erzwungene Friede mir ein Gräuel iſt. Frankreich ift die Hydra, der man entweber den Kopf abfchlagen, oder von der man fich verfchlingen laſſen muß. Ich bin für's Kopf- abſchlagen! Ih auch! rief Victoria lachend. Haft Da ein Schwert, welches 289 fharf genug ift, den Kopf der Hydra abzufchlagen, fo gieb es mir und ih baue zu. Die Hydra meint ein Schwert zu haben, mit welchem fie mid) tödten könnte. Höre! Ich war einmal in meinem Leben ein Thor und unterfchrieb ein Bapier, das mich anklagen Eönnte, went man es dem Kaifer vor die Augen brächte. Diefes Papier’ ift in den Händen Frankreichs. Frankreich hat eine große Hand. Welcher Finger hält es? Vor einem Jahre war das Papier in Bernadotte's Händen, und er hatte ſchon bei der Kaiſerin eine Audienz erwirkt, um ihr das Pa⸗ pier zu geben, das ſie verſprochen, dem Kaiſer zu überreichen. Ich erfuhr's zur rechten Zeit und ſandte einige gute Freunde aus, um die Papiere aus den Gemächern zu holen! Ah, ic) verftehe! Es war am Tage des Feſtes ber Freiwilligen und der Nationalfahne. Es war an jenem Tage! Der Coup gelang nicht ganz; wir gaben Bernadotte eine gute. Lehre, wir zwangen ihn, Wien zu ver- laffen, aber — er nahm jene Papiere mit! Und wo ift Bernadotte? In Raſtatt, wo er als Militair-Bevollmägtigter Frankreichs dem Congreß beimohnt. Ich werde als Ihr Bevollmächtigter auch dahin gehen, mein Freund, rief Victoria lädjelnd. Aber dies Mal werben wir, um bie Papiere zu erlangen, nicht einen Sturm auf fein Haus unternehmen; wir werben nur fein Herz beftürmen, und daß ih ba eine Breſche made, groß genug, um die gefährlihen Papiere hindurchzulaſſen, das hoffe ich, glauben Sie meiner Gewandtheit und — Und Deiner Schönheit, ja! unterbrad, fie Thugut. Aber ich glaube, meine ſchöne Victoria wird nicht bei Bernapotte, fondern anderswo Breſche Schlagen müfjen. Bernabotte hat fih warnen laffen von jener Scene in feinem Hötel, er hat jehr wohl begriffen, daß ver Beſitz jener Papier gefährlich ift, und er bat daher die Gefahr von fih auf andere Schultern gewälzt. Er hat die Papiere einem Andern an vertraut. Mublbach Napoleon. 1. Bd \9 290 Wem? Wenn e8 ein Mann von Fleifh und Blut ift, fo nenn’ ihn mir, und id wage den Kampf gegen ihn, rief Victoria. ' Es ift jedenfalls einer von ben drei officiellen Gefanbten ber franzöfifhen Kepublit, und ich habe Grund, zu glauben, daß es der über müthige und free Bonnier if. Mindeftens ift er es gewejen, der zum Grafen Cobenzl von gewiljen Papieren gebrochen hat, Die mir gefährlich werden könnten, und verftohlen angefragt hat, ob Eobenzl geneigt fein möchte, diefelben dem Kaiſer zu übergeben. Laffen Sie mid) abreifen, Treund, ich muß die Papiere haben, ſagte Victoria aufſpringend. Ach, wie ſchön Du biſt in Deinem Ungeſtüm, rief Thugut lächelnd, wir ſind aber noch lange nicht am Ende mit unſerer Con⸗ ferenz, meine Victoria. Allein um dieſer elenden Papiere willen würde ich meinen Engel nicht anflehen, ſeine Dämonsflügel zu entfalten und mir beizuftehen. Handelte eg ſich nur um meine Intereſſen, jo würde ih das Schickſal walten laffen, und Alles feiner Entfheidung anheim ftellen! Aber es handelt ſich zu gleicher Zeit um die Intereſſen Defterreihs, und dies fage ich nicht in dem Sinn, in weldem mein großer Vorgänger, der Fürft Kaunitz, zu fagen pflegte: „Wer mid angreift, der greift Oeſterreich an, denn Defterreih kann nicht beftehen ohne mih! Es würde zufammen fallen, wenn meine ftarle Hand es nicht hielte.“ — Nein, ich weiß fehr wohl, daß kein Menſch unentbehrlich ift, daß wir Alle nur Maſchinen find in der Hand des Fatums, und daß, wenn eine der Maſchinen abgenugt und entbehrlid ift, das Fatum diefelbe bei Seite fhiebt, um eine neue an feine Stelle zu ſetzen. Aber ‚der Staat ift ein höherer und wichtigerer Begriff als ein Individuum; den zu vertheidigen muß man alle feine Macht, alle feine Energie zu» fammen raffen, und e8 kann gar nidht darauf ankommen, ob dabei einige Menfchenleben gefährdet, und einiges Blut vergoſſen wird. An Menfchenleben ift Ueberfluß in der Welt, und das vergofiene Blut erfegt fih in einigen Stunden. Bictoria, nicht mir allein ſollſt Du beiftehen und helfen, fondern den Staat folft Du unterftügen, für ihn ſollſt Du ein kleines Wagniß unternehmen. 291 Nur der Wagende gewinnt! vief Victoria mit einem bezaubernden Lächeln. Sag’ mir, was id thun fol, mein Freund! Bezaubernd fein, von der Gewalt Deiner Reize Gebraudh machen, weiter nihts! Einen Bären zähmen, um ihm feine Geheimniffe zu entloden. In mwelhem Walde finde ich diefen Bären? In Raftatt, und fein Name ift Roberjot oder Bonnier oder Debry— was weiß ich es! Verſuch's mit allen Dreien. Einer von ihnen wird doch ein Herz haben, um der Liebe fähig zu ſein, und Augen, um die Schönheit zu erkennen. Dieſen Einen feſſele an Deinen Triumph⸗ wagen, forjche ihn aus, made Dich zu ſeiner Vertrauten, ergründe ſeine Geheimniſſe. Zu einem beſtimmten Zwed, oder nur im Allgemeinen? Zu einem beftimmten Zwei! Ic habe Grund zu glauben, daß Frankreich mit uns ein boppeltes Spiel |pielt, daß «8, indem es unfere Bundesgenoſſenſchaft ſucht und täglich Betheuerungen feiner Freund⸗ ſchaft macht, doch ganz im Stillen gegen uns conſpirirt— Conjpirirt, mit wen? Mit Preußen, mit dem Todfeind Oeſterreichs! Uns bat Frank⸗ reich die Berfprehungen geleiftet, daß es Preußen feine weitern Er» werbungen zugeftehen wolle; ich bin überzeugt, daß es ganz in ber Stille ähnlihe Zufiherungen an Preußen in Bezug auf uns gegeben bat, und daß es ebenjo eifrig und mit ebenjo viel Verſprechungen bie Bundesgenofienfhaft Preußens, wie die Defterreihs, fucht. Es ift aber für uns von der äußerſten Wichtigkeit, zu willen, was Frankreich an Preußen verfprodhen haben mag und wie weit die Unterhandlungen zwiſchen den beiden Mächten überhaupt geviehen find. Dies zu er- gründen, ſei's mit Güte oder mit Gewalt, mit Lift oder mit. Zwang, mit Beftehung oder mit Drohung, dies ift Deine Aufgabe, mein bimmlifcher Dämon. Es ift eine fhöne Aufgabe, weil es ein fchwierige ift, fagte Bicetoria ftolz. Es ift ein geiftiger Zweikampf auf Xeben und Tod, den ih da mit einem diefer franzöfifhen Bären führen will. Aber es fol meiner ſchönen Bictoria niht an Seruntomien 19% 292 _ fehlen, welche ihr die Waffen fhleifen und Alles thun follen, was fie begehrt. Mer find meine Secundanten? _ Graf Lehrbah und der Oberft Barbaczy. Ab, Barbaczy, den wir vor Gyurgewo kennen lernten? | Derfelbe! Ein kühner, unerſchrockener Mann, dem es vor Gott und dem Teufel nicht graut! Lehrbach und Barbaczy, Deine beiden Bluthunde, ſagte Victoria ſinnend. Wenn die dabei und meine Secundanten ſind, ſo fürchte ich, es wird nicht blos beim geiſtigen Zweikampf und bei Herzwunden bleiben, ſondern es wird auch wirkliches Blut und fleiſchliche Wun- den geben. Ich muß die Papiere haben, rief Thugut, ſei's mit Liſt oder mit offener Gewalt, verftehft Du mich? Und was die Wunden und das Blut anbetrifft, fo wünfchte id von ganzem. Herzen, dieſen unver- fhämten republifanifhen Gefellen, welche fih in Raſtatt geberben, al8 wären fie die Herren von Deutihland, eine derbe und blutige - Lection zu geben, und damit Frankreich) unfere Gefinnung durd bie That zu beweifen! | Gut, mein Gott Satanas, ih werde Dir helfen, diefes Höllen- ftüdhen auszuführen. Nun bleiben mir nur noch zwei wichtige Fragen. Die erfte ift: unter welhem Vorwand befomme ich hier Urlaub von meiner kaiſerlichen Herrin? | - Haft Du nicht eine Schwefter, welche an einen reihen Grundbeſitzer im Großherzogthbum Baden verheirathet ift und von der Du geftern Nachricht erhielteft, daß fie plöglich gefährlich erkrankt fei? Ih, eine Schwefter? rief Victoria lachend. Ich, welche niemals ‚gewußt hat, was ein Vaterhaus, eine Familie ift, idy, welche wie eine reife Pfirfihblüthe zur Erde gefallen und da zertreten wäre, wenn nicht zufällig mein fchöner, großmüthiger Charles von Poutet gerade porübergelommen wäre, als der Wind mid) daher trieb, und wenn er mich nit ritterli aufgehoben und an feinen Bufen geftedt hätte! Ih babe niemals eine Familie gekannt. Als Waife bin ich auferzogen, 293 und daher hat mi aud das Leben fo weife gemacht. Nein, mein Freund, ich habe keine Schweſter. Beſinnen Sie Sich doch, Victoria, es iſt ja Ihre Schweſter, melde Sie ſterbend zu ſich ruft, und der zu Gefallen Ihnen die Kaiſerin Urlaub geben wird! Ah, vraiment, jetzt beſinne ih mich! Ja wohl, ich muß zu meiner Schweſter! Das gute, treue Schweſterherz, wie es ſich nach mir ſehnt, wie es des Wiederſehns bedarf, um geneſen zu können. Oh, ich muß zu meiner Schweſter, nichts kann mich zurückhalten, nichts mich hindern. Die gütige Kaiferin kann mir den Urlaub nicht ver- weigern, denn es gilt, eine geheiligte Pflicht zu erfüllen. Heiliger als alle andern Bande find die Bande der Familie. .- Ab, Sie find in der That eine zärtlihe Schwefter; die Raiferin wirb einer ſolchen gern Urlaub ertheilen, und morgen Abend werben Sie abreifen. Sch werde dafür forgen, daß auf jeder Station vier Boftpferde Mir Sie bereit ftehen, einen bequemen Reifewagen jende ich Ihnen morgen früh. Somit wäre Ihre erfte örage beantwortet. Jebt zur zweiten. Ja, mein Freund, alſo kurz und gut, meine zweite Frage: Wenn ich meinen Auftrag ausgerichtet, mein Duell ritterlich aus- gelämpft und die Papiere erobert habe, was bekomme ich dann für einen Lohn? Den einzigen, weldhen ich wagen, darf, einer fchönen, jungen Wittwe anzubieten, fagte Thugut, mit einem diabolifchen Lächeln. Einen Gemahl, der Ihnen einen glänzenden Namen giebt, Ihre Stellung beit Hof confolivirt, und, Ihnen dereinſt ein fürftlihes Erbtheil binterläßt. Wie? rief Victoria freudig, Sie wollen fih mit mir vermählen, mein Freund ? | Ih? fragte Thugut faft erfchroden. Wer fpradh von mir? Bin ih ein Mann, der Ihnen Reichthum und einen glänzenden Namen zu bieten bat? Mein Vermögen wär’ zu gering, um Ihnen nur als Nabdelgeld zu dienen, und der Sohn des Schiffbauers hat fi wohl einen tüchtigen Namen zufammenzimmern können, aber es fehlt ihm der 294 Afchenftaub von zehn vermobderten Ahnen. Ich bin mein eigener Ahn, und mein Geſchlecht wird nur nad Einem Manne zählen, nad) mir felber. Nein, Victoria, ich habe etwas Beſſeres erfonnen. Ich made Dich zur Gemahlin des Minifters Grafen Colloredo. Er ift von alt- adligem Geſchlecht, und feine Gemahlin hat vor allen Gemahlinnen der Minifter und des niedern Adels den Vortritt bei Hofe. Er ift außerdem reih und ber Liebling des Kaiſers. Ich werde ihm begreif- lich maden, daß er Dich glühenn liebt, daß er fterben wird vor un— befriedigtem Sehnen, wenn Du ihn ausfchlägft. Der gute Graf hört nicht gern von Sterben, er wird es als eine Rettung betrachten, wenn Du feine Werbung annimmft und ihm erfaubft, fi in Deinen Armen zu verjüngen. Ihn dahin zu bringen nnd ihn richtig zu leiten, Dies Alles ift meine Sorge. An dem Tage, wo Du mir die Papiere bringft, die Papiere, wenn fie auch ein bischen mit Blut befpritt find, an dem Zage habe ich die Ehre, Di zum Traualtar zu führen und in Dir die Gräfin Colloredo zu begrüßen. Der Plan ift gut und ausführbar, fagte Victoria finnend, und doch gefällt er mir nicht ganz. Frei und offen, Freund, wenn Sie doch meinen, daß ich mich wieder vermäblen fol, warum heirathen Sie mid alsdann niht? Was fol ih mit dem kindiſchen, eitlen, ahnenftolzen, fiebenzigjährigen Colloredvo, da ich meinen Gott ber Finſterniß haben kann? Thugut, ih frage Sie, warum wollen Sie mich nicht heirathen? Thugut erwiderte den flammenden Blid der reizenden Frau mit einem lauten Lachen. Ich Dich heiratben, mein himmliſcher Damon? Ah, das würde fehr unflug fein, denn alsdann müßte ih von Dir verlangen, daß Du ein frommes und feufches Leben führteft und mei- nen Namen unbefledt erhielteſt. Ah, Sie find grob, rief Victoria glühend. Sie wollen mir fagen, daß ich 88 nicht werth bin, Ihre Gemahlin zu fein! Du bift viel mehr werth, Theuerfte, denn Du bift ein Dämon’ der Liebe; meine Gemahlin aber dürfte nur eine Matrone der Keuſch⸗ beit fein. | Oh, wie langweilig! feufzte Victoria. 295. Nicht wahr, wie langweilig? fragte Thugut. Und unfer eigenes himmliſches Verhältniß, der letzte Blüthentraum meines Lebens, würde der nicht auch zerriffen, wenn Du meine Gemahlin wärft? Wozu be- bürften wir dann des Geheimnifjes, der verborgenen Treppen und Thüren, dieſes türkiſchen Gabinets, da ich berechtigt wäre, vor den Augen aller Welt in Dein Zimmer zu treten? Auch würbeft Du mir und id Dir dann nicht mehr nützen können! Meine Gemahlin müßte natürlich aller Drten meine Partie ergreifen und mid vertheibigen, während, wenn Du die Gemahlin -eings Andern bift, Du die volle Freiheit haft, für mid, zu handeln und mid zu begünftigen. Meine Gemahlin dürfte id bei Hofe nicht weiter pouffiren, ſie nicht der Kaiferin gegenüber loben, fie nicht zu neuen Ehrenftellen und Würden empfehlen. Meine Gemahlin würde daher die Aja der Kleinen Erzherzogin Marie Luiſe bleiben, die Gräfin Victoria Colloredo aber kann ich durch meinen Ein- fluß zur Oberhofmeifterin der Herzogin befördern. Zur Oberhofmeijterin! rief Victoria freudig und mit glühenden Wangen. Sie haben Redt, Fremd, es ift beffer, daß ich den Grafen Colloredo heirathe. Colloredo beherrſcht den Kaifer, ich beherrfche die Kaijerin und werde auch Colloredo beherrfhen. Aber ich werde wie- berum beberrfcht von Dir, und fo wirft Du es’ allein fein, Du, ber ung Alle und der Defterreich beherrſcht, denn ich werde und will alls zeit Deine getreue Dienerin und Freundin bleiben! Frauenſchwüre raufchen vorüber wie der Wind, find beweglid wie die Wolke! fagte Thugut achſelzuckend. Aber Dir. glaube ih, Victoria, denn Du bift fein Weib, wie andere Weiber find. Aber müßte ich Dich doch eines Tages fo erkennen, bei Gott und allen Teufeln, ich würde eine fürdterlihe Race nehmen! Was für eine Rache mein Freund? fragte Victoria, fi lächelnd und zärtlih an ihn ſchmiegend. + Für mid giebt es nur Eine Art, wie man ein treulojes Weib ftrafen kann, ſagte Thugut, und wenn id) meinen Freund, den guten Sultan Muftapha, um etwas beneide, fo ift es darum, daß er biefe Strafe fo öffentlich verfügen kann. Ein treulojes Weib läßt man fäden, das ift Alles! Mean ftedt fie in einen Sad, gelnebelt natür 296 Ih, daß fie nicht fchreien kann, und in ber Stille ver Nacht fährt man mit ihr hinaus ind Meer, das feine Wogen ſchweigend öffnet, um das fchweigende Opfer zu empfangen. Ich habe in Eonftantinopel breimal diefem romantifhen Schaufpiel beigewohnt und jedesmal hat es mich entzüädt! Es ift fo geräufchlos, fo einfach und doch fo viel» fagend! Nun, wir haben hier zwar nicht das Meer, aber wir haben die Donau, und es ift Raum in ihr für viele treulofe Weiber. Hüte Dich alfo, Victoria! Aber nun genug von Gefhäften und von Politik! Jetzt, mein Dämon, entfalte Deine Engelöflügel und laß mid, eine Stunde bei Dir im Paradiefe fein! Willſt Du mir die Ehre erzeigen, Gräfin Colloredo der Zukunft, mit mir bier zu foupiven? Hier? fagte Victoria, verwundert um fi fohauend. Iſt vie Tafel gedeckt? | Sie ift gededt! Merk auf! Thugut büdte ſich und drückte mit kräftiger Hand an dem goldenen Stnopf, der auf dem Parquet dicht neben dem Divan angebradt war. Sofort vernahm man ein feltfames Knarren ünd Klirren, der Fuß⸗ boden fchob fi von einander und gab einer weiten Deffnung Raum. Aus diefer Deffnung ftieg nad wenigen Minuten langfam und majeft&- tifch eine veich fervirte, von Silber und Kryftall ftrahlende, mit ben duftigften Speifen, den funkelndſten Weinen befegte Tafel empor. Herrlih! vief Victoria, wie eine Tee die zauberifhe Tafel um- tanzend. Herrlih! Der Fürft der Finſterniß befiehlt, die Hölle thut fih auf, und an dem Teuer, an welchem man da unten die Menfchen- jeelen röftet, hat man für Gott Satanas die würzigften Speifen be: reitet! Aber ſchwöre mir erft, Freund, daß diefer Faſan nicht, ftatt nit Trüffeln, mit Menſchenſeelen gefpidt ift! Meine Bictoria, rief Thugut lachend, den Menfchenfeelen geht es nur zu oft wie den Trüffeln, fie werden von Schweinen entbedt und aufgefunden! Komm, dieſe Schaale Sorbet trinke ih auf das Wohl ter künftigen Gräfin Collorebo! 297 II. In Raſtatt. Zwei Jahre faſt tagte jetzt der Congreß in Raſtatt, zwei Jahre ſtritten ſich die deutſchen Geſandten mit Frankreich um die uralten Grenzen des Reichs, ſtritten einer mit dem andern um einige Streifen Landes, einige Privilegien, welche Dieſer begehrte, Jener nicht bewil⸗ ligen wollte! Es war ein trauriger, unheilsvoller Anblick, den dieſer Congreß von Raſtatt gewährte, und mit trüben Blicken ſchaute ganz Deutfd:- land ihm zu, mit höhniſchem Lachen zeigte Frankreich darauf hin und rief: nicht wir find es, welche Deutjchland zerftören und auflöfen, ſon⸗ dern Deutſchland tödtet fich felber. Es löſt fid auf an feiner eigenen Schwäde, une an der Uneinigfeit feiner Fürften und Herrn wirb es fterben! a, in der That, Deutfhland trug den Keim des Todes und ber Auflöfung in feiner Franken, zerfegten Bruft, und fchon zeigten ſich die erften Symptome der Verweſung. Diefe erften Symptome, das war der Neid, der Hader und Haß der deutſchen Stände untereinander, das war bie boshaite Freude, mit welder Einer ven Andern dahin fterben ſah, ohne Mitleid mit feinen Qualen, nur daran gedenkend, daß er den Sterbenven beerben wolle. Das erfte Glied Deutfchlands, weldes dem Tod verfiel, das waren bie Bisthümer und die geiftlihen Staaten. Sie zuerft zeigten die Fäulniß und Verwefung der deutſchen Zuftände Diejenigen alſo der deutſchen Länder, welche Bortheil von der Auflöfung berfelben erwarten konnten, ftimmten für die Säcularifation, diejenigen, welche dadurch mit Berluften bedroht wurden, ftimmten dagegen. Ein neuer ° Banlapfel war in das deutfche Reich geworfen, in zwei Parteien, vie fi) drohend gegenüberftanden, löſte der legte Funke deutjcher Einigkeit fi auf. Oeſterreich erhob laut feine Stimme gegen die Säcularifa« tion der geijtlichen Güter, weil e8 darin feinen Vortheil für Au, (nur 298 bern nur für feine Rivalen fah, Preußen erklärte fi für die Säcula- riſation, weil es für ſich Vortheil nnd Vergrößerung davon erhoffte, und dringender noh als Preußen begehrten die mittleren und kleinen Fürſten die Aufhebung der geiftlihen Stifte, die zum Theil auch ihnen als Erbe anheimfallen mußten. Die Habgier ließ die deutfchen Yürften und Stände ale andern Intereſſen überſehen, und alle Prinzipien verleugnen; aus Habgier rüttelten ſie zuerſt an dem alten, morſchen, tauſendjährigen deutſchen Reich; aus Habgier zerſtörten fie die alte Ordnung der Dinge, und das Gebäude deutſcher Reihsverfaflung erhielt feinen erften Riß von beutjhen Händen. Die deutſchen Gefandten zu Raſtatt vergaßen daher des eigent- lihen Zwedes ihrer Sendung; fie waren gelommen, um das Fortbe⸗ ftehen des deutſchen Reich zu fihern und Deutfchland zu wahren gegen Frankreichs Webergriffe, und jegt waren fie felber es, welche unterein- ‚ander das deutſche Reich bevrohten. Sie waren gefommen, um bie Grenzen Deutfchlands feftzuftellen, und jegt waren fie e8 felber, welche die Grenzen der einzelnen. Länder und Staaten des Reichs angriffen. Kein Wunder, daß Frankreich Vortheil zu zichen trachtete von diefem Hader der Deutfchen untereinander, fein Wunder, daß es ver- meinte, fih aud ein Stüd Deutſchland aneignen zu dürfen, da es ſah, wie die deutfhen Stämme untereinander daran rüttelten und zerrten. Frankreich ſchob daher feine Truppen auf dem rechten Rhein⸗ ufer weiter vor und beanfprucdhte die Feſtungen Kehl, Ehrenbreitftein und Caſſel als Eigenthbum Frankreichs. | Einen Moment verftummten vor dieſem neuen, unerhörteſten Be⸗ gehren die Zwiſtigkeiten der Deutſchen untereinander, und alle Stimmen vereinigten ſich, um ſich laut und feierlich zu verwahren gegen dieſe neue Forderung der franzöſiſchen Republik. Aber die feierlichen Proteſte der deutſchen Geſandten zu Raſtatt erwiderten die Franzofen: mit kaltem Hohngelächter, mit ungeſtümen Drohungen. Da man ihnen Ehrenbreitſtein nicht gutwillig überliefern wollte, blokirten ſie es, ſchrieben auf dem rechten Rheinufer Kriegs⸗ contributionen aus, und erklärten die Güter der Ritterſchaft zu Na⸗ —2 . 299 tionaldomainen der Republik.“) Als die deutſchen Geſandten über ſolch unbilliges Verfahren in Raſtatt Klage erhoben, erklärten die Franzoſen: „die Großmuth der franzöſiſchen Nation habe alle Erwar⸗ tungen übertroffen. Sie wäre in ber vage, Alles zu nehmen und be- gnüge fih mit Wenigem.“ Man war nah Raftatt gekommen, uni den Frieden zu vermitteln, aber aus diefem Frieden, den man gewollt, wuchs immer deutlicher die unbeilvolle Knospe des Krieges und des Unfriedens empor. Immer unerträglihet warb der Uebermuth und Hohn Frankreichs, immer ficht- barer der Wunſch Defterreihs, endlich dieſen Uebermuth zu ftrafen und Rache zu nehmen an Frankreich für fo viel erduldete Schmad, fo viel empfindliche Beleidigungen. Aber wieder fehlte e8 in Deutichland an Einigkeit. Preußen zauderte, ſich Defterreih anzufchließen und in offenem Krieg fi gegen Frankreich zu erklären; es hielt einen Krieg für feine Sonderintereflen verberblid und wünſchte ſich felber ven Frieden zu bewahren; die Heineren deutſchen Staaten aber ließen fid) einfhüchtern von den Drohungen Franfreihs, fie alle mit Haut und Haaren zu verfchlingen, und waren ganz geneigt, Deutfchland immer auf's Neue demüthigen zu. laffen, vorausgejegt, daß nur Ihre eigene Heine Eriftenz nicht gefährdet werde. So ging das Friedenswerf nicht vorwärts, fondern warb nur zur Schmach Deutfhlands, und der Kongreß in Raftatt war nur ein Sympton der Krankheit, an welder Deutichland bald dahin jterben follte. Einem alten, erfhöpften Greiſe gleih ſchien Deutſchland fterben zu müfjen an feiner eigenen Schwäche und der Erfchöpfung feiner Kraft. Diefe Schwäche wuchs mit jedem Tage. Im Ianuar 1799 war Ehrenbreitftein gefallen und die Franzoſen hatten es in Beſitz ge- nommen. | Und die Friedens- Commilfion in Raftatt tagte weiter und unter . handelte ungeftört weiter mit Frankreich, welches jegt eben erft treulos *) Deutſche Geſchichte von’ Ludwig Häuffer. Theil IL. ©. 201. 300 . wieder bie Vriedens - Berträge gebrochen und deutſches Eigenthum und Land ſich angeeignet hatte. Wenn die deutjchen Oefandten vielleicht Fein Gefühl ihrer Schmad) und Entwärbigung hatten, fo .war das bei den franzöfiihen Gejandten defto Iebhafter und ſchneidender. Mit verachtungsvollem Hohn begeg- neten fie den Geſandten Deutichlands, mit ſtolzem Uebermuth wagten fie e8, fi einzumfchen in die inneren Angelegenheiten des deutjchen Neihs, mit gebieterifhem Zone in ihrer gewohnten, hochfahrenden Wejſe traten fie immer mit neuen Forderungen hervor, und tie Ver⸗ treter bes deutſchen Reichs wagten faum nod im fhüchternen Ton eine Weigerung fi zu erlauben. Nur einer von den drei franzöfifhen Geſandten war feit einigen Wochen weniger hochfahrend gewefen, er hatte überhaupt weit weniger als fonft an den Angelegenheiten des deutſchen Congreffes Theil ge⸗ nommen, und während Roberjot und Sean Debry in jeder Congref- Sigung ihre hochfahrende und ſtolze Stimme vernehmen ließen, hielt ſich Bonnier ganz abgejchlofien und fern von denfelben. Ex verkehrte aud nicht mehr mit feinen eigenen Landsleuten, und nidht mehr wie ſonſt fah man jeden Abend feine hohe, impofante Geftalt mit dem vüftern, ftolzen Angefiht in den Salons der franzöfifhen Damen Koberjot und Debry. Er floh die Geſellſchaft, wie er ben Congreß floh, und die franzöfiihen Damen lädelten dazu nnd erzählten ſich leife untereinander, daß dem ftarfen Republikaner, dem wilden Frauen- verächter etwas Unerhörtes, Seltſames wiberfahren, daß. er verliebt fei, verliebt in jene wunderbar ſchöne Fremde, melde ſich feit einigen Wochen in Raſtatt aufhielt, aber in folder Zurüdgezogenheit lebte, daß man nur flüchtig und von fern zuweilen ibrer anſichtig geworden. Niemand wußte, wer dieſe Fremde fei und was fie hier wolle; nirgends hatte fie Beſuche gemadt, oder ihre Karten abgeben laffen; nur in Begleitung eines Dieners und einer Kammerfrau war fie gelommen; aber e8 war jhon im Boraus für fie eine glänzende Wohnung und eine Loge im Theater gemiethet worden; in biefer Loge fah man all- abendlich in dichte Schleier eingehüllt die fhöne, ſchlanke Geftalt der räthfelhaften Fremden, und neben ihr hatte man alsdann mehr als 301 einmal das düſtere bleiche, von langem fhwarzem Haar ummallte Antlitz Bonnier’s erblidt. — Victoria von Poutet hatte alfo ihren Zwed erreicht, fie hatte einen der franzöfifhen Bären gezähmt, und ihn in bie Zaubernege ihrer Schönheit verftridt. Sie war diefe rätbjelhafte Fremde, deren Er- fheinung feit einigen Wochen die Salons in Raftatt befchäftigte, fie war es, weldher Bonnier wie ihr Schatten folgte. | Sie war zu ihm gelommen als eine Flüchtige, Verfolgte, mit Thränen in den Augen. Sie hatte ihm eine tragifche Gefchichte erzählt von Thugut’s Tyrannei und böfer Luft. Weil fie den Wünfchen und Gelüften des öſterreichiſchen Minifters fih nicht hatte fügen wollen, hatte er ihr Verderben gejchworen, hatte feine Liebe fich in wüthenden Haß verkehrt. Mit der Einziehung ihrer Güter, mit Gefängnif, Tod und Schande hatte er fie bebroht, und nur ihrem Muth und ihrer Lift . war es gelungen, ſich zu erreten und zu entfliehen. Jetzt fam fie zu Bonnier, um von der Großmuth Frankreichs Schu und Hülfe zu beanfpruchen, um ſich von der rohen Gewalt eines deutfchen Miniftere zu ben chevaleresfen Schuß ber franzöfifhen Republik zu retten. Wie ſchön fie war in ihren Thränen, mit dem traurigen Lächeln um bie fchwellenden Ltppen. Aber wie viel fchöner noch, wenn ihre Wangen in dunklem Incarnat erglühten, wenn ihre großen dunkeln Augen bligten in der Gluth der Rache und des Zorns. Denn Bictoria von Poutet wollte nicht blos Schuß, fie wollte auch Rache. Rache an diefem tyrannifhen Thugut, der e8 gewagt, ihre Unſchuld und ihre Tugend zu bedrohen und ihre Ehre, ihr Lebens- glüd anzugreifen. Sie war nicht blos verfolgt, fie war auch beleidigt, und für die Beleidigung wollte fie den üfterreihifhen Gewalthaber züchtigen. Dazu jollte Bonnier ihr behülflich fein. Er follte ihr bie Mittel in die Hand geben, Thugut zu ftürzen. Mit welcher begeifterten Beredtſamkeit ſprach fie zu Bonnier von ihrem Unglüd, ihrem Zorn und ihrem Rachedurſt. Welhe Wahrheit in ihrem Ausdruck, welde dämoniſche Gluth in ihrem Blid, welde Energie in ihrem ganzen Wefen, das von kühnen Entſchlüſſen, hohen Wollen flammte und glühte. 302 Bonnier fchaute fie an mit ftaunenden Entzüden, mit jcheuer Ehrfurcht. Er, weldher die Weiber ‚gehaßt hatte, weil fie fo elend, ſchwach und Heinli waren, er jah jet vor fi ein Weib mit der Energie eines Hafjes, wie er ihn felber kaum gefannt hatte, mit der Begeifterung eines Rachegefühls, das feine Gefahr und fein Hinderniß fheute. Unter diefer zarten, ätherifhen Frauenhülle barg fih ver Geiſt, das feſte Wollen eines Mannes, kühne Gedanken ftanden auf ihrer hohen Stirn, bezauberndes Lächeln fpielte um ihre vollen Lippen. Während Bonnier ven Dithyramben ihres Hafles und ihrer Rache zubörte, ſchlich ſich die Liebe in fein eigenes Herz ein; fie hatte ihn bezaubert mit ihren Rachegeſängen, wie Andere mit ihren Liebesliedern bezaubern. | Victoria war ſich ihres Sieges bewußt, fie hatte mit ihrem Aoler- blid jede Bewegung, jeden Schritt dieſes unfchuldigen Lammes, das fie erwürgen wollte, verfolgt, fie hatte ihn hineinjchreiten jehen in die fternenfuntelnden Nee, die fie ihm ausgejpannt, fie wußte, daß er darin gefangen war, ohne es felbft zu ahnen und zu miflen. Nun nahm ihr Weſen eine neue Nuance an, nun war fie nicht mehr blos das racheglühende Weib, fondern aud das fchmwärmerifche, liebefehnende, nun haßte fie nicht mehr blos, fondern fie ſchien auch empfänglic für mildere Gefühle, vor Bonniers glühenden Bliden ſchlug fie ihre Augen nieder und erröthete, feinen fhüchternen, ftotternden Liebesbefenntniffen antwortete fie mit verftohlenen Seufzern, mit einem träumerifhen Lächeln, und als Bonnier endlich mit fühneren Belfennt- niffen und heißerer Liebe fid ihr zu nahen wagte, als er ganz Gluth und DBegeifterung vor ihr auf den Knieen lag und um ihre Gegenliebe flebte, da neigte Victoria fih mit einem füßen Lächeln zu ihm nieber und flüfterte: geben Sie mir die Papiere, welche Thugut verderben follen, überliefern Sie ihn meiner Rache und ich bin bie Ihre mit meinem Leben und meiner Liebe! Bonnier blickte zu ihr empor mit einem triumphirenden Lächeln. So find Sie Mein, Bictoria, fagte er, denn Sie follen diefe Papiere haben! Ich überliefere ven böfen, verrätherifhen Mann Ihrer Rachel Sie ftredte mit einem Ausruf feligen Entzüdens ihm ihre beiden 303 Hände entgegen. Geben Sie mir die Papiere, rief fie, geben Sie fte mir und ich will Ihnen danken, wie nur die Liebe danken fann! Bonnier fhaute fie an mit einem langen Blid, und fein fonft fo düfteres Antlig war jest wie verflärt von einem glüdlichen Lächeln. Morgen, meine holde Fee, ſagte er, morgen ſollen Sie die Papiere haben, welche Ihrem Feind die Hölle, Ihrem entzückten Freund den . Himmel öffnen follen. Aber Sie müfjen mir aud) einen Beweis Ihres Vertrauens und Ihrer Liebe geben, Sie müffen zu mir fommen, fi dieſe Papiere von mir abzuholen. Ich gebe Ihnen den höchſten Beweis meiner Liebe, indem ich Ihnen Docuntente überliefern will, die nicht mir, ſondern der Republik gehören. Geben aud) Sie mir den höchſten Beweis Ihrer Liebe. Kommen Sie zu mir! Schenken Sie mir einige Stunden ftillen verfchwiegenen Glüds! Sie ſah ihn an mit einem langen, glühenvden Blid. Ich komme! flüfterte fie leiſe. — Und Victoria hielt Wort. In der Frühe des nächſten Morgens ſah man eine tiefverſchleierte Dapie in das Raſtatter Schloß, welches jetzt die drei franzöſiſchen Geſandten bewohnten, hinein ſchlüpfen. Bonnier ſelbſt empfing ſie am Fuß der großen Treppe und reichte ihr den Arm, um ſie hinauf zu führen in die von ihm bewohnten Gemächer. Sie ſprachen Beide kein Wort, ſondern durchſchritten ſchweigend die Reihe dieſer glänzenden Gemächer und traten endlich in Bonnier's Arbeitszimmer ein. Hier ſind wir am Ziele, hier heiße ich Sie willkommen, meine Zauberkönigin! rief Bonnier. Nun fort mit dieſen neidiſchen Schleiern! Lafſen Sie mich endlich Ihr ſchönes Antlitz ſehen. Er riß mit einer heftigen Bewegung ihren ſchwarzen Schleier fort; Victoria duldete es lächelnd und ſchaute ihn an mit einem wun⸗ derbaren Ausdruck von Freude und Glück. Sind Sie nun zufrieden? fragte ſie mit ihrer köſtlichen, ſonoren Stimme. Hat der ſtolze Herr der Schöpfung ſich nun einen neuen, genügenden Triumph bereitet? Die arme Sclavin, welche er liebt, muß zu ihm kommen, um ihn um Liebe und Glück zu bitten. 304 Sie hatte die Hände über der Bruft gefreuzt, und halb vor Bonnier niederfnieend fchaute fie mit einem bezaubernden Gemiſch von Schel- merei und Leidenfchaft zu ihm auf. Bonnier zog fie empor in feine Arme und wollte einen Kuß auf ihre Lippen brüden, aber fie wehrte ihn heftig zurüd. Nein, fagte fie, laffen Sie uns vernünftig fein, fo lange wir es vermögen! Erſt müſſen die Geſchäfte beendet fein, dann mag das Glück und die Liebe den opiumpuftenden Schleier über uns ausbreiten. Geſchäfte! rief Bonnier. Was haben wir zu thun mit Gefchäften! Laß fie den Diplomaten und Schriftgelehrten! Was foll dies böfe und kalte Wort auf fo ſchönen Lippen. Wenn ic Gefchäfte jage, jo meine ih Rache! fagte Victoria glühend. Geben Sie mir die Papiere, Bonnier, die Papiere, welche Thugut in's Verderben führen follen! _ Bonnier nahm ihren Kopf zwifchen feine beiden Hände und ſchaute ſie an mit einem düſter flammenden Blick. Sie haſſen ihn alſo immer noch, Sie wollen immer noch Rade,.an ihm nehmen? fragte er. Ya, ich haſſe ihn, rief fie, und der fehönfte Tag meines Lebens wird der fein, wo ich ihn von feiner Höhe geftürzt, elend, veradhtet und einfam von dannen gehen fehe. Beim ewigen Gott, man follte glauben, daß es ihr Ernſt iſt, und daß nur die Wahrheit ſolche Töne hat, murmelte Bonnier, immer noch ihr Haupt zwiſchen ſeinen Händen haltend und ſie anſtarrend. Schwöre mir, Victoria, ſchwöre mir bei Allem, was dir heilig iſt, daß Du Thugut haſſeſt, daß Du ſein Verderben wünſcheſt? Ich ſchwöre es bei dem, was mir am heiligſten iſt, ſagte ſie feierlich, ich ſchwöre es bei Ihrer Liebe! Das iſt der beſte und unzweideutigſte Schwur, und an den glaube ich! rief Bonnier lachend. Und Sie werden mir alſo jetzt dieſe Papiere geben? fragte ſie. Ja, ſagte er rauh, ich will ſie Dir geben! Komm, mein Engel, Du haft Recht, laß uns zuerft von Geſchäften ſprechen! Da, ſetze Dich hierher vor meinen Arbeitstiſch! Oh, von nun an wird mir der Blag geheiligt ſein, denn Deine himmliſche Nähe bat ihn geweiht! 305 Mid laß hier neben Dir figen, und fo wollen wir wie zwei gute und pflichteifrige Diplomaten ung unfere Depefhen vorlegen. . Sieh da! In diefer Mappe liegt Ihre Rache und Ihre Genugthuung. Dieje Mappe enthält die Papiere, welche beweifen, daß Thugut von Rußland und von England Gelder empfangen, um den Raifer von Defterreich gegen Frankreich aufzuhetzen, und daß die angebliche patriotifehe Ent- räftung weiter nichts ift, als die bezahlte Rolle eines Schaufpielers. Ich habe diefe Mappe aus dem allgemeinen Geſandtſchaftsarchive ent- wendet, verftehen Ste, Victoria, ich habe fie für Sie geftohlen. Lafien Sie uns diefe Papiere anjehen, rief Victoria!, bebend vor Ungebulp. Ä Bonnier üffnete die Mappe und zog ein Papier aus derfelben hervor. Dann, als er e8 angefchaut, flog: eine ;nüftere Wolfe über fein Antlig bin, und er ſchüttelte unwillig fein Haupt. | Ad, elender Thor, der ich bin, rief er heftig. Mich fo fürchterlich zu irren. Ich habe eine falihe Mappe genommen. Dieſe enthält nicht die Papiere, welde Sie begehrten. Das heißt, fagte Victoria mit ſchneidender Kälte, das heißt, Sie baben mic abfichtlih getäufht. Sie haben mich hierhergelodt mit falihen Borfpiegelungen, Sie haben mir ein Mährchen erzählt von wichtigen Papieren, die Sie befigen, und die Sie mir zum Zweck meiner Rache anvertrauen wollten. Und jest, ba ich in edlem Vertrauen auf Ihr ritterliches Wort zu Ihnen fomme, jet zeigt es fich, daß Sie mic, bintergangen haben, daß diefe wichtigen Papiere gar nicht eriftiren. Ab, glauben Sie mir, es eriftiren hier Papiere, die vielleicht noch wichtiger find, als iene Documente, die Sie begehren, fagte Bonnier achſelzuckend, glauben Sie mir, Herr Thugut würde viele Taufende darum geben, wenn er die Bapiere, die in diefer Mappe find, erhalten könnte. Sie find vielleicht noch wichtiger, als jene andern Documente. Bictoria’8 Augen flammten höher auf, und. der zornige Ausdruck verſchwand fchnell aus ihren Zügen. Mit einem lieblihen Lächeln wandte fie fih an Bonnier. Was find das für Papiere? fragte fie. - Papiere, die Dich nicht intereffiren, meine holde Tee, fagte er lüchelnd, denn was hat bie Liebe und die Rache mit den Verhanttuunn. Mühlbach, Napoleon. I. Bb. | M 306 der Diplomatie zu ſchaffen? Diefe Mappe enthält nur diplomatifche Actenftüde, nur die geheime Correſpondenz zwifchen ung und bem preu= ßiſchen Gouvernement und die Unterhanblungen eines Bündniſſes zwifchen Frankreich und Preußen, weiter nichts. Dich, meine ſchöne Victoria, intereffirt das nicht, aber Thugut würde dieſe Papiere gern erfaufen mit denen, welche Du begehrft. Bictoria’8 Blide rubten mit einem glühenden Ausdend auf der Mappe, und unwillfürlich zudte ihre Hand nach berfelben hin. Bonnier fah e8 und ein feltfames Lächeln flog einen Moment über fein düſteres Antlitz. Ein Glück, ſagte er, daß ich meinen Irrthum noch bemerkte, bevor ih Dir die Mappe gab. Der Verluſt dieſer Papiere würde mid; unrettbar compromittirt haben! . Aber Du fchweigft, Victoria, Du fagft fein Wort? Du glaubft noch immer nicht an die Wahrheit meiner Worte? Ih ſchwöre Dir, meine Zauberin, e8 war nur ein Berfehen, ich babe nur die falſche Mappe gegriffen. Schwören Sie nicht, fondern überzeugen Sie mid, ſagte Victoria. Gehen Sie und holen Sie die andere Mappe! Und ich ſollte Dich hier ſo lange allein laſſen? fragte er zärtlich. Sollte ein folder Verſchwender fein, dieſe koſtbaren Minuten zu ver⸗ ſchleudern, die ich an Deiner Seite ſein darf? Victoria ſprang auf und ſah ihn mit flammenden, gebieteriſchen Blicken an. Holen Sie die Papiere, rief ſie, oder ich verlaſſe Sie in dieſem Moment und Sie ſehen mich niemals wieder. Das iſt ein Wort, mit welchem Sie mich ſelbſt in die Hölle treiben würden! ſagte Bonnier glühend. Erwarten Sie mich hier, Victoria, ich hole Ihnen die Papiere. Er grüßte fie mit einem raſchen Neigen des Kopfes, und bie Mapre unter den Arm nehmend, ſchritt er haftig der Thür zu. Hier wandte er ſich nod einmal nad ihr um, feine Augen begegneten ihren Blicken, die feft auf ihm ruhten. Er drückte feine Fingerfpigen an feine Lippen ‚und warf ihr Küffe hin; während er das that, glitt die Mappe leife umter feinem Arm nieder und fiel zu Boben. Bonnier achtete nicht darauf, er hatte nur Sinn 307 und Aufmerkſamkeit für die ſchöne Victoria. Aber fie ſah es, und ihre Augen blitzten vor Freude. Kehren Sie bald zurück! ſagte ſie mit einem bezaubernden Lächeln, und Bonnier ging. Sie ſchaute ihm erwartungsvoll nach, bis die Thür ſich hinter ihm geſchloſſen, dann horchte fie auf das Geräuſch feiner Schritte. Jetzt verhalten fie, jegt war Alles ftil um fie ber. | Victoria bewegte ſich nicht, fie ließ nur ihre großen Augen mit einem langen, prüfenden Blick durch das ganze Zimmer gleiten, fie bohrte fie in jeden Vorhang, jedes Meuble. Aber nirgends regte fich etwas; tiefes Jautloſes Schweigen umgab fie. Nun erhob fie fi) langſam von ihrem Sit und that einige Schritte vorwärts. Das NRaufchen ihres ſchweren Seibenfleides unterbrach allein die Stille. | Jetzt ſtand fie wieder ftil und horchte, und ihre Augen richteten fih mit verlangender Gluth auf die Mappe,» die dort neben der Thür lag. Warum hatten ihre Blide nicht die Kraft eines Magneten, warum konnten fie diefe Mappe nicht zu fidy ziehen! — Die Mappe lag ruhig und unbeweglid, da, Bictoria firedte vergeblid die Hände nad ihr bin, fie vermochte fie nicht zu erreichen. Noch einmal warf fte einen flammenden, fragenden Blid im Zimmer umher, dann fprang fie vorwärts wie eine Löwin, die ſich auf- ihre Beute ftürzt. Nun hatte fie Die Mappe erfaßt, nun hob fie fie empor mit einem triumpbhirenden Lächeln. Raſch fenkten fi, ihre Meinen Hände hinein und zogen bie Papiere hervor. Es waren nur wenige Briefe, dann einige eng bejchriebene Blätter. Victoria ließ fih nicht die Muße fie anzufchauen, fie ſenkte die Papiere raſch in die Taſche ihres Kleides und bauſchte die Falten wieder auf, daß nichts zu jehen war von ihrem Ichweren Inhalte. Dann fchlug fie Die Mappe wieder zu und legte fie wieder auf den Fußboden, genau auf biefelbe Stelle, wo fie vorher gelegen. Jetzt war das Werk vollbracht. Wie ihr Antlig Ieuchtete vor Entzüden, weld ein dunkles Incarnat auf ihren Wangen brannte, wie ihre Augen bligten vor diaboliſcher Luft, vor triumphirenner Rteshe. W* 308 Mit leichten, unhörbaren Schritten ſchwebte fie jet wieder durch das Gemach bin und nahm ihren Pla vor dem Schreibtifch wieder ein. Und ein Glüd war's, daß fie das gethan, denn ſchon näherten fi) von außen Schritte; die Thür warb geöffnet, und Bonnier trat ein. II. j Die KRechtfertigung. Einen Moment blieb Bonnier auf der Schwelle ftehen und jeine Augen befteten fi auf Victora, die ihn mit einem füßen, zauberhaften Lächeln begrüßte. Aber das Lächeln verblih auf ihren Lippen, als fie ben drohenden, zornflammenben Blid fah, mit weldyem er ſie anftarrte, und den Ausdruck finftern Grolls auf feinem büftern, ftolzen Angeficht. Indeß fie täufchte fi vielleicht, und es war nur die Angſt ihres Gewiſſens, welche fie fürchten machte. Und Sie bringen mir die Papiere, mein geliebter Sreunb? fragte fie mit einem Ausdruck bezaubernder Freundlichkeit. Sa, fagte er, immer noch auf der Schwelle ftehend, ich bringe Ihnen die Papiere, aber fehen Sie nur, welch einen Thoren bie Liebe aus mir gemacht bat! Um Shretwillen habe ih da die Mappe mit biefen andern Papieren vergeflen und zu Boden fallen laffen. Erkennen Sie nun Ihre Allgewalt über mih? Denn ich fagte Ihnen doch, daß der Berluft dieſer Papiere mi unrettbar compromittiren wärbe? Sa, Sie fagten mir das, fagte Victoria lächelnd. Und dennoch vergaß ich fie hier! rief Bonnier, indem er ſich nieber- büdte, um die Mappe aufzuheben. Aber fofort fprang Bietoria auf und eilte zu ihm hin. Zur Strafe Ihrer Unachtſamteit ſollen Sie jetzt die Mappe am Doben liegen laſſen, ſagte fie lächelnd, und ſollen gar nicht mehr an 309 ſie denken dürfen, fo lange als ich bei Ihnen bin. Sagen Sie, wirb Ihnen das fo ſchwer werden? " Sie neigt ihr ſchönes Antlig dicht zu ihm hin und ſah ihm mit ihren brennenden Bliden tief in die Augen. Bonnier ließ die Mappe wieder zur Erde nievergleiten und lächelte. Mag fie denn da liegen bleiben, fagte er, fie hat ihre Rolle ausge⸗ fpielt. Und jegt, nicht wahr, jegt wollen wir wieder von Gefchäften fprechen? Ya, das wollen wir, rief Victoria. Geben Sie mir die Papiere. Nicht doch, man giebt fo wichtige Dokumente nicht aus der Hand, ohne Zeugen zu haben, fagte Bonnier. Erlauben Sie daher, daß id) meine Zeugen rufe. Er wandte fi raſch der Thür zu und ftieß fie auf. Treten Sie ein, meine Herren! rief er, und fofort erfchienen auf der Schwelle die beiden andern franzöfifchen Geſandten, Roberjot und Debry. Ohne Gruß und Berbeugung, Victoria nur mit kalten, ver- achtungsvollen Bliden anſchauend, traten die beiden Herren ein und jhritten gerade zu dem Arbeitstiſch bin. Bonnier aber verfchloß hinter ihnen die Thür und ftedte den Sclüffel in feine Taſche. Victoria ſah das und eine leichte Blaſſe flog einen Moment über ihr rofiges Antlitz. Wollen Sie mir ſagen, mein Herr, was dies Alles bedeutet? fragte ſie mit drohender Stimme. Sie werden es ſogleich erfahren, ſagte Bonnier. Nehmen Sie gefälligſt Ihren Lehnſtuhl wieder ein, denn wir wollen unſere diplo⸗ matiſchen Berhanplungen wieder aufnehmen. Sie meine Herren, ſetzen Sid) zu beiden Seiten der Dame, ich fege mich ihr gegenüber und bei ber geringften Bewegung, die fie macht, entweder um dort zum Fenfter binauszufahren, oter aud mit einem Wort, einem Ausruf und zu unterbrechen, ſchieße ich ihr eine ſengel durch den Kopf! So wahr ich Bonnier heiße! Er zog aus ſeinem Buſen ein Terzerol hervor und ſpannte den Hahn. Ich befehle Ihnen, zu ſchweigen und ſich ſtill zu verhalten, ſagte er, ſich an Victoria wendend. Das Terzerol iſt geladen, und beim - 310 ewigen Gott, wenn Ste nteine Befehle nicht refpectiren, wollziehe ich an Ihnen die Strafe, die Sie verwirft haben, ich nehme Ihnen das Leben, wie man e8 jedem Spion thut, der fih in ein feinbliches Lager eingeſchlichen! Er ließ ſeine Rechte, welche das Terzerol hielt, auf den Tiſch niedergleiten und wandte ſich dann an die beiden Herren, die mit düſterm Schweigen ihm zugehört hatten. Jetzt, meine Freunde, fagte er, fein Haupt rüdwärts biegend, um feine langen, ſchwarzen Haare, die Mähnen gleich fein Geficht umwogten, fort zu fchütteln, jest, meine Freunde, bitte ih Euch, meine Rechtfer⸗ tigung anzuhören. Ihr habt mich in letter Zeit für einen Thoren, für einen verlornen Sohn der Republik gehalten, welcher um elenden Liebesſpiels mit einer Coquette willen die heiligſten Intereſſen ſeines Vater⸗ landes vernachläſſigte. Ihr ſollt jetzt erkennen und eingeſtehen, daß, indem ich verloren ſchien, ich doch nur thätig war zum Wohl und Ruhm der einigen und großen Republik, und daß dieſes Weib mit ihrer ſchönen Larve mich keinen Moment die Pflichten gegen mein Vaterland hat vergeſſen laſſen! Meine Rechtfertigung liegt in dieſen Papieren! In dieſen Papieren, Madame, mit welchen Sie Sich zu rächen hofften! Verzeihen Sie, mein Zauberkönigin, ich habe mich abermals vergriffen und eine falſche Mappe gebracht, es ſind immer noch nicht die Documente, welche Sie haben wollen. Vielleicht ſind ſie doch in der Mappe, welche da am Boden liegt! Er ſah Victoria mit einem ſpöttiſchen Lächeln an; ſie hielt ihre großen Augen feſt und unverwandt auf ihn gerichtet; keine Muskel ihres Geſichts zuckte, nicht die leiſeſte Unruhe oder Furcht ſprach aus ihren Mienen. Bonnier öffnete die Mappe und zog die Papiere hervor. Ich werde Euch nur kurz den Inhalt jener Papiere andeuten, ſagte er, Ihr könnt fie nachher mit Ruhe durchleſen, meine Freunde. Dieſes erſte Papier iſt ein Brief, den ich mit einem Courier aus Wien erhielt, ohne daß ich weiß, wer ihn mir geſandt. Der Brief enthält nichts als die Worte: „Seien Sie auf Ihrer Huth. Man wird einen ſehr gefährlichen 311 Spion an Sie abſenden, eine Fran, welche die genanueſte Freundin eines bochgeftellten Mannes if. Empfangen Sie fie gut nnd laffen‘ Sie Niemand diefe Zeilen ſehen. Es ift zum Wohl Frankreichs." — Ihr werdet es natürlich finden, daß ich ſchwieg, felbft gegen Euch, meine Freunde, ſchwieg und wartete. Zwei Tage fpäter erhielt ich diefes zweite Papier. Es kam von einer Dame, welde fchrieb, daß fte eben in Raftatt angelangt fei und mic dringend zu ſprechen begehre, aber unter den Schleiern des tiefften ©eheimnifjes. — Ic folgte dem Ruf und begab mich in das bezeichnete Hwus. Dort fand ich biefe: Dame, die ſich mir felber varftellte als die Frau Victoria von Poutet und wenn Ihr fie jet anfeht, meine Freunde, werdet Ihr begreifen, daß ſowohl der raffinirte Halbtürfe Thugut, als auch der tolle Wüſt⸗ ling Graf Lehrbach fie lieben, denn fie ift ſchöner wie die ſchönſte Dpalisfe und die fhönfte Phryne! | Die drei Männer richteten ihre Augen auf Victoria und ſchauten fie mit prüfenden, unverfhämten Bliden an. Victoria ſaß gradauf⸗ gerichtet, unbeweglid da, nicht einmal ihre Wimpern zudten, fie fhien dieſe auf fie gerichteten Blide gar nicht zu fehen, denn ihr Auge ftarrte in die Weite, fie fhien auch die Worte Bonnierd gar nicht gehört zu haben, denn ihr Antlitz blieb ruhig, faſt lächelnd. Bonnier fuhr fort: Die Dame erzählte mir ein allerliebſtes Mährchen, deſſen nähere Details ich Euch erſpare. Genug, ſie war von Thugut an ihrer Unſchuld und Ehre, — merkt wohl auf, an ihrer Unſchuld und Ehre! — gekränkt und wollte Rache nehmen. Dazu ſollte ich ihr behülflich ſein. Ich gab mir den Anſchein, ihr Alles zu glauben, und verſprach ihr den Schutz, den fie von mir begehrte. — Diefes dritte Papier bier fand ich auf meinem Screibtifh, als ich von der Dame heimkehrte. Ein Unbekannter hatte es abgegeben, e8 war von berfelben Handfchrift, wie der erfte Brief. Hört feinen Inhalt: „Dan will einen Roman mit Ihnen fpielen, gehen Sie darauf ein! Dan kennt die Zauberfraft ver Schönheit und will Sie verzau- bern, um Ihnen Geheimniffe und Papiere zu entloden. Geben Sie 312 Sich den Anſchein verzaubert zu ſein und Sie werden die Intrigue durchſchauen.“ — Der Rath war gut und ich befolgte ihn. 36 gab mir den An- fhein verzaubert zu fein. Ich fpielte den ſchwärmeriſchen Liebhaber biefer Dame gegenüber, und obwohl ich ohne Zweifel mich dabei fehr ungef&hidt geberbet habe, war fie doch fo gütig mir zu glauben, denn fie weiß ja, daß Niemand der Macht ihrer Schönheit wiberftehen kann. Aber um meine Rolle wahrbeitsgetreu durchzuführen, mußte nicht blos Frau von Poutet, fondern aud ganz Raſtatt von meiner Berzauberung jüberzeugt fein, denn PVictoria ift fehr verihmitt und ſchlau, Thugut bat fih an ihr eine würbige Schülerin gebildet. Ich mußte alfo die Maske meiner Berliebtheit überall tragen, felbft vor Euch, meinen Freunden! Ich mußte es mir gefallen laſſen, fo lange für einen Narren zu gelten, bis ih Euch beweilen fonnte, daß ih ein verftändiger Menſch fei, ich mußte meine Larve fo lange tragen, bis ich dieſem Weibe da ihre Larve fortreißen konnte! Ob, meine Freunde, ich verfihere Euch, es ift fein leichtes Spiel ber Liebhaber diefer Dame zu fein! Sie verlangt fehr viel Anbetung, fehr viel Gluth, fehr viel Leidenſchaft, fie hat felbft fehr heißes Blut, und irre ich nicht, ift fie eine Urenfelin der jchönen Römerin Meflaline. Jetzt zum erften Male ging ein leifes Zuden durch Victoria's Geſtalt, und eine dunkle Purpurgluth ſchoß über ihre Wangen. Aber das dauerte nur einen Moment, dann faß fie wieder ganz theilnahm= los und unbeweglich da. Sie haben, troß der Schwierigkeit Ihrer Aufgabe, Ihre Rolle meifterhaft gefpielt, fagte Iean Debry mit rauher, firenger. Stimme, wir Alle glaubten an Ihre Berliebtheit, und fiher hat auch dieſe neue Meffaline nicht gezweifelt. Nein, fie hat nicht gezweifelt, ſagte Bonnier mit einem verächt⸗ lihen Lächeln. Sie umgab fi mit Spionen, die mid beobachteten, aber zum Glüd kannte ich dieſe und verrieth mich nicht. ‚Woher fannten Sie dieſe? fragte Roberjot. Mein unbelannter Brieffchreiber lehrte fie mich fennen. Er hatte fein Incognito aufgehoben und fam zu mir, indem er ſich durch einige — 313 ' Zeilen, die er in meiner Gegenwart fchrieb, als den Schreiber jener beiden erften Briefe ausgewiefen. Er bot mir gegen glänzende Bezah- lung feine Hülfe an, um die Intrigue zu entwirren und ich verſprach ihm fünftaufend France. Er war einer unferer ſchlaueſten und ger wanbteften Spione, und er wollte mit dieſer Affaire fein Meifterftüd liefern, um von mir die Empfehlung an den General Bonaparte zu erhalten, der eben aus Aegypten heimgefehrt iſt. Sch werde ihm heute feinen versprochenen Lohn, und die Empfehlung geben, denn er bat Beides wohl verdient, und hat mir treulich beigeftanden, dieſes Weib zu ent- Iarven.*) Bon ihm erhielt ich jeven Morgen einen ſchriftlichen Rapport über Alles, was Frau von Poutet am vorhergehenden Zage gethan; alle dieſe Papiere befinden fi in diefer Mappe, und Ihr werdet Ein- Fiht davon nehmen, meine Freunde! Ihr werdet daraus erfehen, daß Fran Victoria, welche zu mir gefommen, um fid) an Thugut zu rächen, Dennoch mit feinem genauejten Sreunde, dem Grafen Lehrbach, in recht gutem Einverſtändniß geftanden, denn jeden Abend, wenn ich Victoria verlafien, begab fid) der edle Graf in ihr Haus und weilte Dort mehrere Stunden lang an ihrer Seite, obwohl Victoria mir gejagt, daß Graf Vehrbach nihts von ihrem Hierfein ahne. — Indeſſen war es möglid, daß mein Spion audy mid, binterging, fo gut, wie er die Dame Poutet bintergangen. Um das zu prüfen, theilte ich eines Abends meiner Victoria mit, daß am andern Morgen ein franzöfifher Courier nad) Paris abgehen werde, welder dem Directorium außerorbentlid wichtige Papiere über eine Allianz mit Rußland überbringen fole.. Am andern Tage ſchickten wir einem Courier ab, und ſchon unweit von Raſtatt ward er von öſterreichiſchen Hufaren angehalten, feiner Papiere beraubt, *) Diefer Spion hieß Schulmeifter und war fpäter ber gemwanbtefte, treuefte und unerſchrockenſte Spion, deffen fih Bonaparte bediente. Er felber erzählte fpäter von deu Rolle, die er in Raſtatt geipielt, und wobei er Doppeltes Geld verdient. Einmal vom Grafen Lehrbach, dem er mitgetheilt, daß bei ben Franzoſen' fich fehr wichtige Papiere befänden, und dann von ben franzöfifchen Geſandten, die er vor Lehrbach gewarnt, und denen er geratben, ihre Papiere 3u verbrennen und auf ihrer Huth zu fein. „Lebensbilder aus dem Be— freiungsfrieg.“ II. 314 und gefangen nah Gernsbach in das Lager des öfterreihifchen Obriften von Barbaczy gebracht, obwohl unfer Courier mit franzöflfhem Paß und Schild verfehen war, und fi vollkommen legitimiren Tonnte.*) E8 war dies eine unerhörte Verlegung des Völkerrechts, um beret- willen wir vergeblich Genugthuung gefordert haben, fagte Jean Debry düſter. Diefe deutfhen Memmen haben aber nicht einmal den Muth, fih zu ihren Thaten zu beiennen. Sie leugnen es, unfern Courier beraubt zu haben, aber fe können es nicht leugnen, daß fie ihn wider- rechtlich gefangen gehalten. Wie Victoria jett nicht mehr leugnen kann, daß fie es geweſen, die Lehrbach und Barbaczy von dem Abgang des Couriers benachrichtigt hatte, ſagte Bonnier, denn noch eine Viertelſtunde vorher wußte der Courier ſelber nichts davon, und die Depeſchen waren natürlich ſehr unſchuldiger Art. Aber mein ſchöner Vogel da war in bie aufs geftellte Falle geſchlüpft, und ich hielt ihn darin feit, ohne daß er es merkte. Sie war ganz arglos, und Dank meinem Schaufpielertalent und meiner Liebe erfuhr ich endlich den Zweck ihres Kommens. Geſtern verſprach ich ihr, daß ich ihr heute Papiere übergegeben wollte, welche Thugut gefährveten, und ihn als einen fäuflihen Söldling Englands enthüllten, am Abend fanpte Graf Lehrbach einen ‚Courier ab. Wir gebraudhten Repreflalien, ließen den Courier anhalten, und nahmen ihn feine Bapiere ab. Er hatte indeflen nur ein einziges Kleines Briefhen an den Minifter Thugut bei fi. Hier ift es! Es enthält nichts als die Worte: „morgen werde ich die Papiere erhalten. Bictoria!” Aber diefe Worte waren von der ſchönen Hand derjelben Frau gefchrieben, bie mir in der leßten Zeit fo manches zärtliche Liebesbriefchen gewidmet! — Ib hatte ihr dieſe Papiere verfproden, wenn fie biefelben heute von mir abholen wollte, und Ihr ſeht, meine Freunde, daß fte gelommen: ift! Aber ich wünſchte zu wiſſen, ob dies wirklich der einzige Zweck war, um deſſenwillen Herr von Thugut ung feine ſchönſte und klügſte *) Hiſtoriſch. 315 Agentin gefandt, oder ob es nicht noch einige Nebenzwede dabei gäbe. Ih beſchloß alfo dies heute zu prüfen. Mein Uuger Spion hatte mir gefagt, daß Frau von Pontet auch doch auf gewiffe andere Papiere fahnde. Ih gab mir alfo heute dem Anfhein, mich in den Papieren vergriffen und eine Mappe gebracht zu haben, weldye unfere Correfpondenz mit dem preußifchen Minifter und Documente über eine Allianz zwiſchen Frankreich und Preußen enthalte. Ih fagte meiner fchönen Freundin, daß der Verluſt dieſer Papiere mich unrettbar compromittiren würde, und war doch ein fo von Liebe geblendeter Thor, daß ich die Mappe mit den Papieren unter meinem Arm niedergleiten ließ, als ich meiner Dulcinea ein zärtlihes Kuß— händchen hinwarf. Seht Ihr, meine Herren, die Mappe liegt nod dort am Boden, aber freilich, die Papiere find nicht mehr darin! Die befinden ſich wohl geborgen in der Kleidertafche meiner Victoria. Ob, e8 war eine allerliebfte Scene, als fie diefelben ftahl! Ich beobachtete fie durch ein Meines Loch, das ich mir heute Morgen durch die Thür gebohrt habe, und durch welches ich meine ſchöne Victoria und jede ihrer Bewegungen fehr deutlich fehen konnte. Ya, meine Victoria ftahl die Papiere, obwohl fie wußte, daß mich dieſer Berluft unglüdlid maden würde! | Uebrigens, meine Freunde, wird die Republif nicht nöthig haben, mich zu ftrafen für diefen Diebftahl der Frau von Poutet, denn die Papiere, welde fie in der Taſche trägt, find nichts weiter, als das getreue Journal meines täglichen Zufammenfeins mit Victoria von Poutet. Ich habe darin jedes mein Geſpräche mit ihr, jede empfangene Gunſtbezeugung genau notirt, und Victoria mag dies Journal immerhin ihrem Miinifter geben. Wenn er nicht eiferfüchtig ift, wird er nichts auszufegen haben. | Und jest, meine Freunde, bin ich zu Ende mit meiner Rechtfertigung, und ich frage Euch: babe ich gehanvelt als ein guter und treuer Sohn ber Republit? Habe ich meine Schulvigfeit gethan? Wird das Vaterland mit mir zufrieden fein? Sa, fagte Roberjot feierlih, Sie haben gehanbelt ale em quite - 316 und treuer Sohn der Republik. Sie find dem Feinde, der fih Ihnen auf Scleihwegen nahte, wit beherztem Muthe in feine Schlupfwintel gefolgt und haben den böfen Ränken, die er gegen Frankreich ſchmiedete, nachgeſpürt. Sie haben ihre Schuldigkeit gethan! Ja, die Republik wird Ihnen Dank wiſſen für Ihren Eifer, rief Jean Debry Sie haben ſich in große Gefahr begeben um ihretwillen. Denn gefährlicher noch als eine giftige Schlange iſt ein ſchönes, wol- Lüftiges und ränfefüchtiges Weib. Wie der heilige Antonius haben Sie der Verſucherin wiberftanden, indem Sie zu umferer Aller Mutter, zu der großen einigen Republik beteten! Ya, das Vaterland wird mit Ihnen zufrieden fein! Ih danfe Euch, meine Freunde, fagte Bonnier mit einem glüd- lihen Lächeln, jest ftehe ich wieder vor Euch mit reinem Gewiſſen und ohne Schamröthe auf ven Wangen! Ihr habt meine Sühne angenommen! . Was diefes Weib anbetrifft, fo wollen wir feine weitere Strafe über fie verhängen. Sie war nur ein Werkzeug in Thugut’6 Händen, weiter nichts. Diefe Stunde hat fie geftraft genug, und unfere tieffte Verachtung allein fei die Strafe, die fie mit fih nimmt. Sa, unfere tiefe Verachtung fei die Strafe, die fie mit fi) nimmt! riefen Roberjot und Jean Debry zu gleicher Zeit. | Nichts Schmachvolleres unter der Sonne, als ein Weib, das aus ihren Reizen eine käufliche Waare macht, und damit handelt und feilfcht, fagte Roberjot. Nicht Fürchterlicheres und Ehrloferes als eine coquette Buhlerin ohne Herz, rief Iean Debry mit dem Ausprud glühender Verachtung. Victoria von Poutet, fagte Bonnier, indem er das Terzerol von fih warf, zwifchen uns war Alles Komödie, aud) dies Terzerol, deſſen vermeintlihe Kugel Ihnen Schreden einjagte und Sie fchweigen ließ. Es war nicht geladen. Vest ift Die Komdbie zu Ende, und Ihnen bleibt nichts weiter übrig als zu Ihrem Thehterdirector zu gehen und ihm zu fagen, daß Sie mit Ihrer Komödie durchgefallen find. Sie können jest gehen, nichts hält Sie hier zurück! Doch, fagte Victoria mit nollfommen ruhiger, Hangvoller Stimme, 317 Sie haben vergeffen, daß Sie den Schlüffel zu der Thür in Ihre Taſche geftedt haben, gehen Sie alfo hin und fchliegen Sie auf. Sie deutete mit einer gebieterifchen Hanpbewegung nad der Thür- bin, und Bonnier ging, fie aufzufchließen. Bictoria, immer noch ftolz und ruhig auf ihrem Lehnſtuhl ſitzend, Tchaute ihm nad, nnd erft als . Bonnier die beiden Thüren weit geöffnet hatte, und wieber zu dem Tiſch zurüdgelehrt war, .erhob fie fi leife von ihrem Sig: Wie fie jest daftand, hodhaufgerichtet, mit flammendem Angeficht, mit purpurrotben Wangen, die halbgeöffneten Tippen umfpielt von einem verächtlichen Lächeln, die hohe, weiße Stirn in finftere Falten gelegt, kalt wie Marmor und body unter diefer Marmorhülle ein Strom glü- henden Erzes, der, wenn er hervorftürzt, Tod und Verderben bringen mußte! Es war eine diabolifhe Schönheit, und wie fie jetst ihre Augen auf die drei Republikaner hinwandte, leuchteten fie wie glühende Dolchſpitzen. Ich habe Ihnen auf Herrn Bonniers lange Rede nur eine kurze Antwort zu geben, ſagte ſie ſtolz und ruhig. Dies iſt meine Antwort: Ich werde jene Papiere doch erhalten, und ich werde Rache nehmen für diefe Stunde! Ihre legten herrlihen Sentenzen beantworte ich mit einer anderen Sentenz: Nichts Gefährlicheres, als ein gereiztes und beleivigtes Weib, denn fie wird ſich rächen, und wird die Beleidigung abwaſchen mit dem Blut derer, vie fie beleidigt haben. Noberjot, Bonnier und Debry, Ihr habt mich beleidigt, und ich fage Euch, ich werde Rache nehmen. Ehe drei Mal drei Tage vergangen find, habt Ihr mit Eurem Blut für diefe Stunde gebüßt! Gott fei Euren armen Geelen gnäbig! | Sie grüßte fie Alle mit einem ftolzen Neigen des Kopfes und fich langfam umwendend, ſchritt ſie hoch aufgerichtet durch das Gemach. Die drei Männer ſchauten ihr nach mit düſtern bleichen Geſichtern und ein leiſes Fröſteln beſchlich einen Moment die Herzen der ſonſt ſo kühnen Republikaner. Sie hatte das Ausſehen eines böfen Dämons, der uns die Zukunft prophezeihte! murmelte Roberjot leife vor ſich bin. Sie wird ihr Wort erfüllen, fie wird uns zu ermorden tradhten, fagte Bonnier. Habt ihr gefehen, ihre Augen waren naß, aber es - ‚318, waren nicht Thränen, welche darin glänzten, fondern nur das Gift, das fie auf uns ausftrömen will. Hüten wir ung! Ya, hüten wir und vor dem Gift der Schlange, rief Jean Debry mit feiner büftern Energie. Hüten wir uns und feien wir vor allen. Dingen Männer, die fi nicht einſchüchtern laſſen von den wüthenden Drohungen eines Weibes. — — Aber Jean Debry kannte weber die Energie nody die Macht dieſes MWeibes, deren Drohungen er verachtete. Er wußte nicht, daß fie, einmal zum Zorn gereizt, nicht eher ruhte, bis fie ihre Rache genommen. Spät am Abend dieſes Tages, als ganz Raſtatt fchlief, empfing Victoria. in ihrem Haufe ihre beiden mächtigen Genofjen, ven Grafen Lehrbach und den Hufarenobrift Barbaczy, den fie durch einen reitenden Boten von Gernsbach zu fich eingeladen hatte. Es war eine lange und inhaltsfhwere Unterredung, melde diefe Drei mit einander hatten, und in ber fie die Mittel überlegten, die. franzöfifhen Geſandten zu ftrafen und ihnen bie Papiere zu entwenben, welche Thugut begehrte. Wir wollen und müfjen vie Papiere haben, es koſte, was e8 wolle, rief Victoria mit aufflammenden Augen. Was wird e8 weiter often, als ein bischen Blut! rief Graf Lehrbach mit Freifhender Stimme und rauhem Lachen. Dieſe übermäthigen franzöfifchen Gefellen haben uns hier zwei Jahre lange unter ihre Füße getreten und ung mit Nabelftihen gepeinigt! Wir wollen fie jet wieber dafür treten und ftechen, und wenn unfere Nadeln größer find, als bie ihrigen, was fchabdet das! Thugut will die Bapiere haben und er hat es im Voraus verziehen, wenn fie auch ein wenig mit Blut befprist find, fagte Victoria, indem fie lächelnd zum dem alten Obrift Barbaczy hinblidte, der die Hände auf dem Rüden gefaltet, die großen bufchigten Augenbraunen finfter zufammen gezogen im Gemach auf- und abging. Barbaczy, Barbaczy, murmelte er leife vor fih bin, was wird die Welt zu Deinem alten Kopf fagen. *) *) Barbaczy’s eigene Worte. Siehe: Literariſcher Zodiacus. Schrifteninbunter Neibe. Herausgegeben von Theodor Mundt. Jahrgang 1885. Drittes Heft. S. 208. 319 Die Welt pird es dieſen heißblütigen Frannannern gönnen, wenn ſie einen kleinen Aderlaß bekommen, und ſie wird Sie als einen guten Wundarzt preiſen, mein lieber Barbaczy, rief Lehrbach lachend. Uebrigens fällt die Verantwortung ja nicht auf Sie! Was können Sie dafür, wenn Ihre hitzigen Sczekler Huſaren über die Schnur hauen und ein bischen Straßenraub üben. Sie befehlen Ihnen ja feinen Mord, Sie befehlen Ihnen nur, den Gefandten ihre Bapiere abzunehmen, ſei's gutwillig oder mit Gewalt. Ih werde morgen früh fünfzig Sezefler Hufaren in die Stadt legen, fagte Barbaczy gedankenvoll. Sie follen vor dem Ettlinger Thor lagern, daß Niemand, wer es auch fei, vie Communilationsbräden zwifchen der Stadt und ber Vorſtadt paffiren kann, ohne durch ihre Reihen zu kommen. | Bictoria trat zu ihm ‚und ihre beiden Hände auf feine Schulter. legend, jchaute fie mit einem reizenden Lächeln zu ihm empor. Und Sie werben einige der beberzteften Hufaren zu mir und zu Lehrbach ſchicken, damit wir den Tapfern jagen, weld ein Lohn ihrer wartet, wenn fie ihre Sachen gut machen? Nein, mein fchöner Kriegs- gott, ſchütteln Sie nit fo wild Ihre Silberloden, drohen Sie mir nicht mit Ihrer zürnenden Stim. Denken Sie an Gyurgewo, Freund? Wiſſen Sie noch, was Sie mir damals in den Trancheen geſchworen, als ich Ihnen mit eigener Hand eine Wunde verband, vie Ihnen ein Türkenfäbel gefchlagen? Wiſſen Sie, daß Sie mir damals gefchworen, mir. einen Gegenbienft zu leiften, fobald es in Ihrer Macht flände? Ich weiß das, und bin bereit meinen Schwur zu erfüllen, fagte Barbaczy feufzend. Run, mein Freund, ich fordere weiter nichts, als dies: fehiden Sie morgen ſechs der tapferfien und wildeften Ihrer Hufaren hierher, und befehlen Sie ihnen, das getrenlic zu thun, was Graf Lehrbach und ich ihnen auftragen werben! Morgen früh um neun Uhr follen die Hufaren vor Ihrer Thür ftehen, fagte Barbaczy entichloffen. Und ich werde fie einlafen, rief Victoria lächelnd Sie werden bei mir ſein, nicht wahr, Graf Lehrbach? 320 Ich werde bei Ihnen fein, um ven weifen Lehren zuzuhören, welche die Göttin Victoria den Söhnen des Mars ertheilt, rief Lehr⸗ bad, feine kleinen fchielenden Augen mit lüfternem Ausdruck auf Bictoria’8 ſchönes Antlig heftend. Bei Gott, es wird keines andern Mittels bepürfen, als Ihres Lächeln und Ihrer Schönheit, um bie tapfern Soldaten zu den kühnften Heldenthaten anzufpornen. Wer wäre nicht gern und freubig bereit, ein bischen Franzoſenblut zu ver- gießen, wenn ihm dafür ein Lohn von Ihren Lippen verheißen wirb? Und was für einen Lohn wollen Sie den Soldaten verheißen? fragte Barbaczy, fih an Frau von Poutet wendend. Was für Thaten wollen Sie von Ihnen fordern? Nichts weiter, als den Geſandten alle ihre Papiere abzunehmen, fagte Victoria. Und fogar auf. ihren Leibern genane Nachſuchung zu halten, ob fie vielleicht dort Bapiere verborgen haben, lachte Graf Lehrbach. Und ihr Lohn fol fein, daß die Hufaren außer ven Papieren auch noch ein bischen nad) anderer Beute fehen dürfen, fagte Bictoria. Alfo ein Raubmord, feufzte Barbaczy, und verübt von Soldaten meines Regiments! in Raubmord! Pfui, weld) ein häßlicher Ausprud und wer denft denn an einen Mord! rief Bictoria. Sind wir Deutfche denn geftorben an ven Fuß: tritten und Kolbenfchlägen, die uns die Yranzofen feit einigen Jahren fo reichlich ausgetheilt haben? Wir wollen ihnen Die nur wiedergeben, und die Herren Franzoſen werden doch auch gerade nicht eine jo feine Haut haben, daß fie gleich daran ſterben. Thun Sie, was Ihnen gut fcheint, feufzte Barbaczy. Graf Lehr- bach hat. das Recht, mir und meinen Truppen Befehle zu ertheilen, und Ihnen bin ich es fchuldig, meinen Schwur zu erfüllen. Morgen bejegen meine Hufaren die Stadt und ich ertheile den franzöſiſchen Geſandten die Ordre, fofort abzureifen. Was bei Ihrer Abreiſe weiter gefhehen fol, das mögen Sie Beide mit den Hufaren, die ih Ihnen fende, verabreden. Ich kümmere mich nicht weiter darum. | Und daran thun Sie fehr wohl, Obrift, rief Lehrbach. „Allz' viel Wiſſen macht Kopfwehl" pflegt ja unſer gnädiger Kaiſer zu 321 fagen, wenn ex die Depefchen ungelefen au Thugut zurädgiebt. Senden Gie uns aljo morgen Ihre Hufaren, und was auch gejchehen mag, Dbrift, wir verrathen einander nicht. Nein, wir verrathen einander nicht! riefen Victoria und Barbaczy mit aufgehobener Redten. Auf morgen alfol fagte Victoria dann. Jetzt gute Nacht, meine Herren! IV. Ber Mord. In der Trühe des nächſten Morgens verbreitete ſich eine feltfame ind überrafhende Kunde durch Raſtatt. Oeſterreichiſche Negimenter umlagerten ganz Raftatt, und von Sczefler Hufaren waren alle Thore befeßt. — Das war bie Kunde, welche viejenigen, die nicht in bie Bolitif eingeweiht waren und den biplomatifhen Berhältnifien ferne ftanden, mit Staunen und einem leifen Schauer erfüllte Denn mit biefer Umlagerung der Stadt, in welcher die franzöfifhen Geſandten immer noch verweilten, und welcher, fo lange der Kongreß nicht aus- einandergegangen, fi fowohl deutfche, als franzöfifhe Truppen im Umtreife von drei Meilen nicht nähern follten, war der Friede gebrochen und die Verträge aufgelöft. Erſt jest erfuhr man auch, was die noch in Kaftatt verweilenden Herren Gefandten bis dahin forgfam verjchwiegen hatten, daß ber kaiſerliche Geſandte Graf Metternicy bereits vor einigen Tagen in aller Stille Raftatt verlafien, und daß geftern die Reichsfriedensdepu⸗ tation fi für ſuspendirt erflärt habe. Der Congreß war alſo aufgelöft, die Friedens-Deputirten von Deutſchland und Frankreich hatten zwei Jahre getagt— har ar Wort Mühlbach, Napoleon. 1. Bb. A 322 zu vollenden, und es follte jet Alles wieder auseinandergehen in Un- frieden und Srieg. Denn ber Krieg war es, welcher fchon wieder fein drohendes Gorgonenhaupt emporrichtete, und nicht nad) ruhiger Uebereinkunft, fon- bern in eiliger Verwirrung löfte der Congreß fih auf. Jedermann befchloß abzureifen, alle Koffer wurden gepadt, alle Wagen aus ihren Schuppen bervorgeholt. Die franzöfiihen Schaufpieler und Tänzer batten ſchon vor einigen Wochen, beim erften rauhen Winpftoß des nahenden Sturmes, Raſtatt verlaffen, den Ratten glei, welche von dem untergehenden Schiffe fi flüchten. Die Klänge des Yubels und ber Freude waren verftummt, und überall hörte man nur ernfte, püftere Worte, begegnete man nur trüben Gefichtern. Jedermann, wie gefagt, rüftete ſich zur Abreife, auch bie fran- zöfifehen Gefandten wollten heut am adhtundzwanzigften April Raftatt verlaffen. Ihre Wagen fanden ſchon in der Yrühe des Morgens ge- rüftet im Hof des Schloſſes, als auf einmal einige Diener der ©e- ſandtſchaft mit bleihen, erfchrodenen Geſichtern hineinftürzten und berichteten, daß die Thore von öſterreichiſchen Hufaren bejegt feien, und daß diefe Niemand mehr aus- und einlaflen wollten. Selbft dem badifhen Commandanten von Raftatt hatten dieſe Hufaren nicht erlaubt, aus dem Thor hinauszureiten, und er hatte umkehren müfjen. *) Wir aber werben nicht umkehren, fagte Roberjot entjchloffen. Dan’ wird es nicht wagen, den Geſandten ber franzöfifhen Republik den ungehinderten Abzug zu wehren. Die Republit würde ein folhes Wagniß blutig rächen, und biefe Deutfchen fürchten ven Zorn der Republik! rief Sean Debry hochfahrend. Bonnier fehüttelte heftig feine Schwarzen Mähnen, und eine finftere Wolfe lagerte auf feiner Stirn. Es find Barbaczy’8 Hufaren, welche vor den Thoren lagern und Victoria von Poutet hatte dieſe Nacht wieder eine Zufammenkunft mit Lehrbach und Barbaczy, fagte er. *) Hiftoriih. Siehe: Geheime Geſchichte der Raſtatter Friedensverhand- Zungen in Berbindung mit den Staatshändeln diefer Zeit. Bon einem Schweizer. Zheil VI. | 323 _ Wenn id, wie Ihr Beide, mit mir zugleich das Leben von Weib und Kind gefährdete, würde ich nicht ohne Garantien abzureifen wagen. In diefem Moment ward die Thür geöffnet, und ein Diener überreichte Roberjot ein Schreiben, das fo eben von dem preußifchen Gefandten Grafen Görtz gefandt worden. Koberjot erbrad das Schreiben und überlas es rafh! Die Ga- rantie, welche Sie fordern, Bonnier, wird bald hier fein, fagte er lächelnd. Es fcheint, die deutſchen Gefandten theilen Ihre Beforgnifie. Sie haben fih in einer gemeinfchaftlichen Eingabe an den Obriften Barbaczy gewandt, und von ihm verlangt, daß er ihnen bie fchriftliche Verſicherung ertheile, e8 ftände der Abreife ver franzöfiihen Geſandten fein Hinderniß entgegen, und biefelben würten durch nichts gefährdet werden. Der Graf Gört bittet uns alfo, nicht eher abzureifen, als bis die Schriftliche Antwort auf die Anfrage det Geſandten eingetroffen. Wollen wir unfere Abreife bis dahin verfchieben ? Wir wollen e8, fagte Bonnier. Ihr vergebt Eurer republifani- ihen Würde nichts dadurch, wenn Ihr für die Sicherheit Eurer Weiber und Kinder forgt. Sch Darf das jagen, ich, welcher für nichts zu ſorgen hat, als für ſich felber, und welcher weiß, daß da alle Sorge unnüg ift. Was wolt Ihr damit fagen, Freund? fragte Jean Debry. Ih will damit fagen, daß id) noch heute ſterben werde, ſagte Bonnier feierlich. Roberjot erbleichte. Still, flüſterte er, ſagen wir den Frauen nichts von allen dieſen Dingen. Mein Weib hat ohnehin dieſe Nacht einen ſchlimmen Traum gehabt, fie hat ˖ mich im Blute ſchwimmend, von Wunden zerfetzt geſehen, und ſie behauptet, daß ihre Träume immer eintreffen. Roberjot, Bonnier und Debry, Gott ſei Euren armen Seelen gnädig! murmelte Bonnier leiſe. Ich glaube nicht an Träume! rief Jean Debry mit einem lauten, erzwungenen Lachen, und außerdem hat mein Weib gar feinen ſchlim⸗ men Traum gehabt, und feine Warnung vom Schidfal erhalten. Kommen Sie, laffen Sie uns zu unfern Damen gehen, die bereits in M* 324 Reifekleivern find und auf die Abfahrt hoffen. Sagen wir ihnen, daß wir vielleiht noch einige Stunden warten müſſen. Aber Stunde nah Stunde verging, und bie von den Öefanbten abgeſchickte Ordonnanz fehrte nit zurüd. Die deutſchen Geſandten kamen Einer nach dem Andern zu den Franzoſen, um ihnen ihr eigenes Befremden, ihre tiefe Indignation über jo rückſichtsloſes Zögern aus- zubrüden und fie zu beſchwören, nicht abzureifen, ehe nicht endlich dieſe Botſchaft gekommen. Die franzöſiſchen Geſandten felber waren unſchlüſſig und ver- bäftert, die Frauen gingen mit trüben, verweinten Augen umher. Alles war vol Unentfchloffenheit, Verwirrung und unbeftimmten Schreden. | | | So verging der Tag und der Abend dämmerte herauf, als endlich bie erwartete Drbonnanz, welche die Gefandten an Barbaczy abgefchidt, zurüdtehrte. Aber fie brachte nicht Die erwartete fchriftliche Antwort des Obriften. Statt ihrer erfchien ein öfterreichifcher Hufaren - DOfficier, der fi) zum preußifchen Grafen Görg begab, bei weldem die Gefanbten verfammelt waren, und demſelben die mündliche Antwort des Obriften Barbaczy überbracdhte. Der Obrift ließ ſich entjchuldigen, daß er wegen vielfaher Geſchäfte nicht fchriftlich zu antworten vermöge, und zugleich ließ er dem Grafen und den Gefanbten verfihern, daß die franzöfifchen Minifter mit Sicherheit reifen könnten, und daß ihnen dazu ein Termin von vierundzwanzig Stunden beftinmt fei.*) | Für die franzöfifhen Gefandten indeß hatte der Officier ein eigen- händiges Schreiben Barbaczy’s erhalten, und er begab fih in das Schloß, um ihnen dafjelbe zu überreichen. Diefes Schreiben Barbaczy’8 lautete: „Miniſter! Sie werden von felbft einfehen, daß innerhalb ver von F. f. Truppen beſetzten Pofitionen keine franzöfifchen Bürger geduldet werben Fünnen. — Sie werben e8 mir daher nicht mißdeuten, wenn ich mich genöthigt fehe, Ihnen, Mi- * 9. Dohm nad feinem Wollen und Handeln. Ein biographiſcher Verſuch yon ©ronau. ©. 600. 325 nifter, anzudeuten, Raftatt binnen vierundzwanzig Stunden zu verlaffen.” Gernsbach, den 28. April 17953. Barbaczy, Obrifl.*) Nun, und was wollen wir thun? fragte Roberjot, als der Öfficier fie verlaffen Hatte. Wir wollen abreifen, fagte Jean Debty heftig. Fa, wir wollen abreifen, rief fein junges, ſchönes Weib, ihn mit ihren beiden Armen umſchlingend. Die Luft bier, fcheint mir, riecht nah Mord und Blut, jede Minute Zögerung verdoppelt die Gefahr. Armes Weib, haben fie Dih auch ſchon angeftedt mit ihren böfen Ahnungen und Träumen, fagte Jean Debry, fein Werb zärtlid an fi) drückend. Gott verhüte, daß auch nur ein Haar Deines lieben und ſchönen Hauptes follte gefährbet werben. Ich bange nicht um mich, fondern um Did) und unfere beiden Meinen Töchter. Für Euch und unfere Freunde hier möchte ich das Beſte willen und wählen. Laßt uns abreifen, rief Madame KRoberjot, der furdhtbare Traum diefer Nacht hat uns warnen follen. Wenn wir bleiben, droht uns der Tod. Ob, mein Gemahl, ich liebe nichts auf der Welt als Die allein, Du bift meine Liebe und mein Glück! Ich würde fterben vor Sram, wenn ih Di verlieren müßte! Aber nein, nein, nicht ver⸗ lieren! Wir leben und wir fterben zufammen. Wer. Dich töbtet, muß auch mir den Tod geben! Sie jollen ung Beide nicht tödten, meine Geliebte, jagte Roberjot weih, das Leben bat uns hoffentlich noch viele Freuden aufgefpart, und wir wollen heimkehren in unfer Vaterland, um fie dort zu ſuchen. Bonnier, Sie allein [hweigen? Sind Sie nit auch der Meinung, daß wir abreijen müſſen und zwar dieſen Abenp ? Bonnier fuhr wie erfchredt aus finfterem Sinnen empor. Reifen wir ab, jagte er, man muß dem Schredniß, weldhem man nicht ent- gehen kann, beberzt die Stirn bieten. Reiſen wir ab. *) Das Schreiben theilt Dohm nach einer von ihm ſelber gemachten Ak- ſchrift mit. 326 So ift e8! riefen Roberjot und Jean Debry. Die Republif möge ihre treuen Sohne hüten! Und Gott möge feine Gnade über uns walten laffen und uns behüten, rief Madame Roberjot, auf ihre Kniee niederftürgend. Und neben ihr ſank Iean Debry’s Gattin auf ihre Rniee, ihre kleinen Mädchen mit ſich nieder ziehend. Laßt uns beten, beten, meine Kinder, für Euren Vater, für uns und unſere Freuude, ſagte fie, den Kleinen die Hände faltend. Während die Frauen beteten, machten die Männer ihre letzten Anordnungen, ertheilten ſie die letzten Befehle an die Dienerſchaft und die Poſtillone. Endlich war Alles bereit, und wenn man wirklich abreifen wollte, mußte es jett gefchehen. Leiſe und mit bewegten Mienen näherten ſich Roberjot und Jean Debry ihren Frauen, die noch immer auf ihren Knieen lagen und beteten, leiſe hoben ſie ſie empor. Jetzt ſeid ſtark und muthig, ſeid die würdigen Frauen Eurer Männer, flüſterten ſie. Trocknet Eure Thränen und kommt! Die Wagen ſtehen bereit. Kommt, kommt, Frankreich erwartet uns! Oder das Grab! murmelte Bonnier, der den Andern in den Hof und zu den bereit ſtehenden Equipagen folgte! — Endlich hatten die Geſandten mit ihren Frauen und ihrem Gefolge beim Schein von Lichtern und Laternen ihre Plätze in den Wagen ein⸗ genommen. In dem erſten Wagen ſaß Roberjot mit ſeiner Gemahlin, in dem zweiten Bonnier, in dem dritten Jean Debry mit feiner Ge- mahlin und feinen Töchtern, in dem vierten, fünften und ſechsten enblih folgten die Gefandtfchaftsjecretaire, die Schreiber und das übrige Gefolge der Gefandten. Die legte Wagenthür ward gefhloffen, auf das laute, wirre Durcheinander der Stimmen, des Rufens und Schreiens folgte jetzt eine tiefe, augenblickliche Stille. Dann fragte die laute, tönende Stimme Roberjot's aus dem erſten Wagen: iſt Alles bereit? Es iſt Alles bereit! war die Antwort aus allen Wagen. 327 So laßt uns abfahren, rief Roberjot, und fofort ſetzte ſeine Equi⸗ page fih in Bewegung. Langfam folgten ihr die fünf andern. Es war eine kühle, finftere Nacht. Der Himmel war mit ſchweren Wolken behangen, nicht der leifefte Schimmer des‘ Mondes, fein ein- ziger Stern war zu jehen. Um den Weg nicht zu verfehlen, und bie Brüde über den Rhein zu fehen, mußte ein Menfch mit einer Fackel den Wagen vorausgehen. Aber der Wind wehte die Flamme hin und ber, daß fie bald zu verlöſchen ſchien, bald hoch auffladerte, und ben langen Zug der Wagen mit einem bligenden GStreiflicht beleuchtete. Dann ward Alles trübe und dunkel und graufig ftill. Der Yadelträger, welder dem erften Wagen voranging, fchritt rüftig auf der Landftrafe dahin. Auf einmal war es ihm, als tauchten zu beiden Seiten des Weges ſchwarze Geftalten empor und hufchten leife vorwärts. Aber er irrte fi gewiß, ‚es waren nur bie Schatten der Bäume, die zu beiden Seiten die Chauſſée begrenzten. Nein, jetzt ſah er ed ganz deutlih, es waren Reiter, bie neben ihm binfprengten. Er hob feine Fadel höher empor und ſchaute zur Seite. Nicht einer, nein, eine ganze Reihe von Keitern fprengte da neben ihnen her. Jetzt feßten fie über den Chauffeegraben, jegt ftellten fie ſich quer über bie Straße in Front auf, und verfperrten den Wagen ben Weg. — Der Fackelträger ſtand ſtill und wandte ſich um, den Wagen ein Halt! zuzurufen. Aber nur ein unarticulirter gellender Schrei kam aus ſeiner Kehle hervor, im ſelben Moment ſprengten zwei der Reiter zu ihm heran, und hieben mit ihren blitzenden Schwertern nach ihm. Er ſtreckte ihnen ſeine Fackel, ſeine einzige Waffe, entgegen und parirte damit den einen Hieb, der andere berührte nur leicht ſeine Schulter. Was giebt es da, rief jetzt Roberjot's zürnende Stimme aus dem erſten Wagen. Die Reiter packten den Fackelträger an beiden Seiten und ſchleppten ihn nach dem Wagen. Leuchte, ſchrieen ſie ihm zu und hinter ihnen ber ſprengte jetzt eine ganze Schaar luſtiger Reiter. Wie fie vorüber⸗ brauſten an der Fackel, ſah man aus der Dunkelheit hexvox iger when 328 bärtigen Gefichter, ihre glühenden Augen und die Silberfhnüre an ihren Uniformen aufbligen. Die Tadel verriety das Geheimniß der Nacht, und ließ die Sczeller Hufaren von Barbaczy’8 Regiment erfennen. | Jetzt umringten fie mit wüſtem Gefchrei den erften Wagen, und hieben mit ihren Säbeln die Fenſter ein. Minifter Roberjot! Seid Ihr Minifter Noberjot? fragten ein Dutzend wilder, töbender Stimmen. | Sofort erſchien in der Fenſteröffnung Roberjot's ernftes, trogiges Antlig, das von ber Fadel mit hellem Schein beleuchtet ward. Sa, ih bin NRoberjot, fagte er laut, bin ber Geſandte Frankreichs, und bier ift der vom kurmainziſchen Geſandten mir ausgeftellte Paß. Er reichte das Papier dar, aber die Hufaren achteten nicht darauf, vier Fräftige Arme zogen Koberjot aus dem Wagen, und ehe er nod Zeit hatte, die Hand nad feiner Waffe auszuftreden, fanfeten vie Säbel der Hufaren auf feinen Kopf, auf feine Schultern nieder. Ein furdtbarer, gellender Schrei warb gehört, aber ed war nicht: Roberjot, welcher ihn ausftieß, fondern fein Weib, vie mit bleichen, jhmerzentftellten Zügen in der Thür des Wagens erjchien, um zu ihrem Geliebten binzueilen, um’ ihn zu retten, oder mit ihm zu fterben. Aber zwei ſtarke Arme hielten fie zurüd, die Arme des Kammer- dieners, welcher, da er fah, daß fein Herr unrettbar verloren war, boch wenigſtens feine Herrin von den faufenden Säbeln ver Huſaren zurückhalten wollte. Laß mich, laß mid, ih will mit ihm ſterben! rief ſie, aber der treue Diener’ bielt fie feſt, und nicht zu ihrem Geliebten könnend, mußte fie e8 jehen, wie bie Hufaren auf ihn einhieben, bis er in feinem Blute [hwimmend zufammenbrad). Er ift todt! jchrie fein Weib mit lautem Jammerton, und dieſer Ruf weckte Roberjot noch einmal aus ſeiner Betäubung. Er öffnete ſeine Augen und ſchaute noch einmal nach ſeinem Weibe hin. Sauvez! Sauvez! rief er angſtvoll, oh — Was, noch nicht tobt! brüllten die Hufaren, und hieben wieber auf ihn ein. 329 Sept ftarb er! Diefes laute, fürdhterliche Todesröcheln, das war fein letzter Lebenskampf. Der Kammerbiener hielt feiner Herrin, vie ſtarr vor Entjegen zu ihrem fterbenden Gatten binfchaute, mit feinen beiden Händen die Ohren zu, damit fie biefen fürchterlihen Ton nicht hören jolle. . Sie hörte ihn nicht mehr, fie lag ohnmädtig in des Dieners Armen. Im dieſem Moment legte fih eine ſchwere Fauſt auf feine Schulter, und das wilde, bärtige Antlig eines Hufaren ſchaute ihn an. Bedienter? fragte der Hufar in feinem gebrochenen ungarifchen Deutſch. Ja, Bedienter! ſagte der Kammerdiener in ebenſo gebrochenem Deutſch. Der Huſar klopfte ihn lächelnd mit einer Hand auf die Schulter, und zog ihm mit der andern Hand die Uhr aus der Taſche, indem er wohlwollend ſagte: Bedienter bleib! Nit bös! — Dann neigte er ſich vorwärts und riß mit raſchem Griff die Kette und Uhr von dem Halſe der ohnmächtigen Madame Roberjot. Nun war ſein Werk vollbracht, nun ſprengte er weiter zu dem zweiten Wagen, nad) welchem bie übrigen Huſaren ſoeben den Fackel⸗ träger gefchleppt, und ven fie umzingelt hatten. | Bonnier, fteig aus! riefen die Hufaren mit wüthendem Gefchrei, Bonnier fteig aus! Hier bin ih! fagte Bonnier, die Wagenthür aufftoßend, bier — Sie ließen ihm nicht Zeit, weiter zu fprechen. Sie riſſen ihn aus dem Wagen und bieben unter wilden Laden und Schreien auf ihn ein. Bonnier wehrte ſich nicht, er wich feinem ihrer Hiebe aus; ohne einen Laut, eine Klage ſank er zufammen. Nur ein einziges Wort flüfterten feine fterbenden Lippen. Diefes Wort hieß: Victoria ! Die ſechs Hufaren, die um ihn ſich drängten, hielten keuchend inne in ihrer wüthenden Mordarbeit. Sie fahen, daß Bonnier tobt, wirklich tobt, daß ihre Arbeit gethan fein. Jetzt begann ihre Beute, ihr verfprochener Kohn. Bier von ihnen ftürzten zu dem Wagen, um ihn zu durchſuchen, alle Bapiere, alle‘ Koftbarkeiten und Koffer hervor⸗ zubolen, die andern zwei plünverten und entlleiveten mit gewandten Händen Bonnier’s noch nicht erfaltete Leiche. - 330 Dann ftürzten die ſechs Hufaren den andern nach zu dem britten Wagen, zu Jean Debry. Aber die Andern waren ihnen jchon zuvor⸗ gekommen, fie hatten Debry, feine Gattin und feine Töchter ſchon aus bem Wagen geriffen, fie beraubten und plünderten die Frau und bie Kinder, fie hieben mit ihren Säbeln auf Sean Debry ein. Er ſank zufammen, der Athen. ftodte in feiner Bruft, die blu⸗ tende Geftalt dehnte und ftredte fih und lag dann falt und unbes weglich da. Todt! tobt! jubelten die Hufaren. Die drei Thaten find gethan, jest fommt die Beute. Unfer find die Wagen, unfer Alles, was drin⸗ nen ift! Kommt, laß uns den vierten Wagen unterfuhen! Es wirb nit mehr gemorbet, e8 wird nur noch geplündert! Und Alles jubelte und kreiſchte: Geplündert! Geplündert! Unfer ift die Beute! — Und fohreiend ftürzte die wilde Meute vorwärts. — Sean Debry lag regungslos, eine blutende Leiche, zur Seite des Wagens. | Tiefe Nacht umgab die Scene des Graujens und Entjegens, bie Tadel war verlöſcht, fein menſchliches Auge fah die Leihen mit ihren Haffenden Wunden. Die Frauen waren von ihren Dienern in ihre Wagen zurüdgebradht, die Hufaren waren mit der Plünderung ber legten drei Wagen befchäftigt, deren Inhaber indeß bei Zeiten gewarnt von dem Geſchrei und den Schmerzenslauten, die aus den erften Wagen zu ihnen gebrungen, ihre Wagen verlafjen, und über fumpfige Wiefen zu der Mauer des Schloßgartens ſich geflüchtet, diefe Überfprungen hatten, und den Garten durchrennend in die Stadt geeilt waren, um dort überall die Schredensnadhricht von der Ermordung der Gefandten zu verbreiten. 331 V. JZean Bebiy. Auf die Nachricht von der Mordthat ward es ſofort lebendig in Raſtatt und zum erſten Mal nach zwei Jahren des Streitens und Haderns ſah man die Geſandten aller deutſchen Mächte von einem und demſelben Gedanken belebt, und in Eintracht und Einmüthigkeit handeln. In feierlichem Zuge begaben ſie ſich an das Ettlinger Thor, ihnen voran ſchritt der Graf Görtz und der Herr von Dohm, je zwei und zwei folgten die Uebrigen, nur den öſterreichiſchen Geſandten, den Grafen Lehrbach, vermißte man in dieſem Zuge. Aber die Wache am Thore verweigerte ihnen den Durchgang, und als ſie endlich nach langen Verhandlungen denſelben erlangt hatten, ſtellte ſich ihnen draußen der öſterreichiſche Rittmeiſter Burkard mit feinen Huſaren entgegen. Graf Görtz ſchritt ihm mit unerſchrockenem Muthe entgegen. Haben Sie vernommen, daß unweit von der Stadt eine unerhörte Mordthat an den franzöſiſchen Geſandten ausgeübt worden? Ich habe es gehört, ſagte der Rittmeiſter achſelzuckend. Und welche Maßregeln haben Sie ergriffen, um die Unglücklichen vielleicht noch zu retten? Ih habe einen Officier und zwei Huſaren abgeſchickt, um mir Bericht zu erftatten. " Das genügt nit, mein Herr! rief Graf Görtz. Sie müſſen mehr thun, Sie müflen Alles aufbieten, was in ihren Kräften fteht, denn dies ift nicht eine gewöhnliche Mordthat, es handelt ſich bier nicht bloß um vergoffenes Blut und um einige Menfchenleben, ſondern e8 handelt fih um Ihre Ehre, um die Ehre Ihres Monarhen, um die Ehre der deutſchen Nation! Es handelt fi um die Ehre der deutſchen Nation! riefen bie Geſandten einmüthig. Unferer Aller Ehre ift befledt dur den Morb. Aber der Nittmeifter blieb falt und gleihalltig,. SE ii cn wu 332 glüdliches Mißverſtändniß, fagte er; bei der Nacht ſchwärmen freilid die Patrouillen umher, und da kann leicht dergleichen geſchehen! Die franzöftfchen Minifter hätten nicht bei Nacht reifen folen! Das Un- glück iſt nun einmal gefhehen, wer kann dafür? Auf Befehl ift es nicht gefchehen. *) Mer könnte es nur für möglid halten, daß eine folde Schand⸗ that auf Befehl irgend einer Behörde gefchehen fei, rief Graf Görtz entrüftet. Ah Gott, Schandthat ! fagte Burkard achſelzuckend. Es find einige Geſandte getödtet. Auch uns ſind wohl ſchon einige Generale todt geſchoſſen worden!**) Graf Görtz wandie ſich mit dem Ausdruck edler Indignation an ſeine Begleiter. Sie ſehen, meine Herren, ſagte er, wir haben hier wenig auf Hilfe und Beiſtand zu hoffen, laſſen Sie uns ihn ander— wärts ſuchen. Mögen einige von uns ſich ſelbſt nach Gernsbach zum Obriſt Barbaczy verfügen, während wir gemeinſchaftlich uns dorthin begeben wollen, wo die Mordthaten geſchehen ſind. Wenn der Herr Rittmeiſter uns keine Escorte dahin geben will, ſo werden wir uns ohne Escorte auf den Weg machen, und wenn wir dabei unſer Leben verlieren, ſo wird Deutſchland uns zu rächen wiſſen! Ich werde Ihnen eine Escorte geben, fagte Burkard, ein wenig. eingeſchüchtert von dem energifhen Wefen des Grafen. Während die Gefandten am Eitlinger Thor mit dem KRittmeifter unterhandelten, waren die Hufaren immer noch mit der Ausplünderung der ſechs Wagen befhäftigt. Als fie mit den erften drei Wagen fertig waren, beveuteten fie Die Frauen und Diener, diefelben wieder zu be- fteigen, und ruhig und fchweigend abzuwarten, was weiter mit ihnen gefchehen folle. Niemand wagte fich zu widerfegen, Niemand hatte bie Kraft dazu. Das Entjegen hatte fie alle betäubt, finnlos gemacht. Madame Debry lag mit offenen Augen, mit thränenlofen, ftarren *) Die wörtlich) genaue Antwort des Rittmeifters Burkard. Siehe: „Ge⸗ meinfchaftliher Bericht deuticher Geſandtſchaften über den an ber franzdflichen Sefandtichaft in der Nähe von Raftatt verübten Meuchelmord.‘ ”*) Wörtliche Antwort. Ebendaſelbſt. | 333 Bliden da, und weder die Thränen noch die Küffe ihrer Töchter ver- mochten fie aus dieſer Erftarrung zu weden. Madame Roberjot lag bänderingend in ihrem Wagen, und rief unter furdhbarem Schluchzen immer nur: fie haben ihn vor meinen Augen zerhadt!*) Niemand kümmerte fih um bie Xeichen, welche mit ihren Elaffenden Wunden da im Graben lagen! Die fhwarze Naht allein deckte fie zu, die Schwarze Nacht allein fah, wie Jean Debry auf einmal leife fih zu regen begann, wie er die Augen öffnete und den Kopf empor bob, um zu fehen, was um ihn her gefhah. Mit dem Muth ber Verzweiflung hatte er, fo lange die Hufaren noch in feiner Nähe waren, die Rolle eines bewegungslofen, ftarren Todten gefpielt, jetzt, da er kein Geräuſch mehr in feiner unmittelbaren Nähe vernakm, jetzt war es Zeit, an feine Rettung zu denten. Er fette fih im Graben aufreht und horchte. Sein Haupt war fo ſchwer, daß er nicht die Kraft hatte, e8 empor zu halten, es ſank wieder auf feine Bruft, das Blut rann aus einer brennenden, fhmer- zenden Wunde über fein Antlig in feinen Mund und war ber einzige burftftillende Tranf für feine lechzenden Lippen. Er wollte den Arm heben, um viefe Wunde zu fchließen, und das Blut aufzuhalten, aber fein Arm fiel fchwer und lahm an feiner Seite nieder, und er fühlte jet erft, daß er auch dort tief verwundet fei. Aber obwohl blutend und zerhadt von Wunden, er lebte doch, und er mußte daran denken, fein Leben zu erhalten. Denn da drüben aus jenem Wagen tönte das Weinen feiner Kinder, und ber Klagefchrei feiner Diener. Nur fein Weib hörte er nicht! Ob fie dort war? Ob man auch fie gemorbet hatte? Er durfte jet nicht darnad forfhen und fragen. Er mußte und er wollte fidy retten. | Langſam, feiner Schmerzen nicht achtend, ftand er auf. Alles blieb fill um ihn ber. Niemand hatte fein Aufftehen gefehen, die Nacht befhügte ihn mit ihren fhwarzen Schleiern. Sie fhüsten ihn, wie er jeßt einige Schritte vorwärts that, dem Walde zu, der ba zur *) Ils l’ont hache devant mes yeux. Zodiacus. III. 195. 334 S . Seite der Chaufjee hinlief. Der Wald nahm ihn auf, die Schatten der Nacht und des Waldes vedten diefe hohe ſchwarze Geftalt, die jetzt im Dickicht verfchwand. Aber in dieſem Dickicht konnten auch feine Feinde auf ihn lauern. Jeder Schritt vorwärts konnte ihm neue Öefahren bringen. — Troftlos und erfhöpft lehnte Jean Debry feine ſchwankende Geftalt an einen Baum, den feiten Stamm deſſelben mit feinen beiden Armen umrankend. Diefer Baum war jett fein einziger Schuß, der einzige Freund, an den er fich lehnen konnte! Ihm allein konnte er und wollte er fein Neben vertrauen. | | Seines verwundeten Armes, feiner Schmerzen nicht achtend, Eletterte Sean Debry an dem Inorrigen Stamm empor. Nun fhwang er fi empor in bie Zweige, Hetterte von Aft zu Aft. Einige aus ihrem Schlaf‘ aufgefchrecdte Vögel hoben fi, aus dem Blätterwerf und huſchten von bannen. Sean Debry fehaute ihnen nad und nüfterte: Ihr werbet mich nicht verrathen! Ä Auf dem höchſten der Aefte, im vichteften vaubwert ſetzte er ſich nieder, keuchend von der Anſtrengung, wimmernd von den Schmerzen ſeiner Wunden. Todesmatt lehnte er ſein Haupt rückwärts an den Stamm des Baumes, deſſen dichtes Gezweig ihn ſanft umhüllte, und ſeinem Haupt ein Dach, ſeinen Füßen einen Seſſel gab. Hier bin ich in Sicherheit, hier ſucht mich Niemand, murmelte Jean Debry, und erſchöpft von allen Qualen und Leiden ſchlief er ein. Die Nacht mit ihren ſchwarzen Schleiern deckte ihn zu und fächelte mit ihren kühlenden Lüften feine heiße Stirn, das Laub des Baumes legte fi) weich und frifh um feine flebernden Wangen und liebliche Träume fttegen vom Himmel hernieder, diefe arme geängftete Menfchen- jeele zu erquiden. Nah Stunden kräftigenden Schlafs warb Jean Debry geweckt, aber nicht von rauhen Menſchenhänden, ſondern der Himmel ſelber weckte ihn mit Strömen herniederpraſſelnden Regens. Oh wie dieſe kalten Tropfen ſeine lechzenden Lippen erquickten, wie dies weiche, linde Waſſer das Blut und den Staub aus ſeinen Wunden fFortwuſch, und feine armen erſtarrten Glieder badete! 335 Er fühlte ſich geftärkt und erquidt, und vol Muth feine weitere Rettung zu wagen. Langjam glitt er vom Baume bhernieber und ftand jegt wieber auf der Erbe. Der Regen ftrömte mit immer heftigerer Gewalt hernieder, ber Regen war jet beim Anbruch tes Tages Jean Debry's Beſchützer, wie es vorher die Nacht gewefen. Wenn die Menfchen ven armen zerquälten Menſchen aufgeben und verlaflen, fo erbarmt fih feiner Die Natur und nimmt ihn in ihre reitenden und fchügenden Mtutterarme. Der Regen beſchützte Jean Debry, er wuſch den Staub und das Dlut von feinen Kleidern, er machte ihn den andern Menfchen gleich, die da waffertriefend in großen Haufen zufammenftanden! Sie fchauten Alle mit entfegten Bliden und bleichen ‚Sefihtern nad) einem Etwas, das in ihrer Mitte fich befand. Was war diefes Etwas, was machte die fonft jo tobende Menge ſchweigſam und ftill? Jean Debry drängte fih dichter hinein in den Haufen und mit Thauderndem Entjegen fah er jett, was alle diefe Menſchen befchäftigte und ſchweigen made. Es waren bie blutigen, zerhadten Leichname ſeiner beiden Freunde, die Leichname von Roberjot und Bonnier. Jean Debry preßte ſeine Lippen feſt auf einander, daß ſie den Schrei zurückhielten, der ſich aus ſeiner Bruſt hervordrängte, er preßte Die Thränen mit aller Kraft ſeines Willens in ſeine Augen zurück und wandte ſich ab, um weiter zu gehen, weiter nach Raſtatt hin. Der Regen befhüstte Sean Debry. Der Regen hatte die Sol- Daten am Thor in die Wachtſtube getrieben und die Schildwache in ihr Schilderhaus. Niemand achtete auf dieſen von Regen triefenden Men⸗ Then, der da durch das Thor ſchritt. Er ging unaufgehalten weiter, die Straße entlang, grad hin zu dem Haufe, in welhem Graf Görg, der preußiiche Gefandte, wohnte. Mit feftem Schritt trat er in’8 Haus und eilte in das Vorzimmer, das er, wie er e8 fonft gewöhnt gemwejen, durchſchreiten wollte, um unan- gemeldet in das Zimmer des Grafen zu gehen. Aber die Diener hielten ihn zurüd; fie wollten dieſen bleichen 336 Meunſchen mit dem zerfetzten Geſicht und den zerriſſenen Kleidern nicht zu ihrem Herrn eintreten laſſen. Kennt Ihr mich nicht mehr, Freund? fragte er traurig. Hat das Entfegen mich fo entftellt, daß Jean Debry Euch unkenntlich geworben? Jetzt erkannten die Diener ihn an feiner Stimme und der Kam⸗ merbiener eilte, ihm bie Thür zu dem Grafen zu dffnen und mit lauter Stimme zu rufen: Se. Ercellenz der franzöſiſche Geſandte Debry! Graf Görtz ftieß einen freudigen Schrei aus und erhob ſich eilig von dem Divan, auf weldhem er, erſchöpft von den Anſtreugungen dieſer fürchterlichen Nacht, ein wenig geſchlummert hatte. Jean Debry trat in's Zimmer. Welch' eine bejammernswerthe, herzerſchütternde Erſcheinung, grauſenerregend mit ſeinen klaffenden Wunden, Mitleid erweckend mit ſeiner zitternden Geſtalt, die wie vom Sturmwind bewegt hin und her ſchwankte! | Er heftete feine matten, blutunterlaufenen Augen auf den Grafen, und fah ihn anemit einem Ausprud unausſprechlicher Seelenangft. Sind mein Weib und meine Kinder gerettet? fragte er athemlos. Sa, fie find gerettet und in Sicherheit, rief der Graf. Und Sean Debry, der ftrenge Republikaner, der bohnlachende Atheift, Jean Debry ftürzte nieder auf feine Kniee. Die Arme gen Himmel erhebend, rief er mit hervorftärzenden Thränen: „Göttliche Borfehung, wenn ich bis jet Deine Wohlthaten verfannt habe, ob, to verzeihe es mir!" *) Und ftrafe diejenigen, welche diefe furdhtbare That verübt haben! rief ©raf Görtz, auch die Hänbe ffaltend und betend. O Gott, enthülle biefes Verbrechen, laß uns diejenigen finden, welche viefe Frevelthat verübt, damit fie nicht al8 ein blutiges Brandmal der Schande auf der Stirn Deutſchlands hafte! Erbarme Dich, dieſes armen Deutſchlands, bem jest diefe That auf der Stirn brennt und das Ströme feines beften Blutes wird. vergießen müſſen, um dieſes Verbrechen zu fühnen, und feine Ehre wieder rein zu wachen! Erbarme Dich unferer Aller, *) „Divine providence, si j'ai meconnu tes bienfaits jusqu’ici, pardonne !“ waren feine Worte. Siehe: Zodiacus. IIL Seite 195. 337 und gieb ung Muth, ven Stürmen zu trogen, welche dieſes furchtbare Ereigniß über Deutjchland hereinrufen wird! Erbarme Did Deutſch⸗ lands, o ©ott, ftrafe nur die Mörder, nit aber Deutſchland! — Diefes Gebet des Grafen Görtz erfüllte fih nicht. “Die eigentlichen Anftifter des Mordes wurden nie entvedt und zur Beſtrafung gezogen, obwohl der äfterreihifhe Hof in einem öffentlihen Manifeſt an die deutfche Nation eine genaue Unterfuhung diefer Sache, und eine ftrenge und gefegmäßige Beftrafung der Mörder verſprach. Aber dieſe Unter fuhung ward nur oberflählich betrieben, und das Reſultat derſelben warb niemals befannt gemadt. Die Sczefler Hufaren verfauften am andern Tage ganz öffentlich die geraubten Uhren, Tabatieren und Pretiofen der franzöfifhen Gefandten, einige von ihnen bekannten fogar ganz laut, daß fie e8 gewefen, welche die Mordthat verübt, und von ihren Offizieren dazu angetrieben worden feien. Allein Niemand dachte daran fie zu verhaften, oder zur Verantwortung zu ziehen. freilich wurden einige von ben Hufaren anfänglidy verhaftet und zum Verhör gebracht. Aber diefe Verhöre wurden niemals veröffentlicht, obwohl der Öfterreihifche Hof ausdrüdlic eine Bekanntmachung aller Verhöre und deren Reſultate verfprodhen hatte. — Man bemühte fi die ganze Angelegenheit möglichft zu befchweigen, damit fie vergeflen werde. Und man vergaß fie, und fie blieb ungeftraft. In den biplomatifchen Kreiſen indeß war man gar nicht im Zweifel über die eigentlihen Anftifter der blutigen That. „Es war, fagt der Berfaffer der Memoiren eines deutfehen Staatsmannes (Graf Schlig), ed war ein Mann, der durch feine Stellung aud in Raftatt eine hervorragende Rolle fpielte. Die edlere nicht, denn wäre fie es geweſen, fo wurbe fie durch ihn entweiht; er mifchte allein fein Gift Hinzu. Ihn hatte Rachegefühl entflammt und beftimmt, fi die geheimften Papiere der Gefandten, es Eofte, was e8 wolle, anzueignen. Das eigentliche größere Archiv war indeß ſchon mehrere Tage vorher nad Straßburg hingefendet worden. In dem rohen Hufarenhaufen hatte er Werkzeuge gefunden. Die Elenden glaubten, was ein im Dienft hochgeftellter Mann verlange, fei aud der Wille ihres Herm. Der Unverftand wird leicht durch Boshei Müuhlbach, Napoleon. 1. Bb. - 22 — 338 mißleitet und jo wurden Soldaten Räuber und Mörder an Unbewaff- neten, die unter dem heiligen Schuß des Völkerrechts ſtanden.“ — Die Aufregung und das Entfegen über dieſe That war in ganz Europa allgemein, und Jedermann erkannte in ihr die blutige Saat zu einer Zeit der Schredniffe und Greuel, Jedermann war überzeugt, daß Frankreich blutige Rache nehmen würde für folhen Mord. Auch flog das Wort „Rache“, fobald diefe That befannt wurde, als einziger Wuthfchrei durch ganz Franfreih hin. In Mainz langte die Nachricht grade während bes Theaters an, der Commandant ließ fie von ber Bühne aus verkünden, und das wüthende Publikum ſchrie; Vengeance! Vengeance! et la mort aux Allemands! In Paris wurde ein feierliches Todtenfeft für die Ermorbeten gehalten. Die Stühle, weldhe Bonnier und Roberjot früher in ber Verfammlung des Corps legislativ eingenommen hatten, waren mit ihren blutigen Kleidern bebedt; nach dem namentlichen Aufruf Beider erhob ſich der Präftdent und erwiberte feierlih: „In Raftatt ermordet.” Darauf erwiderten die Secretaire: „Ihr Blut komme über die Urheber ihres Mordes.” VI. Die Coalition. Graf Haugwitz, der preußiſche Miniſter des Auswärtigen, war ſoeben erſt von der Reiſe, die er mit dem jungen König nach Weſtphalen gemacht, zurückgekehrt. Noch beſtäubt, in Reiſekleidern und erſchöpft von den Anſtrengungen der Reiſe, hatte er doch, ſobald er in ſein Cabinet eingetreten, eiligſt zwei Briefe geſchrieben, und dieſe ſeinem Kammerdiener mit der Weiſung übergeben, ſie ſofort an ihre Adreſſen, an die Geſandten von Rußland und England, zu ſenden. Dann erſt hatte er ſich auf ſein Ruhebett gelegt, aber die ſtrenge Ordre ertheilt, ibn zu wecken, ſobald einer der Geſandten das Hoͤtel beträte. 339 Kaum eine Stunde war daher vergangen, als der Kammerdiener den Grafen mit der Nachricht wedte, daß die beiden Gejandten eben zu gleicher Zeit angelangt wären, und im Heinen Salon des Grafen harrten. | Der Minifter ſprang eilig von feinem Nager empor, und ohne jeiner Toilette und feiner etwas in Unordnung gerathenen Perrüde nur einen Blick zu gönnen, durcheilte er fein Cabinet und trat in ben Salon, in welhem Lord Greenville und Graf Banin ihn erwarteten. Meine Herren, fagte der Graf mit einer haftigen Verbeugung, haben Sie die Gnade, meinen Anzug zu betrachten, und dann werde ich hoffentlich in Ihren Augen entſchuldigt fein, daß ich es wagte, Sie um Ihren Beſuch zu bitten, ftatt zu Ihnen zu fommen, wie es natürlich meine Sculvigfeit gewejen. Allein Sie fehen, ich habe noch nicht meine Reifefleiver gewechfelt, und ich durfte e8 nicht wagen, in foldem Aufzug zu Ihnen zu kommen; aber die Nachrichten, die ih Ihnen bringe, find fo wichtiger Art, daß ich feine Stunde Beit verlieren mochte, fie Ihnen mitzutheilen, und deshalb wagte ih e8, bie beiben Herren um Ihren Befuch zu bitten! Und ich meinestheils bin fehr gern gekommen, fagte Lord Green- ville bevächtig, denn in bedeutenden Momenten fegt man ſich leicht und gern über beengende Formen hinweg. | Daß ich nicht minder gern gelommen bin, fagte Graf Panin mit einem feinen Lächeln, das fehen Sie daraus, daß ich mit dem englifchen Herrn Geſandten zu gleicher Zeit hier eingetroffen bin. Jetzt aber, meine Herren, genug der Borreden und Komplimente! Gehen wir gerade auf die Sache los, und fparen wir uns alle Redensarten. Ich bin jeit den halben Jahr, das id, hier in Berlin bin, um über die Coalition mit Preußen zu verhandeln, fo ynausgefegt und hartnädig mit Redens⸗ arten abgefpeift, daß ich die Koft endlich ſatt habe, und mid nad) eonfiftenterer Nahrung jehne! | | Sie werden heute Ihre Sehnfucht befriedigt fehen, Herr Graf, fagte Graf Haugmwig mit einem ftolzen Lächeln, indem er mit einem freundlichen Wink feiner Hand die Herren beveutete, auf dem Divan Plag zu nehmen, und fi ihnen gegenüber auf einen Kautevil (rar. DO: 340 Ja, Sie werden heute eine gute und kräftigende Koft finden, und hoffentlich mit dem Koch, der fie Ihnen bereitet hat, zufrieden jein. Ich darf es fagen, diefer Koh bin Ich, und es ift feine ganz leichte Aufgabe gewefen Ihnen diefe Speife zu bereiten, glauben Sie mir das, Meifteurs. Sie haben den König von Preußen bewogen, endlich der Coalition beizutreten, und fi mit Rußland, England und Defterreih gegen Frankreich zu verbinden? fragte Graf Panin freudig. Sie haben Sr. Majeftät gefagt, daß England bereit tft, beven- tende Subfidien zu zahlen, fobald Preußen ein Heer gegen Yranfreich in's Feld ftelt? fragte Korb Greenville. Meine Herren, ſagte Graf Haugwitz mit einer feinen Ironie, id) fühle mich unendlich gefchmeichelt von Ihren ſtürmiſch auf mid, eindrins genden ragen, denn fte beweifen mir, welchen hohen Werth Sie Beide auf eine Verbindung mit Preußen legen. Indeſſen erlauben Sie mit, Ihnen ruhig und gelaffen den Verlauf der Unterhandlungen mitzutheilen. Sie willen, daß id; die Ehre hatte, meinen königlichen Herrn in feine weſtphäliſchen Provinzen zu begleiten, wo Seine Majeftät ein Manoeuvre mit ſechszigtauſend Mann abhalten wollte. Es wäre befjer geweſen, dieſe jehszigtaufend Mann gleih zum wirfliden Krieg ausrüden zu laſſen, ftatt nur Krieg zu fpielen, mur⸗ melte PBanin. Der Minifter fchien feine Worte gar nicht gehört zu haben, und fuhr fort: In Peterhagen fchlug Se. Majeftät fein Hauptquartier auf, und hier war es, wo wir die Nachrichten erhielten, daß der Erzherzog Carl von Oeſterreich den Rhein gegen Bernadotte und Jourdan behauptete, und daß die kaiſerlichen Waffen in Italien unter Kray auch ſiegreich geweſen, wobei Ihnen freilich das ruſſiſche Hülfsheer unter Feldmarſchall Souwarow gar glücklich zur Seite geſtanden. Dieſe Nachrichten ver- fehlten nicht, einen gar mächtigen Eindruck auf meinen jungen, könig⸗ lichen Herrn zu machen, und, ich geſtehe es Ihnen, auch auf mich! Ich war bis dahin, wie Sie wiſſen, immer einem Krieg gegen Frank⸗ reich abgeneigt gewefen, und es hatte mir für Preußen immer als das Suträglichfte erfcheinen wollen, den Krieg mit Frankreich zu vermeiden. 341 Aber die glänzenden Waffenthaten Rußlands und Defterreichs in Italien, die Siege des Erzherzogs am Rhein fcheinen endlich ein deutlicher Beweis, daß der Glüdsftern Franfreihs verblichen, und daß es daher auch für Preußen vortheilhaft ift, fi mit offenem Bifir in die Reihe feiner Feinde zu ftellen und anzugreifen. Ein fehr kühner und bochherziger Entſchluß, fagte Graf Panin mit einem leifen, fpöttiichen Lächeln. Ein Entſchluß, bei weldyem bie englifhen Subſidien, die ih Ihnen verſprochen, auch wohl ein wenig in Anfchlag fanıen, rief Lord Greenville. Hören Sie weiter, meine Herren, fagte Graf Haugwig -mit feinem feinen höflihen Lächeln. Der König, ungemwiß, was zu thun fei, ver- fammelte in Beterhagen einen Kriegsrath, bei welchem vor allen Dingen unfer großer Feldherr, der Herzog Ferdinand von Braunfchweig, nit fehlen durfte. Se. Majejtät erjuchten uns, unverhohlen und frei unfere Meinung zu jagen, ob wir für Frieden oder Krieg mit Frankreich flimmten. Der Herzog von Braunſchweig war natärlih der Erfte, welcher Antwort gab; er ftimmte für den Krieg, er fegte in einer feurigen und energifchen Rede die Gründe für feine Meinung auseinander, und bewies dem König, dag in einem Moment, wo England ein Heer in Holland wolle landen laſſen, auch unfererfeits ein raſches Vorbringen nad Holland von dem größten Erfolg fein würde. — Ich meinestheils ſchloß mic, unbedingt der Meinung des Herzogs an, und da aud Herr von Köderig uns zuflimmte, ſchwankte der König nicht mehr, fondern faßte einen großen und fühnen Entfhluß. Er beauftragte den Herzog Ferdinand von Braunfchweig, ihm in einer ausführlichen Denkſchrift feine Gründe für den Krieg und zugleich einen detaillirten Feldzugsplan anfzuzeihnen, und nach Berlin zu fenden, er befahl mir, fofort nad) Berlin abzureifen, und während der König feine Reife nad Weſel fortfeßte, hierher zu eilen, um Ihnen, meine Herren Gejandten, zu fagen, daß der König entfchloffen ift, der Coalition beizutreten, und um mit Ihnen die näheren Details — In diefem Augenblid ward die Thür des Cabinets haftig geöffnet, und ber erite Secretair des Minifters trat ein. Berzeibung, Excellenz, daß ich ftöre, fagte er, dem Grafen ein 342 verfiegeltes Schreiben darreihend, allein es trifft jo eben ein Courier von Sr. Majeſtät ein, mit einem eigenhändigen Schreiben des Königs. Die Ordre lautet, daß diefes Schreiben fofort in die Hände Em. Excellenz gelangen folle, weil es Nachrichten von der äußerſten Wich— tigfeit enthalte. Sagen Sie dem Courier, daß der Befehl ausgeführt ift, ſagte Graf Haugmwis, und Sie, meine Herren Geſandten, Sie erlauben wohl, daß ich dies Schreiben meines Königs in Ihrer Gegenwart öffnen darf. Vielleicht enthält es einige wichtige Details in Bezug auf unfer neues Bündniß. Die beiden Herren verfiherten ihn ihrer volliten Zuftimmung, und Graf Haugwig erbrady das Siegel. Sein Antlig war, al8 er zu lefen begann, fo heiter und zuverfichtli wie immer, aber allmälig nahmen feine Züge einen ernfteren Ausdruck an, und das Lacheln verſchwand von ſeinen Lippen. Die beiden Geſandten, welche verſtohlen das Antlitz des Grafen beobachteten, bemerkten fehr wohl dieſen raſchen Wechſel in feinen Zügen, und aud ihre Angefihter nahmen jegt einen büfteren Aus: drud an. Graf Haugwig ſchien indeß bie Lectüre dieſes königlichen Schrei- bens gar nicht beenden zu können, immer auf's Neue begann er es zu leſen, als ſuche er hinter den Worten, die es enthielt, einen ihm ſelber unerklärlichen, räthſelhaften Sinn. So vertieft war er in ſeine Lectüre, daß er die Anweſenheit der beiden Herren ganz vergeſſen zu haben ſchien, bis ein leiſes Hüſteln des engliſchen Geſandten ihn aus ſeinem Nachſinnen aufſchreckte. Verzeihen Sie, meine Herren, ſagte er haſtig und verlegen, dieſer Brief enthält in der That eine Nachricht, welche mich in außerordent⸗ liches Erſtaunen ſetzt. Welche aber hoffentlich keinen Einfluß hat auf das Zuſtandekom⸗ men der Coalition? fragte Panin, feine firirenden Blicke auf das Antlitz des Minifters beftend. | Nicht im Mindeften, fagte Graf Haugwitz raſch und lächelnd. Die auferorventlihe Nachricht war nur biefe: Se. Majeftät der König 343 trifft in diefer Stunde no in Berlin ein und befiehlt, daß ic ſofort zu ihm in's Schloß komme. Der König kehrt nach Berlin zurück? rief Graf Panin. Und fagten Sie uns nicht joeben, Excellenz, daß der König nad Weſel abgereift fei? fragte Lord Öreenville mit ſeiner gewohnten ſtoiſchen Ruhe. Ich berichtete Ihnen, meine Herren, was vor siergehn Tagen geihah, jagte Graf Haugwig achſelzuckend. Wie? Vor vierzehn Tagen? Und Em. Excellen; fommen doch eben erft in Berlin an, und find noch im Reifecoftüm? Allerdings, fo ift es! Ich bin vor vierzehn Tagen von Minven abgereift, aber die fchlechten Wege haben mich wie eine Schnede reifen laſſen. Täglich ift mein Wagen in diefem Meer von Koth und Lehm jo feft gefahren, daß ich aus den nächſten Dörfern Leute requiriren mußte, um ihn wieder flott zu maden. Zwei Mal ift mir die Achje gebrochen, und ich babe in den elendeften Keinen Landſtädten Tage lang warten müflen, bis die Wieberherftellung meiner Equipage ge- lungen war. Der König ſcheint befjere Wege gefunden zu haben, fagte Graf Panin mit lauernden Blicken. Die Reiſe nach Weſel iſt wenigſtens außerordentlich raſch gegangen. Der König hat, wie es ſcheint, dieſe Reiſe aufgegeben, und iſt unterwegs umgekehrt, ſagte Graf Haugwitz befangen. Es wäre ſehr traurig, wenn der König auch feine andern gefaßten Entfchlüffe jo raſch ändern wollte, rief Lord Greenville. Em. Ercellenz fürchten nicht, daß diefe fchnelle Heimkehr des Kö⸗ nigs in irgend einem Zufammenhang fteht mit unfern Plänen? fragte Panin. Der König hat Ihnen Vollmacht gegeben, mit dem englifchen Sefandten, Sir Thomas Greenville, und mit mir, dem Vertreter bes Kaifers Baul von Rußland, über das Abjchliegen eines Bündniſſes zu verhandeln, deſſen Zwed ift, dies raubſüchtige, revolutionaire und blutgierige Frankreich hinter feine Grenzen zurüdzutreiben, und dem bedrohten Europa die Ruhe wieder zu geben? Der König bat mir allerdings vor vierzehn Tagen biefe Vollmackt 344 ertheilt, fagte Graf Haugwitz beflommen, und ich zweifle feinen Augen- blid, daß Se. Majeftät auch noch jeßt diefer Anficht find. Aber Sie begreifen, meine Herren, daß ich jegt vor allen Dingen eilen muß, dem heimfehrenden König meine Aufwertung zu machen, um von ihm felber feine weitern Befehle zu empfangen. Das heit, Herr Graf, Sie haben uns gebeten, hieher zu fom- men, um und zu jagen, daß wir wieder gehen künnen? fragte Panin mit büfterer Stirn. Ich bin in Verzweiflung, meine Herren, über biefes unglüdliche Bufammentreffen von Zufälligfeiten, rief Graf Haugwitz ängftlid, indeß ift es mir unmöglid, mid, jegt auf weitere Erdrterungen einzu⸗ laflen. Ich muß fogleih ins Schloß zu Sr. Majeftät, und ich bitte Sie Beide inftänpigft um Verzeihung wegen diefer unerwarteten Unters brechung unferer Verhandlungen. Ich nehme Ihre Entfhuldigung fo aufrichtig an, wie fie geboten wurde, und habe die Ehre, mid; Ihnen zu empfehlen, fagte Panin, fi verneigend und fi zum Abgehen umwendend. Graf Haugwit beeilte fi, ihn zu begleiten. An der Thür ange- langt, und ſchon im Begriff binauszugehen, wandte Banin fi nod einmal um. Mein Herr Graf, fagte er mit barfhem Ton, haben Sie die Güte, den König darauf aufmerkſam zu mahen, daß nein Herr und Kaiſer, welcher fehr die Entfchiedenheit liebt, einen offenen und entfchiedenen Feind fogar einem neutralen und unentfchloffenen Freund vorzieht. Wer Niemandes Feind und aller Welt Freund fein will, wird bald erfahren, daß er gar feinen Freund hat, und daß Niemand es ihm dankt, irgend welche Feindfchaft vermieden zu haben. Es ift am Ende noch beſſer, einen Nachbar zu haben, mit dem man in offener Fehde lebt, als einen, auf deſſen Hülfe und DBeiftand man niemals rechnen kann, und der, wenn man Streit mit einem Dritten hat, ſich damit begnügt, die Hände in den Schooß zu legen, und Niemandem zu Hülfe zu kommen. Haben Sie die Güte, das Ihrem König zu jagen. Er verneigte fi leicht, und ſchritt mit trogigem Geſicht in das Borzimmer. Graf Haugwit wandte fih um, und begegnete dem Falten, 345 ernften Antlig des englifchen Gefandten, der fi eben aud mit lang» famen, gemeflenen Schritten ber Thür näherte. Mein Herr Graf, fagte Lord Greenville gelafjen,.id habe die Ehre, Sie darauf aufmerkſam zu maden, daß, jobald der König von Breußen nicht jest eine beftimmte und unumwundene Erflärung über feinen Beitritt zur Koalition zwifhen Rußland, Defterreih und Eng» land "giebt, wir die Subfidiengelder, welde wir Preußen für eine Armee von fünfundzwanzigtaufenn Mann zugefagt hatten, natürlich anderweitig verwenden werben. Webrigens bitte ih, Se. Majeftät an einen Ausſpruch jeines großen Ahnherrn, des Churfürften Friedrich Wilhelm zu erinnern. Diefer große und tapfere Herrfcher hat gejagt: „Was neutral fein heißt, habe ih fchon erfahren; wenn man aud bie beften Bedingungen hat, wird man doc übel traftirt; ich habe auch verfchworen, mein Leben lang nicht neutral zu fein, und würde mein Gewiſſen damit befhweren.”*) Ich habe die Ehre, Herr Graf, mid) Ihnen zu empfehlen. Und mit einer fteifen Berbeugung ſchwenkte Lord Oreenville fich an dem Grafen vorbei und verfhwand in der Thür des Vorzimmers. Graf Haugwig blidte ihm feufzend nad und trodnete ſich Den Schweiß ab, der in großen Tropfen auf feiner Stirn ftand. Dann nahm er das Schreiben des Königs wieder aus feiner Buſentaſche und überlas es noch einmal. Es iſt des Königs Handſchrift, ſagte er kopfſchüttelnd, und es iſt auch feine kurze, wortkarge Manier! Und gleichſam, als wolle er ſich durch das Gehör von dem Inhalt diefes Briefes überzeugen, las er laut: „Laſſen Sie Sidy mit dem ruffiichen und englifchen Gefandten durchaus in feine Unterhandlungen ein. Wir wollen noch einmal Kriegs- Tath halten. Ich komme felbft nah Berlin. Eine Stunde nad Empfang diejer Zeilen erwarte ih Sie in meinem Cabinet. Ihr wohl⸗ affectionirter Briedrih Wilhelm." — Ja, ja, der König hat das ge- Tchrieben, fagte Haugwig, den Brief wieder zufammenfaltend, ih muß alfo eilen, Toilette zu machen, und mid in’8 Palais zu begeben. Bin *) Häuffer. Deutihe Geſchichte. II. ©. 281. 346 bo neugierig, woher biefer neue Wind weht, umb wer den König. wieber fo umgeftimmt bat. Sollte mein alter Freund Köckeritz doch heimlich für Frankreich fein? Dann wäre es doch freundlicher gemefen, mir das im Vertrauen zu fagen, und wir hätten uns verftänbigt, denn ich felber hege ja durchaus Feine feindlichen Abfichten gegen Frankreich und bin gern bereit, wenn e8 irgend möglich ift, für den Trieben zu ftimmen. Oper wie, follte der junge König diesmal einen eigenen und felbftftändigen Entſchluß gefaßt haben? Ei, ei, das wäre eine ge- fährlihe Neuerung, und: dagegen müßten wir denn doch rafche und "entfheidende Maßregeln treffen. Eh bien, nous verrons! Ich will Toilette machen. VII. Ber friedliebende König. Der König war mit feiner gewohnten PBünktlichfeit genau um bie beftimmte Seit in Berlin eingetroffen, und al8 daher Graf Haugwitz fih in das Palais begab, ward er fofort zu dem König geführt, der ihn in feinem Cabinet erwartete. Graf Haugmwig wechſelte einen raſchen, fragenden Blid mit Herrn von Köderig, der in einer Fenſterniſche ftand, und näherte fih dann dem König, der mit langfamen Schritten und verbüfterten Mienen, die Hände auf dem Rüden gefaltet, im Zimmer auf und ab ging. Er grüßte den Miniſter mit einem rajchen Kopfneigen und fette ſchweigend feine Wanderung durch das Zimmer nod einige Zeit lang fort. Dann näherte er fich feinem, mit Bapieren und Xctenftüden be- ladenen Schreibtify, und auf dem einfachen Rohrſtuhl, der vor dem- felben ftand, Pla nehmend, beveutete er die Herren, fi ihm zu beiden Seiten nieberzulaffen. 347 Der Courier ift noch zeitig genug bei Ihnen eingetroffen? fragte er, fih an Graf Haugwig wendend. Majeftät, Ihr königliches Schreiben langte gerade bei mir an, als ich mich in einer Konferenz mit dem ruffifhen und englifchen Ge⸗ fandten befand, und eben benfelben den Entichluß Eurer. Majeftät, ver Coalition beizutreten, anzeigen wollte. Sie hatten e8 aljo noch nicht gethan? fragte der König haftig. Es war demnad Ihre erfte Eonferen;. Ja Majeftät, die erfte, und zwar unmittelbar nad) meiner Ankunft. Sie hatten alfo vierzehn Tage zu Ihrer Reife von Minden nad) Berlin gebraudt? Ja, Majeftät, volle vierzehn Tage. Und dennod find diefe Herren der Meinung, daß wir marfchiren laſſen follten, rief der König heftig. Ja, wenn meine Soldaten alle unmittelbar an den Grenzen Hollands lagerten und dort ihr Stand» guartier hätten! Aber um ein genügendes Heer nad) Holland zu jchiden, müßte ich fie aus Schlefien und Preußen berbeiziehen; fie müßten durch Weſtphalen marfchiren, durch Weftphalen, wo Sie mit Ihrer Equipage von Minden bis Berlin vierzehn Tage beburften. Und meine Soldaten haben feine andere Equipage, als ihre Füße. Sie würden zu Hunderten und Laufenden in diefem Lehm und Moraft fteden blei- ben, fie würden vor Elend und Hunger umkommen, und diefer Marſch würde mid mehr Leute foften, als eine große entſcheidende Schlacht. Ich hatte Ihnen mein Wort gegeben, der Coalition beitreten zu wollen, Herr Minifter, ich hatte Ihnen fogar aufgetragen, mit den Gefandten Don England und Rußland zu unterhandeln, aber auf der beabfidy- tigten Reife nach Weſel mußte ich ‘wohl meinen Entſchluß ändern. Tragen Sie doch Herrn von Köderig, was wir an bem erften Tage unferer Reife zu dulden hatten, und wie weit wir nad zwölfftindiger Reiſe gelangt waren. | Sa, in der That, es war eine entjegliche Fahrt, fagte General von Köckeritz feufzend. Trotz des vorfichtigen Fahrens warb Se. Ma- jeftät innerhalb Eines Tages fünf Mal umgeworfen, und der Wagen ftat fo feft im Koth und Lehm, daß wir Hülfe aus den nahen Oxt- 348 ſchaften requiriren mußten, um ihn wieder flott zu machen. Wir waren zwölf Stunden unterwegs und hatten doch faum eine Strede von drei Meilen zurüdgelegt! Und mußten in einem elenden Dorf übernachten, wo wir faum ein Bett fanden, uniere zerftoßenen und zerfchlagenen Glieder zu ruhen, fagte der König unwillig. Und diefen Strapazen und Mühfeligfeiten follte ich meine Armee ausfegen? Sollte fie, allem menſchlichen Mit- gefühl abgewandt, nur aus flaatsfluger Raiſon, den größten Be- ſchwerden und Entbehrungen entgegentreiben, fie in diefen Sümpfen und Moräften umlommen laffen, die auch die Artillerie und die Pferde der Kavallerie vernichten würden? Und alles diefes, weshalb? Um Preußen gewaltfam in einen Krieg bineinzuziehen, den man mit Be— fonnenheit und kluger Zurüdhaltung vermeiden könnte, um gndern, von Franfreih nicht einmal bedrohten Mächten zu Hülfe zn eilen, und und dafür felber den Zorn und bie Feindfhaft Frankreichs zu erobern! | Aber auch die Sympathien von ganz Europa, fagte General Köcerig lebhaft. Em. Majeftät haben einmal die Gnade gehabt, mir zu erlauben, daß ich meine Meinung allzeit offen und ehrlich fagen darf, und ih muß daher bei meiner Meinung beharren: jetzt oder nie iſt der Zeitpunkt gekommen, wo Preußen aus ſeiner Neutralität heraus⸗ treten, und eine entſchiedene Stellung annehmen muß. Frankreich hat ſich als ein verderblicher Gegner aller geſetzlichen Ordnung, aller durch Jahrhunderte geheiligten Verträgen gegenüberſtellt, es bedroht alle Monarchieen und Dynaſtieen, und will bei allen Völkern Propaganda machen für feine republikaniſchen Ideen. Und an ber Spitze dieſes republikaniſchen Frankreichs fteht ein junger Feldherr, deſſen Ruhm die ganze Welt erfüllt, ver den Sieg an feine Fahne beftet, und die Völker beraufcht mit feinen republifanifchen Phraſen von Freiheit und Brüber- lichkeit, jo daß fie in trunfener Freude die Throne umftürzen, ihre Fürſten verjagen, um dann unter dem republifanifchen Joch Frankreichs aus ihrem Freudentaumel zu erwachen. Ich glaube, Majeftät, daß es die Pflicht jedes Fürſten tft, fein Volt vor diefen Verirrungen zu be- wahren, und, mit dem Volk vereint, Franfreihs Eroberungsgeläften 349 einen Damm entgegenzuftellen. Defterreih und Rußland haben dieſes heilige Werk ſchon begonnen, ſchon find von ihren helvenfühnen Schaaren die übermüthigen Franzofen überall zurüdgebrängt, und fie haben ihre Eroberungen’in Italien und in der Schweiz wieder fahren lafien müffen. Wenn Ew. Majeftät fi mit England vereinigen, in Holland einrüden, dieſes Land feinem rehtmäßigen Herrſcher wieber- geben, und die Nordgrenzen Franfreih8 bedrohen, wie Defterreich die Süpgrenzen, jo wird der Uebermuth Frankreichs gebändigt, ver ausge- tretene Strom wieder in fein natürliches Bett zurüdgeführt werden, und Europa wirb endlich wieder Frieden und Ruhe haben! Es muß ein Jeder zunächſt an fich felber denken, fagte der König eifrig. Preußen bat bis jett jeine Ruhe und feinen Frieden, und meinem ande dieſe Wohlthat zu erhalten, fcheint mir meine Hanpt- aufgabe. Ich bin Fein Herrfcher, welder nad Ruhm und Ehre dürftet ih verlange feine Eroberungen zu machen, und feine Länder zu ge- winnen, fondern ich will mid) begnügen mit dem befcheidenen Ruhm, meine NRegentenpflichten nach befter Einfiht und Ueberzeugung erfüllt zu haben, und der Vater und Freund meines Volkes gewefen zu fein! Ich habe mic daher nicht erfühnt, meinen Namen der Regentenreihe Friedrichs des Kinzigen anzureiben, und mid Friedrich der Dritte zu nennen, denn ein Name legt Verpflichtungen auf, und ich weiß wohl, daß ich fein Held und fein Genius bin, wie Friedrich es war. Ich uannte mid deshalb Friedrich Wilhelm, als der Nachfolger meines Vaters, des frievliebenden Königs. Freilich hat Friedrich Wilhelm der Zweite aud einen Krieg geführt, aber grabe diefer hat mich überzeugt, welhe Gefahren und mweldes Unheil ein Krieg mit Frankreich über Preußen bringen fann. Ich babe den Feldzug in der Champagne mit- gemadt, meine Herren, und ich befenne es Ihnen ehrlich, ich Bin fehr. Wenig geneigt, einen Krieg wieder aufzunehmen, bei welchem felbft von dem glüdlihiten Erfolge für Preußen nur Aufopferung, fein Kampf- preis in Ausficht fteht. | Der Kampfpreis, Ew. Majeftät, ift indeſſen vorhanden, fagte Graf Haugwitz feierlich, es ift die Aufrechthaltung der Throne und des monarchiſchen Principe. Wir dürfen es uns nicht vechehlen, tr 350 Throne find bedroht, und diefe Republifen von Amerika, Franfreih und Italien rufen ven Völkern gar neue und gefährliche Kehren in’s Ohr: bie Lehren von der Selbitregierung und der Volfsfouverainetät. Der . eroberungsfüchtige General Bonaparte Hat diefe beiden Worte an feine Fahne geheftet, und wenn die ürften nicht mit vereinter Macht und Fraft ihn befümpfen, und ihm dieſe Sahne zu entreißen fuchen, fo wird er fie bald zu allen Völkern bintragen, und alle Völker werben ihm entgegenjubeln und dem Beijpiel Frankreichs folgen. wollen! Ich fürchte nichts für mich, fagte der König ruhig, aber felbit wenn ich fo unglüdlih wäre, an der Liebe und Treue meines Volks zweifeln zu müffen, dürfte doch der Gedanke un meine perfönliche Sicherheit und das Schidjal meiner Dynaftie nicht entſcheidend ein- wirken anf meine Entſchlüſſe in Bezug auf das Wohl meines Landes. Sch fagte Ihnen: fchon, ich will der Vater meines Volkes fein: ein guter Vater aber denkt immer zuerft an das Wohl feiner Kinder, und fucht diefes zu fördern, und dann erft, wenn ihm dies gelungen, benft er an fi! Ein guter Bater muß vor allen Dingen darnach tradten, fid feinen Kindern zu erhalten, rief Graf Haugwitz. Ein verwaiftes Volt ift eben fo unglüdlidh, wie verwaifte Kinder! Ihr Volk bedarf. Ihrer, Gire, e8 bedarf einer weifen und fanften Hand, welde es führt! Und doch wollt Ihr mir das Schwert in die Hand geben, und zu Blut und Kampf ſoll ich mein Bolf führen? rief der König. Damit aus Blut und Kampf ber Frieden emporblühe, fagte Graf Haugwig ernft. Das blutige Ungeheuer des Krieges fchreitet jest ein- mal dur die ganze Welt hin, und da man ihm nit ausweichen Tann, thut man beſſer, es anzugreifen, und ihm die Stirn zu bieten. Rußland, Defterreih und England find dazu bereit, und bieten Ihnen die Hände. Schlagen Sie diefe aus, fo werben Sie brei mächtige Feinde gewonnen haben für den zweifelhaften und gefährlichen Freund Frankreich. Und nehme ich fie an, ſo werde ich mit dem Blut meines Volkes ‚nicht Preußen, fondern nur Defterreih und Rußland genügt haben, rief ber König. Wenn Frankreich fehr geſchwächt oder gar vernichtet ‘ 351 würde, fo ift das eine Gefahr für Preußen, denn Defterreih und Rußland würden fih dann vereinigen, um uns zu bebrohen. Gie würden für ſich ſehr leiht und ſchnell Entſchädigung ausfinden, und namentlic, Defterreich würde Bortheil haben von Frankreichs Verluften, denn es würbe fi) die Niederlande, melde Preußen jest mit feinem Blut erobern fol, als Erbgut zurüdnehmen, und vielleicht auch Baiern an fi ziehen. Aber woher follte eine Entſchädigung für Preußen tommen? Oder glauben Sie etwa, Defterreichh würde vielleicht aus Dankbarkeit etwas von feinen Erbländern an Preußen abtreten? Nein, nein, fein Krieg mit Franfreih! Mögen Rußland und Oeſterreich allein kämpfen, fie find ftarf genug dazu! — Ich fage dies nad) reif- licher Ueberlegung, und es: ift dies nicht bloß meine Meinung, fondern auch diejenige frieggeübter, ausgezeichneter Generäle. Auch der General von Tempelhof ift meiner Anficht, und hat mir dieſelbe in einem Memoire, um das ich ihn bat, beftätigt. Ew. Majeftät haben aucd den Herrn Herzog von Braunfchweig um eine Denkfchrift über dieſe beabfichtigte Kriegscoalition erfucht, jagte General Köderig haſtig. Ich habe bei unferer Ankunft dies Manifeft vorgefunden, und wie Em. Majeftät befohlen, e8 durchge⸗ lefen. Der Herzog bleibt unerfchütterlih bei der Meinung ftehen, daß es für Preußens Ehre, Ruhm und Sicherheit nothwendig ſei, ſich der Coalition anzufchliegen, und Frankreich gerüftet gegenüber zu treten! Moajeftät, ich muß es befennen, ich denfe wie der Herzog! Und auch ich denke fo, rief Graf Haugwis, und nicht wir Beide allein, fondern Ihr ganzes Volk hegt diefe Gedanken, Sire, Ihr ganzes Bolf glüht vor Verlangen, dieſes übermüthige Frankreich zu züchtigen, und Deutfhland zu reinigen von diefen hereinbrechenden Jakobinerſchaaren. Dh, mein Herr und König, verfuhen Sie e8 nur, erheben Sie Ihre Stimme, und rufen Ste Ihr Voll zu den Fahnen, zum Sriege gegen Frankreich. Sie werden fehen, wie es jubelnd herbeiftrömen, wie es Sie fegnen wird. Und wenn Sie biefen Kampf beginnen, Sire, fo werden Sie und Ihr Heer einen furhtbaren, einen unüberwindlichen Bundesgenofien haben, dieſer Bundesgenofje ift: Die öffentliche Meinung, Sire! Die öffentlihe Meinung begehrt diefen Krieg, die 352 ® öffentliche Meinung, welche jett nicht mehr ein ftummes, im ‘Dunkeln dabinfchleihendes Etwas ift, fondern welche eine Stimme hat, und fie weit- jhallend erhebt in den Zeitungen und Journalen. Eine diefer Stimmen ließ fi) vor einigen Wochen ſchon in dem politifchen Journal alfo ver- nehmen: „Kann unfer Monarch das deutſche Reich verlafien? Zus» fehen, daß Frankreich fid) die Wege bahnt, um dereinſt auch Preußen anzugreifen, wenn befien Reihe fommen wird? Man darf nur an Italien, an die Schweiz und an Holland denken, um die franzöftfche Freundſchaft zu würdigen.““) — Diefe Stimme hat einen Nahhall gefunden in ganz Preußen, und Jedermann ſchaut hoffend und ahnungs- voll zu dem Thron Ew. Majeftät, und erwartet, daß aud Sie das Schwert erheben, für deutſche Ehre und für deutſches Recht. Sire, ih bin in diefem Augenblid nichts al8 die Stimme Ihres Volle, und deshalb beſchwöre ih Ew. Majeftät: faffen Sie einen fühnen, mann- baften Entſchluß! Heben Sie das Schwert auf zu Preußens Ehre, und zu Deutſchlands Sicherheit! Und aud ich beſchwöre Em. Majeftät, jo zu thun, rief General Köckeritz, audy ich wage es, zu Ew. Majeftät im Namen Ihres Volles zu flehen: Ob, Site, fafjen Sie einen fühnen mannhaften Entſchluß; Heben Sie das Schwert auf zu Preußens Ehre, und zu Deutſchlands Sicherheit! Der König war aufgeftanden und ging mit heftigen Schritten auf und ab. Seine fonft fo ruhigen, fanften Züge waren jetzt bewegt und unruhvoll, eine tiefe Wolfe lag auf feiner Stirn, ein ſchmerzlicher Ausdruck zudte um feine Lippen. Er ſchien wie in einem tiefen, ver- zweiflungsvollen Kampf mit ſich felber, und der Athem ging ſchwer und keuchend aus feiner Bruft hervor. Endlich nad einer langen Pauſe näherte er fi wieder den beiden Herren, die gleichfalls aufgeſtanden waren, und mit ‚beforgten Mienen dem König zugefchaut hatten. Ih kann alle diefe Gründe nicht widerlegen, fagte ver König feufzend, aber eine innere Stimme jagt mir, daß ich Unrecht thue, mein Wort und dem Frieden zu brechen. Indeß, wenn das Wohl des Staats 2) Bolitifches Journal aus Berlin. Journal. 1798. 353 es verlangt, trete ich ber Eoalition bei, jedoch nur unter der Bedingung, daß bie Defterreiher Mainz mit allem Nachdruck angreifen, e8 erobern und dadurch die linke Flanke meiner Operationsbafis deden. *) Und damit wollen wir für heute unfere Berathung fließen! Gehen Sie, Graf Haugwig, und beginnen Sie Ihre abgebrochenen Unterhandlungen mit dem ruſſiſchen und englifhen Gefandten auf's Neue; Sie, General ton Köderig haben Sie die Güte, mir erft das Memoire des Herzogs von DBraunfchweig hierher zu bringen, und dann mögen Sie fi in Ihre Wohnung begeben, um der Ruhe zu pflegen, welcher Sie ohne Zweifel nach fo vielen Strapagen jehr bedürftig fein werben! Er grüßte die beiden Herren mit einem rafhen Kopfneigen und wandte ihnen den Rüden, gar nicht auf die tiefen und ehrerbietigen Verneigungen achtend, mit welchen der Minifter und der General ſich nach der Thür zurüdzogen. | Draußen im Borzimmer angelangt, überzeugten ſich die beiden Herren mit einem rafhen Blid durch den Salon, daß fie allein feien und Niemand fie hören und belaufchen könne. Er war ſehr ungehalten, flüfterte General von Köderig, ex hat nur mit dem äußerſten Wiperftreben nachgegeben, und glauben Sie mir nur, mein reund, der König wird ung biefen Sieg, den wir ihm eben abgemwonnen, niemals vergeflen, er kann für uns die ſchlimmſten Folgen haben und unfere ganze Stellung gefährden! Es ift wahr, feufzte Graf Haugwis, ber König entließ uns fo Barſch und kurz wie noch niemals. Wir hätten lieber nachgeben follen und dem König feinen Willen lafjen! Wer weiß, ob er nicht recht hat und ob nicht für Preußen eine Allianz mit Frankreich mehr werth wäre, als dieſe Coalition mit Defterreih und Rußland. Daß Defterreid) zumal gar fo eifrig Preußens Beitritt zur Koalition wünſcht, madt mid, etwas ftugig, denn Defterreich möchte wenig geneigt fein, etwas zu proponiven, bei dem Preußen möglicherweife Vortheil haben Fönnte! *) Des Königs eigene Worte. Siehe Memoiren zur Geſchichte des preu- ßiſchen Staats 2c. Bon dem Obriften von Mafjenbady. II. ©. 88. Mühlbach, Napoleon. I. Bd. | 93 354 Wer weiß, ob bie Bortheile für Preußen nicht auf- ber franzöfifchen Seite liegen! Aber die öffentliche Meinung würde dies Bündniß verwünfchen, fagte General von Köderig feufzend, die öffentlihe Meinung — Lieber Freund, unterbrach ihn Graf Haugwitz ärgerlich, die Öffentliche Meinung ift wie der Wind, der heute von biefer, morgen von jener Seite berbläfl. Die Erfolge allein beftimmen die öffentlihe Meinung, und wenn bie Coalition der drei Mächte von Frankreich befiegt wird, fo wird diefelbe öffentlihe Meinung, welche uns jest zum Beitritt drängt, ung verbammen! Die öffentliche Meinung ift nicht jo viel werth, daß wir um ihretwillen unfere Stellung gefährden und unfern Einfluß auf ben König auf’s Spiel ſetzen follten. Und ich fage Ihnen, ich fürchte für unfere Stellung! Der König war außerordentlich gereizt; er ſchien mit Unwillen zu fühlen, daß er nicht ganz ein freier und unabhängiger Herrſcher ift, daß er uns etwas Macht über feinen Willen einge- räumt bat. Wir folten noch jet nachgeben, fagte General von Köckeritz ängſtlich, wir follten dem König bekennen, daß feine Gründe uns überzeugt, | daß wir uns geirrt haben — M Damit er doppelt fühlt, nicht fein eigener Wille, jondern nur unfere umgeänberte Meinung beftimme fein Handeln? fragte der Minifter. Nein, wir müfjen dem König Gelegenheit geben, einen Machtſpruch zu thun und zu beweifen, daß er allein der Herrfcher ift! Sie fünnen ‚ ihm dazu die befte Beranlafjung geben, denn Ste haben einen Vorwand, gleich wieder zu ihm zu gehen. Hat der König Ihnen nicht aufgetragen, ihm die Denkfchrift des Herzogs von Braunſchweig zu bringen? Mein Gott, es ift wahr, der König erwartet mich mit der Denf- Schrift! rief der General erfhroden. In meiner Beängftigung vergaß ich fogar dieſes Befehle. Eilen Sie, mein Freund, ihm jegt zu genügen, fagte Graf Haugwitz, und id) meinestheil8 werde mich mit Ihrer Erlaubniß noch ein wenig in dem Zimmer, das die Gnade des Königs Ihnen bier im Palais eingeräumt bat, ausruhen, im Fall noch Contreordre kommen follte! — Einige Diinuten fpäter trat, der General von Köderig, mit den 355 Papieren in der Hand, wieder in das Cabinet des Königs, der noch immer, ohne den Eintretenden zu bemerken, langſam auf und ab ging. Em. Majeftät, fagte der General jhüchtern und verlegen, ich bringe bier Die befohlene Dentfchrift des Herzogs Ferdinand von Braunfchweig. Regen Sie fie nur dort auf meinen Tiſch, fagte der König weiter wandeln. Herr von Köderig fchritt zu dem Tiſch und legte die Papiere auf demſelben nieder. In diefem Moment war auch der König im Auf- und Abwanbeln bis zu dem Schreibtiſch gelangt und blieb jest dem General, gegenüber jtehen. Er beftete einen langen und traurigen Blid auf ihn und ſchüttelte langſam fein Haupt. Auch Sie verlaffen mich, fagte der König fenfzend. Die Herren mögen Recht haben! Ich habe Ihren tieferen Einfichten einen Augenblid nachgegeben, aber eine innere Stimme fagt mir, daß ich Unrecht habe, den Frieden zu bredhen, weil Frankreich jest von allen Seiten bebroht und in diefem, Moment unglücklich ift.*) Ew. Majeftät allein ift bier der Herr und Gebieter, fagte Köckeritz feierlich. Ihre Ueberzeugung iſt uns Befehl, und wir unterwerfen uns im pflichtſchuldigen Gehorſam Eurer Majeſtät beſſerer Einſicht! Es iſt an Ihnen, uns Ihre Befehle zu ertheilen, an uns zu gehorchen! Ein raſcher Blitz leuchtete in den Augen des Königs auf und über ſeine Wangen flog ein höheres Roth. Der General ſah das und verſtand es gar wohl. | Zudem, fuhr er mit niedergefchlagenen Augen und beſchämter Miene fort, zudem habe ih Eurer Majeftät ein Bekenntniß zu machen, ein Belenntnif in meinem und des Grafen Haugwig Namen! Indem wir Em. Majeftät zu unfern Gründen für den Krieg und die Coalition berüberziehen wollten, ift e8 uns gefchehen, daß wir von den Gründen, welche Euere Majeftät gegen den Krieg und die Coalition ausſprachen, befehrt wurden und durch Em. Majeftät überzeugt worben find, daß wir in einem Irrthum befangen waren. Es ift vielleicht ſchmählich, \ *) Des Königs eigene Worte. Siehe: Memoiren von Maſſenbach. II. S. 90. 23 * 356 zu geftehen, daß. unfere Ueberzeugung fo fchnell in das Gegentheil umfchlagen konnte, aber die überzeugende Beredtſamkeit Eurer Majeftät — Nein, nicht meine armfeligen Worte, fondern die Wahrheit der Sache hat Sie überzeugt, rief der König freudig, und ich danfe Ihnen, daß Sie den wahrhaft männlichen und edlen Muth haben, es einzu= geftehen, daß Sie geirrt und zu anderer Einficht gefommen find. Ich danke e8 auch dem Minifter, Grafen Haugwitz, und ich werde Ihnen Beiden dieſes edle Selbſtbekenntniß und dieſe Wahrheitsliebe nie ver- geffen. Es ift mir ein neuer Beweis, daß ich an Ihnen treue und zuverläffige Freunde und Diener habe, welche fih nicht ſchämen, einen Irrthum einzugeſtehen, und denen es nur um die Sache, nicht um das Durchführen ihres Willens zu thun' iſt. Ich nehme mein Wort alſo zurück. Ich werde der Eoalition nicht beitreten! Eilen Sie zu Haugmig, mein Freund! Sagen Sie ihm, er folle fi fofort zum ruffifchen Geſandten verfügen und ihm die Meittheilung madhen, daß ich der | Coalition fein Hülfsheer zur Verfügung ftellen und mid) auch fonft nit an einem Kriege gegen Frankreich betheiligen werde. Auch dem englifchen Geſandten ſoll Haugwig diefe Mittheilung machen und ihm anzeigen, daß ich demgemäß auf die fehs Millionen Thaler Subfivien verzichte, die England mir für mein Hülfsheer leiften würde. Sechs Millionen Thaler! General Tempelhof hat wohl Recht, die Belage- rung einer Feſtung von nur mittelmäßigem Range Toftet eine Million Thaler, und wir würden deren in Holland mehr als zehn den hart- nädigen und tapferen Franzofen wegnehmen müfjen. Wir würden alfo über zehn Millionen auszugeben haben, und außerdem noch unfere eigenen Feſtungen im Innern des Landes von Geſchütz, Pulver und aller Munition entblößen!*) Was würden mir alfo dieſe ſechs Millionen Thaler engliiher Subfivien nügen? Ich würde wenigitens nod vier Millionen hinzufügen müffen und das Leben und Blut meiner tapferen und ſchönen Soldaten gefährden, ohne vielleicht für Preußen auch nur den mindeften Bortheil zu erlangen! Eilen Sie, General, *) Gedanken über die Frage: Soll Preußen der Eoalition gegen Frankreich beitreten? (Bom General von Tempelhof.) ©. 28. 357 dem Minifter, Grafen Haugmwig, meinen beftimmten und unabänderlichen Entſchluß mitzutheilen. Preußen bleibt neutral und nimmt nit Theil an diefem Krieg gegen Frankreich! Ich eile, ven Befehlen Eurer Majeftät zu genügen, rief General von Köderig, nad) ber "Thür zufchreitend, und ich weiß, daß Graf Haugwig mit eben der freudigen Demuth und Unterwürfigkeit dem töniglichen Befehl fich fügen wird, wie ich es thue! — Der König ſchaute ihm mit innigem Ausdruck nad. Er ift ein treuer und ebrliher Freund, fagte er, und das ift in der That ein feltenes Beſitzthum für einen König! Ah, es mir alfo gelungen, ich babe dieſe blutige Gewitterwolfe noch einmal an Preußen vorüber- geführt und idy werde meinem Volk die Segnungen des Friedens er— halten! Und jest darf ich mir wohl eine Belohnung dafür gönnen und ein wenig ausruhen von den Regierungsforgen! Ich will zu Luiſen gehen. Ihr Anblid und das Lächeln meiner Kinder ſoll mich dafür belohnen, daß ich als König meine Pflicht gethan! VIII. Die legitime Gemahlin. Der Fürft von Neuß, Heinrih XIV., der Geſandte Defterreichs in Berlin, hatte vor einer Stunde feinen legten Seufzer ausgehaudt. Eine ſchmerzvolle Krankheit hatte ihn feit Wochen an fern Lager geheftet, und Mariane Meier hatte ihn in diefer Zeit mit der treneften Sorg- falt und Liebe gepflegt. Sie war Tag und Nacht nidt von feinem Lager gewichen, und Niemand außer ihr, dem Arzt und einigen Die- nern, hatte das Kranfenzimmer betreten dürfen. Die Brüder und Neffen des Fürften, weldye nach Berlin gefommen waren, ihren fter- benden Verwandten nod eimmal zu fehen, hatten- fi vergeblid um biefe Gunft beworben, denn die Aerzte hatten ihnen erklärt, ok Kir 358 den leidenden Fürſten jede Aufregung vermieden werden müſſe, und daß eine folche bei dem gefährlichen Zuftand des Fürſten feinen augen- blidlihen Tod herbeiführen künne. Außerdem aber hatte der Fürſt feinen vertrauten Kammerdiener zu feinem Byuber gefandt, und ihm fagen lafjen, er würde, felbft wenn er gefund wäre, die Bejuche eines Bruders nicht annehmen, der ihm fo wenig brüberliche Liebe bewieſen, und fo viel Aergerniß bereitet habe, indem er ſich feindlich und höhnend feiner treuen und vielgeliebten Freundin Mariane Meier gegenüber - geftellt habe. Die hohen Verwandten des Fürften hatten fi daher wohl be- gnügen müffen, fein Palais nur aus der Ferne zu beobachten und einige ber fürftlihen Diener zu gewinnen, damit fie ihnen einen ftünblichen Rapport über das Befinden des Fürften abftatteten. Und jegt war Fürft Heinrich XIV. heimgegangen zu feinen Ahnen, und fein Bruder war jest fein Nachfolger und Erbe, denn der Fürft hatte feine legitimen Erben. Er war niemals verheirathet geweſen, und fein ungeheure8 Vermögen, feine Güter und Titel fielen daher feinem Bruder zu. Freilich war da feine Geliebte, die ſchöne Mariane Meier, welche der Yürft in der VBerblendung feiner Liebe als eine Ge- mahlin hatte neben ſich geehrt wiſſen wollen! Aber diefe hatte na- türlih feinen Anfpruh auf irgend eine Erbſchaft; wenn man groß- müthig fein wollte, ließ man ihr die koftbaren Geſchenke des Fürſten und gab ihr eine kleine Penſion, weiter nichts! Der Fürſt hatte daher kaum ſeine Augen geſchloſſen, und die Aerzte hatten kaum das Todesverdict über ihn ausgeſprochen, als ſein Bruder, der nunmehrige Fürſt Heinrich XV., begleitet von einigen Rechtsanwalten, bereits das Hötel des Verſtorbenen betrat, um Beſitz zu nehmen von ſeinem Eigenthum, und die nöthigen Verſiegelungen vornehmen zu laſſen. | Indeſſen, um ſich wenigftens den Anfchein brüderlicher Liebe zu geben, und dem Decorum zu genügen, wollte der Fürſt ſich zuerft in das Sterbezimmer begeben, und dem Heimgegangenen ein lettes Lebewohl fagen. — Aber in dem Vorzimmer fand er die beiden Rammerbiener feines Bruder, welche es wagten, ihm den Weg zu 359 vertreten, um ihm zu jagen, daß Niemand das GSterbezimmer be- treten dürfe. Und wer unterfteht fich, dies zu befehlen? fragte ver Fürft, feinen Weg fortfegend. | Die gnädige Frau hat es fo befohlen! fagte der erſte Kammer- biener. Die gnädige rau wollen allein fein mit ber Leiche ihres Gemahls. Der Fürſt zuckte die Achſeln und ſchritt, gefolgt von den Juſtiz— beamten, der Thür zu, welche er indeß vergeblich zu öffnen verfuchte. Ih glaube, diefe Perfon hat die Thür von innen verſchloſſen, fagte der Fürſt mit verhaltenem Zorn. Ja, mein Herr, die gnädige Frau haben fi eingefchloffen, fagte dev Kammerdiener, die gnädige Frau wollen in ihrem Schmerz nicht von Condolenz = Bifiten geftört werben. Nun, jo überlaffen wir fie ihrem Schmerz, vief der Yürft mit einem jpöttifchen Lächeln. Kommen Sie, meine Herren Beamten, gehen wir an unfer Gefhäft! Nehmen wir ein Inventarium in fänmtlichen Zimmern auf und verfiegeln wir! Führen Sie und in die Zimmer, Herr Kammerbiener. Aber der Kammerriener zudte kopfſchüttelnd vie Achſeln. Ber- zeihung, gnädiger Herr, das ift unmöglid. Se. Durdlaudt, unfer verftorbener Herr und Fürft, hat ſchon vor einigen Tagen, als er fein Ende herannahen fühlte, ſämmtliche Zimmer fchließen und im Beijein des Geſandtſchafts-Perſonals von dem erften Attahe der Geſandtſchaft verfiegeln laffen. Die Sclüffel ſämmtlicher Zimmer aber find auf Befehl des Fürſten der gnädigen Frau, feiner Gemahlin, übergeben worden. Der neue Fürft Heimih XV. wandte fi etwas beftürzt an tie Suftizbeaniten. Dürfen wir die Thüren mit Gewalt öffnen? fragte er. Nein, das wäre ungejeglid, fagte einer der Rechtsanwalte leife. Ohne Zweifel hat der verftorbene Fürft aud darüber feine Befehle er- loffen und den Beamten der Geſandtſchaft diefelben anvertraut. Em. Önaden müßten fi zuerft an dieſe Herren wenden. 360 Iſt der erfte Attache der Gefandtfchaft, Baron von Werdern, im Hötel anmwefend? fragte der Fürft den Kammerdiener. Nein, Ew. Gnaden, er ift fo eben mit einigen anderen Herren von der Geſandtſchaft hingegangen, um zwei Beamte der Obrigkeit hierher zu bitten, damit in deren Beiſein das Teſtament eröffnet und ge⸗ lefen werde. Mein Bruder hat alfo ein Zeftament gemacht? fragte der Fürft ein wenig erjchroden. Ja, Em. Gnaden, und er hat e8 im Beifein des Geſandtſchafts⸗ perfonals, zweier Beamten der hiefigen Obrigkeit und feiner ſämmt— lichen Dienerfhaft vor drei Tagen in eine eiferne Cafjette gelegt, ven Sclüffel derfelben den Magiftratsperfonen übergeben, in deren Bei- fein alsdann die Gaffette in dem Bureau der Gefandtfchaft deponirt worden ift. Und weshalb ift der Baron von Werdern ſchon jetzt zu den Herren von der Obrigkeit gegangen? Um dieſelben zu bitten, hierher zu kommen, denn laut dem münd⸗ lichen Befehl des verſtorbenen Fürſten ſoll das Teſtament zwei Stunden nach ſeinem Tode ſchon eröffnet werden. Der Herr Baron wollte daher zu gleicher Zeit auch Ew. Gnaden hierher einladen. Nun, ſo warten wir, bis die Herren kommen, ſagte Fürſt Hein— rich XV. achſelzuckend. Indeſſen ſcheint es mir doch etwas ſeltſam, daß ich hier im Vorzimmer, wie ein Supplicant warten muß. Melden Sie mich Ihrer gnädigen Frau! Der Kammerdiener verneigte ſich und eilte hinaus. Der Fürſt winkte die beiden Rechtsanwalte zu ſich. Was halten Sie von dieſer ganzen Sache? fragte er leiſe. Die beiden Männer des Geſetzes zuckten die Achſeln. Durchlaucht, ſagten ſie, es iſt hier Alles geſchehen in der Form Rechtens, wie es ſcheint. Wir müſſen die Rückkehr der Herren und die Eröffnung des Teſtaments abwarten. Eben trat der Kammerdiener wieder ein und näherte ſich dem Fürſten. Die gnädige Frau laſſen ſich dem Herrn Fürſten empfehlen, fagte er, und bitten um Verzeihung, daß ſie augenblicklich außer 361 Stande find, den Beſuch ihres Herrn Schwagers zu empfangen, da fie eben mit ihrer Toilette befhäftigt find. Sie werden die Ehre haben, den gnäbigen Herrn Schwager bei der Ceremonie zu begrüßen. Nennt Ihre fogenannte gnädige Frau etwa mich ihren Herrn Schwager? fragte der Fürft mit dem Ausprud tieffter Verachtung, in- dem er dem SKammerbiener den Rüden wandte Wir werben alfo bier warten, meine Herren, fuhr er fort, ſich zu den Rechtsanwälten wendend. Diefe Berfon gedenkt, wie e8 fcheint, in diefem Moment eine Kleine Revanche zu nehmen für die offene Verachtung, die ich ihr immer bewiefen babe. Ic werde fie indeß dafür zu ftrafen willen, und — Stil, Durdlaudt, flüfterte einer der Yuftizbeamten, ftil, man fommt! | In der That, da drüben öffneten fich eben bie beiden hohen Thür⸗ flügel, und man erblidte dort auf einer fchwarz decorirten Eſtrade die Leiche des heimgegangenen Fürften, auf einem Ruhelager liegend und beleuchtet von den hohen Wachsferzen, die auf den zu beiden Seiten des Lagers aufgeftellten Candelabern brannten. Bon einer unwillfürlihen Scheu ergriffen ſchritt Fürft Heinrich vorwärts, und diefes ernfte Antlit feines Bruders, mit dem er in fo langem Unfrieden gelebt und den er jeit Jahren nicht mehr gejehen, er- füllte fein Herz mit einem unheimlichen Graufen. Mit zögernden leifen Schritten näherte er, gefolgt von feinen juriftifchen Beiftänden, fih dem Gemach. Jetzt erſchien auf ber Schwelle der Thür der erfte Attahe, Baron von Werbern, und ſich tief verneigend vor dem Fürſten, lud er ihn flüfternd ein, näher zu treten. Der Fürſt fchritt vorwärts, und wie er das Gemach betrat, jchien es ihm als ob die Leiche feines Bruders fid) regte, als ob feine halb- geöffneten Augen mit drohendem Ausdruck auf ihm ruhten. Der Fürft wandte feine Blicke entfegt ven ver Leiche fort und begrüßte die Herren, welche um den Jhwarzbehangenen Tiſch ftanden. Zwei hohe Armleuchter mit brennenden Wachskerzen, eine eiferne Saflette und ein Schreibzeug befanden ſich auf Vielen Lie, 362 und vor demfelben ftanden auf der einen Seite zwei ſchwarzdecorirte Lehnſeſſel. Zu einem dieſer Lehnſeſſel führte der Baron den Fürſten hin, und lud ihn ein, auf demſelben Platz zu nehmen. Fürſt Heinrich that es und blickte dann erwartungsvoll nach den Magiſtratsperſonen, die in ihren ſchwarzen Talaren neben dem Tiſch ftanden, und hinter welchen das ganze Gefandtfchaftsperjonal, die Aerzte und vie ſämmtliche Diener- ſchaft des Fürſten aufgeftellt waren. Eine lange Pauſe trat ein, dann auf einmal öffneten ſich beive Vlügelthüren, und der Haushofmeifter des Fürſten erfchien auf der Schwelle. Ihro Durdlaudt, die verwittwete Frau Fürftin von Neuß, fagte er mit lauter feierliher Stimme, und jest erfchien in der Thür bie hohe, impofante Geſtalt Marianens. Ein ſchwarzes MWollengewand, bis oben zum Halfe hinreichend, und in einer langen Schleppe endigend, umbüllte fie, ein langer, ſchwarzer Kopfichleier, über der Stirn von einer Fürftenkrone zufammengehalten, umfloß ihre edle, hohe Erfchei- nung wie eine dunkle Wolfe, und aus dieſer Wolfe hervor glänzte ihre hobe, gedantenvolle Stirn, bligten ihre großen, feurigen Augen. Die tiefite, ſtolzeſte Ruhe ſprach aus ihren Zügen, und wie fie jegt vor- wärts jchritt und die Herren mit einem leifen Neigen ihres Hauptes begrüßte, war eine jo wahrhaft fürftlide Würde und Hoheit in ihrem ganzen Weſen, daß felbft Fürft Heinrich fih davon impenirt fühlte, und fih ganz unwillfürlih von feinem Lehnſeſſel erhob. Mariane indefien achtete nicht auf ihn, ſondern näherte fich zuerft der fürftlihen Leiche. Mit einer unnachahmlichen, ftolzen Anmuth fnieete fie auf den Stufen der Eſtrade nieber. Ihr gegenüber auf der andern Seite der Eſtrade Fnieete der Priefter, der im vollen Ornat Marianen gefolgt war. Beide murmelten inbrünftige Gebete für den Geftorbenen, dann erhob ſich Mariane von ihren Knieen, und ſich über bie Reihe neigend drüdte fie einen langen Kuß auf ihre Stirn. Lebe wohl, mein Gemahl! fagte fie mit ihrer vollen, melopifchen Stimme, und nun wandte fie fih um, und ſchritt zu den Tiſch hin. “ 363 Ohne den Fürften auch nur eines Blides zu würdigen, ließ fie ſich auf dem Lehnſeſſel nieder. Ich bitte Die Herren von Magiftat, jebt die Caffette zu öffnen, fagte fie mit faft gebieterifcher Stimme. | Der Magiftratsbeamte reichte dem Herrn von Werdern ven Schlüfjel Dar, diefer öffnete die Caflette und nahm ein verfiegeltes Schreiben hervor, das er dem Beamten überreichte. Erkennen fie das Bapier für dasjenige, welches Sie felber hier in diefer Caſſette verfchloffen haben? fragte er. Für daſſelbe, welches Ihnen Se. Durchlaucht der verftorbene Fürft von Reuß Heinrih XIV. übergeben hat? Ja, es ift daffelbe, fagten die beiden Beamten, es iſt das Teſta⸗ ment des verſtorbenen Fürſten. Und Sie wiſſen, daß Se. Durchlaucht uns befahl, daſſelbe ſofort nach ſeinem Tode zu öffnen und zu publiciren. Thun Sie alſo, wie der Verſtorbene befohlen hat. Der erſte der Magiſtratsbeamten erbrach das Siegel, und jetzt, wie er das Papier auseinander ſchlug, wandte Mariane ihr Haupt ein wenig zur Seite und heftete ihre brennenden Blicke mit einem durchbohrenden Ausdruck auf das Antlitz des Fürſten. Der Beamte begann ſeine Lectüre. Zuerſt kamen die Formeln und Einleitungen, wie ſolche bei jedem Teſtament üblich ſind, dann las der Beamte mit erhobener Stimme wie folgt: „Indem ich mich bereite, vor dem Thron des Herrn zu erſcheinen, fühle ich mich vor allen Dingen gedrungen, hiermit öffentlich meiner Gemahlin, der Fürſtin Mariane, gebornen Meier, meinen freudigſten Dank abzuſtatten für die Treue, Liebe und Hingabe, welche ſie mir während der ganzen Dauer unſerer Ehe bewieſen, für die Aufopferung und hingebende Geduld, mit welcher ſie mich während meiner jetzigen Krankheit gepflegt hat. Ich fühle mich in meinem Gewiſſen um ſo mehr zu dieſem Bekenntniß verpflichtet, als meine Gemahlin aus Liebe zu mir viel unverdiente Verdächtigung und Kränkung erduldet hat, weil ſie, um meinen Wünſchen zu genügen, unſere Ehe als Geheimniß bewahrt hat, und daher den Spott Uebelwollender und die Verhätuung, 364 gebäffiger Feinde zu tragen gehabt hat. Sie ift aber meine recht— mäßige Gemahlin vor Gott und Menſchen, und ift vollfommen be: vechtigt und befugt, fi die Gemahlin des Fürften von Neuß zu nennen. Ich gebe ihr hierdurch das Recht, dies zu thun, und indem id damit das Geheimniß, welches während meines Lebens über unfrer Ehe gewaltet bat, aufhebe, ermächtige ich meine Gemahlin zur Annahme ber Titel und Würden, welde ihr gebühren, befehle ih meinem Bru- der, fo wie deſſen Söhnen und den übrigen Mitgliedern meiner Fa- milie, der verwittweten Fürftin Neuß, geboren Meier, die Achtung, Unterwürfigkeit und Ehrfurcht zu bezeugen, welde ihr als der Wittwe des verftorbenen Hauptes der Yamilie zufommt, und auf melde fie durch ihre Tugend, ihr untadelhaftes Betragen, ihre Ehrbarkeit, Schön- beit und Xiebensmwürdigfeit die gegründeteften Anfpräcde hat. ‘Die ver- wittwete Fürftin Neuß ift befugt, ihre Diener die Farben meines Haufes tragen zu laffen, an ihren Equipagen das Fürftlih Reuß'ſche Wappen zu führen und alle Vorredhte ihres Standes zu genießen. Sollte mein Bruder Heinrih, der Erbe meiner Titel, Zweifel hegen über dieje Bejugniß, fo hat der Vorlefer meines Teftamentes ihn zu fragen, ob er noch weiteres Zeugniß ter Rechtmäßigkeit meiner Ehe verlange.” | Berlangen Ew. Durdlaudt weiteres Zeugniß? fragte, der Ma- giftratsbeamte, ſich in feiner Lectüre unterbrechend. Ich verlange es, fagte der Fürft, welcher mit bleihem Angeficht, mit düftern Mienen ter Borlefung zugehört hatte. Und hier ift das Zeugniß, fagte der Priefter, indem er dem Caplan winfte, der auf der Schwelle der Thür fand. Er näherte fich jegt dem Priefter und überreichte ihm ein großes ſchwarzgebun⸗ denes Bud). Es ift das Kirchenbuch, in welchem ich alle in der Capelle der öfterreichifchen Gefandtfhaft vorgenommenen Trauungen, Taufen und Leicheneinfegnungen verzeichnet habe, jagte der Priefter. Hier auf biefer Seite finden Sie das Protocol der vor zwei Jahren erfolgten Bermählung des Fürften Reuß, Heinrich XIV., mit Fräulein Mariane Meier. Ich felber habe die Frau Fürſtin durch die heilige Taufe in 365 ven Schooß der heiligen Deutterliche aufgenommen, ich felber habe jie dem Fürften angetraut. Ich lege hiermit Zeugniß ab, daß bie Frau Fürftin die legitime Gemahlin des Fürſten ift, wie foldhes aud das Protokoll in dem Kirchenbuch befagt. Diefe Trauung ift an heiliger Stätte vollzogen, und im Beifein von Zeugen, welde glei mir bie Trauungsacte unterzeichnet haben. Ich war Zeuge der Trauung, fagte Baron von Werbern, und außer mir der Kriegsrath Geng, der, wenn Ew. Durdlaudt noch weiteres Zrugniß begehren, gleich uns bereit ſein wird, daſſelbe abzulegen. Nein, ſagte der Fürſt düſter, ich begehre kein weiteres Zeugniß, ich erkläre mich für überzeugt, und mache hiermit meiner Frau Schwä- gerin, ber verwittweten Fürftin Reuß, gebornen Meier, mein Compliment. Er verneigte ſich mit einem fpöttifchen Yächeln, welches einen Mo⸗ ment das Blut in Marianens bleihe Wangen jagte, und lehnte fid dann nadläffig in jeinen Fauteuil zurüd. Haben Sie jegt die Güte, in Ihrer Lectüre fortzufahren, fagte er, fih an den Magiftratsbeamten wendend. Diefer nahm das Teftament wieder zur Hand und las die ein- zelnen Paragraphen und Beitimmungen veffelben. Der Yürft ver- machte in vdemfelben fein Palais nebft dem ganzen darin enthaltenen Inventarium feiner Gemahlin Mariane, ebenfo feine Kutfchen, feine Pferde und die von feiner Mutter ererbten Familienbrillanten. Sein übrige8 bedeutendes Vermögen aber fo wie alle feine Güter hinterließ er feinem Bruder, indem er es diefem anheimgab, ſich mit der Fürftin Mariane über eine, ihrem Range und ihren Berhältniffen angemefjene Benfion zu einigen. Alsdann folgten einige Legate und Benftonen für die alten Diener feines Haufes, einige Schenfungen an die Armen und zulegt die Ausfegung eines Capitals, für welches alljährlich am Todestage des Fürften eine Meſſe für das Wohl feiner Seele gelefen werben follte. | Die Ceremonie war beendet. Die Magiftratsbeamten und Das Geſandtſchaftsperſonal hatten das Sterbezimmer verlaffen, und auf einen Win! Marianens war auch die Dienerfchaft hinausgegangen. 366 Der Fürft hatte fich leife und rafch mit den beiden Rechtsanwälten bejprodhen, und alsdann hatten auch diefe fich zurüdgezogen. Niemand außer dem Bruder und der Gemahlin des Berftorbenen waren jebt nod in diefem düſtern, von den fladernden Wachskerzen erhellten Ge⸗ mad anweſend. Mariane fchien indeffen die Gegenwart des Fürſten gar nicht zu bemerfen; fie war wieder zu der Leiche hingefchritten und ſchaute fie an mit einem langen, innigen Blid. Ich danke Dir, Heinrich, fagte fie laut und feierlich. Ich danke Dir aus tiefſter Seele; Du haſt mir meine Ehre wieder Jegeben, Du haſt mich gerächt an Deinen ſtolzen Verwandten und an der höhnen⸗ den Welt! Danken Sie ihm nidt, Frau Schwägerin, denn er hat Sie arm zurüdgelaflen, fagte der Yürft, zu ihr tretend und fie mit einem Falten Lächeln betradhtend. Mein Bruder hat Sie zur Fürftin gemacht, es ift wahr, aber er hat Ihnen nicht die Mittel gegeben, um als Yürftin zu leben. Er hat Ihnen dies Palais mit feinen glänzenden Meubles, er bat Ihnen feine Equipagen und Brillanten vermacht, aber Meubles find feine Landgüter, von deren Renten man leben fann, und um Equipagen zu halten, muß man Menfhen und Pferde ernähren. Sie fünnen freilid, das Hötel und die Brillanten verlaufen, und werben dafür einige hunderttauſend Gulden erhalten. Das ift genug für eine Privatperfon, um davon eine recht hübſche und glänzende Eriftenz zu führen, aber es it fehr wenig, um davon einen fürftlihen Hausſtand zu beftreiten und mit dem Glanz und Eclat, der Ihrer Schönheit und Ihrer Stellung gebührt, in der großen Welt auftreten zu können. Mein Bruder hat dies Alles vorgejehen, und hat und daher den Weg einer Berftändigung eröffnen wollen, indem er uns anbeimgiebt, ung über eine Penfion zu einigen. Ic, frage Sie alſo, wie viel verlangen Sie? Wie hoch muß die Summe fein, für welche Sie mir Ihren Trauer- fchleier, Ihr Wittwentbum und Ihre Titel verkaufen wollen? Denn Sie fünnen wohl denken, Madame, daß es nicht in meinem Willen liegt, Sie wirklich öffentlich als meine Frau Schwägerm auftreten zu lafien, und eine — Mariane Meier unter tie Ahnenbilder meines Haufes aufzunehmen. Sagen Sie mir alfo Ihren Preis, Madame. t g 367 Mariane fchaute ihn an mit flammeriden Augen und zorngerötheten Wangen. Herr Fürft von Reuß, fagte fie ftolz, Sie werden die Jüdin Mariane Meier unter die Ahnenbilder Ihres Haufes aufnehmen, und Sie werden es dulden müfjen, daß die Welt mid Ihre Schwägerin nennt. Ich bin es und ich werde Ihnen und ver Welt beweifen, daß man nicht nöthig hat, unter einem fürftlihden Baldachin geboren zu + fein, um fürftlich leben, fürftlih denken und handeln zu fönnen. Mein “ Gemahl hat mid in diefer Stunde belohnt für Jahrelanges Leid und Yahrelange Demüthigung. Glauben Sie, daß mir die Belohnung fest ift für elendes Geld? Und wenn Gie mir Millionen böten, ich würde fie ausfchlagen, wenn ich dafür eine namenlofe, gefchmähete und fleinlihe Eriftenz führen ſollte. Ich will lieber Hungers fterben als Fürftin von Neuß, denn in Reichthümern fchwelgen als Mariane Meier. Dies ift mein legtes Wort, und jegt, mein Herr, gehen Sie! Entweihen Sie diefes Zimmer nicht durch Ihre falten, egoiftifchen Gedanken und Ihre weltklugen Berechnungen! Ehren Sie die Ruhe des Todten und die Trauer der Lebendigen. Gehen Sie! Sie wandte ſich ftolz von ihm ab und neigte ſich wieder über Die Reiche. Wie fie ihr Haupt über fie lehnte, ſank ihr ſchwarzer Schleier mit leifem Raufchen über ihrem Antlig nieder und hüllte fie und Die - Reiche wie in dunkle Nebeljchatten ein, fo daß beide Geftalten wie in Eine zu verfhmeben fchienen. Der Fürft fühlte ein unheimliches Fröfteln feine Geftalt durchrieſeln, und die Nähe des Todten genirte ihn. Ih will Sie jegt in Ihrer Trauer nicht ſtören, Madame, fagte er, nad) der Leichenfeier werben hoffentlih Ihre Thränen verfiegen, und dann werde ich meine Rechtsanwälte zu weiteren Unterhandlungen zu Ihnen fenden. Er verneigte ſich und eilte dem Ausgang zu. Mariane fchien weder feine Worte gehört, noch fein Gehen bemerkt zu haben. Gie lehnte immer noch über der Leiche ihres Gemahls, und die ſchwarze Wolfe verhüllte fie und ihn. [N IX. Der achtzehnte Brumnire. Neuigkeiten aus Frankreich! rief der Kriegsrath Gen, mit athem⸗ Iofer Haft in das Boudoir Marianen’ eintretend. Willen Sie fchon, was gefchehen ift? Haben Sie fchon gehört, Mariane, mit welcher That Frankreich diefes Jahrhundert abgeſchloſſen hat? Mariane blickte mit einem feinen, ſeltſamen Läheln in das erregte Antlitz des Freundes. Neuigkeiten ſeltſamer Art müſſen es ſein, ſagte ie, ba fie fogar im Stande gewefen, den Träumer Friedrich Gentz aus feinem politiihen Schlaf zu weden, und ihm wieder Intereſſe an den Welthändeln einzuflößen. Nun, laſſen Sie hören, was giebt es Neues in Frankreich? | Der General Bonaparte hat das Diredtorium verjagt und den Rath der Fünfhundert auseinander gefprengt. Und das nennen Sie eine Neuigkeit? fragte Mariane achfelzudend. Sie erzählen mir da die Gefchichte des neunten und zehnten November, oder wie die republifanifhen Franzoſen fagen, des achtzehnten und neunzehnten Brumaire, und Sie glauben, daß ich heute am Ende nes December noch nichts davon erfahren habe? Mein Freund, die Thaten Bonaparte’8 bedürfen nicht eines Monats, um von ſich reden zu machen, fie Schwingen fi empor mit Aolersfittigen, und alle Welt fiebt fie, weil fie aller Welt den Horizont verbüftern. Aber Sie haben ja erft die Vorrede meiner Neuigkeit gehört, rief Gens ungeduldig. Ich zweifle nicht, daß Sie die Geſchichte des acht⸗ zehnten Brumaire fennen, und daß Sie willen, wie Frankreich fih an jenem Tage unter die Herrſchaft dreier Conſuln ftellte, deren Einer der General Bonaparte war. Die andern beiden find Sieyes und Ducos, unterbrad ihn Ma⸗ riane, ja, ich weiß das und ich weiß auch, daß Bonaparte'8 Bruder Lucian, der Präſident der gefeßgebenden Verſammlung, als er die drei Gonfuln vereivete, zu ihnen fagte: „Das. größte Volk der Erde ver- 369 - traut Euch feine Schidfale an; das Wohl von dreißig Millionen Menſchen, bie Erhaltung der innern Ruhe und die Herftellung des Friedens ift Euer Auftrag. Nach drei Monaten erwartet Euch die Öffentliche Meinung, um zu vernehmen, wie Ihr ihn erfüllt habt!" *) Nun, Herr Bonaparte hat dieſe Frift. ein wenig abgekürzt, fagte Gens, er hat die öffentlihe Meinung nicht drei lange Monate warten laſſen wollen, oder vielmehr, er behauptet, daß die öffentliche Meinung ihn nicht habe fo lange warten lafien wollen, daß fie vielmehr es fei, welche ihn berufen habe zum Herricher von Frankreich! Zum Herrfher von Frankreich? fragte Mariane erftaunt. Bona- parte hat fi zum König gemacht ? Ya, zum König unter einem andern Namen; er bat fich zum erften Sonful auf zehn Jahre wählen laffen! Ab, er wird es fchon verftehen, biefe zehn Jahre abzufürzen, wie er die drei Monate abgekürzt hat! Und diefe Nachricht ift fiher? fragte Mariane finnend. Sicher und gewiß; Am fünfundzwanzigften December ift Bonaparte zum erften Conful erwählt und die neue Verfaſſung in Frankreich proclamirt worden. Ein ſchönes Weihnahtsgefchent, das Frankreich da der Welt gemadt bat. Eine Schachtel mit Dradhenzähnen, aus ber geharnijchte Kriegerfchaaren hervorgehen werden! Freilich giebt fih der erfte Conſul jett das Anfehen, Europa den Frieden bringen zu wollen. Er bat an alle Höfe Geſandte mit Berfiherungen feiner Freundfhaft und Friedensliebe gefandt, und dieſe ſchon im Voraus geihidt, jo daß fie an demſelben Tage, an welch em er in Paris zum erften Conſul proclamirt ift, aud Schon die Nachricht diefer Ernennung bringen können. Auch in Berlin ift ein folder Friedensbote des Generals eingetroffen, und er hat uns alle diefe neuen, überrafhenden Nachrichten gebradht. Wie heißt diefer Friedensbote des modernen Sriegsgottes? fragte Mariane. Er bat feinen Adjstanten, den General Duroc, gefandt; geitern ift diefer in Berlin eingetroffen und heute fchon, bei der großen Soiree *) Histoire du Consulat et de ’Empire. Par A. Thiers, Vol.\. pag.W. Mühlbach, Napoleon. 1. Bb. IL 370 der Königin, erſchien er als der gefeierte Saft des Hofes. Dh, meine Freundin, mein bummes deutfches Herz bäumte ſich auf vor Zorn, wie ih fah, mit welcher Zuvorfommenheit und freundfeligen Güte man diefem Franzofen entgegentrat, während deutſche Männer von Genie, Berdienft und Talent im Schatten ftehen müſſen, und weder der König nod die Königin ihre Eriftenz zu ahnen fcheinen. Da war der Graf Hardenberg und der edle Oberpräfident Weftphalens, Herr von Stein; fie ftanden unbeadhtet in einer Fenſterniſche und. blidten traurig auf das Königspaar, das in der Mitte feines Hofes dem Franzofen ſchön that; da war Blücher und Gneiſenau, welche Niemand bemerkte, obwohl ihre preußifchen Uniformen nicht minder glänzend waren als die bes franzöfifhen Herrn; und da war enblih ich, Friedrich Gent, ich, der nur auf ausdrüdlichen Wunſch und Befehl der Königin bei dieſem Hoffeft erfchienen war und deſſen Anwefenheit fie jegt ganz und gar vergefien hatte, obwohl Qualtieri fie drei Mal daran erinnerte, daß ich da fei und nur gefommen, weil die Königin es aljo befohlen. Aber was fümmerte es die ſchöne Majeſtät, ob ein deutſcher Schriftfteller vergeblich auf ein Lächeln ihrer Huld, einen gnädigen Winf ihres Hauptes warten müſſe! Der Franzofe war eine viel wichtigere Erfcheinung als wir Alle! Dem Franzoſen zu Liebe hatte felbft die Dame Etiguette, Frau Ober- bofmeifterin von Boß, verftummen mäffen, und man empfing ven einfachen Arjutanten des erſten Confuls, als wäre er ein bevollmächtigter Geſandte, während er doch nur als Unterhändler einer Privat-Perfon fam. Man bat ihn, von den Schlachten an den Pyramiden, den Schlachten vom Berge Tabor und von Aboufir zu erzählen, und der ganze Hof laufchte mit einer Andacht, als fei e8 das Evangelium einer neuen Zeit, das der Adjutant Bonaparte’8 verkündete. Wenn er inne hielt in feinen Erzählungen, richtete die Königin mit ihrem bezaubernpften Lächeln immer neue Fragen an ihn und pries die Großthaten des Generals Bonaparte, als fei er der Meffias, welcher gefommen, die Welt zu erlöfen von den llebeln des Krieges! Genug, er hatte einen vollfom- menen Succes, und zulegt wußte ex felber dieſem durch eine gejchidte Wendung nod) den hödjften Glanz zu verleihen. Die Königin erzählte Herrn Duroc von unfern deutfchen Sitten, und daß heute bei uns der 371 Tag der allgemeinen Geſchenke und der allgemeinen Liebesgaben ſei, bie man unter den brennenden Tannenbaum lege, und mit denen man fih gegenfeitig überrafhe. Da wandte fi Duroc an den König und fagte mit feiner unausftehlichen franzöfiihen Liebenswürdigkeit: „Sire, wenn heute der Tag der allgemeinen Geſchenke in Deutſchland ift, fo babe ich heute zu allererft ven Muth, im Namen des erften Confuls und Generals Bonaparte eine Bitte an Em. Majeftät zu richten und Sie um ein Gefchent zu erfuhen, wenn anders Ew. Majeflät mir Dazu die Erlaubniß ertheilen wollen.” — Der König natürlich ertheilte ähm die Erlaubniß und Duroc fuhr fort: „Sire, das Geſchenk, um welches ih Ew. Majeftät im Namen des erften Confuls erjuchen fol, üt eine Büfte des großen Königs Friedrichs des Zweiten! Der erfte Conſul het jüngft die Statuen in der Dianen- Galerie der Tuilerien gemuftert; e8 find da die Statuen von Cäſar und Brutus, von Coriolan und Cicero, von Ludwig dem PVierzehnten und Carl dem Fünften, aber Der erfte Conſul vermißte die Statue Friedrichs des Großen, und er hält die Sammlung der Heroen alter und neuer Zeit für unvollftändig, fo lange ihr Friedrich der Große fehlt! Sire, id) wage es alfo, im Namen Frankreichs um das Geſchenk einer Büfte Friedrichs des Großen zu bitten.” *) Sehr geſchickt, in der That, ſagte Mariane lächelnd, dieſe Repu- blikaner ſcheinen ſehr gute Hofmänner zu ſein. Ja, ſehr geſchickt, rief Gentz, der ganze Hof war ſelig und voll Wonne über dieſe ungeheure Schmeichelei, über dieſe Anerkennung, welche das große Frankreich dem kleinen Preußen zollte; mich aber hielt's nicht länger in dieſen Sälen bei den hundewedelnden Deutſchen und ich ſtürzte fort, um Ihnen meine Wuth, meine Scham und meinen Kummer zu klagen. Oh, meine Freundin, was ſoll aus Deutſchland werden und wie werden alle dieſe Wirren enden! Das Verderben ſteht vor uns, und wir ſehen es nicht, und wir rennen dem Abgrund zu und müuſſen eine Beute werben dieſes Frankreichs, dieſes Wolfs im Schaafs⸗ Heide, das uns fo lange ftreicheln wird, bis e8 und verfchlingen kann! *) Hiſtoriſch. JA* 372 So höre ih Sie gern, rief Mariane freudig, das ift wieder der Freund meiner Seele, der da zu mir fpriht! Hören Sie, Freund, auch ich habe Ihnen Neuigkeiten mitzutheilen, und wundern Sie fid ‚nit, daß ih mit meinen kleinen perfönliden Intereffen Ihnen auf Ihre großen politiſchen Nachrichten antworte. Aber es ift doch ein Zuſammenhang darin, und das werden Sie bald erfahren. Hören Sie aljo die Neuigkeiten, die mich betreffen! Ya, Mariane, fagte Geng, vor ihr niederfnieend und fein Haupt an ihre Kniee lehnend, ja, erzähle mir von Dir, meine ſchöne Zauberfee, Iulle meine politifhen Schmerzen ein- wenig ein mit dem Wunderlied, das wie ein frifher Born der Liebe von Deinen purpurrothen Lippen fprudelt. Oh, meine fhöne Fürftin, wenn ich jegt emporfchaue in Dein ftrahlend helles Angeficht, fo überfommt mich eine glühende Scham, daß ich die fhönen Momente, die idy neben Dir war, entweihen fonnte durch ſolche abgefchmadte Klageliever deutſcher Kannegießerei. Was haben wir Beide mit der Politik zu ſchaffen, was kümmert es uns, eb Deutſchland zu Grunde geht? Apres nous le deluge! Uns gehöre die Seligfeit ver Stunde! Mariane fpielte lächelnd mit ihren von Brillanten funkelnden, ſchlanken Fingern in ſeinem Haar und ſchaute mit einem wunderſamen Ausdruck zu dem Knieenden nieder. Schwärmer, ſagte ſie, bald begeiſtert für die Politik, bald für die Liebe, und zu jeder Stunde bereit, der einen um der andern willen untreu zu werden! Hören Sie meine Neuigkeiten! Mein Streit mit meinem Herrn Schwager, Heinrich XV., iſt beendigt, wir haben uns geeinigt! | Und ich hoffe, meine Muge und geiftvolle Mariane hat diesmal ihr ſtolzes, kühnes Herz bezwungen und hat endlich auch ein wenig ihren Bortheil bedacht, rief Gens. Wenn man fo fchön, fo ftrablend ift wie Mariane Meier, bedarf man feines Fürftentiteld, denn die Schönheit erhebt Dich zur Fürftin der Welt, aber man bedarf des Reihthums, um feiner Schönheit auch die Macht zu einen, und fie mit dem golb- funkelnden Burpurmantel zu fhmüden. Nun, meine Königin, bift Du wieder Mariane Meier und nebenher eine Millionairin? 373 Thor, rief fie ftolz, Thor, zu glauben, id würde wieder zurüde friehen in die Judengaſſe und mich zum Geſpötte meiner neidifchen Freunde maden. Nein, mein Freund, um eine Rolle in der Welt fpielen zu fönnen, genügt nit das Geld und die Schönheit allein, ſondern man bedarf aud ber Titel und des Ranges, denn dies ift das Zauberwort, welches uns die Pforten der Königspaläfte aufthut und uns in die Reihen der Bevorrechteten und Unnahbaren ftellt. Ich, mein Freund, ich will meine Rolle fpielen in der Welt und daher bedarf ich der Titel. Aber freilich, ich bedarf auch des Reichthums, und fo habe ih duch ein Fluges Arrangement mir Beides geſichert. ‘Da meinen hochfürſtlichen Verwandten der Kleine Splitter in meinem jüdifhen Auge als ein gar fo großer Balken für ihre Wappen erfcheint, nun fo habe ich nachgegeben und entfage dem Titel einer Fürftin von Neuß, aber ich bleibe deshalb doch eine Prinzeffin und eine Durdlaudt. Der Fürft, mein Herr Schwager, hat mid, zur Herrin und Befigerin einer Ihönen und anfehnlihen Herrſchaft gemacht, deren Ertrag ſich auf zwanzigtaufend Thaler jährliher Revenuen beläuft, dafür überlafje ih ihm die Yamilienbrillanten, dies Hötel, die Equipagen mit dem Reuß'ſchen Wappen, die Pferde und Liorden und endlich den Titel und Namen einer verwittweten Fürftin von Neuß. Und bift nun, wie alle Feen in den Zaubermährdyen, ein Wunder- find ohne Namen und Stand, das aber goldene Sonnen und bligende Sterne aus feinen fohneeweißen Händen über die Menjchheit ausftreut? Nein, ich bin feine Namenlofe, id nenne mich nad) meiner Herr- fchaft Eibenberg, ich bin von heute an die Prinzeffin Mariane von Eibenberg, als folhe anerkannt vom beutfchen Kaiſer ſelber. Da, auf dem Zifche liegt die vom Kaiſer felber unterzeichnete Urkunde. Der Fürſt hat fie mir heute als Weihnachtsgeſchenk gebracht. Jetzt, mein Freund, foll mein Leben erft beginnen, id habe Reihthum, Schäße und einen glänzenden Namen. Die arme vwerachtete Jüdin, die Tochter des Ghetto ift eingezogen in den Palaft der Ariftofratie, ift eine Prin⸗ zeifin geworben. Und ich will. der Erfte fein, weldher Dir huldigt als (einer RUN und Herrin, rief Öeng, der Erſte, welcher fih) Deinen Balollen men. 374 Komm, meine Yürftin, laß mid das füße Joh auf meinen Rüden nehmen, laß meine Stirn ven Boden berühren, auf dem Du wandelſt, ſetze Deinen Fuß auf meinen Naden, damit ich vie ſüße Laft Deiner Herrſchaft fühle. Und fein Haupt nieverbeugend, daß feine Stirn den Boden be- rührte, feßte er ihren Heinen, feidenbefchuhten Fuß auf feinen Naden. Meariane ließ e8 gefhehen und blicte mit einem ftolzen triumphirenden Lächeln zu ihm nieder. Zu meinen Füßen folft Du liegen, Friedrich Gens, fagte fe aber ih will Did doch zu mir emporziehen an meine Seite, Du ſollſt neben mir flehen, gleichberechtigt, berühmt und groß, wie e8 Deinem Genius ziemt! Genug jetzt der Tändeleien und der Zärtlichkeiten, mein Freund, wir Beide haben große Ziele zu verfolgen, und groß und ernft muß daher unfer Sinn fein. Komm, erhebe Dih von Deinen Knieen, mein Bafall, Du folft der Herr fein neben mir, und wir Beide zufammen wollen die Welt regieren. Sie zog ihren Fuß von feinem Naden fort, aber Gent nahm ihn in feine beiden Hände und küßte ihn. Dann erhob er ſich raſch von feinen Knieen und ftand hochaufgerichtet, ernft und faft zürnend vor ihr. Du haft mir oft gefagt, daß Du mich liebft, fagte er, aber das ift eine Lüge gewejen, Du verftehft die Liebe nicht, Dein Herz ift Talt und Deine Sinne fhweigen, nur Dein Stolz fpridt. Möglich, dag Du Recht haft, fagte fie, aber dann liebe ich Dich mit meinem Stolz und meinem Geift, und das ift immerhin aud) etwas werth! Ih wil Dih anerkannt, geehrt und mächtis wiſſen, iſt das nicht auch Liebe? Nein, es iſt Hohn! rief Gentz ſchmerzlich. Es iſt Bosheit, denn Du ſiehſt es, ich bin ein armer verachteter Menſch ohne Geld, ohne Ruhm, ohne Rang, ein Heiner Kriegsrath, vor dem jeder Ges heimrath den Bortritt hat und den feine Gläubiger Tag um Tag verfolgen, wie der Geier die arme Taube, welcher bie Flügel be- fonitten find! Aber die Flügel folen Dir mohlen, vom Du nen Seien ent- 375 rinnft, rief Mariane, damit Du als Adler Did emporfchwingft über dje Erbärmlichkeiten der Welt und ihr gebieteft. Die Zeit des Träumens und des Wartens ift vorüber, mein Freund, die Zeit des Handelns und der Thaten muß für alle Geifter beginnen! Bor zwei Jahren fragte ih Dich, wie heute, ob Du Deine Dienfte Defterreich weihen, ob Du Dir dort, wo man Dein Genie fhägen und belohnen würde, niht Deinen Ruhm und Dein Glüd ſuchen wolleſt. Weißt Du nod, - was Du mir damals antworteteft? Ja, ich weiß es, rief Geng mit einem fpöttifchen Lachen, ic war ein folder Thor, daß ich Deine Anerbietungen zurüdwies, daß ich bier in Berlin bleiben und abwarten wollte, ob mein preußifches Vaterland nicht meiner Kräfte und meiner Dienfte bevürfe, ob man bier nicht Gebrauch machen könne von meinen Talenten und meiner Feder. Und fo habe ich wieder zwei Jahre meines Lebens vergeudet und nur "meine Schulden find gewachſen, nicht aber mein Ruhm! | Weil Du ein Schwärmer warft, der auf Anerfennung in Preußen hoffte und meinte, dieſer gute König, der fein Volk gern glüdlich machen möchte, aber vor nichts mehr Angft bat, als vor energifchen Entfchlüffen, würde e8 Dir außerorventlid Dank willen, daß Du ihn ermahnt babeft, feinem Volk die Preffreiheit zu geben und überhaupt Freiheit und Gleichheit in feinen Staaten einzuführen! Glaubft Du noch immer, daß Frievrih Wilhelm der Dritte das thun wird? Kein, er wird es nicht thun, rief Gent ſchmerzlich, nein, biefer König verfteht die neue Zeit nicht, und flatt ihr einen Schritt voran- zugehen, wird er immer einen Schritt hinter ihr zurüdbleiben, und viel Unheil und Verderben wird daraus für Preußen erwachſen. Ich habe lange genug gewartet und gehofft, jest ift die Zeit der Geduld und des Martens vorüber, und fo fage ih mich heute am Ende des Jahr⸗ hunderts los von meinem Heinen Baterlande, um der Bürger und Sohn eines größern Vaterlandes zu werden! Ich höre auf, ein Preuße zu fein, um ein Deutfcher zu werben, und da Preußen meine Kräfte nicht verwenden konnte, will ich ſehen, ob Deutſchland fie brauden kann. Sei Du, meine ſchöne Mariane, die Priefterin, welche den Schwur empfängt, den ich auf dem Altar meines Baterlandes niederlegel IE 376 ſchwöre, Deutſchland alle meine Kräfte und Talente zu weihen, ich ſchwöre es, meinem großen Vaterlande ein treuer und dienſtbereiter Sohn zu ſein! Ich habe Deinen Schwur gehört, Friedrich Gentz, und ich nehme ihn an im Namen Deutſchlands! ſagte Mariane feierlich. Du ſollſt ein Kämpfer ſein für Deutſchlands Ehre und für Deutſchlands Recht, nur daß Du ſtatt des Schwertes mit der Feder kämpfen ſollſt. Aber wo werden ſich mir die Pforten zu meinem Kampf-Turnier öffnen? fragte Gentz ſinnend. In Oeſterreich, rief Mariane raſch, der Kaiſer von Deutſchland erwartet Dich, den Sohn Deutſchlands, der Kaiſer von Deutſchland ruft Dich, damit Du Deinem Vaterlande dienen und nützen ſollſt. Ich habe den Auftrag, Dir das zu ſagen. Der neuernannte öſterreichiſche Geſandte, Graf Stadion, hat mir dieſen Auftrag ertheilt, er hat mich ermächtigt Dich für Oeſterreich, das heißt, für Deutſchland zu gewinnen! Denn glaube mir, Deutſchlands Wohl iſt jetzt allein in Oeſterreich, nicht in Preußen zu finden! Nein, nicht in Preußen, rief Gentz ſchmerzlich. Hier ſchließt man ſeine Augen, um das Schreckniß nicht zu ſehen, welches unaufhaltſam zu uns herandrängt und bald ſich wie eine Lawine über Deutſchland dahinrollen wird, um uns alle zu verderben, wenn wir nicht mit klugem Auge die Gefahr berechnet und ihm Dämme entgegen geſtellt haben! Hier bewundert man Bonaparte, und ſieht in ihm nur den Heros, während ich in ihm den Tyrannen wittre, der uns knechten will mit ſeiner revolutionairen Freiheit und ſeiner Jacobinermütze, welche auch nur eine Krone iſt, aber von anderer Geſtalt! Ich haſſe dieſen Bona⸗ parte, denn ich haſſe die Revolution, die ſich ſpreizt mit der Phraſe der Freiheit und unter dieſem Deckmantel doch nichts weiter iſt, als ein bluttriefender Despot, der den Menſchen nicht einmal das Recht der freien Meinung gönnt, und den Gedanken, der ihm nicht gefällt, auf das Schaffot jagt! Ich haſſe die Revolution, ich haſſe Bonaparte, "und dann haſſe ich jede Tyrannei, und ich werde fie bekämpfen, fo lange ich lebe! | | Und ich werde als Dein treuer Scildfnappe an Deiner Geite 377 bleiben und Dir die Pfeile fpigen, welde Du auf den Feind abjchießen wilft, rief Mariane mit glühender Begeifterung. Wir Beide ziehen nah Wien, zum Dienfte Deutfchlands. In Wien fol fih uns ein neues Jahrhundert und ein neues Baterland aufthun! Dort werden fihh mir, Danf meinen Titeln, meinem Rang und meinen Connerionen, alle Pforten öffnen, und die Jüdin Mariane Meier, PBrinzeffin Eiben- berg, wird felbft die Gemächer des Kaifers und der Kaiferin nicht ver- ſchloſſen finden, fondern fie werden fi ihr aufthun als einem geehrten und willfommenen Gaſt, denn ich bin eine vom Raifer erfchaffene Prin- zeffin und die Freundin der Kaiferin, Victoria von Poutet Colloredo, ift auch meine Freundin. Und wohin ich gehe, folft auch Du gehen, mein Freund, und die Pforten, die fi mir öffnen, follen aud Dir nicht verfchlofien bleiben! Mir öffnen fie mein Rang, Dir Dein Genie! Komm, laß uns einen Bund fchließen, laß uns ſchwören, feft und unerjchütterlih zu einander zu ftehen, einander zu halten und zu hüten, und jeden Schritt, den wir vorwärts thun, gemeinſchaftlich zu gehen. Dh, meine eble, großmüthige Freundin, rief Gens ſchmerzlich, wie zartfinnig Du Deine Protection zu verhüllen tradtefl. Ich habe Dir ig biefem Bunde nichts zu bieten, denn ich würde alle Thüren ver- ihloffen finden, wenn Du fie mir nicht öffneftl. Ich habe feinen Rang, fein Geld und feine Freunde bei Hofe! | Nun, jo protegire ich jetzt Di, damit in einer fpätern Zeit Du mich protegirft, jagte Mariane. Laß uns ſchwören, unfere Wege ge- meinjchaftlih zu gehen! | Ich ſchwöre e8 bei Allem, was mir heilig ift, rief Gens, ich Ihwöre Dir und Deutfchland treu zu bleiben mein Leben lang, id) ſchwöre Dir zu folgen auf allen Deinen Wegen, Dir zu dienen, wo und wie id) kann, Dich zu lieben bis zu meinem legten Athemzug! Der Bund ift gefhloffen, fagte Mariane feierlih. Von nun an wollen wir gemeinfchaftlic kämpfen, gemeinfhaftlih unfer Ziel ver- folgen. Es ift unfere eigene Größe und die Größe Deutfchlanns! Das Baterland ift in Gefahr, jehen wir zu, ob wir Beide nicht ein wenig zu feiner Rettung beitragen können, ob es nicht unlexer Hinter 378 und unfers Kopfes zu feiner Hülfe bedarf, und wenn wir dabei aud für uns einige Lorbeeren, Ehrentitel, Ordensbänder und Schäge ge- winnen können, fo wären wir Thoren, fie unbenugt liegen zu laffen! Ya, Du haft Recht, rief Gent lächelnd, wir wären Thoren das zu tbun; und Du haft aud Recht, das Vaterland ift in Gefahr, und das neue Jahrhundert wird für Deutfchland anbrechen mit einer blutigen Morgenfonne, und mit furdhbarem Kanonendonner wird Dies neue Jahrhundert uns weden aus unferm Schlaf! Wir aber wollen nicht warten, bis der Donner und wedt, wir wollen fchon jest wach fein und um uns fchauen, und an dem Blitableiter arbeiten, den wir dem bereinbrechenden Gewitter entgegen jegen wollen, auf daß feine Blitze machtlos an ihm herniederfahren, und nicht Deutfchland zerichmettern ! Ein unabläffiger Kämpfer will ich fein gegen die Revolution, und nie fol meine Feder, welde mein Schwert ift, raften in diefem Kampf. Bon dieſer Stunde höre ih auf, der Kleine preußifche Kriegsrath Friedrich Geng zu fein, von biefer Stunde an will ich mich beftreben, der große politifche Schriftfteller Deutichlands zu werden. Möge der Genius Deutfchlands mir dazu feinen Segen verleihen! Amen! rief Mariane. Möge der Genius Deutfchlande uns und das neue Jahrhundert fegnen! Amen! sünftes Bud, Ber Frieden von Funeville. ED l. Johannes Müller. Der Miniſter, Baron von Thugut, ging mit heftigen Schritten in ſeinem Cabinet auf und ab. Sein Antlitz, ſonſt immer von einer un⸗ durchdringlichen Kälte und Ruhe, zeigte ſich heute heftig bewegt, ſeine buſchichten, weißen Augenbrauen waren dicht zuſammen gezogen, und unter ihnen hervor warfen ſeine Augen zuweilen zornige Blitze auf dieſe Depeſche, welche auf ſeinem Schreibtiſch lag und die eben ein Courier vom General Melas aus der Lombardei gebracht hatte. Wieder eine Schlacht verloren, murmelte er, wieder dieſem Bo⸗ naparte einen neuen Lorbeerkranz auf ſein trotziges Haupt geſetzt! Dieſer Menſch wird mich noch wahnſinnig machen mit ſeinem unver⸗ ſchämten Glück! Zu denken, daß er bei Marengo ſchon beſiegt war, ſo ſicher beſiegt, daß General Melas Befehl gab zur Verfolgung des Feindes und nach Alleſſandria ritt, um da behaglich zur Nacht zu eſſen. Dieſer Melas iſt ein Eſel, der nur ſeinen Braten witterte, nicht aber den General Deſſaix, der mit feinen Truppen kam, uns den ſchon gewon⸗ nenen Sieg wieder zu entreißen und ung ftatt des Sieges einie furdhtbare Niederlage bei Marengo zu bereiten.*) Kurzfichtige Narren alle, unfere Teldherren und Generäle, vom lächerlich gefeierten Erzherzog Carl an bis zum General Schwarzenberg, und wie fie alle heißen mögen, dieſe Herren mit den goldenen Epaulettes und der decorirten Bruft und den leeren Köpfen. Ich traue Keinem von ihnen! Im der Stunde der Ge⸗ *) Die Schlacht bei Marengo fand am 14. Juni 1800 ftatt. 382 fahr ſowohl als des Glückes verlieren fie Alle die Befonnenbeit, ver- fherzen dadurch die Siege und machen die Niederlagen nur um fo größer. Rede mir Keiner mehr von den Erzherzögen als Heerführern. Habe den Erzherzog Carl glüdlih befeitigt und hoffe, daß der Erz- berzog Iohann uns bald aud) eine fo tüchtige Niederlage bereiten werbe, daß wir ihn fo gut wie feinen Bruder bei Seite fehieben fünnen. Es ift niemals gut, — nun, — unterbrady er ſich in feinem Selbftgefpräd, indem er einen zornigen Bli auf den eintretenden Geheim - Secretair Hudlig warf, — nun, was fommen Sie, ungerufener Weife mid zu ftören? | Ercellenz verzeihen, fagte Hublig demüthig, aber Excellenz hatten mir Befehl gegeben, Sie fogleich zu benachrichtigen, wenn der Herr Euftos von der Hof-Bibliothef, den Ercellenz herbeſchieden, an- langen würde. Und jegt ift er da? fragte Thugut. Ya, Ercellenz, der Herr Hofratb Müller wartet im Vorzimmer. So laß ihn eintreten, fagte Thugut, nad der Thür winfend. Hudlig hinkte hinaus und wenige Minuten fpäter erfchien ver An- gekündigte auf der Schwelle der Thür. Es war eine Kleine ſchmächtige Geſtalt mit krummem NRüden, den indeß nicht die Laſt der Jahre, fondern die Laft ver Gelehrſamkeit, der durchwachten Nächte, des rube- lofen Studirens fo gebeugt hatte. Sein Haupt, nad der Mode da⸗ maliger Zeit mit einer Perrüde gefhmüdt, die fi hinten in einem zierlich gewundenen Zopf endigte, war ein wenig vornüber geneigt. Seine hohe Stirn verrieth den Denker, feine großen Augen ftrahlten von Gemüth und Seele, feine nicht ſchönen aber anmuthsvollen Züge waren übergofjen von einem faft rührenden Ausprud unendlicher Milde und Sanftmuth, und feine fchmalen Lippen umjpielte ftets ein wohl- wollendes Lächeln. Diejes Lächeln verſchwand indeß jest, als er die Heinen ftechenden Augen des Minifterd auf fih ruhen fühlte Schmweigend, den Hut in der Hand, blieb er an ver Thür ftehen, nur hob er fein Haupt etwas höher empor und feine Blide richteten ſich mit einem ruhigen, ftolzen Blick auf den Minifter hin. 383 Sie find der Hofrath Johannes Müller? fragte Thugut nad) einer Heinen Paufe mit etwas barfhem Zone. Ya, ih bin Johannes Müller, fagte diefer, und das Lächeln umfpielte jet ſchon wieder feine Sippen. Ich danke Ew. Ercellenz für diefe wohlthätige und heilſame Frage. Was meinen Sie damit? fragte Thugut verwundert. Warum nennen Sie meine Frage wohlthätig und heilfam? Weil fie eine’ gute Lehre in fich ſchließt, Exrcellenz, und weil fie mich benachrichtigt, daß Diejenigen Unredht haben, weldye aus mißver- ftandener Gutherzigkeit mir einreden möchten, daß ich eine bekannte Berfünlichkeit fei, und daß Jedermann in Wien mich kenne. Es ift alklemal uüglich, wenn ein Schriftftellee von Zeit zu Zeit an feine Rleinheit und Unbeveutenpheit erinnert wird, denn das bewahrt ihn vor Hochmuth, und der Hochmuth ift allemal das erfte Symptom geiftigen Rückſchritts. Thugut heftete feine Augen mit einem grollenden Ausdrud auf das Antlig des Gelehrten. Wollen Sie mir eine Lehre geben? fragte er heftig. Nicht im Oeringften, Excellenz, jagte Johannes Müller ruhig, ih wollte nur meinen Danf motiviren. Und jegt erlauben mir Ew. Ercellenz wohl die Frage: Welchem Umftand verdante ich die Ehre, zu Em. Ercellenz gerufen zu fein? Nun, ich wollte Sie kennen lernen, Herr Hofrath, ſagte Thugut, id wollte nicht länger der einzige Wiener fein, welcher den berühmten Gefhichtsfchreiber der Schweiz und des „Fürſtenbundes“ nicht von Angeficht gefehen hat. Sie jehen, mein Herr, ich kenne wenigftens Ihre Werke, wenw ich auch Ihre Perſon nicht Fannte. Und an legterer hatten Ercellenz gar nichts zu gewinnen, es ift nit eine Bekanntſchaft, die fih der Mühe verlohnt, fagte Müller ſanft. Wir Leute aus der Stubirftube willen weniger mit der Zunge als mit der Feder zu fprechen, und unfer Schreibtifch allein ift unfere Rednerbühne. Und da find Sie ein gar großer und mächtiger Redner, mein 384 Herr Hofrath, rief Thugut mit dem Lone einer offenen und herzlichen Anerkennung. . Ueber das fanfte Antlig Müller’s flog ein freudiger, überraſchter Ausdrud, und er richtete feine Augen mit einem innigen, dankbaren Blick auf ven Minifter. Thugut fing diefen Blid auf. Sie wundern fi, daß ih Sie fo wahr zu fchägen weiß, fragte er, und doch Jahre hingehen ließ, ohne . Sie zu mir zu bitten? Ich bin ein armer, viel bejchäftigter, viel geplagter Mann, und die unfelige Bolitif läßt mir feine Ruhe, um mid mit der Literatur zu befchäftigen. MWenigftens nicht mit der deutfchen Literatur, fagte Müller raſch, aber Jedermann weiß, da Ew. Excellenz ein tiefer Kenner der orien- taliſchen Sprachen ift und dieſe, troß feiner ungeheuren Geſchäfte, dennoch treulich pflegt. Jetzt Tächelte Thugut und jeine harten Züge nahmen einen mil- deren Ausdrud an. Johannes Müller hatte, vielleiht ohne es zu wollen, die Saite berührt, welche Thugut’8 Ohr am Lieblichften tünte, er hatte ihm mit feinen gelehrten, orientalifhen Studien geſchmeichelt. Nun, fagte er, Sie jehen, daß ih auch für Die deutfche Literatur lebhaftes Intereffe babe, denn ih ließ Sie zu mir bitten, und Sie find ein deutſcher Schriftfteller und zwar der berühmteften Einer! Nun, mein Herr, laflen Sie uns offen und ohne Umſchweife zu einander reden, wie e8 zweien Männern der Wiſſenſchaft geziemt. Bergeffen wir gegenfeitig unfere Würden und Titel, und laffen Sie uns eine vertrauliche Unterredung mit einander haben. Kommen Sie, mein Herr, fegen wir uns auf diefe beiden Lehnftühle, und reden wir zu einander wie deutfhe Männer, das heißt, offen und freil Niemand it hier, der uns hört, und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß Nie- mand ein Wort von dem erfahren fol, was wir Beide bier reden! Böllige Unverantwortlichfeit und Straflofigfeit für Alles, was in dieſer Stunde hier gejproden wird. Sind Sie damit zufrieden und vers fpreden Sie mir, ganz aufrichtig zu fein? Ich verfprehe es, Ercellenz, ich werde alle Ihre Fragen der 385 Wahrheit gemäß beantworten. Das heit, fo viel als die Wahrheit befannt iſt. | Und fo viel als es überhaupt eine Wahrheit giebt, rief Thugut achſelzuckend. Jedes Ding hat feine zwei Seiten, und beide find wahr, je nad dem Standpunkt, von welchem man fie anfhaut. Gie jelber, mein Herr, haben zwei Seiten, und gar wunderlich contraftiren dieſe mit einander. Sie find ein Schweizer und ſchildern in Ihren Werfen bie Habsburgifchen Fürften mit einer Begeifterung, wie feiner unferer einheimifhen Schriftjteller. Sie find ein Republikaner und dienen doch de Monardie, deren Formen Ihnen recht wohl zu gefallen jcheinen, Sie find ein orthodorer Reformirter, und haben doch die Reiſen der Päpfte und die Briefe zweier Domberren gefchrieben, Sie find ein Ges rechter und haben doch fogar an. dem tyrannifchen König Ludwig XI. von Frankreich gute und lobenswerthe Eigenfchaften entvedt. Nun fagen Sie mir, mein Herr, weldyes ift Ihre wahre Seite und was find Sie eigentlich ? Ih bin ein Menſch, fagte Johannes Müller fanft, ich fehle und irre, wie Menfchen pflegen, und mein Herz ſchwankt hin und her,. wenn auch nicht mein Kopf. Mit meinem Kopf ftehe ich über allen Parteien und über allen indivinuellen Gefinnungen, und darum fann ich bie Reiſen der Päpfte und die Geſpräche zweier Domherren jchreiben, ob- wohl ih, wie Em. Excellenz jagen, ein orthodorer Reformirter bin, und darum kann ich die Habsburger loben und der Monardie dienen, obwohl ich ein Kepublifaner bin. Aber mein Herz fteht nicht über den Barteien, mein Herz liebt die Menjchheit und erbarmt fi ihrer Schwächen, und darum kann es an Yubwig XI. von Frankreich noch Iobenswerthe Eigenjhaften entveden, denn in dem ſchlechten König verfolgt e8 immer nod die Spur des Menſchen, den die Natur gut geſchaffen. | Das find die Anfihten Jean Jacques Rouſſeau's, rief Thugut verächtlich, aber diefe Anfichten paſſen nicht für die Welt und das Leben; wer den Menfhen PVortheile abgewinnen will, der muß vor allen Dingen auf ihre fchledhten Eigenſchaften fpeculiven und dieſen ſchmeicheln. Mit rein tugendhaften Menſchen zu verkehren, ift lang- Milhlbach, Napoleon. 1. Db. % 386 weilig und fruchtlos, aber zum Glück giebt e8 deren auch jehr Wenige. Ih könnte ſolche Tugendexemplare gar nicht gebrauchen, un® ftatt fie zu bewundern, würde ich fie zu vernichten fuchen. Wer mir ein will fommenes Werkzeug fein fol, der muß entweder einen Fleden auf fich haben, an dem ich bei dem geringften Ungehorfam den Mann, wie den Maikäfer am Faden, paden und zu mir zurüdziehen kann, ober er muß fo befchränft fein, daß er mich nur nothdürftig verfteht, und auf feinen Fall mich errathen und durchſchauen fann. *) Dann muß ich hoffen, Em. Excellenz niemals ein Pommes Werkzeug zu fein, ſagte Müller ernft. Sind Sie Ihrer Tugend fo fiher? Sind Sie Sich feines Flecens bewußt? fragte Thugut. | Wenn Gefinnung Tugend ift, ja, dann bin id) meiner Tugend fiher, fagte Müller ruhig. Ich werde meiner Gefinnung niemals untreu werben und hoffentlich niemals einen Fleden auf meinem Ge⸗ wiſſen haben! Wer kann's willen, rief Thugut lachend, es ift Mancher ſchon zum Mörder geworben, ver ſich Ichente, einen Wurm zu zertreten, und Mander zum Meineidigen, der heilig ſchwur, niemals eine Un⸗ wahrheit auszufprehen. Aber wozu die Sentenzen und das Bhilo- ſophiren! Ich liebe e8,_gerade auf mein Ziel loszugehen und meine Gedanken Far und beftinmt auszufprechen. Hören Sie alfo, was id) von Ihnen will! Sie find ein feiner Kopf, ein großer Geſchicht⸗ Ichreiber, ein tiefer Gelehrter, und Sie verfümmern zwifchen ben Bücherſchränken Ihrer Hofbibliothel. Der größte Gerihtsfchreiber des Jahrhunderts ift nichts weiter als der Euftos einer Bibliothek und hat einen Chef über fich, dem er gehorchen muß, obwohl er ihn vielleicht überfieht. Das ift eine Stellung, welde Ihrer nicht angemeſſen ift, oder fagen Sie jelbft, fühlen Sie Sich befriedigt in derfelben? Sohannes Müller lächelte traurig. Wer kann denn fagen, daß er ſich befriedigt fühle? fragte er. Ich bin vielleicht ein fchlechter Cuſtos, *) Thugurs eigene Worte. Siehe: Hormayr Lebensbilder aus dem Be⸗ freiungsfriege. I. 322. 387 und es ift deshalb, daß der Hofbibliotheks-Präfect Herr von Jeniſch mir nicht wohl will und jede Gelegenheit ergreifen muß, um mid zu fränfen. Ein deutſcher Gelehrter ift niemals noch ein unabhängiger Mann gewefen, denn es fehlt ihm gewöhnlic dazu das Nothiwendigfte, e8 fehlt ihm der Reichthum! Sie find alfo nicht reih? fragte Thugut mit bligenden Augen. Ich bedarf meines Gehaltes, um eriftiren zu können! Die Wifjen- Ihaften ſchmücken wohl, aber fie ernähren nicht! Ih will Sie erlöfen aus Ihrer untergeorpneten Stellung, fagte Thugut rafh, Sie follen unabhängig, frei und reich werden. Gie find ein Thor, daß Sie mit Ihrem Ruhm und Ihrer Feder fi fo lange unter Bücherftaub vergraben haben. Das Leben, die Geſchichte fordert Sie und hält Ihnen ihre ehernen Tafeln bin, damit Sie auf denſelben fchreiben follen! Schreiben Sie alfo, fchreiben Sie die Ge- Ihichte der Gegenwart, machen Sie Sich zu einem Organ der Zeit, wirken Sie durch Ihre Schriften für die Erhaltung der Regierung, ber Sitten und Ordnung. Bertheidigen Sie mit Ihrem weitllingenden Wort diefem fuperflugen, fehreienden, erbärmlichen Volk gegenüber die Handlungen der Regierung, und Sie follen eine volllommen genügende, glänzende Stellung und ein Gehalt von viertaufend Gulden haben. Sie ſchweigen? Sie haben Recht, Überlegen Sie meinen Borfchlag wohl! Ich biete Ihnen ein glänzendes Roos! Ich will Sie zum Ge— ihichtfchreiber der Gegenwart machen, zum Geſchichtſchreiber unferer Zeit. Ste loben und anerkennen ja überall fo gern, nun, mein Herr, oben und anerkennen Sie, was wir thun. Helfen Sie mir wenigftene den Zeitgenofjen und der Nachwelt ein wenig blauen Dunft vorzu= maden, und id will Ihnen dafür eine glänzende Wirklichkeit ſchaffen. Ein guter Titel, ein glänzendes Gehalt, und außerdem bezahlen wir Ihre Schulden! Ah, Ew. Ercellenz wifjen, daß ich Schulden habe, und Sie glau= ‚ben, das fei der Faden, mit dem Sie mid) wie den Maifäfer nad) Sich ziehen können? fragte Müller lächelnd. Der Geſchichtſchreiber der Gegenwart zu werben ift mir ein willfommener und ehrender Auftrag und ich geftehe Ew. Excellenz, daß ih dazu ſchon manches Eapitel in ar 388 meinem Kopfe ausgearbeitet, aud mit der Specialgefchichte Oeſterreichs mich ſchon vielfadh in meinen Gedanken befchäftigt habe. Es wäre mir lieb, wenn Ew. Ercellenz mir erlauben wollten, Ihnen davon einige Stellen aus meiner Geſchichte Defterreihs aus dem Kopf zu recitiren. Ew. Excellenz fönnten fid) dadurch am Beten überzeugen, ob ih auch in der That fähig und berufen bin, eine fo glänzende Stellung einzunehmen, wie Excellenz ſie mir bieten, und ob ich ein ſo hohes Gehalt verdiene. Nun denn, halten Sie mir einen kleinen Vortrag aus Ihrer Ge⸗ ſchichte Oeſterreichs. Ich bin ſehr begierig etwas zu hören! Und Em. Excellenz find Ihres Wortes eingedenf, daß für Alles, was hier in diefer Stunde unter ung gefprodhen wird, Straflofigfeit und Unverantwortlichkeit herrfchen fol? Ich bin meines Wortes eingedenf, und id ſchwöre Ihnen, daß Ihre Worte ungehört von Andern in diefem Zimmer verhallen jollen, daß ich felber mich ihrer nur dann erinnern will, wenn id Sie dafür belohnen muß! Ich ſchwöre Ihnen außerdem, daß ih Sie ruhig und gelaffen anhören will bis zu Ende! \ Ich dankte Ew. Excellenz, fagte Johannes Müller fich leicht verneigend. Ih möchte Ew. Ercellenz jegt ein Capitel recitiren, das ich über bie Literatur Defterreich’8 zu ſchreiben wünſchte! Da wende id meine Blicke rüdwärts und Schaue hin auf die Tage Maria Therefta’s und Joſeph's des Zweiten. Sie Beide liebten die Literatur, die Wiſſenſchaft und die Künfte und pflegten fie und hulvigten ihnen. Joſeph verjagte die Yinfternig aus feinen Staaten und ſprach das große Wort: Der Seift foll frei fein! Und der Geift warb frei! Er regte fid mädtig in allen Künften, die Dichter erhoben ihre Stimme, die Ge⸗ Iehrten ſandten ihre Studien in die Welt und arbeiteten mit mächtiger Hand an der Aufflärung und der Bildung des Volkes. Der Geift riß die Grenzen nieder, welche die beſchränkte Furcht zwifchen Defterreich und dem übrigen Deutſchland aufgerichtet hatte, und Die großen neu- erftandenen Dichter Deutſchlands waren jest aud die Dichter und das Eigenthum Defterreihs. Defterreich nannte Leffing und Klopftod feine Dioter, es ſchwärmte glei dem Übrigen Deutſchland für Schiller's - 389 Räuber und weinte über Werthers Leiden, es entzüdte fih an Wie- lands Poefien, lernte Herder's Elaren Geift lieben, und Jean Paul's Schriften forderten es zum Lernen und zum Nachdenken auf. Es war eine ſchöne Zeit, Excellenz, denn es war ein junges Boll in Oeſter⸗ reich auferftanden, und das nährte fid an den Brüften einer jungen Literatur! Und ſog an dieſen Brüſten den revolutionairen Geiſt und den Hochmuth des Selbſtdenkens ein, unterbrach ihn Thugut rauh. Johannes Müller ſchien ihn nicht gehört zu haben und fuhr fort: Joſeph der Zweite ſtarb; kaum ein Jahrzehnt iſt ſeitdem vergangen, und was hat dieſes Jahrzehnt aus Oeſterreich gemacht? Der Geiſt iſt wieder eingezwängt in die alten Feſſeln, der Cenſor mit ſeiner Scheere hat ſich wieder aufgeſtellt neben dem Grenzpfahl Oeſterreichs, die Mauer iſt wieder aufgerichtet, welche Oeſterreich von Deutſchland trennt. Alles iſt jetzt wieder verdächtig geworden, ſogar das National⸗ gefühl des Oeſterreichers, ſogar ſein Haß gegen fremdes Joch und fremde Bedrückung! In dieſem Haß ſelbſt ſieht man die Möglichkeit einer Empörung, einen oppoſitionellen Geiſt, denn man ſieht, daß das Volk nicht mehr ſchläft, ſondern daß es wacht und denkt, und der Ge⸗ danke an fich ift ſchon eine Oppofition. Jede Begeifterung für irgend einen Mann, der von der Freiheit und Unabhängigkeit Deutſchlands gefprochen, gilt für eine gefährliche Kundgebung, und man ächtet und verbannt die ebelften Männer, blos weil das Volk fie liebt und von ihnen Großes hofft und erwartet. Das Volk fol immer nur fchlafen, gehorchen und fchweigen, es ſoll fih für nichts begeiftern, nichts lieben, nichts wünſchen und nichts denken. Es foll feine Helden haben, denen ed anhängt, denn ber Glanz der Helden möchte den Kaifer verbunfeln, nnd der Ruf der Liebe Elingt wie der Ruf zur Empörung! Sie wollen da von den Erzberzogen Carl und Iohann fprechen, fagte Thugut ruhig. Es ijt wahr, id habe den Erzherzog Carl bei Seite gefhoben, denn jeine Popularität beim Heer und beim Bolt ift ungeheuer, und mußte bereinft dem Kaifer gefährlich ‚werben. Wir müſſen fiegen mit Werkzeugen, nicht mit Helden; dieſe find fehr unbe⸗ 390 quem, denn fie empfangen nicht dankbar ihren Lohn, als eine Gnade, fondern fie nehmen und fordern ihn trogig, als ihr Recht! Der Kaiſer⸗ thron muß umgeben fein von Helven, aber diefe Helden müſſen niemals den Kaiferthron überragen wollen. Verzeihen Sie dieſe Anmerkung zu Ihrem Capitel, und fprechen Sie weiter. Dean fchiebt die Helden des Schwertes bei Seite, fuhr Johannes Müller fort, aber man fchont auch nicht den Helden des Gedankens, welcher die Literatur beit! Man will die Literatur beſchimpfen und Ihänden, da man fie nicht ganz und gar morben fann, man fchleppt fie umber in den Höhlen unwürbiger Cenforen, und verftümmelt fie um ihre ſchönſten Glieder und den prangenpften Schmud ihrer Ge» danfen. Man fürchtet ſich vor dem ©eifte und darum möchte man ihn abtödten. Es kann aber eine Regierung wohl mandhmal Fehler begehen, nur muß fie niemals zeigen, daß fie fich fürchtet, denn bie Furcht macht zugleih lächerlich. Und lächerlich wär's, wenn’s nicht zum Weinen wäre, was die Furcht der Regierung für Berfolgungen gegen die Literatur erjonnen bat. Bon den herrlichſten Werken des Geiftes, von Gibbon, NRobertfon, Hume und andern großen Geſchicht⸗ fohreibern find ganze Bände verboten, und nicht Einer unferer deutſchen Dichter, weder Göthe, noch Schiller, noch Herver, Wieland, Leffing und Jean Paul, die nicht verpönt, geächtet wären im deutſchen Defterreidh. Ueberall wittert die Furt und das ſchlechte Gewiſſen Anfpielungen, Beziehungen und Hindeutungen. Die Gefhichte ift Daher von der Bühne verbannt, denn die Gefchichte der Vergangenheit zeigt immer mit drobendem Finger auf die wunden Stellen der Gegenwart bin! Shakſpeare's König Rear ift verboten, damit das Publikum nicht glauben lerne, e8 verlören die Fürften im Unglüd ven Kopf; Hamlet, Richard der Dritte und Macbeth dürfen nicht gegeben werben, damit die Menfchen ſich nicht etwa an die Abfegung und Ermordung von Kaifern und Königen gewöhnen möchten. Schillers Maria Stuart gilt für eine Anfpielnng auf Maria Antoinette, Wallenftein und Tell find verboten, weil fie Revolutionen und militairifhe Meutereien prevociren. Der Kaufmann von Venedig darf nicht dargeftellt werden, weil er zu einem Subentumult Beranlaffung geben könnte, und in Kabale und 391 Liebe von Schiller bat man den Präfinenten von Kalb in einen bürger- lichen Vicedomus umgewandelt, damit die Achtung vor dem Adel und dem Beamtentbum ungeſchwächt erhalten bleibe. Schurken und Be— trüger darzuftellen ift wohl erlaubt, aber fie dürfen niemals von Abel fein, und wenn man Ideale darzuftellen fucht, fo müſſen fie entweder Fürſten, Grafen oder Polizeidirectoren fein.*) Denn heiliger noch als das Fürſtenthum ift die heilige Polizei, die große Behüterin ber Re- gierung, die große Denunciantin des Volks, welchem man Alles ent- zieht, jeden geiftigen Genuß, jeden freien Aufſchwung verbittert, und von dem man dennoch verlangt, daß es glüdlich fein, feine Regierung lieben und ihr anhängen foll in Treue! Wenn man das Voll zu Sclaven erniedrigt, fo muß man aud) gewärtig fein, daß biefe Sclaven alles Gefühl für Ehre und Recht verlieren, fi willig von Dem er- faufen laffen, der ihnen den meiften Flitter bietet, und es am beiten mit goldenen PVerfprehungen zu verführen verfteht! — Ih bin zu Ende, Erxcellenz, fagte Iohannes Müller hochaufathmend, ich habe Ihnen mein ganzes Capitel über die Literatur Defterreihs vorgetragen, und ich danfe Ihnen, daß Sie mid bis zu Ende gehört haben. Jetzt haben Ew. Ercellenz allein zu entſcheiden, ob Sie mich für die mir zugedachte ehrenvolle Stellung würdig halten. Ich bin gern bereit fie anzunehmen, die Gejchichte der Gegenwart in dieſem Sinne weiter zu fchreiben, und werde e8 dankbar erkennen, wenn Ew. Ercellenz mir dafür Ihren Schub und ein Jahrgeld von viertaufend Gulden geben wollen! ‚ Thugut ſchaute ihm mit einem langen Blick vol Hochmuth und Beratung tief in das erglühte Angefiht. Mein Lieber, jagte er nad) einer langen Pauſe, mein Lieber, ich habe mid) in Ihnen geirrt, denn ich hielt Sie für einen fcharfen Kopf und einen ftarken Geift, und jegt jehe ih, daß Sie nur ein gemüthlicher Schwadlopf find, der von Idealen träumt, und bem eines Tages feine Ideale in das grade Gegentbeil umfchlagen, und zu Gefpenftern werden müffen, vor denen Sie ſcheu zurüdbeben werden! Sie werben nicht immer der Freiheits⸗ *) Hormayr: Lebensbilder. I. S. 337. 392 ſchwärmer bleiben, der Sie jett find, und der ſtolze Republilaner wird eines Tages fi vielleicht in einen gehorfamen Tyrannen-Diener um- wandeln. Sie haben midy vorher gar ftolz verfihert, daß Sie feinen Tleden auf Ihrem Gewiffen haben; nun denn, Sie haben einen Fleden - auf Ihrem Charakter, und bei dem hätte ich Sie fafjen müffen, Sie find_eitel! Ich hätte nicht verfuchen follen, Sie mit Geld zu beftechen, fondern mit Schmeicheleien, und id) würde reuffirt haben. Ich Hatte aber eine zu gute Meinung von Ihnen! Ich glaubte, Sie bejäßen einen ſtarken Geift, der das Nächſte, Nothwendigfte erfafen, und das Zwedmäßige und Nügliche dem Idealen vorzuziehen vermöge. Sie find aber, obwohl von Geburt ein Schweizer, ein rechter beutfcher Träumer, und ich haſſe die Träumer! Gehen Sie, mein Herr, bleiben Sie Euftos der Hofbibliothef, führen Sie Ihre Cataloge, aber bilden Sie Sid niemals ein, daß Sie mit Ihrer ſchwachen Hand in das Rad der Geſchichte und der Begebenheiten eingreifen können; das Rab würde Ihnen bloß Ihre Hand und Ihr bischen Ruhm zermalmen, und Sie wie eine ausgeprefte Citrone zur Seite jchleudern. Leben Sie wohl! Er wandte Johannes Müller den Rüden und ftellte fih an’s Tenfter, bis das leife Zufchlagen ber Thür ihn überzeugte, daß ber Gelehrte ihn verlaffen habe. Narr, fagte er dann, fid) wieder dem Zimmer zumendend, ein echter deutfcher gelehrter Narr! Will mir Moral predigen! Mir! | ‘ Und ganz erheitert von dem Gedanken, lachte Thugut laut auf. Dann fchellte er heftig und befahl dem eintretenden Kammerdiener ſo⸗ gleich den Wagen vorfahren zu lafjen. Eine Biertelftunde jpäter verließ der Minifter die Staatskanzlei, um, wie er e8 jeden Abend zu thun pflegte, fih nad feiner Gartens wohnung in der Währingergaffe zurüdzuziehen. Die Straßen, durch weldhe er kommen mußte, waren mit Menfchen angefüllt, welche mit verbifjenem Grimm ſich erzählten von der neuen Niederlage ber Defter- reicher bei Marengo, und mit lauter Stimme einander zufchrieen, daß der Minifter Thugut allein das Unglüd Defterreihg verfhulde, daß Er allein es fei, welder ven Trieben verhindere. Und mit immer 393 größerer Erbitterung umringte das Bolf den wohlbefannten Wagen des Minifters, und immer lauter und grollenver jchrie es: Wir wollen feinen Krieg! Wir fordern Frieden! Frieden! Thugut lag behaglich zurüdgelehnt in die Sammetkiſſen feines Wagens. Er fchien das Gefchrei des Volkes gar nicht zu hören, es gar nicht feiner Beachtung werth zu halten, nur als das Toben immer ärger ward, als das Boll in feiner Erbitterung mit Steinen und Schmutz nad feinem Wagen warf, da richtete fi Thugut einen Mo- ment empor, um mit verächtlihen Bliden hinaus zu fhauen. Dann lehnte er ſich wieder in feinen Wagen zurüd, und murmelte mit einem Ausdruck unbefchreiblicher Geringſchätzung: Canaille! *) II. Ber tur: Immer neue Scredensbotfchaften waren in Wien eingetroffen, immer neue Unglüdsfälle hatten das Heer getroffen, und dem großen Sieg von Marengo war jett zu Ende des Jahres der Sieg von Hohenlinden gefolgt.**) Er hatte den Defterreihern mehr als zwölfs taufend Verwundete und Todte und funfzig Geſchütze gefoftet, er Hatte ihnen außerdem den legten Keft von Muth und Hoffnung geraubt. Niemand glaubte jetzt mehr an die Möglichkeit eines Erfolges, Niemand hatte mehr den Muth, das Schwert heben zu wollen, um gegen den vorbringenden Feind das Vaterland zu vertheidigen. Gelbft Thugut, der Unerfihütterliche und Stanphafte, fühlte ſich *) Hormayr: Lebensbild. I. ©. 320. **) Die Schlacht von Hohenlinden, in der Moreau den Erzherzog Iohann befiegte, fand am 3. Dezember 1800 ftatt. 394 beunruhigt von jo viel Schlägen des Schickſals, und ein büfteres, rachfüchtiges Grollen war in ihm. Er fühlte, daß es da eine Macht gäbe, die ſtärker noch fei als fein Wille, und dies Gefühl machte ihn rafend vor Zorn. Mit finfterm Antlig, mit feſt aufeinander gepreßten Lippen faß er an feinem Schreibtifch, bie büftern Blicke auf die vor ihm liegenden Papiere geheftet, welche der eben angelommene Courier aus dem Lager gebracht hatte. Es waren ſchlimme Nachrichten; fie erzählten von Defterreih8 ungeheuren Berluften, von dem Uebermuth des Sieger, weldyer die öfterreichifche Forderung um Waffenftillftand nur unter der Bedingung bewilligt habe, dag man ihm die Feſtungen Ulm, Ingolftadt und PBhilippsburg über- liefern jolle, und man hatte fid) in die traurige Nothwendigfeit gefügt, um Zeit zu gewinnen und ein neues Heer zu jammeln. Denn immer noch war Thuguts Trog nicht gebrochen, immer noch wollte er nicht in biefen Frieden willigen, den ganz Defterreich, ven auch der Kaiſer fo dringend begehrte. | Nein, nein, feinen Frieden, murmelte er, als er jegt vie Papiere gelejen hatte, wir wollen weiter fämpfen und follten wir uns unter den Trümmern Oeſterreichs begraben müſſen! Ic baffe diefes dema- gogifche Frankreich, und ich werde mich niemals berbeilaffen, ihm in Frieden die Hand zu bieten. Wir werden weiter fämpfen, und Niemand fol e8 wagen, mir von Trieben zu fpredhen! Ein leifes Klopfen an der Thür, die in den Salon führte, unter- brad ihn in feinem Selbſtgeſpräch, und auf fein barfches Herein er« fihien fein Kammerdiener in der geöffneten Thür. Excellenz, fagte er [hüchtern, die Herren Grafen Collorevo, Saurau und Lehrbach find fo eben vorgefahren und bitten um Audienz. Nicht ein Zug in feinem Angeficht verrieth Thugut's Ueberraſchung, und mit volllommen ruhiger Stimme befahl er dem Diener, die Herren fofort einzuführen. Dann fchritt er felbft haftig der Thür zu, um ihnen entgegen zu gehen. Eben erfchienen fie inxvder Thür, voran der Graf Eolloredo, der kaiſerliche Minifter des Haufes, hinter ihm Graf Saurau, der Polizeiminifter, und Graf Lehrbach, der Minifter ohne Portefeuille. Thugut umfaßte die brei Geftalten mit einem einzigen 395 prüfenden Blid, er ſah, daß der gutmüthige Graf Colloredo eine ängftlidye furchtſame Miene hatte, daß Graf Lehrbach's wilde Augen glänzten wie die eines Tigers, der eben fein Opfer zerfleifchen will, daß Graf Saurau, der fonft fo undurchdringliche Diplomat, feinen Rippen erlaubte, fih mit einem triumphirenden Lächeln zu fhmüden. Mit dem fichern Tact, der Thugut niemals verließ, erkannte er an dem verfchiedenen Ausdrud diefer drei Phyfiognomien die Beranlaffung zu dieſem uner- warteten Beſuch und fofort war fein Entſchluß gefaßt. - Er empfing die drei Herren mit einer freundlihen Begrüßung und reichte dem Grafen Colloredo feine Hand dar, um ihn zu einem Yautenil zu führen. Die Hand Colloredo’8 war kalt und zitterte, und Thugut ſagte zu fich felber: Er ift beauftragt, mir eine fehr ſchlimme Botſchaft zu bringen, und er ängſtigt fich. Ew. Ercellenz wundern fi) ohne Zweifel, daß wir zu fo unerwarteter Stunde Sie beläftigen, fagte Graf Colloredo mit bebender Stimme, nahdem alle vier Herren Play genommen. Nein, ich wundere mid gar nicht, fagte Thugut gelaflen, vielmehr find die Herren Minifter meinen Wünfhen nur zuvorgelommen. Ich war eben im Begriff, Sie zu einer Berathung zu mir einzuladen, denn 8 find fehr ſchlimme Nachrichten von unferer Armee eingetroffen. Wir- haben bei Hohenlinden eine Schlacht verloren, der Erzherzog Johann iſt befiegt worden! - Und Moreau bat den Inn bereits überfchritten und rückt jegt gen Wien vor, fagte Graf Lehrbah mit einem höhnifchen Grinſen. Sie haben Sic) einwenig verrechnet in Ihren Siegeshoffnungen, Herr Minifter. Ya, wirklich, Sie haben ſich verrechnet, mein lieber Keiner Baron, jagte Graf Saurau, die legten Worte ftarf betonend. Thugut heftete auf ihn einen vollen lachenden Blid. Ei, ei, fagte er, wie zärtlich wir Beute find und wie uns der Schnabel gewachſen ift, mein lieber Feiner Graf. Sie feinen wenig gerührt von bem Unglüd des Baterlandes, denn Ihr Geficht glänzt wie Das eines jungen Hahns, der eben einen Rivalen von feinem Strohhaufen fortgebifjen hat. Das muß aber ein recht dummer alter Hahn geweſen fein, ber fidy mit Ihnen in einen Kampf eingelaffen! — Nun, mein lieber und verehrter 396 Graf Eolloredo, laſſen Sie uns von Gefchäften ſprechen! Wir find bei Hohenlinden unterlegen und Moreau rüdt vorwärts gen Wien. Das find zwei Thatfachen die ſich nicht beftreiten lafjen! Aber wir werben ung von biefen Schlägen erholen, wir werden Moreau eine neue Armee entgegenftellen, und fie wird Revanche nehmen! Indeß, Ercellenz, das ift nur eine Hoffnung, und fie fann uns abermals täufchen, rief Colloredo ängſtlich. Der Kaifer, mein gnäbiger Herr, hat feinen rechten Glauben mehr an unfere Siege, wenn wir nicht einen tüchtigen, bewährten Feldherrn an der Spite unjerd Heeres haben, einen Feldherrn, dem das Heer und das Volk gleichmäßig vertraut. Geben wir dem Heer aljo einen ſolchen Feldherrn, fagte Thugut gelafien, xufen wir fofort den Erzherzog Carl als Oberfelpherrn an die Spige der Armee und geben ihm ten Oberbefehl! | Ah, es freut mich, daß Sie einverftanden find, rief Graf Collorebo freudig, denn der Kaiſer hat mid) fo eben beauftragt, zu feinem erlauchten, Bruder zu gehen und ihn im Namen des Kaiſers zu bitten, die Ober- befehl&haberftelle wieder anzunehihen. Nun, er wird fid) erbitten laſſen, ſagte Thugut lächelnd, denn das Commandiren und Herrfchen ift immer eine gar angenehme Befchäfti- gung, und Mancher wäre gern bereit, feinen Wohlthäter und Freund zu verrathen, wenn ihm das zu Macht und Anſehen verhelfen könnte. Sind Sie nicht auch der Meinung, mein lieber, Heiner Graf Saurau? Ah, Sie willen gar nit, wie ih Sie liebe! Sie find die Puppe, bie ich mir groß gezogen und gepflegt, und die ich mir zu einem Manne nad meinem Herzen erziehen wollte! Es ift meine Schuld nidt, daß ‚Sie fein Mann geworben, fondern immer nur eine Majchine geblieben find, die von fremder Hand gelenkt werden muß. Hüten Sie fi nur, mein Lieber, daß Sie niemals in ungeſchickte oder ſchlechte Hände fallen, fonft find Sie verloren, trog Ihrer Geſchmeidigkeit und Füg⸗ ſamkeit. Aber Sie haben da einen würbigen Freund neben fih, den eblen, herrlihen Grafen Lehrbach. Willen Sie wohl, mein lieber Graf Lehrbach, daß es böswillige Menfchen giebt, welche e8 oft verfuchen wollten, Sie bei mir zu verbädtigen, weldhe mir einflüftern wollten, Sie feien mein Nebenbuhler und ftrebten ganz offenkundig danach, mid) 397 zu verdrängen, und ftatt meiner Miniſter zu werden? Wahrhaftig, dieſe ängftlichen Menfchen gingen fo weit, mich alles Ernſtes vor Ihnen zu warnen! Und haben Ew. Erxcellenz ihnen darauf feine Antwort gegeben? fragte Graf Lehrbach lachend. Parbleu, ob ich e8 nicht gethan habe? fagte Thugut. Ich habe ven Warnern allzeit erwidert: Dem Grafen Kehrbady brauche ich nicht den Hals zu brechen, er thut e8 fehon felber. Ich liebe e8, Jemanden voranzuftellen, ven ich alle Zeit hängen lafjen kann.*) Aber Sie haben nicht berechnet, daß diefer Jemand, ven Sie ſich voranftellen, vielleicht rückwärts langen könnte, um Ihnen das Ver⸗ gnügen zu bereiten, welches Sie ihm vorbehalten wollten, rief Lehrbach mit einem fchmetternden Lachen. MWahrhaftig, es ift wahr, fagte Thugut naiv, ich hätte mich doch vor Ihnen fürdten und es bemerken follen, daß Sie einen Nagel in Ihrem Kopf tragen, an dem man ganz bequem aufgehängt werben fann! Aber meine Yreunde, wir halten mit unfern Scherzen den Grafen Colloredo auf, und Sie wifjen, daß er zum Erzherzog eilen muß, um ung einen Oberfeloheren zu erbitten, der den Frieden mit Frankreich unterfchreibt. Denn ich denke, wir werben jebenfall Frieden machen. Wir werden Frieden machen, vorausgefegt, daß wir die Bedin⸗ gungen erfüllen, welche Bonaparte ung hat ftellen laſſen! ſagte Colloredo ſchüchtern. Ah, er hat Bedingungen gemacht, und dieſe ſind, ſtatt an mich, an den Kaiſer gegangen? fragte Thugut. Die Depeſchen waren an mich, als den erſten Kabinetsminiſter, adreſſirt, ſagte Graf Colloredo beſcheiden. Die erſte dieſer Bedingungen iſt, daß Oeſterreich und Frankreich Frieden machen, ohne England zu den Verhandlungen zuzuziehen. | Und die zweite Bedingung glänzt mir von der Stirn des Grafen Lehrbach entgegen, fagte Thugut gelaffen. Herr Bonaparte verlangt, *) Thuguts eigene Worte. Hormayr Lebensbilder. I. 332, 398 daß ih aus dem Minifterium ausfcheide, weil mein Ausjcheiden ihm eine Gewähr ber aufrichtigen Friedensliebe fein wird.*) Iſt es nicht fo? Es ift fo, nur will der Raifer in dankbarer Anerkennung der “wichtigen und Tangjährigen Dienfte, welche Ew. Excellenz dem Staat gewidmet, dieſe Bedingung nicht erfüllen, und nicht ben Anſchein der Undankbarkeit auf fich laden. Defterreih und mein Kaifer fordern ein Opfer ı von mir, fagte Thugut feierlich, ich bin bereit e8 zu bringen. Ich werde jogleih an Se. Majeftät den Kaifer fihreiben und ihn um meine Entlaffung aus dem Staatsdienſt erfuden. | Graf Colloredo feufzte ſchmerzlich, Graf Saurau lächelte, ımd Graf Lehrbach fchaute Thugut mit dem Lachen einer Hyäne in's Geſicht. Und wiflen Sie, wer Ihr Nachfolger fein wird ? fragte der Letztere. Mein Lieber, ich werde feinen Nachfolger haben, fondern nur einen Nachtreter, und das werden Sie fein, fagte Thugut ſtolz. Aber ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie mit diefer Arbeit nicht lange beläftigt werben follen. Ich werde jegt ſofort mein Geſuch an ben Kaiſer auffegen, und bitte ich diefe Herren, die Güte zu haben, es dem Raifer zu übergeben! Er ging, ohne ein Wort zu jagen, zu feinem Schreibtiſch, und warf baftig einige Zeilen auf das Papier, das er dann fiegelte und couwertirte. Haben Sie die Güte, Herr Graf Eolloredo, dies dem Kaifer zu übergeben, ſagte er. Graf Colloredo nahm es mit der einen Hand und zog mit ber - andern ein verfiegeltes Papier aus feinem Bufen hervor. Und bier,. Ercellenz, fagte er, bier habe ich die Ehre, Ihnen das Antwortsfchreiben Str. Majeftät zu Überreihen. Der Kaifer, Ihren edlen hingebenden Patriotismus fennend, war im Voraus überzeugt, daß Sie bereit fein wiürben, ſich auf dem Altar des VBaterlandes zu opfern, und er war,. obwohl betrübten Herzens, entichloffen, das Opfer anzunehmen. Der Kaiſer bewilligt Ihnen die Entlafjung aus dem Staatsdienſt, welde Sie begehren, und der Graf Ludwig Cobenzl, welcher heute noch nad). *) Häuffer: Deutſche Geſchichte II. 324. 399 Luneville abgehen fol, um dort mit dem Bruder des erften Confuls, mit Joſeph Bonaparte, die Friedensconferenzen zu eröffnen, wird zugleich bie Nachricht von dieſem Miniſterwechſel mitnehmen. Herr Graf Lehrbach, ich habe die Ehre, Ihnen im Namen des. Kaifers dieſes Schreiben zu überreichen, in .weldem Se. Majeftät Sie zum Staats» minifter der innern Angelegenheiten ernennt. Er reichte dem Grafen Lehrbach ein Schreiben, pas diefer haftig erbrah und mit gierigen Vlicken durchflog. Und Sie, mein lieber Heiner Graf Saurau? fragte Thugut mit- leidig. Bat man Ihnen gar feinen Antheil an der Beute des Löwen bewilligt? | Oh dod, man hat mir den ehrenvollen Auftrag ertheilt, den guten Wienern bie Freudenbotſchaft mitzutheilen, daß Baron Thugut feine Entlafjung erhalten hat, fagte Graf Saurau, und ich ziehe mid) jegt zurüd, diefen Auftrag zu erfüllen. Er grüßte Thugut mit einem raſchen Kopfniden, verneigte fid ehrfurchtsvoll vor dem Grafen Colloredo und verließ dann das Cabinet bes Minifters. Ich bin gerät, murmelte er, indem er den Vorſaal durchſchritt, jegt wird dieſer Schiffszimmermannsfohn mich nicht mehr „feinen lieben, Heinen Baron” nennen! Und aud ich ziehe mic) zurüd, fagte Lehrbach mit einem gellenden Lachen, ich ziehe mid) zurüd um meine Vorkehrungen zu treffen, damit meine Meubles und Pferde fhon morgen hierher in die Staatskanzlei gebracht werben Fünnen. Denn nit wahr, Herr von Thugut, Sie - ziehen noch heute hier aus? Ya, ich ziehe aus, und Sie ziehen fi zurüd, ſagte Thugut, den Grafen mit einem ſtolzen Wink ſeiner Hand entlaſſend. Graf Lehrbach eilte lachend hinaus, und Graf Colloredo blieb allein mit Thugut. Und Sie? fragte Thugut, haben Sie mir gar keine Bosheit zum Abſchied zu ſagen? Ich habe Ihnen Vieles zu ſagen, aber keine Bosheiten, ſagte Colloredo ſanft. Ich habe Sie vor allen Dingen zu bitten, daß Sie 400 mir Ihre Freundſchaft und Ihren Rath nicht entziehen, vielmehr mir nach wie vor beiftehen wollen. Ic, bebarf Ihres Rathes und Ihrer Hülfe mehr als jemals, und ich werde nichts thun ohne Ihren Willen. Der Kaifer wird das nicht erlauben, fagte Thugut düſter. Er wird verlangen, daß Sie jeden Verkehr mit mir abbrechen. Im Gegentheil, flüfterte Colloredo, der Kaifer wünſcht, daß Sie ibm und mir ftet8 rathend zur Seite ftehen, der Kaiſer wünſcht, daß Sie die Güte haben, mic, täglich mit Ihrem Beſuch zu erfreuen, um mit mir die Gejchäfte zu befprechen, und Sie werden da, durch Zufall natärlih, auch Sr. Majeftät begegnen, der den Kath Ihrer Erfahren- heit und Weisheit vernehmen will. Sie werden Minifter bleiben, aber Incognito. | Ein Blig der Freude ſchoß in Thugut's Augen auf, aber er unterdrüdte ihn fchnell wieder. Und werde ih da in Ihrem Haufe auch zuweilen Ihrer Gemahlin begegnen, der jchönen Gräfin Victoria? fragte er. Bictoria befhwört Sie durch meinen Mund, ihr zu vertrauen, und niemals an ihrer Freundfchaft zu zweifeln. Daflelbe fage ih Ihnen von mir. Sie haben uns Beide fo glüdlid gemacht, mein lieber Baron, Sie find der Vermittler einer Ehe gemwefen, in der wir Beide, Victoria und ih, das höchſte Glüd der Erde gefunden haben, und nie werben wir aufhören, Ihnen dafür dankbar zu fein, nie werben wir außerdem Ihres Rathes entbehren können und wollen. Sie find unfer Kopf, wir find Ihre Arme, und da der Kopf den . Armen gebietet, fo werden wir Ihnen allzeit gehorchen. Victoria be- fhwört Sie, ihr irgend etwas zu fagen, was Sie wünſchen, damit Sie Ihnen fofort einen Beweis ihrer Dienftbereitfchaft geben Fann. Sie hat mir aufgetragen, dies zu fordern als einen Beweis Ihrer Freundſchaft. Nun denn, ſagte Thugut lachend, ich nehme Ihr Erbieten und das der ſchönen Victoria an. Graf Lehrbach iſt Miniſter und will morgen ſchon mit feinen Meubles in die Staatskanzlei einziehen. Laſſen wir ihn morgen früh einziehen, aber im Laufe des Tages wird ber Raifer gut thun, ihm feine Entlaffung zu fenden, denn Graf Lehr⸗ J 401 bach ift nicht würdig, Staatsminifter zu fein. Seine Hand ift befledt mit dem Blut, das in Raftatt vergoffen worden, und die Hand eines Minifters muß rein fein. Aber wen jollen wir alsdann ftatt Lehrbach's zum Minijter ernennen? Den Grafen Ludwig Cobenzl, denn er bietet Frankreich die befte Bürgfchaft des Friedens. Aber Graf Cobenzl fol ja nach Luneville gehen zur Friedens⸗ Conferenz? Laſſen Sie ihn immerhin dahin gehen, und bis er zurückkehrt, mag der Graf Trautmannsvorf ſein Miniſterium interimiſtiſch ver- walten. Ah, das iſt wahr, das iſt ein vortrefflicher Gedanke rief Colloredo freudig. Sie ſind ein gar weiſer und beſonnener Staatsmann, und ich werde eilen, Ihre Rathſchläge dem Kaiſer mitzutheilen. Seien Sie überzeugt, daß Alles ſo geſchehen ſoll, wie Sie es wünſchen. Lehrbach bleibt bis morgen Mittag Miniſter, alsdann erhält er ſeine Entlaſſung, Graf Ludwig Cobenzl wird ſein Nachfolger, und Graf Trautmannsdorf verwaltet interimiſtiſch das Miniſterium, bis Cobenzl von Luneville zurückkehrt. Nicht wahr, ſo ſoll es ſein? Ja, ſo ſoll es ſein, ſagte Thugut faſt ſtreng. ‚Aber damit iſt noch nicht Victoria's Bitte erfüllt, ſagte der Graf ängſtlich, dieſe Dinge kann ich beforgen, aber auch Victoria wünſcht Ihnen einen Beweis Ihrer Freundſchaft zu geben. Nun, ich bitte ſie, mir und Ihnen Beiden einen kleinen Scherz zu bereiten, rief Thugut. Graf Lehrbach will morgen früh mit allen ſeinen Menbles in die Staatskanzlei einziehen. Ich bitte Victoria, dahin zu wirken, daß er ſchon morgen Abend mit allen feines Meubles wieder ausziehen muß, wie der ertappte Marder vom. Taubenfchlag.*) *) Es gefhah in der That fo, wie Thugut es gewünſcht hatte. „Graf Lehrbach verlor ſchon am andern Tage fein kaum erlangtes Portefeuille wieder, und mußte Die Meubles, die er am Morgen mit roher Eile in die Staatslanzlei geichafft Hatte, fchon am Abend befielben Tages wieder hinausichaffen. Siehe: Lebensbilder aus dem Befreiungsfriege. I. 339. Mühlbach, Napoleon. 1. Bd. 26 402 Ah, das ift ein Föftliher Scherz, fagte Graf Colloredo lachend, und meine theure Bictoria wird glüdlid fein, Ihnen dieſe kleine Ge⸗ nugthuung gewähren zu können. Ich fage es Ihnen im Voraus, Graf Lehrbach wird morgen Abend ausziehen müflen. Aber jegt, mein theuerfter Freund, muß ich eilen, zum Erzherzog Earl zu reifen, der, wie Sie wiflen, auf einem feiner Landgüter ſchmollt. Ich werde fo- gleih dahin reifen, und zwei Tage von Wien abmefend fein. Nehmen Sie Sich indeffen meiner Victoria als treuer Freund an. Ich werde mich ihrer annehmen, wenn die Gräfin es mir geftatten will, fagte Thugut lächelnd, indem er dem Grafen Colloredo bis zur Thür begleitete. Dann ſchaute er ihm lange nach mit einem Ausdruck ſtolzer Ge- rin gſchätzung. Die Narren bleiben, fagte er, und ih muß gehen! Aber nein, ich gehe nicht! Möge die Welt mid immerhin als einen abgefegten Miniſter betrachten, ich bleibe dennoch Meinifter, ich werbe herrſchen durch meine Creaturen, durch Colloredo und Victoria. Ich bleibe Miniſter, ſo lange bis ich all dieſer Erbärmlichkeiten ſatt und überdrüßig bin und mich zurückziehe, um mir ſelber zu leben.*) *) Thugut trat wirklich für immer vom öffentlichen politifchen Schauplat ab, aber in ber Stille bewahrte er fih immer noch feine Macht und fein An- ſehen, und PBictoria von Poutet Colloredo, die mächtige Freundin ber Kaiferin Therefe blieb immer feine treue Anhängerin und Bertraute. Uebrigens jubelte ganz Wien über den Rücktritt Thugut’s, der jo lange mit tyranniicher Willfitr den Kaiferftaat beberricht hatte. in Beifpiel feiner Willkür ift, daß man bei feinem Austritt 170 uneröffnete Eftafetten und über 2000 uneröffnete Briefe fand. Thugut las nur, was ihm der Mühe werth fchien, alles Andere beachtete er gar nicht. Lebensbilder I. 327. 403 IL FJanny von Arnflein. Die junge Baronin Fanny von Arnftein hatte foeben ihre Mor- gentoilette vollendet und trat aus ihrem Ankleivezimmer in ihr Boudoir, um einfam wie immer ihre Chocolade einzumehmen. Mit einem leifen Seufzer ließ fie ſich auf den Fauteuil nievergleiten, und ftatt die Cho- colade, die in filbernem Service vor ihr auf dem Tiſch ſtand, zu trinken, lehnte fie ihr Haupt rüdwärts an den Seffel und blidte träu- merifch zur Dede empor. Zuweilen hoben tiefe Seufzer ihren Bufen, zuweilen trieben die Gedanken, die ihre Seele und ihre Herz bewegten, auf ihre Wangen eine tiefe Röthe, die aber fchnell wieder verſchwand und ber eine nod tiefere Bläffe folgte. Plöglih ward fie durch ein leifes ſchüchternes Klopfen an ber Thür, die in das Empfangszimmer führte, aus ihrem Sinnen aufge- fhredt. Mein Gott, flüfterte fie leife, er wird es doch nicht wagen, fo unangemeldet und früh hierher zu fommen? Das Klopfen an der Thür erneuerte fih. Ich kann, ih will ihn nicht empfangen, murmelte fie, es ift befjer, gar nicht mehr mit ihm allein zu fein. Ich will den Riegel vorfchieben und gar feine Ant- wort geben. Mit Ieifen Tritten fehwebte fie durd) das Gemach nach der Thür bin, und eben war fie im Begriff, ven Riegel vorzufchieben, als das Klopfen zum dritten Mal ertönte und eine demuthsvolle weibliche Stimme fragte: Sind die gnädige Frau da und darf ich eintreten? Ah, es ift nur meine Kammerfrau! flüfterte Frau von Arnftein, und hoch aufathmend, wie von einer drückenden Laft befreit, öffnete fie ſelbſt die Thür. Nun, Fanchon, fragte fie mit ihrer fanften, lieblichen Stimme, was führt Sie her? Gnädige Frau verzeihen, ſagte die Rommerfrau, e einen neugierigen Bid durch das Zimmer gleiten laflend, der gnädige Herr ließ mid 1 * > 404. foeben rufen, er fragte mich, ob Ew. Gnaden ſchon aufgeftanden und in Ihr Cabinet eingetreten feien, und als ich es bejahete, gab mir ber gnädige Herr eine Beftellung an Em. Gnaden, aber mit dem aus- brüdlihen Befehl, diefelbe erft auszurichten, wenn die gnädige rau Ihre Chocolade getrunfen und dejeunirt hätten; aber jegt ſehe ich, daß ich meine Beftellung noch nicht fagen darf, denn das Dejeuner ftebt noch unberührt da. ‚ Nehmen Sie e8 fort, ih mag nichts effen, fagte Frau von Arn- ſtein raſch. Und nun, Fanchon, fagen Sie mir Ihren Auftrag. Fanchon näherte fih dem Tiſch, und indem fie das filberne Plateau empor hob, warf fie einen Bli vol zärtliher Beſorgniß auf ihre bleiche, ſchöne Herrin. Ew. Gnaden eſſen gar nicht, fagte fie ſchüchtern, feit acht Tagen nehme ich das Frühſtück jeden Morgen unberührt wieder fort, und der Kammerdiener Hagt, daß Sie auch beim Diner faum die Speifen be- rühren, Ew. Onaden werben fih krank mahen und — Laſſen Sie gut fein, meine liebe Fanchon, unterbrad fie ihre Herrin mit einem fanften Lächeln, ich habe wenig Appetit, es ift wahr, aber ich fühle mich doch nicht frank, und ih will auch nicht krank werden! Sprechen wir nicht mehr davon, und richten Sie mir den Auftrag aus, den Ihnen der Baron gegeben. Der Herr Baron laffen die gnädige Frau fragen, ob Sie ihm erlauben, daß er Ew. Onaden fogleih feinen Beſuch machen darf, und ob Ew. Gnaden ven Herrn Baron hier in Ihrem Cabinet em- pfangen wollen? Grau von -Arnftein bebte zufammen und ein Ausdrud des Er- ftaunens flog über ihr Antlig bin. Sagen Sie dem Herrn Baron, daß er willfommen ift und ich ihn erwarte, fagte fie dann ruhig; ale aber Fanchon binausgegangen war, flüfterte fie: Mein Gott, was beventet dies? Wozu biefer ungemohnte Befuh? Oh, meine Rniee zittern und mein Herz pocht fo heftig, als ob es zerjpringen wollte. Warum denn, was habe ich denn getban? Was habe ich denn zu fürchten? Bin ich eine Verbrecherin, welche ſich fcheut, vor ihrem Richter zu erfcheinen? 405 Sie ſank wieder in ihren Lehnſtuhl nieder und fchlug ihre beiden Hände vor ihr erröthetes Angefiht. Nein fagte fie dann nad) einer langen Paufe, indem fie ihr Haupt wieder erhob, nein, ich bin keine - Berbrederin, und mein Gewiffen ift von feiner Schuld belafte. Ich darf mein Auge frei zu meinem Gemahl und zu meinem Gott erheben. Ich babe bisher redlich gefämpft gegen mein .eigenes Herz und ih werde auch ferner fämpfen. Ich — ab, er kommt, unterbrady fie fih felber, als fie im anftoßenden Salon Schritte vernahm, und mit einem Ausbrud Ängftliher Spannung richteten fie ihre Blide nad) der . Thür bin. Diefe öffnete fi, jet und ihr Gemahl, der Baron von Arnftein, trat ein. Sein Antlig war bleich und zeigte den Ausdruck innerer _ Gemüthsbewegung, aber er begrüßte feine Gemahlin doch mit einem freundlichen Lächeln, und neigte fih, um die Hand zu küſſen, bie fie ihm ſchweigend dargereicht hatte. Nicht wahr, Sie haben mid, erwartet? fragte er. Sie wußten, noch bevor ih Fanchon zu Ihnen fchidte, daß ih um biefe Stunde fommen würbe?_ Fanny fah ihn erftaunt und fragend an. Ich geftehe, fagte fe verlegen, daß id, bis Fanchon fam, nichts von Ihrem Beſuch ahnte, und id fage das nur, um mich zu entfchulbigen, daß Sie mich im Negligee treffen. Ah, Sie erwarten mid nicht! vief der Baron fhmerzlid. Sie hatten aljo Alles vergefien? Sie dachten nit daran, daß heute unfer Hodyzeitstag ift und daß fünf Jahre feitvem vergangen find? In der That, flüfterte Fanny verlegen, ich wußte nicht, daß gerade heute der Tag ift. Sie fühlten die Laſt deſſelben alle Tage, und es war Ihnen daher, als ob fich diefer unfelige Tag für Sie täglich erneuere! rief ber Baron traurig. Berzeihen Sie mir meinen Ungeftüm und meine Klagen, fuhr er fort, al8 er fie erbleihen und ſich abwenden fah. Ich will fanft fein. und Sie follen fid) nit mehr über mid, zu beklagen haben. Aber da Sie die Verabredung vergeflen haben, welche wir vor fünf Jahren 406 . getroffen haben, fo erlauben Sie mir, fie Ihnen in's Gedächtniß zurück⸗ zurufen! | Er nahm einen Stuhl und fegte fi ihr gegenüber, und ſchaute ſie an mit einem langen, traurigen Blick. Als ich Sie heute vor fünf Jahren zum Altar führte, ſagte er weich, da waren Sie vielleicht weniger ſchön wie heut, weniger glänzend, weniger majeſtätiſch, aber Sie waren heiterer, jugendmuthiger, obwohl Sie im Begriff waren, ſich einem Manne, der Ihnen vollkommen gleichgültig war, zu ver- mählen. | DH, ich habe nicht gefagt, daß Sie mir gleichgültig waren, ſagte Fanny leife, nur fannte ih Sie nit, und liebte Sie daher auch nicht! | | Sie fehen, daß die Unbekanntſchaft nicht allein der Grund war, fagte er ſchmerzlich lächelnd, denn jegt, glaube ich, kennen Sie mid, und Sie lieben mich dennod nicht! Aber fprechen wir von dem, was mic) berführt, von der DBergangenheit! Sie willen, daß Sie vor unferer Bermählung mir das Glüd einer langen und vertraulid en Unterredung ſchenkten, daß Sie mir vergönnten, bis auf den Grund Idhrer reinen und ſchönen Seele zu jehen, daß Sie Ihr edles und un- Tchuldiges Herz, welches noch feine Narben und keine Wunden, nicht einmal ein Bild oder eine Erinnerung aufzuwveifen hatte, vor mir ent- ichleierten und mir erlaubten, Ihr Bruder und Ihr Freund zu fein, da Sie mich zu Ihrem Geliebten und Ihrem Gemahl nit annehmen wollten. Ich warb indeß vor der Welt Ihr Gemahl, und id, führte Sie hierher nad Wien in mein Haus, deffen Herrin und Königin Sie fein follten! Das ganze Haus war feftlih gejhmüdt, Sie zu em- pfangen, alle Gefellihaftszimmer waren geöffnet, denn Ihre Ankunft follte mit einem Ball gefeiert werden. Nur eine Thür war verfchloffen — e8 war bie Thür diefes Cabinets. Ich führte Sie hier herein und fagte zu Ihnen: „Das ift Ihr Sanctuarium, und Niemand fol dafielbe ohne Ihre Erlaubnif betreten dürfen. In diefem Bouboir find Sie nit die Baronin von Arnftein, nicht meine Gemahlin, fon- bern bier find Sie Fanny Itzig, das freie, ungebundene junge Mädchen, das Herr ift feines Willens und feiner Neigung, IH \elüer merde nie 407 wagen, ohne daß Sie es ausdrücklich begehren, dies Gemad zu be- treten, und wenn ich e8 alsdann thue, fo werde ich doch nur kommen als ein Cavalier, der die Ehre hat, einer ihm fernftehenden ſchönen Dame einen Beſuch zu mahen. Bor der Welt bin id Ihr Gemahl, aber nicht in diefem Zimmer. Nie werbe ih mir daher auch erlauben, zu fragen und zu forfchen, was Sie in diefem Zimmer thun, wen Sie in demfelben empfangen, benn Sie find nur Gott und fid) Selber hier verantwortlich!" Entfinnen Sie fih jest, daß ih Ihnen das damals geſagt habe? Ich entfinne mid deſſen! Ich fagte Ihnen ferner, daß ich Sie bäte, bier in dieſem Zimmer bereinft die vertrauliche Unterredung, welde wir vor unferer Trauung gehabt, mit mir fortfegen zu wollen. Ich bat Sie, dazu eine Frift von fünf Iahren anzunehmen und in diefer Zeit Ihr Herz zu prüfen und zu fehen, ob Ihnen das Leben an meiner Seite wenigftens eine erträglihe Laſt, oder ob Sie dieſelbe abzufchütteln begehrten. Ich forderte "von Ihnen das Verſprechen, daß ih nad fünf Jahren, an unferm Hochzeitstag, dies Sabinet wieder betreten dürfe, um dann mit Ihnen unfere weitere Zukunft zu verabreden. Sie waren gütig genug, meine Bitte zu erfüllen und mir das Berfprechen zu leiften. Entfinnen Sie ſich deſſen? Ich entſinne mich deſſen, ſagte Fanny erröthend, nur geſtehe ich Ihnen, daß ich jene Worte nicht ſo ernſt und wichtig genommen, daß ich fie nicht als eine förmliche Verpflichtung für Sie betrachtet habe. Sie wären jeden Tag hier in diefem Cabinet willkommen gemwejen und es beburfte in der That dazu nicht eines befonderen Tages und einer vor fünf Jahren getroffenen Verabredung. Sie weihen mir aus, Frau Baronin, fagte der Baron ſchmerzvoll, ih bitte Sie aber, laffen Sie uns in diefer Stunde offen und ehrlich, wie heute vor fünf Iahren, zu einander reden! Wollen Sie mir biefe Bitte erfüllen ? Sch will es, rief Fanny Iebhaft, und ih will Ihnen gleich bes weifen, daß es mir Ernft damit if. Sie erwähnten vorhin unferer Bergangenheit, und Sie fragten mich verwunderungsunt, su ia wer 408 damaliges Geſpräch vergeflen hätte. Ich erinnere mich deſſen aber fo gut, daß ih Sie darauf aufmerffam machen muß, daß Sie felber den Hauptinhalt unfers damaligen Geſprächs vergefien haben, ober vielmehr, daß Sie in Ihrem edelmüthigen Zartfinn und ber groß- müthigen Herzenshöflichkeit, die nur Sie befiten, einen Theil des⸗ ſelben abfihtlich verfchwiegen haben. Sie haben fi: wohl erinnert, daß ich Ihnen gejagt, ich liebte Sie nit, aber Sie haben vergefien, daß Sie mich darauf fragten, ob ich einen Anbern liebte. Ich erwiberte Ihnen, daß ich Niemand liebe, und niemals werbe ich vergeffen, mit welhem Schmerzensausruf Sie damals fagten: „Es ift viel leichter mit einem falten Herzen in die Ehe zu treten, als mit einem gebrochenen, denn das kalte Herz fann ſich erwärmen, das gebrochene nicht.“ Oh, entſchuldigen Sie ſich nicht, fuhr fie lebhafter fort, denken Sie nicht, ich fei ein fo kleinliches und eitles Gefchöpf, daß ich darin eine Be⸗ feibigung für mich hätte fehen Können! Es war höchſtens ein Schmerz, den ich empfand. Ein Schmerz? fragte der Baron überrafcht, und feine bunflen Augen hefteten fih mit einem wunderbar leidenfchaftlihen Ausprud auf das Antlig feiner Gemahlin. Ia, ein Schmerz war es, den ich empfand, rief fie lebhaft, denn ih fühlte bei Ihren Worten, die fo tief aus der Seele quollen, bei Ihrem wahren und leidenfhaftlihen Schmerz, bei Ihrer muthvollen Entjagung, daß Ihr Herz eine Wunde empfangen, welde fi) niemals wieder fchließen würde, daß Sie niemals von Ihrer erften iebe zu einer zweiten fich treulos abwenden würben. Oh, mein Gott, murmelte der Baron leife, und er wandte fein Gefiht ab, um die Röthe nicht fehen zu laſſen, die plößlich darüber hinfuhr. Fanny achtete nicht darauf und fuhr fort: Aber dieſe todte Liebe Ihres Herzens legte ſich wie eine kalte Leichenhand auf mein Herz und verdammte es zu ewiger Kälte. Mit dem Bewußtſein, daß Sie mich niemals lieben würden, mußte ic auch das Streben danach auf- geben, der Hoffnung entfagen, durch Sie vielleicht einft mein Herz er- wachen, und und Beiden in ver Ehe die Wunberklüthe einer Liebe 409 entfalten zu fehen, deren allmäliges Knospen uns die Willfür unferer eltern, die nicht nach unfern Herzen, fondern nad unfern Capitalien gefragt, verfagt hatte. Ic warb Ihre Gemahlin mit der vollen Re⸗ fignation, ein kaltes, liebeleeres, ödes Leben führen zu müflen, für Sie immer. eine Laſt, eine Feſſel, ein Hinderniß fein zu follen! Mein Stolz, der fi Dagegen empörte, fagte mir aber, daß ich biefes Neben meiner würdig tragen, daß ich niemals aud nur den Verſuch machen bürfe, dieſe Scheidewand zu durchbrechen, weldhe Ihre Liebe zu einer Andern zwiſchen ung aufgerichtet, und die Sie fo body wie möglich zu erheben: trachten! Ih? rief der Baron ſchmerzlich. Sa, Sie, fagte fie ernftl. Oder meinten Sie etwa, ich hätte Ihre firenge Zurüdhaltung gegen mich nicht verftanden? Ich hätte nicht begriffen, daß Sie Ihrem Wiverwillen gegen mid nur eine fchonende Umbüllung gegeben? Sie führten mi in dies Kabinet und fagten mir, daß niemals Ihr Fuß daffelbe betreten, daß Sie nur auf meine ausprüdlihe Einladung hierher kommen würden. Nun, mein Her, Sie mußten fehr geſchickt Ihre Abficht, niemals mit mir allein zu fein, ein durchaus getrenntes Reben von mir zu führen, unter biefer Wendung zu cachiren, denn Sie wußten ſehr wohl, daß mein Stolz mir niemals erlauben würde, Sie wider Ihren Willen hierher ein⸗ zuladen! Oh, war es möglich, mich ſo zu mißverſtehen! ſeufzte der Baron, aber ſo leiſe, daß Fanny ihn nicht verſtand. Sie ſagten mir ferner, fuhr fie glühend fort, Daß ich nur vor ber Welt den Titel Ihrer Gemahlin zu führen habe, daß ich hier in meinem Zimmer aber dieſen Namen nicht führen, daß ich hier immer nur Fanny Itzig fein folle! Sie waren gütig genug, diefer moralifhen Scheidung welche Sie ausfpradyen, den Charakter zu geben, als wären Sie ber Entfageride, und aus Schonung für mich bandelten Sie fo! Ich aber verftand fehr wohl, und al8 Sie nach jener Unterredung dies Cabinet verließen, mein Herr, fanf ich nieder auf meine Kniee und flehte zu Gott, daß Er bei mir bleiben möge in diefer Einfamkeit, zu welder Sie mid, verurtheilten, und flehte zu meinem Stoly, VOR er mi, ui 410 richten und halten möge, und ſchwur es meiner Mädchenehre, daß ich fie rein und heilig bewahren wolle bi8 an mein Ende! Dh, mein Gott! Mein Gott! feufzte der Baron, indem er, wie von einem Schwindel erfaßt, rüdwärts ſchwankte. Fanny in ihrer eigenen glühenden Erregung fah es nicht. Und jo begann ich mein neues Leben, fagte fie, ein Leben des Glanzes und bes Schimmers, e8 war herrlich nach außen, aber öde nad) innen, und inmitten unferer glänzenbften Gefellichaften war ich Doch immer einfam; umgeben von Humbderten, bie fih Alle die Freunde unfres Haufes nannten, war id) doch immer allein, ich, bie Gemahlin Ihres Salons, bie Berftoßene meines Boudoirs! Oh, es it wahr, ich habe viele Zriumphe erlebt, ich habe dieſe ſtolze Welt, welche nur widerftrebend fih mir öffnete, fih endlich vor mir beugen jehen, die Jüdin ift der Mittelpuntt der Geſellſchaft geworden, und Niemand glaubt mehr, wenn er unſere Salons betritt, uns eine Gunſt zu erweiſen, ſondern eine von uns zu empfangen. Es gehört jetzt zum guten Ton, unſere Salons zu beſuchen, man überhäuft uns mit Einladungen, mit Schmeicheleien, mit Huldigungen! Aber ſagen Sie ſelbſt, mein Herr, iſt dies Alles Erſatz für das Glück, welches uns fehlt und das wir niemals erreichen können? Ob, iſt es nicht traurig, zu denken, daß wir Beide, fo jung noch, fo glüdesfähig, Doch ſchon verdammt find zu ewigem Entjagen, zu ewiger Einfamleit? Iſt es nicht ſchauerlich, uns Beide zu fehen, und müßte es nicht Gott felber erbarmen, wenn er von dem Glanz feines Sternenhimmels feinen Blid einen Moment binab fenkte in unfere büftere Bruft? Ich trage darin ein faltes, er- ftarrtes Herz, und Sie einen Sarg! Oh, mein Herr, verhöhnen Sie mid nicht, weil Sie in meinen Augen Thränen fehen, es ift ja nur Fanny Itzig, welche weint, die Frau Baronin von Arnftein wird heute Abend in Ihren Salons mit lächelndem Angefiht die Honneurs madhen, und Niemand wird es ihren Augen glauben, daß fie auch zu weinen verftehen! Aber hier, hier in meinem Wittwenfig und meiner Nonnenzelle darf ich wohl weinen über Sie und über mid), die wir aneinander geſchmiedet find mit unzerreißbaren Feſſeln, deren Laſt und Drud wir Beide gleich bitter und zürnend empfinden. Möge Gott e8 411 unferen Xeltern verzeihen, daß fie unfere Herzen geopfert haben auf dem Altar ihres Gottes, weldhes der Mammon ift, ich werde ihnen ewig deshalb zürnen, ich werde e8 ihnen nie verzeihen, denn fie, welche das Reben kannten, mußten es willen, daß es nichts Schmach⸗ oolleres, Bellagenswertheres und Yürdhterlicheres giebt, als ein Weib, welches ihren Gatten nicht liebt und nicht von ihm geliebt wird! Nicht von ihm geliebt wird! wiederholte der Baron, indem er fid feiner Gemahlin, welche wie zerbrochen auf einen Stuhl niedergefunfen mar, näherte und ihre fchlaff niedergeſunkene Hand ergriff. Sie fagen, daß ich Sie nicht liebe, Fanny? Kennen Sie denn mein Her? Haben Sie denn ein einziges Mal es der Mühe werth gehalten, Ihre ſtolzen Blicke auf mein armes Herz fallen zu laſſen? Haben Sie mir jemals eine Regung von Theilnahme, wenn ich traurig war, ein Gefühl von Mitleid gezeigt, wenn Sie mich leiden ſahen? Aber nein, Sie haben nicht einmal geſehen, daß ich litt, und daß ich traurig war. Ihr ſtolzer, kalter Blick glitt immer an mir vorbei, er ſah mich ſelten, er ſuchte mich niemals! Was können Sie alſo wiſſen von meinem Herzen, und was würde es Sie kümmern, wenn ich Ihnen jetzt ſagte, daß fein Sarg mehr darinnen wohnt, daß es aufgewacht ift zu neuem Leben, und — Herr Baron, rief Fanny, fi raſch und ftolz erhebend, wollen Sie vielleicht Ihren Edelmuth und Ihr Zartgefühl fo weit treiben, daß Sie mir eine Liebeserflärung machen wollen? Habe ich mich vielleicht in meiner unbefonnenen Heftigfeit fo falſch ausgedrüdt, daß Sie denken können, ich wünfchte jetzt noch mir Ihre Liebe zu erwerben, und id) Uagte darüber, daß diefe mir nicht zu Theil geworden? Halten Sie mich für eine bemüthige Bettlerin, der Sie in Ihrer Groß muth ben Broſamen einer Liebeserklärung binwerfen wollen? Ich danke, mein Herr, ich bin nicht hungrig und ich begehre diefe Speife nicht. Laſſen Sie uns wenigftens wahr und aufrihtig mit einander fein, und bie Wahrheit ift: wir lieben ung Beide nicht und werden uns niemals lieben. Berfuchen wir niemals zu heucheln, was wir niemals empfinden werben! Und wenn Sie mir jett Ihre Liebe anböten, fo würde ich fie zurüd- weifen müſſen, denn ich bin an die Kälte gewöhnt, und «% wine wit 412 gehen wie dem Bewohner Sibiriens, ich würde fterben, wenn ich in einer heißeren Zone wohnen follte! Wir Beide leben nun einmal in Sibirien, nun wohlen, da wir nicht verlangen können, daß ung bie Rofen blühen, fo wollen wir wenigftens verfuchen, uns Zobel zu fangen! Das ift zudem ein Artikel, den die Welt zu Shäten weiß. Man wirb uns beneiden um. unjere Sobelpelze, denn man weiß, daß fte koſtbar find, man würbe uns verlahen, wenn wir unfer Haupt mit Rofen Ihmüdten, denn die Roſen find gar nicht koſtbar, und deshalb find fie gemein, und jedes Bauermädchen kann fih damit ſchmücken! Sie fcherzen, fagte ber Baron traurig, und doch glänzen Thränen im Hhren Augen! Indeß Ihr Wille foll mir heilig fein! Ich werde es niemals wagen Ihnen wieder von meinem Herzen zu reden! Aber von Ihnen wollen wir reden und von Ihrer Zukunft. Die fünf Sabre, welche Sie mir verfproden hatten, find verfloffen, und jegt bin ich ba, mit Ihnen über Ihre Zukunft zu ſprechen! Sagen Sie e8 ehrlich und offen, Fanny! Wünſchen Sie von mir gefchieven zu werben? Sie zudte zufammen und heftete einen langen forfchenden Blid auf ihren Gemahl. Ihr Vater ift feit einem Jahr geftorben, fagte fie gevanfenvoll, Sie find jegt Chef der Handlung, Niemand hat Ihnen zu gebieten, und Sie fünnen jegt Derjenigen, welde Sie lieben, ba Gie frei find, Ihre Hand anbieten, nicht wahr? Der Baron ftieß einen Schrei aus und Todtenbläſſe bevedte fein Gefiht. Habe ich e8 denn verdient, daß Sie mid) fo fehr verachten? rief er ſchmerzvoll. | Fanny reichte ihm raſch ihre Hand dar. Berzeihen Sie mir, fagte fie herzlich, ich habe Ihnen weh gethan und wollte e8 nicht, die Bein diefer Stunde hatte mid, granfam gemadt. Nein, ich glaube e8 nicht, daß Sie nur um Ihretwillen diefe Frage an mich richteten, ich weiß vielmehr, daß Sie für mid die Theilnahme eines Bruders, eines Freundes haben, und ich bin davon überzeugt, daß Ihre Trage eben» fowohl mein Glüd als das Ihre bezwedt. Nun denn, fagte er mit dem Anfchein vollflommener Ruhe, fo laſſen Sie mid) meine Frage wiederholen: Wünfchen Sie von mir gefchieden zu fein? 413 Fanny ſchüttelte langſam ihr Haupt. Wozu? fragte fie traurig. Ich wiederhole Ihnen, was ich fhon vorher fagte: Wir leben num einmal in Sibirien, laffen Sie uns darin bleiben! Wir find an bie Kälte gewöhnt, vielleicht würden wir fterben in einer heißeren Zone! Oder vielleicht würde Ihr Herz aufjubeln in Freude und Wonne, fagte der Baron, und jest Befteten fih feine Blicke forſchend auf ihr Geſicht, Sie nannten mid) vorher Ihren Freund, Sie geftanden e8 mir zu, daß ih für Sie die Theilnahme eines Bruders hege, nun denn, laffen Sie mid als Ihr Bruder und ald Ihr Freund zu Ihnen reden! Weijen Sie das Erbieten einer Scheidung nicht ſo raſch von ſich ab, Fanny, denn ich fage es Ihnen zuvor, ich werde es Ihnen niemals wieder erneuern, und wenn Sie’ heute fih nicht von mir los⸗ jagen, fo find Sie für immer an mid gefeflelt, denn ich werde mid) nie wieder aufraffen zu ſolchem graufamen Muth gegen mich felber. Ueberlegen Sie alſo! Bedenken Sie Ihre- Jugend, Ihre Schönheit und Ihre innere Einfamkeit. Bedenken Sie, daß Ihr Herz fih ſehnt nach Xiebe, daß es feine Dede und Berlaffenheit tief und fchmerzlich enpfindet. Und nun fchauen Sie um fih, Fanny, jehen Sie wie viele der ebelften, ber vornehmften Eavaliere Sie umgeben, an Ihren Bliden, an Ihrem Lächeln bangen! Mein Gott, fehen Sie, von wie Bielen Sie geliebt, angebetet werden, und fragen Sie Sid, ob unter diejen Allen Keiner es im Stande fein würde, Ihr Herz zu erobern, wenn e8 frei wäre? Denn ich kenne Ihre keuſche Tugend, ich weiß, daß Sie, obwohl an einen ungeliebten Gemahl gefeflelt, Doch niemals ihm die Treue brechen würden, niemals einem Andern Liebe befennen würden, jo lange Sie nicht frei find. Denken Sie aljo, Sie wären frei, und dann fragen Sie Ihr Herz, ob es nit für Einen Ihrer vielen Anbeter fi entfcheiden will? Nein, nein, fagte fie abwehrend, ih kann nicht einen Zuftand denken, ver nicht ift; da ich nicht frei bin, darf ich nicht Die Gedanken einer Freien haben! Ihr Gemahl näherte ſich ihr, und ihre Hand faſſend, ſchaute er fie an mit rührend flehenden Blicken. 414 Sie haben alfo vergefien, daß Sie an unferm Hochzeitstag vor fünf Jahren mir verfprocdhen haben, mir immer zu vertrauen? fragte er. Sie haben vergeffen, daß Sie mir gefchworen, es mir zu fagen, wenn Ihr Herz einen Andern gemählt? Fanny hielt feinen Blick nicht aus und fenfte ihre Augen nieder. Es bat aber nicht gewählt, und ich habe Ihnen alfo nichts zu vertrauen fagte fie leife. Der Baron hielt noch immer ihre Hand in der feinigen, und heftete noch immer feine Augen auf ihr Angefiht. Laſſen Sie uns einmal gemeinfam überlegen, fagte er. Erlauben Sie mir Ihre Cavaliere und Anbeter zu prüfen, und mit Ihnen zu forſchen, ob Sie Keinen Ihrer Liebe würdig finden! Wie, rief Fanny, ſich in ihrer Verlegenheit zu einem heitern Lachen rettend, Sie wollen mich zur Porzia machen, und mit mir eine Scene aus dem Kaufmann von Benedig aufführen! Ja, Sie find Porzia, und ich übernehme die Rolle Ihrer Vertrauten, fagte Herr von Arnftein lächelnd. Nun alfo, überlegen wir! Da ift zuerft der Graf von Palfy, ein Herr von älteftem Adel, von den untabel- hafteften Manieren, jung, reich, voll glühender Liebe zu — Zu Ihren Diners und den feltenen Schüſſeln, die ihm nichts foften, unterbrady ihn Fanny. Er ift ein Gourmand, welder lieber von Anderer Leute Tafeln fchmelgt, weil er ein Geizhals ift, der die indianifchen Vogelnefter, welche er anbetet, nicht felbft bezahlen mag. Er betet mich immer erft nad Tiſche an, denn wenn fein Magen ruht, erwacht fein Herz und fchreit nah Nahrung, und auch fein Herz ift Gourmand, es hält die Liebe auch für eine Speife: voila tout! Da ift ferner der ſchöne Marcheſe Pallafredo, ſagte ihr Gemahl lächelnd. Er liebt mich, weil man ihm geſagt hat, daß ich ſehr gutes und reines Deutſch ſpreche, und weil er von mir gut Deutſch ſprechen lernen will. Er hält mich für eine Grammatik, durch welche er deutſch lernen kann, ohne daß er es merkt. Da iſt aber der Graf Eſterhazy, einer unſerer ſchönſten Cavaliere, ihm dürfen Sie es nicht nachſagen, daß er geizig ſei, denn er iſt vielmehr 415 ein Verſchwender, der das Geld mit vollen Händen ausftreut; ihn dürfen Sie auch nicht befchuldigen, daß er ein Gourmand fei, denn er berührt faum die Speifen, und er weiß gar nicht, was er genießt, denn feine Blide find immer nur auf Sie gerichtet, und mit Ihnen allein find feine Gedanken befchäftigt. Es ift wahr, er betet mid an, fagte Fanny ruhig, aber ich habe ihn vor einigen Monaten in berfelben begeifterten Anbetung meiner . Scwefter Eskeles gegenüber gefehen, und ehe er bie liebte, hatte er eine fhmwärmerifche Leidenfhaft für die Gräfin Pictoria Colloredo! Er liebt jede Frau, die eben gerade in der Geſellſchaft Mode ift, und jein Herz wecjelt fo rafch wie die Moden. Da ift außerdem der Domherr, Freiherr von Weihe, fagte ver Baron, ein geiftreiher Mann, ein Gelehrter und ein Cavalier zu gleicher Zeit, ein — Dh, ich bitte, reden Sie nicht von ihm, rief Fanny mit dem Aus⸗ drud des Abſcheues. Seine Liebe empört mich und erfüllt mich mit Entfegen und Scham. Wenn er fih mir naht, fchredt mein Herz zurüd wie vor einer giftigen Schlange, und ein Gefühl des Mifbehagens burchriefelt mein ganzes Wefen, ohne daß ich mir einen Grund dafür anzugeben weiß. Es ift etwas in feinen Bliden, das mid, beleidigt, und obwohl er nie gewagt bat, anders als mit Ehrfurdt und Zurück⸗ haltung zu mir zu fprechen, jo habe ich doch bei feiner Unterhaltung immer das Gefühl, als ftände ich unter einer Gewitterwolfe, die jeden Moment fih zu einem Bli zertheilen fönnte, um mic, zu zerfchmettern. Er ift, wie Sie fagen, ein geiftreiher Mann, aber er ift ein fchlechter Menfch, er liebt die Frauen, aber er achtet fie nicht! Und er ift e8 gar nicht werth, daß wir ihn nennen, fagte ber Baron lächelnd, denn ſelbſt wenn Sie ſchon frei wären, könnte der Domherr niemals des Glüdes theilhaftig werden, Ihr Gemahl zu fein, und ih weiß, daß Ihr Herz viel zu keuſch ift, um einen Mann zu lieben, der nicht im Stande wäre, Ihnen feine Hand zu bieten. Suchen wir alfo unter den anderen Cavalieren. Da ift zum Beifpiel der Fürſt Carl von Liehtenftein, der fchönfte, geiftuollfte, liebenswürbigfte Cavalier von Allen, ein junger Fürſt, der weder hochmüthig, noch ftolz, noch 416 auch verfchwenderifch oder geizig ift, der weber allen Damen huldigt, wenn fie Mode find, wie Graf Eſterhazy, noch von Ihnen deutſch lernen will, wie der Marcheſe PBallafredo, ein Yüngling ſchön wie Apoll, tapfer wir Mars, befcheiden troß alles Willens, freundlich und unbefangen troß feiner hoben Geburt. Nun, Fanny, Sie unterbrechen mich nicht? Ihre Scharfe Zunge, die alle zu verdammen wußte, hat feinen verurtheilenden Richterſpruch für den Fürften von Liechtenftein? Gie dulden es, daß ich ihn lobpreife? Sie ftimmen mir alfo bei? Ih kann Ihnen weder widerfprechen, nod Ihnen beiftimmen, fagte Fanny mit erzwungenem Lächeln. Ich kenne den Fürften nicht genug, um ihn beurtheilen zu können. Er ift erft feit einigen Monaten in Wien — | Aber er war feit diefer Zeit täglich in unferen Gefellfchaften, unter- brady fie ihr Gemahl, man jah ihn beftändig an Ihrer Seite. Ganz Wien weiß, daß der Fürft Sie ſchwärmeriſch liebt, und er jelbft macht gar kein Hehl daraus, felbft mir gegenüber nicht. Bor einigen Tagen als er das Unglüd hatte, Sie zu verfehlen, weil Sie einer Sitzung Ihres Wohlthätigkeitsvereins präſidirten, traf er mich allein im Salon. Plöglih mitten in einem begonnenen, gleidhgültigen Geſpräch brady er. ab, fiel mir mit einer leidenfchaftlihen Bewegung um den Hals und rief: „Seien Sie nicht fo gütig, fo freundlih und milde zu mir, denn ich haſſe Sie, ich verabfchene Sie, weil ich Alles haſſe, was mid von ihr zuräcdhält, weil ich Alles verabfchene, was fid hemmend zwifchen mid und fie ftellen will! Vergeben Sie mir meine-Liebe und meinen Haß, Beides ift wider meinen Willen! Wären Sie nicht ihr Gemahl, fo würde ih Sie lieben wie einen Freund, aber dieſes verhaßte Wort macht Sie zu meinem tödtlichften Feind! Und dennoch beuge ih mid) vor Ihnen in Demuth, dennoch beſchwöre ic Sie, ferien Sie groß- müthig, verbannen Sie mid niht aus Ihrem Haufe, nicht aus ihrer Nähe, denn ich würde fterben, wenn ich fie nicht täglich fehen dürfte!“ Fanny hatte ihm mit hocdyerröthenden Wangen, in athemlofer Spannung zugehört. Ihre ganze Seele fprady aus den Blicden, mit welchen fie ihren Gemahl anfchaute, und jedes Wort wie einen füßen Nektar von feinen Lippen zu trinken fchien. eo 417 Und was antworteten Sie ihm? fragte fie tonlos, als der Baron jest ſchwieg. Ih antwortete ihm, daß Sie allein zu enticheiven hätten, wer in unferen Geſellſchaften erfcheinen dürfe, und daß Jeder mir will. fommen jei, den Sie eingeladen. Ich fagte ihm ferner, daß ich feine Anbetung für Sie ganz natürlih fände, und daß ich es ihm gern vergeben wolle, wenn er mich hafle, nenn — Plöglih verftummte der Baron und fihaute feine Gemahlin mit überrafchten, fragenvden Bliden an. Sie war zufammen gezudt, wie in jähem Schred, eine Purpurröthe brannte plöglid auf ihren Wangen und ihre Augen, welde einen jhwärmerifchen, begeifterten Ausprud angenommen hatten, wandten fidy der Thür zu. Der Baron folgte mit feinen Augen ihren Blicken, und jegt hörte er ein leifes Geräufh an der Thür. Ich glaube, e8 hat Jemand da geflopft, fagte er, feine durchboh⸗ renden Blide auf feine Gemahlin beftend; fie wanbte leife ihr Haupt zur Seite und flüfterte: Sa, ich glaube. Und es ift ſchon das zweite Mal, fagte der Baron ruhig. Wollen Sie alſo nicht Erlaubniß ertheilen, einzutreten? Ich weiß nicht, ſagte ſie verlegen, ich — Plötzlich ward die Thür ungeſtüm aufgeriſſen und ein junger Mann erſchien auf der Schwelle. Ah, der Herr Fürſt von Liechtenſtein, ſagte der Baron und er ſchritt mit vollkommener Ruhe und Freundlichkeit dem Fürſten entgegen, welcher überraſcht in der Thür ſtehen geblieben war und mit finſteren Blicken auf die ſeltſame und unerwartete Gruppe hinſtarrte. Treten Sie ein, gnädiger Herr, ſagte der Baron ruhig, die Ba- ronin wird Ihnen fehr dankbar fein, daß Sie gerade jett hierher fommen und unfer Geſpräch unterbradhen, denn es betraf trodene Ge- ſchäftsſachen. Ich legte ver Baronin einige alte fünfjährige Rechnungen vor, und fie gab mir Quittung darüber, weiter nichts. Uebrigens waren wir mit unferm Gefpräh zu Ende, und Sie dürfen daher nicht fürchten, uns geftört zu haben. Erlauben Sie mir daher aud, mid Mühlbach, Napoleon. I. Bo. 27 ’ | 418 zurüdzuziehen, denn Sie wiſſen wohl, in den Bormittagsftunden bin id nur Banquier, nur Gefhäftsmann, und muß nıeine Zeit verwerthen. Er grüßte den Fürften und feine Gemahlin zu gleicher Zeit mit einer Berbeugung und einem Winken feiner Hand und ging hinaus, lächelnd, ruhig und gelaffen wie immer. Nur als er die Thür hinter fih gefchloffen, als er mit einem fchnellen Blid dur den Salon fih überzeugt hatte, dag Niemand dort fei, verfhmand das Lächeln von feinen Lippen, und eine tiefe, ſchwermuthsvolle Trauer fprad aus feinen Mienen. | Sie liebt ihn, murmelte er leife vor fih bin, ja, fie Liebt ihn! Ihre Hand zitterte in der meinen, als ich feinen Namen nannte, oh, and wie ihr Antlig ftrahlte, als fie ihn fommen hörte! Sa, fie liebt ihn, und ih? — Ich werde -auf mein Comptoir gehen! fagte er mit einem Lächeln, das die Thränen in feinen Augen verfchleiern follte. IV. Die Rivalen. Der Baron hatte indeß kaum die Thür des Cabinets hinter ſich geſchloſſen, als der junge Fürſt von Liechtenſtein zu Fanny hineilte, und ihre Hand ungeſtüm ergreifend, ſie mit leidenſchaftlichen zürnenden Blicken anſchaute. ,‚ Sie thaten Das, um mir weh zu thun, nicht wahr? fragte er mit bebenver Lippe. Sie wollten mir beweifen, daß ich mich gar‘ feines Vorzugs, Feiner befondern Guuft zu erfreuen babe. Chegeftern noh waren Sie fo gütig, mir zu verfihern, daß noch niemals ber Fuß eines Mannes dies Gemad, betreten habe, daß ich der Erſte fei, dem es ſich heute öffnen ſolle. Und ich eitler Thor glaube Ihren be- feligenden Worten, ftürze, fo früh e8 der Anſtand und Reſpect nur irgend erlaubt, hierher und finde Sie dennoch nicht mehr allein! 419 Es war mein Gemahl, welder hier war, fagte Fanny beinahe entfchuldigend. Es war ein Mann! rief er heftig, und Sie hatten mir die heilige Berfiherung gegeben, daß noch nie einem Manne fi diefe Thür ge- öffnet habe. Dh, mein Gott, ich hatte mir diefe Gnade, heute hierher fommen zu dürfen, auf meinen Knieen und mit Thränen von Ihnen ‚erfleht, e8 war mir, als ob fi) heute die Pforten des Paradieſes vor mir öffnen follten, fein Schlaf kam diefe Nacht in meine Augen, das felige Bewußtfein diefes zu mir heranfchwebenden Glüds hielt mich wach, e8 flatterte über mir wie ein lächelnder Cherub und ich träumte mit offnen Augen! Und nun die träge, fchleppende Zeit endlich abgelaufen iſt, und ich hierher ftürze, finde ich in meinem Parabdiefe neben meinem Cherub ein Rechenerempel, welches mein Paradies entweiht mit Zahlen und — Ich bitte Sie, nicht weiter, unterbrad ihn Fanny fireng. Sie fanden bier meinen ‚Gemahl, und damit Töft ſich freilich Die ganze Poeſie Ihrer Worte in einfache Profa auf, denn Diejenige, welde Sie in Ihrer hochpoetifhen Weife Ihren Cherub nannten, ift einfach die Gemahlin diefes edlen und braven Mannes, den Ste Sich erlaub- ten, mit einem Rechenexempel zn vergleichen. Dh, mein Gott, Sie zürnen mir, rief der junge Fürft ſchmerzlich. Sie haben feine Nachſicht mit meinem Schmerz, mit meiner Ent- täuſchung, ja, meiner Beihämung! Sie haben mid, fo hart geftraft für meinen Uebermuth, und wollen nit einmal, daß ſich mein Herz aufbäume in Schmerz, daß es feinem Zorn Worte verleihe? Ich weiß nit, worin Ihr Uebermuth beftanden hat und alfo fonnte ich auch nicht daran denken, Sie ftrafen zu wollen, fagte Fanny, aber ich: weiß, daß Sie nicht berechtigt find, Denjenigen zu infultiren, deſſen Namen id) trage. Sie wollen mid alfo zur Verzweiflung bringen! rief der Fürſt, wild mit dem Fuße auf den Boden ftampfend. Es ift aljo nicht genug, daß Sie mid Ihren Gemahl hier finden lafen, Sie müffen ihn aud) vor mir lobpreifen! Ich will Ihnen fagen, worin ich übermüthig war! Darin, daß ich es als eine mir vor allen Andern zugeflandene Gunft betrachtete, bier eintreten zu dürfen, und Sie haben mich für biefen 27 * - 420 Uebermuth geftraft, indem Sie mir beweifen, daß dieſe Thür fi auch Andern öffnet, obwohl Sie mir geftern pas Gegentheil verficherten. Sie zweifeln alfo an meinen Worten? fragte Fanny. Dh, fagte er ungeftüm, was man mit eigenen Augen fieht, läßt fih nicht mehr bezweifeln. Und da Sie Sid alfo jegt von meiner Wortbrüdigfeit mit eignen Augen überzeugt, da Sie gejehen haben, daß Jedermann hier eintreten kann, da alfo der Aufenthalt hier für Sie gar fein Intereſſe mehr haben fann, jo würde ich Ihnen rathen, dieſes Gemach jogleich wieder zu verlajfen, fagte Fanny ernft. Sie weilen mir die Thür? Sie werfen mid hinaus? vief der Fürſt ſchmerzvoll. Oh, haben Sie Erbarmen mit mir! Nein, wenden Sie Sich nicht von mir! Schauen Sie mid an, lefen Sie in meinem Antlig die Verzweiflung, welde meine Seele erfült. Wie, immer noh abgewandt? Ich befhwire Sie, gönnen Sie mir nur Einen Blid, jagen, Sie mir nur mit dem Schimmer eines Lächelns, daß Sie . mir vergeben wollen, und ih will Ihren Befehlen gehorchen, ich will gehen, und wäre es auch nur, um nicht hier unter Ihren Augen, jon= dern da draußen auf der Schwelle Ihrer Thür zu fterben! Ach, als ob das Sterben eine fo leichte Sache wäre! rief Fanny, indem fie ihr Antlig dem Fürſten zuwandte. Sie hauen mid an, Sie haben mir alfo wieder verziehen! rief der junge Mann, und mit einer leidenſchaftlichen Bewegung vor ihr nieberftürzend, faßte er ihre Hände und drüdte fie an feine Lippen. Stehen Sie auf, ob, ich bitte, ftehen Sie auf, fagte die Baronin, bedenken Sie, es künnte Jemand fommen! Sie willen ja jegt, daß Jedermann bier eintreten darf! Rein, nein, ih weiß, daß Niemand hier eintreten darf, rief er glühend, ich weiß, daß Dies hier ein Sanctuarium ift, das fein Un: geweihter noch betreten hat, ich weiß, das dies die heilige Zelle ift, in der Ihr jungfräuliches Herz feine Gebete und feine Klagen, melde nur Gott fennt, ausfeufzte, ich weiß, daß niemals eined Mannes Fuß dieſe Schwelle überfchritten hat, und ich bfeibe auf meinen Knieen, wie 421 man es vor einer Heiligen thut, der man feine Sünden befennt, und von der man Abfolutien erfleht. Wollen Sie mir vergeben? , Ich will es, fagte fie, fi) lächelnd zu ihm neigend, ich will es, und wär’8 auch nur, um Sie von Ihren Knieen ſich erheben zu fehen. Und da Sie jegt Ihr Unrecht einfehen hınd bereuen, will ich Ihnen auch die Wahrheit fagen. Es war ein Zufall, daß ter Baron grade heute hierher fam, und es war das erfte Mal feit meiner Verheirathung. Auch fam er nicht, wie er in zartfinniger Selbftverfpottung fagte, um mit mir zu rechnen, fondern ein Berfprechen zu erfüllen, das er mir vor fünf Jahren gegeben hat, und deſſen ih — ich befenne es zu meiner Befhämung, nicht eingedenf gewejen, jo daß ich, ftatt meinen Gemahl zu erwarten, Ihnen erlaubte, hierher zu kommen. Ih danke Ihnen für Ihre gütigen Worte, die wie ein milder Balfam ale Wunden meines Herzens heilen, rief der Fürſt. Ob, jegt fühle ich mich wieder geſund, wieber ſtark, Gie der ganzen Welt abzutrogen. Und wiffen Sie denn aud, ob Sie mich mir felber abtrogen fönnen? fragte Fanny lächelnd. Sa, rief er, ich weiß das, denn in der wahren Liebe liegt eine Kraft, der Alles weichen, Alles fid) unterorpnen muß. Und ich liebe Sie wahrhaft, Sie willen es, Sie find davon überzeugt, wie man von dem Daſein Gottes überzeugt ift, obwohl man ihn nicht fieht. Sie wiſſen, daß ich Sie liebe, jeder Athemzug, jeder Blick, jedes Beben meiner Stimme jagt es Ihnen, aber Sie? Lieben Sie mid? Dh, ich beſchwöre Sie, haben Sie endlich Mitleid mit mir! Sprechen Sie endlih ein Wort des Erbarmens, der Theilnabme, laffen Sie es mic) wenigftens in Ihren Augen lefen, wenn Ihre Lippen zu ftreng find, es ausfprehen zu wollen. Ich bin heute gefommen mit dem feften Entfchlufle, von Ihnen mein Entzüden, oder meine Verdammniß zu empfangen. Die Marter diefer Ungewißheit tödtet mich, und ich will endlich Gewißheit, endlich Entſcheidung haben! Fanny, fagen Sie e8 mir, lieben Sie mid? Fanny antwortete nicht fogleih, fie ftand geneigten Hauptes, in fi) verſunken da, aber. fie fühlte die glühenvden Bike, wear ui Tür 422 ruhten, und ihr Herz erbebte davon in füßem Schauder. Sie faßte fi) aber gewaltfam zufammen, und ihr Haupt emporhebend, wandte fle ihre Augen mif ſchmerzvoll fanften Bliden auf den jungen Mann bin, der athemlos und bleich vor Aufregung ihre Antwort erwartete. Gie fragen, ob id Sie liebe, fagte fie mit leifer, aber fefter Stimme, Sie fragen das und ftehen an derfelben Stelle, an weldyer ver einer PViertelftunde mein Gemahl ftand, um auch eine Frage an mid zu richten. Ihre Frage darf ich nicht beantworten, denn ich bin verheirathet, und ich habe vor vem Altar meinem Gemahl Treue ge- ſchworen, und diefe wenigftens muß ich ihm bewahren, da mein Herz ihm feine Liebe zu geben hat. Aber ich will Ihnen doch einen Beweis geben, wie fehr ich Ihnen vertraue, ih will Ihnen fagen, weshalb mein Gemahl heut hieher fam und was das für eine Frage war, weldye er an mich richtete. Still, unterbredhen Sie mich nicht, fügen Sie nit, daß mein Gefpräd mit dem Baron gar fein Intereffe für Sie hat! Hören Sie mih an! Der Baron Fam hierher, um, ba die fünf Jahre Bedenkzeit, weldye wir Beide uns beftimmt hatten, heute abgelaufen waren, mid zu fragen, ob ih den Namen feiner Gemahlin weiter führen, oder ob ich mich yon ihm feheiden laffen molle? Und was antworteten Sie ihm? fragte der Yürft athemlos. Ich antwortete ihm, wie ich Ihnen vorher antwortete: „ich habe vor dem Altar meinem Gemahl Treue gefchworen, und dieſe wenigſtens muß id) ihm bewahren, da mein Herz ihm feine Liebe zu geben bat!“ Ah, Sie fagten ihm, daß Sie ihn nicht liebten, vief der Fürſt freudig aufathmend. Und nad diefem Bekenntniß fühlte er, daß er Ihrer Scheidung keinen Wiverftand mehr entgegenfegen bürfe, denn fein Herz ift großmüthig und zartfinnig, und er wird aljo eine Frau nicht gewaltfam an fich feſſeln wollen, welde ihm fagt, daß Sie in fünf Jahren des Beifammenlebens ihn nicht lieben gelernt hat! Oh Fanny, weld ein unbefchreiblihes Glück eröffnen Sie mir dal Gie werben alfo frei fein, Sie werden an Ihrer Hand Feine Feſſel mehr tragen! . Ich habe Ihnen noch nicht erzählt, welche Antwort ich meinem Gemahl gab, als er mir dann abermals es frei ftellte, mid von ihm 423 zu fcheiden, fagte Fanny mit einem traurigen Lächeln. Ich antwortete ihm, daß Alles bleiben folle, wie es bisher gewefen, daß ich nicht ihm und mir die Schmad einer Scheidung auferlegen wolle, daß wir, da wir uns einmal doch ohne Liebe aneinander gefeflelt hätten, dieſe Tefjeln nun auch würdig, treu und ehrlich tragen wollten und müßten bis an unfern Top. Das ift nicht möglich! vief der Fürſt. Sie konnten, Sie durften nicht fo graufam fein gegen ſich felbft, gegen den Baron und aud gegen mih! Und wenn Sie in der Eraltation des Moments diefes Wort der Verdammniß auch gefproden, fo werden Sie es, wenn Sie ruhig und bejonnen überlegen, wieder zurüdnehmen. Oh, fagen Sie, daß Sie das wollen, jagen Sie, daß Sie frei jein werben, frei, damit ich vor Ihnen niederfnieen und Sie anflehen darf, mir dieſe Hand zu geben, welche keine Feſſeln mehr binden, meine Gemahlin zu werben, und mir zu geftatten, es zu verfuchen, ob es meiner grenzenlofen, an- betenden Liebe gelingen kann, Ihnen das Glüd zu geben, deſſen Nie- mand fo würdig ift, wie Sie. Spreden Sie e8 aus, Fanny, fagen Sie, daß Sie frei fein, daß Sie dann einwilligen wollen, meine Ge— mahlin zu werben! Ihre Gemahlin! fagte Fanny mit einem traurigen Lächeln. Gie vergeflen alfo, daß es nicht blos mein Gemahl ift, der mich von Ihnen trennt, fondern daß aud meine Religion uns fcheidet. Die Jüdin fann niemals die Gemahlin des Fürften von Liechtenftein werben! Sie werben den Schein einer Religion vbn fi) werfen, welche doch nicht mehr die Ihrige ift! rief der Fürſt. Sie find Ihrer Bil- dung, Ihren Gewohnheiten, Ihrer ganzen Lebensanfhauung nad) feine Jüdin mehr! Verlaſſen Sie alfo die Hallen des Tempels, in welcdem Ihr Gott nicht mehr wohnt, treten Sie ein in die große Kirche, welche die Menfchheit exrlöft hat, und welche jest auch Sie erlöſen joll! Be— kennen Sie ſich zu der driftlihen Religion, welche die Religion ver Liebe ift! | | Niemals, rief die Baronin feft und entjchieden, niemals werbe ich meine Religion verlaffen, meinen Ölauben abſchwören, weldem meine Familie ‘und mein Geſchlecht in Treue angehangen hat, feit Jobhr⸗ 424 taufenden. Der Fluch meiner Aeltern und meiner Urältern würde bie abgefallene Tochter unferes Stammes verfolgen und würde fi wie ein unheilkrächzender Uhu auf das Dad) des Haufes fegen, in welches die treulofe Tochter Juda's, Die neugefchaffene Chriftin, einziehen würbe, um ſich eim neues Glüd zu begründen. — Niemals — aber was ift das, unterbrach fie ſich auf einmal felber, was bedeuten diefe Stimmen? | Wirklih wurden in diefem Moment in dem anftoßenden Salon mehrere Stimmen laut, die heftig, drohend, abwehrend und bittend fidy untereinander mifchten. Ih fage Ihnen, die Frau Baronin ift zu Haufe und fie empfängt Beſuche, rief die heftige, drohende Stimme. Und ich verfichere Ew. Gnaden, daß die Frau Baronin nicht zu Haufe find, und alfo feine Bejuche empfangen, erwiderte die abwehrende und bittenbe Stimme. Es ift der Freiherr von Weiche, der ftolze Domherr, welcher bier wie überall den Herrn fpielen will, fagte der Fürft verächtlich. Und mein Haushofmeifter weift ihn zurüd, weil ich Befehl gegeben babe, heute Niemand mehr anzunehmen, flüfterte Fanny. Ueber des jungen Fürften Antlig flog ein Strahl feligen Ent- züdene Er ergriff Fanny's beide Hände und fie mit Ungeftüm an feine Lippen preſſend, flüſterte er: ich danke Ihnen, Fanny, ich danke Ihnen! Die Stimme in dem Salon ward indeß immer lauter, immer drohender. Ich weiß, daß die Frau Baronin zu Hauſe iſt, rief ſie, und ich verlange von Ihnen, daß Sie mich anmelden. Aber Ew. Gnaden wiſſen doch, ſagte die ſanfte Stimme des Haus⸗ hofmeiſters, daß, wenn die Frau Baronin zu Hauſe ſind, ſie immer um dieſe Stunde hier im Salon ſind, und ohne förmliche Anmeldung ihre Beſuche empfangen. Das beweiſt nur, daß die Frau Baronin heute in irgend einem andern Zimmer ihre Beſuche empfängt, rief die Stimme des Freiherrn von Weichs. Ich weiß mit Beſtimmtheit, daß die Frau Baronin ſogar eben Beſuch bei ſich hat. Gehen Sie alſo, und melden Sie mich. Es 425 fteht alsdann der Baronin frei, mid) abzumeifen, und ich werde dann wiflen, daß die Baronin es vorzieht, mit dem Herrn, weldyer Bei ihr ift, allein zu bleiben. Ah, dieſer Domher wird unverfhämt, wie es ſcheint, rief der Fürſt mit bligenden Augen, nad der Thür binfchreitend. Die Baronin faßte feine Hand und hielt ihn zurüd. Achten Sie nicht aufihn, fagte fie bittend, laffen wir meinen Haushofmeifter dieſen Streit mit dem Uebermüthigen ausmahen! Hören Sie nur, er bittet ihn: ſchon ganz höflich und beftimmt, ven Salon zu verlaffen. Und dieſer Menſch hat die Hardiefla, e8 zu verweigern, fagte ber Fürft, ob, hören Sie nur, mit welchem Lachen! Diefes Laden ift eine Beleidigung, für welche er Züctigung verdient! Und gleichſam als folle ven Worten des Fürften auch ſogleich die That folgen, hörte man jest in vem Salon eine britte Stimnie, weldye mit ftolzen, zürnendem Ton fragte: was geht hier vor? Und wer erlaubt fih, in dem Salon der Baronin fo ungebührlid zu fchreien ? Ah, es ift mein Gemahl, flüfterte Fanny aufathmend. Er wird diefen übermüthigen Herrn von Weichs hinaus complimentiren, und ich werde auf immer von ihm befreit fein. Er bat es aljo ſchon gewagt, Ihnen läftig zu fallen? fragtg ter Fürft, feine drohenden Blide nah der Thür hinwendend. Ob, ic werde Sie von dieſem Tollen befreien, denn ich fage Ihnen, die fanft- müthigen Worte Ihres Gemahls werden das nicht vermögen. Der Freiherr von Weichs ift fein Mann, welcher vernünftigen Vorftellungen oder den Anforderungen der Convenienz und Schicklichkeit Gehör giebt. Er hat die hohe Schule der Fibertinage durchgemacht, und jeder Wider- ftand reizt ihn zu leidenſchaftlichem Kampf, bei dem es für ihn Feine Rüdfihten und Feine Bedenken giebt. Nun, habe ih nicht Recht? Wagt er es nicht, jelbft Ihrem Gemahl zu trogen? Hören Sie nur! Ih bebaure, Ihrer Aufforderung, dieſes Zimmer zu verlaffen, nicht Folge leiften zu können, rief jegt die Stimme des Domherrn von Weichs. Sie jagten es eben felbft, Herr Baron, wir befinden ung hier im Salon der Frau Baronin, und folglid find aud, felbft Sie 426 bier nicht der Herr und Gebieter, fondern nur ein Beſuch gleicy jedem andern. Demzufolge haben Sie aljo auch feine Berechtigung, Andere hinaus zu weifen, um fo mehr, da Sie felber nicht einmal wifjen, ob Sie zu den Begünftigten gehören, und ob die Frau Baronin Sie empfangen wird. Ich übergehe das Unziemlihe und Beleidigende in Ihren Worten mit Stillfchweigen, Herr Baron, fagte die ruhige Stimme des Baron von Arnftein, es fommt mir in dieſem Augenblid nur darauf an, meine Gemahlin vor jeder Unbill und Beleidigung zu ſchützen. Es ift aber beleidigend, wenn ein Savalier, nachdem man ihm gejagt, daß bie Dame, weldye er mit feinem Beſuche beehren will, nit zu Haufe ift, oder feine Beſuche empfängt, dennoch nicht weichen will, und ver- langt, empfangen zu werden. Ich hoffe, der Domberr, Freiherr von Weichs, wird nad) biejer Erklärung die Güte haben, den Salon zu verlaſſen. Ich bedauere, dieſe Hoffnung nicht verwirklichen zu können, ſagte die höhnende Stimme des Domherrn. Ich bin jetzt hier mit dem vollen Bewußtſein, daß ich dieſen Salon nie wieder betreten kann, und deshalb bin ich auch zu dem Aeußerſten entſchloſſen, deshalb will ich an dieſer ſchnöden Abfertigung mir nicht genügen laſſen. Ich weiß, daß die Baronin zu Haufe iſt, und ich kam hierher, um mich zu über- zeugen, ob es wirklich wahr ift, mas das Gerücht fagt, daß die Frau Baronin, welde mir immer mit fo tugenphafter Strenge und ab- wehrender Kälte begegnet, gegen Andere milder und gütiger ift, und ob ich wirklid einen begünftigten Nebenbuhler habe! Ich hoffe, daß ich diefer begünftigte Nebenbuhler bin, fagte Herr von Arnftein janft. Nicht doc, rief der Domherr mit einem rauhen Rachen, ein Ehe- mann ift niemals ein Nebenbuhler für die Anbeter feiner Frau. Wären Sie bei Ihrer Gemahlin und ließen mich abmeifen, fo würde mid das gar nicht beunruhigen, und ich würde mich auf ein ander Mal vertröften. Aber der Umftand ift eben, daß ein Anderer bei ihr ijt, daß fie fich verleugnen läßt, und daß Sie, gutmüthiger als ich, es zu glauben fcheinen, daß die Baronin nit zu Haufe ift. 427 Aber diefe Unverfhämtheit überfteigt alles Maaß, rief ver Fürft empört. Freilich, jagte Fanny düſter, der chriftlihe Domherr giebt feiner Beratung gegen den jüdiſchen Baron vollen und genügenden Ausprud. Die chriftliche Liebe findet allzeit ein feliges Genüge daran, den Juden zu bemüthigen und in den Staub zu treten. Und der Jude ift es fo gewohnt, getreten zu werden. Auch mein Gemahl verleugnet dieſe Ihöne Eigenfhaft unferes Stammes nicht! Hören Sie nur, wie ruhig und demüthig feine Stimme bleibt, während die andere ihn mit jedem Ton ſchon beleidigt! Er ſoll ihn nicht mehr beleidigen, ſagte der Fürſt gluühend, ich will — aber was iſt das? Ward da nicht mein Name genannt? Und er neigte ſich näher zu der Thür hin, um in athemloſer Spannung zu horchen. Und ich wiederhole es Ihnen, mein Herr Baron, ſagte die Stimme des Domherrn ſchneidend, Ihre Gemahlin iſt zu Haufe, und der junge Fürſt von Liechtenftein ift eben’bei ihr! Ich fah ihn fein Hötel ver- laffen und ich bin ihm nachgegangen, ich fah ihn vor einer halben Stunde bier in Ihr Hötel eintreten, und ich begab mid, in das Ihnen gegenüber liegende Caffeehaus, um meine Beobachtungen zu machen, und ich weiß daher, daß der Fürſt Ihr Hötel nicht wieder verlafien hat. Da er aber nicht bei Ihnen ift, fo befindet er ſich alfo bei Ihrer Gemahlin, und da dies die gewöhnliche Stunde ift, in weldyer die Ba- ronin ihre Morgenbefuhe empfängt, fo bin ich jo gut wie jeder Andere berechtigt zu erwarten, daß ich angenommen merbe. Und wenn ih Ihnen fage, daß Sie heute nicht angenommen werben? So werde ich annehmen, daß die Baronin fih in ihrem Bouboir mit dem Fürften LTiechtenftein befindet, und nicht geftört fein will, rief die Stimme des Domherrn. Ja, mein Herr, ich werde alsdann Sie und mic gleich fehr zu beklagen haben, denn wir Beide find alsdann getäufcht, und um ſüße Hoffnungen betrogen. Wir Beide werben als- dann einen begünftigten Nebenbuhler haben an biefem Kleinen Fürften, dieſem eitlen, jungen Geden, ver fich ohnebies ſchon einbilvet, ein 428 Adonis zu fein, der die lächerliche Prätenfion fo weit treibt, mit feinem Heinen Fürftentitel und feinem Knabengefiht Männern von Geift und Berdienft den Vorrang abzugemwinnen, der — Mein Gott, wozu ift es denn nöthig, diefes Alles fo laut auszu- rufen? fragte dic ängftlihe Stimme des Barons. Ah, Sie glauben alfo, daß er mich hören fann? fragte die Stimme des Domherrn mit triumphirendem Hohn. Er ift alfo ganz in ber Nähe? Nun, ich fage es alfo noch lauter, dieſer Kleine Yürft Carl von Liechtenftein ıft ein eitler Knabe, den man züchtigen muß, wie es Knaben verdienen! Der Fürft fprang zu der Thür bin, bleich, mit bebenden Lippen, mit funfelnden Augen. Aber die Baronin legte ihre beiden Hände um feinen Arm und hielt ihn zurüd. Sie werben nicht gehen, flüfterte fie, Sie werden mich nicht fo befchimpfen, ihm durch Ihr Erfcheinen zu beweifen, daß er Recht hatte und daß Sie bei mir waren, während ich mich verleugnen ließ. Aber hören Sie denn nit, daß er mid befchimpft? fragte der junge Fürft, bemüht, fih von ihren umklammernden Händen frei zu machen. Warum hören Sie au andere Stimmen, wenn Sie bei mir find? rief fie vorwurfsvol. Was kümmert Sie die Meinnng jenes Menfchen, den ich aus tiefiter Seele verabfcheue, und den man allgemein nur in feinem Salon duldet, weil man feinen Jähzorn und feine böfe Zunge fürdtet! Oh, hören Sie nicht auf ihn, mein Freund! Gie find hier bei mir und ich habe Ihnen noch fo Vieles zu fagen. Aber Sie achten nicht auf mi! Ihre Blide find immer nad der Thür hingewanpt! DH, mein Gott, fehen Sie midy doch an, hören Sie, was ich Ihnen zu fagen habe! Ich bin Ihnen noch eine Antwort fchulbig, nicht wahr? Nun denn, ih will Ihnen jegt antworten auf die Frage, weldhe Sie mir ſchon fo oft gethan, und die ich nody nie anders als mit it Schweigen beantwortet habe! Oh, nicht jegt, nicht jegt, murmelte der Fürft. Doch, id will Ihnen jegt jagen, was ſchon feit lange als fußes Geheimniß in meiner Seele brennt, flüſterte Fanny, immer bemüht, 429 ihn von der Thür fortzuziehen. Sie haben mich oft gefragt, ob ich Gie liebe, und mein Herz gab die Antwort, die meine Lippen, ſich ſträubten auszuſprechen. Aber jetzt will ich es Ihnen bekennen, ich liebe Sie, ja, meine ganze Seele gehört Ihnen! Ich habe mich heimlich nach der Stunde geſehnt, wo ich Ihnen dies endlich bekennen, wo mein Herz aufjauchzen würde zu dem ſüßen Wort: ich liebe Sie! Mein Gott, Sie hören es und Sie bleiben ftumm und Sie wenden Ihr Haupt ab? Verachten Sie mich jetzt, weil ich, die verheirathete Frau, Ihnen befenne, daß id Sie liebe? Sol Ihr Schweigen mir lagen, dag Sie mid nicht mehr lieben? Er kniete vor ihr nieder und küßte ihr Gewand und ihre Hände. Ih liebe Sie grenzenlos, jagte er mit fliegendem Athen, Sie find für mid der Inbegriff alles Glüdes, aller Tugend und aller Schönheit. Ih werde Sie lieben und anbeten big zu dem legten Hauch meines Lebens! MWenn ver Fürſt Earl von Liechtenftein hier in der Nähe ift, rief die Stimme des Domherrn dicht vor der Thür, wenn er meine Worte bören fann, fo fol er hören, daß ich ihn für einen Yeigling, einen Narren und einen Betrüger erkläre, für einen Feigling, weil er hört, baß man ihn beleidigt, befchimpft und dazu fchmweigt, — Der Fürft, feiner Ueberlegung, feiner Befonnenheit mehr fähig, ſprang zur Thür bin, und die Baronin, welche ihm in den Weg treten wollte, mit wilden Ungeftüm zur Seite drängend, riß er die Thür auf. Nein, rief er mit drohender Zornesftimme, nein, der Fürft Carl von Liechtenftein läßt fih nicht ungeftraft befchimpfen und er forvert Genugthuung für jede ihn angethane Beleidigung. Ah, rief der Domherr, jih mit einem wilden, triumphirenden Laden an Herrn von Arnftein wendend, fügte ich Ihnen nicht, daß der Fürft fih in Ihrem Hötel verftedt halte? Berftedt halte! rief der Fürft, mit wuthbligenden Augen zu feinem Feind binfchreitend. Wiederholen Sie das Wort noch einmal! Ich wiederhole es, fagte der Domherr mit herausfordernder Kälte, Sie hielten fih in diefem Hötel verftedt, denn Niemand wußte von Ihrer Anweſenheit, weder der Haushofmeifter nody der Baron. Sie hatten ſich bier eingefchlichen wie ein Dieb, der koftbare Schäge fehlen 430 will, und freilich war es aud Ihre Abficht, dies zu thun, nur daß Sie nicht die Brillanten der Schönen Baronin ftehlen wollten, fondern — Ich verbiete Ihnen, den Namen der Baronin zu nennen, rief er Fürſt ftolz. Und ich beſchwöre Sie, die Baronin nicht zu compromittiren, indem Sie fie in Ihren Streit mifchen, flüfterte Herr von Arnftein raſch dem Fürften in’s Ohr, dann wandte er. fi zu dem Domherrn, deſſen Blicke mit einem trogigen, herausforbernden Ausdruck auf dem Fürften ruhten. Sie irren fi, mein Herr, fagte er, der Herr Fürft Carl von Mechtenftein war nicht heimlich hierher gelommen. Er wünfchte, der Baronin feinen Beſuch zu machen, und da diefelbe, wie Sie wiſſen, nicht zu Haufe ift, erzeigte mir der Yürft die Ehre, fih mit mir in jenem Zimmer dort zu unterhalten, als wir in unferm Geſpräch auf einmal durch den Lärmen unterbrochen wurden, den e8 Ihnen beliebte, bier im Salon zu maden. Und demgemäß, da Sie in jenem Zimmer waren beliebte, e8 Ihnen, durch diefe Thür hier in den Salon einzutreten, höhnte der Domherr, auf die beiden gegenüber liegenden Thüren hindeutend. Aber warum fam den der Fürft nicht mit Ihnen? Mein Gott e8 wäre dod fo natürlich gemwefen, daß der eine Hausfreund der ſchönen Baronin den andern begrüßt. Ich kam nicht, weil ich hörte, daß Sie da wären, fagte der Fürft verächtlich, und weil ich Ihre Nähe zu vermeiden pflege. Ah, Sie find alſo eiferfühtig auf mid, fragte der Domherr. Was gefällt Ihnen denn nicht an mir, daß Sie meine Nähe fliehen ? Ich fliehe vor Niemand, jelbft nicht vor giftigen Ottern und vor Ihnen, fagte der Fürft ftolz, ich vermied Sie aber, weil mir Ihre Naſe nicht gefällt. Hören Sie wohl, mein Fleiner impertinenter Domberr, Ihre Nafe gefällt mir nit, und ich verlange von Ihnen, daß Sie mich diefelbe niemals wieder ſehen laſſen! “ Ah, ich verftehe, rief der Domherr lachend, Sie wollen aus zarter Schonung für die ſchöne Baronin, — verzeihen Sie, daß ich troß Ihres Verbotes dieſe liebenswürbige Dame immer wieder nennen muß — unjerm Streit eine andere Richtung geben, und meine unfchuldige "431 Naſe foll die böte de souffrance fein! Aber ih werde auf diefe Liſt nicht eingehen, mein Fürft, und fagen Sie felbft, mein lieber Herr Baron von Arnftein, könnten Sie felber es dulden, daß wir den Streit, den wir um Ihre Frau Gemahlin begonnen haben, um meine Naſe fortfegen, und fo gewiffermaßen die ſchöne Baronin von Arnftein hinter meiner Nafe verbergen? Die Baronin von Arnftein hat gar feinen Grund, ſich zu verbergen, fagte der Baron falt und ftolz; da fie nicht die Veranlaffung dieſes Streits geweſen ift, fo weiß ich nicht, wie man ihren Namen in den⸗ jelben mifchen wollte. Sie find hierher gefommen und haben fi auf eine fo ungebührlihe Weife benommen, daß ich meinem Hanshofmeifter zu Hülfe fommen mußte. Es bat Ihnen alsdann beliebt, Befhimpfungen gegen den nicht anwefenden Fürſten von Xiechtenftein auszuftoßen, und da derjelbe in der Nähe war und Ihre Beleidigungen hörte, fam er, Sie zur Rechenſchaft zu ziehen. Und Ihnen zu jagen, daß Ihre Nafe mir nicht gefällt, und daß ih mir erlauben muß, Ihnen mit meinem Degen biefe impertinente Spige Ihrer Nafe abzuoperiren, rief der Fürſt, indem er die Spiten feiner Finger gegen die Nafe des Domherrn fchnellte. Jetzt war e8 der Domberr, der erbleichte und deſſen Augen auf- flommten vor Zorn. Sie wagen e& mich zu beleidigen? fragte er drohend. Sa, ich geftehe, daß das recht fehr meine Abſicht ift, rief der Fürft lachend. Aber Sie werden mir für diefe Beleidigung Oenugthuung geben! fhrie der Domherr. | Mit dem größten Vergnügen, fagte der Fürft. Nur ift hier nicht der Ort, biefes Geſpräch fortzufegen. Kommen Sie, mein Herr, laffen Sie uns gemeinſchaftlich dieſes Haus verlafien, um Zeit und Stunde zu verabreden und — In diefem Augenblid wurden vie Ylügelthüren des Vorfaals weit aufgerifjen und die Stimme des Haushofmeifters rief: Die Frau Baronin! ° Ein Ausruf des Schredens tönte von den Lippen ber brei Herren, und ihre Blide richteten fih nad der Thür hin, deren Schwelle Fanny von Arnftein eben überfchritt. Sie fchien fo eben heimzufehren, denn 432 ihre hohe Geftalt war noch umhüllt von dem langen golpgeftidten türkiſchen Shawls, ein reizendes, mit Blumen und Federn geziertes Hütchen bevedte ihren Kopf, und in ihrer Hand hielt fie einen jener foftbaren, mit Epeljteinen ausgelegten, großen Fächer, deren man fi damals ftatt der Sonnenfhirme bediente. Sie begrüßte die Herren mit einem reizenden Lächeln, nicht der Fleinfte Zug von Sorge ober Unruhe war in ihrem heitern Angeficht, nicht der kleinſte Schimmer einer Thräne verdunfelte den Glanz ihrer dunfeln Augen. Sch habe die Herren um Entjehuldigung zu bitten, daß ich Gie warten ließ, obwohl es die Stunde ift, in der ich fonft immer Beſuche zu empfangen pflege, fagte die Baronin vollflommen unbefangen. Allein ich hoffe, mein Gemahl wird mid) vertreten und Ihnen gefagt haben, daß ich ‚in einer Sitzung unfers jüdiſchen Armenvereins zu präfipiren hatte, und Sie werden mir zugeftehen, daß das eine Pflicht ift, der ih mid nicht entziehen durfte. Ah, Sie lächeln, Herr von Weib. Sie jollen mir erflären, was dieſes Lächeln zu bedeuten hat, und ob Sie vielleicht damit jagen wollen, daß es für uns rauen gar feine ernfthaften Pflichten giebt! Kommen Sie, meine Herren, fegen wir ung, und hören wir, wie Herr von Weihe fein Lächeln zu vertheidigen willen wird! Geben Sie ſich bier zu meiner Rechten, mein Yürft, Sie bier zu meiner Linken, Herr von Weiche, und mein Gemahl möge als erſter Kampfrichter uns gegenüber Plaß nehmen! Ih bedaure, Ihrer liebenswürtigen Eimlatung nicht mehr Tolge leiften zu können, fagte ver Domherr finfter, Sie haben mich zu lange warten laffen, Frau Baronin, jest ift meine Zeit abgelaufen und ich ziehe mich zurüd. Sie begleiten mid) wohl, Fürft Liechtenſtein? Ja, ich begleite Sie, fagte der Fürft, denn auch meine Zeit ift leiver abgelaufen und ih muß fort. Nicht doch, rief die Baronin lächelnd, Sie werben noch hier bleiben, Fürſt. Ich wage e8 nicht, ten Domberrn feinen wichtigen Geſchäften entziehen zu wollen, aber Sie, mein Fürft, haben feinen ſolchen Vorwand, um mich zu verlaffen, ich befehle Ihnen alfo zu bleiben und mir zu erzählen, wie das gejtrige Hofconcert ausgefallen ift. Ih bin fo unglücklich, Ihren Befehlen nicht gehorchen zu können, 433 fagte der Fürft traurig. Allein ih muß fort. Sie ſprachen foeben davon, gnädige Frau, daß eine ernfte Pfliht Sie von bier fern gehalten, nun, es ift eine ernfte Pflicht, welche mich von bier forttreibt, ich darf alfo nicht bleiben. Leben Sie wohl und erlauben Sie mir, Ihnen zum Abſchied Die Hand zu küſſen. | Sie reichte ihm ihre Hand dar, die falt war wie Eis und in ber feinen zudte und bebte. Er preßte feine glühenden Lippen auf dieſe Hand und ſchaute zu ihr empor. Ihre Augen begegneten ſich mit einem letten, zärtlihen Liebesblid, dann richtete der Fürſt fi empor und wandte fih an den Domherrn, der leife und angelegentlich mit Herrn von Arnſtein geſprochen hatte. Kommen Sie mein Herr, laſſen Sie uns gehen, ſagte er ungeſtüm, indem er haſtig der Thür zuſchritt. Ja, laſſen Sie uns gehen, wiederholte der Domherr, und ſich tief vor der Baronin verneigend, wandte er ſich ab und folgte dem Fürſten. Fanny ſchaute ihnen nach in athemloſer Angſt, mit entſetzten Blicken. Dann, als die Thür ſich hinter ihnen ſchloß, legte ſie raſch ihre Hand auf die Schulter ihres Gemahls und ſchaute ihn an mit dem Ausdruck innerer Todesangſt. Sie werden ſich ſchlagen? fragte ſie. Ich fürchte es, ſagte der Baron düſter. Die Baronin ſtieß einen Schrei aus, und rückwärts taumelnd, ſank ſie ohnmächtig zuſammen. — In der Frühe des nächſten Morgens ſtanden im Waldesdickicht, unweit von Wien, vier Männer mit ernſten Mienen und düſtern Blicken einander gegenüber. | Zwei von ihnen waren eben im Begriff, ſich ihrer ſchweren gold- geſtickten Röde zu entlevigen, um fich einander gegenüber zu treten, die freie, bloße Bruft nur gefhütt von dem feinen Batijthemd. Das waren ber Fürft Earl von Liechtenftein und der Domherr Freiherr von Weichs. Die beiden Andern waren mit bem Laden der Biftolen und dem Abzählen der Schritte beſchäftigt, das waren der Baron von Arnftein and der Graf Palfy, die Secundanten ber beiden Feinde. Als fie Müuhlbach, Napoleon. 1. Bb. BR 434 die traurige Arbeit vollendet Hatten, näherten fie fi den beiden Herren, um einen legten Verſuch zur Ausföhnung zu maden. Ich beſchwöre Sie in meinem Namen, flüfterte der Baron von Arnftein dem Fürften in's Ohr, ich befhwöre Sie im Namen meiner Gemahlin, wenn eine Vermittelung möglich ift, nehmen Sie fie an, laflen Sie e8 nicht zu einem fo traurigen Eclat kommen. Bedenken Sie, daß die Ehre einer Frau fo leicht und unwiederbringlid compro- mittirt ift, und daß die Baronin es fi) niemals verzeihen würde, wenn fie vielleiht die unfchuldige.Veranlaffung Ihres Todes fein Fönnte. Niemand wird wiſſen, daß wir ung um ihretwillen ſchlagen, fagte der Fürft, meine Ehre erfordert es, diefem Unverfcyämten eine Section zu geben, und bei Gott, er fol fie haben. Eben näherte ſich ihnen ver Graf Palfy, der Secundant des Doms herren. Wenn Em. Durchlaucht fich bereit erklären, den Freiherrn von Weichs um Entfhuldigung zu bitten wegen Ihres geftrigen Benehmeng, fo ift der Freiherr bereit von dem Duell abzuftehen und Ihre Ent- fhuldigung anzunehmen. Ich habe feine Entſchuldigung zu machen, rief der Fürft laut, und ich bin nicht Willens von dem Duell abzuftehen. Ich babe dem Dom- bern gejagt, daß mir feine Nafe mißfält, und daß ich fie von ihrer impertinenten Spige operiren will, nun wohl, id bin gefommen, um dieſe Operation vorzunehmen, und wenn e8 Ihnen gefällig iſt, ſchreiten wir an's Werk. Ja, ſchreiten wir an's Werk, rief der Domherr. Geben Sie die Piſtolen her, meine Herren, und dann das Zeichen. Beim dritten Händeklatſchen alſo ſchießen wir zu gleicher Zeit! Beten Sie für Ihre arme Seele, Fürft Tiechtenftein, denn ich bin ein Schüße, welder auf hundert Schritte niemals fein Ziel verfehlt, und wir flehen ung auf zwanzig Schritte gegenüber! - Der Fürft antwortete nicht, fondern nahm die Piſtole, weldye fein Secundant ihm darreichte. Wenn icy falle, flüfterte er leife, fo bringen Sie Ihrer Gemahlin meine legten Grüße, und jagen Sie ihr, daß id) 'geftorben bin mit ihrem Namen auf ven Lippen! Wenn ich fallen folte, fagte der Domberr halblaut zu feinem - 435 Secundanten, jo erzählen Sie ver lieben Stadt Wien und meinen Freunden, daß ih mid mit dem Yürften Liechtenftein gejchlagen habe, weil er mein Rival war bei der ſchönen Baronin von Arnftein, und daß ic, mit der Ueberzeugung geftorben bin, daß er der Liebhaber der fhönen Frau geweſen! | Eine Paufe trat jegt ein. Die Secundanten führten bie beiden Herren zu ihren beftimmten Plägen und traten dann zurüd, um das verabrebete Zeichen zu geben. Bei dem erften Händellatfchen hoben die beiden Gegner die Hand mit der Piftole empor, die drohenden Blide voll Haß und Zorn feft und zielend aufeinander gerichtet. Nun fam das zweite, das dritte Zeichen. Zwei Schüffe fnallten zu gleicher Zeit. Der Domherr ftand, ruhig und feft auf feinem Pla mit vemfelben herausforvdernden Lächeln, demfelben trogigen Blick. Der Fürft Earl von Liechtenftein lag am Boden und die Erbe röthete ſich von dem Blut, das aus feiner Bruft hervorquoll. Als der Baron Arnſtein fi über ihn neigte, richtete er feine Augen mit einem legten gebrochenen Blid auf ihn. Bringen Sie ihr meinen legten Liebesgruß, hauchte er leiſe. Sagen Sie ihr, daß ih — Die Stimme ſtockte und das letzte, fürchterliche Röcheln des Todes trieb einen Strom von Blut über ſeine erkaltenden Lippen. Eilen Sie, ſich zu retten, rief der Graf von Palfy dem Dom⸗ herrn zu, der aus einiger Entfernung mit kalten, neugierigen Blicken zu dem Sterbenden hinüber geſchaut hatte. Fliehen Sie, denn Sie haben den Fürſten getödtet, er athmet ſchon nicht mehr. Fliehen Sie! Drunten im Gebüſch ſteht mein Wagen bereit, er wird Sie im Fluge zur nächſten Boftftation bringen. Er ift topt und ich lebe! fagte der Domherr gelafien. Es hätte ſich aud wahrhaftig nicht der Mühe verlohnt, für eine Frau zu fterben, weil fie einen andern Liebhaber hat. Es ift viel weiſer, ihn todt zu fohießen, und fo das Hinderniß bei Seite zu räumen, das uns von der Frau trennt. Aber fliehen werde ich nicht, vielmehr werde ich felbft zum Kaiſer ‚gehen und ihm anzeigen, was hier gejchehen W* 436 ft. Wir leben jest einmal in einer Zeit des Krieges und der Men- fchenfchlächterei, und auf eine Seele mehr oder weniger kann es babei gar nicht ankommen. Wenn der Kaifer hunderttaufend feiner unjchul- digen und harmlofen Unterthanen ausfhidt zum Duell gegen Feinde, von denen fie nicht einmal willen, weshalb fie ihre Feinde find, fo wird er es fehr natürlich finden, daß zwei feiner Untertbanen, welche fehr genau wiflen, weshalb fie Feinde find, auch ein Duell miteinander haben Eönnen, und Se. Majeſtät wird mir daher verzeihen. Die . tapfern und beherzten Männer fhidt man nicht auf die Feftung. Ich fliehe nicht. V. Bas Vermãchtniß. Drei Tage waren ſeit jenem unglücklichen Ereigniß vergangen. In der Frühe des heutigen dritten Tages hatte man die Leiche des Fürſten nach feiner Familiengruft abgeführt, ein zahlreiches und glän- zendes Gefolge hatte fie zur Stabt hinaus begleitet, felbft die Equi- pagen bes Kaifers, der Erzherzoge und der hohen Würbenträger des Staats hatten in dem Zuge nicht gefehlt und die Wiener, welche feit drei Tagen von nichts gefprodhen, als von dem tragifchen Ende des jungen, ſchönen Fürften Carl von Liechtenftein, fanden eine Art Ger nügthuung darin, in ihrer Theilnahme auch mit der Kaiferfamilie zu fumpathifiren; fie hatten fih daher zu Tauſenden dem Zuge ange: fchloffen und der Leiche das Geleit gegeben. Aber diefer Beweis von Theilnahme hatte dem guten und heiß- blütigen Bolfe nicht genügt; fie wollten dem Berftorbenen nicht blos eine Ehrenbezeugung ihrer Liebe, fondern audy ihres Haſſes geben, und von dem Trauerzuge heimkehrend, ftürzte fi die Maſſe des Volks baber nady dem Kohlmarkt hin, um ſich mit lautem Geſchrei und wilden 437 Drohungen vor dem Haufe des Treibern und Domherrn von Weiche aufzuftellen. | Man hatte erfahren, daß der Domherr, ven das Volk den Mörder des Fürften Liechtenftein nannte, noch immer in Wien verweile, und da e8 daher den Anſchein hatte, als ob der Kaiſer die Uebelthat des Domherrn nicht zu ftrafen gedenke, wollte das Volk es übernehmen, ihn zu firafen, und ihm wenigftens einen Beweis des öffentlichen Haffes geben. Werft dem Mörder die Fenſter ein, rief pas Bolf, das in immer neuen erhigten Schaaren auf dem Kohlmarkt fi zufammenfand. Und von den Drohungen zur That übergehend, riffen hundert und hundert geihäftige Hände das Steinpflafter auf, um die Steine gegen das ‚Haus und die Tenfter des Domherrn zu fchleudern. Und das Klirren der Fenſter, das Krachen der an der Mauer des Haufes abprallenden Steine erhigte und fteigerte die Wuth des Volks immer mehr. Bald genügte es ihnen nicht mehr, das Haus anzugreifen, fondern fie wollten bes Uebelthäters jelber habhaft werben und ihn beftrafen für feine Miffethat. Mit wildem Gefchrei ftürzte die Menge zu dem hohen ver- ſchloſſenen Thor des freiherrlihen Haufes hin, Einer kletterte behend auf die Schulter des Andern, um mit Fauftfhlägen das über dem Thor angebrachte Wappen des Domberrn abzureißen, und lauter, weithinfhallender Jubel begrüßte die vollbradite That. Alstann rich⸗ teten fi die Fauftfchläge gegen das Thor jelber, das indeß allen Angriffen und Schlägen einen feften und unerfchütterlien Widerftand entgegenfeßte. Plöglih rief eine ernſte gebieteriſche Stimme: Halt da! Platz gemacht! Platz! Das Volk wandte ſich erſchrocken um und gewahrte jetzt erſt, daß von der Seitengaſſe, nach welcher das Hötel ausmündete, eine Kutſche ſich näherte, umgeben und gefolgt von zwanzig berittenen Poliziſten. Langſam nur konnte dieſe Kutſche mit ihrem unheimlichen Gefolge ſich vorwärts bewegen durch das drängende Volk, das neugierig ſeine Blicke durch die herabgelaſſenen Fenſter in die Kutſche hinein bohrte. Jedermann hatte Muße, die drei Herren zu erkennen, welche in ter 438 Kutfche faßen, und weldhe Niemand anders waren, al8 der Domherr Freiherr von Weihe, und zwei der befamnteften und gefürchtetften Dber-Beamten der Polizei. Das Antlig des Freiherrn war bleich und püfter, aber um feine ſchmalen Lippen fpielte immer noch das troßige, berausfordernde Lächeln. Mit einem Blid unendliher Verachtung fhaute er das Bolf an, das feinen Wagen umwogte, und ihn mit gierigen Augen anftarrte, als wolle e8 in feinen bleihen Mienen die Größe der Strafe Iefen, zu welder er verurtheilt war. Wie neugierig dieſes Volk ift, fagte der Domberr mwegwerfent. Es möhte um Alles gern wiffen, ob man mid zum Richtplatz führt, und das wäre ihm ein gar willfommenes Schaufpiel. Sie follten doch mitleidig fein, meine Herren, und dieſem liebenswürbigen Pöbel bie Unglüdsbotfhaft bringen, daß ich leider nicht zum Galgen und Rab, fondern nur zu zehn Jahren Feftungsarreft verurtheilt bin, und daß ich dieſe Zeit auf der ſchönen Feſtung Komorn zubringen werbe. Die beiven Beamten antiworteten nur mit einem ftummen Neigen des Kopfes und der Wagen fuhr weiter. Aber irgend ein mitleidiger und gefprädhiger Polizeibeamter hatte dem Volke doch die Mittheilung ‚gemadt, daß der Domherr von Weihe vom Kaiſer zu zehn Jahren Veftungsarreft verurtheilt und daß man eben im Begriff fei, ihn nad Komorn abzuführen. Das Volk empfing diefe Nachricht mit lautem - Jubel und zerftreute fich in den Straßen, um freunden und Bekannten die willkommene Botſchaft zu bringen, und dann heimzufehren, ganz befriedigt von dem Amufement und den Zerftreuungen des heutigen Tages. . Und die Woge des Lebens braufte über das unglüdliche Ereigniß bin, und riß fie hinunter in den Abgrund des Vergefjens; wenige Tage noch und eine andere Begebenheit machte die Gefpräche über das Duell des Fürften Liechtenftein und deſſen Veranlafjung verftummen, und ein neuer Stoff der Unterhaltung verdrängte den alten. Nur Ein Herz tröftete ſich nicht fo rafh, nur Eine Seele Hagte um ihn im teoftlofen Tagen, in ruhelofen Nächten, uud brachte ihm den Zoll der Thränen und der GSeufzer dar. Seit jenem legten Be- . gegnen mit dem Fürften hatte Fauny von Arnftein ihr Cabinet noch 439 nicht wieder verlaflen, die Thüren befjelben waren Jedermann vers fchloffen gewefen, und ohne Nahrung und Speife zu fi zu nehmen, hatte fie diefe drei Tage dort durchſeufzt und durchweint. Bergebens war ihr Gemahl oft an ihr Zimmer gekommen, um fie zu beſchwören, enplih die Thür zu Öffnen, endlich Nahrung zu fi zu nehmen. Fanny hatte ihm niemals geantwortet, und wenn er nicht, in der Stille der Nacht immer wieder zu biefer Thür hinſchleichend, ihr leifes Schluchzen und ihre halblauten Klagen vernommen hätte, würde er geglaubt haben, der Sram habe fie getöbtet, und bie Liebe babe fie mit Dem, welchem ihr Herz gehörte, droben im Himmel vereinigen wollen, da fie auf Erden doch von einander ge- trennt geweſen. Heut, nad dem Begräbniß des Fürften, trat der Baron von Arnftein wieder in den Salon, der das Cabinet feiner Gemahlin be- grenzte, aber diesmal fam er nicht allein. Eine Dame, das Antlit verhält von einem dichten Schwarzen Schleier, ging neben ihm und fohritt an feiner Seite zu der immer noch verfchloffenen Thür Hin. Der Baron Hopfte an diefe Thür und bat feine Gemahlin mit Worten innigfter Theilnahme, ihm zu öffnen. Keine Antwort erfolgte, Tein Wort der Erwieberung ward vers . nommen. Sehen Sie wohl, Durdlaudt, flüfterte der Baron, fi an die verfchleierte Dame wendend, es ift, wie ich Ihnen fagte. Alles Flehen ift umfonft, fie verläßt dieſes Simmer nicht, ſie wird ſterben vor Gram. Nein, ſie wird nicht ſterben, ſagte die Dame, ſie iſt jung, und die Jugend überdauert den Schmerz. Laſſen Sie mich verſuchen, ob ich ſie nicht erweichen kann. Und ſie klopfte mit beherztem Finger an die Thür und rief: Ich bitte Dich, Fanny, öffne mir und laß mich zu Dir ein, ich bin es, die Prinzeſſin Eibenberg, ih bin es, Deine Freundin Mariane Meier, welche ihre liebe Fanny Itzig beſuchen will. Alles blieb fill, nichts regte ſich hinter Diefer verjchloffenen Thür. 440 Mariane flug ihren Schleier zurüd, und ließ den Baron ihr ſtolzes, bleihes Antlig ſehen. Herr Baron, fagte fie ernft, in dieſer Stunde verzeihe ich Ihnen die Beleidigung und Beratung, welde Sie vor fünf Jahren an Ihrem Hochzeitstage gegen mid fchleuberten; das Schickſal hat mid gerächt und Sie bitter gefttaft, dern ich fehe, daß Sie in biefen drei Tagen ſehr viel gelitten haben. Mein Herz hat feinen Groll mehr, und ih will verfuhen, Ihnen Ihre fchöne und beflagenswerthe Ge- mahlin wiederzugeben und fie zu tröften. Aber ih muß Sie bitten, dieſes Zimmer zu verlaffen. Ich weiß eine Beihwörungsformel, mit welcher ich Fanny aus jenem Zimmer hervorloden werde, aber dazu muß ich allein fein und Niemand außer ihr muß mich hören Fönnen. Es ift gut, ich gehe, fagte der Baron traurig. Aber erlauben Sie mir, vorher eine Bitte an Sie zu richten, die Ihnen beweifen möge, wie fehr id Ihnen vertraue. Wollen Sie Fanny nichts davon fagen, daß Sie mich bewegt und traurig gefehen haben? Wollen Sie gütigft nichts ahnen laffen von meinen Sorgen und meinem Kummer um fie? Sie wird es in Ihren bleiben Mienen und Ihren eingefallenen Wangen fehen, armer Baron! rief Mariane. Nein, fie bat nicht die Gewohnheit, mich aufmerkfam zu betrachten, fie wird das überfehen, fagte der Baron traurig, und ich möchte nicht, daß es den Anfchein gewinnen könnte, als litte ich dur ihren Kum⸗ mer, den ih ganz gereht und natürlih finde. Ich bitte Sie aljo, ſchweigen Sie von mir. Ich werde ihren Wunſch erfüllen, fagte Mariane, vielleiht wird Ihnen Fanny einmal fpäter für das Zartgefühl danken, mit welchem Sie jegt Ihrer fchonen. Gehen Sie jest, damit ic, Fanny rufen kann. Der Baron ging hinaus, und jest ſchritt Mariane abermals zu der Thür bin. Fanny, fagte fie, fomm zu mir, oder Öffne Deine Thür ımd laß mid eintreten. Ich habe Dir einen Brief und eine Botſchaft zu bringen von dem Fürften Carl von Liechtenftein. Jetzt hörte man innerhalb des Cabinets einen leifen Schrei, ber Hiegel ward zurüdgejchoben, die Thür flog auf, und die Baronin 441 von Arnftein erfchien in derfelben. Ihr Antlig war marmorbleidy, ihre vom Weinen gerötheten Augen lagen tief in ihren Höhlen, ihr ſchwarzes Haar fiel lang aufgelöft wie ein ſchwarzer Trauerfchleier über ihren Naden niever. Sie war noch immer fhön und lieblih, aber es war die Schönheit einer Magdalena. Du bringft mir Nachrichten von ihm? fagte fie mit leifer, in Thränen zitternrer Stimme. Ya, Fanny, fagte Mariane, mühſam ihre eigene Rährung bewäl- tigend. Ich bringe Dir feine lesten Liebesgrüße. Er ahnte, daß er fallen würte, und am Morgen, bevor er ſich zum ‘Duell begab, war er bei mir. Wir waren lange befannt und vertraut, wir hatten Beide ein großes, gemeinſchaftliches Ziel vor Augen und verfolgten viefelben . Wege; das hatte uns miteinander befreundet. Er wußte auch, daß ich Deine Jugendfreundin bin, und deshalb vertraute er mir feine legten Aufträge für Did an. Hier, Fanny, dies Heine Käftchen enthält alle die Heinen Andenken und Liebeszeicyen, Die er von Dir empfangen, und bie ihm viel zu koſtbar däuchten, um fie zu zerftören, oder mit in’s Grab zu nehmen, und die er Didy daher bittet, aufzubewahren. Es find vertrodnete Blumen, die Du ihm gegeben, eine Schleife, die Du verloren, einige Briefhen, die Du ihm gefchrieben und aus denen bie böſe und verleumderifche Welt die Harmlofigkeit und Unfhuld Eures Verhältniſſes erfchen könnte, es ift endlid Dein Miniaturportrait, das der Fürſt felber nad der Erinnerung gemalt bat. Hier dieſes Etur bittet der Yürft Di als fein Vermächtniß anzunehmen. Es ift ein Perlenſchmuck, ein Erbftüd in feiner Familie, die einft feine ſterbende Mutter ihm übergeben bat, damit er am Hochzeitstage feine Braut damit ſchmücken ſolle. Der Fürft ſendet ihn Dir und beſchwört Did, ihn zu feinem Angedenfen, und als die Braut feines Herzens zu tragen. Und hier endlih, Fanny, hier ıft ein Brief von ihm, die legten Zeilen, welche er gefchrieben bat, und fie find an Dich gerichtet. Die Baronin ftieß einen Freudenſchrei aus; mit leivenfchaftlicder Heftigkeit Das dargereihte Papier ergreifend, preßte fie es an ihre Kippen und ſank mit demfelben auf ihre Kniee nieder. Ich danke Div, mein Gott, ich danfe Dir, flüfterte fie leife, Du 442 bift e8, der mir dieſen Troſt gefandt hat, Du willft nicht, daß ich fterben foll in Verzweiflung! " Und jest entfaltete fie langfam, immer noch auf ihren Knieen liegend, das Papier und las dieſes legte, glühende Lebewohl, viefe letzte, zärtliche Kiebesbetheuerung, mit weldyer der Fürft von ihr Abfchied nahm. Mariane, die Arme in einander gefchlagen, ftand drüben in einer Venfternifhe, und ſchaute mit ernften, beobadhtenden Bliden zu ihrer Freundin hinüber, und fah die auf ihren Wangen wechſelnde Bläffe und Purpurröthe, das hohe Wogen ihres Bufens, das Beben ihrer ganzen Geftalt, und die Thränen, die Bächen gleih aus Fanny's Augen auf das Papier nieberfträmten, mit einem Gefühle zugleich ver Rührung und Befremdung an. Es muß Schön fein, fo lieben zu fünnen, dachte fie, ſchön auch, jo leiden zu können. Beneidenswerth bie frauen, welche mit ihrem Herzen lieben, und von ihm allein ihr Glück und ihr Unglüd empfan- gen. — Mir ift ein ſolches Roos nicht befchieden, und ich fürdte fall, ih liebe nichts als mid, felber. Mein Leben ruht in meinem Kopf, und von ihm aus erft ftrömt das Blut zu meinem Herzen bin. Wer ift mehr zu beflagen, Fanny mit dem ram ihrer Liebe, oder ich, welche niemals einen folhen Gram tennen lernen wird? — Aber fie bat jett genug geweint, und am Ende wären ihre Thränen nod im Stande, aud mid weinen zu maden, und mein Herz zu weden. Das «darf aber nicht fein. Wer fo große Pläne zu verfolgen hat, wie id), muß fih einen falten Kopf und ein faltes Herz bewahren. Und fie näherte fih mit rafhen Schritten der Baronin, welde noch immer auf ihren Knieen lag, und wieder und itnmer wieder ben Abſchiedsbrief des Fürſten las. Erhede Dich von Deinen Knieen, Fanny, ſagte ſie faſt gebieteriſch. Du haſt dem heimgegangenen Freunde den Tribut Deiner Thränen dargebracht, Du haſt um ihn geweint drei Tage lang, jetzt begrabe die Vergangenheit in Deinem Herzen und denke an Deine Zukunft, meine arme Freundin. | Meine Zukunft, fagte Fanny, indem fie, dem Willen der Freundin nachgebend, ſich von ihren Armen fanft emporziehen ließ; meine Zu- 443 kunft ift für immer gebroden und umbüftert, es liegt eine Wolfe auf meinem Namen, bie niemals wieder von dannen ziehen wird. Oh, warum giebt es für die Jüdin Fein Klofter und feine einfame Zelle, wohin fie ſich flüchten könnte mit ihrem Unglüd und mit ihrer Schmad). Made es, wie ich es gemacht habe, fagte Mariane, laß bie ganze Welt Dein Klofter jein, und Deinen Salon die Zelle, in welder Du Buße thuft, indem Du die Menfchen zwingft, vor Dir zu knieen und Did anzubeten, ftatt das Du knieeſt und Dich Fafteieft! Lege Dein Unglüd und Deine Schmah als eine Glorie um Dein Haupt und tritt der Welt kühn entgegen mit offenen Augen und ftolzem Ange- fiht. Wenn Du arm wärft und namenlos, dann würbe ich Dir alles Ernſtes rathen, werde katholiſch und flüchte Did in ein Klofter. Aber Du bift reich, Du haft einen wohlklingenden, ariftofratiihen Namen, Dein Gemahl ift im Stande, foftbare Diners zu geben, folglid wird man Dir verzeihen, daß Du die Helbin eines unglüdlihen Romans geworben, und man wird fi wohl hüten, Dir den Rücken zu kehren, mit Fingern auf Dich zu zeigen, und wenn Du vorübergehft, ſpöttiſch zu laden und mit vernehmlidher Stimme Deine Gefchichte zu erzählen. Ich, mein Kind, habe einft alle ſolche Schmach und ſolche Demüthigungen ertragen müſſen, und damals ſchwur ich mir, daß ich midy rächen wolle . an biefer Welt, welche glaubte, das Recht zu haben, mich zu verachten, daß ich mid, rächen wolle, indem ich ihresgleichen würve. Und ich habe meinen Schwur erfüllt, ic bin jegt eine Prinzeffin und eine Durdlaudt. Die ſtolze Welt, welde mich einft verhöhnte, beugt ſich vor mir, Die tugenb- bafteften und edelften Frauen halten e8 nicht unter ihrer Würde, in meinem Salon zu erjcheinen, vie edelſten Yürften und Cavaliere be- werben fih um die Freundſchaft und die Gunft der Prinzejfin von Eidenberg, geborene Mariane Meier. Folge alſo meinem Beifpiele, Fanny, biete der Welt Trog, erfcheine in Deinem Salon mit heiterer Ruhe und Unkefangenheit, gieb noch üppigere Diners, und die kleine Molke, welde jett Deinen Namen verbunfelt, wird unbemerkt vor- überraufchen. Zuerſt werben die Menfchen kommen aus Neugierde, um zu fehen, wie Du Di benimmft und mit welder Stirn Du den Heinen Scandal trägft, dann werben fie fommen, weil Eure Diners 444 gar zu prächtig find, und weil dod die und die Fürſtin oder Gräfin, der oder der Fürft, Minifter oder General e8 aud nicht verfhmäht, in Deinem Salon zu erfcheinen, und fo wird bie ganze Affaire nad) und nach vergeflen werben! " Aber mein Herz wird fie nicht vergeflen, jagte die Baronin traurig, mein Herz wird nie aufhören, ihn zu bemweinen und zu bellagen, und wenn mein Herz weint, follen meine Augen nicht laden! Du haft den Muth gehabt, Deine Thränen unter einem Lächeln zu verbergen, und von der Schmady und Unbill, welhe man Dir angethan, ‘Dein Haupt nicht beugen zu laffen; ich werbe den Muth haben, meine Thränen nicht zu verbergen, und gebengten Hauptes einherzugehen unter dem Unglüd und der Schmach, weldye mich getroffen hat, ohne daß ich es verdiene. Wäre ich fchuldiger, würde ich vielleicht im Stande fein, ver Welt zu trogen, aber da ic) feine Schuld, jondern nur ein Unglüd zu beweinen habe, fo weine ich! Möge die Welt mich deshalb verdammen, id) werde ihr Verdammungsurtheil nidyt hören, denn ich werde mich in die Ein- ſamkeit zurüdziehen! Thörin, rief Mariane glühend, Thorin, welche am Anfang des Lebens ſchon glaubt, mit dem Leben abgeſchloſſen zu haben. Mein Kind, das menſchliche Herz iſt viel zu ſchwach, um einen Gram viele Jahre lang tragen zu können. Es ermattet allgemach und läßt ſeinen Gram fallen, und ſieht dann plötzlich, daß es ganz leer iſt und inhalts⸗ los, und dann ſchleicht die Langeweile herbei mit ihren langen Spinne⸗ beinen, und zieht ihre Fäden um Dich und hüllt Dich ein in ihre ſtaubigen Netze, die Niemand zerreißt, weil Niemand da iſt, Dir dieſen Liebesdienſt zu erweiſen, da Du die Menſchen verſcheucht und Dich einſam gemacht haſt. Hüte Dich vor der Einſamkeit, oder vielmehr lerne einſam ſein in der Mitte der Menſchen, aber nicht in der Stille Deines öden Gemachs. Du haſt hier in Wien eine ſchöne und große Miſſion zu erfüllen. Du haſt das Judenthum zu emancipiren und zwar in anderer Weiſe, wie ich es gethan! Ich habe der thörichten Welt bewieſen, daß eine Jüdin ſehr gut eine Prinzeſſin fein und re präfentiren kann, troß ihres orientalifhen Bluts und ihrer krummen Naſe, aber ich habe, um ihr diefen Beweis liefern zu lünnen, meine 445 Religion verlaffen und meinem Bolt untreu werben müſſen. Du haft die Miffion, das Werk zu vollenden, das ich angefangen, und das Judenthum hinein zu lanciren in die Gefelihaft, ihm eine Stellung zu geben mitten in der Welt und das Judenthum zu einer gejellichafts- fähigen Greatur zu erheben. Du folft die Vermittlerin fein zwifchen der Ariftofratie des Blutes und Stammbaums und der Ariftofratie des Geldes, die Bermittlerin zwifchen dem Chriſtenthum und dem Juden⸗ thum. Du follft den Juden hier in Wien eine freie, geacdhtete, dem Zwang der Borurtheile enthobene Stellung geben. Das ift Deine Miſſion, gebe hin und erfülle fie. Du baft Recht, Mariane, rief Fanny mit ſchwärmeriſcher Be⸗ geiſterung, ich will die Miſſion erfüllen, denn ſie iſt eine heilige und große, und ſie wird mein Herz aufrichten und tröſten. Mit dem Glück des Lebens habe ich abgeſchloſſen für immerdar, aber man kann vielleicht auch glücklich ſein ohne Glück, und das will ich jetzt verſuchen, indem ih die Unglücklichen tröſte, den Leidenden helfe und den Verſtoßenen und Geächteten eine Zuflucht gewähre. Thränen zu trocknen, Wohl⸗ thaten zu üben und Glück und Freude um mich her zu verbreiten, das ſoll der Balſam ſein, mit dem ich die Wunden meines Herzens heilen will. Du haſt Recht, ich will mich nicht zurückziehen von der Welt, ſondern ich will ſie zwingen, mich zu achten, ich will mich nicht in die Einſamkeit flüchten mit meinem Gram, ſondern ich will mit ihm daſtehen inmitten der Geſellſchaft, ein Troſt allen Denen, vie leiden, eine Zu- flucht allen Denen, melde des Beiftandes bepfrfen!*) *) Fanny von Arnftein bielt Wort; ihr Haus ward der Mittelpunkt des edelſten Geiftesiebens, ihre Hände waren ftets geöffnet, und bereit, Wohl- thaten auszuftreuen und Segen zu verbreiten. Sie gab aber nicht blos mit ihren Händen, ſondern auch mit ihrem Herzen, und dadurch ward fie erft eine wahre Wohlthäterin, denn zu ihren Gaben gefellte fi) das Mitleid und die Huge Ein- fiht, welche die rechte Art der Hilfe zu ermeflen weiß. Bielen Menjchen bat fie ein dauerndes Lebensglück bereitet, Bielen den Weg des Reichthums aufge- than, Manchen ſolche Summen geſchenkt, die für ein felbfiftändiges Bermögen gelten konnten. Ihrer Wohlthätigkeit kam ihre Saftfreikeit gleich, die fie in ſeltener Liebenswärbigkeit und Ausgedehntheit übte. Täglich ſtand ihr Hana iu ber Stadt, fo wie ihr Landhaus zur Aufnahme zahlreicher Säfte offen, welche 446 I So ift e8 recht, jo höre ih Dich gern, rief Mariane, die Yreun- din umfchlingend und fie feft an ihren Bufen drückend. Jetzt bange ich nicht mehr um Did, und fann Dir mit rubigem und getröftetem Herzen Xebewohl jagen. Mein Keifewagen fteht bereit und noch in diefer Stunde reife ih ab! Und wohin gebft Du? fragte Fanny theilnahmsvoll. Es ift ein Geheimniß, ein tiefes, politiiches Geheimniß, fagte Mariane lähelnd, aber Dir will ic es anvertrauen als einen Beweis meiner Liebe! Ic, gehe nach Paris, um dem erften Conful einen Brief. von dem armen Grafen von Provence zu bringen, den die Royaliften,, und folglidy audy ich, den König Ludwig den Achtzehnten nennen. Das, Fanny, ift mein Vermädtniß von dem Fürften Liechtenftein. Durch ihn warb ich befannt mit einigen dieſer edlen Emigrirten, die e8 vor=- gezogen haben, ihr Baterland und ihre Beſitzthümer aufzugeben und: heimathlos in der Fremde umberzuirren, ftatt ihrem König untreu zu werden und diefer despotifchen Kepublif und dem Tyrannen zu ge- horchen, der jeßt feine eiferne Hand auf Frankreich legt. Der Fürft Tiechtenftein war ed, der mir vor vierzehn Jagen den Herzog von: Enghien zuführte und mich einweihte in die großen Pläne und Hoff- nungen der unglüdlihen Bourbonen. Der Herzog von Enghien war bier in Wien? fragte Fanny erftaunt. | Ia, er war hier, er hielt fi) verborgen im Hötel Deines Freundes Liechtenftein, und nur Bertraute und Eingeweihte wußten um feine Nähe. Der Fürft gehörte zu feinen Vertrauten und zu feinen wärmften Anhängern. Ob, weldhe Pläne waren es, welche die beiden feurigen jungen Männer in der Stille verfchwiegener Abende in meinem Salon entwarfen, welche große Dinge erwarteten fie nicht von der Zukunft für die Bourbonen und für Frankreich! In folden Stunden, Fanny, hätteft Du den Fürften Carl von Liechtenftein fehen müffen, um ihn bei ihr die wechſelvollſte, ebelfte und anregendfte Gefelligleit genofjen. Siehe: Fanny von Arnftein. Eine biographiiche Skizze von Barnhagen von Enfe. Bermijchte Schriften. Th. I. ©. 415. 447 ganz verftehen und ihn grenzenlos lieben zu müſſen. Seine Wangen glühten alsdann von edler Kampfesungeduld, feine‘ Augen fprühten Tlammen und edle Worte hinreißender Begeifterung firömten von feinen Lippen. Nie hat man einen Feind glühender gehaft, als wie er den erften Conful Bonaparte haßte, nie hat man einer Sache leiden- Ihaftliher angehangen, als wie er der Sache feines unglüdlihen deutſchen Baterlantes und der Sache ber vertriebenen Bourbonen. Hätte der Graf von Provence hundert folder Ritter, wie der Fürft Liechtenftein Einer war, fo würde er in acht Tagen ben Thron ver Lilien in Paris wieder aufgerichtet haben. Trockne Deine Thränen, Fanny, denn Du bift e8 nicht, weldhe am meiften zu beflagen: ift. Du haft nur einen Liebhaber verloren, aber die Bourbonen haben einen Ritter und Deutſchland hat einen treuen und fampfbereiten Sohn verloren, viefe beide find mehr zu beflagen! Du wirft hundert Lieb⸗ haber wiederfinden, wenn Du willft, aber die Bourbonen haben nur wenig Ritter, und Deutſchland wird täglich ärmer an treuen und edlen Söhnen! Und er bat mir nichts gejagt von feinen Plänen und feinen Hoffnungen, rief Fanny ſchmerzlich, er hat mid niemals ahnen laſſen, daß — Daß er nicht blos ein Herz habe für die Liebe, ſondern auch für die Politik und für das Vaterland? unterbrach ſie Mariane lächelnd. Mein Kind, er hat Dich eben geliebt mit ſeinem Herzen, und deshalb, ſo lange er bei Dir war, ſchwiegen alle Entwürfe ſeines Kopfes. Aber er hat doch gewußt, daß die Geliebte ſeines Herzens auch fähig und würdig ſei, die Freundin ſeines Kopfes zu ſein, und als er mir ſein letztes Lebewohl ſagte, trug er mir auf, Dich einzuweihen in alle ſeine Pläne, und Dich Theil nehmen zu laſſen an ſeinen Hoffnungen. Fanny, Dein Freund grüßt Dich durch meinen Mund, er will ſein Lieben und fein Haſſen von feinem verklärten Geiſt auf Did aus- ftrömen. Wie er ein treuer Sohn war feines deutſchen Baterlandeg, fo folft Du eine treue Tochter fein, und folft Deines Baterlandes Wohl hüten und bewachen, und folft einftehen für fein Heil mit aller Deiner Kraft. Wie er ein unwandelbarer Feind dieſes neuen blutge— 448 tränkten Frankreichs und feines Dictators war, fo follft auch Du ab- ſchwören alle Verbindung mit diefem Lande, das feine Ströme von Blut und Feuer bald über unfer unglüdjeliges Baterland ergießen wird. Alles ſollſt Du thun und ergreifen, was dem Vaterlande nügen und dienen kann, Alles ſollſt Du verabjcheuen, verfolgen und befeinven, was Deutſchland bedroht und es in Knechtſchaft fhlagen wil. Dein Haus fol offen ftehen allen deutſchen Patrioten, es ſoll verſchloſſen fein allen Feinden Deutſchlands, mögen fie nun Deutſche oder Fran⸗ zofen fein, oder welcher Nation fonft immer angehören. Das, Fanny, ift das Vermächtniß, weldhes Earl von Liechtenftein, der edle deutſche Patriot, Dir neben feiner Liebe binterläßt, und welches Dich tröften und aufrichten fol in Deinem Schmerz. Ich nehme dieſes Vermächtniß an, rief Fanny, jtrahlend vor Be- geifterung. Da, ich nehme dieſes Vermächtniß an und getreulidy will ih e8 erfüllen! Auf Deutfchland will ich die Liebe übertragen, bie ich ‚einst ihm geweiht, ihn will ich lieben und ehren in jedem unferer deutſchen Brüder, gleih ihm will ich die Feinde Deutſchlands haffen, und niemals fol ihnen mein Haus geöffnet fein, niemals follen fie die Schwelle deſſelben als willlommene Säfte Überfchreiten dürfen. Da id) fein glückliches Weib mehr fein kann, will id verfuchen, eine treue Tochter meines VBaterlandes zu fein, treu feine Freunde zu lieben, treu jeine Feinde zu haffen! | / Nun ift es gut, vief Mariane freudig, nun haft Du Deinen Ihönften Troſt empfangen, und Deine Trauer der Liebe wird ſich num verflären zu Thaten der Liebe! Der Segen Deines verklärten Freundes wird bei Dir fein und die Liebe Deines Vaterlandes wird Dir lohnen, was Du dem Baterlande thuſt. Auch darin folft Du unfer ge ſchmähtes Judenthum vertreten, daß Du denen, welde uns verhöhnen und als Fremdlinge verachten, beweifet, daß wir uns fühlen als Ein» geborne und als Kinder des Landes, in dem wir geboren find, und daß wir unfer Serufalem nicht im fernen Orient ſuchen, fondern in dem Baterland, das wir mit allen andern Deutſchen theilen. Beweiſen wir diefen Chriften, daß wir auch gute Patrioten find, und daß wir 449 gleih ihnen unfer Vaterland lieben und bereit find, ihm alle Opfer zu bringen, die es von ung fordern mag. Ja, ich will beweifen, daß ich eine gute Batriotin bin, wie er ein guter Patriot war, rief Fanny begeiftert. Ich will haſſen, was er ge- haßt, ich will lieben, was er geliebt hat! Amen! rief Mariane feierlih. Und nun lebe wohl, Fanny, id gebe das Vermächtniß zu erfüllen, welches Fürft Liechtenftein mir hinterlaffen hat. Er hatte es übernommen, diefen Brief an Bonaparte zu überbringen, zu jehen, was die Bourbonen von ihm zu hoffen haben, und ob der Eonful Bonaparte ein Mont oder ein Cromwell ifl. Ich fürchte das Leste, die Bourbonen und auch Liechtenftein hofften das Erfte. Sie glauben, er werde der Monk der Wiederherſtellung fein, und er habe fih dem Thron nur fo nahe geftellt, um Ludwig den Adht- zehnten auf demſelben reftauriren zu können, wie Mont es mit Carl dem Zweiten gethan. Nun, wir werben ja fehen! Ich gebe jest bin, den Brief zu überbringen, befjen Bejorgung Fürſt Liechtenftein mir übertragen hat. Lebe wohl, Fanny, und fei eingedenk Deines Ver⸗ mächtniſſes! Ich werde deſſen eingedenk ſein, ſo lang ich lebe, ſagte Fanny glühend. Und ſo wie ich nie meiner Liebe vergeſſen werde, ſo werde ich auch meines Vaterlandes nie vergeſſen! Beide ſollen ſich zu Eins verflären in meinem Herzen! *) VL Ä Ber erſte Conſul. Sie haben ihn alſo geſehen und geſprochen, unſern armen unglüd- lihen König? fragte Madame Bonaparte die ſchöne reichgefleidete Dame, *) Die Gefchichte der Frau von Arnftein und das tragiſche Ende des Fürften Earl von Liechtenftein gehören nicht dem Roman, ſondern der Wirklichkeit an, Miſchlbach, Napoleon. 1. Bb. | W 450 welche neben ihr auf dem Canapée faß, und welde Niemand anders war, als die Prinzeffin Mariane Eibenberg. Ya, Madame, ich habe oft und viel das Glüd gehabt, ihn zu ſprechen, ſagte die Prinzeffin mit einem Seufzer. Sch verlebte einige Wochen in feiner Nähe, und gerührt von feiner Refignation, von feiner Dulverfraft und feiner ſtillen Größe bot ich ihm meine Vermittelung an, wollte id der Bote fein, welchen der arme Schiffbrüchige hinaus- fohickte, um zu fehen, ob für ihn die Küften feines Vaterlandes niemals wieder auftauchen follen, ob diefer große und fühne Steuermann, welcher jest das Schiff Frankreich mit fiherer Hand lenkt, für den armen Sciffbrüdigen keinen Pla mehr übrig hat. Der Graf von Provence nahm meine Dienfte an, er gab mir ein Schreiben, das ich felbft dem erften Conful übergeben follte, und mit vielen und reichlichen Empfeh- lungen verjehen veifte ich hierher. Aber alle diefe Empfehlungen waren nuglos, felbft die Fürſprache des Minifters Talleyrand war vergeblich, der erfte Conſul weigerte fih, mir eine Aubienz zu gewähren. Bielleiht hatte man ihm gejagt, weldy eine ſchöne und bezaubernpe Abgefandtin der Graf von Provence dies Mal an ihn gefchidt, fagte und haben ihrer Zeit viel von fich reden gemacht. Jedermann in Wien wußte, daß die Liebe zu Frau von Arnftein die VBeranlaffung zu dem Duell und zu dem Tode des Fürften von Liechtenftein gewejen, aber Jedermann mußte auch, daß Fanny von Arnftein keine moralische Schuld an diefem Ereigniß trage, und die Theilnahme und das Mitgefühl für die unglüdliche, fo ſchwer getroffene Frau war daher allgemein. Bon allen Seiten beeilte man fich fie zu tröften, der faiferliche Hof und die Stadt beeiferten fich ihr zu huldigen, und ihr Achtung und Aufmerkfamfeit zu beweifen. Aber Frau von Arnftein ließ fich von folchen Beweijen öffentlicher Theilnahme nicht tröften über den großen Schlag, der ihr Herz getroffen. Ihre Trauer war leidenfchaftlich und tief, und fie verbarg fie nicht. Das Cabinet, in welchem er zulett bei ihr gemefen, ließ fie ſchwarz decoriren wie ein Öterbezimmer, in demſelben hatte fie alle Andenfen, Alles, was auf ihn Bezug hatte, aufgeftelt. Den Jahrestag feines Todes brachte fie ftets, in ftille Trauer verjenkt, in diefem Gemach zu, und auch fonft zog fie dorthin fi mande Stunden zu ftiler Andacht und Sammlung zurüd. Aber Niemand außer ihr durfte jemals dieſes Cabinet betreten, das fie der Religion ihrer Erinnerungen als Altar gemeiht hatte. Barnhagen Bermifchte Schriften. I. 412. 451 Joſephine lähelnd, und er fürditete fi) daher vor Ihnen, Madame. Denn Bonaparte, der unerjchrodenfte Held in der Schladt, ift doch fhüchtern und zaghaft ſchönen Frauen gegenüber, und da er nicht die Kraft hat ihrem Lächeln und ihren Bitten zu wiberftehen, weicht er ihnen lieber aus und vermeidet es, ihnen zu begegnen. Dh, Madame, rief die Prinzeffin raſch, wenn der erfte Conful dem Lächeln der Ichönften Frau nicht widerftehen Tann, dann prophezeihe ih Ihnen eine noch glanzvollere Zukunft, denn alsdann wirb er bie ganze Welt zu Ihren Füßen nieberlegen, um Ihnen zu huldigen. Wer neben Yofephinen nody ein Held und ein willensfräftiger Mann geblieben, der bat die Schönheit Feiner antern Frau mehy zu fürdten! Sie verftehen zu fhmeicheln, rief Joſephine lächelnd. Sie vergefien aber, daß wir uns bier in einer Republik befinden und daß in den Inilerien nicht ein Hof und Höflinge wohnen, fondern daß da nur der bejcheidene Haushalt eines Bürgers und Generals ift, der hoffentlich bald dem Glanz des Königthums weichen wird. Glauben Sie das Madame? fragte die Prinzeffin dringent. Glauben Sie, daß die Hoffnungen, welde der Graf von Provence auf den edlen großen Sinn Bonaparte’8 gebaut hat, nicht vergeblich find? Oh laffen Sie uns offen und frei zu einander reden, denn ich weiß, Sie haben ein Herz für vie Leiden der Königsfamilie, und das große Unglüd der erhabenen Betriebenen findet einen Wiederhall in Ihrem Herzen. Deshalb, als 28 mir nicht gelingen wollte, zu dem erften Conſul felber zu gelangen und ihm meinen Brief perfönlich zu übergeben, deshalb wandte ih mid an Sie, und ber Graf von Pro- vence felber hat mir dazu die Erlaubniß gegeben. Wenn Bonaparte Sie nicht hören will, fagte er, jo gehen Sie zu Sofephinen. Bringen Sie ihr die Grüße des Grafen von Provence, erinnern Sie fie an die glüdlihen Tage von Berfailles, wo fie als Vicomteſſe von Bean- harnais eine ſtets willlommene Erſcheinung am Hofe meines unglüd- lichen Bruders war. Fragen Sie fie, iob fie ſich noch erinnert, wie oft wir Damals mit einander gelacht und gefcherzt Haben? Fragen Sie fie, ob mein jeßiges Unglüd ewig dauern fol, oder ob fie, in deren Hand es liegt, mich das Lachen und die Freude wieder kennen lehren will? Rn * 452 Oh, rief Iofephine, in Thränen ausbrechend, wenn es in meiner Hand läge, würde er nicht mehr lange zu warten haben auf feinen Thron und auf das Glüd. Ich würde die Erfte fein, welche ihn jubelnd in Frankreich willfommen hieße, die Erfte, welche jubelnd diefe Tuilerien verließe, dieſes Königsfchloß, deſſen Erhabenheit mir bange macht, in deſſen Mauern ich mir immer wie eine Verbrecherin erfcheine, welche ſich Ihmüct mit geraubtem Gut, und ihre frevelnden Hände nadı dem Allerheiligften ausgeftredt bat. Und doch bin ich unfchuldig an dieſem Frevel, und doch ift mein Gewiſſen rein von jeder Schuld und id darf fagen, daß der König Ludwig der Adhtzehnte feine ergebenere, teine treuere und dienftbereitere Unterthanin hat, als die Gemahlin des erften Conſuls von Frankreich es ift. Der König weiß es, und er hofft auf Sie! fagte die Prinzeffin. In Ihren Händen liegt das Herz Bonaparte's, Sie allein vermögen ed zu rühren! | | Aber weiß ich denn, ob er überhaupt noch ein Herz hat? rief Yofephine leidenſchaftlich. Weiß ih denn, ob er noch etwas Anveres liebt, als feinen Ruhm? Der Menfh kann nicht zweien Göttern dienen und fein Gott ift der Ruhm. , Mit dem Blid eines Adlers ſchwingt er fih empor, und ber Glanz der Sonne blendet ihn nicht! ; Wo wird er endlich ruhen und feinen Horft bauen? Ich weiß es nicht! Noch ift ihm fein Felfen hoch genug, fein Gipfel erhaben und ber Sonne nahe genug gewefen. Ich folge feinem Flug mit angftvollen Bliden, aber ich vermag ihn nicht aufzuhalten. Ich kann nur beten für ihn, für mic und für den unglüdlidhen König, nur beten, daß der kühne Adler nicht den verlaffenen Thron endlich für einen feiner wür- digen Horft erkennen und in ihm ſich niederlaſſen möge. Sie glauben aber, daß er Das thun wird? fragte die Prin- zeffin raſch. | Oh, meine Liebe, rief Fofephine mit einem traurigen Lächeln, Nie- mand Tann bis jet noch wiffen oder aud nur glauben, was Bona⸗ parte thun wird, Niemand, felbft ich nit. Sein Geift ift nad Innen gefehrt, und er fpricht nur von Dem, was er getban hat, uicht von Dem, was er thun will. Seine Pläne ruhen undurchdringlich und 453 fhweigend in feiner Bruft und Niemand kann ſich rühmen, daß er fie kennt. Er weiß, daß ich in meinem Herzen eine treue Royaliſtin bin, und oft verfpottet er mich, noch öfter aber zürnt er mir deshalb. Seit das franzöfifhe Volk ihn zum erften Conful auf Lebenszeit er- wählt hat, ſehe ich ihn erbeben und die Stirn runzeln, fo oft ich es wage, unfers verbannten Königs zu erwähnen und ihn unſern Herrn zu nennen. Mit Strenge bat er mir befohlen, feinen Fremden zu empfangen, wenn er mir nicht dazu tie Erlaubniß gegeben, und alle Diejenigen meiner Freundinnen, weldye er als treue Ropaliftinnen fennt, find? fhon von ihm verbannt worden. Ich muß mir den Anſchein geben, Alles zu vergeffen, was ich der Freundſchaft und der Dankbar- feit fchuldig bin, und dennody werden diefe theuren Erinnerungen nie- mals in meinem Herzen erlöſchen. Aber ih muß meinem Herrn ge- borchen, denn Bonaparte ift jegt nicht blos mehr mein Gemahl, fon- dern er iſt au mein Herr! So in allen ihren Neigungen gehemmt, muß die Frau des erften Confuls ihren ram hinunterwärgen und undankbar erſcheinen, obwohl fie es nicht ift.*) Sagen Sie Das Denen, weldhe glauben, mich beneiden zu können, fagen Sie Das dem Grafen von Provence, weldher mich für mächtiger hält, als ich es bin. Er ift und bleibt für mid) immerbar der redhtmäßige König von Frankreich, und Gott ift mein Zeuge, daß es nich nicht gelüftet nad) biefer Krone, die fein rechtmäßiges Eigenthum ift. Gott ift mein Zeuge, daß id) niemals die Gelegenheit verfäumt habe, dem Grafen von Pro⸗ vence zu nügen, daß id) immer bemüht gewefen bin, Bonaparte an feine Pflicht gegen feinen rehtmäßigen König zu mahnen. Aber mein Erfolg ift gering, und heut zum erften Dal feit langer Zeif wage id) wieder einen Schimmer von Hoffnung zu hegen. Bonaparte weiß, daß ih Sie heute empfangen wollte, und er hat e8 mir nicht verweigert, obwohl man ihn fhon benachrichtigt hatte, daß Die Prinzefjin Eibenberg an dem Hofe in Coblenz als eine eifrige Freundin geehrt werde, daR fie eigens nah Mitau gereift fei, um den Grafen von Provence zu fehen, daß fie von dieſem mit Briefen und Aufträgen nad Paris *) Sofephinen’s eigene Worte. Siehe: Le Normand. II. 37. 454 gejandt worden, und daß der Herzog von Engbhien, ber fih heimlich vor einiger Zeit in Wien aufgehalten, täglich in Ihrem Haufe gewejen. Wie? Der erfte Conful weiß das Alles? fragte Mariane ver- wundert. | - Seine Spione bedienen ihn gut, fagte Sofephine feufzend, und Bonaparte bat deren überall, auch bier in den ZTutlerieen, bier in meinen Zimmern, und e8 follte mid) gar nicht wundern, wenn er das, was wir hier jeßt gefprochen haben, in einer Piertelftunde ſchon wieder- erfahren hätte, obwohl es den Anfchein bat, als ob wir bier allein find. Aber wenn der erfte Conful weiß, daß der Graf von Provence fih meiner bedienen möchte, um hier für ihn zu wirken, und wenn er dennoch Ihnen erlaubt hat, mich anzunehmen, fo feheint mir das ein günftiges Zeichen, jagte Mariane Eibenberg finnend. Einen Zweck bat er gewiß dabei, rief Joſephine feufzend, aber wer fann wiffen, welhen? Ich gebe es auf, ihn ergründen zu wollen, idy begnüge mich, ihn zu lieben, zu bewundern, und mit leifer Hand zu verfuden, ob ich ihn nicht zurüdjühren kann auf die Bahn der Pfliht. Aber ftill, unterbrad fie fih auf einmal jelber, ih höre Schritte im Kleinen Corrivor. Das ift Bonaparte! Er fommt hierher ! Mein Gott, er wird jehen, daß ich geweint habe und er wird mir zümen! — Und mit ängftliher Haft in ihr Taſchentuch hauchend, drückte Joſephine das Tuch an die Augen und flüſterte bebend: Sieht man, daß ich geweint habe? Marke war eben im Begriff, eine Antwort zu geben, als man in dem anftogenden Gemach raſche Schritte vernahm. Er kommt, flüfterte Sofephine, und fie erhob fih von dem Canapoe, um ihrem Gemahl entgegen zu geben. Eden ftieß er mit einem raſchen Drud feiner Han die Thür auf und erjchien auf ver Schwelle. Seine Augen fuhren mit einem jchnellen Blig durch das Gemach hin und ſchienen jeden Winkel deſſelben zu beleuchten; auf ſeiner breiten, ehernen Stirn ſchwebte eine leiſe Wolle, 455 feine fchmalen Lippen waren wie immer feft gefchloffen, und zeigten nicht den leifeften Schimmer eines Lächelns. Ah, ich wußte nicht, daß Du Befuh haft, Joſephine? fagte er, fih leiht vor Marianen verneigend, welche feinen Gruß mit einer tiefen und ehrfurchtsvollen Verbeugung erwiederte und dann ihre großen, dunklen Augen mit einem bewundernden Ausdrud auf ihn ge- heftet hielt. Mein Freund, fagte Iofephine mit einem bezaubernden Lächeln, bie Brinzeffin Eibenberg ift mir von ehrfurdhtgebietender Seite empfohlen worden, und ich geftehe, daß ich Denen fehr dankbar bin, welde mir dieſe Schöne und angenehme Bekanntſchaft verſchafften. Die Prinzeffin ijt zwar, wie ich erfahre, der Geburt nach eine Deutfche, aber fie hat das Herz einer Franzöſin, und fie fpricht unſere Sprache beſſer wie viele der Damen, welde ich hier in den Zuilerien höre. Ah, dann redet fie ohne Zweifel die Sprache des alten Franf- reichs, welche Dir immer fo wohlgefällt, vief Bonaparte, und jebt zeigte fih auf feinen feingejchnittenen Lippen ein Lächeln, das fein Antlig erhellte und verfchönte, wie Sonnenglanz. Nicht wahr, Ma- Dame, wandte er ſich plöglicy zu Marianen hin, Sie find hieher ge- fommen, um meiner guten Jofephine Grüße zu bringen von einem Cavalier jenes alten Franfreihs, das für immer in Trümmern zer- fallen- ift? | - | Nein, General, fagte Mariane, deren ftrahlende Blide furchtlos und unverwandt' auf Bonaparte ruhten, nein, General, ich bin hierher gekommen, um das neue Frankreich zu bewundern, und ich werde Madame Bonaparte niemals dankbar genug ſein können für das Glück, das ſie mir in dieſem Moment verſchafft. Es iſt das erſte Mal in meinem Leben, daß ich einen großen Mann, einen Helden ſehe! Und Sie waren doch in London und in Mitau, und haben da die Grafen Artois und Provence geſehen, rief Bonaparte, indem er ſich auf einem Fauteuil neben Marianen niederließ und mit einem Wink ſeiner Hand den Damen zu befehlen ſchien, ihre Plätze auf dem Divan wieder einzunehmen. Und in London, wie in Mitau, in Coblenz und überall bewundert 456 man ben Helden, der wie eine neue Sonne mit dem jungen Sahrhun- ‚dert aufgeftiegen ift! fagte Mariane mit hinreigender Anmuth. Sie ſprachen alfo von mir, diefe Herren des alten Frankreichs ? fragte Bonaparte. Sie fehen, Madame, ih made wenig Umfchweife. Ich bin nichts als ein guter Soldat, und ich gehe gerade auf mein Biel los. Man hat mir gefagt, daß Sie hierher gefommen find ale eine Emiffairin der Bourbonen, und id) geftehe Ihnen, daß ich heute zum erften Male mic) diefen Herren dankbar fühle, denn fie haben eine ſehr Schöne Wahl getroffen. Die Emifjaire, die man bis jet hierher gefhidt, waren weniger ſchön und meniger liebenswürtig. “Diefe Bourbonen verftehen fich beffer als irgend Jemand auf die Schwächen des Meännerherzens, und fie wollen mid) bezaubern, um mich nachher deſto ficherer zu verführen. Berzeihbung, General, man war nidt fo vermeflen, fagte die Prinzeffin lähelud. Auch befige ich weder die Jauberfraft der Armide, noch Sie die Liebesſchwäche des Rinald. Sie halten mich nicht würdig, dem Rinald verglichen zu werden? fragte Bonaparte mit einem glühenden Blick auf die ſchöne Emiſſairin, daß Joſephine es faſt bereuete, dieſe verführeriſche Schönheit in ihres Gemahls Nähe gebracht zu haben. Ich halte Rinald nicht würdig, mit Bonaparte verglichen zu wer- den, fagte die Prinzeffin anmuthig lächelnd. Rinald hat feine Länder erobert, er ift nicht Über die Brüde von Arcole gegangen mit ber flatternden. Fahne in der Hand, er hat nicht die Pyramiden von Aegypten gejehen, und nicht bei Marengo gefiegt! Ah, e8 fcheint, Madame, Sie haben ein gutes Gedächtniß, rief Bonaparte heiter, und Sie kennen nicht blos das alte Frankreich, fon- bern aud die neuefte Geſchichte Frankreichs ſehr genau. General, Sie haben dafür geforgt, daß die Geſchichte Frankreichs die Gefchichte der ganzen Welt ift, und daß die Siege Frankreichs bie Niederlage des ganzen übrigen Europa3 bedeuten. Aber Sie haben nod ein größeres Wunder bewirkt, denn Diejenigen, melde Sie befiegt haben, haſſen Ste nicht dafür, fondern fie bewundern Sie, und indem Ste ihr Unglück verwünfchen, ftaunen fte Über Ihren Heldenmuth . und 457 Ihre Feldherrngröße. Niemand: ift, der nicht diefes Gefühl der Be- wunderung theilt, und Niemand empfindet dafjelbe lebhafter, als bie beiden Männer, die ſich über Frankreich am meiften zu beflagen haben, und e8 dod am menigften thun! Ah, Sie lenken geſchickt wieder auf Ihr Ziel hin, rief Bonaparte lächelnd. Sie find eine gute Strategin, Sie machen eine [chiefe Linie auf dem Terrain der Schmeicdhelei, und rollen um fo rafcher auf vie gerade Straße bin, auf welder Sie den Grafen von Provence und von Artois begegnen wollen, um fie vor mir zu lobpreifen. Rein, Bonaparte, fügte Iofephine raſch, die Prinzejfin möchte Dir vielmehr jagen, wie ſehr diefe Herren Dich lobpreifen uud mit welcher Bewunderung fie von Dir fpreden. Ob, ich bitte, Mapame, wiederholen fie Bonaparte doch, was der Graf von Artois jüngft zu Ihnen gejagt, und weldhe Ehren uud Würden er Dir verleihen möchte. Nun, ich bin doch neugierig, welde Ehren und Würden der Heine emigrirte Herr von Bourbon dem erften Conſul von Frankreich ertheilen fann, fagte Bonaparte mit einem feinen Lächeln. Laſſen Sie hören, Madame, was fagte ver Graf von Artois, und was haben Sie Ma- dame Bonaparte erzählt, das ihr ehrgeiziges Herz mit ſolchem Ent- züden erfüllt hat? Dh, Du willjt mid verfpotten, mein Freund, fagte Joſephine vorwurfsvoll. Nicht doch, ich rede in vollem Ernſt, und ich bin neugierig zu hören, was die Prätendenten geſagt haben. Laſſen Sie uns alſo, Madame, mit Ihrer verführeriſchen Stimme die verführeriſchen Ver— ſprechungen vernehmen. General, es war nicht don den Verſprechungen, ſondern von der Bewunderung des Grafen von Artois für Sie die Rede, ſagte Ma- riane faft ſchüchtern und mit niedergefchlagenen Augen. Wir fpracden von den allgemeinen Angelegenheiten, und Frau von Guiche erlaubte fi in ihrer bezaubernden Naivetät die Trage an ben Grafen von Artois zu richten, wie man den Conful von Frankreich wohl belohnen Eönnte, wenn er die Bourbonen wieder retabliren wollte? Ah, man unterhielt fi von diefem Lieblingsthema der Vertriebenen, 458 von der Rehabilitation! fagte Bonaparte achfelzudend. Und was ant- wortete der Prinz? | Der Graf von Artois erwiderte: „Zuerft würden wir den erften Conful zum Connetable von Frankreich machen, wenn ihm das ange: nehm wäre. Aber wir würden nicht glauben, daß das ein genügender Lohn wäre; wir würden auf dem Carouſſelplatz eine hohe und prächtige Säule errichten, anf welcher fi die Statue Bonaparte’8, die Bour- bonen frönend, erheben ſollte.“*) Iſt das nicht ein ſchöner und erhbabener Gedanke? rief Joſephine freudig, während die Brinzeffin ihre Augen mit einem forſchenden Blid auf Bonaparte’8 Angeficht beftete. Sa, fagte er ruhig, es ift ein fehr erhabener Gedanke; aber was baft Du, als man ihn Dir mittheilte, geantwortet, Yofephine? Was ich geantwortet habe? fragte Joſephine befremdet. Mein Gott, was hätte ich antworten können? Nun, ſagte Bonaparte, deſſen Geſicht jetzt einen ernſten, ſtrengen Ausdruck annahm, Du hätteſt zum Beiſpiel antworten können, daß dieſe ſchöne Säule als Piedeſtal den Leichnam des erſten Conſuls haben müßte. **) | Dh, Bonaparte, welch ein fürcterlihes Bild das iſt, rief Jo— jephine entjegt. Fürchterlich und unwahr zu gleidher Zeit, denn bat nicht der Graf von Artois gejagt, die Bourbonen würden Didy zum Connetable von Frankreich machen? | - Sa, wie Carl der Zweite von England den Mont zum Herzog madte! Ich bin fein Monk, eben fo wenig wie ich ein Cromwell bin. Ich habe fein Haar auf dem Haupt der Bourbonen verlegt, und meine Hand trägt feine Spur von dem Blut Bes unglüdlihen Königs, ber als Sühnopfer gefallen ift für die Sünden feiner Vorgänger. Diefe hatten Frankreich in's Verderben geftürzt, ich habe es aus demſelben errettet, und das Beiſpiel Monk's lehrt mich vorſichtig zu fein, denn er gab dem armen englifhen Volk, welches ihm vertraut hatte, einen *%) Las Cases. Memorial de Saint-Heiöne. Vol. II. p. 337. **) Bonaparte’s eigene Worte. Las Cases II. 337. 459 König, der e8 zwanzig Jahre hindurch unglüdlih machte und Inechtete, und endlich eine neue Revolution veranlafte. Ih will Frankreich vor einer neuen Revolution bewahren, und deshalb will ich kein Mont fein. Und wer auch follte e8 wagen, Sie mit Monk oder mit Cromwell vergleichen zu wollen, General? rief Mariane. Wenn es irgend einen Diann giebt, welcher es werth ift, dem erſten Conſul von Franfreid an die Seite geftellt zu werben, fo ift das nur allein der große Wafhington, der Befreier Amerika's. Ab, Sie meinen, weil wir Beide einer Republik präftwiren, rief Bonaparte mit einem feinen Lächeln. Da ich kein Monk ſein will, hofft man, daß ich ein Waſhington ſein werde. Die Worte koſten nichts, und diejenigen, welche ſie ſo leicht ausſprechen, überlegen dabei wenig, ob die Umſtände der Menſchen, die Zeit und die Gelegenheit ſich eben fo gut zuſammenſtellen laffen, wie ein paar Namen. Wenn ih in Amerifa wäre, würde es mein höchſter Ruhm fein, aud ein Wafhington zu fein, und es wäre im Grunde wenig Verdienſt dabei, denn ich fehe nicht ein, wie man dort vernünftigerweife etwas Anderes thun könnte. Aber wenn Wafhington fid in Frankreich befunden hätte, unter der Zerrüttung nad) Innen, der Invafion von Außen, jo hätte ih ihm nicht rathen mögen, er felber zu fein; oder wenn er es doch hätte bleiben wollen, jo würde er ein Blödfinniger gewefen fein, der das Unglüd Franfreihs nur fortgefegt, nicht beendet hätte. *) Du geftehft alfo zu, daß Frankreich nicht dazu gemacht ift, eine Republik zu bleiben? vief Joſephine freudig, Du willft ibm einen König wieder geben? Erwarte die Dinge, welche kommen werben, fagte Bonaparte ernft. Bor der Zeit Dinge von mir fordern, die nicht der Zeit angemeffen find, wäre thöriht; wenn id jie ankündigte oder verjpräde, würde das ausfehen wie Charlatanismus und Ruhmrederei, und Beides ift nicht mein Genre. **) | Aber Du läßt wenigftens hoffen, daß Du es eines Tages, wenn *) Bonaparte’s eigene Worte. La Cases II. 468. **) Bonaparte’8 eigene Worte. La Cases II. 469. 460 die Zeit gekommen ift, thun willit, nicht wahr, mein freund? rief Joſephine zärtlih. Du wirft diefe fhöne Dame nicht ohne eine gütige und freundliche Antwort von hier meggehen laffen? Sie wird bie Tuilerien, das Haus der Könige, nicht betreten haben, um Denen, welchen e8 nad Geſetz und Recht gehört, bei ihrer Rückkehr fagen zu mäflen, daß unter dem Dad, welches ihre Väter gebaut, fein Platz mehr für fie ift. Nicht wahr, Bonaparte, Du wirft vem rehtmäßigen König von Frankreich hier aus feinem Zimmer nicht eine ſolche Ant- wort fenden? Sie hatte ſich glühend vor Aufregung von ihrem Sig erhoben; dicht zu Bonaparte herantretend, legte fie ihre beiden fehönen Arme um feinen Hals und lehnte ihr lieblihes Köpfchen auf feine Schulter. Dh, Iofephine, was madft Du? rief Bonaparte unwirfh. Wird nicht die Prinzeffin dem Grafen von Provence erzählen, daß hier in den Tuilerien ein rechter Bourgeois und Pantoffelheld wohnt, der mit feiner Frau ſelbſt vor anderen Leuten zärtlih ift, und bafür in allen Dingen ihren Willen thun muß? Und wird man nicht über uns lachen und uns verfpotten, mein Kind? Ich möchte den Titanen fehen, der e8 wagen wollte, über ben erften Conſul zu laden! rief Mariane lebhaft. Sie würden e8 machen wie Zeus, Sie würden mit einem Blig Ihrer Augen den Frevler in den Abgrund niederjchleudern! Bonaparte beftete auf die Prinzeffin einen jo langen, glühenden Bid, daß Mariane erröthete und Joſephinens eiferfüchtiges Herz zu Ihmerzen begann. Ä Sage, Bonaparte, welche Antwort Du dem Grafen von Provence fenden willft? fagte fie, bemüht, feine Aufmerffamleit von dem Bes trachten dieſer verführeriſchen Schönheit abzulenken. Antwort? fragte Bonaparte, worauf ſoll ich denn antworten? General, auf dieſen Brief, den mir der Graf von Provence über⸗ geben hat, und den ich geſchworen, nur in ihre eigenen Hände nieder- zulegen! rief Mariane, indem fie Bonaparte mit einem flehenden Blid ein verfiegeltes Papier darreichte. Bonaparte nahm e8 nicht fogleich, fondern ſchaute die beiden Da- 461 men, welche ihm gegenüber fanden, ihre ſchönen bewegten Gefichter mit einem Ausdruck des lebens ihm zugewandt, mit einem ftrengen Blick an. Es ift alfo ein vollftändiges Complott, meine Damen? Eine völlige Ueberrumpelung der Feftung? fragte er. Sie wollen mid mit Gewalt zwingen, Ihnen die Thore meiner Augen zu öffnen? Weißt Du denn nicht, Joſephine, daß ich geſchworen habe, feine Briefe von dem Prätendenten anzunehmen, um nicht gezwungen zu fein, ihm eine harte Antwort geben zu müſſen? So halte Deinen Schwur, fagte Joſephine lächelnd, nimm Du ben Brief nicht an, aber erlaube mir, daß ich es thue, und laß Dir von mir feinen Inhalt vorlefen. Ah die Frauen, die Frauen! rief Bonaparte lachend. Es find geborne Sophiften, und idy glaube, felbft ven Teufel wären fie nod im Stande zu überliften! Nun, Du folft Deinen Willen haben, nimm den Brief und lies ihn mir vor. | Joſephine ftieß einen Freudenfchrei aus, und nahm den Brief aus Marianens Händen. Während fie das Siegel brady und das Papier auseinanderfchlug, hatte fih Bonaparte von feinem Lehnſeſſel erhoben und begann langjam, die Hände auf dem Rüden gefaltet, im Zimmer auf und ab zu gehen. Bielleiht wußte er, daß Marianens Augen mit forfhendem Ausdruck auf ihm ruhten, und dieſes Forſchen beläftigte ihn. Iofephine las: „Männer wie Sie, mein Herr, flößen niemals Verdacht und Unruhe ein, wie aud ihr Benehmen fein möge. Sie haben vie erhabene Stellung, welde das franzöfifhe Volk Ihnen anbot, angenommen, und ic weiß es Ihnen Dank. Beſſer wie irgend Je— mand willen Sie, wie viel Kraft und Macht es bedarf, um das Glüd einer großen Nation zu begründen. Ketten Sie Frankreich von feinem eigenen Wüthen, dann werden Sie den erften und größten Wunſch meines Herzens erfüllt haben; geben Sie ihm feinen König wieder und die künftigen Gefchlechter werden Ihr Andenken fegnen. Aber Sie zögern jehr lange, mir meinen Thron wieder zu geben, und ich fürchte faft, Sie könnten den rechten Moment vorübergehen lajjen! Beeilen 462 Sie fid aljo und beftimmen Sie felbft die Stellen, welde Sie für fih und Ihre Freunde wünfhen! Sie wer den dem Staat immer zu notbwendig fein, al& daß ich jemals glauben könnte, durch einflußreicye Stellen die Schulden meiner Ahnen und meine eigenen tilgen zu Können. Freigebig van Charakter, werde ich es aud) aus Bernunft fein; wir fönnen das Glüd Frankreichs fihern; ich fage wir, denn Sie können das Glüd Franfreihs nicht ohne mih machen, und ih kann nichts für Frankreich ohne Sie thun. General, Europa beobachtet Sie, und ber unfterblihe Ruhm erwartet Sie.” *) | Immer daſſelbe Lied, murmelte Bonaparte leife vor fi bin, immer die Geſchichte von der Säule, auf weldyer die Statue des erften Conſuls die Bourbonen frönt, während fein blutender Körper der Säule als Stüßpunft dient! Er überlegt! flüfterte Iofephine der Prinzeffin zu. Das beweißt, daß er wenigftens noch nicht entfchloffen, Nein zu jagen! In diefem Moment wandte fid) Bonaparte zu den beiden Damen um, und johritt raſch zu ihnen hin. Sie find beauftragt, die Antwort von mir in Empfang zu neb- men? fragte er, feine büjtern Blide auf die Prinzeffin richtend. Ich werde glücklich und geehrt fein durch jeden Auftrag, den Sie mir anvertrauen wollen! ſagte Mariane. | Bonaparte nidte leiht mit dem Haupt. Wirft Du mir erlauben, bier in Deinem Zimmer und zwar fogleih zu fchreiben, Joſephine? fragte er. Die Gemahlin eilte ftatt aller Antwort zu ihrem Schreibtifch hin, um das Papier zurecht zu legen, einen Stuhl herbeizurüden und Bona- parte mit einem bezaubernden Lächeln die Feder darzureihen. Dann, als er jchrieb, ftügte fie fih im atbemlofer Erwartung an die Lehne feines Fauteuils und fchaute dem Conſul über die Schultern, während die Prinzeſſin Eibenberg, unfern von ihnen ftehend, mit glühenden Blicken Beide betrachtete. *) Diefer Brief ift bioftoriih. Siehe: Memoires d’un homme d’dtat VIL 393. — Las Cases II. 335. 463 Bonaparte fchrieb mit haftiger, fliegenter Hand einige Zeilen, dann warf er die Feder bin, und fi nad Joſephinen ummwendend, reichte er ihr das Blatt dar. Da lies, fagte er, und lies laut, damit bie fchöne Emiſſairin Deines Herrn von Bourbon auch meine Antwort fennt, und weiß, welche Nachrichten fie überbringt! Ä Sofephine nahm das Papier, und mit zitternder, oft von ihren Seufzern unterbrodener Stimme las fie: „Ich habe den Brief Eurer Königlichen Hoheit empfangen: ich habe immer ein lebhaftes Mitgefühl für Sie und für das Unglüd Ihrer Familie gehegt. Ew. Hoheit dürfen aber nicht daran denken, nad Frankreich fommen zu wollen; Sie würden nur über hunderttaufend Leichen dahin gelangen können. Uebrigens werde ich ftet8 beeifert fei, Alles zu thun, was Ihr Schickſal erleichtern und Sie Ihr Mißgeſchick vergeflen laſſen kann.” *) Nun, Iofephine, Du ſchweigſt? vief Bonaparte, als fie geenbet hatte. Du bift nicht zufrieden mit meinem Brief? Und auch Gie, Mapdame, Laffen einen vunfeln Schatten über Ihr Schönes Geficht fliegen. Haben Sie denn eine andere Antwort von mir erwarten fünnen? General, ich glaube, die königlichen Prinzen haben in der That eine andere Antwort gehofft, ſagte Mariane feufzenv. Und was berechtigt Sie zu diefer Hoffnung? fragte Bonaparte fireng. Wodurch habe ih Ihnen zu folden Chimairen Anlaß gegeben? | Öeneral, die günftigen Antworten, welche Sie Preußen gaben — Ach, unterbrad fie Bonaparte adyjelzudend, daher alfo weht ver Wind. Preußen ließ bei mir anfragen, ob e8 uns irgend Unrühe verurfachen würde, wenn e8 bie franzöfilchen Brinzen in feinen Landen duldete. Ich antwortete verneinend, und als man dann nod weiter ging und fragte, ob wir nicht beleidigt fein würden, wenn Preußen den Bourbonen eine jährliche Unterftügung zuwendete, erlaubte ich auch dies, unter der Bedingung, daß die Prinzen ſich ruhig verbielten und feine Intriguen anzettelten. Man hat alfo geglaubt, weil ih es x) Diefer Brief ift hiftorifch. Siehe: Memoires d’un homme d’etat VII. 394 — Las Cases II. 335 — Bourienne Memoires Vel. II. 187. 464 duldete, daß man Nothleidende unterftügt, und Obdachloſen ein Afyl gewährt, würde ich auch bereit fein, die Bettler wieder zu Herren zu maden und den Umherirrenden Frankreich wieder zu Füßen zu legen! *), Bonaparte, Deine Worte find fehr hart und fehr ungerecht, rief Joſephine ſchmerzlich. | Sie mögen hart fein, aber fie find wahr, fagte er ftreng. Ich will nicht, daß man ſich länger über mic täufche, und darum habe ich fo ausführlih rüdhaltlos gejprodhen. E8 wäre hart und graufam, ben Bourbonen Hoffnungen zu erweden, die ich niemals erfüllen werde. Frankreich ift für fie verloren und fie werden es nicht wieder befommen! Sagen Sie das den Prinzen, weldhe Sie gefandt haben, Madame. Mögen die Bourbonen auf ihrer Huth fein, denn Frankreich wacht und feine Augen und Ohren find geöffnet. Ich verzeihe e8 dieſem Fleinen Herzog von Enghien gern, daß er mid nicht für einen großen Feld⸗ herrn halten und meine. Thaten befritteln will, aber ich würde es weder ihm, nod) einem feiner Oheime verzeihen, wenn fie mit ihren unfinnigen Projecten Frankreich beunruhigen wollten. Ich weiß, daß die Bour- bonen ſeit langer Zeit Mittel und Wege ſuchen, ſich ven Scepter bes heiligen Ludwig wieder zu erobern. So, lange ihre Pläne wie Spinne- gewebe in der Luft flattern, verzeihe ich fie ihnen, aber wenn fie Thaten daraus gejtalten wollen, fo mögen fie die Folgen bedenken. Wer Franl- reich bedroht, der ift ein Berräther, er möge einen Namen tragen, weldyen er wolle, und den Berräther trifft die Schwere des Gefeßes. Sagen Sie das den Bourbonen, Madame, fagen Sie das vor Allem dem Herzog von Enghien. Und nun haben Sie die Gemwogenheit, dem Grafen von Provence mein Antwortsjchreiben zu überbringen. Wann gedenken Sie abzureijen? In einigen Tagen, General! Nicht doch, diefer arme Graf von Provence wird ungebulpig fein, eine Antwort zu erhalten, rief Bonaparte, und es wäre fehr graufam, ihm diefelbe nicht fo raſch wie möglich zu überbringen. Ste vor *) Las Cases. II. 337. 465 allen Dingen werben ihn nicht warten laffen wollen und ich rathe Ihnen daher, noch heute, in einer Stunde, abzureifen! Ich werde Ordre er: theilen, daß überall Pferbe für Sie bereit ftehen, und damit Sie nirgends Aufenthalt haben, werde ich Ihnen zwei Orbonnanz- Dfficiere mit- geben, welche Sie bis an bie Grenze escortiren follen. Eilen Sie fid alfo, Madame, in einer halben Stunde wird Alles zu Ihrer Abreife bereit ftehen. Er nidte leiht mit dem Kopf und verlieh das Gemad). Die beiden Frauen waren wieder allein und fie fchauten einander an mit tieftraurigen Bliden. Marianens Antlig war bleid und farblos, in ihren Augen brannte ein düſteres Feuer und ein verächtliches Lächeln zudte um ihre Lippen. Joſephine ſchien verlegen und befangen, und ihre fanften Augen waren von Thränen umbüftert. Man will midy über die Grenze transportiren, wie eine Berbrederin! rief Mariane endlich mit vor Zorn zitternder Stimme. Man bebanbelt mid wie eine gefährlihe Intriguantin, und ich that doch nichts, als daß ich einen Brief des Königs überbrachte. Verzeihen Sie ihm, fagte Joſephine bittend. Man hat ihn arg- wöhnifch gemacht, bie vielen Complotte und Verſchwörungen, bie fchon entdeckt worden find, laſſen ihn ftrenge VBorfichtsmaßregeln nothwendig finden. Bor allen Dingen aber zürnen Sie nicht mir, und id) bitte, flehben Sie zu dem Grafen von Provence, daß er nicht mid verant- wortlich machen fol für die ſchlimme Botfchaft, deren Ueberbringerin Sie find. Ich babe Sie in mein Herz Schauen laffen, und Sie wiffen, daß darin bie treuefte Ergebenheit, die ehrfurchtsvollſte Liebe für ben unglüdlicyen Prinzen lebt, aber ich bin nicht ftarf genug, fein Säidjal zu ändern, id — Eben öffnete fi die Thür, und Herr von Bourienne, der Chef des kaiferlichen Cabinets trat ein und näherte ſich der Prinzeſſin mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung. Madame, ſagte er, der erſte Conſul läßt Sie benachrichtigen, daß Alles zu Ihrer Abreiſe bereit ſei, und er hat mich beauftragt, Sie zu Ihrem Wagen zu geleiten. Joſephine ächzte ſchmerzlich und auf einen Stuhl niederſinlend, Muhlbach, Napoleon. I. Bb. 30 \ 466 5 verhüllte fie mit ihrem Taſchentuch ihr Antlig, um ihre Thränen zu verbergen. Mariane hatte jett ihre ftolze, ruhige Haltung wiebergefunden, und ein trogiges kühnes Lächeln umfpielte wieder ihre Lippen. Mit leifen, ruhigen Schritten näherte fie ſich Iofephinen. Leben Sie wohl, ©eneralin, fagte fi. Ich werde dem Grafen von Provence getreulic Alles berichten, was ich hier gefehen und ge- hört habe, und er wird Sie verehren und beflagen, wie ich es thue. Möge der erfte Eonful nie bereuen, was er jet thut, und möge er nicht eines Tages Frankreich fo verlaffen müſſen, wie er mich zwingt, es zu thun! Kommen Sie, mein Herr, begleiten Sie mid, da es fo fein muß! Und mit body gehobenem Haupte, ftolz wie eine Königin, ſchritt Mariane von Eibenberg der Thür zu. Ioſephine ſchaute ihr weinend nah, dann hob fie die thränen- gefüllten Augen zum Himmel empor. Ob, mein Gott, mein Gott, flüfterte fie, gieb in Deiner Gnade, daß meine fchlimmen Befürd- tungen nicht zur Wahrheit werben... Xenfe Du das Herz Bonaparte's, gieb, daß er nicht weiter gehe in feinem Ehrgeiz, daß er nicht die Hand ausftrede nad) ber Krone der Bourbonen, nit feinen Ruhm beflede mit dem Blut — Oh, Du kennſt meine Befürchtungen, Du weißt, was ich venke, und was meine Lippen nicht auszuſprechen wagen. Scüge Bonäparte und lenkte fein Herz! en VII. Zwei deuitſche Gelehrte. Bor dem Hoͤtel „der deutſche Kaiſer“, dem erſten und renommir⸗ | teſten Gaſthof in Frankfurt am Main, fuhr ſo eben eine mit vier Voſtpferden beſpannte Equipage vor. Der Portier läutete mit ber 467. Hausklingel fo laut und ftürmifch, wie das nur bei vornehmen und an- fehnlihen Gäften zu gefchehen pflegte. Die Kellner ftürzten daher auch mit der größten Eilfertigfeit herbei, und fogar der flattlihe und mwohl- gepuste Wirth Des Hoͤtels hielt es micht unter feiner Würde, felbft aus dem Speiſeſaal herauszufommen, um den Fremden in ber bierfpännigen Ertrapoft zu begrüßen. Es befand ſich in diefer Equipage ein Herr von wohlgenährtem jovialem Aeußern, von friſchem, noch ziemlich jugendlichem Angeſicht. Seine großen blauen Augen blickten heiter und lebensmuthig umher, feine breiten, ſinnlich aufgeworfenen Lippen umfpielte ein wohlwollendes Lächeln, feine Stimme war wohltönend, kräftig und gefund. Finde ich bier bei Ihnen ein gutes und bequemes Duartier und vor allen Dingen ein gutes Abendeſſen? fragte er den Wirth, der, ſeine Kellner und den Bedienten des Fremden bei Seite drängend, felber au den Wagen trat, um den Schlag zu öffnen. | Mein Herr, erwieberte der Wirth mit ftolzem Selbftgefühl, der beutfche Kaifer ift bekannt bafür, daß man bei ihm gut fchläft und gut ißt! Der Fremde ladte laut auf. Wahrhaftig, fagte er fröhlid, das find gar herrliche Ausfichten für Deutfchland. Wenn der veutfche Kaiſer gutes Eſſen und gute Betten liefert, fo weiß ich nicht, was Deutfchland noch mehr verlangen kann! Alfo, mein Herr Wirth, geben Sie mir ſchöne Zimmer und ein Souper! Befehlen Ew. Gnaden im erften oder im zweiten Stod zu logiren ? fragte der Wirth, ehrfurchtsvoll hinter dem Fremden hergehend, ver eben in den Hausflur trat. Im erſten Etod natürlich, der Himmel bewahre mich, zwei Treppen zu fteigen, rief ber Fremde. Ich liebe es bequem und ele- gant zu wohnen. Geben Sie mir aljo drei fehöne Zimmer im erften Stod! Drei Zimmer! fagte der Wirth bevenflih. Ich muß Ew. Gnaben bemerken, daß eigentlih alle Zimmer des eriten Stods für ben Herzog von Baden refervirt find, der morgen oder übermorgen bier eintreffen und gleih allen fürftlihen Berfonen im beutjchen Sailer 30 * 468 Iogiren wird. Ich weiß nicht ob ich noch zwei Zimmer erübri- gen kann. | Geœwiß können Sie das, da der Herzog erſt morgen oder über- morgen kommt, und ich heute ſchon da bin, rief der Frembe. Geben Sie mir die Zimmer, welde Sie befonders für den Herzog beftimmt hatten, dann bin ich gewiß, gut logirt zu fein, ich nehme fie zu dem⸗ felben Preis, für welden Sie viefelben dem Herzog berechnen. Der Wirth verneigte ſich ehrfurdtsvoll und riß dem Oberfellner den filbernen Armleuchter aus der Hand, um felber die Ehre zu haben, dem Fremden die Treppe hinauf zu leuchten und ihn in feine Zimmer zu führen. Die Kellner, welche in ehrerbietigem Schweigen zu beiden Seiten des Flurs geftanden hatten, ſtürzten jet gefchäftig nad) gan Wagen hin, um dem Bedienten des Fremden beim Abladen der Koffer und Reiſeeffekten bebüflich zu fein. Was das Souper anbetrifft, jo bitte id, daß Sie ſich einbilden, ih fei der erwartete Kurfürft von Baden, und danach ihre Vorkeh⸗ rungen treffen, fagte der Fremde, indem er bie Treppe binauffchritt. Sch liebe vor allen Dingen ein gutes Abendefjen; wenn Sie mir Fa- fanen vorzufegen haben, fo bin ich damit zufrieden, nur forgen Sie dafür, daß fie gut mit Trüffeln gefpidt find. Und jeine Stimme verhallte in dem großen Corribor, den er eben, unter Bortritt des Wirths, hinunterfchritt, um Die Staatszimmer des Hötels in Beſitz zu nehmen. | Die Kellner waren immer noch mit dem Abpaden der Koffer be- ſchäftigt und benugten diefe Zeit, um dem reich gallonirten Bedienten des Fremden über Rang, Namen und Stand feines Herrn aus- zufragen. - Sie erfuhren von ihm, daß ber Herr eben aus London fomme, wo er fih faft ein Jahr lang zu feinem Bergnügen aufgehalten, daß er jeßt auf der Reife nah Wien begriffen fei, und ſchon am nädjften Tage Frankfurt wierer verlaffen werde. Aber was diefer Feine Koffer da ſchwer ift, fagte einer der Kellner, indem er vergeblid) verfuchte, einen mit gelben Nägeln und Meffingleiften defchlagenen Koffer aus dem Wagen zu heben. _ 469 Ich glaube wohl, daß er fchwer ift, fjagte der Bediente ſtolz. Dieſer Koffer enthält das baare Geld und die Pretioſen meines Herrn. Es find wohl ein Dutzend goldene mit Brillanten beſetzte Uhren, und ebenſo viele Doſen darin. Noch am Tage unſerer Abreiſe bekam mein Herr von der Königin von England eine prachtvolle Doſe zugeſandt, auf welcher ſich das Portrait der Königin, in Brillanten eingefaßt, be⸗ fand, und dieſe Doſe war noch dazu ganz mit Goldſtücken angefüllt! Kommen Sie, fallen Sie den Koffer an jener Seite an, ih will ihn an diefer Seite faflen, und wir wollen in gleich binauftragen in das Zimmer meines Herrn. Wie fie eben mit ihrer toftSaren Loft in den Hausflur traten, bielt abermals ein Wagen vor dem Hötel an. Aber dies Mal war es nur ein häßlicher, rumplicher Korbwagen, beipannt mit zwei elenden Miethsgäulen, mit hängenden Köpfen und keuchenden Bäuchen. Der Bortier hielt e8 daher auch nicht der Mühe werth, für dies elende Fuhrwerk die Glocke zu ziehen, fondern begnügte fih, langſam bie Hände in den Hofentafchen verbergend, zu vem Wagen zu jchlen- dern, und einen geringſchätzenden Blid in das Innere deſſelben zu werfen. Auch in dieſem Wagen faß nur ein einzelner Herr, aber fein Aeußeres war weniger herzerquidenb und Trinkgelder verkündend, als das des erften Fremden. Es war ein bleiher, ſchwächlicher, Heiner Mann, der fih in dem Wagen befand. Sein Antlig batte etwas Ernftes, Sorgenvolles, feine dunklen Augen waren düſter und ftreng, feine hohe Stirn gedantenvoll und beſchattet. Kann man in Ihrem Hötel ein Nachtquartier haben? fragte er mit. flarer, voller Stimme. h Gewiß, mein Herr, fo ſchön und prächtig, als Sie e8 nur immer wünfchen können, fagte der Portier mit vornehmer Nachläſſigkeit. Ich verlange es weder ſchön noch prächtig, erwiberte der Fremde. Nur ein ganz Meines Stübchen mit einem bequemen Bett. Das if Alles, was ich begehre. Es fteht zu Ihrer Verfügung, mein Herr, fagte der Portier, und indem er den jüngften der Stellner herbeiwinkte, vamit er dem Fremden "470 beim Ausfteigen behülflich fei, feste er hinzu: geben Sie dem Herrn eins ber kleinern Zimmer im erften Stod. Nicht doch, fagte der Fremde, ich verlange nicht im erften Stod zu wohnen, ich begnüge mich mit einem Zimmer im zweiten Stock. Haben Sie die Gefälligfeit, für mich den Lohnkutfcher zu zahlen. Er befommt zehn Gulden, und Sie fchreiben e8 mir auf die Rechnung. Und befomme ich gar fein Trinkgeld? fragte der Lohnkutſcher un- wirſch. Der Herr wird doch unmöglich nad einer Reife von brei Tagen mir ein Trinkgeld verweigern. Mein Freund, ein foldes war eigentlich nicht in unferm Contract bebungen, jagte ber Fremde. Indeß ich will es Ihnen gern gewähren, denn Sie haben mid gut gefahren. Er reihte dem Kutjcher einen halben Gulden, und ging mit ge- meflenen Schritten in das Hötel. | | Befehlen Sie zu foupiren? fragte der Fellner, ihm die Treppe hinauf leuchtend. Ja, ich bitte, fagte der Fremde. Aber kein glänzendes Souper, ſondern nur ein Tafle Thee, etwas Brod und Fleifd). Ein armer Schluder, murmelte der Portier, mit verächtlichem Achſelzucken dem Fremden nachſchauend. Ein reht armer Schluder, nur ein Zimmer im zweiten Stod, Thee und kalte Kühe! Es ift fiherlih ein Gelehrter, ein Profefior, oder fonft dergleichen Zeugs! — Der Bediente und der Kellner hatten indeß den fehweren Koffer mit dem Gold und den Koftbarkeiten in den erften Stod, in die von dent erften Fremden bewohnten Zimmer getragen. Diefe Zimmer waren in der That. auf das Glänzendſte ausgeftattet, und ganz würdig, von fürftlihen Gäften bewohnt zu werben. Schwere feidene, golddurch⸗ wirfte Tapeten bevedten die Wände, Foftbare Sammetvorhänge, mit goldenen Franzen eingefaßt, verhüllten die hohen Bogenfenfter, den Fußboden zierten Eoftbare, türkifche Teppiche, vergoldete Meubles von herrlicher Schnitarbeit und mit fammetnen Bolftern fchmüdten ven Raum. Auf einem biefer prachtvollen Divans lag der Fremde, als man - feinen Bretiofenkoffer zu ihm herein trug. Er befahl dem Bebienten 471 mit einem ſtummen Wink feiner Hand, die Kaflette vor ihm auf den Mearmortifh von florentinifcher Arbeit niederzufegen, und ftredte dann wieder behaglich feine Füße auf dem fammetnen Divan aus. Kaum aber hatte fih die Thür hinter dem hinausgehenden Be⸗ dienten und Kellner geſchloſſen, als er haftig fich erhob, und die Kaflette zu fi heranziehend, fie mit dem Heinen Schlüffel öffnete, der an ſeiner Uhrkette befeftigt war. j Jetzt will ich enblih einmal meine Reichthümer zufammenredhnen und das Facit ziehen, fagte er vor fih bin. Die Zeit des goldenen Negens ift jegt wohl für einige Zeit vorüber, denn in Deutſchland wird ein. Schriftfteller und Gelehrter niemals für eine Danae ange- fehen, und feiner will der Zeus fein, der einen Goldregen an fie ver- ſchwendet. Die praftifhen Engländer, welche in allen Dingen klüger find, wiſſen daher auch einen Schriftfteler von Talent beffer zu ſchätzen und feine Feder beffer zu bezahlen. Gott fei Dank, daß ich in Eng- land war! Yet fehen wir einmal, was wir haben! Er faßte mit beiden Händen in bie Kaflette und z0g fie gefüllt mit Goldſtücken wieder hervor. Wie herrlich das klingt, fagte er, die Goldſtücke auf den Tiſch werfend, und immer neue hinzufügen. Es giebt feine Muſik der Sphären, welhe fih mit dieſem Ton vergleichen ließe, und keine Ausfiht ift ſchöner, als der Anblid dieſes Goldhaufens! Wie viel zärtliche Liebesblide, wie viel Föftliche Diners, wie viel Freundſchafts⸗ betheuerungen und Liebesſchwüre, wie viel Feſte und Freuden bligen mir da nicht aus den Riten der Goldſtücke wie aus einem Zauber- bergwerf hervor. Ich will als guter Feldherr meine Truppen zählen, um danach meinen Schladhtplan entwerfen zu fünnen! Eine lange Baufe trat jegt ein. Man hörte nichts als das Klirren ber Goldſtücke, welche der Neifende in langen Reihen über ven Mlar- mortifch binzählte, und die Zahlen, welche er mit immer mehr ſich über- Härendem Angeficht leife vor fih hin murmelte. Fünfhundert Guineen, rief er dann freudig, das macht nad preußiſchem Gelde runde dreitaufend breihundert und brei und dreißig Thaler, dazu kommen zwei Banknoten von taufend Pfund, bie ih in 472 meiner Brieftafge babe, und welde zufammen über dreizehntauſend Thaler betragen, das macht alfo mit meinen Guineen zufammen über ſechszehntauſend Thaler baares Vermögen. Oh, ih bin alfo jegt ein reiher Dann, ih habe nicht mehr nöthig mir irgend einen Wunſch, einen Genuß zu verfagen, Tann das Xeben genießen, und beit ewigen Himmel, ic will es! Wie ein Strom des Genuffed und Entzüdens folen meine Tage dahin raufchen, und zu dem Genuß foll fi der Ruhm. gefellen, und weithin durch ganz Deutſchland full meine Stimme erfhallen, in allen Rabinetten foll fie wiedertönen, und den Gejchiden ber Völker fol fie ihren Weg und ihre Richtung andeuten. Zu großen Dingen bin idy berufen, und Großes will ih vollführen. Aber des Arbeiter fei der Kohn würdig! Ich will mi nicht von diefen Herr- göttle’8 der Erde verbrauden lafjen als einen Handlanger und Ge— jellen, dem bie Herren Meifter Arbeit geben und ihn dafür bürftig be- zahlen. Ebenbürtig und gleichberechtigt will ich ihnen zur Seite ftehen, und fie follen es als eine Gunft erfennen, die fie nicht ſchwer genug mit Gold aufwiegen können, wenn ich für fie und ihre Intereffen das Wort nehme und mit meiner jeder für fie Schlachten erobere! Als es jett leiſe an die Thür Mopfte, warf er raſch fein ſeidenes Taſchentuch über die Golpftüde und Papiere und ſchloß den Dedel feiner Cafjette, bevor er einzutreten erlaubte. Es waren nur einige Kellner, weldye ven fervirten Tiſch herein. trugen, in deſſen Mitte ein köſtlicher Yafan feine braunlich glänzenden Glieder hinftredte und das ganze Zimmer mit dem Duft der Trüffeln, die fein Inneres verbargen, ausfüllte. Daneben glänzte in cruftallenen Flaſchen der Föftlichfte Aheinwein, wie flüffiges Gold anzufchauen, und eine verfchwiegene, noch unenthüllte Paſtete ließ den pikanteſten Ge⸗ nuß ahnen. Der’ Reiſende ſchlürfte bie verſchiedenen Düfte mit lächelndem Wohlbehagen ein und nahm an dem Tiſch ſeinen Platz mit der voll⸗ kommenen Zuverſicht, die nächſte Viertelſtunde ſeines Lebens mit Nutzen und Genuß ansfüllen zu können. Diefe Zuverſicht täuſchte ihn nicht, und als er ſich endlich von ber Zafel erhob, auf welder von dem Fafan nichts als die Knochen, und 473 son ver Baftete nichts als der leere Rand geblieben, glänzte fein Antlig vor innerer Befriedigung und Bergnüglichkeit. Die Kellner beeilten fi, den Tiſch wieder -hinauszufchaffen, und der Oberkellner erfchien mit dem großen Fremdenbuch, um den Reifenden zu bitten, feinen Namen in bafjelbe einzuzeichnen. Er war bereit dazu und nahm ſchon die Feder, um feinen Namen zu fchreiben, als er plöglich einen Schrei der Ueberrafhung ausſtieß, und lebhaft mit dem Finger auf die legte befchriebene Zeile des Buchs binbentete. Iſt diefer Herr noch in Ihrem Hötel, oder ift er ſchon abgereift? fragte er haſtig. Nein, Ew. Gnaden, diefer Herr ift erft vor einer Stunde bier angelangt, und wird die Nacht hierbleiben, fagte ver Oberfellner. Ob, welche Ueberrafchung, rief der Neifende auffpringend. Kommen Sie, Herr Oberkellner, führen Sie mich gefälligft fogleich zu diefem Herrn bin! Und er eilte mit ungebuldiger Haft nad der Thür, welche der Dberfellner ihm öffnete Aber auf der Schwelle blieb er plötzlich fteben und fchien zu überlegen. | Ich bitte Sie, warten Sie hier im Corridor auf mich, ich werbe Ihnen gleih nachfolgen, fagte er, indem er in fein Zimmer zurldtrat, die Thür deſſelben hinter fih ſchloß und zu dem Tiſch-hineilte, um fein Gold und feine Papiere erft wiener in die Caſſette zu legen und diefe zu verfchließen. Der Reifende in dem Heinen Zimmer bes zweiten Stocks hatte indeß auch fein frugales Mahl vollendet und war jest damit befchäftigt, feine Reifelaffe zu überzählen, und die Heinen Ausgaben ber leßten Tage in fein Notizbuch einzutragen. Es ift doch eine fehr theure Reife, fagte er leiſe vor ſich hin, ich werde kaum noch einige Hundert Gulden befigen, wenn ich in Berlin anlange. Freilich bekomme ich da jogleih das erfte Quartal meines Gehalts ausgezahlt, aber ih habe ja die Hälfte davon ſchon meinen Gläubigern verfchrieben, und die andere Hälfte wird kaum binreichen, um einige Zimmer anftändigermaßen meubliren und einrichten zu können! 474 Dh, mein Gott, wie beneidenswertb find doch Diejenigen, welchen die Freiheit und Heiterkeit des Geiftesnicht durch materielle Sorgen getrübtwirb. Ein lautes Klopfen an feiner Thür unterbrad, ihn in feinem Selbft- geſpräch; er eilte, feine Baarfchaft wieder in feine Börſe zurüdzufdieben, als die Thür haftig geöffnet wurde und ber Fremde des erften Stod- werfes mit lachenden Zügen in derfelben erjchien. Friedrich Gen! rief der Befiger des Zimmers überaſcht und freubig. Johannes Müller! rief der Andere lachend, indem er mit aus- gebreiteten Armen zu ihm bineilte und den Fleinen Mann, den großen Gefchichtfchreiber, zärtlich in feine Arme ſchloß. Welch ein Glüdsftern, mein Freund, daß ich in dieſem Hötel abfteigen mußte, wo id die Freude haben follte, Sie wiederzufehen. Im’ Fremdenbuch fand id durch Zufall Ihren Namen und fogleich ftürzte ich fort, Sie zu begrüßen. Und indem Sie zu mir fommen, bereiten Ste meinem Herzen eine wahre Freude, jagte Johannes Müller innig, denn nichts gewährt eine höhere Freude als das unerwartete Begegnen mit einem geliebten und verehrten Freunde, und Sie wiffen, daß Sie Beides mir find! Ich weiß nur, daß Sie Beides mir find, rief Gens, ich weiß nur, daß ich auf meiner jegigen Reife Ihnen bie föftlichften Stunden, die erhabenften Geiftesgenüffe verdanke. Ich hatte mir Ihre Darftellung des Fürftenbundes als Keifelectüre mitgenommen. Ic wollte fehen, wie dieſes Buch, welches bei feinem Erfcheinen mich fo gewaltig hin- gerifjen hatte, jet nad) beinahe zwanzig Jahren auf. mid, wirken würde. Die Welt hat fi ſeitdem umgearbeitet und verändert, ich jelbft nicht weniger, und ich fühlte wohl, daß in vielen Hauptanfichten meine An- Ihauungen ſehr weit von den ‚Ihrigen abweichen würden. Freilid) war das auch fo, und dennoch war bie ganze Lectüre für mich ein fortgefegter Strom von Vergnügen und Bewunderung. Ich las vier Wochen lang in meinen Mußeftunden nichts anderes als diefes Bud) und ich fühlte mein Gemüth zu allem Großen und Guten und Schönen auf’s Neue geweiht, geftärkt und geftählt. *) *) Gentz's eigene Worte. Siehe: Briefwechfel mit Johannes won Müller. Brief 8 . 475 ‚Wenn Sie Das fagen, rief Müller, dann habe ich nicht umfonft gearbeitet, obwohl e8 einem beutfchen Schriftfteller jegt beinahe fo vorkommen möchte, als ob fein Arbeiten, Schreiben und Denken ver⸗ geblihe Mühe und nichts weiter als ausgeftreuter Samen fei, ber aber auf ein bürres und ımfruchtbares Feld geworfen, und daher Feine Früchte tragen wird. Oh, Freund, welche unglüdfelige Tage ber Erniedrigung und Schmad werden Deutſchland noch bevorftehen. Aber nicht davon wollen wir jet reden, forfdern von Ihnen! Kommen Sie, lafien Sie uns hier neben einander auf dem Divan Plag nehmen und nun erzählen Sie mir von Ihren Erfolgen und Ihrem Ruhm. Die Kunde davon ift ſchon zu mir gebrungen, und ich habe mit neid⸗ loſem Entzüden vernommen, mit welchem Enthuſiasmus die ganze gelehrte und politiiche Welt von England Sie aufgenommen, und wie der Hof, die Minifter und die Ariftofratie in London ben großen deutfhen Scriftiteller und Politiker gefeiert haben! Es ift wahr, ich habe viel Wohlwollen und viel Anerkennung in London gefunden, fagte Gent lädelnd. Sie willen ja, ein deutfcher Schriftfteller muß immer in's Ausland gehen, wenn er ein wenig Anerkennung und Lohn beanfpruchen will, denn wie das Sprichwort fagt: die Propheten gelten nichts in ihrem Vaterlande.“ So mußte id) denn nad England gehen, um meiner Stimme, weldye man bis dahin wenig beachten mochte, auch für Deutjchland einigen Nachdruck zu geben. Und de Ihnen Dies fo glänzend gelungen ift, fehren Sie jetzt hoffentlich für immer nad Deutſchland zurück? Es hat faſt den Anſchein. Ich folge einem Rufe des öfterreichi- ſchen Minifters von Cobenzl, und bin in Wien als kaiſerlicher Hofrath mit viertaufend Gulden Gehalt angeftellt. Und in weldem Minifterium werben Sie arbeiten? Im gar keinem beftimmten! Ich bin nur zu außerorventlihen Dienften da, und habe feine andere Berpflihtung, als, wie mir Herr von Cobenzl ausdrücklich ſchreibt: „durch meine Schriften für die Er- haltung der Regierung, Sitten und Ordnung zu wirken.” Ein Lächeln flog über die feinen Züge Müller’s bin. Genau 476 - diefelben Worte, welche Herr von Thugut mir vor zwei Jahren fagte, rief er. Und Sie haben ven Muth gehabt viefe Stelle anzunehmen? Ja, ich habe es gethan, denn ich hoffe damit dem Vaterland einen Dienft erzeigen, und ihm nützlich fein zu können. Ich babe mein Preußenthbum für immer von mir abgethan, und werde von nun am mit Leib und Seele ein Defterreicher werben! Wie wunderbar doch die Fügungen des Schickſals find, rief Johannes Müller, denn ich muß Ihnen darauf erwiedern: ich habe mein Oeſterreicherthum für immer von mir abgethan, und werde von nun an mit Leib und Seele ein Preuße werden! Wie? Sie gehen nach Preußen? Sie verlaſſen den öſterreichi— ſchen Staatsdienſt? Ja, für immer! Ich folge einem Rufe nach Berlin. Oh, rief Gentz, ich habe nicht den Muth mich zu beklagen, daß ich Sie in Wien entbehren muß, denn das Schickſal in ſeiner Weisheit hat über uns Beide entſchieden, und es will uns nutzbar machen für die große, erhabene Sache Deutſchlands. Beide an einem Orte vereinigt, würde unſer Wirken nicht ſo weitgreifend, ſo mächtig ſein können, und deshalb ſtellt das Schickſal Sie im Norden, mich im Süden Deutſch⸗ lands auf, damit unſere Stimmen herüber- und hinübertönen können durch Deutſchland, und alle Geiſter wecken, und alle Thatkraft entflammen ſollen zu dem Einen großen Ziel, zur Errettung und zur Ehre Deutſchlands! Sie glauben alſo noch an die mögliche Errettung und an die Ehre Deutſchlands? fragte Müller ſeufzend. Ja, ich glaube noch daran, rief Gentz begeiftert, aber Vieles muß dazu gefchehen, Vieles erftrebt und umgefchaffen werden! Zwei Dinge vor Allem find dazu nöthig. Zuerft muß die alte Feindſchaft zwiſchen Defterreich und Preußen ſchwinden, und Beide müſſen fich feft untereinander und dann zufammen wieder mit England verbinden, gegen Frankreich. Dies ift es, was ich in Wien, Sie in Berlin niemale aus den Augen verlieren, wonach wir mit aller Kraft unfere Geiftes und unferer Be⸗ redtſamkeit ftreben müſſen, denn es ift eins ver legten nod übrigen Mittel zur Aufrechthaltung der Unabhängigfeit von Europa, und zur Abwendung einer Sündfluth von Uebeln, die mit jedem Tage furdt- 477 barer ausbridht. Von dem Augenblid an, da Defterreihh und Preußen auf Einer Linie Ttehen, und fih nad Einer Richtung bewegen, giebt es nirgends in Deutſchland ein abgefondertes Intereſſe mehr. Unter die Flügel dieſes mächtigen Bundes würden fi fogleih und ohne MWiderrede alle großen und Meinen Fürſten begeben, die Gutgefinnten mit Weberzeugung und Liebe, die Unpatriotiihen aus Furdt. Was von der Berfafjung noch aus dem letzten Sciffbrud geborgen ward, wäre für die Dauer diefer Verbindung firirt, und was ferner geändert werden müßte, würde nah Grundſätzen der Gerechtigkeit und ver allgemeinen Wohlfahrt, nicht nad) den ihimpflichen Vorſchriften fran- zöſiſcher oder ruffifher Unterhändler und Ländermäller geändert. *) Sie haben Recht, rief Johannes Müller, eine fefte Bereinigung Defterreihs und Preußens ift nöthig, und nur durch fie und durch fie allein ift die Erhaltung des europäifchen Gleichgewichts möglich, aber anlehnen muß man fi jegt an die ruffide Macht und Englands Reffourcen! | - Nein, nein, ſchrie Geng ungeftüm, feine Gemeinfhaft mit Ruß- land! Rußland ift ein Freund, dem niemals zu trauen ift, denn je nachdem e8 fein Vortheil, ift e8 zu jeder Stunde bereit, feines Freundes erbittertfter Feind zu werden. Wir haben davon ja erft jegt ein ſchlagendes und fürdterliches Beifpiel gehabt, als Kaiſer Baul Deutſch⸗ land und England plögli verließ, um fih mit Frankreich zu ver- bünden. Die Bereinigung von Franfreih und Rußland ift für das ganze übrige -Europa aber die drohendſte und fürchterlichſte Combina⸗ tion. Bon allen Wunden, die dem alten politiihen Syftem und na- mentlich der Selbitftändigfeit Deutſchlands in den legten zehn Jahren gefchlagen wurden, find die, welche Frankreichs vorübergehendes Ein- verftändniß mit Rußland uns beibradhte, die tiefften und unheilbarften gewefen. Erhebt fich diefer Komet zum zweiten Mal über unferm Haupt, fo gebt die Welt in Flammen auf. Was foll, wenn nit das vereinte Gewicht und die wereinte Maſſe von Deutfchland ſich zwiſchen *) Gentz's eigene Worte. Siebe: Briefwechjel zwifchen Gent und Johannes von Müller. Herausgegeben von Guſtav Schlefier. Geite 27. 478 ihre Umarmung wirft,. der gemeinſchaftlichen Macht diefer beiven Co- loſſe wiverftehen? Der weftliche hatte längft alle feine alten Schranken durchbrochen, ale Bormauern find in feiner Gewalt, alle Feſtungen, die nicht fein, find gefchleift, alle militairifchen Vertheidigungspunkte überflügelt. Bon der Schweiz und Italien her, vnn den Gipfeln ber ihm unterthänigen Alpen, fann er ſich unaufhaltfam auf das Centrum der öfterreihifchen Monardie ftürzen, auf ebenem Felde in die allent- halben offenen Provinzen der unbededten preußiſchen Monarchie ein- ziehen. Und nun laflen Sie e8 der Vorfehung gefallen, einen ehr- geizigen, eroberungsflictigen Fürften auf den ruffifhen Thron zu erheben, und die Unterjohung von Deutſchland, die Auflöfung aller noch beftehenden Neiche, eine Doppelte Univerfal-Monardie wäre unter den jegigen Umftänden die nädfte Folge, und dies wird, wenn das jegige Syſtem ober vielmehr bie jegige, troftlofe Erſchlaffung noch einige Jahre fortvauern follte, über kurz oder lang Europa's unver- meidliches Scidfal fein. *) Es giebt jegt für Deutfchland nur einen Feind, fagte Ichannes Müller heftig, dieſer eine Feind ift Sranfreih, ift Bonaparte! Eine neue Kriſis rüdt heran, davon bin ich überzeugt. Bonaparte wird fih nicht genügen lafjen an dem Titel und Wefen eines erften Con- ſuls auf Lebenslang, er wird fi eine Krone auf fein Haupt fegen, und mit feinem Scepter wird er allen Monarchieen drohend fid gegenüberftellen, fie werben entweder fih vor ihm beugen, oder ſich gegen ihn vereinigen müſſen. Keines andern, Feines möglichen, künf- tigen Feindes gedenke man daher, fondern nur des allgemeinen, und feiner mit der allgemeinen Ruhe unvereinbarlihen Regierung. Auf den, allein auf den, errege, ergieße man allen Haß durch die volle Meberzeugung, daß dem Frieden der Welt Niemand, als 1 eine Eriftenz allein zuwider ift.**) Noch etwas Anderes giebt es, was ich für Deutfchland erflehen und erwänfchen möchte, fagte Gens finnend. Ih will Ihnen jett *) Gentz's eigene Worte. Siehe: Briefwechſel. ©. 31. **) Sobannes von Miller eigene Worte. Siehe: Briefwechlel. ©. 39. 479 meine innerften Gedanken offenbaren, mein 1 Freund, denn ich bin über- zeugt, e8 war ein Fügung des Schidjals, daß wir bier zufammen trafen, und die Borfehung hat gewollt, daß wir, die geiftigen Streiter für Deutfchland, hier uns befpregen follten über unjern Feldzugsplan, und uns einigen follten zu gemeinfamem Handeln. So follen Sie benn: mit mir binabfteigen in bie Tiefe meines Herzens, und fehen, zu welchem Refultate mic das langjährige Nachdenken über die Urſachen und den Gang der großen Zerrüttungen unferer Tage, und mein tiefer Sammer über Deutfchlands politiihen Verfall geführt haben. Das Refultat ift, daß ich meine, es wäre für Deutſchland unendlidy. vor- theilhaft, wenn es in Einen Staatskörper vereinigt würde. Ob, fehen Sie mid nicht fo erftaunt und böfe an! Ich weiß fehr wohl, und babe tauſend Mal darüber nachgedacht, was bie Zerftüdelung Deutſch⸗ lands für einen wohlthätigen Einfluß auf die freie Entwidelung der individuellen Kräfte gehabt bat; ich ſehe ein, daß wir als Einzelne be- tradhtet, in einer großen und geſchloſſenen Monardie, höchſt wahr- ſcheinlich das nicht geworden wären, was wir jetzt ſo ruhmvoll und ſo einzig find; und inſofern als eine Nation doch am Ende nur aus In- dividuen befteht, ſehe ich freilich nicht recht ab, wie die unfrige ohne. ihre Anarchie zu der Höhe gelangt wäre, die fie behaupten — würde, wenn fie eine Nation wäre! Aber fo oft ich mir denke, daß fie feine ift, jo oft ich mir denke, wie Franfreih und England, mit offenbar geringern Mitteln und tief untergeorbnneten Anlagen, zu biefer wahren Totalität des menfchlihen Lebens, zu biefer wahren Nationa- lität, die nichts mehr zerftören kann, herangewachſen find, fo oft ich denke und fühle, wie Ausländer, die wir aus unferm hohen Standpunft fo tief unter uns erbliden, doch im politifhen Sinn auf unfern Naden treten und ung wie ihre Bedienten behandeln bürfen, jo oft ver- fhwinden mir alle von unferer großen und herrlihen Individualität hergenommenen Zroftgrüände und laffen mich mit meinen Schmerzen allein.*) Ich geftehe es Ihnen frei, daß ih auf dem Wege diefer traurigen Betrachtungen ſchon fo weit fortgegangen bin, daß es mir *) Gentz's eigene Worte. Siehe: Briefwechjel. S. 20. 480 endlich zweifelhaft geworben ift, ob man die ganze Geſchichte vor Deutihland aud je nod aus einem richtigen Geſichtspunkt behandelt bat. Ich weiß es leider wohl, daß die Kegenten des Öfterreichifchen Hauſes es felten oder nie verdienten, Beherrſcher von Deutfchland zu fein, aber ich glaube nicht, daß man Urfache hat, über das Miß⸗ lingen ihrer Pläne zu frohloden; es ift mir übrigens fehr gleichgültig, ob es einem Habsburger oder Baiern, oder Hohenzollern oder Hoben- ftaufen gelungen wäre, das Reich unter Einen Hut zu bringen; ich ftelle mid) nur auf einen öfterreihifhen Standpunft, weil dies Haus die meifte Wahrſcheinlichkeit für fih und auch die höchſte Verbindlichkeit auf ſich hatte, diefe Einheit Deutfchlands zu vollbringen! — Nun kennen Sie meine innerften Gedanken, nun belehren und berichtigen Sie diefelben, mein Freund! Nicht belehren und berichtigen will ich, fagte Müller, indem er Geng mit einem zärtlihen Blid die Hand darreichte, nur meine Mei- nung will ich austaufhen mit der Ihrigen. Ich ftelle mir jest alſo vor, wir Beide wanderten, wie vor einem Jahr, wie vor Ihrer Reife nah England, in dem fchönen Saal der kaiferlihen Bibliothef auf und ab, wo die Kaifer von Habsburg in ſechszehn großen Bildfäulen an ihre Periode erinnern. Bor welchem derſelben wollen wir uns hin ftelen und fagen: Schade, daß Du weifer, edler Fürft nit allein und felbft über Germanien herrfcheft, wie würdig warft Du, daß das moraliſche politiihe Wohl der ganzen Nation der Beftimmung Deines Willens, daß Deiner Kraft Alles Überlaffen würde! Es ift wahr, murmelte Gent traurig, wir haben in der Gefchichte Deutfchlands keinen Kaifer, König oder Fürften, zu dem man jo ſprechen möchte und könnte! Und auch nicht daher kommt unſer uuglüd, rief Müller, nicht von dem Mangel Eines Herrn, nicht das iſt ſo übel, daß wir nicht einen einigen Nacken haben und nicht von einem Streich fallen können; in uns, nicht in den Formen liegt's! Hätten wir einen großen Mann, er dürfte nicht Kaiſer, nicht König fein, wär’ er ein fähfifher Moritz, ein Statthalter von Holland, er würde die Nation in der Noth an- ziehen, fie würbe um ihn, er über ihr fein! Das wir den Mann nicht 481 haben, ift eine Folge ver verrätherifhen Erziehungsmethope und ber fhiefen Richtung, welche unfere Denfungsart genommen hat. Alles ift bei uns zu Schlaf gegangen, recht bürgerlich in der Stille Die alte Poeſie vom Baterland, von Ehre und Heldenthum fcheint bei uns er- ftorben, wir fchlafen und träumen noch nicht einmal! Um wieder zu ung zu fommen, ift uns bei Gott ein eitler Tyrann, der uns in's Ge⸗ fiht höhnt, indem er unfere Tafchen ausraubt, durchaus nöthig. Bielleiht hat Die Borfehung Bonaparte dazu auserfehen, dieſer Tyrann zu fein, der Deutfchland durch Mißhandlungen aus feinem Schlaf er- wede, vielleicht fol er Durch feinen Defpotismus In den Deutfchen das Gefühl für Ehre, Freiheit und Vaterland auferweden, vielleicht foll er die Zuchtruthe fein, welche und martert, damit das faule Fleiſch von uns abfalle und der Geift wieder lebendig in ung werde! Das ift es, was ich von dem Tyrannen erhoffe, daß er Deutfchland befreie! Gott weiß es, dienen möchte ich ihm deßhalb nicht, mein Blut aber gäbe ich, gefhweige meine Ideen und Gefühle, den Befreiern der Erde!“) Laſſen Sie uns aljo hoffen, erwarten und vorbereiten! Beſchäftigen wir uns nicht mit dem Deutſchland, wie e8 vielleicht in feiner Einheit fein Fönnte, fondern mit dem Deutfhland, wie e8 in feiner Bielge- ftaltung fein Tann. Der Deutfche ift nicht dazu gemadıt, wie ber Engländer oder der Franzofe, in einem einzigen großen Staat zu leben. Klima, Drganifation, das elende Bier, die wenige Theilnahme am Welthandel hindert e8; der etwas phlegmatifhe Staatsförper muß in jedem feiner Theile felbftftänpiges Leben haben; von Einem Haupte würde die Verbreitung zu unmerklich fein. Wir müfjen ung des Ruhms begnügen, welden Joſeph, Yriedrih, weldhen die Meinung von ver Sefammtheit gab und wenn e8 im nädften Kampf gelingt, glänzend genug geben wird.**) Wir müflen kämpfen, ftreiten und ringen, die Individuen für die Gefammtheit, als Individuen uns einigen zu einem großen Ganzen. Sie ertennen, glei .mir, die Eintracht zwifchen Defterreih und Preußen für jetst ale das einzige Heilmittel für *) Johannes von Müller's eigene Worte. Siehe: Briefwechfel. S. 39, 40. **) Miller’8 eigene Worte. ©. 45. Mühlbach, Napoleon. 1. BP. A 482 Deutfhland an, erftreben wir aljo dieſe, richten wir alle unfere Kräfte auf diefen einen Punkt, nach dieſem einen Ziel. Ja, thun wir das! rief Gent begeiftert. Wir Beide find beftimmt und fähig die Borlämpfer Deutfchlands zu fein, thun wir, was unſers Amtes ift! Wie viel erhabener, größer und berrliher Sie aud über mir ftehen, jo babe ich Doch auch wieder Stolz genug zu glauben, daß Manches in und an. mir ift, was uns Beide verbinden muß. Gie fünnen und bürfen mich alfo nicht verftoßen und vernadläffigen, Sie müſſen die Hand annehmen, bie ich Ihnen biete zum großen heiligen Bunde für. Deutſchlaͤnds Wohl! Wir müffen eine lebhafte und fort- laufende Correſpondenz mit einander unterhalten, und frei und rüdhaltlos müflen wir uns ausfprechen über die großen Tragen des Tages. Es fcheint mir weife, nothwendig und echt patriotifch, daß Männer wie wir, bei Zeiten mit einander darüber zu Rathe gehen, was eigentlidy gethan, und wie und wo und von wem es am beften gethan werden muß. Es läßt ſich nicht berechnen, was wir, ber Eine vom Schidfal in Berlin, _ der andere in Wien poftirt, durd treue Gemeinthätigkeit Gutes ftiften fönnen. Nun reden Sie, Freund, wollen Sie dieſen Bund mit mir eingeben? Wollen wir uns vereinen in der thätigen Xiebe für Deutfch- land, in dem thätigen Haß gegen Frankreich? Ya, das wollen wir, rief Johannes Müller feierlich. Ich verehre und liebe Sie wahrhaft, ih will mit Ihnen kämpfen und ringen zum gemeinfamen, eblen Ziel! Empfangen Sie bier den Handſchlag bes brüderlichen Bundes. Bielleicht fennen Sie mid) nicht ganz, aber glauben müſſen wir aneinander! Alle, unjere Stupien, alle Geifteskraft in ung, unfere Verbindungen, unſere Freundſchaften, alles fei dem einigen Zwed geweiht, um deſſentwillen allein, fo lang er, noch erreichbar fein mag, das Leben der Mühe werth ift.*) Ya, fo fer es, rief Geng freudig. Der Bund ift gefchloffen und möge Gott ihn fegnen zum Wohl Deutfchlande! *) Johannes von Miüller’s eigene Worte. S. 40. Scehstes Bad. Die dritte Coalition. 1. Kaifer Napoleon. Eine neue Aera war angebrochen für Frankreich! Am achtzehnten Mai des Jahres 1804 hatte es ſeinen Titel verändert, und eine neue Epoche ſeines Daſeins begonnen. Am achtzehnten Mat 1804 hatte die Republik Frankreich aufgehört zu exiftiren, denn an dieſem Tage hatte Bonaparte, der erfte Eonful, fih in Napoleon, den erften Kaifer von Frankreich, verwandelt. Nichts mehr jest von Freiheit, Gleichheit und Brüperlichkeit. Frankreich batte jett wieder einen Herrn angenommen, einen Herrn, welder feft entſchloſſen war, die ftolzen Republilaner in gehorfame Unterthanen zu verwandeln, die Ordnung und Geſetzlichkeit wieder herzuftellen, felbft wenn es fein müßte, durch die Mittel der Tyrannei. Wehe Denen, weldhe in dem neuen Frankreich noch des alten republifanifchen Frank⸗ reichs gedenken wollten; wehe Denen, welde Napoleon Bonaparte den Mörder der Republik nannten, und ihn ftrafen wollten für fo frevelndes Benehmen. George Cadondal und PBichegru büßten ſolch frevelhaftes Unterfangen mit dem Tode, und Moreau, der große Nebenbubler Bona- parte’s, warb aus feinem Vaterlande verbannt. | Wehe Denen aud, welde das alte Königthum der Lilien und der Bourbonen wieder an die Stelle der ſterbenden Republik zu fegen hofften; die Royaliften wurden gleich den Republifanern als Verräther des Baterlandes beftraft, und in dem Walle von Bincennes fiel ber Herzog von Enghien, von Kugeln durchbohrt, weil er es gewagt hatte, fich den Grenzen feines Baterlandes zu nähern. Man hatte ihn zum 486 Tode verdammt ohne Verhör, ohne Urtheilsfpruch und Recht, und felbft Joſephinens Thränen und Flehen hatten das Herz Bonaparte's nit zur Gnade bewegen können. Der Sohn der Bourbonen mußte ben Tod des Berräthers fterben, damit der Sohn des corfifchen Advocaten Bonaparte fi) zum Kaifer von Frankreich erheben könne. Europa hatte nicht mehr die Kraft, dieſe blutige That zu ftrafen, es hatte nicht einmal mehr den Muth, fie zu rügen, und den Conful Bonaparte zu fragen, mit weldhem Recht er mitten im rieden feine Soldaten in deutfches Rand habe einpringen laffen, um dort auf den Saft eines deutfchen Fürften wie auf einen Verbrecher zu fahnden und ihn mit dem Tode zu beftrafen für ein Verbrechen, deſſen Thatbeſtand niemals erwiefen worden. — "Das Gefühl von Ehre und Recht ſchien in Deutſchland völlig erloſchen, und Fürſten und Völker von Deutſchland kannten nur noch die Eine Furcht: das mächtige Frankreich in Feind— Schaft fich gegenüber treten zu fehen. Keine Stimme erhob fih daher in Deutihland für den Herzog von Enghien, für eine Verlegung dentſchen Gebietes, die allem Völker⸗ recht und allem Brauch zuwider. Der deutſche Keichdtag, dem die Pflicht oblag, bie Ehre und die Rechte des gefammten Deutfchlands zu wahren, nahm die Nachricht von diefer Blutthat fchweigend Hin, und war es wohl zufrieden, daß eines der Reichsmitglieber ſich erhob, um gegen Frankreich eine Anklage zu ſchleudern. Man hielt es am Ge- rathenften, zu ſchweigen und als fait accompli hinzunehmen, was body nidyt mehr zu ändern war. Aber aus diefer faulen Ruhe wurden fie auf einmal aufgefchredt durch die Stimmen Rußlands und Schwedens, weldhe Beide als Ga- ranten der beutfchen Reichsverfaſſung beim Bundestag ihre Stimmen erhoben, und laut und ausdrücklich darauf binwiefen, „welche Gefahr für jeden Einzelnen daraus entitehen würde, wenn das geſammte Deutſchland Dinge gefchehen laffe, welde feine Ruhe nnd Sicherheit bedrohten, und wenn Gewaltftreidhe für zuläſſig gelten oder ſtattfinden könnten, ohne gerügt zu werben.“ *) *) Deutfche Geſchichte von Ludwig Häuffer. II. 518. 487. Ein panifher Schreden ergriff jett den deutſchen Reichstag, denn dieſe JIruſſiſchen und fchwebifhen Stimmen machten jedes weitere Schweigen unmöglid. Man mußte fprechen, ſich beſchweren, Abhülfe und Entfhuldigung fordern, denn Rußland und Schweden verlangten es mit ihrer mächtigen Oarantenftimme, die fremden Mächte verlangten von Deutfchland zu feinem Entfegen, daß es feine Ehre wahre und vertheidige. Aber der deutſche Reichstag wagte nicht, auf fie zu hören, denn Frankreich forderte, daß man ſchweige, e8 drohte, jedes Wort der Rüge als eine Kriegs-ErMlärung betrachten zu wollen. Die Gefandten ver deutſchen Fürften, in der äußerſten Noth zwifhen zwei fo mächtig drängenden Parteien, wußten indeß einen Ausweg zu finden um Niemand zu verlegen und ihr Schweigen und ihre Barteilofigfeit zu bewahren. Sie defertirten! Das heißt, der deutſche Reichstag fette plötzlich) und vor der gewohnten Zeit Ferien an, lange Ferien, und als dieſe endlich beendet waren, ſchob man die unangenehme Angelegenheit bei Geite, und ging zu einer wichtigeren Tagesfrage über. *) Diefe wichtigere Tagesfrage aber war: Frankreich zu beglüdwünfhen zur Wahl eines Kaifers, der, wie ber öſterreichiſche Minifter auf dem Reichstage fagte, „ganz Europa fo koſtbar fei, und durch deſſen Eintritt in die Reihe der Fürſten feine Herren Collegen fih nur geehrt fühlen könnten.” Dean hatte gefchwiegen zu der Ermordung des Herzogs von Enghien, aber man ſprach und gratulirte zu der Kaiferfrönung Bonaparte’s, man war Mélich, in ihm den Gründer einer neuen Dynaſtie begrüßen zu können. | Napoleon Bonaparte hatte alfo jegt fein Ziel erreicht, er hatte dem Thron in Frankreich wieder aufgerichtet, er hatte eine Krone‘ auf fein Haupt gefegt. Glücklicher wie Cäfar, hatte er an den Stufen feines Thrones keinen Brutus gefunden, jondern war ihn ungehindert hinauf: gefhritten, unter den Zurufen Frankreichs, weldes ihn feinen Kaifer nannte, unter den Zurufen Italiens, welches ihn feinen König nannte, und feinen Titel einer cisalpinifhen Republik gern abgeftreift hatte, *) Säuffer. Deutſche Geſchichte. II. &. 525. 488 um ſich zu einem Königreiche der Lombardei zu erheben, und Napoleon zu Mailand zu ſchmücken mit der eifernen Krone ber alten Lombarden⸗ fürften. Bon diefer Krönung zu Mailand war Napoleon jegt wieder heim⸗ gelehrt nach Frankreich und hatte fih in das große Lager von Boulogne begeben, wo eine Armee von hundert und funfzigtaufend Mann Infanterie und neunzigtaufend Mann Cavallerie jauchzend vor Kampfesluft das Wort Napoleon’s- erwartete, das fie aufrufen follte zu neuen Kämpfen und zu neuen Siegen. | MWeithin in die Ebene und an ben Ufern des Meeres erftredten fih die ungeheuren Zeltlager der Solvaten und in der Mitte aller biefer Zelte und Hütten auf der Stelle, wo man jüngft die Spuren eines Lagers von Yulius Cäſar endedt hatte, erhob fih das Zelt des Kaijers, weit hinausfhauend auf das Meer, auf defjen bieffeitiger Küfte die Schiffe und Kanonenboote Frankreichs rubten, während man auf der jenfeitigen den ungeheuren Wald von Wimpeln und Maften der engliihen Flotte gewahrte. Aber diefer Wald englifher Maften erjchredte die franzöfifche Armee nicht; die Solvaten zu Waffer und zu Lande glühten vor Kampfesluft, und wünſchten mit feuriger Ungeduld den Moment herbei, wo der Kaiſer endlich feine Stimme erheben und das längit erfehnte Wort ſprechen würde: „Auf zum Kampf gegen England! Laßt uns England bezwingen, die wir ganz Europa bezwungen haben.“ Niemand zweifelte, daß der Kaiſer dieſes Wort iprehe@iwolle, und daf dies Lager von Boulogne, diefe mit Soldaten und Kanonen bemannte Flotte einzig und allein gegen England, den Erbfeind Frank⸗ reichs gerichtet fei. Der Kaiſer indeß zögerte noch immer, dies entfcheivende Wort auszufprehen. Er vertheilte unter die Armee die erften Sreuze der Ehrenlegion, er ließ die Truppen manvevriren und ererciren, er nahm bie Teftlichkeiten und Bälle an, weldhe die Stadt Boulogne ihm zu Ehren veranftaltete, er ftand Stunden lang am Ufer des Meeres oder auf dem Thurm feiner Barade und fchaute mit feinem Fernglas hinaus auf das Meer, und hinüber zu den engliihen Schiffen, aber feine 489 Lippen öffneten fih immer noch nicht, um das entjiheidende Wort des Kampfes zu fprehen; die Pläne, welche jein Inneres erfüllten, und die feine getanfenvolle Stirn.befchatteten, waren Jedermann ein Gebeimniß, deſſen Röfung feine Generäle wie feine Soldaten mit gleich großer Un- geduld erwarteten. — Es war heute ein wundervoller Morgen, vom Meere her wehte ein kühler Wind durch die Lagerhütten bin, und bradıte nach langer, ermattender Hige Erfriihung und Stärkung. Die Sonne, welche in den letzten Tagen verſengend gebrannt, war heute ſanft beſchleiert von kleinen, weißlichen Wolken, die ſich wie flatternde Schwäne drüben am Horizonte von Meer zu Himmel zu erheben ſchienen und mit aus⸗ gebreiteten Flügeln zur Sonne hineilten. Der Kaifer, den die Hite der letten Tage an feinen Spagiertitten gehindert hatte, befahl fein Pferd vorzuführen. Er wollte eine Pro- menade nad den nächtgelegenen Dörfern machen, aber Niemand follte ihn auf verfelben begleiten, als Rouftan, fein ſchwarzer Kammerbiener. Bor der Barade des Kaifers ftanden indeß alle Generäle und Stabsoffiziere, alle die alten Waffen- und Ruhmesgefährten Napoleon’s, welche mit Freuden den großen Feldherrn als ihren Kaifer und ©ebieter anerkannt hatten, und ihm heute wie jeven Morgen bei feinem Hervor- treten aus der Barade huldigen wollten. Napoleon indeß begrüßte fie heute nur mit einem flummen Winf feiner Hand und einem gütigen Lächeln. Er ſchien zerftreut und gedankenvoll, und Niemand wagte eg, durch einen Laut, ein Wort ihn zu ftören. Unter der feierlichen Stille biefer glänzenden Verſammlung fchritt der Kaifer zu feinem Pferd bin, das, weniger ängſtlich und rejpectvoll als die Menſchen, feinen Herrn mit lautem Wiehern und Niden des Kopfes begrüßte, und vor Ungeduld im Sande fdyarrte. *) *) Das Lieblingspferd Napoleon’, das er mehrere Jahre ritt, war ein Araber, der feinen Herren fo ſehr liebte, daß er ihn ftets mit Wiehern empfing, und während er bis dahin mit hängendem Kopf und ſchlaffen Gliedern dageftanden, bei Rapoleon’8 Naben den Kopf ftolz erbob, und mit fliegenden Nüftern und bligenden Augen mit ben zierlichen Borberfüßen im Sande jcharrte. Constant II. ©. 81. 490 Der Kaifer nahm die Zügel, welche Rouftan ihm barreichte, und ſchwang fih in den Sattel. Darauf bob ſich fein bligendes Auge zum. Himmel empor und ſenkte fih dann auf das Meer mit feinen ſchau⸗ telnden Schiffen. Ich will heute die Schiffs-Armee die Revue paffiren laffen, fagte der Kaifer, fi) mit einer halben Kopfbewegung feinem General-Apju- tanten zuwendend. Man fol Ordre ertheilen, daß die Schiffe, welde die Orenzlinie bilden, ihre Stellung verändern, denn ich will die Revue im offenen Meere halten. Im zwei Stunden kehre ich zurüd, forgen Sie, daß dann Alles in Ordnung ift. Er gab feinem Pferde die Sporen und fprengte, gefolgt von Rouftan, von dannen. — Seine Generäle zerftreuten fih, um in ihre Baracken zurüdzufehren, der General-Adjutant aber eilte, fich zum Admiral Bruir zu begeben und, ihm den Befehl des Kaifers zu über- bringen. Der Admiral hatte ihm fchweigend und aufmerkſam zugehört, dann aber hob er den Blid zum Himmel empor und ſchaute lange und prüfend umber. Es iſt unmöglich, fagte er dann achſelzuckend, der Befehl des Kaiſers kann heute nicht ausgeführt werden, die Revue kann nicht Statt haben. Wir werben heute nody einen Sturm erleben, der das Aus⸗ laufen der Schiffe unmöglich madt. Herr Admiral, jahte der Adjutant refpectvoll, ich habe Ihnen ven Defehl des Kaifers überbradt, ich habe Ihnen gemelvet, daß ber Kaifer wünfcht, e8 möge in zwei Stunden bei feiner Rückkehr Alles zur Revue bereit fein. Sie willen aber wohl, daß der Wunſch des Kaifers allemal ein Befehl ift, und Sie werden danach Ihre Vorkeh⸗ rungen treffen. Ich werde in zwei Stunden bie Ehre haben, Sr. Majeſtät felber die Gründe anzugeben, weshalb ich feinen Befehlen nicht nachkom⸗ men fonnte, fagte Admiral Bruir mit feiner gewohnten Kaltblätigfeit und Ruhe. Genau nach zwei Stunden kehrte der Kaiſer von feinem Spazier- ritt heim. Wieder fanden die Generäle und Stabsofficiere, die ganze 491 glänzende Suite des Kaifers, vor feiner Barade, um ben Heimkeh⸗ renden zu empfangen. . | Napoleon grüßte fie mit einem heitern Lächeln, der Spazierritt fchien ihm wohlgethan zu haben, die Wolfe war von feiner Stirn ge- wichen, jeine jonft fo bleihen Wangen hatten einen leifen Schimmer von. Röthe, feine flammenden Augen hatten für Jeden einen freund- lihen Blid. Mit anmuthiger Leichtigkeit ſchwang er fih vom Pferde und trat freunplich_ grüßend in den Kreis ber Generäle. Nun, Leckere, ift Alles zur Revue bereit? fragte er feinen Ad⸗ jutanten. Oeneral Leclerc näherte fih ihm ehrfurchtsvoll. Sire, fagte er, der Herr Admiral Bruir, dem ich den Befehl Eurer Majeftät über- brachte, erwiderte mir, daß die Revue heute nicht Statt haben könne, weil ein Sturm im Anzuge fei. Der Kaifer rımzelte die Stirn, und ein Blitz des Zorns fiel aus feinen Augen auf das Antlig des Apjutanten. Ich babe fiherli nicht recht gehört, fagte er. Was erwiberte der Admiral, als Sie ihm meinen Befehl überbrachten? Sire, er fagte, es fei unmöglich, denfelben auszuführen, denn ein Sturm fei im Anzuge, und er dürfe daher nicht daran denken, vie Schiffe auslaufen zu laffen. Der Kaiſer ftampfte heftig mit dem Fuß auf den Boden. Man rafe mir fogleih den Admiral Bruix hierher, rief er mit Donnerftimme, und fofort verließen zwei Orbonnanz-Dfflciere den Kreis und eilten von bannen. Einige Minuten vergingen; Napoleon, die Arme in einander ge- fhlagen, den drohenden Blid unverwandt nad) jener Seite hingewandt, von weldher der Admiral fommen mußte, ſtand noch immer vor feiner Barade, inmitten feiner Suite. Jetzt entdedte fein Adlerblick im ber Ferne den Admiral, der eben das Boot verließ und an's Land trat. Richt Länger im Stande, feine Ungebuld und feinen Zorn zu be- fhwichtigen, eilte Napoleon vorwärts, dem Admiral entgegen, bie 492 Herren feines Generalftabes folgten ihm und orbneten ſich ſchweigend in einem langen, glänzenden Zuge hinter ihm. Jet fanden der Kaiſer und der Admiral ſich gegenüber. Die Augen Napoleons jhoflen Blitze. Herr Admiral, rief der Kaifer mit zorniger Stimme, warum haben Sie meine’ Befehle nicht ausgeführt? Der Admiral begegnete den flammenden Zornesbliden Napoleons mit ruhiger, aber ehrfurchtsvoller Haltung. Sire, fagte er, ein furdt- barer Sturm ift im Anzuge. Ew. Majeſtät kann es jo gut jehen, wie id. Wollen Sie denn das Leben fo vieler tapfern Leute unnöthig in Sefahr bringen? Und gleihfam, al8 wolle die Natur die Worte des Admirals be- jtätigen, vernahm man jest in ber Ferne das dumpfe Rollen bes Donners, und die Atmofphäre verfinfterte fich. Napoleon indeß ſchien es nicht zu fehen, oder vielleicht reizte bie ruhige Stimme des Admiral und der grollende Donner feinen Stolz noch zu heftigerem Widerſtand. Herr Admiral, rief er ftrenge, ich habe meine Befehle ertheilt. Ich frage Sie noch einmal, warum haben Sie biejelben nicht ausge- führt? Die Folgen gehen mich allein.an. Gehorden Sie alfo! Admiral Bruir richtete fein Haupt höher empor, und feine Blide richteten fi fühn und unerfchroden auf den Kaiſer. Sire, fagte er feierlich, ih gehorche nicht! Mein Herr, Sie find ein Unverfchämter! rief Napoleon, und einen Schritt näher an den Admiral herantretend, hob er drohenn die Hand empor, in weldyer er noch die Keitgerte hielt. Admiral Bruir trat einen Schritt zuräd und legte bie Hand an fein Schwert. Sire, rief er mit bligenden Augen, Sire, nehmen Sie ih in Acht! Ein fürchterliche Pauſe trat ein. Der Kaifer fland. nody immer ba, die Hand mit der Keitpeitfche erhoben, die bligenden Zornesblide auf den Admiral geheftet, der feine drohende, mannhafte Stellung bewahrte, und die Hand an das Schwert gelegt, den Angriff des 493 Kaiſers erwartete. Rings umher flanden die Generäle und Dfficiere, ftarr und bleih vor Entfeßen. Ä | Auf einmal ließ der Kaifer die Keitgerte zur Erde fallen; fofort zog Admiral Bruir die Hand von dem Degengriff fort, und den Hut abnehmend, erwartete er in tiefem Schweigen den Ausgang diejer fürchterlichen Scene. Herr Contre⸗Admiral Magon, fagte ver Kaifer, einen der Herren feiner Suite berbeirufend, lafjen Sie im Augenblid vie Bewegung, vie ich befohlen hatte, ausführen! Was Sie anbetrifft, fuhr er fort, die Blide langfam wieder dem Admiral zumendend, Sie werden in vierundzwanzig Stunden Boulogne verlaffen und fih nad Holland zurüdziehen. Gehen Sie! Er wandte fih haſtig um und fohritt feiner Barade zu. Admiral Bruir ſchaute ihm nach mit einem fchmerzliden Blid, dann wandte auch er fi, um zu gehen. Wie er durch die Reihe der Generäle und Dfficiere fchritt, reichte er bier und dort den Freunden und Belannten zum legten Abſchiedsgruß die Hand dar; aber nur Wenige fahen es, und erwiderten feinen Gruß, die Meiften hatten ihre Blide abgewandt von dem Aomiral, den die Sonne ber Faiferlihen Gunft nicht mehr beleuchtete, der daher fo i im Dunfeln ftand, daß man ihn nicht mehr fehen konnte. Indeß hatte der Contre-Admiral Magon die Befehle des Kaifers volführt. Die Schiffe, welde bis dahin am Ende des Hafens ge- legen, und diefen gewiflermaßen gefchloffen hielten, hatten eine Be- wegung gemadt, weiter hinaus in dag Meer, die übrigen im Hafen liegenden Schiffe theilten fih und näherten fih dem Ausgange des Hafens. Aber ſchon begann die Prophezeihung des Admiral Bruir ſich zu erfüllen; der Himmel war mit ſchwarzen Wollen bededt, aus denen in raſcher Folge Blige zudten. Der Donner des Himmels übertönte das Brüllen des Meeres, das wie ein fchwarzes Ungeheuer zifchend und beulend fih aufbäumte, und wirbelnd und ſchaumbedeckt wieder von feiner Höhe niederfiel und Abgründe öffnete, in denen die Schiffe zu verfinten ſchienen, um dann von ber nächſten Welle wieder empor ge- 494 ' fhleudert zu werden. Der Sturm mit feinem unbeimlidhen Pfeifen wirbelte in den Maſten und zerbrady fie wie Strohhalme und peitfchte bie Schiffe, welche fih ſchon außerhalb des Hafens befanden, hinaus im das Meer zu fiherm Verderben, zu fiherm Tode. Der Raifer hatte feine Barade wieder verlaffen und war hafligen Schritts hinunter geeilt an da Ufer des Meer. Die Arme ineinander gefchlagen, gefenkten Hauptes, gedankenvoll, finnend ging er auf und ab. Plöglid ward er aus feinen Gedanken durch ein lautes Schreien, tur Ausrufe des Entjegens und der Angft empor gejchredt. | Zwanzig Kanonenböte, welche ſchon auf Befehl des Contre-Ad⸗ mirals mit Matrofen und Soldaten bemannt worden, waren von dem Sturm an die Küfte gepeitfcht, und die Wogen, welde mit bonnerndem Gebräll über fie hinflutheten, bevrohten die Bemannung mit fidherm Tod. Ihr Hülferuf, ihr Schreien und Flehen tönte herüber und. fand ein Echo in dem Klagen und Jammern der Menfchenmenge, bie an das Ufer geeilt war, um den Sturm.und das Unglüd zu ſchauen. Der Kaiſer blidte umber im Kreife feiner Generäle und Officiere, die ſtumm vor Entjegen ihn umftanden, er ſah, daß Niemand den Muth hatte, oder es für möglich hielt, ven Unglüdlichen, nad Hülfe Schreienden beiftehen zu wollen. Auf einmal verfhwand der düſtere Zug auf feinem Antlig, e8 leuchtete auf in ftrahlender Begeifterung; der Kaiſer verwandelte ſich wieder in den Helden, der Alles wagt, ver vor feiner Gefahr zurüdfchredt. Mit einem einzigen Sprung war er in einem ber Hülfsboote, und vie Arme Derer, welde ihn zurüdhalten wollten, von ſich ftoßend, rief er mit faft jubelnder Stimme: Laſſen Sie mich, laffen Sie mih! Man muß den Unglüdlihen zu Hülfe eilen! Aber fhon war fein Barke mit Waſſer angefüllt, die Wogen ftärzten mit wildem Geheul darüber hin, und überflutheten mit ihrem fprigenden Schaum die ganze Geſtalt des Kaiſers. Noch bielt er mühſam fi aufrecht, aber jegt fluthete eine noch ftärfere Woge heran, und fuhr brüllenn über die Barke dahin, daß der Kaiſer taumelnd, das Gleichgewicht verlierend, im Begriff war, über Borb zu fallen, und faft mit Gewalt von feinen Generälen aus der Barke an das 495 Ufer zurücgeführt ward. Er folgte ihnen willenlos, betäubt; wie er eben das Ufer wieber betrat, zudte ein Blig hernieder, ein majeftäti- . ſches Donnerrollen folgte ihm, ber heulende Sturm wirbelte von dem Haupte des Kaifers feinen Hut fort, und trug ihn wie auf unfihtbaren Fittigen body in die Luft empor, weit hinaus in dad Meer, wo ihn die Wogen mit. brüllendem Jubel zu empfangen fehienen, und ihn fhänmend hinabzogen in ihre Kreiſe. Aber das muthige Beifpiel des Kaifers hatte electrifch gewirkt auf bie vorher wie von Schreden erftarrte Menfchenmenge. ever fühlte und erfannte jet, daß die nächſte und heiligfte Pflicht fei, ſich mit der Rettung der Unglüdlihen, die nod) immer mit ven Wogen fämpften, und nach Hülfe fchrieen, zu befhäftigen. Dfficiere, Soldaten, Ma⸗ trofen und Bürger, Alles ftärzte in die Rettungsboote, oder warf ſich ind Meer, um zu den Unglücklichen hinzuſchwimmen und die mit dem Tode Kämpfenden zu erretten. Aber das Meer war nicht gewillt, viele feiner Opfer wieder her⸗ auszugeben. Bielleiht wollte e8 der Faiferlihen Majeſtät, welche es hatte verfuchen wollen, ihr zu trogen, feine überlegene göttliche Majeftät beweifen und feinen Uebermuth ftrafen. Ä Nur Wenige gelang e8 zu retten, denn der Sturm heulte und wüthete ten ganzen Zag, und peitfchte dag Meer zu häuferhohen Wellen, zu tiefen Abgründen binauf und hinab. Unb endlich ſenkte fih die ſchwarze Nacht Über das grollende Meer und bevedte mit ihren Trauerfchleiern die Scene des Entfegens und des Schredniffes. Am andern Morgen war das Ufer bevedt mit Hunderten von Leihen, welche das Meer an den Strand geſpült hatte. Eine unge- heure Menjchenmenge drängte ſich heran, Jeder fam, um mit angft- flopfendem Herzen und lautem Weinen unter den ftillen, bleihen Leichen nah dem Gatten, dem freund oder Bruder zu forfhen; Jammern und Klagen erfüllte die Luft und drang hinüber zu der Barade des Raifers. Er hatte die ganze Nacht nicht gefchlafen; ruhelos mit finftern Mienen und bleihen Wangen war er in feinen Zimmern auf und ab gegangen, jest in ber Frühe des Morgens eilte er wieder hinab an 496 das Meer. Aber ſchon waren ihn Tauſende von Menſchen zuvorge- kommen. Wie fie den Kaifer kommen fahen, traten fie ſcheu zur Seite; nicht wie fonft empfingen fie ihn mit Iautem Jubel und freudigen Zu- rufen; mit finftern Bliden fohauten fie ihn an, und wandten dann in ſtummer Beredtſamkeit ihre Augen auf die Leihen bin, die da im Sande lagen. Der Raifer vermochte diefes Schweigen der Menge und den An blid diefer Xeihen nicht zu ertragen; bleich und ſchaudernd wandte er fih ab, und kehrte langſam, geſenkten Hauptes in feine Barade zurüd. Aber hinter fih her vernahm er das Murren der Dlenge, die nur gefchwiegen hatte, fo lange fie fein Antlig geſehen, vie jest, da er den Rüden wandte, ihren Klagen und ihrem Unwillen freien Lauf ließ. Der Kaifer ging ſeufzend in feine Barade zurüd und lief fofort Rouftan rufen, um ihm geheime Aufträge zu ertheilen. Danf diefen Aufträgen burdeilten den ganzen Tag Agenten Rouftans die Stadt Boulogne und das Lager, um überall, wo man klagte und meinte, oder finfter blidte und murrte, im Namen des Kaiſers Geld auszu- tbeilen, und das Murren und die Trauer zu befhwidtigen mit dem blinfenden Zuubermerall, das alle Wunden heilt und alle Thrãnen trocknet. Aber der Kaiſer beſaß noch ein wirkſameres Zaubermittel, um die Gemüther zu verſöhnen, mindeſtens den Jubel ſeiner Soldaten wieder anzufachen. Telegraphiſche Depeſchen voll inhaltſchwerer Bedeutung waren im Lager angelangt, Couriere auf Couriere waren ihnen gefolgt. Der Kaiſer ließ alle ſeine Generale zum großen Kriegsrath in dem Raths⸗ ſaal ſeiner Baracke zuſammen berufen, und als ſie nach ſtundenlangen Berathungen das Zelt des Kaiſers wieder verließen, verbreitete ſich im Lager das Gerücht, der Kaiſer werde jetzt endlich das langerſehnte Wort ſprechen, er werde ſeine Armee aufrufen zu neuen Kämpfen, zu neuen Siegen. Als eine Freudenbotſchaft flog dieſe Nachricht durch das Lager dahin, Jeder begrüßte ſie mit lachendem Angeſicht, mit heitern Blicken, Jeder ſah ſich am Vorabend neuer Ehren, neuer Beute, und fragte 497 und forfhte nur, wohin Diesmal der Siegeslauf des Kaiſers ſich lenken werde? Ob nah England, das immer noch zu drohen ſchien mit feinem Wald von Maften, ob nah Defterreih, deſſen feinpjeliger Freundſchaft man nicht mehr trauen mochte? Der,Kaifer hatte noch zu Niemand feiner Umgebung das entjchei- dende Wort gefprodhen, aber er hatte den Groß⸗Marſchall des Palaftes zu fich berufen, und ertheilte ihm Befehl, Alles zu feiner Abreife vor- zubereiten, alle Ausgaben und Rechnungen des Kaiſers zu reguliren und zu zahlen und dabei wohl Acht zu haben, daß nirgends zu viel ober zu theuer gezahlt werde. Am Tage nad diefem Befehl trat der Groß-Marſchall unange- meldet zu dem Kaiſer ein, welcher fi eben in dem Rathsſaal feiner Barade befand und in den Karten ftudirte, die auf dem großen Tiſch vor ihm ausgebreitet lagen. Napoleon ſchaute nur flüchtig von denſelben empor und fuhr fort, die Karten mit Nadeln zu beſtecken und damit den Weg zu bezeichnen, den ſeine Armee nehmen ſollte. Nun, Duroc, fragte er, iſt Alles zur Abreiſe bereit? Sind alle Rechnungen bezahlt? Sire, fie find alle bezahlt, bis auf Eine, und wegen biefer Einen muß ich es wagen, Ew. Majeftät zu ftören. Sie iſt alfo wohl ſehr hoch und ſehr betrügeriih? fragte der Kaiſer haftig, indem er aufftand und fih dem Groß-Marſchall näherte. Sire, fagte diefer, ich weiß nicht, ob fie beträgerifch ift, aber fie beläuft fich fehr hoch. Es ift die Rechnung des Militair- Intendanten Sordi, welder dieſe Barade gebaut hat und mit der innern und äußern Ausſchmückung derjelben beauftragt war. Nun, und wie viel fordert er dafür? fragte Napoleon. Sire, er verlangt fünfzigtaufend Franc. Fünfzigtaufend Francs! rief Napoleon faſt erfhroden. Ich will nicht hoffen, daß Sie dem Unverfhämten diefe Rechnung bezahlt haben ? Nein, Sire, id babe es nicht gethan, vielmehr verlangte ih von Herrn Sordi, daß er die Summe ermäßige. Und er hat es natürlich gethan! rief Napoleon düſter. So find Mühlbach, Napoleon. 1. Vd. BON 498 dieſe Menfhen! Sie verlangen, daß man ihnen trauen foll und ver- juchen doch bei jeder Gelegenheit, uns zu betrügen. Wie viel hat er heruntergelaſſen. Sire, gar nichts! Herr Sordi behauptet, er habe keinen einzigen Artikel zu hoch angeſchrieben, es ſei ihm daher ganz unmöglich, die kleinſte Reduction eintreten zu laſſen. Und Sie haben demgemäß gezahlt? Nein, Sire, id babe gejagt, daß ich die Rechnung nicht eher bezahlen könne, bevor ich nicht dazu ben ausbrädlichen Befehl Eurer Majeftät erhalten hätte. Sie haben wohl gethan, fagte der Kaifer, leife mit dem Kopfe nidend. Laſſen Sie den Militair- Intendanten fogleih zu mir rufen, ih will jelbft mit ihm reden. , Der Groß-Marihall entfernte fih und Napoleon wandte fig wieder feinen Karten zu. Er fuhr fort, diefelben in langen Reiben mit Nadeln zu zeichnen und feine Kreife und Linien zu ziehen. | Wenn die Defterreiher es wagen mir entgegen zu ziehen, fagte ex leije vor fi hin, fo werde ich fie im offenen Felde fchlagen, wenn fie ftehen bleiben und meinen Angriff abwarten, werde ich ihnen bei Um ein glänzende Niederlage bereiten. Es ift Zeit, dieſe übermüthigen Deutfhen das ganze Gewicht meines Zorns fühlen zu laffen und da fie meine Freundſchaft nicht wollen, fie mit meiner Feindſchaft zu zer- fchmettern! Diefer Kleine Kaiſer von Oeſterreich wagt es, mich bedrohen zu wollen, ich werde ihm beweifen, daß mir drohen heißt: fich felber den Untergang zu bereiten! Hier in dieſer Ebene ſtelle ich meine Armee auf, und hier — Sire, der Militair-Intendant Herr von Sordi, den Ew. Majeſtät befohlen haben, ſagte der Adjutant des Kaiſers, indem er die Thür des Saals öffnete. Soll eintreten, rief Napoleon, ohne indeſſen den Blick von der Karte abzuwenden. Der Adjutant trat zurück und jetzt erſchien in der Thür die hohe und mächtige Geſtalt des Intendanten Sordi. Sein Antlitz war bleich, aber ruhig, ein kühner, energiſcher Ausdruck ſprach aus allen ſeinen Zügen; er war ſich der Bedeutung dieſes Moments 499 vollfommen bewußt, und fühlte, daß er über feine ganze Zukunft ent- ſcheiden werde. Der Kaiſer fuhr fort, in feinen Karten zu ſtudiren. Herr Sordi fand neben der Thür, die Anrede des Kaiſers erwartend; ale er fah, daß dieſe ſehr lange zögerte, trat er einem Schritt vorwärts und ftieß dabei, wie aus Berjehen, an den Stuhl, der neben ihm ftand. Das Geräufh wedte Napoleon aus feinem Nachſinnen und erinnerte ihn an ben Öerufenen. Haftig wandte er fi daher zu ihm um. Mein Herr, fagte er, Sie haben viel zu viel Geld zur Ausſchmückung diefer elenden Barade ausgegeben, ja wahrhaftig, wiel zu viel. Fünfzigtauſend France, was ‚denken Sie, mein Herr, das ift zum Erfchreden! Ich werde Sie nicht bezahlen lafſen! Herr von Sordi begegnete dem flammenden Blid des Kaijers mit lächelnder Ruhe. Sire, fagte er, die Hand erhebend und auf ben Plafond hindeutend, die golpftoffenen Wolfen, welche den Plafond dieſes Zimmers ſchmücken und die den fchüsenden Stern Eurer Ma- jeftät umgeben, haben in Wahrheit allein fünfundzwanzigtaufend Francs gefoftet. Aber wenn ich die Herzen Ihrer Unterthanen um Rath ge- fragt hätte, fo würde ver faiferlihe Adler, welcher jest auf’s Neue die Feinde Tranfreihs und Ihres Throns zerfchmettern wird, feine Flügel in der Mitte der herrlihften und fchönften Brillanten ausge- breitet haben. *) Napoleon lächelte. Sehr gut, fagte er, Sie halten die Herzen meiner Unterthanen für fehr verfehwenderifch, wie es fcheint. Ich bin e8 weniger und ich wiederhole Ihnen, id werde Sie jegt nicht be= zahlen! Da Sie mir aber fagen, daß diefer Adler, der fo viel Geld foftet, die Defterreicher nieverfchmettern fol, jo warten Sie gefälligft, bis er es gethan hat, und alsdann will ih Ihnen Ihre Rechnung *) Der Blafond des Saals war geſchmückt mit goldenen Wolfen in deren Mitte man auf blauem Grunde einen Adler gewahrte, ven Donnerkeil haltend und mit ibm bindeutend auf einen Stern, ben Glüdsftern des Kaijers. Con- stant I. 246. Iı% bezahlen mit den Neichsthalern des Kaifers von Deutſchland und den Friedrichsd'or des Könige von Preußen. *) Er verabfchiedete ihn lächelnd mit einem Wink feiner Hand und wandte fich wieder feinen Rarten zu. | Einige Stunden fpäter begab ſich der Kaifer, gefolgt von allen feinen Generälen und Adjutanten, hinaus in das Lager. Eine kleine, eigens dazu hergerichtete Erhöhung ‚beiteigend, ſchaute er mit leuchten dent Auge weit auf dieſes wogende, bunte, bligende Meer von Sol- baten, das nach allen Seiten bin ihn umgab und das bei feinem Anz, blick aufjubelte und aufbrüflte vor Entzüden. | Ein Wink feiner Hand gebot Schweigen, und wie von einem Zauber gebannt, verftummten jett die tobenden Maſſen und eine athem- lofe Stille trat ein. Inmitten dieſer Stille erhob fih Napoleons klare, metallene Stimme und rauſchte über das Soldatenmeer bin wie der Flügelichlag des Adlers. Brave Soldaten des Lagers von Bou- logne, fagte er, Ihr geht nicht nad England. Das Golo der Eng- länder hatte den Kaifer von Defterreih verführt, daß er Frankreich auf's, Neue den Krieg erklärt hat. Seine Armee hat die ihr bezeichnete Örenzlinie überfchritten und Baiern überfhwemmt. Soldaten, neue Lorbeeren erwarten Euch jenfeits des Rheins; eilen wir, auf's Neue Feinde zu befiegen, die wir ſchon beftegt haben! Auf nah Deutfhland!*) Auf nah Deutfchland! jubelten und brüllten die Soldaten. Auf nah Deutſchland! hallte e8 weiter von Mund zu Mund, und jelbft das Meer fchien höher aufzuraufhen vor Luft, und feine an das Ufer ſchlagenden Wellen fhienen zu murmeln: auf nad Deutfchland! *) Napoleons eigene Worte. Siehe: Constant I. 284. **) Napoleons eigne Worte. Siehe: Constant 282. - N. Anpoleon und die deutfchen Fürften. Der Kaiſer von Frankreich hatte mit feinem Heere die Grenzen Deutſchlands überjhritten. Er war gelommen, um feinem Bundes- genoffen, dem Churfürften von Baiern, zu Hülfe zu eilen gegen Defterreih, welches mit feinen Truppen in Baiern eingerücdt war, nicht ‘aber, um Baiern zu bedrohen, jondern, wie ein perfönlicher Brief des Kaifers Franz an den Churfürften ausprüdlich meldete, nur um feine Truppen eine ausgebehntere und wirkjamere Stellung einnehmen zu laſſen. Der Churfürſt Dar Joſeph von Baiern hatte ſich in einem unter⸗ thänigen Antwortsfchreiben an den öſterreichiſchen Kaifer freudig bereit erflärt, die öfterreichifchen Regimenter in feinen Landen cantonniren zu faffen. „Ich verpfände Em. Majeftät mein fürſtliches Wort,” hatte er an ven Raifer von Deutfchland gejchrieben, „daß ich in nichts den Dperationen IhrerArmee hinderlich fein will, und wenn, was inbeffen nicht wahrſcheinlich ift, Ew. Majeftät genöthigt wären, ſich mit Ihrer Armee zurüdzuziehen, fo verfpredhe und ſchwöre ih, ruhig zu bleiben und in allen Dingen Ihre Zmede zu fürdern. Aber ich beſchwöre Ew. Moajeftät auf meinen Knieen, mir gnädigſt geftatten zu wollen, daß ich in der flrengjten Neutralität verharre. Es ift ein von Angit und Sorgen zur Berzweiflung getriebener Vater, welder bei Ew. Möjeftät um Gnade fleht zu Gunſten feines Kindes! Mein. Sohn befindet fi, auf einer Reife begriffen, jett eben im ſüdlichen Frank⸗ reih. Wenn ich genöthigt würde, meine Truppen gegen Franfreid marſchiren zu laffen, jo wäre mein Sohn verloren, und das Scidfal des Herzogs von Enghien würde aud das feine werden; wenn ich im Gegentheil ruhig und friedlich im meinen Staaten verbleibe, gewinne id, ‚Zeit, meinen Sohn zurüdfommen zu lafjen.” *) *) Meömoires sur l’interieur du Palais de Napoleon, par De Bausset. I. 59. 502 Aber an demjelben Tage und mit derfelben Feder, welche noch naß war von der Tinte, mit welcher er an ben deutſchen Kaifer ge- chrieben, hatte der Churfürſt auh an den Kaifer von Frankreich geichrieben, und ihm gemeldet, „daß er bereit fei, fih unter feinen Schuß zu ftellen, daß er ftolz darauf fein werde, der Bundesgenoffe Tranfreihs zu werben, und fih und feine Armee von diefer Stunde an zu den Füßen des großen und erhabenen Raifers von Frankreich nieberlege.“ ‚ Und der Courier, welcher den Brief mit den heiligen Eidſchwüren der Neutralität dem Raifer von Deutfchland bringen follte, war noch nicht in Wien angelangt, als der Churfürft von Baiern fhon heimlich aus Münden nad Würzburg entflohen war, wo feine Armee von fünf und zwanzig taufend Mann ihn erwartete. Er fandte feine Armee unter Anführung des Generals Deroy dem Kaifer der Franzoſen entgegen, nicht, um in ihm den Feind Deutjch- lands zu befämpfen, ſondern um ihn zu begrüßen als Bundesgenofjen, und feine deutfhen Krieger unter das Dber- Commando des franzd- fiihen Heerführers zu ftellen. Alsdann erließ er eine Proclamation an fein Boll. „Wir haben uns abgewandt von Defterreich”, ſagte er, „von Defterreich, das mit feinen treulofen Plänen und umgarnen und vernichten, Da8 uns zwingen wollte, mit ihm für fremdes Intereſſe zu ftreiten, von Defterreih, das der Erbfeind unferes Haufes und unſerer Selbftändigkeit if, und jeßt wieder den Verſuch machen wollte, Baiern zu verjchlingen und e8 zu einer öſterreichiſchen Provinz zu erniedrigen. Aber der Kaifer der Franzoſen, Baierns natürlicher Bundesgenvffe, eilte mit feinen tapfern Kriegern herbei, um Eudy zu rächen, bald werden Eure Söhne an der Seite fieggewohnter Bölfer kämpfen, bald, bald naht der Tag der Rettung.” *) | Dank dem Haß des deutſchen Volkes gegen feine deutſchen Brüder, Dank dem Haß des Baiern gegen den Defterreicher, war dieſe Pro- clamation mit lautem Freudengefchrei im ganzen Lande aufgenommen, und Baiern fühlte fich ftolz und glüdlih, mit dem Kaifer der Franzoſen, *) Häuffer, Deutſche Geſhichte. IT. 611. 503 feinem „natürlichen Bundesgenoſſen“, kämpfen zu jollen gegen ben Kaifer von Deutjchland. | | In der Ebene unmeit von Nörblingen war das franzöfifche Heer in Parade⸗Ordnung aufgeſtellt zum feierlichen Empfang ſeiner deutſchen Bundesgenoſſen, die ſich hier mit ihm vereinigen ſollten. Es waren die erſten deutſchen Hülfstruppen, welche Napoleon ſich gewonnen, und deshalb wollte er ſie auch feierlich und mit vollen Ehren willkommen heißen. Unter den ſchmetternden Jubelklängen aller Muſikchöre der franzöſiſchen Armee, unter den jubelnden Zurufen der franzöſiſchen Soldaten zogen die Baiern in das franzöſiſche Lager ein. Der Kaiſer in Galla-Uniform, umgeben von allen feinen Generälen, begrüßte den General Deroy und die baierifhen DOfficiere; von ihnen begleitet fohritt er den baierifhen Truppen entgegen, und fie mit dem Winten feines Säbels begrüßend, fprad er zu ihnen: „Sch babe mich an bie Spige meines Heers geitellt, um Euer Baterland zu befreien, denn das Haus Defterreih will Eure Unabhängigkeit vernichten. Ihr werbet dem Beifpiel Eurer Vorfahren folgen, die ſich ſtets die Unabhängig- feit und die politifhe Eriftenz; bewahrten, welche bie erften Güter der Nationen find. Ich kenne Eure Tapferkeit und fehmeichle mir, nad der erſten Schladt Eurem Fürjten und meinem Volke jagen zu tönnen, daß Ihr würdig feid, in den Reihen der großen Armee zu fampfen.” 0 Die baierifchen Krieger empfingen dieſe ftolze Anſprache mit eben dem Jubel, mit welchem das baierifche Volk die Proclamation des Churfürften aufgenommen hatte, und niemals hatten die franzöfifchen Krieger ihrem Feldherrn und Kaifer glühender zugejauchzt, als es jett die deutfchen Krieger, die erften deutfchen Bundesgenoffen des Kaifers, thaten. - Ä | | Napoleon nahm ihren Yubelruf mit einem gnädigen Lächeln hin. Duroc, fagte er, fih an feinen Freund und Waffengefährten wendend, der an feiner Seite ritt, Duroc, merke wohl auf, was ih Dir fagen wil. Die Deutſchen jind feine guten Patrioten, und find im Stande, den Ueberwinver ihres Vaterlandes eben fo fehr zu lieben, als ihren legitimen Herrfher. Schon zu Julius Cäſar's Zeiten waren Ver 504 Deutſchen nicht einig unter einander, und während Armin ihn befämpfte, erflärte fhon Segeft fich für ihn. Wenn ich jetzt, ein zweiter Julius Cäſar, mir Deutfchland erobern wollte, fo, würde ich da, glaube ich, feinen Armin, wohl aber viele Segefte finden. Bielleiht aber einige Thusnelden, Sire, fagte Duroc lachend, und Eure Majeftät wifjen ja, e8 war eigentlich body nur Thusnelda, weldye aus ihrem Mann den berühmten Römerhaſſer madıte. Und Thusnelda’s Sohn fam doc in römiſche Gefangenfchaft, rief Napoleon, er ward tod ein elender Sclave der Römer, und zog ein gevemüthigtes und gefchändetes Leben einem ehrenhaften Tode vor. Die Deutihen führen gar große Reden im Munde, fie find allzeit bereit, mit ihrer Zunge zu kämpfen für die Ehre, doch fie fterben nicht gern für fie! Aber was find das für Thusnelden, mit denen Du mir drohſt? Meinft Du die Königin Caroline von Neapel, die Tochter Maria Therefis? Oh, nit tod, Eire, die ift feine Deutſche mehr, fondern eine italienifche Intriguantin, eine — Sie ift, wie ich e8 ihrem eigenen Geſandten in Mailand gefagt babe, eine moderne Athalia, eine Tochter Jetzabel's, unterbrad ihn Napoleon heftig. Aber Geduld, Geduld, ich werde fie ftrafen für ihren glühenden Haß und ihre Intriguen! | Sire, e8 lag nur an Ihnen, von der Königin Caroline glühenve Liebe zu empfangen, ftgtt ihres Hafles, der vielleicht auch nur cadhirte Liebe if. Ew. Majeftät wiſſen doch, was die Königin noch vor einigen Iahrenzzu dem franzöfifhen Geſandten gefagt? Nein, ich weiß e8 nicht, oder vielleicht habe ich e8 nur vergeflen, fagte Napoleon leichthin. Hat fie ihn zum Poſtillon d'amour machen wollen? Beinahe, Site! Sie hat gefagt, fie würde gern vierhundert Meilen reifen, um den General Bonaparte zu fehen. Sie hat hinzu» gefügt, daß Sie jeßt der einzige große Mann in der Welt wären, und daß auf fämmtichen Thronen Europa’s,jegt nur Blöpfinnige fäßen.*) *), Der Königin Karoline eigene Worte. 505 Sehr ſchmeichelhaft für ihren Dann und für ihren Neffen, den Kaiſer von Defterreih, jagte Napoleon lachend. Sie hat indeß nur von Denen gejprodhen, die auf dem Thron figen, aber.neben dem Thron ihres Mannes hat die zäftlihe Königin doch noch einige Männer ent- deckt. Es hat mich niemals gelüftet, ver Nebenbuhler von Acton oder Nelfon zu fein. Ich Liebe überhaupt nicht die leidenſchaftlichen und herrſchſüchtigen Weiber. Sie müſſen fanft fein und reizend, wie Jo⸗ ſephine, wenn ſie mir gefallen ſollen. Ah, Sire, ich wünſchte, die Kaiſerin wäre hier und könnte Ihre Worte hören, rief Duroc. Zweifelt fie ſchon wieder? fragte Napoleon raſch. Haben meine Brüder fie fhon wieder geängftigt mit einer Scheidung? Sie foll fi beruhigen, ich denke nicht daran, mid von ihr zu trennen, und alle beutfchen Thusnelden können mir nicht gefährlihd werden. Aber ich babe noch immer nicht die Namen Deiner Thusnelden erfahren. Wie heißen fie denn? Sire, da ift zuerft die fchöne Königin von Preußen. Wie man fagt, eine glühende Feindin Frankreichs. | Ja, meine glühende Feindin, rief Napoleon mit büfteren und drohenden Bliden, ein kurzſichtiges Weib, weldyes nicht fieht, daß fie ihren gutmütbigen, fhwahen und unentſchloſſenen Dann in's Berberben ftürzen wird, wenn fie ihn mit fortreißt auf dieſem Wege der Feind⸗ {haft und des Haſſes. Eines Tages wird fie e8 bereuen, meine Freundſchaft verſchmäht zu haben, denn wenn e8 ihr gelingt, wenn fie ihren Gemahl zu einem Bünpnif mit Rußland gewinnt, fo werde ich unerbittlich fein, fo werde ich mit einem Clephantentritt das ganze wanfende und wankelmüthige Preußen in den Staub treten! Und weißt Du nody eine zweite Thusnelda? Ya, Sire, das ift die Gemahlin des Churfürften Friedrich von Württemberg, welche, wie man jagt, auch ihren Gemahl zu glühendem Haß gegen Frankreich und zu glühendem PBatriotismus für Deutſchland aufgemwirbelt hat. Das Churfürftlihe Paar foll laut und im Beifein des ganzen Hofes geſchworen haben, niemals fih vor Frankreich zu beugen, nie den deutſchen Intereſſen ungetreu zu werben. r ’ 506 — 3 Ich werde fie zwingen, die deutfchen Intereffen darin zu erkennen, daß fie fih vor TFrankreih beugen und unfere Bundesgenoſſen werben! rief Napoleon ſtolz. Die Churfürftin von Würtemberg ift eine Tochter Georg’8 des Dritten von England, eine Lochter meines Todfeindes, ſie ſoll ſich daher vor mir beugen, oder meine Macht und meinen Zorn fühlen. Die Zeit des Zauderns und des Hinhaltens iſt jetzt vorüber! Ich will meine Freunde an meiner Seite, meine Feinde mir gegenüber haben. Mögen die deutſchen Fürſten wählen, :ob fie mit Fran kreich gegen Oeſterreich, ihren allgemeinen Despoten, gehen wollen, oder ob ſie, gleich Oeſterreich, von Frankreich beſiegt werden wollen! Wir werden ja ſehen, was Württemberg wählen wird, denn ſchon iſt Ney mit feinem Armeecorps auf dem Wege nad) Stuttgart und in einigen Tagen werte ic) felbft dem Churfürftlihen Baar meinen Beſuch machen. "Und einige Zage fpäter hielt Napoleon wirklid Wort, er machte dem Churfürftlichen Paare feinen Befucd in Yudwigsburg, nachdem Ney fih mit Gewalt den Durchmarſch nad Stuttgart erzwungen hatte. Der Churfürft empfing den Kaiſer am Fuße der Schloßtreppe. Noch eine Stunde vorher hatte er feinen Bertrauten verfichert, er werde den Emporkömmling Napoleon nit als feines Gleichen empfangen, er werde fih nicht berablaffen, ihm die Hand darzureihen; aber als Napoleon ihn jet mit einem freundlicdyen Neigen feines Hauptes be- grüßte, als er ihm die Hand darreichte, verneigte der Churfürft fi fo tief und ehrfurchtsvoll, daß es faft ausfah, als wolle er die Fleine weiße kaiſerliche Hand küffen, die er fo freudig und ehrfurchtsvoll er- griffen hatte. *) Ä | In dem großen glänzenden Thronfaal des Schloffes aber empfing die Churfürftin den Kaifer, welder an der Seite ihres Gemahls zu ihr eintrat. Ihr Antlig war bleich und düſter, als fie mit einer tiefen ceremoniöfen VBerbeugung ven Erbfeind ihres Haufes bewillfommnete, und nicht der Schimmer eines Lächelns umfpielte ihre Lippen, als fie . die Anrede des Kaiſers erwiederte. Napoleons Antlig dagegen war heute von einer feltenen Milve *) Memoiren bes Generals von Wolzogen. ©. 24. 507 e und Weichheit, und doch ſtrahlend von Hoheit und Würde. Es war das Antlitz eines Triumphators, der indeß Die, welche er unterjocht bat, nicht durch Strenge- und Uebermuth, ſondern durch-Sanftmuth und Liebe gewinnen will. — Seine Augen hatten daher nur milde, gütige Blicke, und um ſeine feingeſchnittenen Lippen ſpielte jenes ſanfte Lächeln, von dem die Kaiſerin Joſephine ſagte, daß es der Sonnenſtrahl ſeines Angeſichts ſei und daß keine Frau demſelben widerſtehen könne. Auch widerſtand die Churfürſtin dieſem Lächeln und dieſer Zuvor- kommenheit Napoleons nicht. Sie hatte erwartet, in dem Kaiſer einen glühenden Feind ihres engliſchen Vaterlandes zu finden, und er jpen« dete den Engländern, ihrem Lande, ihren Einrichtungen und ihrem Charakter ein herzliches Lob und beredte Anerkennung, man hatte ihr Napoleon als einen Barbaren gefchildert, welcher nur für Krieg und Kriegsgetöfe Achtung habe, und jest fand fie in ihm einck Freund und Bewunderer der englifhen Poefie, jet hörte fie ihn mit Begeifterung über Dffian fprehen, von dem er ihr fogar einige der herrlichften - Strophen in franzöſiſcher Ueberfegung recitirte. Und allmälig begannen die ftrengen Züge der Churfürftin fih zu erhellen, allmälig kehrte das Lächeln in ihr Antlig zurüd, und ihr ftolzes Haupt neigte fich gütiger dem „Emporkömmling Bonaparte” zu. Dh, Sire! rief fie rafh und freudig, und zum erften Dal ver- mieb fie es nicht, ihm die geziemenvde Anrede zu gewähren, ob, Sire!. wer mit fo edler Begeifterung die englifchen Dichter verfteht, der kann unmöglid ein Feind Englands fein! | Ich bin es audy nicht, fagte Napoleon lächelnd, ich fenne über- haupt gar feine Yeindfchaft, der Friede ift Das einzige Ziel all meines Strebens, und ih denke, das Scidjal bat mih der Menfchheit gefandt, damit ich ihr den ewigen Frieden bringe. Freilich muß ich ihr diefen duch Kampf und Unruhe erobern, ‘aber idy werde ihn erobern, und dazu, Fürſtin, follen Sie und Ihr Gemahl mir helfen! Es ift eine edle Aufgabe, weldhe ich da in Ihre Hände lege, aber die edle und ftolze Tochter Englands ift der höchften Aufgabe würdig, und der deutfche Churfürft wird dem evelften Streben feiner Gemahlin nicht 508 nadhftehen wollen, beſonders wenn es fih dabei um die Ehre und das Wohl Deutfchlants hanbelt. Ih bin mit Freuden bereit, Alles was in meinen Kräften fleht und was Ew. Majeftät mir befehlen wollen, für Deutfchland zu thun, rief der Churfürſt. Wollen Em. Majeftät mir nun andeuten, was ich zu thun babe? | | Sie müſſen fi mit Frankreich verbünden, um Deutſchland zu retten, ſagte der Kaiſer faſt ſtrenge. Sire, ich habe nicht die Macht, allein nach meinem eigenen Ermeſſen ein ſolches Bündniß zu ſchließen, ich kann es nicht, ſeufzte der Churfürſt. Was Sie nicht können, kann Ihr Land, ſagte Napoleon raſch. Aber meine Stände werden nicht einwilligen. Gegen dieſe Stände werde ich Sie ſchützen. Sie werden überdies Ihren Ständen ſagen, daß Sie Württemberg gerettet haben, indem Sie mein Bundes genoſſe geworden. Denn wer nicht für mich iſt, der iſt wider mich, und diejenigen, welche wider mich ſind, werde ich vernichten, und ihre Reiche ſollen in Trümmer ſallen. Diejenigen aber, welche für mich ſind, werde ich erheben, und mir däucht, ich ſehe ſchon eine Königskrone auf der edlen Stirn der Frau Churfürſtin glänzen. Nicht wahr, fragte Napoleon, indem er ſich mit einem Lächeln wieder der Churfürſtin zuwandte, Ew. königliche Hoheit würden nicht unzufrieden ſein, wenn Sie zur Königin Ihres Volkes erhoben würden, es würde Ihnen angenehm fein, Majeſtät genannt zu werden, und ſei es auch nur, weil Ihnen das eine liebe Küderinnerung an Ihre Füniglichen Eltern wäre, welde man mit demfelben Titel nennt. Dh, Sire! rief die Churfürftin mit ſtrahlenden Augen und nicht im Stande ihre Freude zu unterbrüden, ob, Sire! Sie haben Recht, ed wäre eine füße Rückerinnerung an mein Vaterhaus und an England! Aber würde eine Königskrone mein allzufleines Land nicht erprüden? fragte der Churfürft feufzend. Nun, fo vergrößert man es, damit e8 im Stande und wilrdig ift, eine Königsfrone zu tragen, rief Napoleon raſch. Ich werde wohl bie Gelegenheit und Macht haben, meinem Bundesgenofjien Württemberg für die Hülfsteuppen, bie er mir ftellen wird, in Deutſchland einiges 509° Land zur Entfhädigung und Belohnung darzubringen. Ueberdies gilt es für Sie einen großen Zweck. Sie follen mir helfen, Defterreich zu bezwingen, diefes übermüthige Defterreih, das ganz Deutichland als fein Eigenthum behandeln möchte, und alle deutſchen Fürften nur als feine Diener und Bafallen betrachtet. Es ift wahr, rief der Churfürft heftig, Defterreich verſucht ſtets auf eine unpaſſende und herriſche Weiſe ſich in meine Machtvollkommen— heit einzumiſchen. Es möchte uns zu Vaſallen erniedrigen, die ſtets bereit ſein müſſen, ihrem Kaiſer zu gehorchen, die aber nie, wenn ſie ſelber in Gefahr ſind, auf die dulfe und den Beiſtand ihres Kaiſers zählen können. Benehmen wir alſo Oeſterreich den Wahn, als ob es Ihr Herr ſei, ſagte Napoleon lächelnd. Werden Sie mein Bundesgenoſſe, und glauben Sie mir, wir werden wohl die Macht haben, dem Kaiſer von Oeſterreich Reſpekt einzuflößen vor dem König von Württemberg, meinem Bundesgenofjien. Wollen Sie dazu mein Bundesgenofle fein? Wollen Sie, als deutſcher Fürſt, mir helfen, Deutſchland zu befreien von dem Joche, das Defterreih um feinen Naden gelegt? Sire, ih bin bereit, mit meinem Blut und Leben Deutfchland zu _ dienen, rief der Churfürft, und da Ew. Moajeftät gelommen find, Deutſch⸗— land zu befreien von Defterreih, fo wäre e8 ein Verbrechen, wenn ein deutſcher Fürft nicht dazu bereitwillig feine Hülfe bieten wollte Ich nehme alfo Ihre Bundesgenofjenfhaft an! Hier, meine Hand! Ich ftehe zu Ihnen mit meinen Truppen und mit meiner Ehre!*) *) Diefe ganze Unterredung ift ftreng biftoriih. Siehe: Memoiren des Generals von Wolzogen, und Häuffer: deutſche Gefchichte, Bd. II., ©. 613. Der Churfürſt von Württemberg ward der. dritte deutfche Bundesgenoffe Na- poleons, und folgte dem Borgang der Churfürften von Baden und Baiern. Er ftellte dem franzöfiichen Kaifer ein Kontingent von zehntaufend deutſchen Truppen. 510 II. Die Elavierftunde der Königin Wuiſe. Die Königin ſaß am Clavier und ſtudirte eins der neuen Lieder Reichardt's ein, welche ihr Gefanglehrer, ver Concertmeifter und Com- ponift Himmel, ihr fo eben gebradit hatte. Die Königin war in der glänzendften Fefttoilette, die indeß weniger für das ftille Cabinet und den Mufiklehrer, als für einen großen Courtag und eine vornehme Berfammlung geeignet fehien. Ein weißes, mit goldenen Blumen durchwirktes Atlasgewand, nad der damaligen Mode eng anfchließenp, verhüllte ihre herrliche Geftalt und ließ deren edle und ſchöne Formen er- rathen. Ihre herrlichen, weißen Arme waren unverhüllt und nur am Hanp- gelenk gefhmücdt mit zwei Armbändern von Gold und Edelfteinen. Ihr Hals und ihre Schultern, welde die edlen Linien und Zormen der Venus von Melos zeigten, waren glei den Armen unbevedt und nur mit Goldgefhmeide verziert. Ihr Dunfelblondes Haar, in welligem Scheitel ihre Stirn von Haffiiher Schönheit umgebend, war hinten im Naden -in einen griehifchen Knoten zufammengefaßt, in dem ſich die Endpunkte des goldenen, mit Brillanten gejhmücdten Diadems berührten, welches fi) über dem Haupte der Königin erhob.“) Ihre Wangen waren fanft geröthet, und um ihre purpurnen Xippen zitterte eben ein Lächeln voll MWehmuth und Rührung zu gleiher Zeit. Sie hatte die Hände auf die Taſten gelegt, und ihre Augen rubten auf den Noten, welde auf dem Bult ftanden; mitten im Singen war fie aber auf einmal verftumntt und in einem langen Geufzer war ihre Stimme verklungen. Herr Concertmeifter Himmel ftand hinter ihr; er war ein Mann von mehr als vierzig Jahren, mit breitem, behäbigem, von Geſundheit ftrogendem Geſicht, mit einer hohen, fchlanfen Figur, die fich beffer zu dem Kopf eines Apollo gepaßt hätte, als zu dieſem Kopf, weldyer mehr an einen Büffel als an einen Gott erinnerte. *) Ein Gemälde, welches die Königin genau in diefem Cofſtüm barfell, befinbet ſich im Königlichen Schloffe zu Berlin. 511 Als die Königin ſchwieg, überflog ein freudiges Lächeln ſeine Züge, welche vorher mißmüthig und düſter geweſen. Ew. Majeſtät verſtummen? fragte er haſtig. Ew. Majeſtät mögen alſo dies Lied nicht zu Ende ſingen? Nun, ich wünſche Ew. Majeſtät Glück dazu! Dieſer Herr Reichardt in Halle iſt ein gar ſüßlicher und arroganter Componiſt, und ich würde nimmer gewagt haben, Em. Majeſtät dieſe neuen Compoſi⸗ tionen zu bringen, wenn Sie nicht befohlen hätten, Alles was ber Reichardt gefchrieben zu fehen. Nun haben wir's gefehen, und es miß- fält Em. Majeftät, was mich von Herzen freut, denn — Denn, unterbrah ihn die Königin fanft, denn der große Compo⸗ nift Himmel ift ſchon wieder eiferfüchtig uf den großen Componiften Reichardt. Iſt's nicht fo? Sie hob bei diefer Frage ihre dunkelblauen Augen mit langſamem Aufichlag zu Himmel empor, und er fah, daß viefe Augen feucht waren von Thränen. Wie? fragte er entfeßt. Em. Majeftät haben geweint? Gie nickte bejahend und mit einem fanften Lächeln. Ja, fagte fie nach einer Paufe, ich habe geweint, und deshalb konnte ich nicht weiter fingen. Scelten und zürnen Sie nicht, mein geftrenger Herr Lehrer. Diefes Lied rührte mich, es ift fo einfach und tief empfunden, und wie ein frifcher Born des Gefühle aus dem Herzen hervorgequollen.. Herr Himmel antwortete nur mit einem leifen Seufzer und einem unverftänplichen Gemurmel, das indefjen von dem zarten Sinn ber Königin verftanden ward. | Vielleicht, fagte fie, im fanften Bemühen die Eiferfuchtsfchmerzen des Componiften zu lindern, vielleicht find es mehr die Worte, als die Compofition, weldye mich rührten; diefe Worte find fo ſchön, daß mid) dünkt, Göthe habe niemals etwas Schöneres gefchrieben. Und ſich vorwärts neigend, näher zu den Noten bin, las fie mit halblauter Stimme: Wer nie fein Brod mit Thränen af, Ber nie die fummervollen Nächte Auf feinem Bette einfam ſaß, Der kennt Euch nicht, Ihr himmlischen Mächte ! 512 Sagen Sie felbft, Herr Himmel, ift das nicht ſchön und rührenn? fragte fie, wieder zu ihrem Lehrer emporfchauend. Schön und rührend für Diejenigen, welhe viel geweint und viel gehungert haben, fagte Himmel vaub, aber ich begreife nicht, wie das Em. Majeftät rühren kann, Ew. Majeſtät, deren ganzes Leben bis jegt wie ein einziger fonnenheller Frühlingsmorgen die Welt durchleuchtet hat. Bis jetzt, wiederholte die Königin finnend, ja, bis jet war mein Leben in der That ein fonnenheller Frühlingsmorgen, aber wer fann ermeflen, was für Wolken fih ſchon am Horizont aufthürmen, und wie trübe und bewölkt der Abend fein mag. Dieſes Lied Flingt wie eine ſchwermuthsvolle Ahnung in meiner Seele wieder, und heftet fih an ihre Schwingen, als wollte e8 ihren Flug lähmen. „Wer nie fein Brod mit Thränen aß," ad) wie traurig das Flingt, und welche lange Geſchichte von Leiden in diefen wenigen Worten liegt! Die Königin ſchwieg und über ihre Wangen floffen langſam zwei Thränen nieder, die herrlicher und ſchöner erglänzten, als die Brillanten in ihrem goldenen Diadem. Herr Concertmeifter Himmel hatte vielleicht nicht den Muth, das Schweigen der Königin zu untetbrechen, oder vielleicht hatte er ihre Worte gar nicht recht gehört, und feine Gedanken waren mit ganz andern Dingen bejchäftigt, denn feine Mienen waren zerftreut und büfter, feine Blicke ſchweiften im Zimmer umher und fehrten doch immer wieder zu der Öeftalt der Königin zurüd. Auf einmal ſchien Luiſe fih gewaltfam aus ihrem trüben Sinnen aufzuraffen, und indem fie mit einer haftigen Bewegung die Thränen aus ihren Augen fortfchüttelte, zwang fie ſich zu einem Lächeln. Es ift nicht gut, fid) ſchwermüthigen Ahnungen hinzugeben, jagte fie, zumal in Gegenwart eines geftrengen Herrn Lehrers. Wir müſſen unfere Zeit nüglicher verwenden, denn bie Zeit ift ein gar koſtbares Gut, und wenn ich fie nicht heute zu Rathe gehalten hätte, jo würde ich feine Stunde für meinen Herrn Rehrer übrig behalten haben, denn heute Abend ift große Cour, und vorher habe ich noch einige Beſuche zu empfangen. Ich habe aljo meine Abendtoilette jhon am Nachmittag gemacht, und dadurch Zeit gefunden zu meiner lieben Gejangftunde. 513 Nun aber lafien Sie uns auch ftudiren, damit Sie an mir eine Shü lerin erziehen, welche Ihnen Ehre macht. Dh Meajeftät, rief Himmel heftig, meine Ehre und mein Glück — Still, ſtill, unterbrach ihn Luiſe mit einem bezaubernden Lächeln, keine Schmeicheleien, keine Hofmannswendungen! Ich bin hier nicht die Königin, und Sie ſind nicht mein devoter Unterthan; ich bin eine lernbegierige Schülerin und Sie ſind mein geſtrenger Meiſter, welcher das Recht hat, zu brummen und zu ächzen, wenn ich falſch ſinge, und welcher von dieſem Recht ſehr häufig Gebrauch macht. Entſchuldigen Sie ſich deshalb nicht, ſondern fahren Sie ſo fort, deſto mehr werde ich lernen. | Em. Majeftät fingen wie ein Engel, murmelte Himmel, deſſen Augen unverwandt auf den ſchönen Schultern der Königin ruhten. Nun freili, Sie find darin ein competenter Nichter, rief Luiſe lachend, denn da Sie der Himmel find, müflen Sie audy willen, wie bie Engel fingen, und gegen Ihr Urtheil läßt ſich nicht ftreiten. Die Engel fingen alfo falfch, gleich Ihrer ergebenen Schülerin? Laffen Sie die Engel das thun, aber Ihre Schülerin nicht. Kommen Sie, Herr Himmel, fegen Sie fih. Es ziemt dem Maeftro nicht, neben feiner Schülerin zu ftehen. Seten Sie fid,! Sie deutete mit einer anmuthigen Handbewegung auf den Seſſel bin, der neben ihr fland, und Herr Himmel folgte ihrem Befehl, er feßte fih. Unwillkürlich richteten feine Blide ſich wieder auf die Kö— nigin, deren Schönheit feinen Eurzfihtigen Augen erft jetzt recht leudy- tend entgegen trat, und die er vermeinte, niemals fo holpfelig, jo zauberhaft und anmuthig gefehen zu haben. Wie das Antlig einer Fee erfchien ihm ihr ſchönes Geficht, wie eine vom Phidias aus lebendem Marmor geformte Götterbüfte däuchten ihm ihre wundervollen Scul- tern und dieſer ftolze, leuchtende Naden, den er niemals unverhüllt und fo nahe gejehen. Nun, fangen wir an, fagte die Königin unbefangen. ch bitte, fpielen Sie mir da oben im Discant die Melodie und lafjen Sie mid einigemal dazu das Accompagnement fpielen, dann wird das Gingen befjer geben. Mühlbach, Napoleon. 1. DBb. 33 514 Sie begann eifrig und mit höher fich röthenden Wangen bie Eins gangstacte zu fpielen. Jetzt mußte Himmel einfallen mit der Melodie, aber feine Blide waren nicht auf die Noten, fondern auf die Schul⸗ tern der Königin gerichtet, und er verfehlte daher den Tact. Nun? fragte die Königin, mit lieblicher Berwirrung ihn anfchauend, Sie fommen aus dem Talt? Sa, Majeftät, ich fomme aus dem Takt, rief Himmel grollend und finfter, ich fomme ganz und gar aus dem Takt, und das fommt daher, daß ih doch aud nur ein Menfh bin und nicht in die Sonne fehen- kann, ohne den Sonnenftih zu befommen. Majeftät, ich babe ven Sonnenftih und Sie fehen, ih habe davon den Verſtand verloren! - Indem er fo ſprach, neigte er ſich dichter zu der Königin und drückte einen glühenden Kuß auf ihre Schultern, dann fprang er auf, griff haftig nach feinem Hut und ftürzte aus dem Simmer.*) Die Königin [baute ihm. nad mit dem Ausdruck des Erftaunens und der Verwirrung, dann auf einmal brad) fie in ein helles, Tiebliches Lachen aus. Ach, fagte fie, wenn die Frau Oberhofmeifterin Etiquette das gefehen hätte, fie wäre entweder geftorben vor Entfegen, oder fie hätte den Frevler zerfchmettert mit ihrem Zorn. Ich muß ihr doch dies Verbrechen befennen. ‚Frau Oberhofmeifterin! Frau Oberhof- meifterin! rief fie laut. Sofort öffnete fi) die Thür des Nebenzimmers und die Gräfin Voß erfchien in derſelben. Majeftät haben gerufen, fagte fie, und fi im Zimmer umſchauend, warf fie einen erftaunten Blid auf die Pendule. Ad, meine liebe Gräfin, Sie wundern fi, daß der Oefanglehrer Himmel ſchon fort ift, obwohl die Stunde erft zur Hälfte verflofjen ift? fragte die Königin heiter. Majeftät, fagte die Gräfin feufzend, ich follte mich eigentlich über nichts mehr wundern und niemals mehr erftaunt fein, wenn die Eti- quette verlegt wird, denn das geſchieht ja leider täglih und ftünblich! Em. Majeftät wiljen überdies, daß diefer ganze Herr Himmel mir ein Stein des Anſtoßes und ein Gräuel ift! *) Hiſtoriſch. 515 Und weshalb, meine liebe Gräfin? fragte die Königin heiter. Majeftät, deshalb, weil e8 gegen alle Etiquette ift, daß eine regie- rende Königin noch Unterricht nehme und einen Lehrer hat. Wie, rief Luiſe, eine Königin darf alfo, ver Etiquette gemäß, nichts mehr lernen? | Nein, Majeftät, denn e8 ift volllommen unziemlich, daß einer Ihrer Unterthanen der Lehrer feiner Königin werde, daß überhaupt irgend ein Menſch e8 wagen darf, bie Königin zu tabeln. Nun, thun Sie das nicht recht oft, liebe Gräfin? fragte die Kö— nigin gutmüthig. Ich wage es nicht, bie Königin zu tadeln, fondern nur die Eti- quette zu vertheidigen und aufrecht zu erhalten, wie es mein Amt und meine Pflicht erfordert. Aber eine Königin, welche Unterricht nimmt, muß, fo lange der Lehrer da ift, won ihrem Thron herabfteigen, ver Würde ihres Ranges entjagen und flatt zu gebieten nur gehordhen. Bon Etiquette kann alfo gar nicht mehr die Rebe fein. Sie haben gewiß veht, fagte Luiſe heiter, wenigftens ift Herr Concertmeiſter Himmel ganz Ihrer Meinung, und die Etiquette füm- mert ihn ganz und gar nidt. Soll ic Ihnen geftehen, Frau Ober- bofmeifterin, weshalb der Herr Himmel heute um eine halbe Stunde zu früh fortgelaufen ift? Fortgelaufen? fragte die Oberhofmeifterin entfegt. Er hat e8 gewagt, fortzulaufen in Gegenwart Ihrer Majeftät? Ya, er hat es gewagt, aber vorher hat er nod viel Schlimmeres gewagt. Er bat — doch, liebe Gräfin, fegen Sie ſich erft, es möchte Ihnen ſchwindlich werben. | Nicht doch, Majeftät, erlauben Sie mir zu ſtehen. Em. Majeftät wollten mir gnädigft mittheilen, was der Herr Himmel — nidt ein⸗ mal von Abel ift diefer Lehrer einer Königin! — was er gewagt hat. Nun bören Sie, fagte die Königin lächeln und ſich dicht an das Ohr der Gräfin neigend, hören Sie: Er hat mid auf die Schulter gefüßt! Die Oberhofmeifterin ftieß einen durchdringenden Schrei aus und taumelte entjegt zuräd. II % 516 Geküßt? ftammelte fie. Ja, geküßt, feufzte die Königin, ich glaube wahrhaftig, es muß noch zu fehen fein! | Sie ging mit leichten, ſchwebenden Schritten zu dem großen Spiegel bin und betrachtete in demfelben ihre Schulter mit einem reizenden, kindlichen Lächeln. Ja, dieſer kleine, rothe Fleck da, das iſt das Verbrechen des Herrn Himmel! ſagte ſie. Sagen Sie, Gräfin, welche Strafe hat er verwirkt? | | | Darüber können die Gerichte allein entfcheiden, rief die Oberhof: meifterin feierlihd. Denn e8 verfteht fih von felbft, daß wir ſogleich davon Anzeige machen. Das iſt Hochverrath, den biefer Verbrecher begangen hat! Dan muß fogleih dafür forgen, daß er verhaftet werde, und unerhört wie fein Verbrechen muß «ud jeine Strafe fein! Erlauben Ew. Majeftät, daß ich mich fogleic zum König be- - gebe, um — Nein, meine liebe Dberhofmeifterin, fagte die Königin, weldye noch immer vor dem Spiegel ftand und ihre eigene ©eftalt betrachtete, nicht mit den zufriedenen Bliden einer eitlen Frau, fondern mit den ruhigen, ftrengen Augen eines Kritifers, der ein Kunſtwerk prüft, nein, meine liebe Oberhofmeifterin, wir werden uns wohl hüten, diefe Sache zum Eclat zu bringen. Und am Ende ift ver Herr Himmel aud gar nicht fo ftrafwürbig, als es den Anſchein hat. | Wie? Ew. Meajeftät wollen ihn noch vertheidigen? Nicht vertheidigen, aber entſchuldigen, Gräfin! Er war neben mir al8 mein guter, alter Lehrer, ih war ihm nidht die Königin, fondern die Schülerin, und zwar, geftehen wir es uns nur hier in der Stille, wo nur Gott, der die ganze Sache verſchuldet hat, ung hört, eine Schülerin mit jehr Schönen Schultern. Meine liebe Gräfin, ih bin eigentlih jchuldiger ald der arme Himmel, denn wenn die Königin Schülerin wird, muß fie fi erinnern, daß ihr Lehrer ein Mann ift, und fie muß ihn nicht blos als einen Automaten behandeln, welder unterrichtet. Der einzige Richter, der in dieſer Sache zu ent- ſcheiden bat, ift mein Gemahl, der König. Er foll ven Urtheilsfpruch 517 fällen, und wenn er erlaubt, daß Herr Himmel wieder fommt, finge ich weiter. Nur, fegte die Königin lächelnd und mit einem zarten Er- röthen hinzu, nur werde ich fünftig einen Shawl um meine Schultern legen. Und jest, meine liebe Gräfin, bitte ih Sie, fprechen wir zu Niemand von der Heinen Affaire. Ich jelbft werde fie dem König mit- theilen und feine Entſcheidung fordern. Ich werde fchweigen, weil Ew. Majeftät es befehlen, ſeufzte die Gräfin. Aber es iſt unerhört und höchſt entſetzlich. Das Verbrechen des Hochverraths iſt begangen und die verletzte königliche Majeſtät will verzeihen, ohne zu ſtrafen! Oh ja, das will ich, rief die Königin freudig. Zu verzeihen, ohne zu ſtrafen, iſt das nicht die heiligſte und edelſte Macht der Königin, nicht der leuchtendſte Edelſtein in unſerer Krone? Welche arme und beklagenswerthe Menſchen wären doch die Könige, wenn ihnen Gott nicht das Recht der Gnade gegeben hätte! Wir ſelber bedürfen ja ſo vieler Gnade und Verzeihung, denn wir irren und fehlen wie Menſchen und ſollen doch richten und ſtrafen wie Götter! Seien wir alſo gnädig, damit auch wir einſt gnädig gerichtet werden! Eben öffnete ſich die Thür des Vorſaals und der dienſtthuende Kammerherr trat herein. Majeſtät, ſagte er, der Prinz Louis Ferdinand und der Miniſter von Hardenberg bitten um eine Audienz bei Ihrer Majeſtät. Ich erwartete die Herren um dieſe Stunde, ſagte die Königin mit einem flüchtigen Blick auf die Pendule, laſſen Sie ſie alſo eintreten. Und Sie, meine liebe Gräfin, leben Sie wohl! Majeſtät befehlen, daß ich mich zurückziehe? fragte die Oberhof— meifterin zögernd. Die Etiquette erfordert, daß die Königin nur im Gegenwart ihrer Oberhofmeifterin oder Hofdame Audienz ertheile. . Meine liebe Gräfin, fagte die Königin mit einem leifen Anflug von Ungetuld, ih will aber eben feine Audienz ertheilen, jondern den freundſchaftlichen Beſuch meines königlichen Couſins und feines Freundes empfangen, und da fie, wie ich weiß, mir Dinge anvertrauen wollen, bie Niemand außer mir hören fol, fo empfange ich fie allein. Haben Sie alfo die Güte, ſich zurüdzuziehen! 518 Se. königliche Hoheit der Prinz Louis Ferdinand und Se. Excel⸗ len; der Staatsminifter von Hardenberg, rief der Kammerlafai, die beiden Flügelthüren weit öffnend. Die Königin nicte der Oberhofmeifterin einen Abſchi edsgruß zu und that einige Schritte vorwärts, den Eintretenden entgegen, während die Gräfin mit fhmerzlihem Seufzen durch die Seitenthür verſchwand. IV, Bie Conferen:. Der Prinz Louis Ferdinand, der Neffe Friedrichs des Großen, und der Minifter von Hardenberg, waren in biefem Augenblid die populärften Männer in Preußen, weil man von Beiden mußte, daß fie die Häupter derjenigen Partei waren, melde am Berliner Hofe ein Anſchließen Preußens an die Coalition von England, Rußland und Defterreich als die einzige Rettung des Vaterlandes betrachteten, wäh⸗ vend der Minifter von Haugwitz, der Geheime Cabinetsrath Lombard und der General von Köderig den König immer wieder zu einem Bündnig mit Frankreich hinzubrängen verſuchten. Der Prinz Louis Ferdinand, ein fhöner junger Mann von faum dreißig Jahren, in feiner glänzenden Uniform, die eng und zierlid) feine hohe, edle Geftalt umfloß, in der That wie ein Kriegsheld an- zufchauen, war daher aud ganz beſonders noch der Liebling der Sol- baten, melde fi die unglaublidften und erftaunlihften Wunderdinge von feiner Tolltühnheit und feiner Wagehalfigkeit zu erzählen wußten. Er war außerdem der Liebling der Frauen, die ihn den liebenswär- bigften und ſchönſten Dann der ganzen Monardie nannten, und feine vielen Treulofigkeiten und Aventuren, fein wildes, üppiges Teben, feine Berfchwendungsfucht und feine vielen Schulden voll liebenswärdiger Nachſicht mit der großen Genialität des Bringen zu entfhuldigen wußten. 519 Und in der That, er war ein ungewöhnlicher und feltener Menſch, einer von Denen, welden die Gottheit den Stempel des Genies auf bie Stirn gebrüdt, nicht aber zu ihrem Segen, fondern zu ihrem Fluch, und welde entweder an ihrer Genialität fich felber verbluten, oder Andern damit beftändig empfindlihe Wunden fchlagen. Der Minifter von Hardenberg, weldem es jest nad langen Kämpfen gelungen war, den Minifter von Haugmig und damit bie franzöfifhe Partei in den Hintergrund zu drängen, gehörte zu jenen feltenen und auserlefenen Staatsmännern, welde ſich die Diplomatie nicht zu einem Gefchäft, fondern zu einer Lebensaufgabe gemacht, und ihr alle Kräfte, alle Gedanken und alle Empfindungen ihrer Seele geweiht haben. Hannoveraner von Geburt und in feinem Baterlande früh Carriere madyend, war er dennoch bald in die Dienfte des Her- 30988 von Braunſchweig übergetreten, und wurde nad dem Tode Friedrichs des Großen von dem Herzog damit beauftragt, das Teſta⸗ ment des Königs, weldyes verfelbe in dem herzoglichen Archiv in Braunfhweig deponirt hatte, nach Berlin zu bringen.*) ‘Der König Friedrich Wilhelm der Zweite, mit richtigem Blick in dem jungen Ge- fandten den künftigen Staatsmann erkennend, hatte ihn für feinen Dienjt gewonnen, und der Baron von Hardenberg war von ihm mit der ſchwierigen Miffion betraut worden, den Anſchluß Baireuths an Preußen zu vermitteln, den Markgrafen mit feinen$Anjprücen abzu- finden, die ungeheuren Schulden, von denen Baireuth faſt erbrücdt ward, möglichft raſch zu tilgen, und dem Lande, welches fo viel ge⸗ litten, feinen Wohlſtand und feine Zufriedenheit wieder zu geben. Alsdann war er zum Staats» und Kriegsminifter in Preußen ernannt worden, und jeitdem hatte man ihn immer thätig und eifrig gefehen, Preußen nad) feiner beften Ueberzeugung zu dienen, aber in Preußen auch das Intereffe des gefammten großen Baterlandes, die Interefjen Deutfchlands, zu vertreten. Dieſe Intereffen jchienen ihm vor allen Dingen durd den Einfluß Frankreichs gefährbet, und er hatte es daher als eine Hauptaufgabe betrachtet, Preußen wenigftens vor dieſem *) Memoires d’un homme d’stat. Vol. I. 302. 520 Thäplihen Einfluß zu bewahren, und es lieber hinüberzudrängen auf die andere Seite, auf die Seite der Coalition, ftatt es gleich dem armen Bögelein von dem Baſilisken Frankreich verfchlingen zu Laflen. Diefes Bemühen, das ihn in fortwährendem Conflict mit den eigent- lihen Lieblingen und Vertrauten des Königs, mit Haugwitz und Köderig, erhielt, hatte ihm indeß bie allgemeine. Liebe und Hochachtung ber preußifhen Patrioten erworben, und ihm eine außerordentliche Popu⸗ larität verfchafft. . Diefe beiden Lieblinge der preußifchen Patrioten. alfo waren es, welche eben in das abinet der Königin eintraten. Luiſe erwiederte die vertraulihe und mehr freundfchaftliche als refpectvolle Begrüßung bes Prinzen mit einem Lächeln und einem Kopfneigen, und nahm die ehrfurchtsnolle Verbeugung des Minifters mit der ruhigen, ſtolzen Würde einer Königin an. Nun, mein Iuftiger und übermüthiger Coufin, fagte fie dann, ſich an den Prinzen wendend, giebt e8 wieder einige Sünden zu beichten, einige Disciplinarfehler zu verjühnen, einige Thränen zu trodnen und bie Gnade des Königs für unfere Oenialität zu erflehen? Und ift es deshalb, daß Sie fih da einen jo beredten Anwalt und Fürfprecher mitgebracht haben? | Nein, Majeftät, fagte ver Prinz ſeufzend, es ift leiver diesmal feine Rede von luſtigen Streihen und angenehmen Sünden, und ih fürdte, ih bin im Begriff, ein höchſt ernfthafter Menſch zu werben und allen tollen Streihen Balet zu Jagen. Der Herr Minifter ift | daher diesmal auch nicht hier, um mic zu vertheibigen und Die gnä- dige Vermittlung meiner königlichen Coufine für mich zu erflehen, fon- dern wir Beide find gekommen, um den Nothfchrei und den Angftruf Preußens vor den Ohren Eurer Majeftät wiederklingen zu laffen, und Sie zu befhwören, uns beizuftehen, daß wir Preußen erretten vor dem Abgrund, an defien Rande wir und befinden! Die Königin fah bald den Prinzen, bald den Miniſter mit ernften, verwunberten Bliden an. Es ift alfo eine politiiche Konferenz, welde Sie von mir begehren? fragte fie, und al8 Beide jchwiegen, fuhr fie Zebhafter und mit leicht erregter Stimme fort: Dann, meine Herren, 521 muß ich Sie bitten, mid zu verlaffen, denn ich verftehe mich nicht auf die Politik, und ich babe durchaus nicht den Ehrgeig, eine politifche Intriguantin zu werden. Ich bin die Frau des regierenden Königs, aber feine regierende Königin; mein einziges Beftreben ift, den König in feinem Haufe zu einem gücklichen Manne zu mahen und ihn an meiner Seite die Politif und die Sorgen der Regierung vergefien zu laffen. Ich fürchte, Majeftät, ſagte Herr von Hardenberg feierlich, ich fürchte, die Zeit für ſolche Idylle auf dem Thron iſt jet vorüber, und ftatt den König die Sorgen der Regierung vergefien zu. maden, wird e8 die größere Aufgabe Ew. Majeftät fein, ihm viefelben tragen zu belfen! Und wir find gefommen, meine edle und hochherzige Coufine zu bitten, daß fie das thut, rief der Prinz feurig. Wir find gekommen im Namen Preußens, im Namen aller deutſchen Batrioten, im Namen Ihrer Kinder, Sie um Ihren Beiftand und Ihre Mitwirkung an- aufleben. Im Namen meiner Kinder? rief die Königen erbleihenn. eben Sie, reden Sie, was ift gejchehen, was für ein Unglüd bedroht meine Kinder? — Ich wollte Sie nit hören als Königin, jegt will ich Sie hören als Mutter, welde für dag Glüd ihrer Kinder bangt. Um was handelt es fi, von melden: Unheil ift die Rede? | Es handelt fi um die Unabhängigkeit und vielleicht um die ganze Eriftenz Preußens, jagte Minifter von Hardenberg feierlich, es handelt ſich darum, ob Preußen entweder ein ifolirter, von Allen gemiedener, von Allen verachteter Staat fein fol, den Frankreich dann unter dem Hohngelächter der ganzen Welt ungeftraft verfchlingen darf, wie es Italien, wie es Holland und das rechte Aheinufer verfchlungen hat, oder ob Preußen fi feine Macht, feine Selbitftändigleit und feine Ehre bewahren will, indem es enblid der Entfcheidung nicht mehr ausweicht, jondern feinen Freunden, wie feinen Feinden mit offenem Viſir entgegentritt, und flatt der ewig hinhaltenden, ewig vermittelnden und balancirenden Stellung endlich eine active, entſcheidungsvolle Stellung wählt! 522 Es handelt fih darum, diefem Herrn Kaifer von Frankreich end- lid einmal fräftig gegenüber zu treten, rief der Prinz energiih. Wenn wir ihm nicht enblich widerftreben, wird er bald auch unfer Herr fein, wie er der Herr aller Derer ift, welche fi feine Bundesgenofjen nennen, und doch weiter nichts find als feine Sclaven. Mein Herz bäumt ſich auf in Wuth, wenn ich fehe, wie ganz Deutfchland jegt er- zittert vor diefem Corfifhen Advocatenſohn, vor diefem Tyrannen, der ben eblen und unfchuldigen Herzog von Enghien ermorbet hat, und fih nicht begnügt, Frankreich in Stetten gelegt zu haben, fonvern bie ganze Welt unter feinem Kaifermantel auffangen möchte, um befjen golvene Bienen fih daran mäften zu laffen. Und es wird ihm gelingen, wenn wir nicht Widerftand leiften, denn fein Wort ift jett ſchon Geſetz und Befehl für die halbe Welt, und was diefer Kaifer will, das thut er. Woahrhaftig, wenn es ihn eines Tages gelüjtete, ein Gericht von Prinzenohren zu eſſen, ich würde weder meine eigenen Ohren, noch die Ihrer jungen Prinzen mehr für ficher halten.*) Die Königin hatte für diefen mit zorniger Stimme geſprochenen Scherz des Prinzen fein Lächeln und fein Beifallözeihen, fie wandte ſich mit ernften, forgenvollen Mienen wieder dem Minifter zu. Iſt etwas Neues gefchehen? fragte fi. Hat die Situation fid verändert? . Ya, Majeftät, fagte der Minifter, die Situation hat ſich verändert, der Kaiſer Napoleon hat e8 gewagt, unfere Neutralität zu verlegen, und wenn Preußen jest nicht Genugthuung fordert, fo ift e8 entweder "an feiner Ehre verlegt, oder es ftellt fih vor aller Welt als der Bundesgenoffe Franfreihs dar und fordert fomit die offene Feindſchaft Defterreihs, Rußlands und Englands heraus. Sie wagen zu jagen, daß Preußen an feiner Ehre verlegt worden, und zweifeln, daß der König den Beleidiger zur Rechenſchaft ziehen werde? rief die Königin glühend und -mit flammenven Augen. Der König, welcher die Ehre und Hoheit felber ift, wird nicht dulden, *) Brinz Louis Ferdinand’s eigene Worte. Siehe: Rahel und ihre Freunde. Theil I. 523 daß aud nur der Schimmer eines Fledens auf Preußens Ehre falle, er wird in edlem Zorne jede free Hand zurüdftoßen, die e8 wagen will, an den Balladium unfrer Ehre zu rütteln. Oh, wenn Sie fo denken und fprechen, rief der Prinz begeiftert, dann fürdte ich nichts mehr, dann ift Preußen gerettet! Wie ich Ew. Majeftät jest betrachte, wie Sie daftehen in Ihrer wunderbaren Schönheit, mit diefen Augen, welde Ihren inneren Himmel wieder- fpiegeln, mit biefem begeifterungsftrahlenden Angeſicht, fo fcheinen Sie mir der Genius zu fein, melden das Schidjal für Preußen aus- gefandt Hat, damit er es behüte und befchüte, und es führe auf bie rechten Wege und zu den rechten Zielen! Oh, Königin, erfüllen Sie die Miffton, welche Ihnen das Schidjal gegeben, folgen Sie Ihrem edlen und heiligen Beruf, fein Sie der Genius Preußens, und geben Sie Denen, welche zugen und ſchwanken, feften Männermuth und that- träftige Entſchlüſſe! Königin, auf meinen Knien befhwöre ich Sie, er- barmen Sie Sih Preußens, erbarmen Sie Sich Ihrer Kinder, jeien Sie der Genius Preußens! Und ganz außer fih, mit Thränen in den Augen, mit vor Rüh⸗ rung zitternden Lippen kniete der Prinz vor der Königin nieder, Die ge- faltenen Hände flehend zu ihr erhebent. Erlauben mir Em. Majeſtät, daß auch ich mein Knie vor Ihnen beuge, fagte Minifter won Hardenberg feierlich, daß aud) ich. Sie anbete und verehre als den Genius Preußens, von dem wir Alle unfer Heil, unfern Frieden und unfere Ehre erwarten! Oh Königin, Sie allein be» figen die Macht, das Herz bes Königs zu rühren und die Zweifel feines edlen und ehrenhaften Gemüthes zu löſen, Sie allein werben vermögen, was weber unfere Gründe, noch unfere Bitten zu Stande bringen Eonnten, Sie allein werden die Unfclüffigfeit zu ver Kraft edler und mannhafter Entfchlüffe erheben können! Nichts, kein Wort gegen den König! rief die Königin faft fireng. Niemand wage zu behaupten, daß es dem König an mannhaften Ent- ſchlüſſen, an edler Kraft gebridt. Wenn er zaubert, wo Ihr handeln möchtet, jo geichieht es, weil er weiſer und befonnener als Ihr in die Zukunft ſchaut, während Ihr nur die Gegenwart feht, weil u vr 524 Tolgen erwägt und berechnet, während Ihr nur die That des Augen⸗ blids wollt! — Aber ftehen Sie auf, meine Herren, laffen Sie ung nicht eine eraltirte Scene aufführen, wo Alles darauf anfommt, be= fonnen zu fein und zu überlegen! Lafjen Sie uns aljo vernünftig und ernft mit einander fprechen, erklären Sie mir, was gefchehen ift und welche Gefahr Preußen, melde Gefahr meine Kinder bedroht. Ich gemähre jett Ihren Wunſch, wir wollen eine politifche Conferenz hal⸗ ten! Segen wir uns alfo und fangen wir an! Sie nahm auf dem Divan Pla und winkte den Herren, auf ben beiden Seſſeln ihr gegenüber ſich niederzulafien. Jetzt fagen Sie mir, was gefchehen ift und um was es ſich han- belt! Herr Minifter von Hardenberg, ich bitte Sie, geben Sie mir - genaue und faßliche Auskunft über unfere politifhen Zuftände, denn ih babe es Ihnen ja fhon geftanden, ich habe mich niemals mit ber Politif befaßt und verftehe nichts davon. Mein Gott, ih war zu glüdlih und mein Leben war zu fehr ausgefüllt von meinem Glück, als daß ich nöthig gehabt hätte, ihm durch die Politif einen Inhalt zu geben. Aber ich fehe wohl, daß die ſchöne Zeit des ftillen Glückes jett vorüber ift! Reden wir alfo von Politil. Sie fagten vorhin, Preußen ſei von Frankreich beleidigt worden? Ya, Moajeftät, es ift beleidigt worden und zwar in feinem bei- ligften und unverbrüdlichften Recht, in feinem Recht der Neutralität, rief Hardenberg. Der König, in dem. hodhherzigen Bemühen, feinem Volk die Segnungen des Friedens zu erhalten, wollte ſich zwifchen all diefen Kämpfen und Stürmen,: welhe vie Welt erfüllen, neutral ers halten und, feiner Partei und feiner Macht Freund und Bundesgenoffe, ſich ftügen auf feine eigene Kraft allein, er wollte abwarten, vermitteln und fchlichten, aber nicht angreifen, nit handeln und entfcheiden! Es kann Zeiten geben, wo diefe Rolle eine edle und gewichtige ift und wo fie den Frieden der Welt vermittelt, aber es kommt dabei inımer auf Diejenigen an, mit denen man vermitteln, fehlichten und neutrali« firen will. Mit Männern ven Ehre, mit Fürften, welchen ihr Wort heilig ift, und welche Verträge nicht zu verlegen wagen, fann man neutral bleiben, nicht aber mit Solen, ven ihr Wort nur fo lange heilig 525 ift, als es ihr eigener Vortheil erheifcht, und die nur fo lange die Vers träge nicht verlegen, als dies ihren felbftfüchtigen Plänen nicht wider: ſteht. Es ift ein Grundſatz der Neutralität, daß man fein Gebiet weder der einen noch der andern Macht, welche fich befehden, öffnet, und dieſer Grundſatz ift bisher immer heilig gehalten worden. Als. Rußland jekt, da e8 feine Truppen zum zweiten Mal auf den Hülferuf Defterreih8 nah Deutfchland jenden will, dem König die Anzeige machte, daß e8 diefe Truppen durch Südpreußen und Schlefien mar- ſchiren lafjen werde, erachtete der König diefe Anzeige einer Kriegs- erflärung gleih und Se. Majeftät befahl jofort die ganze Armee mobil zu maden. Wir fländen jett im offenen Kampf Rußland gegenüber, wenn nicht der Kaiſer Alerander fhon am Tage, nachdem die erfte Depeſche hier angekommen, eine zweite Depeſche an den König gefanbt hätte, in welder er um Entihuldigung bat und erklärte, fich mit feiner Forderung übereilt zu haben!“) Aber diefer Schritt Rußlands, dieſe bloße Drohung einer Neutralitätsverletzung hatte doch genügt, Preußen zu voller Waffenrüſtung zu erheben und zwar zur Waffenrüſtung gegen die Coalition von Oeſterreich, Rußland und England. Ein Schrei des Entſetzens ging durch ganz Deutſchland, als es Kunde er- hielt von diefem erften Schritt, mit welhem Preußen fich öffentlih für Frankreich und gegen die Coalition zn erklären fchien, und diefer Schrei fand feinen Wiederhball im Ausland, wir haben davon einen ſchlagenden Beweis erhalten durd) den König Guſtav von Schweben! Em. Majeftät wiſſen es, wie diefer König durch feinen Geſandten von Bernftorf den ſchwarzen Adlerorden, welchen er früher von dem hochſeligen König empfangen, Sr. Majeftät tem König von Preußen: zurüdfandte, be- gleitet von einem beleidigenden Schreiben, in welchem er fagte: „daß er einen Drben nicht tragen Fünne, den Monfteur Bonaparte audy jüngft von dem König erhalten habe.” Und an demfelben Tage, an welchem viefe beleidigende Rückgabe des höchften preußifchen Ordens ftattfand, rief der Prinz Louis Ferdinand *) Häuffer, Deutihe Geſchichte. II. 6385. — Memoires d’un homme d’etat. VIII. 474, | 526 mit rauhem, zornigem Lachen, an bemfelben Tage erhielt der König von Preußen vom Kaifer von Frankreich das Groß- Cordon und noch fieben andere Großkreuze der Ehrenlegion, zur Dertheilung an bie Prinzen und Minifter. Und wir nahmen dieſe fieben Orden nicht blos an fondern wir fandten zum Danf fieben ſchwarze Adlerorden nad Paris ale Gegengefchent.*) Aber Sie vergeffen zu bemerken, daß der König audy an demielben Tage dem König von Schweden den Seraphinen- Orden zurüdchidte, und feinen Gefandten: abberief, jo daß wir jegt in offenbarer Feind- {haft mit Schweden ftehen, fagte die Königin lebhaft. Oh, meine Fünigliche Coufine, Sie verathen Ihr Geheimniß, rief der Prinz freudig, Sie wollten uns glauben machen, daß Em. Majeftät fi gar nit um die Politif befümmerten, und jest fennen Sie die Heinften Details berfelben ganz genau! Ih nehme Theil an Allem, was das Herz meines Mannes Träntt, fagte die Königin einfach, und jener Vorgang hatte ihn bitter und ſchmerzlich gekränkt. Oh, Majeſtät, er war doch nur ein Vorſpiel von andern Kränkungen und Beleidigungen, die wir erdulden müſſen, wenn der König ſie nicht rächen will, rief Hardenberg energiſch. Man hat von Preußen geſagt daß es zu Frankreich ſtehe, blos weil es Rußland nicht den Durchmarſch durch ſein neutrales Gebiet gewähren wollte, und weil es ſeine Armee drohend gegen das drohende Rußland aufſtellte, was würde die Welt aber erſt ſagen, wenn es erführe, was jetzt geſchehen! Nun, und was iſt geſchehen? fragte die Königin athemlos. Der Kaiſer von Frankreich hat das ausgeführt, womit Rußland nur drohte. Der Kaiſer von Frankreich hat, ohne anzufragen, einen Theil ſeiner Armee unter Anführung Bernadotte's durch preußiſches Gebiet marſchiren laſſen, er hat gegen alle Verträge und alles Völker⸗ recht, und trotz der lebhafteſten Proteſtation der preußiſchen Behörden ſeine Truppen durch preußiſch Franken, durch Anſpach und Baireuth marſchiren laſſen. *) Hiſtoriſch. Siehe: Häuſſer. Deutſche Geſchichte. IL. 576. 527 Die Königin ftieß einen Schrei der Ueberrafhung aus und ihre Wangen erbleichten. Weiß e8 der König bereits? fragte fie. Er weiß es fchon feit geftern, fagte Hartenberg ernß. Wir bes wahrten das Geheimniß, weil wir diefe Nachricht erft mit der Ent- Iheidung des Königs in das Publikum bringen wollten. Und dieſe Entfcheidung, ift fie ſchon erfolgt? fragte die Königin. Majeftät, fagte Hardenberg feierlich, fie ift erfolgt! Als Rußland drohte unfer Gebiet zu verlegen, machten wir unfer Heer mobil, und es fteht noch gerüftet und in Waffen. Jetzt, da Frankreich wagt und thut, womit Rußland nur drohte, jet wenden wir und nicht mit unfern Waffen gegen ihn, die Beleidigung zu rächen, fondern wir nehmen bie Feder und fhreiben, und fordern eine Erflärung dieſes auffullenden Borgebens von Frankreich. Wir drohen wohl, aber wir fhlagen nicht.*) Nein, wir Schlagen nicht, rief der Prinz mit einem bitteren Pachen, wir machen mobil gegen unfere natürlichen Freunde und Bundesgenofien, aber wir erheben das Schwert nicht gegen unfere natürlichen Feinde und Widerfadher. Das Heer Friedrichs des Großen fteht fampfgerüftet da, und bleibt dody müßig und fieht unthätig zu, wie ber beuteluftige Eroberer immer weiter vordringt in Deutfchland, wie er überall Verrath, Zwietradht und Unheil fäet, wie er die deutfchen Fürften zum Abfall von Deutichland beredet, ſei's mit Gewalt oder mit ft, wie er bie Gemüther vergiftet und verberbt, und die Charactere fo vernichtet, daß bald die Begriffe von Treue, Redlichkeit und Etandhaftigkeit aus Deutſchland verfhwunden, und die Deutſchen nichts fein werben, als eine Horde von Sclaven, die felig find, wenn ihr Iyrann fie nicht allzuoft die Peitfche fühlen läßt, und ihm die Füße füllen, damit er wenigftens milde und fanft über ihren Naden dahin jchreite! Wenn e8 jet dem Tyrannen gelingt, Defterreich zu demüthigen, das allein in Deutfchland den Muth gehabt, ihm entgegen zu treten, wenn Na⸗ poleon das öfterreihifche Heer ſchlägt, dann ift e8 vorbei mit Deutſch⸗ *) Diefe Depeche, in welcher Preußen Genugthuung von Frankreich fordert, ift abgebruudt in den Memoires d’un homme d’etat. Vol. VIII. 475. 528 land, dann wird e8 nur-noch eine franzöfifche Provinz fein, gleich Italien und Holland; alle deutfhen Fürften werden ihre Kronen zu den Füßen Napoleons niederlegen, und froh fein, wenn er fie wenigftens als feine Statthalter duldet in ihren früheren Ländern, oder ihnen wenigſtens ihre hohlen Titel läßt, nachdem er ihnen ihre Ränder genommen hat! Nein, nein, rief die Königin, dahin darf es, dahin foll es nicht fommen! Preußen ift da, um die Ehre Deutfhlands zu wahren, Preußen wird ſich erheben, ein fieggemohnter Held, und es wird den Eroberer von feinen Grenzen zurückſchlagen, e8 wird fih den Frieden mit den Waffen erlämpfen, da es ihn nicht mit der Feder erhalten tonnte! Sie haben Recht, die Zeit der Neutralität und des Zauderns ijt vorüber und jegt muß gehandelt werden. Auch ich will nicht länger neutral bleiben, aud ich will handeln. Sie haben die Mutter und bie Gattin aufgerufen, und ihr die Gefahr gezeigt, welche ihre Kinder und ihren Mann bedroht, Sie haben die Tochter Deutſchlands gemahnt ‚an die Schredniffe, weldhe ihr Vaterland, Sie haben die Königin von Preußen gewarnt vor dem Unheil, welches ihr Volk bedroht. Die Mutter, die Gattin und die Königin hat Sie gehört und verftanden. Die Zeit der Neutralität ift vorüber, wir müſſen mit unjern Bitten, unfern Borftellungen das Herz des ebelften und beften Königs rühren, daß er fein Ohr uns zuwende, und nicht mehr höre auf die Zuflüfte- rungen und Schmeicyeleien feiner Feinde, daß er feine Feinde und feine Freunde erkenne. Der König zaudert nur, weil er in ebler Selbftauf- opferung das Glüd feines Volkes höher ftellt, als fein eigenes Glüd, und die Befriedigung feiner eigenen Wünfche. Im Herzen und feiner ganzen Natur nad ein Kriegsheld, zwingt er fich, ein Friedensfürft zu fein, weil er glaubt, daß das Wohl feines Volkes dies erfordert. Deweifen wir ihm, daß fein Volk diefes edle Opfer nicht annehmen will, daß es freudig bereit ift, mit feinem Blute feine verlegte Ehre rein zu waſchen. Möge die öffentlihe Meinung fprehen und ung zu Hülfe fommen. Ic fage uns, denn von nun an ftehe ich zu Ihnen, bin ein Glied Ihrer Partei, eine entfchievene und offene Feindin Frankreichs! Gott ſegne Ew. Majeſtät für dieſes Wort, ſagte Hardenberg tief 529 ‚bewegt, jet hoffe ih no auf die Rettung Preußens, denn in diefer Stunde hat e8 eine Bundesgenoffin erobert, welche ihm mehr darbringt, als Heere und Waffen, welche die Begeifterung und das feite Wollen eines Feldherrn an die Spige ftellt! Und mit diefem Feldherrn an der Spige werben wir fliegen über alle Franzofenheere, rief Prinz Louis begeiftert, mit diefem Feldherrn werden wir jubeln hinausziehen vem Feinde entgegen, und Ein Gedanke, Ein Gefühl wird uns Alle befeelen: die Königin Luiſe ſchützt als holder Genius das preußifhe Vaterland, die Königin Luife wacht und betet für uns! Oh, meine Königin, möge diefer glüdfelige Tag des Kampfes fommen, gebieten Sie der Sonne dieſes Tages, daß fie emporfteige, und hineinfcheine in alle preußifchen Herzen, und fie alle erwärme und durchglühe mit dem Gefühl der Baterlandsliebe, auf daß fie den Top und die Wunden nicht mehr fcheuen, fondern nur die Schmady und die Erniedrigung! Ob, mein Blut brennt wie euer in meinen Adern, es möchte in einem ungeheuren Yeuerftrom hervorftürzen, um alle Fran⸗ zojen zu erfäufen und zu verbrennen! Königin, haben Sie Erbarmen, laſſen Sie den feierlihen Tag bald anbreden, an dem ich mein Blut für das Vaterland vergießen darf! | Leben Sie, wirken Sie für das Vaterland, fagte die Königin mit leuchtenden Augen und mit vor Begeifterung ftrahlendem Angeficht. Das ift nicht das Höchfte und Schwerfte, für eine große Idee den Helventod zu fterben, fondern höher und fchwieriger ift es, dieſe große Idee zu hüten und zu fhügen aud in vüftern und fchlimmen Tagen, fie nicht zu verlaffen und aufzugeben im Unglüd, fondern ihr Hüter und Priefter zu fein, felbft wenn das Schidfal fie zu verwerfen und uns mit ihr zu demüthigen ſcheint. Jetzt, wo ich einen neuen Xebensweg befreite, jest fage ich zu Ihnen aus tiefiter Meberzeugung: wir wollen Fämpfen und ringen für bie Ehre, Freiheit und Unabhängigkeit Preußens und Deutſchlands, aber wir wollen auch entſchloſſen fein, nicht blos für biefe Ideen zu fterben, fondern au für fie zu dulden, zu leiden und Schmach zu ertragen. Ob, mir ift, als ſchaute ich in dieſem Augen- blit hinein in die Zukunft und jähe da für uns. viel Sammer und Noth, viel Stürme und Gemitterwolfen. Mühlbach, Napoleon. I. Bb. AA 530 Aber hinter ben Gewitterwolfen fteht Die Sonne, ſagte Harbenberg, ‚and wenn die Donner verhallt find, wird ſie wieder leuchten. Und fie wird dann leuchten auf das Haupt meines Mannes und mei⸗ ner Kinder! rief die Königin, die ftrahlenden Augen gen Himmel gewandt. Sie wird vor allen Dingen dem preußifchen Bolfe leuchten aus dem Angeficht feiner angebeteten Königin Yuife, fagte der Prinz. Die Königin lächelte wehmüthig. Sprechen wir nicht von der Sonne, fondern von den Gewitterwolten, welche ihr vorangehen. Sie drängen rings umber, ſehen wir zu, wie wir fie zerreißen fünnen. Auf meinen Beiftand und meine Mithülfe können Sie zählen. Mein Gemahl und meine Rinder find bedroht, ich fühle es und fehe es: Frankreich heißt “der Feind, der fie bedroht. Bon nun an wollen wir diefem Feind mit offenem Viſir entgegentreten. Ic verfprehe Ihnen Das im Namen Preußens, im Namen meines Gemahls und meiner Finder! Hier, nehmen Sie Beide meine Hände: Wir wollen zu einander halten und mit einander kömpfen gegen Franfreih zu Preußens Ehre und Ruhm. Sie werden kämpfen mit Ihrem Schwerte und Ihrer Feder, ih mit meinem Wort und meiner Liebe. Möge das Volk uns unterftügen, möge Gott uns fegnen! Möge Gott uns fegnen! wiederholten der Prinz und der Minifter, indem fie die Hände ber Königin ehrfurchtsvoll Füßten. Und jest, meine Herren, gehen Sie, ſagte die Königin nach furzer Pauſe. Laflen Sie uns diefen Moment durd fein Wort entweiben. Alles für Preußen! das fei unfere Lofung, und damit fage id Ihnen heute Lebewohl. Alles für Preußen! Alles für Preußen! riefen die beiven Herren, indem fie ſich von der Königin verabfchiebeten. | Luiſe ſchaute ihnen nach mit einem langen, gebanfenvollen Blid, bann wandte fie fih um und ging rafchen Schrittes dur das Gemach bin; der fchnelle Ruftzug ihres Vorüberſchreitens wehte das Papier von dem Pult auf dem Clavier zur Erde hin und es fiel gerade zu ber Königin Füßen nieder. Gie hob es auf; es war das Lied, welches fie vorher gefungen. Ein ſchmerzliches Lächeln zudte um die Rippen der Königin, und bie 531 Augen ſchwermuthsvoll zum Himmel emporhebend, flüfterte fie leife: Dh, gieb mein Gott, daß Dies feine Vorbedeutung ift, und daß nicht auc ich mein Brod mit Thränen eſſen und in fummervollen Nächten weinen muß! Wenn e8 aber gefchieht, mein Gott, fo gieb mir Kraft, das Unglüd ftanphaft zu ertragen, und meinem Gemahl ein Troft, meinen Kindern eine Mutter zu fein! V. Der Schwur am Grabe Friedrichs des Großen. Die Wünſche der Königin hatten fih fchnell erfüllt; die Öffentliche Meinung hatte fih in Berlin mit jeltener Energie und Unumwundenheit gegen Frankreich erklärt, und mit einem einzigen Schrei ber Wuth und des Entjegens hatte das Volk die Nachricht von der Neutralitäts⸗Ver⸗ legung aufgenommen. Die fonft fo friebliebenden, vergnügungsfüdtigen Berliner ſchienen fi plöglid in fampfesluftige, ernfte Helden verwan⸗ beit zu haben, für welde es fein anderes Ziel mehr gab, als jo bald wie möglich die widerfahrene Beleidigung zu rächen, und Frankreich zur Rechenſchaft zu ziehen für den Preußen angethanen Schimpf. Krieg! Krieg! das war das Wort des Jubels und ber Bitte, das jetzt durch alle Straßen und durch alle Häufer tönte, das wie ein einziges jauchzendes Gebet der ganzen Nation ſich zu. den Fenſtern des Königs- hauſes hinauffhwang und da mit leifem Flügelſchlag anzuflopfen fchien, damit der König ihm öffne und e8 einziehen lafje in fein Herz. Ueberall fprady man nur von diefer Einen großen Angelegenheit, überall fragte man fih: Werden wir zu den Waffen greifen? Werben wir Frankreich den Krieg erklären? Denjenigen, welde diefe Frage verneinten, kehrte man mit zornigen Bliden und drohendem Murten den Rüden; Denjenigen, welche dieſe Frage bejaheten, reichte man freudig die Hand dar und, begrüßte fie als Freunde und Bundesgenofjen. Jar 532 Der Minifter von Haugwitz war befannt als ein Anhänger der Franzoſen, als ein Gegner des Krieges, das Volk ftürzte zu feinem Hötel hin und warf ihm die Fenſter ein, indem es laut und zürnend rief: Wir -wollen feinen Frieden! Pereat allen Franzofen und allen Franzoſenfreunden! | Den Minifter von Hardenberg aber begrüßte das Volk mit lauten Yubel, wo er ſich zeigte; von dem Hötel des Minifters von Haugmig herfommend, ftürzte e8 zu der bejcheivdenen Wohnung Hardenbergs, um ihm ein Vivat darzubringen, und laut zu jubeln: Krieg! Krieg! Wir wollen Krieg mit Franfreid! Aber nicht blos das Volk auf den Gaſſen, fondern aud) das ge- bildete Publifum nahm Theil an diefer allgemeinen Begeifterung und heute es nicht, biefelbe offen Fund zu geben. Selbſt die königlichen Beamten fanden plöglic die Energie, fih als deutſche Patrioten zu zeigen, und ed war gewiß nicht ohne Abfiht, daß man gerade in dieſen Zagen ber allgemeinen Aufregung auf der königlichen Bühne Wallen- ſteins Lager zur Aufführung brachte. Jedermann wollte diefer Aufführung beiwohnen, ganz Berlin ftürzte nad dem Schaufpielhaufe, und die Glüdlihen, denen e8 gelungen war, Billets zu erhalten, wurden von Taufenden, bie betrübt heimfehren mußten, beneivet. Das Theater war gedrängt voll; wie ein ungeheures Meer wogte das Parterre, Kopf an Kopf gedrängt war die Gallerie anzufhauen, und in den Logen des erften und zweiten Ranges fdhien das ganze vornehme, elegante, ‚gebildete und gelehrte Berlin fich ein Rendezvous gegeben zu haben. Alle Gefichter glühten, alle Lippen lächelten, alle Augen fprühten Flammen, Jedermann war fi bewußt, daß man hier eine politifhe Demonftration made, und Jedermann war ſtolz und glüdlich, derjelben beimohnen zu können. Auf einmal erfchien in der Heinen Königlichen Seitenloge der Prinz Louis Ferdinand; fofort richteten fih Aller Blide zu ihm bin, und wie er ſich aus ſeiner Loge vorwärts neigte und mit feinen heitern Bliden und feinem herzgewinnenden Lächeln das Publikum zu grüßen fchien, erhob ſich ein Sturm des Beifalle, als ob eine Primadonna eben eine Bravour-Arie vollendet habe und den Dont des Entrlidens empfinge. 533 Plöglih indefjen verftummte das laute Applaubiren,. vielleicht weil ber Prinz mit der Hand gewinft hatte, als wolle er bamit dieſes tobenbe Meer bejhwichtigen, vielleicht weil man feine Aufmerkfamleit von einem neuen ©egenftand angezogen fühlte Wirklih wandten fi alle Blide des Publikums jest von dem königlichen Prinzen ab und nad einer benachbarten Loge hin. In derjelben waren eben vier Herren in glän- zenden Uniformen erjchienen; aber diefe Uniformen gehörten nidht der preußifchen Armee an, und bie breiten Ordensbänder, weldye quer über die Bruft diefer Herren binliefen, waren nit die Bänder preußifcher Drden. Es waren die Herren der franzöfifchen Geſandtſchaft, melde in bie Loge getreten waren, der General Lefenre mit feinen Attaches und der Öeneral Duroc, den Napoleon erft kürzlich wieder nad Berlin gefandt hatte, um das Freundſchaftsbündniß zwiſchen Franfreic und Preußen enger zu Inüpfen. Ganz zufällig war es gewiß, daß ber. Prinz Louis Ferdinand in dem Moment, als diefe Herren ihn begrüßen wollten, fi) nady der andern Seite hinwandte und ihren Gruß nicht fah und nicht erwieberte, ganz zufällig, daß das Publikum, welches eben gejubelt und applaubirt hatte, jest auf einmal laut ziſchte, vielleicht nur, um dem Jubel Schweigen zu gebieten. Die Herren von ber franzöſiſchen Geſandtſchaft hüteten fich wohl, dieſes Zifhen auf ſich zu beziehen, fie nahmen ruhig ihre Plätze an der Brüftung der Loge ein und fihienen weder das laute Gemurmel, noch die drohenden Blide des Publitums zu beachten. Jetzt begann das Orchefter die Ouverture zu fpielen, e8 war ein geſchickt arrangirtes Quodlibet aus befannten Volks- und Kriegsliedern, dazwifchen ertönte der Deffauer Marſch und der Marſch von Hohen- friebberg, als wolle er das Publikum erfreuen mit glänzenden Erinne- rungen an preußifche Helvdenzeit und an unvergänglicen Kriegsruhm. Auf einmal durdlief ein freudiges Gemurmel das Parterre, die Logen und die Gallerie. Der König! die Königin! flüfterte man, und alle viefe hundert und aber hundert Gefichter wandten ſich nad) der Heinen Seitenloge hin, in welder das königliche Paar joeben erſchienen war. Die Königin, ftrahlend ſchön, mit rofigen Wangen und glänzenden Augen, grüßte das Bublifum mit einem liebreizenden Lächeln; ber König, 533. deſſen Stirn ungewöhnlich beſchattet und düſter ſchien, warf nur einen ungewiſſen, ängſtlichen Blick über das Haus hin und zog ſich dann hinter die dunkelrothe Seidengardine der Loge zurück. Der Vorhang ward aufgezogen, das Stück begann. Mit der glühendſten Theilnahme folgte ihm das Publikum, jedes Wort, das Deutſchlands Freiheit und Unabhängigkeit feierte, mit lautem Applaus begleitend, aufjubelnd bei jeder Anſpielung auf fremde Tyrannei und Despotenſtrenge. Jetzt war man bis zum Schluß gekommen, bis zu dem friſchen und fröhlichen Reiterlied, mit dem das Ganze ſchließt. „Wohl auf, Kameraden, auf's Pferd, auf's Pferd“, fang ver Chor auf der Bühne, und das Publikum folgte jeder Zeile, jeder Strophe mit glühender Aufmerkfamfeit. Auf einmal ſchaute man ſich einander ver- wundert, befremdet an, und laufchte dann wieder gefpannt nach den Sängern bin, welde das Iuftige Reiterlied um einen Vers vermehrt hatten, den man bis dahin noch nicht vernommen. Und wie bie legten Worte dieſes Verfes verflangen, fhrie und brüllte das ganze Publikum da Capo! da Capo! Im Barterre, in den Logen, in der Gallerie erhob man fi von feinen Sitzen, und Aller Blide richteten ſich wieder auf die Loge, in welcher die franzöfifche Geſandtſchaft ſaß, und To ftehend, mit lautem Jubelton und drohenden Mienen, fiel das Publikum ein in den Gefang auf der Bühne. Es hatte ſich die Worte des eingelegten_ Verſes wohl gemerkt, und mit bonnernder Stimme fang e8: Wohl auf, Kameraden, zur Schlacht, zum Krieg, In's Feld, in die Freiheit gezogen! Zur blutigen Strafe, zum rächenden Sieg Ueber Den, der uns Freundfchaft gelogen! Und Tod und Berderben dem falihen Dann, Der treulos den Frieden brechen kann! *) Und nod einmal wiederholte das Publitum den Schlußrefrain: 7) Diefe ganze Scene ift hiſtoriſch, auch die eingelegte Strophe, wenn aud nicht ganz dem Wortlaut, doch dem Sinne nad hiſtoriſch treu. Siehe: Me- moires d'un homme d’etat. Vol. VIII. 496. — Napoleon, bargeftellt nad den beften Quellen von *. IL ©. 73. 535 Und Tod und Verderben ven falichen Mann, Der treulos den Frieden brechen Tann! Dann wandten fi Aller Blide der Eöniglihen Loge zu. Der König war immer noch hinter feiner Garbine verborgen, die Königin hatte ſich erhoben, die Hände wie zum Gebet gefaltet, hatte fie ben Blid himmelwärts gewandt, und aus ihren Augen floffen zwei Thränen langfam über ihre Wangen nieder. Prinz Louis Ferdinand neigte fi) zu dem Minifter von Harden⸗ berg, ber eben in feine Loge getreten war. Sehen Sie die Königin? fagte er leife. Iſt fie nicht in Wahrheit anzufchauen wie ein Genius, welcher für Preußen betet? Ad, und vielleiht um Preußen weint! flüfterte Hardenberg. Aber wir wollen jegt feine trüben Gedanken begen! Ich bringe gute und unerwartete Nachrichten. Merken Sie auf! In wenigen Minuten wirb fih das Königspaar. erheben, um die Loge zu verlafjen, und wer weiß, ob das Publiftum da unten noch Geduld und Ruhe haben wird, das Ballet, das eben beginnt, zu Ende zu ſehen. Ich fehe jchon einige meiner Agenten da unten im Parterre erſcheinen, um meine Nachricht unter die Leute zu bringen. Ich beſchwöre Sie, Excellenz, ſeien Sie bei mir Ihr eigener Agent, theilen Sie mir ſelber Ihre Nachricht mit. Miniſter Hardenberg neigte ſich dichter an das Ohr des Prinzen. Sie wiſſen doch, daß ih den König wenigſtens zu einer ziemlich krie⸗ gerifhen und drohenden Erklärung an den Kaiſer der Franzoſen be- wogen habe, Dank der Fürſprache der Königin? Aber wird diefe Erklärung wirklich abgeſchickt? . Sie ift bereits abgefchidt. Aber ich hatte auch einen andern Boten mit einer Abſchrift dieſer Depeſche an der Kaiſer von Rußland, welcher ſich zur Zeit in Polen an unſern Grenzen befand, abgefertigt, und der Kaiſer hat, wie es ſcheint, meine Sendung verſtanden, denn — Aber ſehen Sie nur, welch' ein guter Prophet ich bin, die Königin und der König ſtehen auf und verlaſſen die Loge, und ſchauen Sie, kwelch eine Völkerwan⸗ 536 derung da im PBarquet und im Parterre beginnt. Die fhönen Tän- zerinnen werben bald vor leeren Bänfen tanzen. | Aber fo laſſen Sie mich doch nicht fterben vor Neugierde, Excellenz. Was giebt es denn Neues? Eine Ueberrafhung, Prinz! Der Kaiſer Alexander wird in einer Stunde in Berlin eintreffen! Das ift fein Scherz? Sie reden im Ernft? Im volften und bheiligften Ernft, mein Prinz. Der Saifer hat begriffen, daß man die gute Stunde benugen muß, er kommt, um bie Freundſchaft Friedrich Wilhelms zu erobern und feine Unfchlüffigfeit zu beflegen, damit fie dann mit vereinter Macht den franzöfifchen Eroberer befiegen fünnen. Der Kaifer Alexander ift ein fehr weiſer Mann, und da er ein halber Deutfcher ift, Fennt er wohl das deutſche Sprihwort: „man muß das Eifen ſchmieden, da es nod heiß ift.” — Die edle Königin, wir Beide und das gute Volk wollen dem Kaifer ſchmieden helfen. Sehen Sie, das Volk fängt ſchon an zu fchmieden. Es ftürzte hinaus, um den Kaiſer Wlerander am Thore zu empfangen und ihn mit Bivatrufen zum Schloß zu begleiten. Folgen wir dem Beifpiel der guten Berliner! Gehen wir hin, den Kaifer Alerander, wil’s Gott unfern Bundesgenoffen, am Thor zu empfangen!*) — Die Borherfagungen Hartenberg’s follten fih diesmal erfüllen. Danf den mächtigen Bundesgenofjen, welche mit ihm für feine Politif und für Preußen fämpften, raffte der König fih zufammen zu einem entjcheidenden Entſchluß. Diefe Bundesgenoffen Hardenberg's und Preußens waren jegt nicht mehr. blos die Königin, Prinz Louis Fer- dinand und die öffentlihe Meinung, fondern mit ihnen vereinten fich der Kaifer Alexander, der aus Polen fanı, und der Erzherzog Anton, den ber Kaiſer von Oeſterreich zur felben Zeit nad) Berlin fanpte, um bie Freundſchaft des Königs zu gewinnen. Aber noch ein anderer Bundesgenoffe trat plöglicy unerwartet für Hardenberg's Politif und *) Der Kaifer Alerander traf ganz unerwartet am 23. October 1805 in Berlin ein; der Courier, der feine Ankunft meldete, fam erft wenige Stunden vor ibm an. . 587 die Coalition in die Schranken, diefer Bundesgenofie war das Glüd und das Genie Napoleons. Mit dem Erzherzog Anton zugleich kam eine fürchterliche und ſchreckensvolle Nachricht in Berlin an. Napoleon hatte abermals einen Sieg erfochten, bei Ulm hatte er die Oeſterreicher auf's Haupt ge⸗ ſchlagen*), dreiundzwanzigtauſend Oeſterreicher hatten zu den Füßen des Kaiſers der Franzoſen die Waffen niedergelegt, um dann als Kriegsgefangene nach Frankreich zu wandern. Umgeben von einem glänzenden Generalſtab, vor ſeinem Heer, das blank und geputzt Spalier bildete, ließ⸗Napoleon die gedemüthig⸗ ten, vernichteten Oeſterreicher an ſich vorbei defiliren. Wie ſie dann ihre Waffen niederlegten, und dieſer blitzende Berg ſich immer höher und höher erhob, leuchtete Napoleons Antlitz, das mitten im Kugel⸗ regen und in der Gefahr der Schlacht feine eherne, antife Ruhe be- wahrt hatte, wie von einem Sonnenftrahl getroffen, höher auf, und mit einem gnäbigen Lächeln wandte er fich den öfterreichifchen Generälen und Offizieren zu, die fih ihm vemüthig, gebeugten Hauptes nahten, um bafür zu danken, daß der Kaifer ihnen erlauben wolle, frei nad Defterreich zurüdzufehren, und fie nicht verurtheilt hatte, mit den Sol- daten als Kriegsgefangene nad) Frankreich zu wandern. Aber dieſes Lächeln erftarb fchnell wieder in des Imperators Antlig, das jett drohend und zürnend ward. Mit einer Stimme, die wie grollender Donner über den Häuptern der gedemüthigten Defter- reicher dahin rollte, ſprach der Kaiſer: „Es ift ein Unglüd, daß fo tapfere Männer, als Sie es find, deren Namen überall, wo Sie gefochten haben, ehrenvoll genannt werben, jegt die Opfer der Dumm- beiten eines Cabinets fein müfjen, das nur von unfinnigen Projecten träumt und nicht erröthet, die Würde des Staats und der Nation zu compromittiren. Es ift fhon eine unerhörte Sache, mic ohne Kriegs⸗ erflärung fo ohne Weiteres bei der Gurgel zu paden; aber e8 heift fi) gegen feine Völker verfündigen, wenn man eine fremde Invaſion berbeiführt; es heißt Europa verrathen, wenn man aflatifhe Horben *) Am 20. October 1805. - 538 . in unfere Kämpfe bineinzieht. Statt mic) ohne Grund anzugreifen, hätte fih das öfterreichifhe Cabinet mit mir vereinigen follen, um bie ruffifhe Armee aus Deutfchland zurückzutreiben. Diefe Allianz Ihres Cabinets ift eine in der Geſchichte unerhörte Sade; fie fann nicht das Werk von Staatsmännern Ihrer Nation fein; es ift mit einem Wort bie Allianz der Hunde und Schäfer mit dem Wolf gegen die Schafe. Wenn Frankreich in diefem Kampf unterlegen wäre, würdet Ihr bald genug erkannt haben, welchen Fehler Ihr gemacht habt.*) Das war die Nadricht, welde ver Erzherzog Anton aus Wien mitgebradht, das war der neue Bundesgenoſſe, den Hardenberg für feine Politif und für Preußen gewonnen. Diefer neue Sieg, diefe neue Eroberung Napoleons in Deutſch⸗ land, ſtand vor dem König auf wie eine Gefahr, die ihn ſelber be= drohte, und gegen die er ſich mit den Waffen in der Hand erheben müſſe, um fi zu vertheibigen. Diefe drohende und trogige Sprade bes franzöfifhen Kaifers empärte Das Herz des deutſchen Königs, und ſtatt fi) von biefem neuen großartigen Sieg, von dieſer brohenden Sprahe Napoleons einſchüchtern zu laſſen, fühlte er gerade dadurch ſich jeßt zum Widerſtand und zum Kampf aufgereizt, erkannte er auf einmal, daß man nur dieſes mächtigen Mannes Diener und Sclave oder fein Feind fein könne, daß er niemals irgend Wen als gleichbe- rechtigt neben ſich anerkennen würde. Was waren fie, diefe drei beutfchen Fürſten, welche auf dem Schladhtfelde von Ulm drei Kronen - gefunden? Diefe neuen Könige von Würtemberg und Baiern, dieſer Großherzog von Baden, fie waren doch nur Bafallen und Diener des Kaiſers von Frankreich, der ihnen ihre Kronen gefchenkt, und ihnen erlaubt hatte, fie zu tragen. Der König Friedrid Wilhelm bedurfte Feiner ſolchen Krone. Ein Genius fand an feiner Seite und hauchte mit himmliſchem Lächeln ihm ins Obr: befler zu fterben im ehrenvollen Freiheitskampf, ale zu leben in Glanz und Herrlichkeit, aber mit einem Flecken auf feiner Ehre. Und der König hörte auf die Stimme feines Genius, er hörte. *) Memoires du Duc de Rovigo. II. 153. 539 auf die Stimme feines Minifterd, ver ihn befhwor, zur Ehre und zum Wohl Preußens und Deutſchlands die Grenzen. feines eigenen Landes zu vertheidigen; er hörte auf die Stimme feines Volkes, welches laut und glühend ben Krieg begehrte, er hörte auf Die Stimme des Kaiſers Alexander, der ihm ewige Liebe und ewige Freundfchaft ſchwur; er hörte endlich auf bie Stimme feines eigehen Herzens, welches das Herz eines deutſchen Mannes war, und die angethane Schmad tief empfand. Der König Friedrich Wilhelm hörte auf alle diefe Stimmen und entſchied fi endlich für den Krieg gegen Frankreich. Am dritten November unterzeichneten der Kaifer Alerander und der König Friedrich Wilhelm in Potspam einen geheimen Vertrag, in welchem Preußen als Vermittler zwifchen Napoleon und den Mliirten auftreten follte. Kraft dieſes Vertrages follte Preußen den Kaifer von Frankreich auffordern, Alles auf die früheren Verträge und Zuftänbe zurüdzuführen, das heißt, faft alle feine Eroberungen wieder fahren zu laſſen, Sardinien zu entſchädigen, die Unabhängigkeit Neapels, des Deutfhen Reichs, Hollands und der Schweiz anzuerkennen, und bie italienifche Krone von der franzöftfchen zu trennen. Ging aber Franf- reich auf dieſe Bebingungen nit ein, fo wollte Preußen fi offen und ohne Rüdhalt mit der Coalition verbünden und fofort einhundert und achtzig taufend Mann in’s Feld ftellen. Ein preußifcher Unter- händler follte dem Kaifer Napoleon diefe Bedingungen mittheilen, und erſt nach vier Wochen follte die en ber Unterhandlungen abge- laufen fein. *) Der König, in feiner Sutmüthigteit derauf bedacht, ven Miniſter Haugmwig für die Zurüdjegung, welche er in letzter Zeit hatte erfahren mäffen, und für die eingefchlagenen Fenſter zu entſchädigen, hatte ven Minifter von Haugwis damit beauftragt, Napoleon eine Abjchrift des Bertrages von Potsdam zu überbringen und mit ihm zu unterhandeln. Haugwig verließ daher Berlin, um den Kaiſer aufzufuchen. Freilich wußte er nicht mit Beftimmtheit, wo er ihn finden würbe, aber er *) Häuffer, Deutfche Geſchichte. II. 652. 540 war überzeugt, daß Napoleon ſchon dafür forgen werde, durch neue Heldenthaten und Siege ihm feinen Aufenthalt fund zu thun, und Graf Haugwitz machte fih daher auf den Weg. Der Vertrag von Potsdam follte vorläufig nad dem Wunſche des Königs von Preußen ein geheimer bleiben, nur die zunächſt dabei Betheiligten,, nicht aber die Welt follte Kunde davon erhalten und Nie mand follte ahnen, daß Preußen endlich feine Neutralitäts-Politit auf- gegeben habe. Aber dieſes Geheimhalten paßte nicht in den Plan des Kaiſers Alexander, es machte außerdem den Miniſter von Hardenberg beſorgt, ob der König in der letzten Stunde der Entſcheidung ſich nicht wieder von der franzöſiſchen Partei am Hofe zu der früheren beliebten Neu- tralitäts-Politif zurücorängen laffen werde. Es war daher weile, den König fo weit vorwärts zu drängen, daß er nicht mehr zurüd Fonnte, und fo viel von dem Geheimniß des gejchloffenen Bündniffes zu vwer- rathen, als nöthig war, um den König an daffelbe zu fefleln. Der Kaifer bat daher in der Stunde feiner Abreife nach Defter- reich das preußifche Königspaar, ihn noch zu dem Grabe Friedrichs bes Großen zu begleiten. — In der Mitternachtöftunde des fünften November begaben fie fich daher in die Garnifonkiche von Potsdam, in deren unterem Gewölbe der Sarg des großen Königs ruht. Ein einziger Fackelträger geleitete. bie ‚drei fürftlichen Säfte, deren Schritte ſchauerlich wiederhallten.. in den ſchweigenden dunklen Räumen. Am Grabe des Königs angelangt, beugte der Kaiſer ein Knie, fein Antlig, grell beleuchtet vgn dem Schein ber Tadel, ſtrahlte von Begeiſterung. An der andern Seite des Sarges ſtanden der König und die Königin, Beide mit gefaltenen Händen, der König mit düſtern, in ſich gekehrten Blicken, die Königin die Augen gen Himmel gewandt, das Antlitz verklärt von heiliger Rührung und Freude. Alexander, immer noch auf ſeinen Knieen liegend, erhob jetzt ſeine beiden gefaltenen Hände zum Himmel empor. Am Grabe des größten Heldenkönigs, ſagte er mit lauter, feierlicher Stimme, am Grabe Friedrichs des Großen ſchwöre ich meinem Bundesgenoſſen, dem König von Preußen, ewige Treue und Liebe, ſchwöre ewige Treue und Liebe 541 der heiligen Sache, bie uns zu dem ebelften Ziel vereinigt hat. Nie fol meine Treue wanken, nie meine Xiebe erkalten! Das ſchwöre ich! Er küßte den Sarg und erhob ſich von feinen Knieen, dann rich- teten fi feine in Thränen glänzenden Blide auf ven König hin. Jetzt iſt es an Ihnen, mein Bruder, ven Schwur zu leiften, fagte er. Der König zögerte und blidte vor fih bin. Die Königin legte fanft ihre Hand auf feine Schulter und neigte ihr Schönes Antlig fo nahe zu ihm hin, daß er ihren Athem wie einen Geiſterkuß auf feiner Wange fühlte. Schwöre, mein Freund, mein Geliebter, flüfterte fie, fchwöre, treu zu fein dem heiligen Bunde wider den franzöfifhen Tyrannen, ſchwöre unferm edlen Bundesgenofjen ewige Treue und Liebe. Der König ſchwankte nicht mehr, er bob fein Haupt entjchloffen empor und trat näher zu dem Sarge hin. Die Hand auf den Marmor⸗ ſarkophag legend, wiederholte er mit ernfter ruhiger Stimme die Worte, welche die Königin zuvor geſprochen und die fie jegt mit leife zitternden Lippen flüfterte. Dann reichten alle Drei fich Über dem Sarge die Hand; fo ftanden fie lange da, tiefbewegt, fchweigend. Auf einmal ward diefes Schweigen dur den lauten dröhnenden Schlag der Thurmuhr unterbrochen, welche die erſte Stunde des neuen Tages verfündete. Der Ton verhallte, und jetzt begann das Gloden- fpiel des Thurmes lieblich und hell das alte deutfche Lied: „Ueb’ immer Treu und Redlichkeit, bis an Dein kühles Grab!“ Der König neigte fein Haupt wie zu ftillem Gebet; über die edlen Züge des Kaiſers flog ein leifes, jeltfames Lächeln. Die Königin aber, ganz Gluth und Begeifterung, rief: Gott und der Geift des großen Briedrich geben uns den Wahlſpruch unfers Bundes: Ueb' immer Treu und Neplichkeit, bis an Dein fühles Grab. Gedenken wir befien, fo lange wir leben! Gedenken wir deſſen! wieverholten die beiden Fürſten mit feftem männlihem Händedruck. Dann fchauten fi) alle Drei noch einmal an und mit ihren Bliden fagten fie fi ein legtes Lebewohl. 542 Stumm wandten fie fih dann .ab und verließen die königliche Todtengruft. | Fünf Minuten fpäter befand fid der Kaifer Alerander von Ruß⸗ land auf dem Wege nad) Olmütz zu dem Kaifer Franz von Defterreich, welcher feine Reſidenz verlaffen hatte, aus Furcht vor Napoleon und feinem Heer. | | In Olmütz wollte man den Plan entwerfen zu dem Kriege ber britten Coalition gegen den Eroberer Napoleon. Siebentes Bund. Das Ende des deutfchen Reichs. ID J. Biobs - Betfchaften. E⸗ war in den letzten Novembertagen des Jahres 1805. Kaiſer Na⸗ poleon hatte nach dem Siege bei Ulm ſein Hauptquartier in Brünn aufgeſchlagen und ſchien den Angriff ſeiner Feinde erwarten zu wollen. Er hatte es jetzt nicht blos mehr mit Einem Feind zu thun, nicht mehr allein mit Oeſterreich, ſondern auch mit Rußland, deſſen Kaiſer ſich jetzt in Olmütz beim Kaiſer von Oeſterreich befand, um mit ihm den Plan zum Angriff und zur Beſiegung Napoleons zu entwerfen. Das ruſſiſche Heer hatte ſich bereits mit dem öſterreichiſchen vereinigt, und ſelbſt die ruſſiſchen Garden hatten Rußland verlaſſen müſſen, um den Kaiſer zur großen Völker- und Entſcheidungs⸗-Schlacht zu begleiten. Aber auch Napoleon hatte feine Garden mitgebradht, und in un- gebuldiger Begier glühten dieſe, mit den Defterreihern und den „ruffl= {hen Barbarenhorden” endli den entjcheidenden Kampf auszufechten. Napoleon indeß zögerte noch immer; feine Pläne fchienen noch immer nicht zur Reife gelangt, er ſchien noch immer unentfchloffen, ob er noch weiter vorfchreiten, oder ob er zufrieden fein wolle mit den ſchon erfochtenen Siegen. Bu dem leßteren riethen und drängten feine Generäle, weldye ver- meinten, der Sieg bei Ulm fei eine fo glänzende Trophäe, daß man auf derfelben ausruhen könne, ftatt auf’8 Neue fih mit vem Schwert zu umgürten. i Napoleon indeß wiegte bei dieſen Rathſchlägen ſeiner Generäle ſinnend ſein Haupt. Wenn es nur die Oeſterreicher allein wären, ſagte Müuhlbach, Napoleon. 1. Db. W — 546 er, dann könnten wir zufrieden fein, ‚aber vie Ruſſen find da, und ihnen müfjen wir erft den Paß in ihre Heimath ausfertigen. Ganz erheitert von biefer Idee, befahl der Kaifer fein Pferd vor⸗ zuführen. Wir wollen ung ein wenig die Gegend muftern, fagte er zu ſeinen ©enerälen, begleiten Sie mid, meine Herren! Und im Gefolge feines glänzenden, aus lauter berühmten und fieggefrönten Namen zufammengefegten Generalftabes ritt der Raifer hinaus auf die weite, von Bergen und Hügeln rings umlränzte Ebene zwifchen Brünn und Vichau. Weit hin nad) allen Seiten wandte fi fein fühner, forfchender Blid‘, feine Anhöhe, kein Baum, fein Abhang entging feiner Aufmerkfamfeit, Alles prüfte er, Alles fchien er aufzu- nehmen in feine Seele. Die Nacht dämmerte fhon herauf, als er mit feinen Generälen von dieſem langen Spazierritt heimkehrte in fein Hauptquartier. Er war den ganzen Tag ſchweigend und in ſich ge— kehrt gewefen, keiner feiner Generäle hatte an feinen Plänen und Bes obachtungen Antheil nehmen dürfen. Nur zumeilen hatte er fie mit einem kurzen Wort, einem Wink feiner Hand, auf irgend eine Eigen- thümlichkeit des Terrains aufmerffam gemacht, und die Generäle hatten diefe Worte und dieſe Winfe wie einen geheimnißvollen Orakelſpruch mit aufmerfender Ehrfurcht aufgenommen, um fi) in ihren Gedanken damit zu befchäftigen und fie ſich unauslöfchlich einzuprägen. est vor der Thür feines Quartier angelangt, wandte der Kaifer fein bleiches, ernftes Angefiht noch einmal nad der Gegend hin, welde fie eben verlaffen hatten. Meine Herren, fagte er mit lauter Stimme, ftudiren Sie jenes Terrain genau, Sie werben in einigen Tagen auf demfelben eine Rolle zu fpielen haben. General Suchet, auf der linken Seite Ihrer Divi- fion befindet ſich ein ifolirter Hügel, der die ganze Front derſelben bes herrſcht. Laſſen Sie dort nody in diefer Nacht vierzehn Kanonen aufs ftellen.*) — Er grüßte die Herren mit einem Neigen feines: Hauptes und zog fi zurüd in fein Cabinet. *) Napoleons eigene Worte. Siehe: Memoires du Duc de Rovigo. II. 169, 547 Lange ging er in bemfelben auf und ab, die Arme auf dem Rüden gefaltet, mit vüfteren Mienen, mit zufammengepreßten Lippen. | Ich bedarf noch einiger Tage Zeit, murmelte er leife vor fi hin. Wenn fie mich jegt rafch und entſchieden angreifen, muß ich unterliegen; wenn ich noch drei Tage Zeit gewinne, werde ich fie Schlagen. Wie er eben finnend vor feinem Schreibtifch ftand, blieb fein Auge auf den Papieren haften, die dort lagen. Ah, fagte er, haftig nach dem großen verftegelten Schreiben fafjend, ein Courier, der in meiner Abmefenheit Depeihen gebracht hat. Vom Marineminifter! Nachrichten von der Flotte! Er erbrach haftig das Siegel und flug das Papier auseinander. Während des Leſens verfinſterte fich fein Antlig mehr und mehr, eine Wolfe des Zorns flieg auf feiner breiten Stirn empor, und feine Wangen, weldhe vorher nur bleich gewefen, wurden jeßt erbfarben. Der Blick, den er jegt zum Himmel emporhob, erinnerte an die Titanen, die ihre Feuerbrände felbit gegen die thronende Gottheit zu richten wagten; die Worte, die feine bebenden Lippen murmelten, ent- hielten eine zornige Verwünſchung. Mit diefer Verwünſchung ‚ballte er das Papier in feiner Hand zu⸗ ſammen und trat darauf; dann, gleichſam beſchämt über ſeine eigene Heftigkeit, ſank er auf einen Stuhl nieder und legte ſeine beiden Hände langſam und mit einem tieſen Seufzer über ſein zuckendes, bleiches Angeſicht. — Zum erſten Male hatte der neue Titane jetzt erfahren, daß da droben noch eine Gottheit throne, welche mächtiger ſei, als er ſelber, zum erſten Male hatte eine unſichtbare Hand ihn aufgehalten in ſeinem Siegeslauf. Das Papier, welches er eben unter ſeinen Füßen zertreten hatte, verkündete ihm eine erſte große Niederlage, ein erſtes Scheitern ſeiner großen Pläne. Die franzöftfche Flotte war bei Trafalgar von England völlig ges ſchlagen und vernichtet worden.*) England, der einzige Feind, welcher Frankreich immer drohend und furchtlos gegenifter geftanden, das ver⸗ *) Der 21. October 1805. a, * 548 haßte England feierte einen ungeheuren Triumph. Es hatte die ganze Seemacht Frankreichs vernichtet, ed hatte einen glänzenden Sieg ge- wonnen, einen Sieg, der Frankreich demüthigte und mit Schmad be- laſtete. Freilich hatte England viefen Sieg theuer erfaufen müffen, denn fein größter Seeheld Nelfon war in diefer Schlacht von Trafalgar gefallen, aber er hatte fich mit feinem Tode die Unfterblichfeit errungen und fih unvergänglihen Ruhm erworben. Der franzöfiihe Admiral Billeneuve, der Beftegte von Trafalgar, hatte nicht einmal das gute Glück und den Verſtand gehabt, feine Schmad, mit dem Tode zu füh- nen, er war nur in englifche Gefangenfchaft gerathen, er diente dem Triumphator Englands nur als Siegestrophäe. *) / Das waren die unheilsvollen Nachrichten, welche Napoleon jo eben erhalten hatte, das war ber erfte Blig, welchen der Gott des Himmels anf den mächtigen Titanen hernieder fchleuderte. Aber ter Titane fühlte fi davon nicht zerfchmettert, der Blitz ‘ Hatte das Feuer in feiner eigenen Bruft nur zu höheren Flammen angefadt. Er erhob ſich von feinem Sefjel, und feine Augen flammten vor Zorn. Ich kann nicht überall fein, fagte er laut, daß ich aber hier bin, das follen meine Feinde bald erfahren, und ich werde die Schmadh von Trafalgar mit einem glänzenden Siege zu rächen willen. **) Hinter ihm öffnete ſich eben die Thür und ver Chef des kaiſer⸗ lihen Cabinets, Herr von Bourienne, trat ein. Sire, fagte er, die beiden Öfterreichifchen Abgefanbten, die Grafen von Giulay und von Stadion, find wieder da, und bitten Ew. Majeftät um eine Audienz. So fpät am Abend? rief der Kaifer finfter. Warum kommen fie nicht bei Tage? Sie behaupten, von den ſchlechten Wegen aufgehalten, aber im *) Admiral Billeneune erhielt von England feine Freiheit wieder. Napo- Yeon verbannte ihn nach Rennes, wo er fi amı 26. April 1806 den Tod gab, indem ex fi) mit einer Stednabel das Herz durchbohrte. *#) Napoleons eigene Worte. 549 Stande zu fein, Ew. Majeftät eine Nachricht von äußerfter Wichtigkeit zu bringen, welche ganz geeignet wäre, den von Oeſterreich ſo ſehr ge⸗ wünſchten Frieden zu vermitteln. Laß die Herren eintreten, ſagte der Kaiſer nach kurzem Beſinnen, und er ſetzte wieder den Fuß auf das zerknitterte Papier, als wolle er das Geheimniß ſeines Inhalts erſticken, damit es ſich den Oeſter⸗ reichern nicht verrathe. Bourienne war hinaus gegangen, und jegt erfchienen auf der Schwelle die beiden öfterreichifchen Abgefanbten, die Grafen Stadion und Giulay. Sie fommen zum zweiten Mal zu mir? rief ihnen der Kaiſer haftig entgegen. Dean hat alfo meine Bedingungen erfüllt? Ich fagte Ihnen, daß ich nicht einfeitig nur mit Defterreich unterhandeln wolle, fondern daß ich begehre, daß aud Rußland an den Unterhanplungen Theil nehme und mit eingefchloffen fei in den Friedenstractat, zu dem wir uns vielleiht einigen fünnten. Sie fommen alfo jest im Namen der Kaiſer von Defterreih und Rußland? Berzeihbung, Sire, jagte Graf Stadion ehrfurdtsvoll, wir fommen nur im Namen Oeſterreichs. Der Raifer, unfer hoher Herr, begann Graf Siufas - — aber Na⸗ poleon unterbrady ihn raſch. Ich werde Sie nur anhören, wenn Sie im Namen beider Kaiſer ſprechen Eünnen, fagte er. Das war es, was ich Ihnen fehon geftern fagte, und ich fehe nicht ein, wodurch ich heute zu einer anderen Mei- nung bewogen werben fjollte. Die Umftände haben fich nicht geändert. Berzeihung, Site, fie haben ſich geändert, fagte Graf Giulay feft. Der Kaifer jah ihn mit feinem durchbohrenden Aplerblid fo jcharf an, als wolle er in dem Innerſten feines Herzens lefen. Und worin haben fie ſich verändert? fragte er, indem fein Auge fi) langſam auf feinen Fuß niederjenkte, der das unheilsvolle Bapier verbarg.. Ew. Majeſtät geruhten geftern zu fagen, daß, wenn Oeſterreich fi) auch der thätigen Bundesgenoſſenſchaft Rußlands verrühme, es doch niemals auf eine Allianz Preußens zählen könne, und daß das neutrale 550 Preußen für Frankreich ebenfo viel Werth habe, als das active Ruß- land für Oeſterreich. | Weshalb wiederholen Sie meine Worte von geftern? fragte ber Kaifer ungeſtüm. Sire, weil Breußen heut nicht mehr neutral ift, jagte Graf Stadion feierlich. Weil Preußen im.Begriff ift, glei Rußland und England Defter- reichs thätiger Bundesgenoffe zu werden, fügte Graf Giulay hinzu. Napoleon ließ feine düfterflammenvden Blide von dem Antlig des Einen zu dem des Andern hinüber fehmeifen. Woher haben Sie diefe Nachricht? fragte er endlich. Sire, von St. Majeftät dem Kaifer Alerander von Rußland. Er bat mit dem König in Potsdam einen Vertrag abgejchloffen, nach welchem diefer fi zur Theilnahme an dem Feldzug und zur Beihülfe Defter- reich8 erklärt, wenn Ew. Mojeftät nicht geruhten die Bedingungen ein- zugehen, welche ber König von Preußen als Vermittler zwifchen der Coalition und Frankreich Ew. Majeſtät machen fol. Ah, des: König von Preußen will mir Bedingungen maden! rief Napoleon achſelzuckend. Kennen Sie diefe Bedingungen? Der König von Preußen wird Ew. Majeftät ven Vorſchlag machen, die Krone von Italien aufzugeben, bie italienifhen Fürften in ihrer Freiheit und Unabhängigkeit zu belaffen, ebenfo die Unabhängigfeit des Deutihen Reihe, Hollands und der Schweiz anzuerkennen, die — Es ift genug, rief Napoleon ungeduldig. Der Kaifer Alerander. hat fi) erlaubt, Ihnen ein Mährchen aufzubürden, und Ihre Yeicht- gläubigkeit wird ihn fehr ergögt haben. Wie können Sie im Ernſt glauben, daß der König von Preußen in feiner Berblendung fo weit geben könnte, zu hoffen, daß ich vergleichen lächerliche Vorſchläge an- nehmen könnte? Wahrlich, felbft wenn ich der Beftegte und Gedemü⸗ bigte wäre, fo würde ich mich lieber in mein eigenes Schwert flürzen, als folde Schmad annehmen. Es fcheint, ic habe meinen Namen noch nicht tief genug in die ehernen Tafeln ver Geſchichte eingegraben, und id) werde biefen übermäthigen Fürften, welche vermeinen, ihre Le⸗ gitimität fei das Meduſenſchild, das fie mir nur entgegen zu halten ' 551 brauchten, um mid) zu zerfchmettern, ich werde ihnen beweifen, wer id bin, und wem die Zukunft gehört, ihnen oder mir! Webrigens ift es unnöthig, jo viel Über Dinge zu reden, welche nicht exiſtiren. Sire, der Bertrag von Potsdam eriftirt, fagte Graf Stabion. Der Gefandte, welden der König von Preußen abgeſchickt, um Em. Majeftät dieſe Nadrichten zu überbringen, müßte ſchon bei Em. Ma- jeſtät fein, wenn er fo raſch gereift wäre, wie ber Raifer Alerander, der mit ihm zu gleicher Zeit Potsdam verlafſſen hat. Nun, er möge ankommen, dann werbe id) fehen, ob Sie mir fein Mähren erzählt haben, rief Napoleon. Wenn der König von Preußen bies gewagt hat, bei Gott, fo foll er mir’8 vergelten.*) Das ändert aber nichts an meinen Beichlüffen und Plänen. Ich werde mich nur dann in Unterhandlungen mit Defterreich einlaffen, wenn auch Rußland biefen Unterhandlungen Beitritt. Sagen Sie das Denen, welde Sie gefandt haben, und damit leben Sie wohl! | Er nidte leiht mit dem Kopf, und den beiden Herren den Rüden zuwendend, trat er an's Fenfter. Erſt als er an dem leifen Knarren ber Thür hörte, daß fie fi) zurüdgezogen, wandte ver Kaiſer fih um und begann wieder, bie Hände auf dem Rüden gefaltet, langfam auf und ab zu gehen. Dann blieb er vor dem großen Tiſch in der Mitte des Zimmers fiehen und rollte eine der auf vemfelben befindlichen Lanblarten aus- einander: E8 war eine Karte von Süddeutſchland, und nachbem der Raifer fie auf dem Tifh ausgebreitet hatte, begann er viefelbe mit Nadeln zu bezeichnen, deren verfchievenfarbige Köpfe die verfchienenen Armeen der Ruſſen, Oefterreiher und Franzoſen bezeichneten. | Die ganze Nacht war der Kaiſer unabläffig mit biefer Arbeit, mit dem Studium ber Karte, mit feinen Meflungen und Berechnungen be- Schäftigt; die hohen Wachskerzen auf den filbernen Leuchtern brannten nieder, er bemerkte e8 nicht, das Feuer im Kamin war erlofchen, er ‚empfand es nicht; von Zeit zu Zeit warb die Thür feines Cabinets *) Napoleons eigene Worte. Siehe: Hormayr's Lebensbilder aus dem Befreiung®triege, I. und Häuſſer's Deutſche Geſchichte, IT. 680. 552 leife geöffnet, und das bleiche, überwachte Antlig feines Kammerdieners Conftant erfhien in demfelben, ver Kaifer achtete nicht darauf. Seine Seele war nur mit dem Einen Gedanken, dem Einen Ziel bejhäftigt: ruhmvoll weiter zu gehen auf ver Bahn feiner Siege, Deutfchland zu bemüthigen, wie er Italien gevemüthigt hatte, und in einem großen, glänzenden Siege die Niederlage von Trafalgar vergefjen zu machen. Der Morgen dämmerte fhon empor, als Napoleon fid) endlich von feinen Karten erhob und wieder ſein langſames Auf⸗ und Abwan⸗ deln begann. Zeit, Zeit! ſagte er. Ich brauche nur drei Tage, damit ich das Armeecorps, das ſchon von Böhmen her unterwegs iſt, heranziehen kann. Zeit! Und doch muß ich einen großen, einen glänzenden Sieg erfechten, noch bevor ſich Preußen zu offener Feindſchaft gegen mich mit Oeſterreich und Rußland vereinigt. Gelingt mir dies nicht, ſo wird ſich das Heer meiner Feinde um hundert und funfzigtauſend Mann vermehren. — Daraus folgt, ſagte er nach einer Pauſe ganz heiter und muthvoll, daraus folgt, daß es mir gelingen muß. Er trat wieder zu der Karte hin und deutete raſch mit dem dinger auf biefelbe. Hier drüben bei Olmit ſtehen die Oeſterreicher, ſagte er raſch. Hier die ruſſiſchen Garden, dort die vereinigten Corps von Kutoſow und Burbhövden, weiterhin die Avantgarde unter dem Fürſten Bas gration. Wenn fie jegt raſch und entfchloffen vorwärts gehen, gerade auf meine Fronte los, jo ift die Uebermacht zu groß; wenn fie zaubern oder ich fie zum Zaubern bewegen kann, damit mein böhmifches Armee⸗ corps angelangt fei, fo werbe ic) fie beſiegen. Verſuchen wir's alfo. Stellen wir uns unthätig und ſchüchtern, damit fie nicht thätig werben. Eines Feldherrn befter Verbündeter ift die Liſt! Verſuchen wir es damit! Er trat raſch zu feinem Schreibtiſch, und ein goldgerändertes Papier vor ſich hinlegend, begann er eiligft zu fchreiben. Eine Biertelftunde fpäter berief eine Ordonnanz den General Savary in das Cabinet des Kaifers. Napoleon empfing den General mit einem freundlihen Lächeln, aber er ſchwieg und blicte faft unfchlüffig auf ven Brief hin, den er 553 in der Hand hielt. Plötzlich indeß fchien er fi zu einem feiten Ent- ſchluß aufzuraffen, und Savary das Schreiben darreihend, fagte er: Sehen Sie damit nah Olmütz; geben Sie dies Schreiben an ben Kaiſer von Rußland und fagen Sie ihm, daß, da ich erfahren, daß er bei jeiner Armee angelangt fei, ich Sie abgefhidt habe, um ihn in meinem Namen zu begrüßen: Wenn er mit ihnen fpridt, und Sie fragt, fo wiflen Sie, was man unter foldhen Umftänden antworten muß. Gehen Sie! *) Nun, und jekt, fagte der Kaiſer, als Savary ihn verlaffen hatte, jest wollen wir ein wenig fchlafen. Conftant! Die Thür öffnete fi fofort und der Kammerdiener trat ein. Ab, ich fürdte, Du haſt eine ſchlechte Nacht gehabt, ſagte der Kaiſer gütig. Sire, Ew. Majeſtät haben wieder die ganze Nacht durchwacht, und — Und folglich, unterbrach ihn Napoleon, folglich haſt Du auch ge⸗ wacht. Nun, tröſte Dich nur, wir werden bald ruhigere Nächte haben, tröſte Dich und verklage mich nicht etwa bei der Kaiſerin Joſephine, wenn wir heim kommen. Die gute Joſephine haßt nichts ſo ſehr als die durchwachten Nächte. Sire, die Kaiſerin hat wohl Recht, fie zu haſſen, ſagte Conſtant ehrfurchtsvoll. Ew. Majeſtät, welche ſich den ganzen Tag nicht ſchonen, bedürfen wenigſtens Nachts der Ruhe! Ew. Majeſtät ſchlafen zu wenig. Dadurch habe ich wenigſtens den Vortheil vor den Langſchläfern, daß ich mein Leben nicht blos nach Tagen, ſondern auch nach Nächten zählen kann, rief Napoleon heiter. Ich werde achtzig Jahre gelebt haben im Zeitraum von vierzig Jahren. Aber ſei nur ruhig, Conſtant, ich will Dir jetzt den Willen thun, ich will ſchlafen! Conſtant eilte, die nach dem Schlafzimmer führende Thür zu öffnen. Nicht doc, rief der Kaiſer, wenn ich ſchlafen will, fo ift da- mit nicht gejagt, daß ich zu Bett gehen will. Die Betten find eigent- lih nur für die alten Weiber und die gichtbrüdhigen Greiſe. Als ich noch Unterlieutenant war, habe ich einmal den Verſuch gemadt, ein *) Napoleons eigene Worte. Siebe: Memoires du Duc de Rovigo. II. 171. 554 halbes Jahr lang gar nicht zu Bett zu geben, fondern auf der Erbe oder auf einem Stuhl zu ſchlafen, und ich befand mid) ganz gut dabei. Sieb mir mein Kopftuch und meinen Rod, Conftant. | Conftant eilte feufzend in das Schlafzimmer, um bie befohlenen Dinge zu holen, und während er dann dem Kaifer das feidene Kopf- tuch umlegte, und ihm behüfflih war, bie Uniform mit dem grauen, leicht wattirten und bequemen Tuchrock zu vertauſchen, pfiff und fummte ber Kaiſer leife ein Lied vor fih Hin. Dann ftredte er ſich behaglic in feinem Lehnſtuhl aus, und Con⸗ ftant freundlich zunidend, fagte er: fobald der General Savary zurüd- fehrt, ſoll er zu mir eintreten. Conſtant ſchlich Leife auf ven Zehen hinaus in das Vorzimmer. Dort begegnete er einigen feiner Belannten. Eine Neuigkeit, meine Herren, fagte er. Wir werben in zwei big drei Tagen eine Schlacht liefern. Hat der Kaifer es Ihnen gejagt? | Nein, es ift nicht feine Gewohnheit, dergleihen zu jagen. Aber während der Nacdhttoilette hat er die Arie Marlborough’8 gepfiffen, und das thıtt er nur, wenn es zur Schlacht gehen foll.*) . II. Bor der Schlacht. Fünf Stunden fpäter trat General Savary wieder in das Cabinet bes Kaifers, er lag noch auf feinem Lehnftuhl und fchlief, aber wie der General leije ihn anredete, fchlug Napoleon die Augen auf und fragte lebhaft: Nun, haben Sie den Czar gefehen? Ja, Site, ich habe ihn gefehen und auch gefproden. *) Memoires de Constant. IV. 109. 555 Ab, rief Napoleon lebhaft, erzählen Sie reht umftänplih und genau! Wie fah er aus, als er meinen Brief las? Sire, als ih ihm Ihren Brief gegeben, ging der Kaiſer mit dem⸗ felben in ein anftoßendes Zimmer, aus. weldem er erft eine halbe Stunde |päter mit. dem Antwortichreiben in der Hand zurüdfehrte. - Geben Sie mir das Schreiben, Savary! Sire, hier ift es! Napoleon nahm e8 haftig; wie er aber feine Augen auf die Adreſſe heftete, verfinfterte fich feine Stirn. Ab, diefer Herr Kaifer von Gottes. Gnaden glaubt, mir den Titel verfagen zu können, den mir das franzöfiiche Volk verliehen hat, fagte er baftig. Er Schreibt nit an den Kaiſer von Frankreich, ſondern „an ben Chef des franzöfifchen Gouvernements."*) Haben Sie das gelefen, Savary? Der Raifer Alerander madıte mid ſelber darauf aufmerkſam, Sire. Ich habe mir genau ſeine Worte gemerkt. Sie lauteten alſo: Die Adreſſe trägt nicht den Titel, welchen Ihr Chef ſeitdem angenommen bat. Ich lege Feine Wichtigkeit :auf ſolche Kleinigkeiten; aber es ift eine Regel der Etiquette, und ich werbe fie mit vielem Vergnügen ändern, fobald er mir die Gelegenheit dazu gegeben bat. **) Und was antworteten Sie? ,.. Sire, ich erwiederte: Ew. Majeftät hat Recht. Dies kann nur eine Regel der Etiquette fein, und der Kaiſer wird es aud nicht anders beurtbheilen. Als General en chef der italieniſchen Armee hat er ſchon mehr als Einem König Befehle ertheilt und Geſetze vorgejchrieben; mit der Huldigung der Franzofen zufrieden und glüdlic, findet er nur für fie eine Genugthuung darin, anerkannt zu werben. ***) Sie haben gut und zwedmäßig geantwortet, fagte Napoleon mit einem leichten Neigen des Hauptes, indem er ben Brief des Kaiſers öffnete und ihn raſch mit ven Augen überflog. Redensarten, Phrajen, *) Siftorifh. Siehe: Memoires du Duc de Rovigo. II. 187. **) Kaiſer Aleranders eigene Worte. Siehe: Memoires du Duc de Ro- vigo. I. 187. **#) Memoires du Duc de Rovigo. IL 187. \ 556 rief er dann, den Brief verächtlich auf ven Tiſch ſchleudernd. Talleyrand hat wohl Recht, zu fagen, die. Sprache fei dazu da, damit man durch fie feine Gedanken verberge. Diefe Leute benugen fie dazu. Sire, in feinem Geſpräch verbarg. der Kaifer feine Gedanken gar nit, erwieberte der General. Ich babe lange und ausführlidh mit dem Kaifer gefprohen und ich darf fagen, daß er feine Gedanken fehr freimüthig ausgefprodhen hat. Der Kaifer Alerander fagte: „Bon einem Frieden könne nur dann die Rede fein, wenn Ew. Majeftät vernünftige Bedingungen machten, die Niemand verwundeten, und bie nicht darauf berechnet wären, bie: Macht und das Anfehen der. übrigen Fürſten zu ſchwächen und die Frankreichs zu erhöhen. Frankreich fei an fi fhon groß und ftark, e8 bebürfe feiner Vergrößerung und bie übrigen Mächte könnten eine ſolche nicht dulden.“ Ah, ich werbe fie lehren, fie dennod zu dulden, rief Napoleon, ich werde ihnen Allen beweifen, daß Frankreich an der Spite aller Monarchieen fteht, und ich werbe fie zwingen, ben Kaiſer von Frank⸗ reich mit gebeugtem Haupte anzuerkennen! Er ging haſtig auf und ab, mit zornglühenden Augen, mit hoch⸗ athmender Bruſt. Allmälig warb fein Schritt ruhiger und die Falten auf feiner Stirn glätteten ſich. | Ich brauche noch zwei Tage, murmelte er leife vor ſich bin, zwei Tage, und ih muß fie haben! Savary, fagte er dann laut, fih an den ©eneral wendend, haben Sie fonft fein Beobadhtungen gemadt? Haben Sie nicht bemerkt, :wie die Stimmung im ruffifhen Lager war? Sire, die ganze ruſſiſche Jugend vom hödften Abel war da in der Umgebung bes Kaifers, und mit Bielen habe ich mich unterhalten, Bieles habe ich gehört und beobachtet. Nun, und wie denkt man über. uns?‘ Savary lächelte. Sire, fagte er, dieſe jungen Leute athmeten nichts als Kampf und Sieg, und fie fehienen zu glauben, daß Em. Majeftät den Krieg zu vermeiden wünſchten, feit die Ruſſen fi mit ben Defterreichern vereinigt hätten. Ah, das fchienen fie zu glauben? rief Napoleon freudig. Run, | wir wollen fie in dieſem Glauben beftärfen. General, nehmen Gie 557 einen Trompeter und fehren Sie in’s xuffiihe Lager zum faifer Alerander zurüd. Sagen Sie ihm, daß ih ihm auf morgen eine Zu- ſammenkunft vorfchlagen lafle, zwiſchen beiden Heeren, auf offenem Felde, Zeit und Stunde nad feinem Belieben, und daß, wohlverftänd- lid), während biefer Zeit ein Waffenſtillſand von 24 Stunden eintreten müſſe. Gehen Sie! Ich glaube, ſagte der Kaiſer, alse er wieder allein war, ich glaube, ich habe auch meinen zweiten Tag gewonnen, nun fehlt mir nur noch der dritte, um endlich alle meine Feinde beſiegen zu können! Dieſe übermüthigen Herren Ruſſen glauben alfo, daß ich eine Schlacht ver- meiden und ruhig bier ftehen bleiben will? Ich will fie in dieſem Glauben beftärten, es follen Schanzen angelegt und Arbeiter an ben Batteriebettungen aufgeftellt werden! Alles muß ben Anfchein ber Aengftlichkeit und Berzagtheit haben! Und Napoleon berief. feine Generäle um fi und ertheilte ihnen laut dieſe neuen Befehle, leife beorderte er fie, die retrograde Bewe— gung beginnen zu loffen und die Truppen auf dem großen, geftern recognogcirten Terrain die Stellungen einnehmen zu laffen, welde er ihnen beftimmte. Und die Nacht verging und bie Gätfte des zweiten Tages, bevor General Savary von feiner Sendung heimkehrte. Napoleon hatte während viefer Zeit fein Quartier verändert. Er hatte ſich in's Lager zu feiner Armee begeben, und ein Bund Stroh diente ihm jett zur Lagerſtätte. — Er hatte Savary mit Ungeduld erwartet, und ging ihm haftigen Schrittes entgegen. - Weshalb fo ſpät? fragte er. Sire, es war faft unmöglich, zum Raifer zu gelangen. Er hatte Olmütz verlaffen und fih, glei Ew. Majeftät, in das Lager zur Armee begeben. Die ganze Naht hindurch geleitete man mic von Bivouac zu Bivouac, um den Fürften Bagration zu fuchen, ber allein mid zum Kaiſer führen konnte. Und Sie haben den Kaiſer gefprodhen? fragte Napoleon ungebulbig. Ja, Sire, nach vielen Hinderniffen und Schwierigkeiten ift es ‚mir gelungen, bis zum Kaiſer zu gelangen. Ich trug ihm den Bor- 558 fhlag Em. Majeftät vor. Der Kaifer meinte, e8 würde ihm aufer- ordentliche Freude gewähren, Ew. Majeſtät zu fehen und kennen zu lernen, aber die Zeit fei jeßt zu kurz dazu. Auch müſſe er vor einer folden Unterredung erft ſich mit dem Kaiſer von Defterreich beſprechen, und außerdem erſt die Gefinnungen Ew. Meajeftät näher fennen, um danach beurtheilen zu können, ob eine Unterredung förderlich fei. Des⸗ halb wolle ee mid von einem feiner Vertrauten begleiten laffen un ihm eine Miffton an Em. Majeftät geben. Die Antwort, die er von Ew. Majeſtät brächte, folle dann: entfcheiden. Ab, und der dritte Tag wird auf dieſe Weile hingehen! rief Nas poleon freudig. Haben Sie den Abgeorbneten des Kaiſers mitgebracht ? Ya, Sirel Es ift der Fürft Dolgorudi, der erfte Adjutant des Kaiſers. | | Wo ift er? Sire, ich ließ ihn bei der Haupwache, dort erwartet er die Be⸗ fehle Ew. Majeſtät. Napoleon ſprang haſtig von dem Strohbündel empor, auf welchem er mit ineinander geſchlagenen Armen geſeſſen hatte. Mein Pferd! rief er laut, und wie Rouſtan ſeinen Schimmel herbeiführte, ſchwang er ſich in den Sattel und ſprengte ſo raſch vor⸗ wärts, daß fein Gefolge ihn kaum einzuholen vermochte. Nahe bei der Hauptwache angelangt, hielt er ſein Pferd an und ſtieg ab, und während er Savary abſandte, den Fürften Dolgorpdi zu ihm zu führen, murmelte er leife: Jetzt nur noch einen Tag! Mit der Ruhe und Gelaffenheit eines fieggewohnten Feldherrn, eines ftolzen Imperators, empfing er ben Fürften. Ein Wink feiner Hand hieß fein Gefolge zurüdtreten, und als fie fid) weit genug ent» fernt hatten, begann er feine Unterredung mit dem Fürften Dolgorudi, auf der großen Landftrage mit ihm auf und ab wandelnd. Auf einmal näherte ſich der Kaifer raſch den Herren feines Ge- folges, und fie hörten, wie er mit lauter, zürnender Stimme jagte: - Wenn Sie mir weiter nichts zu fagen haben, fo eilen Sie, Ihrem Raifer den Beſcheid zu bringen, daß ich gar nicht an vergleichen Bes Dingungen gedacht hätte, als ic eine Unterredung mit ihm wünſchte, 559 ih würde ihm nur meine Armee gezeigt, und was die Bedingungen anbetrifft, mid auf feine Redlichkeit verlaffen haben. Er will es, nun wohl, fo fchlagen wir uns! Ich waſche meine Hände in Unfchulo!*) Er wandte dem Fürften Dolgorudi mit einem leifen Winken feiner Hand den Rüden, und den flammenden Aplerblid auf feine Generäle geheftet, fagte er achfelzudenp: Die ruſſiſche Friedensbedingung ift, daß Franfreich Belgien wieber berausgebe, und vor allen Dingen die Krone von Italien an den König von Sardinien abtrete. Oh, jene Leute müſſen verrüdt fein! Sie wollen, daß ich Italien räume, und fie werben bald erfahren, daß fie mich nicht einmal aus Wien fortbringen können. Was fir Projecte hatten fie denn, und was würden fie aus Frankreich machen, wenn fie mich gefchlagen hätten? Nun, meiner Treu, ed mag kommen, wie's Gott gefällt, aber noch ehe achtundvierzig Stunden vergehen, will id fie für ihren Uebermuth gut bezahlen! **) Und ftatt fein Pferd wieder zu befteigen, ging er zu Fuß weiter auf der Landſtraße dahin, leife vor ſich hinmarmelnd und mit feiner Reitpeitfche die Meinen Grashalme abfchlagend, die auf dem Wege ftanden. est war er bis zu dem erften Infanteriepoften feiner Armee gelangt. Ein alter Soldat ftand als Schildwache da, forglo8 und une befümmert ftopfte er ſich feine Pfeife, während er das Gewehr zwifchen feine Füße genommen hatte. Das büftere Auge des Kaiferd wandte fi) zu ihm bin, und hin⸗ über beutend nad) der Gegend, wo bie Feinde ftanden, fagte er grol- lend: Die übermüthigen Kerls da glauben, uns nur fo ohne Weiteres verfchlingen zu Fünnen! ‘ Der alte Soldat fah ven Kaifer mit feinen Mugen Augen lächelnd an und ftopfte mit dem Tleinen Finger feiner Rechten ruhig an ſeiner Pfeife weiter. Oh, oh, ſagte er, das geht nicht ſo raſch, das Verſchlingen! Wir legen uns in die Quere, Majeſtät! — *) Napoleons eigene Worte. Siehe: Mémoires du Due de Rovigo. II.196. *x) Ebendaſelbſt S. 198. 560 Der Kaifer lachte laut auf und fein Antlig erbeiterte ih. Ja, : fagte er, Du haft Recht, wir wollen uns in die Quere legen, damit x fie an uns erftiden! | Er nidte dem Soldaten zu, und ſich auf fein Pferb fchwingend, fehrte er in’8 Hauptquartier zurüd. Der Abend dunkelte bereits, und zu dem monbhellen Himmel emporblidend, murmelte der Kaifer: Num. nur noch Einen Tag! Dann ſchlage ich fie! — | Und das Schickſal gab ihm diefen Einen Tag. Wohl näherte fi _ ihm die vereinte öſterreichiſch⸗ ruſſiſche Armee, aber fie griff noch nicht an. Sie ftellte fih nur wie zur Gerausforderung in langer Linie gerade dem franzöſiſchen Lager gegenüber auf, fo'nahe, daß man beut- lich ihre Bewegungen fehen, ihre Regimenter unterfcheiden konnte. Napoleon war den ganzen Tag zu Pferde, er befichtigte feine ganze Armee, Regiment nad Regiment. Sein Antlit ftrahlte vor Entzüden, feine Augen bligten vor Begeifterung, und ein wunderbares Lächeln umfpielte feine Lippen. Das erwartete Agmeecorps aus Böhmen war angelangt, die brei Tage des Zögerns hatten ihre Früchte getragen, er fühlte ſich jegt ſtark genug, die Feinde zu beftegen. Mit beiterem Ton fprad er bier und dort zu den Soldaten, und fie antworteten ihm mit begeifterten Zurufen. — Mit prüfendem Auge befichtigte er die Kanonenparks und die leichten Batterien, und gab dann den Offizieren und Kanonieren ihre Inftructionen. Erſt nachdem er Alles felbft in Augenfchein genommen, die Ambulancen und die Transportmittel für die Verwundeten befichtigt hatte, kehrte er in fein Bivouac zurüd, um fein einfaches Mahl einzunehmen. Dann verſam⸗ melte er alle Marfchälle und Generäle um fih, und ſprach mit ihnen von Allem, was fie am nädften Tage zu thun hätten, und was mög- liher Weife. der Feind thun könne. Jedem ertheilte er feine In⸗ fiructionen, wies er feine Stellung an, und fon am Abend dieſes Tages erließ er an ſein Heer einen Aufruf zur Tapferkeit und Freu⸗ digkeit für den morgenden Tag. | „Soldaten,“ ſprach er zu ihnen in diefem Aufruf, „bie ruſſiſche Armee ſteht vor Euh, um die Öfterreihifche wegen Ulm zu räden. 561 Unfere Bofitionen find furdtbar, und während fie marfchiren werben, um meine Rechte zu umgehen, werben fie mir die Flanke bloßgeben. - Soldaten! Ich werde alle Eure Bataillone felbft Teiten, ich werde weit vom Teuer bleiben, wenn Ihr mit Eurer gewohnten Tapferkeit bie feindlichen Glieder in Unordnung bringt. Sollte aber der Sieg nur einen Augenblid zweifelhaft fein, fo würdet Ihr Euren Kaiſer fich den erften Streichen ausfegen fehen. Der Sieg Tann unmöglid wanken in einem Treffen, wo es auf die Ehre der franzöſiſchen Infanterie an- fommt. Jeder ſei Durchbrungen von dem großen Gedanken, daß bie Söldlinge Englands, die ung fo tief hafien, überwunden werben müſſen! Diefer Sieg wird unferm Feldzug ein Ende machen, wir werben in vie Winterquartiere ziehen, und der Friede, den ich fchließen werbe, wird meines Volkes, Eurer und Meiner würdig fein.“ | Die Soldaten empfingen diefen Aufruf mit lautem Jubel, und als beim Einbrud der Naht Napoleon noch einmal dur das Lager ritt, grüßten fie ihn mit begeifterten Zurufen. Der Raifer ift da, wir wollen den Raifer ſehen, riefen ſie jauchzend, und die Strohbündel, welche ihnen zur Lagerſtätte dienen ſollten, als Fackel benutzend, zündeten ſie dieſelben an, und ſchwenkten ſie in die Luft mit dem Ruf: Es lebe der Kaiſer! Es lebe Napoleon der Große! | Mit Bligesfchnelle breitete fi der Auf und das Fenerzeichen durch die ganze Armee aus; taufende und taufende von GStrohfadeln flammten empor; wie ein großes, ſprühendes Feuermeer leuchtete auf einmal das ganze Lager auf, und die Jubelrufe, von mehr als hun⸗ derttaufend Kehlen ausgeftoßen, tönten hinüber zu ben flaunenden Defterreihern und Ruſſen. | | Der Raifer, fein Angefiht ftrahlend vor Heiterfeit und Glüd, fehrte zu der Barade zurüd, welde ihm die Soldaten hergerichtet, und in welder ein Bündel Stroh ihm als Lager dienen follte. Mit einem Gefühl unendlihen Behagens warf er fi auf das Stroh nieder, und feine Kammerbiener Rouftan und Conftant, die ihn beſchworen, fid von ihnen mit wärmeren Kleidern umhüllen zu laflen, Jächelnd zurückweiſend, fagte er: Macht mir ein gutes Feuer an, unp Mühlbach, Napoleon. 1. Bd. 36 562 laßt mic fchlafen, wie es einem Soldaten geziemt, der morgen einen beißen Tag vor ſich hat. Er drückte fein Haupt in das Stroh und fchlief ein, und er fchlief noch, als die Marfchälle und Generäle beim Anbrud des Tages, wie der Kaiſer e8 befohlen, zu feiner Barade famen. In ehrfurchtsvollem Schweigen umftanden fie die offene Barade und jhauten bin auf den Feldherrn, der heute eine große Schlacht liefern follte, und der da auf dem Stroh lag mit ruhig heiterm An⸗ geficht, mit dem fanften Schlaf eines Kindes. Aber man durfte ihn nicht länger fchlafen laffen, denn ver Raifer, welcher alle Bewegungen dieſes Tages auf Stunde und Minute ange- ordnet hatte, würde ſchwer gezlirnt haben bei irgend einer Verzögerung. General Savary näherte ſich daher dem fchlafenden Kaiſer, fid bicht über ihn neigend, und dann hörte man weit durch die Morgen⸗ ftille feine laute, ernfte Stimme fagen: Sire, die feftgefegte Stunde ift gelommen. | Napoleon öffnete die Augen und fprang empor. Der Schlaf war ſchnell und auf einmal wie ein leichter Schleier von ihm abgefallen, bie Augen öffnend, war er fchon wieder der Kaifer und der Feldherr. Einen langen prüfenden Blid warf er zu dem grauen, feuchten und , winterfalten Horizont empor, und der vide Nebel, der alle Gegenftänve auf zehn Schritte ſchon in Dichte Schatten einhüllte, machte feine Augen höher aufbligen vor Freude. Diefer Nebel ift uns ein guter Bundesgenoffe, denn er wirb ben Feinden unfere Bewegungen verhüllen, fagte er als Morgengruß zu feinen Marſchällen. Ertheilen Sie Ihre Befehle, meine Herren, vie ganze Armee foll in aller Stille die Waffen nehmen. Dann beftieg der Kaifer fein Pferd und ritt durch das Lager hin, und fah zu, wie die Infanterie und Cavallerie ſich in Colonnen formirte. Es war jest fieben Uhr Morgens. Der Nebel begann empor zu fteigen, die erften falben Streifen der wärmelofen Decemberfonne purchleuchteten ihn und begannen allgemad) die ferneren Gegenftänve zu erhellen. | Der Kaiſer hielt auf einer Heinen Anhöhe, von welcher er bie 563 Gegend rings umfchauen konnte; alle feine Marſchälle umgaben ihn und barrten mit ungebuldiger Spannung des Befehls zum Angriff. Noch herrſchte eine tiefe Stille überall, auf einmal ward diefelbe durch fernes Kanonen⸗ und Belotonfeuer unterbrohen. Wie ein leuch⸗ tender Blitz fuhr es durch das Antlig des Kaifers hin, und das Haupt ſtolz emporrichtend, zog er die Zügel feines Pferdes ftraffer an. Auf Ihre Poften, meine Herren, fagte er mit gebieterifher Stimme, die Schlacht beginnt! *) III. Gott erhalte Franz den Kaiſer. Seit drei Tagen war Wien in Unruhe und Bewegung. Niemand mochte daheim bleiben, einſam in feinem Haufe. Jeder eilte hinaus auf die Straße, als Hoffe er von den großen Neuigkeiten, die man ſtündlich erwartete, früher eingeholt zu werben, als werbe die frifche Luft, weldhe vor drei Tagen den Donner der Kanonen herübergetragen, heute auch die Siegesbotfchaft von den Kaifern Franz und Ulerander daherwehen. | Aber diefe Siegesbotſchaft fam immer noch nicht, der Donner ber Kanonen hatte eine rafchere Zunge, als der Courier, der die Sieges⸗ nachricht bringen ſollte. Er fam nod immer nicht, und doch harrten die guten Wiener auf ihn mit Ungeduld, und zugleich mit ftolzer freu- biger Zuverfiht. Niemand freilicd) wußte mit Beftimmtheit zu jagen, - wo bie Schlacht eigentlich ftattgefunden, aber man konnte doch ungefähr die Gegend berechnen, denn man wußte ja, daß die Verbündeten bei Olmütz geftanden hatten, dann weiter vorgerüdt waren nad) der Gegend / *) Die Schlacht von Aufterlig, oder die Drei-Raiferfhlacht, fand am 2. Der cember 1805 ftatt, und war einer ber glängenbften Siege Napoleons. nr ‘ 564 von Brüun und Aufterlig, wo das franzöſiſche Heer feine Stellung genommen. Man berechnete num, wie viel Zeit der Courier bedürfe um vom Schlachtfeld aus nah Wien zu fommen, man bradte die möglihen Hinberniffe und Störungen in Anſchlag, die jein raſcheres Weiterkommen hatten aufhalten können. Aber Niemand fand fein langes Ausbleiben beängftigend, Niemand zweifelte an dem Siege. Die beiden Heere der Berbündeten waren ja dem franzöfifchen Heer weit überlegen, und Napoleon hatte dies Mal felber an feinen Sieg geglaubt, er hatte fi) mlit feiner Armee zurüdgezogen, weil er den Kampf mit der Uebermacht vermeiden wollte; er war in feiner Verzagtheit ſogar foweit gegangen, an ben Kaifer von Rußland zu fhreiben, und ihn um Frieden zu bitten. | Wie konnte man alfo annehmen, daß Napoleon in diefer Schladht, deren Donner vor drei Tagen bie Wiener. mit Entzüden erfüllt hatte, der Sieger gewefen! Nein, dem Eroberer war endlich vom Schickſal ein Halt zugerufen, und auf dem öfterreichifchen Boden jollten feine Adler zu Boden finten, feine Lorbeern verwelken. Niemand zweifelte daran, muthige Siegesfreudigkeit belebte alle Gemüther, ſtrahlte von allen Geſichtern. Mit welcher Sehnſucht man der Ankunft des Couriers entgegen harrte, wie man ſich freute, endlich . einen Triumph feiern zu dürfen über dieſe hochmüthigen Franzoſen, welche in legter Zeit die armen Wiener fo vielfach gedemüthigt und geärgert hatten. — Noch freilih hatte die franzöfiihe Geſandtſchaft Wien nicht ver⸗ laffen. Das war aber nur ein Zeihen, daß auch fie noch feinen Courier vom Schlachtfeld erhalten, denn fonft würde fie Wien in aller Eile ſchon geflchen haben. | | Aber man wollte diefe übermüthigen Herren Franzofen nicht fo rubig und ftil abziehen laffen, man wollte fie wenigftens begleiten mit lautem Hohngelächter, mit Spott und Verwünſchungen. Tauſende umlagerten daher das Hötel der franzöftiihen Gefandt- Schaft, in welchem Talleyrand, der Minifter des Kaiſers Napoleon, feit einigen Tagen. verweilte, und nicht mehr wie fonft verfchludte man — 565 feinen Ingrimm und feinen Haß, fondern man ſprach ihn laut aus, man drohte nicht nur mit feinen Bliden, fondern aud mit feinen Fäuften zu den Fenftern des franzöfifchen Miniſters hinauf. Und während Taufende das Gefandtichaftshötel umlagerten, zogen andere Taufende hinaus auf die Landſtraße von Möhringen und ftarrten athemlos den Weg Hinunter, hoffend auf den erfehnten Boten, der envlich ihnen ven Sieg verfünden werde. Auf einmal begann es da hinten auf der Landftraße fich zu regen, _ zuweilen leuchtete es auf, wie bligende Sterne, dann fah man ein buntes Gemiſch von Farben, e8 kam näher und näher! 9a, kein Zweifel mehr, e8 waren Soldaten, e8 waren heranziehende Regimenter, vielleicht fchon die heimkehrenden Helven, welche das franzöſiſche Heer geſchlagen hatten. Wie das fiegesftolze fanguiniſche Volk von. Wien es jetzt in feinem Herzen beflagte, daß Feine franzöſiſchen Regimenter mehr in Wien la⸗ gerten, daß fie alle ſchon vor acht Tagen Wien verlaffen hatten, und zur Armee abgegangen waren! — Jetzt hätte man eine Gelegenheit gehabt, fih zu rächen für die Gaſtfreundſchaft, die man feit einigen Wochen ven Franzoſen hatte zu Theil werben lafien! Jetzt hätte man fie mit Schimpf und Schande über diefe Straßen dahin jagen wollen, welche fie feit Wochen mit ſtolzem Siegerſchritt durchmeſſen hatten! Die Soltaten famen näher und näher, das Volk wogte ihren ent- gegen, wie eine einzige, ungeheure Riefenfchlange, mit taufend und taufend beweglichen Gliedern, mit taufend und taufend bligenden Augen. | Aber auf einmal wurden diefe Augen ftarr, entjeßensvoll; auf einmal verftummte dies freudige Summen, das fonft wie ein Schwarm in der Sonne fpielender Müden die Luft erfüllt hatte. Das waren nicht dfterreihifche Uniformen, nicht ruffiihe! Das waren die verhaßten Farben Frankreichs! Es waren franzöfifche Re⸗ gimenter, weldye da einher famen. | Und jest auch flogen Couriere herbei, die erfehnten Couriere! Aber e8 waren feine öfterreichifchen Couriere, die tricolore Schätpe flatterte um ihre Hüften, fie grüßten das Volt nicht mit deutſchen Lauten 566 und deutfhen Brudergruß! Sie fprengten vorüber und riefen laut: Vietoire! Vietoire! Vive l’Empereur Napoleon! Das Bolt ftand ſchweigend, bleich vor Entfeßen; es ftarrte den Regimentern entgegen, welche jet mit klingendem Spiel einhergezogen famen und den Wienern die Töne der Marfeillaife und des Va t’en guerrier zu hören gaben; es ftarrte die zerlumpten, mürrifchen ©e- ftalten an, welde da in der Mitte der Soldaten gingen, wie die rö- mifhen Sclaven vor dem Wagen des Triumphatord. Die armen, bleihen Tammergeftalten trugen feine franzöfifhe Uniform und bie Tricolore- Schärpe umgab nicht ihre Taillen, fie trugen auch feine Wehr und Waffen, ihre Hände waren leer, ihre Blicke nievergefchlagen. Das waren Gefangene, Gefangene der Franzojen, und ſie trugen ruſſiſche Uniformen. Das Volk ſah es mit Entſetzen, mit ſtummem Hinſterren. Aus ihrer ſtolzen Siegesüberzeugung waren die guten Wiener plötzlich in einen Abgrund des Unglücks hinuntergeſtürzt und fie fühlten fi davon betäubt, der Sprache, der Gedanken beraubt. Sie ftanden da, bleich, athemlos und ließen das Schaufpiel des heimkehrenden Siegers mit troftlofer Niedergefchlagenheit an fih worüberziehen. Auf einmal machte die bligende Kolonne, die in der Mitte des ſchweigenden Volkes die Straße binaufzog, Halt und die Muſik ver- ftummte. Ein DOfficier fprengte herbei und ſprach einige Worte mit dem commanbirenden Obriften. Dann traten auf einen Wink und einen raſch gefprochenen Befehl des Obriſten vier Soldaten aus Der Reihe, und fih Bahn machend durch die gaffende Menge, ſchritten fe gerade auf das Fleine Haus zu, das einfam und ftill inmitten feines Gärtchens an der Straße lag. Jeder Wiener kannte diefes Häuschen und den Mann, ver darin wohnte, denn es war das Haus Iofeph Haydn's. Wie jegt die vier Soldaten zu der Thür des allbeliebten, allbe⸗ kannten Meiſters binfchritten, fchien das Voll zu erwachen aus feiner Betäubung, ein einziger Schrei der Wuth und des Entjegend ertönte und taufend und taufend Stimmen riefen und freifhten: Vater Haydn ! Sie wollen und Bater Haydn gefangen wehmen! 567 Abernein! Die vier Soldaten blieben vor der Thür ftehen, fte ſchulter⸗ ten das Gewehr und ftellgen ſich als Ehrenſchildwachen vordem Haufe auf.*) Und die Muſik des eben neu anmarfhirenden Regiments mad te auch Halt auf der Straße und mit fchmetternden Trompetentönen, mit Poſaunen und Fanfaren begannen die franzöfifhen Muſiker eine Me- lodie zu fpielen, die Jedermann fannte, die Melodie der großen Arie aus der Schöpfung: „Nun beut die Flur das frifhe Grün." **) Wie triumphirender Hohn des Siegers Fang e8 den armen Wie- nern, diefe Melodie des deutſchen Meeifters von den franzöflihen Siegestrompeten blafen zu hören, und Thränen der ſchmerzlichen Schaam, der heimlihen Wuth füllten mandyes Auge, das niemals ge- weint, und ein Gefühl bittern Schmerzes durchdrang jede Bruſt. Die franzöfifhen Muſiker hatten noch nicht zu Ende gefpielt, da flog in dem obern Stodwerf des Haufes das Fenfter auf und in dem— felben erfhien das ehrwürbige, von weißen Loden umwallte Haupt Joſeph Haydn's. Seine Wangen waren bleich, feine Lippen zitterten, denn fein heimkehrender Bedienter hatte ihm joeben die Nachricht ge> bracht, daß die Franzoſen gbermals geftegt, daß Napoleon die beiden Kaiſer bei Aufterlig geſchlagen hätte. Der Greis Joſeph Haydn zitterte deshalb und war bleih, aber der Genius Joſeph Haydn war muthooll, freudig und trogig und er erglühte in edlem Zorn. darüber, daß die Trompeter des franzöfijchen Siegers feine deutfhe Muſik zu fpielen wagten. Diefer Zorn des ewig jungen, ewig fühnen Genius flammte aus Haydn's Augen und gab jegt feinem ganzen Weſen die Kraft und Elafticität der Jugend wieder. Sich weit herauslehnend aus den Fenſter winfte er mit beiden Armen dem Volk zu, daß e8 zu ihm empor blidte und die Hüte ſchwenkte, ihn zu begrüßen. Singt doh, Ihr Wiener! fchrie er hinunter, fingt doch unfer Lieblingslied! *) Hiſtoriſch. Siehe: Geſchichte Rapoleons von ... r. II. 84. uns „Zeitgenofſen.“ **) Hiſtoriſch. 568 Eben war die Mufif verſtummt und jegt mit lauter weitſchallen⸗ der Stimme begann Joſeph Haydn zu fingen: Gott erhalte Franz den Kaifer, unfern guten Kaiſer Franz! Und auf einmal jchmetterte und brüllte e8 aus taufend und taufend Kehlen: Gott erhalte Franz den Kaifer, unfern guten Kaifer Franz! Dben am Fenſter ftand Joſeph Haydn und bob den Arm links und rechts, als ftehe er da vor feinem Örchefter und dirigire feinen Chor. Immer lauter, immer jubelnder fang das Volk fein Lieblingslied, und unter diefem Gebet eines ganzen Volkes, unter diefer Jubelhymne, mit welder die Wiener ihren unglücklichen, befiegten Kaifer im Angeſicht des Siegers feierten, sogen die Franzoſen die Straße hinauf, dem Innern der Stadt Wien zu. Joſeph Haydn ftand noch immer am Fenſter, er taftirte nicht mehr, er fang nicht mehr. Er hatte die Hände gefaltet und laufchte den hei⸗ ligen Orgeltönen des Volksgeſanges, er hatte die Hände gefaltet und Ihaute zum Himmel empor, und wie Diamanten blinkten die Thränen, die in feinen Augen fanden. Das Bolf aber fang und jubelte immer noch, den Franzofen zum Trog: Gott erhalte Franz den Kaiſer, unfern guten Kaiſer Franz! Und die fiegreichen Franzoſen zogen mit dur die geöffnete Reihe des Volks dahin. IV. Der Batriotismus. Die Prinzeffin Mariane Enbenberg fehrte fo eben von einem Feſte zurüd, das ber englifche Gefandte Lord Paget ihr zu Ehren gegeben hatte, und das zugleich eine VBorfeier des Sieges fein follte, den die beiven Kaifer, die Verbündeten Englands, vorgeftern ohne Zweifel über den Urfurpator errungen hatten. | . 569 Mariane Eybenburg war daher in ſtrahlender Toilette, gefhmädt mit Brillanten und Goldgeſchmeide, ſchön und ftolz wie eine Königin anzufhauen. Sie ftand jegt auf der Höhe ihres Glückes, fie war noch immer ſchön, und fie war außerdem gewiſſermaßen die Batroneß der auserlefenften Gefellichaft Wiens, der Mittelpunkt der geiftigen jowohl, wie der ariftocratifchen Kreife geworben. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Die Jüdin Mariane Meier war jest eine von der ganzen Welt aner- fannte Stanbesperfon, und die Brinzeffin Mariane Eybenberg fühlte fi fo ganz ficher und heimifch in ihrer Stellung, daß fie felber faſt vergeflen hatte, wer und was fie früher geweien. Nur zuweilen er- innerte fie fich deflen, nur dann, wenn dies Erinnern ihr zuweilen einen Triumph bereitete, und wenn fie folden Perfonen begegnete, welche fie vor Zeiten mit ftolzer Geringſchätzung in der guten Geſellſchaft höchſtens geduldet Hatten, und welche es jett nicht verfhmäheten, un: die Ein- führung in ihren Salon als um eine Gunſt ſich zu bewerben. Diefer Salon war jest in Wien die einzige Zuflucht der guten Geſellſchaft, der einzige Drt, wo man ficher war, inmitten biefer Wirren und biefer Zerriffenheit immer den Geiftreichften und Beftge- finnten zu begegnen, wo man niemals zu fürdten hatte, Leute von zweifelhafter Gefinnung oder gar Franzoſen zu treffen. . Aber freilich, feit die Faiferlihe Familie aus Wien entflohen war, hatte ver Salon der Prinzeffin Enybenberg fi) nach und nad) veröbet, denn der hohe Adel hatte ſich zurüdgezogen auf feine Güter und Schlöſſer und die Minifter und höheren Beamten waren dem Raifer und dem Hof nad Olmüt gefolgt. Auch die Geſandten wollten ſich jetzt dorthin begeben, und deshalb war das Feſt, welches der engliſche Geſandte, Lord Paget, heute der von ihm angebeteten Freundin Prin⸗ zeſſin Eybenberg gegeben, nicht bloß ein Freuden⸗ ſondern auch ein Abſchiedsfeſt. Von dieſem Feſt, wie geſagt, war Mariane eben heimgekehrt. Mit lebhaften Schritten, verloren in tiefe Gedanken, ging ſie in ihrem Boudoir auf und ab, zuweilen leiſe Worte vor ſich hinmurmelnd, zu⸗ weilen tief auffenfzend, wie in unendlicher Pein. Wie fie eben wieder an dem großen venetianischen Spiegel Vorüberfam, blieb fie ftehen uun 570. betrachtete in demfelben die glänzende und hoheitsvolle Erſcheinung, welche er ihr widerſtrahlte. Es ift wahr, fagte fie traurig, "die Prinzeffin Eybenberg ift eine ſchöne und ftattlihe Berfon, fie. hat fehr ſchöne Brillanten, einen jehr ſchönen Titel, fie macht ein glänzendes Haus, fie hat fehr viele An- beter, fie wird verehrt und geliebt als eine begeifterte Patriotin, fie hat Alles was das Leben ſchmücken und verfchönen kann, und doch fehe ih da eine Wolfe auf diefer Stirn, von welcher die Künftler jagen, daß fie eine Wiederholung der Ludoviſiſchen Juno jei, die Diplomaten, daß fie der Pallas Athene angehöre. Was bedeutet diefe Wolke? Sieb eine Antwort Du da drin in dem Spiegel, Antwort, Dir ftolzes Weib mit dem Brillantviadem, wie fonimt es, daß Du ein trauriges Geſicht machſt, obwohl die Welt jagt, daß Du glüdlih und hoch⸗ geehrt jeieft? Sie ſchwieg und blidte faft erwartungsvoll in den Spiegel zu ihrem eigenen Bilde hin. Auf einmal begann die Penbule mit lauten, fhnurrendem Schlag die Stunde anzugeben. Mitternacht, flüfterte Mariane leife vor ſich hin, Mitternacht, die Stunde der Geifter. Ich will audy einen Geift citiren, fuhr fie nad furzem Scyweigen fort, ich will ihn anrufen und ihn zwingen, mir Antwort zu geben! - Und den Arm gegen das funkelnde, glänzende Spiegelbild erhebend, ſagte ſie mit lauter, feierlicher Stimme: Mariane Meier, ſtehe auf aus Deinem Grabe, und komm hierher, mir Antwort zu geben auf meine Fragen! Mariane Meier, ſtehe auf und wandle, die Prinzeſſin Eybenberg iſt es, die Dich ruft! Ach, ich ſehe Dich, Du biſt es, Mariane, Du ſchauſt mich an mit den traurigen Augen jener Tage, als Du viel Schmach und Demüthigung zu ertragen hatteſt, und als Du ſaßeſt traurig an den Waſſerflüſſen Babylons und weinteſt. Ja, ich erkenne Dich, Du trägſt noch immer die Züge Deiner Urväter Levy; die Menſchen wollen ſie nicht mehr bemerken, ich aber ſehe ſie. Mariane Meier, nun höre mich, und ſprich zu mir: Sag mir, was fehlt der Prinzeſſin Eybenberg, daß ſie nicht glücklich iſt? Schau Dich um in Ihrem Haufe, Mariane Meier, Du 571 wirft da Ueberfluß und Pracht fehen, wie Du es nimmer gelannt haft in den Tagen Deiner Kindheit. Sieh ihre vergolvdeten Meubles, ihre Teppihe und Luftres, ſieh die fchönen Gemälde an den Wänden, und in den Schränken das reiche maffive Silbergefhirr. Sieh ihre Kleider von Sammet und Seide, gefhmüdt mit Gold- und Silber- ftiderei, fteh ihre Brillanten und Juwelen und ihr olpgefchmeide. Weißt Du noch, Mariane Meier, wie oft Du in den Tagen Deiner Tindifhen Jugend Did mit heißen Thränen nach allen diefen Dingen gejehnt haft? Weißt Du no, wie oft Du mit gerungenen Händen gejammert haft: oh wär id doch reih! Denn wer reidy it, ver ift glücklich! — Die Prinzeffin Eybenberg ift reih, Mariane Meier, warum ift fie denn alfo nit glücklich? — Wenn man Dir damals, als Du nur weinteft nah Reichthum, Mariane Meier, wenn man Dir damals prophezeiht hätte, Du würdejt vereint einen Fürftentitel " tragen, und Dein gefhmähtes Judenhaupt ftolz erheben in der höchſten Geſellſchaft, würdet Du nicht gedacht haben, dies fei der Gipfel des Glücks und nichts bliebe dann mehr zu wünfhen? Ad, Mariane Meier, ich ftehe auf diefen Gipfel, und doch ſcheint e8 mir, daß id viel weiter entfernt bin vom Glüd, wie Du e8 damals wart! Du batteft damals etwas, wonad Du ringen und ſtreben konnteſt, Du batteft ein großes Ziel! Was aber habe ih? Ich ftehe bei meinem Ziel, und es giebt nichts mehr für mich zu erlangen und zu erfänıpfen! Das ift das Geheimniß meines Trübfinns: es bleibt für mich nichts mehr zu erfämpfen! Ich ftche auf meiner Höhe, und jeder Schritt, ven ich thue, ift ein Schritt bergab, dem Grabe zu, und wenn das Grab fih über mir fchließt, wird nichts mehr von mir zurüdbleiben, und mein Name wird ruhmlos verhallen, während der Name des ver- haften Ujurpators wie eine goldene Harfe durch alle Welt Flingen wird! Oh, ein wenig Ruhm, ein wenig irbifche Unfterblichkeit, das ift es, Mariane Meier, was Das ehrgeizige Herz der Prinzeſſia Eyben- berg fich exfehnt, das ift es, wofür fie Jahre ihres Lebens mit Freu— den hingeben würde. Das Leben iſt fo grenzenlos langweilig und inhaltslos, es ift nichts als eine glänzende Phrafe, nichts als ein lächelndes, aufgepugtes Einerlei mehr! — Aber horch, was ift das? 572 unterbrach fie fih auf einmal felber. War’s mir nicht, als hört’ idy Schritte im Heinen Corrivor? Ya, ich täufche mich nicht! Jetzt kommt's an die Thür. Dh er ift es alfo, es ift Gentz. | Sie flog nad) der Thür hin, und fie haſtig öffnend, rief fie: Biſt Du e8, mein geliebter Freund? Wenn Du mit diefem Epitheton mich meinft, Muriane, ja ich bin es, jagte Gens, in das Cabinet eintretend. Und wen anders follte ich meinen, Friedrich? fragte fie vorwurfs⸗ vol. Wer anders ale Du beſitzt einen Schlüſſel zu meinem Hötel und zu biefer Thür? Wer anders als Du Tann zu jeder Zeit des Tages und ber Nacht in mein Haus und meine Zimmer eintreten? Vilelleicht Lord Paget, mein mächtiger, fchöner Rival, fagte Gens nachläſſig und ganz ohne Vorwurf, indem er ſich müde und erfchöpft in den Divan niebergleiten ließ. Bift Du eiferfühtig auf Lord Paget? fragte fie, fih zu ihm jegend, und ihre von Brillantringen funfelnde Hand auf feine Schulter legend. Bedenke, mein Freund, daß ich auf Deinen Wunſch allein bie Hulbigungen des guten Lords angenommen und diefe politifche Liaiſon entrirt habe. Ich weiß, id) weiß, ſagte Gens abwehrend, auch bin ich nicht ges fommen über foldye Kleinigkeiten mit Dir zu hadern und zu redhten. Ich bin nicht gefonmen als ein eiferfüctiger Liebhaber, der mit feiner Geliebten ſchmollen will, fondern als ein armer, troftlofer Mann, ber fih zu feiner Freundin flüchtet, um in ihren Bufen feine Klagen und feine Verzweiflung auszuftrömen, um von ihr ein wenig Sympathie für feine Wuth und feine Troftlofigkeit zu fordern. Mein Freund, was ift gefchehen? fragte Marianne entfegt. Wo bift Du geweſen feit diefen acht Tagen, daß ich Dich nicht gefehen ? Du nahmſt in einem flüchtigen Billet Abfchied zu einer wichtigen Reife, ohne mir zu fagen, wohin Du gingft. Wo warft Du denn, Friedrich? | Ih war in Olmütz beim Kaifer und den Miniftern, feufzte Geng. Ih hoffte, den Triumph der guten Sade und Deutfchlands dort zu fördern, id) hoffte, einen ftrahlenden Sieg mit zu erleben, und jetzt — Und jet? fragte Marione athemlas, al® Geng ftodte, 573 Jegt war ich Zeuge einer ſchmachvollen Niederlage, feufzte Gen. Mariane ftieß einen Schrei aus, und ihre Augen flammten auf in Zorn. Er bat abermals gefiegt? fragte fie tonlos. Er bat geftegt, und wir find abermals gefchlagen, rief Gent laut und ſchmerzvoll. Die legte Hoffnung Deutſchlands, ja Europas ift gefunfen, die Ruſſen find mit uns in einer fchredlihen Schladht ge- ſchlagen. Das Unglüd ift ohne Grenzen, und alle preußifchen Armeen find nun zu ſchwach, um e8 zu heben.*) Schon haben ſich die Ruſſen zurüdgezogen, und in dieſer Nacht iſt der Kaifer Alexander abgereift, um in feine Staaten zurüd;ufehren. Und Er, murmelte Mariane leife vor fih bin, Er feiert aber- mals einen Triumph über uns! Er zieht ftrählend weiter auf feiner ftolzen Sonnenbahn, während- wir zerfchmettert und gedemüthigt ung krümmen im Staub der Erniedrigung. Iſt es Dein Wille, daß es jo fei, Du Gott da droben? fragte fie, ihre Augen mit einem Zornes- blid gen Himmel richtend. Haft Du feinen Blitzſtrahl für dieſen Ti⸗ tanen, der ſich gegen die Weltordnung auflehnt? Läßt Du e8 ruhig geihehen, daß tiefer Emportömmling alle Völker unglüdlih und alle Nationen zu Sclaven madt? Ya, Gott läßt e8 geſchehen, rief Gens mit einem bittern Laden. Gott bat ihn zur Zuchtruthe erwählt, um uns zu ftrafen für unfere eigene Jämmerlichkeit. Wir unterliegen ja nicht durd feine Größe, fondern durch unfere Schwäche. Das öfterreihiihe Cabinet, das trägt die Schuld an unferm Unglüd! Ic habe die Unfähigkeit, die Nullität, ja, die Infamie dieſes Cabinets lange erkannt, ich habe in früheren Zeiten unfer öfterreihifches Cabinet den antern Cabinetten Europas als die eigentlidhe Duelle des Verderbens bezeichnet und ihnen die ganze ſchreckensvolle Wahrheit gezeigt. Ob, hätte man mir ge- glaubt, als ich mit wahrer Verzweiflung noch im Juni, noch im An- fang Auguft dahin und dorthin ſchrieb: „Seht Euch vor, mit wen Ihr Euch einlaffet! Trauet nicht einem trügerifhen Schein von Beffe- *) Friedrich Gentz's eigene Worte. Siehe: Gentz's Briefwechfel mit 3o- bannes von Müller. S. 150. x 574 rung. Cie find die Alten! Mit viefen kann und wird fein große& Geſchäft im Cabinet oder im Felde gedeihen; ihre Zurüdweifung ift die conditio sine qua non der Rettung Europas.” Alles war umfonft! Ih blieb zulegt allein mit meinen Caſſandra'ſchen Wehllagen, Alle verließen mich!*) - Ich verließ Dich nicht, Friedrih, fagte Mariane vorwurfsvoll, und id zwang aud Lord Paget, fih zu Deiner Anficht zu befennen. Dank unjern vereinigten Bemühungen ift wenigftend doch ber unfäbige Graf Colloredo aus dem Cabinet verbrängt. Das ift ein Troft, aber Feine Hoffnung, fagte Geng. So lange die andern Minifter bleiben, ift Alles vergeblid. Es ift Alles fo faul und verweit, daß, wenn nicht das Ganze weggeworfen wird, feine vernünftige Hofinung mehr bleibt! Ich hoffte, der Kaifer von Ruß⸗ land würde mit einem -gefegneten Donnerwetter in diefen Sumpf und Abgrund der verädhtlichften Untauglichkeit fchlagen, aber Er ift dazu zu milde, und er hat keinen Mann von niederfchmetternder Seelentraft bei ſich. Er bat unjer Elend gefehen, befeufzt und bejammert, aber er wollte fich in die Perfonalverhäftniffe nicht mifhen, und darüber ging Alles verloren, und Er felber erlitt eine ſchmachvolle Niederlage. Und wir haben uns jest aljo vollftändig unterworfen? fragte Ma⸗ riane. Wir haben Frieden gemacht mit dem Ufnrpator? Wir haben ihn um Frieden gebeten, willſt Du fagen, und Er wird den Frieden machen, wie e8 ihm beliebt. Oh, Mariane, menn ich die Ereigniffe diefer legten Tage bedenke, fo übermannt mih Wuth und Schmerz, und ih weiß faum, wie ich nad diefem nod weiter leben fol. Höre nur, wie wir um Frieden gebeten haben! Geftern, zwei Tage nah der Schladht, fandte der Kaifer Franz den Fürſten Johann Liechtenftein zu Napoleon, der im Schloſſe Aufterlig fein Duartier genommen, und ließ ihn um eine Zufammenkunft bitten. Napoleon bewilligte fie ihm, und ver Raifer von Deutfchland ging alfo zu feinem Befteger, um ben Frieden zu erbitten. Er ging von feinem andern als Lamberti begleitet, in feiner gewöhnlichen, mitleidswürdigen *) Gent’s eigene Worte. Siehe Briefmechfel 2c. 144. 575 jegt mehr als je verfallenen Geftalt, zu dem Rendezvous, das auf offenem Felde ftattfinden ſollte. Bonaparte empfing ihn, von allen feinen Generälen und Kammerherren und Ceremonienmeiſtern und dem ganzen Pomp der Majeſtät umgeben.*) Dh, welche furdtbare Schmach und Demüthigung, rief Mariane mit bervorftürzenden Thränen, und mit einer wilden Bewegung ri fie das Brillantviadem aus ihrem Haar und fchleuderte es zur Erde nieder. Wer darf fih fhmüden, wenn ſolche Schmach geſchehen, rief fie, wer darf fein Haupt noh aufrecht tragen, wenn Deutſchland fo in ben Staub getreten ift! Der Kaifer von Deutfchland hat den Eroberer um Frieden gebeten, er hat demüthig darum gefleht, wie der Bettler um ein Almofen fleht! Und ift ihm dieſer Frieden in Gnaden bewilligt worden? Oh, erzähle mir Alles, Friedrich! Was gefhah bei iener Zuſammenkunft? Was ſprachen ſie zu einander? Es läßt ſich wenig davon erzählen, ſagte Gentz achſelzuckend, die beiden Kaiſer unterhielten ſich mit einander ohne Zeugen. Bonaparte ließ ſein Gefolge bei einem Wachtfeuer zurückbleiben, und dahin ging auch Lamberti. Dann näherten ſich die beiden Kaiſer einander mit offenen Armen und fielen einander um den Hals, wie zwei zärtliche Freunde, die ſich lange nicht gefehen.**) Und Kaiſer Franz hatte nit die Kraft, den Feind mit feinen Armen zu erwürgen? rief Mariane bebend vor ſchmerzlichem Zorn. Er hatte nicht die Kraft und auch nicht den Willen, glaube ich, fagte Geng achfelzudend. Als Napoleon den unglüdlichen Kaifer Franz aus feinen Armen entließ, deutete er mit einem ftolzen Blid gen Himmel und fagte: Sire, id muß Sie unter dem einzigen Baldachin empfangen, der mid) feit zwei Monaten bevedt. Kaifer Franz erwiderte lächelnd: „Sie haben fih aber unter demſelben fo gut eingerichtet, daß Ihnen nichts zu wünfchen übrig bleibt! — „Nur Eins bleibt mir zu wün⸗ fhen, rief Napoleon haftig, nur dies: daß Ew. Majeſtät mich nicht *) Diefe ganze Schilderung ift genau und Wort fir Wort einem Brief Friedrich Gentz's an Johannes von Müller entnommen. Siehe: Brief⸗ wechſel ꝛc. 154. *) Hiſtoriſch. 976 fernerhin befriegen möge." — „Das verſpreche ich von ganzem Herzen!" fagte Franz laut und ohne zu zögern. Dann ward ihre Unterhaltung leifer, und weder Ramberti, noch die franzöfiihen Marſchälle konnten ein Wort weiter verftehen.*) Erft nad zwei Stunden trennten fie fih und nahmen wieder mit einer zärtlihen Umarmung von einander Abſchied. Kaifer Franz Fehrte ſchweigend und in fi gefehrt nad Dlmüg zurüd. Er hatte bis dahin fein Wort geſprochen, aber als er den Fürſten Liechtenftein ſah, winkte er ihn zu fih und fagte mit verbiffenem Grimm leife zu ihm: „Jetzt, feit ich ihn gejehen, kann ih ihn erft gar nicht mehr leiden.““*) Das war ber einzige Ausprud feines Zorns, übrigens fchien er’ recht zufrieden mit den Bedingungen, die er erlangt hatte. Und waren die Bedingungen ehrenvoll? fragte Mariane. Ehrenvoll! ſagte Gentz achſelzuckend. Napoleon verlangte vor allen Dingen ſchleunige Entfernung der Ruſſen, und der Kaiſer ver⸗ ſprach ſie ihm. Deshalb iſt Kaiſer Alexander abgereiſt, deshalb zieht ſich die ruſſiſche Armee zurück und ein Theil derſelben geht nach Preußen, der andere kehrt nach Polen zurück. Das Wiener Cabinet iſt alſo frei, das heißt, es iſt ſeiner eigenthümlichen Infamie ohne Schranken überlaſſen, und ſo wird der Friede bald genug zu Stande kommen. Den Kodthſeelen ift Alles gleich, wenn er nur Wien herans- giebt. In Olmütz jagte geftern der Finanzminiſter Zichy zu mir: „Mit Tyrol, Venedig und einem Stüd von Ober-Oeſterreich ift der Friede wohlfeil erfauft, und wir fünnen zufrieden fein.“ Ad, wenn dieſe nur untergingen, welde Wolluft wäre dann der Sturz ber Monarchie! Aber die Provinzen, die Ehre, Deutfhland, Europa verlieren, und vie Zichy, die Ungarte, die Cobenzl, die Collenbach, die Lamberti, die Dichtrichftein behalten zu müſſen, feine Genugthuung, feine Rache, nicht Einer ber Hunde gehängt oder geviertheilt, — das ift unmöglid zu verbauen! ***) *) Memoires du Duc de Rovigo. II. 215. **) Hiftorifh. Siehe: Häuffer deutſche Geſchichte IL. S. 690. *3*) Dieſe ganze Rede enthält nur Gentz's eigene Worte. Siehe: Brief⸗ wechjel 155. 577 Es ift wahr, fagte Mariane gedankenvoll und leife vor fih Hin, viefe Schmach ift ohne Grenzen, und wenn die Männer fie ertragen und ihr Haupt beugen wollen, fo ift es Beit, daß die Weiden das ihre erheben, und fid in Löwinnen verwandeln, bie den Feind zerveißen, der ſich ihnen entgegenftellt! — Unp mas gedenkſt Du jeyt zu tbun, mein Freund? fragte fie dann laut, fid aus ihrer Sinnen gewaltfom emporraffend. Welche Ausfihten haft Du? Welchen Schladtplan wirft Du uns entwerfen? Ih habe gar Feine Ausfichten, und idy gebe 68 auf, Schlachtpläne zu entwerfen, fagte Geng feufzend. Nachdem ich fünf Tape lang in: Dlmüg meine legten Kräfte aufgeboten habe, Bin ih am Ende und habe mich erſchöpft und, bis zum Efel gefättigt, von dort zurlidigezogen. Unfere Minifter find nad Preßburg gegangen, um dort mit den Com⸗ miſſarien Bonaparte's um den Frieden zu handeln. Und wo ift Er felber während der Zeit, Er, der ftolze Erinmphater? fragte Mariane haftig. ‚ Er bat dieſe Nacht Aufterlig verlaffen, und wird wieder in Schön- brunn refidiren, bi® der Friede gefchloffen- if. Ab, in Schönbrunn, fagte Deariane, das heißt, hier in Wien. Und Du, Friedrich, wirft Du aud hier bleiben? Wenn der Friede geſchloſſen ift, werben fie mich natärlid aus Wien eriliren, venn Bonaparte kennt meinen Haß gegen ihn, und er weiß, daß bderfelbe unverföhnlih iſt. Ich gehe alſo lieber freiwillig in's Exil, und reife nach Breslau, wo ic Freunde und Belannte genug finde. Da will ich leben, mich zerftreuen, ein Menſch fein, wie fie Alle, das heit, meinem Egoismus leben, und mid nad fo vielen Aergerniſſen und Kämpfen ausruhen. Das ift nicht wahr, das ift nicht möglich! rief Mariane glühend. Ein Patriot und ein Mann wie Du ruht nicht, und genießt nicht, wenn das Vaterland im Unglüd und in der Schmad ifl. Ich rufe Dir zu, was Arnauld zu feinem Freunde Nicole fagte, als diefer, des Kampfes um ven Janfenismus müde, ihm erklärte, daß er ſich zurüd- ziehen und ausruhen wolle. Vous reposer! Eh! n’avez vous pas pour vous reposer. l’öternit& toute entiere? — Wenn jene Männer jo für Mühlbach, Napoleon. 1. Bd. A \ « 578 einen abgefhmadten Kormularftreit entbrennen konnten, wie follteft Du wohl ruhen, da die Ewigkeit felbft, fie fer nun Ruhe oder Bewegung, nichts Größeres aufzuweifen bat, als einen Kampf um die Freiheit und ‚Würbe der Welt! Gott fegne Dich für diefes Wort, Mariane, rief Gentz begeiftert, indem er bie freundin feſt umfchlang und einen glühenden Kuß auf ihre Stirn preßte. Ob, Mariane, ih wollte Di nur prüfen, id wollte ſehen, ob mit der Begeifterung Deiner Liebe zu mir, auch tie Begeifterung der heiligen Sache, welche ich vertrete, von Dir gewichen fei, ich wollte nur wiſſen, ob jest, da Du mid nicht mehr liebſt — Und wie kannſt Du fagen, daß ich Dich nicht mehr liebe? unter» brach fie ihn. Wodurch habe ich diefen Vorwurf verdient? Es ift fein Vorwurf, Mariane, fagte Geng trübe, Du haft dem wanfenden, ſchwankenden und wecfelnden Organismus, aus welchem Alles Geſchaffene befteht, Deinen Tribut vargebracht, vielleicht ich ebenfo. Bergänglic find wir Alle gefchaffen, und fo müfjen auch unfere Gefühle vergänglich fein. Die Liebe zumal ift eine gar Köftliche, duftende und bezaubernde Purpurrofe; ‚aber ihr Leben dauert nur Einen Tag, dann verwelft fie Wohl aljo Denen, welche dieſen Einen Tag benutzt und an ihrer Gluth ſich erfreut, ihren Duft mit begeifterten Sinnen ein» geathmet haben. Wir Beide thaten es, Mariane, und wenn wir jegt zurüdbliden auf unfern Tag des Liebesglüdes, jo können wir Beide fagen: „er war Föftlih und beraufchend, und er wird mit feiner Erin⸗ nerung einen goldenen Sonnenglanz über unfer ganzes Leben ausftrahlen.” Schmähen wir ihn alfo nit, daß er vergangen ift, und zürnen wir uns felber nicht, daß wir ihn nicht verlängern fonnten. Die Roſe ift verblüht, aber der Stamm, aus dem fie entfproffen, der muß ung bleiben, das ift unfer unvergänglich Theil. Diefer Stamm, das ift die Eintracht der Gefinnung, das ift die Uebereinſtimmung unferer Gedanken, das ift, um es kurz zu jagen, der in ber verwelften Liebesblume gereifte Saamen ber Freundſchaft. Ich bin alfo nit zu Dir gekommen, Mariane, um die Geliebte zu ſuchen, fondern um bie freundin zn finden, . die Freundin, welche mich verfteht, welche meine Anfichten, meine Berzweiflung, meine Schmerzen und meine Wut theilt und welde 579 bereit ift, mit mir nad Einem Ziele zu fireben und es mit mir zu ſuchen anf Einem Wege! Diefes Ziel ift: bie Befreiung Deutſchlands von den Fetten der Sclaverei. Die Vernichtung des Tyrannen vor allen Dingen, ber und zu Sclaven erniedrigen will! rief Mariane mit flanmenden Augen. Sage mir den Weg, ber zu biefem Ziele führt und ich will ihn wandeln und führte er auch Über Dornen und zudende Schwerter dahin! Das Ziel liegt Har und hell vor uns, fagte Gent traurig, aber ver Weg zu ihm bin ift noch verfchüttet und fo fchmal und niedrig, daß wir jet noch auf unfern Knieen und gar langjam vorwärts rutſchen müſſen! Aber jeder von und muß den Spaten nehmen und arbeiten, auf daß der Weg breiter werde und höher und auf daß wir eines Tages vorwärts fchreiten Können, nicht gebeugten, fondern erhobenen Hauptes, den Feuerblid in den Augen, das Schwert in der Hand. — Laß uns diefen Tag vorbereiten, laß uns arbeiten in dem bunflen Schacht und andere Arbeiter werden ſich zu uns gefellen und gleich und den Spaten nehmen und graben, und in ber Stille der Nadıt, mit Berwänfhungen auf den Lippen und Gebeten im Herzen, wollen wir graben an dieſem dunklen Weg, graben wie die Maulwürfe, bis wir uns endlich hingraben zu unferm Biel und heraustreten an das Licht des Tages, welcher Deutfchland die Freiheit wieder giebt! Jetzt befinden wir uns in einer Zeit, wo die geheimen Gefellfchaften von der größten Nützlichkeit ſein können. Ich haßte und verachtete. von jeher Alles, was diefen Namen führt, aber die Noth lehrt beten, jet muß ich fie als eine felige Zukunft begrüßen.*) Innig und feſt, wie bie erfte Kirche, müßte die geheime Gefellſchaft zu einander halten und ihr Zweck wäre: Zerftörung der bonapartiftifhen Tyrannei, Her⸗ ftellung der Staaten und Regenten, Gründung. eines beffern Syitems und endlich ewiger Kampf gegen bie Grundfäge, welche unfere Gleiche gültigfeit, Erſchlaffung und Nichtswürdigkeit hervorgebradht haben. Mariane, und jest fomme id und frage Did als die Würbigfte, als *) Gentz's eigene Worte. Siehe: Briefwechſel 2c. 163. 37* 580 ben tapferften und edelſten Masn,. ven: ich fenne nnb verehre, Mariane, willſt Du Mitglied diefer geheimen Geſfellſchaft fein? Er reichte ihr mit einem vollen Seelenblid die Hand dar und fie fhaute ihn an mit offenen großen Augen und legte langfam ihre beiden Hände in bie feine. Ich will es, ſo wahr mir Gott heife, fagte fie feierlich, ich. will Mitglied Deiner geheimen: Geſellſchaft jein, und idy will. ausziehen in alle Welt und Propaganda. maden für unfern Bund und ih will Catacomben fuhen, mo wir beten und und ermahnen: und ernuntern können zu raftlofem Weiterftreben, idy will. ung Brüder und Anbänger werben für unjern. Bund in allen reifen, in den höchſten fowohli als in. ben niebrigften, und der Bauer, wie der Yürft, die Gräftn,. wie bie BDürgerin follen Brüder und Schweftern werben, unfers heiligem Bundes, deſſen Ziel die Befreiung Deutſchlands von vem Jod des Stwannen it. Meine Thätigkeit und mein Eifer, das Werk zu fürdern, das Du begonnen, dies möge Dir alsdann beweifen, Freund, ch ih Dich noch liebe und ob: mein Geiſt Dich verftanden hat! Ich rechnete auf Deinen Geift, Mariane, als ich. aufgehört hatte auf Dein. Derz. zu hoffen, rief Gentz, und ich habe mich nicht verrechnet. Dein Geift hat mich verflanden und, er ift eins. mit. dem meinen. Go la und: denn muthig an’s Werk gehen und unjere eriten Schritte vorwärts thun! Die Zeit, wo man nod hoffen konnte, dies Werf mit dem Schwert zu förbern, ift jet vorüber und das Schwert liegt zerbrochen zu unfern Füßen. Jetzt haben wir noch zwei andere Waffen, aber fie find eben fo ſcharf, eben jo ſchneidend und tödtlich wie das Schwert. Diefe Waffen find die Zunge und die Feder? rief Mariane lächeln. Ya, Du haft mic, verftanden, fagte Gen freudeftrahlend, Dies find unfere Waffen. Du, meine ſchöne Kampfgenoifin, gebraudft die erſte diefer. Waffen, Deine Zunge, ich die zweite, meine Feder! Und ſcham habe ich diefe in Beweguug. gefegt und in den fchlaflofen Nächten diefer legten: Tage eine Schrift verfaßt, von der ich wünjchte, daß fie wie eine flatternde Taube über ganz Deutjchland hineilte und überall gejehen, erfannt und verftanden werde. Diefe Schrift heißt: „Deutſch⸗ land in feiner tiefen Erniedrigung“; es ift ein Schrei meines Schmerzes, 581 mit dem id) das deutſche Volk weden will, daß es endlich aufwache aus feiner dumpfen Erftarrung, daß es das Schwert nehme und auf- ftehe in der Urfülle feiner Kraft, um den Cyrannen zu verjagen. Ah, aber wo werbe ich einen Druder finden, der den Muth hat, dies zu druden, einen Genfor, der es mir unbejchnitten durchlãßt und endlich Buchhändler, die es wagen, ihrem Publikum eine ſolche Schrift anzubieten! Gieb mir Deine Schrift, rief Mariane freudig, ich werde ſorgen, daß ſie gedruckt werde, und wenn es keine Buchbãndler geben ſollte, welche ſie vertreiben, ſo werde ich als Dein Commiſſionair durch ganz Deutſchland reiſen und werde Deine Schrift Nachts heimlich ausſtreuen auf den Gaſſen aller deutſchen Städte, damit ihre Einwohner ſie am Morgen finden als das vom Himmel niedergewehete Manna, das fie Härten und ernähren fol. Gieb mir Deine Schrift, Friedrich Gens, als das erjte Zeichen unferes geheimen Bundes! Sieh nur, daß id Dich ganz verjtanden und ganz auf Dich gezählt habe, Mariane, fagte Gens, indem er ein Heines Paket aus feiner “ Buſentaſche zog und es in ihre Hände legte. Hier ift meine Schrift, fuche für fie einen SDruder, der fie drudt, und einen Buchhändler, der fie in die Welt ſendet, gieb ihr ven Segen Deines Schuges und fördere fie, wo und wie e8 in Deinen Präften fteht! Das werde und will ich, rief Mariane, ihre Hand wie zum Schwur auf die Papiere legend. Noch ehe vier Wochen vergangen find, fol das deutſche Volk diefe Schrift lefen: „Deutfchland in feiner tiefen Erniedrigung”. Sie fol der erfte Komet fein, den die geheime Geſell⸗ ſchaft, deren Mitglieder wir Beide allein bis jett find, am büftern Himmel der Politik aufbligen läßt. Rechne auf mid, Deine Schrift wird gebrudt werden! Gentz neigte fich über ihre Hand und küßte fie, dann ſtand er auf. Mein Gefhäft ift vollendet, fagte er, ih fam nad Wien, nur um Dich zu fehen und meinen geheimen Bund mit Dir zu fchließen. Mein Ziel ift erreicht, in diefer Stunde nod reife ich ab. Und warum in folder Eile, Freund! Warum in diefer ftürmifchen Winternaht? fragte Mariane. Gönne mir noch einen Tag des Zn- fammenfeins. Ä ; 582 Es iſt unmöglich, Mariane, fagte Geng abwehrend. Freunde wie wir dürfen kein Geheimnif vor einander haben, und fie bürfen fi ungefcheut Alles jagen. Die Gräfin Lankoronska erwartet mid, und mit ihr reife ih nach Breslau. | Ah, rief Mariane vorwurfsvoll, Lord Paget verläßt auch Wien, aber ich verlaſſe Dich nicht, um mit ihm zu reiſen, ich bleibe! Du biſt die Sonne, welche die Planeten umkreiſen, rief Gentz lächelnd, ich aber bin nur ein Planet, und ich umkreiſe meine Sonne! Du liebſt'ſie alſo die Gräfin Lankoronska? Sie iſt für mich der Inbegriff aller weiblichen und vieler männ⸗ lichen Bolllommenheiten*), rief Gentz begeiſtert. Und wird fie auch ein Mitglied unferer geheimen Gefellichaft fein? Nein, fagte Seins baftig, nein, fie ift meine Geliebte, aber nicht meine Freundin. Mein Herz betet fie an, aber mein Verſtand wird nie vergeflen, daß fie eine Ruffin if. Nad Kälte, Tod und ven Fran- zofen haſſe ich nichts fo herzlich, als die Ruſſen.**) Und dod lebft Du feit vier Wochen mit einer Ruffin, welche Du liebft? Und gerade in diefen vier Wochen bat fih mein Haß in einem merkwürdigen Grade gefteigert. Ich verachte die Defterreicher, ich ent- rüfte mich gegen fie, aber ich bemitleide ſie doch aud; und wenn id) fie, wie eben jegt, von den ruffifhen Barbaren mit Füßen getreten ſehe, fo kehren fih meine deutſchen Eingeweide um, und ich fühle, daß die Defterreicher meine Brüder find. Ich war in diefen Tagen oft mit dem Großfürften Eonftantin und den Übrigen vornehmen Ruſſen zufammen, und der blinde, dumme und unverfchämte Nationalftolz, mit welchem fie über Defterreih und überhaupt über Deutfchland herfielen, *) „Ich habe hier ein Loftbares Fragment, ſchreibt Geng an Johannes von Müller, den Evelftein einer unvergleichlihen Geſellſchaft von Wien, die Gräfin Lankoronska, einen Inbegriff aller weiblichen und männlichen Vollkommenheiten. Bei diefer, da fie unermeßlich reich ift, To ſorgt fie für Alles, lebe ich, reiſe und treibe Alles mit ihr, das Schlafen ausgenommen.” Siehe: Briefwechſel ©eite 167. | Ä **) Gentz's eigene Worte. 583 als über einen verächtlichen Theil der Erde, wo nichts‘ als Derräther und Memmen zu finden wären, bat mid, in tieffter Seele empört. Ich weiß wohl, daß wir jegt unfere Würde als Deutfche kaum geltend machen dürfen, dafür haben unfere Regenten geforgt; aber wenn man fih denn doch fagt, was die Ruſſen gegen ung find, wenn man feit zwei Monaten betrübter Zeuge davon war, wie fie, troß ber Tapferleit ihrer Truppen, doch nichts gegen die Franzoſen vermögen, wie ſie unjere Sache eher verſchlimmert als verbeflert haben, wenn man fid) von denen befhimpft und verfchmäht fieht, Die auch nicht einmal das Ver⸗ bienft hatten, uns zu retten, dann fühlt man recht, wie elend man ge⸗ worden iſt!*) Gott ſei Dank, daß Du ſo denkſt, rief Mariane, dann darf ich wenigſtens hoffen, daß es der Gräfin Lankoronska, ſelbſt wenn hier Alles fehl ſchlägt, doch nicht gelingen wird, Dich nach Rußland zu ent⸗ führen. Nicht wahr, Gentz, Du gehſt nicht mit ihr nach dem kalten, fernen Norden? Der Himmel bewahre mich davor, rief Gentz ſchaudernd. Wenn Alles zu Grunde geht, laſſe ich mich doch irgendwo in den ſüdlichen, öſterreichiſchen Provinzen, in Kärnthen oder Tyrol nieder, wo man noch Deutſch ſprechen hört, und lebe da mit Pflanzen, Sternen, die ich kenne und liebe, und mit Gott in irgend einem warmen Winkel, mag dann auch über mir herrſchen, welcher Tyrann oder Prokonſul da will!“) Und nun, Mariane, laß uns ſcheiden. Ich ſage nicht auf frohes Wiederſehen, denn ich rechne kaum mehr auf einen frohen Tag, aber ich ſage: auf Wiederſehen zur guten Stunde! Und die gute Stunde wird für uns doch nur die ſein, wo wir das Ziel unſers geheimen Bundes erreicht, wo wir das deutſche Volk erweckt haben, und wo dies deutſche Volk ſich erhebt als ein muthiger Rieſe, dem nichts wiederſteht, und der den Eroberer mit ſeinen Schaaren aus Deutſchland verjagt! Alſo auf Wiederſehen zur guten Stunde! Auf Wiederſehen zur guten, wie zur ſchlimmen Stunde! ſagte *) Gentz's eigene Worte. Siehe: Briefwechſel ꝛc. 159 u. 167. **) Gentz's eigene Worte. 167. 584 Mariane berzlih. Zu jeder Zeit ift mir der freund willfonımen, und niemals wird ihm bei mir ein herzliher Willlommensgruß fehlen! Daran halte feft, mein Freund, ich fage nicht mehr mein Geliebter, denn die Gräfin Lankoronska könnte eiferflichtig werden! Und fie könnte e8 dem Lord Paget erzählen, fagte Geng lächelnd, indem er Marianen die Hand küßte, und dann nad feinem Hut und « Mantel griff. Lebe. wohl, Marianne, vergiß nicht unfern Bund und mein Monufcript! Ich vergefle nichts, denn ich vergefie Die nicht! vief fie, ihm vie Hand darreichend. So, Hand in Hand, gingen fie nady der Thür hin, dann nidten fie fih noch einen legten ftummen Gruß zu, und bie Thur ſchloß ſich hinter dem Enteilenden. Mariane horchte auf ſeine Schritte, bis dieſe verhallt waren, dann athmete ſie hoch auf, und begann wieder langſam auf und ab zu wandeln. Die Kerzen auf den ſilbernen Armleuchtern waren tief herabge⸗ brannt, und tropften langſam und träge ihr flüſſiges Wachs auf die Marmorplatte des Tiſches nieder. Wenn Mariane in ihrem raſchen Auf und Abwandeln an ihnen vorüber kam, fachte der Luftzug fie höher an; fie beleuchteten dann mit grellem Schein die hohe königliche Geftalt in dem goldgeſtickten Gewande, und fanten wieder trübe in fid zufammen, wenn Mariane wieder in das Dunkel des tiefen Zimmers zurüdtrat. Auf einmal tief Mariane mit freudiger Stimme: Ja, das ift dag Rechte! Das ift der Weg, der zum Ziel führt, und den ich wandeln muß! — Mit haftigen Schritten eilte fie jegt wieder zu dem Spiegel hin. Mariane Meier, rief fie laut, Mariane Meier, höre, was id Dir fagen will! Die Brinzeffin Eybenberg bat jegt ein Mittel ge- funden, die Langeweile und die troftlofe Ruhe von ſich zu verfcheuchen, ein Mittel, um ihrem Namen einen unfterblihen Klang zu geben! Gute Naht, Mariane Meier, jet kannſt Du fchlafen, denn die Prin⸗ zeffin Eybenberg ſorgt für fich felber! ’ 685 Wo ‚- 3udith. Mariane erwahte nad einem furzen und ruhigen Schlaf von dem leifen Geräuſch fohleihender Schritte, die fi ihrem Lager naheten. Haſtig ſchlug fie die Augen auf und fah ihre Geſellſchaftsdame, weldye vor ihrem Bett ſtand, eimen ‚goldenen Teller, auf welhem ein Brief lag, in der Hand haltend. Wie, Camilla, fagte. fe erfhroden, Sie haben den Brief noch nicht beforgt, welchen ich Ihnen diefe Naht übergab? Befahl ich Ihnen nicht, den Kammerdiener heure am ' frühen Morgen ſogleich damit fort zufchiden? | Ya, Durchlaucht, und lich habe Ihren Befehl getreulich ausgerichtet. Nun, und diefes Papier? Iſt das Antwortfhreiben des Herın Majors. Ew. Durdlaudt befahlen mir, Sie zu wedeh, ſobald der Kammerdiener die Antwort gebracht! Mariane griff haſtig mach dem Brief und erbrach das Siegel. Er wird kommen, fagte fie dann laut und freudig, nachdem fie bie wenigen Zeilen, welche der Brief enthielt, gelefen hatte. Was ift die Uhr, Camilla? Durchlaucht, es ift eben sehn. Uhr! Und fhon um elf Uhr erwartete ih Beſuch. Schnell, Madame Samilla, Tagen Sie der Kammerfrau, daß fie alles im Toilettenzimmer ordne, forgen Sie felber, daß ich ein elegantes, reiches und — nicht zu matronenhaftes DMeorgencoftüm ‘finde. Befehlen Em. Durchlaucht das anzulegen, mas vord Paget neulich aus London hat verſchreiben laſſen? fragte Madame Camilla. Ew. Durchlaucht haben es noch nicht einmal getragen, und der Lord würde fich gewiß freuen, Ew. Durchlaucht in dieſem reizenden Coſtüm zu ſehen. Ich erwarte den Lord nicht, ſagte Mariane mit einem ſtrengen Blick, überdies dürfen ſich ihre Rathſchläge nur auf die Angelegen- , 586 heiten meiner Toilette beziehen. Vergeſſen Sie das nicht wieder! Jetzt bringen Sie mir meine Chocolade, ih will fie im Bett trinken. Laſſen Sie mir während der Zeit ein ſtärkendes, wohlriechendes Bad bereiten, und fagen Sie dem Koch, daß ‚id. in. einer Stunde ein auserleſenes und pilantes Dejeuner für zwei Berfonen im Heinen Speifefaal fervirt jehen will. Gehen Sie! Madame Camilla entfernte fih, um F bie verſchiedenen Befehle ihrer Herrin auszuführen, aber ſie that das nicht freudig und dienſtwillig, wie ſonſt, ſondern mit ernſtem Geſicht und ſorgenvoller Miene. Es geht etwas vor, flüſterte ſie, wie ſie langſam den Corridor hinunter ſchlich. Ja, es geht etwas vor, und endlich wird es doch etwas zu berichten und auszuſpioniren geben. Nun, ich werde ja von zwei Seiten dafür bezahlt, von dem franzöſiſchen Commandanten von Wien, und von Lord Paget. Gott gebe, daß ich heute alle Beide be— dienen kann! Für Lord Parget babe ich ſchon eine Nachricht, denn dieſe Nacht war der Herr von Gentz bier, und blieb. zwei Stunden bei meiner Herrin; dann fchrieb fie einen Brief -an ven Major von Brandt, den ich heute ſogleich beſorgen mußte. Und dies ift grade der Punkt, von dem ich nicht weiß, ob er für meinen franzöfifchen, oder für meinen englifhen Kunden ift. Nun, ich werd's mir, noch überlegen! Ic werde jeden ihrer Schritte bewachen, denn das ift gewiß, es geht hier etwas Ungewöhnliches vor, und ich will wiſſen, was es ift. Und nachdem Madame Camilla diefen Entfhluß gefaßt hatte, ging fie tafcher vorwärts, um dem Red bie Befehle der Prinzeſſin zu bringen. — Eine Stunde ſpäter hatten die Kammerfrauen die Toilette der Prinzeſſin vollendet, und fie trat vor. die. große. Piyhe, um derſelben nod einen legten prüfenden Blick zu weihen. Ein köſtliches Lächeln der Befriedigung flog über ihr ſchönes An- geſicht, als fie ihr veizendes Spiegelbild gewahrte, und mit einem uns vergleichlihen, triumphirenden Ausdrud fagte fie: Ja, es ift wahr, diefes Weib ift fo ſchön, daß fie es felbft wagen darf, um die Gunft eines Raifers zu werben. Winden Sie das nicht aud, Madame Camilla? 587° Dradame Camilla hatte mit fehr aufmerkſamem und ernften Geficht jedes Wort ihrer Herrin belaufcht, jett aber beeilte fie fih zu lächeln. Ew. Durdlaudt, fagte fie, wenn wir nod zur Zeit ber alten Götter lebten, jo würde ich feinem Schmetterling und feinem Bogel, (a fogar feinem Goldſtück trauen, denn hinter jedem Ding würde ich Herrn Jupiter vermuthen, ber fich verkleidet hätte, um meine fchöne Herrin zu überfallen. Mariane lachte. Ad, wie gelehrt Sie find, fagte fie, Sie haben fogar Reminiscenzen vom verlleidveten Stier der Europa, und vom Goldregen der Danae. Aber fürdten Sie nichts, bei mir wird fein verkleideter Gott ſich einfchleichen, denn die Zeit der Götter und Heroen ift leider vorüber! Diefe übermüthigen Franzoſen möchten freilich die Welt glauben madyen, der Herr Bonaparte bringe uns diefe Zeit wieder, fagte Ma- Dame Camilla mit dem Ausdrud der Verachtung, fie wollen uns ein- reden, der Advocatenfohn von Corſika ſei ein verſpäteter und letzter Sohn Jupiters! Oh, rief Mariane triumphirend, die Welt ſoll bald inne werden, daß er nur ein elender Erdenſohn iſt, und daß feine Unſterblichkeit auch Platz findet zwiſchen acht ſchwarzen Brettern. Ich weiß, Camilla, Sie haſſen den Uſurpator ebenſo heiß, ſo glühend und ſo rachedurſtig, wie ich ihn haſſe, und dieſer Haß iſt das ſympathiſche Band, welches mich mit Ihnen vereint. Nun denn, ich fage Ihnen, Ihr Haß ſoll bald fein Genüge finden, und Ihr Rachedurſt fol gefühlt werben. Beten Sie, Kamille, daß Gott die Hand fegne, welde fi) gegen den Ty- rannen erhebt, beten Sie, daß Gott den Dolch ſchärfe, der fich vielleicht bald gegen fein Herz züdt. Die Welt hat genug gelitten, es ift Zeit, daß ihr ein Räder erftehe! Der Herr Major von Brandt! meldete der eintretenvde Lakai. Führen Sie den Herrn in den Salon, fagte Mariane raſch. Ich komme ſogleich. Sie warf noch einen letzten triumphirenden Blick in der Spiegel und verließ dann raſch das Toilettenzimmer. Madame Camilla ſchaute ihr mit finſterm Grollen nah. Jetzt "588 weiß ich, wen ich benachrichtigen muß, murmelte fie. Es geht den. franzdſiſchen Commandanten. an, id muß nur genau aufmerten, daß ih noch) mehr erlaufhe, und dem Herin Franzoſen recht viele und bedeutende Nachrichten bringen kann. Je beffer die Nachrichten, deſto beſſer das Geld. | Mariane war indefjen in den Salon gegangen. Ein hochgewach⸗ jener ältlicher Herr in üfterreihifcher Uniform, mit den Majors-Epau- letten auf den Schulter, trat ihr entgegen, und neigte fih, um die Hand, die fie ihm darreicte, ehrfurchtsvoll an feine Rippen zu brüden. Mariane begrüßte ihn mit einem bezaubernden Lächeln. Sie haben mich alfo ganz vergeflen, Herr Major? fragte fie. Es bedurfte meiner Bitte, um Sie zu veranlaffen, mein Hötel einmal wieder zu betreten? Ih wußte nicht, gnädigſte Prinzeffin, daß ih es noch wagen pärfe, vor Ihnen zu erſcheinen, fagte der Major ehrfurätsvol. Als ih das legte Mal die Ehre hatte, Ihnen meine Aufwartung zu machen, traf ih Ew. Durchlaucht im Kreife Ihrer angefehenen Freunde, bie ih früher auch die meinen nennen durfte. Aber Niemand hatte für mid ein Wort der Begrüßung, ein freuntliches Yächeln, und Ew. Durch⸗ laucht felber ſchienen mich den ganzen Abend gar nicht zu bemerfen. Jedesmal, wenn ich es wagen wollte, Ihnen zu nahen, wandten Sie Sid) ab, und begannen mit irgend einem Naheftehenden ein jo eifriges Geſpräch, daß ich mich nicht unterfangen durfte, daſſelbe zu unterbrechen. Id zog mid alfo zurüd, Schmerz und Verzweiflung im Herzen, denn ich glaubte die Gewißheit zu haben, daß. Ew. Durdlaudt mich für immer aus Ihrem Salon verbannen wollte. Und Sie tröfteten fi über die Verbannung in dem Salon des franzöfifhen Commandanten, den der große Kaifer Napoleon der guten Stadt Wien gegeben, nit wahr, fo ift e8? fragte die Prinzeffin mit einem ſchalkhaften Lächeln. Und Sie wären niemals wieder zu mir efommen, wenn id nicht den fühnen Entſchluß gefaßt hätte, Sie zu mir einzuladen? | Sie haben mid durch dieſe Einladung zu dem glücklichſten ber Sterblidyen gemacht, gnädigfte Prinzeffin, rief der Major emphatiſch. Sie haben mir die Thore des Koradiele® wieder geöffnet, während 588 ih in meiner Verzweiflung glaubte, daß dieſelben mir für immer ge— ſchloſſen ſeien! Geſtehen Sie nur, Herr Major, lachte Mariane, daß Sie auch nicht: Den geringſten Verſuch machten, zu ſehen, ob dieſe Pforten nur angekehnt, ober ob fie wirklich verjchlofen feien! Wie die Dinge jegt flehen, dürfen wir ganz ehrlich und offen mit einander reden. Sie bieltew mich für eine enragirte Batrietin, für eine jener wüthenden Franzoſenfeindinnen, Denen Napoleon nicht der Held und der Genius, fondern der Tyrann und hen Urſurpator if. Sie glaubten, weis ich mit Low: Baget und Seren: von Gens, mit den Yürftinnen Carolath une Kurs, mit: der Greifen Colloredo und dem Grafen Cobenzl im vielfacher und freundlicher Berbindung ftant, fo müßte auch meine Ge- finmung gennu mit der ihrigen übereinftimmen? 3a, Durchlaucht, in der That, das glaubte idy, ſagte Majou von Brandt, und ba: fie die: Wahrheit verlangen, nun denn, deshalb wagte ic es nicht, wieder in Ihrem Salon zu erſcheinen. Ich. habe es niemals verleugnet, Daß ich zu den enthufiaftifchen Bewunderern viefes großen Mannes gehöre, der jegt mit. hallendem Siegerfchritt über die Welt dahin fihreitet, und ſie fi; unterthänig macht, weil Gott ihn dazu be- ftimmt bat, ihr Herr zu fein. Ich habe daher audy die Bermeflenheit Derer, welde unfern erlaudten und edlen Kaiſer Franz zum Krieg gegen den fiegreihen Helden aufreizten, niemals begriffen, und ic, fegne, als ein echter und aufridjtiger Patriot, jett die Fügungen des Schickſals, weldes uns zwingt, mit dem großen Napoleon Frieden zu machen, denn nur im Frieden und in der Eintracht mit Frankreich wird das Glück Defterreih wieder erftehen. Der Krieg gegen Frankreich hat uns die Barbarenhorden Rußlands nad) Deutjchland gehett; nach ge- jchloſſenem Frieden wird Frankreich uns behülflich fein, diefe unfaubern und unwilllonmenen Säfte wieder aus Deutſchland zu verjagen. Mariane hatte ihm lächelnd zugehört, und mit dem Ausdruck voll- kommenſter Zufriedenheit. Nur einmal war ein flüchtiges Roth, wie vom Aufwallen innern Zorns, über ihr Antlig bingeflattert, nur. einen furzen Moment legte fi ihre Stirn in püftere Falten, aber fie unter- brüdte dieſe Regung ſchnell, und erſchien heiter und lächelnd wie zuver. 590 Ih ftimme ‚Ihrer Meinung volllommen bei, lieber Major, fagte fie mit einem anmuthigen Neigen ihres Hauptes. Ew. Durchlaucht ftimmen mir bei? rief der Major freudig erftaunt. Zweifeln Sie noch daran? fragte fie. Habe ich es denn. gemacht, wie alle meine Freunde, wie felbft Lord Paget und Gent es gemacht haben? Bin ich entflohen, weil der Kaifer Napoleon mit feiner Armee feinen Siegerſchritt hierher nah Wien gelenkt hat? Nein, ich bin ge- blieben, ihnen allen zum Entjegen, ich bin geblieben, obwohl dieſes Bleiben mich um zwei meiner theuerften Freunde gebracht, und mid anf immer mit Lord Paget und Herrn von Geng entzweit hat. Ich bin geblieben, weil ich endlich der glühenden Sehnſucht meines Herzens nicht wieberftehen konnte, weil ich endlid den Helden von Angeficht zu Angeficht fehen wollte, ven Helden vor dem bie ganze Welt fidy beugt! — Über fehen Sie nur, da kommt mein Kammerbiener, um mir zu melden, daß mein Frühftüd fervirt ift. Sie müſſen es ſich heute fchon gefallen laſſen, mein Gaft zu fein, und mit mir zu bejeuniren. Sie nahm des Arm des Majors und ließ fih von ihm in den Speifefaal führen. Im der Mitte deffelben war eine Tafel fervirt, und berrlihe Bafteten, glühende Südfrüchte und wärzige Salamis dufteten von derfelben dem angenehm überrafchten Major entgegen, wäh- rend aus den weißen Caraffen ihm goldener Aheinwein und der tiefpunfle Tolayer zu winken jchien. Auf elaftifchen, weichen Lehnftühlen nahmen fie an der Tafel Plag, und eine Zeitlang ftodte die Unterhaltung, denn die Pafteten und bie übrigen würzigen Speifen forderten ihr Recht und ihre Zeit. Der Major war ein keidenfchaftliher Verehrer der Tafelfreuden, und er genoß diefelben mit dem tieffinnigen Nachdenken und der unerfchütter- lihen Ruhe eines Weifen. — Die BPrinzeffin würzte ihm. außerdem den Genuß durch ihre von Geift und Laune fprühende Unterhaltung; . fie war unerſchöpflich an pikanten Anechoten, an heiterm Wig, fie wußte mit feltener Meifterhand von den Freunden und Bekannten Portraits zu entwerfen, von denen man nicht wußte, ob man mehr bie frappante Aehnlichkeit, oder die boshafte und fanglante Characteriftif bewundern follte. 591 Als man zum Defert gelangt war, winkte die Prinzeffin ven Lafaien den Saal zu verlaffen, und fie blieb jest allein mit dem Major. Mit eigener hoher Hand ſchenkte fie ihm felbft von dem buftenden Syrakuſerwein ein, und bat ihn das Glas zu leeren auf das Wohl des großen Napoleon. | Und Ew. Durchlaucht wollen mir nicht die Ehre erzeigen, mit mir anzuftoßen ? fragte ber Majer, anf das leere Glas der Prinzeſſin deutend. Sie ſchüttelte lächelnd ihr Haupt. Ich trinfe niemals Wein, fagte fie, der Wein ift für mid) mie ein Zauberer, der plöglid die Maste von meinem Antlig fortreißt, und meine Lippen zwingt, die Wahrheit zu ſprechen, welche fie fonft- vielleiht immer verfchweigen würben. Aber dies Mal will ich dod eine Ausnahme machen, dies Mal will ih mein Glas füllen, denn es gilt auf das Wohl des großen Kaifere anzuftoßen. Schenken Sie mir ein, und jest ftoßen wir an und rufen: e8 lebe Napoleon der Große: - Sie trank von dem glühenden Süpwein, und ihr Wort erfüllte fih. Der Wein nahm bie Maske von Ihrem Angeficht, und löfte das Band ihrer Zunge. Ä Ihre Augen glänzten zebt im Fener der Begeiſterung, und wie ein Strom der glühenbften Poefie floß das entzüdte Lob Napoleons von ihren purpurnen Lippen. Sie war wunderſchön in ihrer fehwärmerifchen Gluth, mit der flammenven Röthe auf den Wangen, mit den feuerbligenden Augen und den zudenden Lippen, deren füßes Lächeln zwei Reihen perlen- weißer Zähne fihtbar werben lief. Oh, rief der Major, ganz bezaubert von ihrem Anblid, warum ift der große Kaifer nicht hier, warum hört er nicht Ihre bezaubernden Worte, warum ift es ihm nicht vergönnt, Sie in Ihrer ftrabhlenden Schönheit bewundern zu können! Warum ift es mir nicht vergönnt, zu ihm zu eilen, um zu feinen Füßen nieberzufinfen, und ihn anzubeten! rief Mariane begeiftert. Warum darf ih nicht eine felige Stunde bes Glücks vor ihm auf meinen Snieen liegen, um mit meinen glühenden Thränen den Haß, 99% ber früher meine Seele gegen ihm erfüllte, abzubitten, und ihm zu befennen, daß mein Haß fich in grenzenloje Liebe, in glühende Anbetung -verwandelt hat! Mein Gott, mein Gott, we finde ih den Freund, der ich meiner Sehnſucht erbarmt,. der mir die Wege bahnt, welde zu ihm geleiten. Ich würde einem foldhen Freund jede Minute meines Slüdes, jede Minute, die ich in ver Nähe des großen Kaiſers zubringen dürfte, mit einen Goldſtück belohnen. Sprechen Sie im Ernft, Durchlaucht fragte der Major ernft, faft feierlich. Im vollen, heiligen Ernſt, betteneie Mariane Ein Goldſtück für jeve Minute eines Rendezvous mit dem Kaiſer Napoleon. Nun denn, fagte der Major. freudig, id) werde Ihnen vieles Rendezvous verfhaffen, Durchlaucht, und Ihre Schönheit und bezau- bernde Anmuth wird machen, daß ner Kaijer nicht die Minuten, nicht die Stunden zählt, fondern daß nur ich. her Sfüdlihe bin, welcher vie Stunden nah Minuten zu berechnen hat. - | Nicht nah Minuten, fondern nad: Goldſtücken, rief Mariane, deren Antlitz ſtrahlte von Glück und Luſt. Oh, Sie ſehen mich zwei⸗ felnd an. Sie glauben ich ſpreche nur im Scherz, und ich werde im Ernſt nicht halten, was ich verſprochen habe? Gnädigſte Prinzeſſin, ich glaube, Raß der Enthuſiasmus Sie hin⸗ geriſſen hat zu einem Verſprechen, welches anzunehmen ein Mißbranch Ihrer Großmuth wäre. Wenn der Kaiſer, gefeſſelt von Ihrem Geiſt, Ihrer Schönheit, Ihrer hinreißenden Unterhaltung, zum Beiſpiel nun vier Stunden in Ihrer Geſellſchaft verweilte, jo wäre es ſchon eine hübfche Anzahl von Golpftüden für mid. - , Mariane nahın ftatt aller Antwort Die filberne Klingel und ſchellte. Papier, Feder, Dinte, ein brengendes Licht und Siegellack, befahl fie dem eintretenden Kammerbiener.: In wenigen Minuten war Alles herbeigefchafft, und Mariane fchrieb haftig einige Zeilen. Dann z0g fie den Siegelring von ihrem Finger und brädte ihr Siegel unter das Papier, weldhes fie alsdann dem: Major darreichte. Leſen Sie laut! ſagte ſte. 593 Der Major las: Ich Endesunterzeichnete verfprehe dem Major von Brandt, daß, menn bderfelbe mir eine Aubienz bei dem Kaiſer Napoleon verſchafft, ich ihm für jede Minute, welche dieſe Audienz dauern wird, einen Louisd'or als Zeichen meiner Dankbarkeit zahlen werde. Mariane, Prinzeſſin von Eybenberg. Sind Sie jufrieben und überzeugt? fragte die Prinzeffin. Ich bin es, Durchlaucht! Und. Sie wollen und können mir diefe Audienz verfhaffen? Ich will und kann es! Wann werden Sie mich alſo nach Schönbrunn geleiten? Der Major beſann ſich eine Zeit lang und ſchien zu überlegen und zu berechnen. Ich hoffe, daß ich Ew. Durchlaucht ſchon morgen Abend eine Zuſammenkunft mit dem Kaiſer verſchaffen kann, ſagte er. Ih bin ziemlich befreundet mit dem Palaſtpräſidenten Herrn von Bauſſet, und kenne auch den Kammerdiener Conſtant ziemlich genau. Das ſind die beiden Canäle, durch welche der Wunſch Eurer Durchlaucht ſehr leicht bis zu dem Kaiſer gelangen wird, und da Se. Majeſtät ein großer Bewunderer weiblicher Schönheit iſt, fo wird er ſicherlich freudig bereit ſein, die erbetene Audienz Ew. Durchlaucht zu bewilligen. Werden Sie mir heute noch beſtimmte Nachricht bringen? fragte Mariane. Ja, Prinzeſſin, heute noch! Ich werde ſogleich nach Schönbrunn fahren. Der Kaiſer iſt ſeit geſtern Abend dort. So eilen Sie, ſagte Mariane, ſich von ihren Sig‘ erhebend. Eilen Sie nad Schönbrunn und bedenken Sie, daß ih Ihre Wieber- kehr mit zitternder Ungebuld und Sehnſucht erwarte! | Sie reichte dem Major ihre Hand dar. Mein Gott, Durdlaudit, tief er erfchroden, Ihre Hand ift falt wie Marmor. AU mein Blut ift da! fagte fie, auf ihr Herz deutend. Eilen. Sie nach Schönbrunn! Er drückte einen Kuß auf ihre Hand und verabſchiedete ſich. Mariane ſah ihm lächelnd nach, bis die Thür ſich hinter ihm ſchloß. Dann veränderten ſich ihre Züge und ein Ausdruck des Ab⸗ ſcheus und der Verachtung ſprach aus ihnen. Mühlbach, Napoleon. I. Bb. 38 594 Ob, diefe elende Menfchenrace, dieſe Fäuflihen Seelen, murmelte fi. Sie bemeflen Alles nah ihrem Mafftab, und verftehen nicht, was eine große Seele will und wänjdt. Fluch allen Denen, welde ihr Baterland verrathen und zu feinen Feinden fih belehren können. Der Zorn Gottes und die Beratung der Menfchen möge fie ftrafen! Mir aber follen die Verräther als Werkzeug dienen, damit ich durch fie das heilige Werk vollende, weldes das Unglüd Deutfhlands mir auferlegt bat. Ich will mein Haus beftellen, damit ich bereit bin, wenn die Stunde gefommen ift! — Madame Kamille hatte wohl Recht: es ging in der That etwas vor und fie hatte wichtige Nachrichten für den franzöfiihen Comman⸗ banten einznfammeln. Die Prinzeffin Enbenberg war feit ihrer Unterredung mit dem Major in einer fieberhaften Erregung und Ungeduld, melde fie ruhelos durch alle Zimmer trieb. Endlich gegen Abend kam der Major wieder, und die Nachrichten, die er gebracht hatte, mußten fehr erfreulicher Art gewefen fein, denn das Antlig der Prinzeffin war ſeitdem freude- ftrablend und ein wunderfames Lächeln umfpielte ihre Lippen. Die ganze folgende Naht war fie mit Schreiben bejchäftigt und Madame Camilla, fo wie bie Kammerfrau barrten vergeblich auf den Ruf ihrer Herrin; die Prinzeffin ‚verließ gar nicht ihr Gabinet und ging gar nicht zu Bett. Im ber Frühe des nächſten Morgens fuhr fie aus, und Madame Camille, welde bie Prinzeſſin fonft immer auf ihren Fahrten begleiten mußte, erhielt die Weifung, zu bleiben. Als Mariane nad) einigen Stunden wiederfehrte, war fie bleih und erſchöpft und man ſah es ihren Augen an, daß fie geweint hatten. Alsdann famen Beamte des Gerichts, welche vie Prinzeffin zu fprechen begehrten, indem fie fagten, daß fie von derfelben befohlen feien. Die Prinzeffin ſchloß fih mit ihnen in ihrem Cabinet ein, und erft nad einigen Stunden zogen ſich die Gerichtsbeamten wieder zurüd, — Bei dem Diner, zu dem die Prinzeffin gar feine Gäfte hatte zulaffen wollen, berührte fie faum die Speifen und ſchien in tiefe Gedanken verfentt. Bald nad) ver Tafel begab fie fi in ihr Toilettenzimmer, und zie war fie in der Wahl ihres Anzugs fo zweifelhaft und forgfam 595 gewejen, als eben heute, nie hatte fie ihre Toilette mit folder Auf merkſamkeit und Genauigkeit überwadt. Endlich' war das Werl vollendet und ſtrahlend ſchön war die Prinzeffin anzufchauen, in dieſem purpurrothen Sammetgewande, das in einer langen Schleppe hinter ihr ber raufchte und das unter dem vollen, nur halb mit golddurchwirkten Spigen verhüllten Bufen von einem breiten, goldenen Gürtel zuſam⸗ mengebalten ward. Ihr Haar, das in einigen leichten, ſchwarzen Ningelloden à la Josephine ihre breite, griehifhe Stirn umrahmte, war in einem griechijchen Knoten zufammengefaßt, aus dem lange Trauben von Perlen und Brillanten hervorquollen. Ein ähnlicher Schmuck umgab ihren ftolzen Hals und die herrlid, geformten fchnee- weißen Arme. Ihre Wangen waren heute von durdfichtiger Bläffe, und in ihren großen ſchwarzen Augen glühte ein düſteres, unheil⸗ volles Feuer. Schön war fie anzuſchauen, ſtolz und unheilsvoll wie Judith, welche ſich geſchmückt hat, um in das Zelt des Holofernes zu gehen. Und daran dachte Madame Camilla, als ſie jetzt die Prinzeſſin in dieſer ſtolzen Schönheit, mit dieſem ſtrengen feierlichen Ausdruck ihres Angeſichts durch das Zimmer dahin ſchreiten ſah. Daran dachte Madame Camilla, als ſie ſah, wie die Prinzeſſin jetzt aus einem Käſtchen, das ihre Geſellſchafsdame ſonſt nie bei ihr geſehen, einen länglichen blitzenden Gegenſtand hervorholte und ihn haſtig in ihrem Buſen verbarg. War das vielleicht ein Dolch und wollte die Prinzeſſin, eine zweite Judith, hingehen, einen zweiten Holofernes in ihren liebreizenden Armen zu tödten? Jetzt meldete der Kammerdiener, daß der Major von Brandt die Prinzeſſin im Salon erwarte und daß der Wagen vorgefahren ſei. Ein leiſes Zittern durchflog die ganze Geſtalt der Prinzeſſin und ihre Wangen wurden noch bleicher als zuvor. Sie befahl dem Kammer⸗ diener hinauszugehen und bedeutete dann mit einem ſchweigenden Wink ihrer Hand Madame Camilla, ihr Mantel und Hut darzureichen. Stumm gehorchte dieſe. Als die Prinzeſſin jetzt fertig und zur Abfahrt 38* 596 bereit war, wandte fie fih an Camilla, und einen koftbaren Brillant- ſchmuck von ihrem Finger ziehend, reichte fie ihr denfelben bar. Nehmen Sie diefen Ring als Andenken von mir, fagte fie. Ich weiß, Sie find eine gute und begeifterte Defterreicherin, Sie haffen gleich mir den Tyrannen, Der uns unterjohen will, Sie werben bie Hand fegnen, weldhe ihm Stillftand gebietet und ihn aufhält in feinem Siegeslauf.*) Leben Sie wohl! | Sie nidte ihr noch einmal zu und verlieh das Gemach, um ſich ‚in den Salon zu begeben, wo Herr von Brandt fie erwartete. Kommen Sie, fagte fig baftig, es ift die höchſte Zeit. Sie haben doch eine Uhr bei fi, um die Zeit berechnen zu können? Ya, Durdlaudt, fagte Herr von Brandt lächelnd, ich habe meine Uhr bei mir und ich werde die Ehre haben, fie Ihnen zu zeigen, bevor Sie in das kaiſerliche Cabinet eintreten. Marione erwiberte nichts, fondern durchſchritt haftig das Gemach, um fich hinunter zu begeben zu dem bereitftehenden Wagen; Herr von Brandt eilte ihr nad und bot ihr den Arın. Madame Camilla, welder fein Wort ihres kurzen Geſprächs mit Herrn von Brandt entgangen war, folgte der Prinzeſſin die Treppe hinunter und blieb demüthig vor derſelben ftehen, bis die Prinzeffin mit ihrem Begleiter eingeftiegen und der Wagenfchlag gejchloffen war. Kaum aber war die glänzende Equipage der Prinzeffin aus dem Hof ihres Hötels dahin gerollt, al Madame Camilla auf die Straße eilte, einen Fiacre beftieg und ihm befahl, fo jchnell die Pferbe zu laufen vermöchten, nad) der franzöſiſchen Commandantur zu fahren. *) Memoires du Duc de Rovigo. II. 238. 597 VI. Ber preußiſche Geſandte bei Rapoleon. Napoleon hatte das Schloß Auſterlitz verlafien und weilte ſeit einigen Tagen wieder in Schönbrunn bei Wien. Das Luftfhloß der großen Raiferin Maria Therefla war jetzt die Reſidenz Defien, welcher den Enkel Maria Thereſia's aus feiner Hanptftabt vertrieben, feine Armee gefchlagen hatte, und eben im Begriff war, ihm einen Trieben zu bictiren, deffen Bedingungen für eine neue Niederlage. Defterreiche, und einen neuen Sieg Frankreichs gelten konnten. In Preßburg waren die Abgeordneten Defterreihs und Frankreichs. fhon verfammelt, um diefen Frieden zu Stande zu bringen, unb in jeder Stunde famen Couriere nad) Schönbrunn, welche dem Raifer den Verlauf der Unterhandlungen meldeten und feine Befehle einzu⸗ holen hatten. Aber während Defterreich jegt, nach der unglüdlihen Schladht vom zweiten ‘December, mit Napoleon um den Frieden verhandelte, befand fi der preußifche Abgefandte, Graf Haugmwig, weldher Napoleon die drohende Erklärung Preußens überbringen follte, noch immer unter- wege, oder hatte wenigftend noch immer nit dazn kommen fünnen, feine Depefhe an den Kaifer abzugeben. In dieſer Depefche forderte Breußen, im Einverftändnig mit Rußland, daß Napoleon Italien und Holland herausgebe, und beide Länder gleidy Deutjchland in feiner Unab⸗ hängigkeit anerkenne. Preußen verftattete Frankreich eine vierwöchentliche Frift, um diefen Vorfchlag zu überlegen, und wenn biefelbe alsdann abgelehnt würde, erklärte Preußen dem Kaifer Napoleon den Krieg. Dieſe vierwöcentliche Frift war am funfzehnten December abger laufen, und Graf Hangwitz, wie gejagt, hatte noch immer nicht dazu gelangen Können, die betreffende Depefhe dem Kaifer Napoleon zu überreichen. | Er war freilich fhon am fehften November von Berlin abgereift, aber ver Herr Graf liebte es, bequem zu reifen, und fi oft auszu⸗ 598 ruhen von den Strapaken ber Reife. Er hatte alfo immer jehr Heine Tagereijen gemacht, und fi in jeder größern Stadt, durch welche ihn fein Weg führte, mehrere Tage erholt. Vergebens war es gewefen, dag ihm Minifter Harbenberg, daß ihm die ruffifchen und öfterreichifchen Geſandten in Berlin Couriere über Couriere nahfandten, um ihn zur Beſchleunigung feiner Reife anzufeuern. Graf Haugwig erklärte, daß er nicht fehneller reifen könne, weil er ſich ſcheute zu fagen, daß er nicht fehneller reifen wolle. Er wollte aber nicht fchneller reifen, weil die Botſchaft, deren Ueberbringer er war, wie eine Centnerlaft ihn bedrüdte, und weil er von dem thatkräftigen Genie Napoleons überzeugt war, daß er durch irgend eine ſchnelle und große Siegesthat alle Verträge umftoßen, alle Standpunkte verändern, und ihn alfo der Mühe itberheben werde, ihm eine Depejche von jo berbem und feindlichem Inhalt zu überbringen. Dank feinem Zögerungsiyftem war alfo Graf Haugwitz erft am Tage vor der Schladht von Aufterlig zu einer erften Audienz bei Na- poleon gelangt. Aber ftatt dem Kaifer feine inhaltsvollen Documente zu überreihen, hatte er ſich begnügt, mit echter Höflingsgewa nbheit dem großen Feldherrn Weihraud zu ftreuen, und hatte.fih von ihm mit allen Gefchäften bis auf die Tage nach der Schlacht vertröften laſſen. Nah dem Tage der großen Schlacht hatte der Kaifer in Schön brunn den Abgefandten des Königs von Preußen empfangen, und ihm bie erjehnte Audienz gewährt. Mit zorniger Stimme hatte Napoleon ihn begrüßt, und ihm heftige Vorwürfe gemacht, daß er den Vertrag von Potsdam mit unterzeichnet babe. Aber Haugmwig hatte es ver- ftanden, durch eine böflihe Wendung den Zorn des Imperators zu beſchwichtigen, und ſich feine Geneigtheit wieder zu gewinnen. Seitdem war Graf Haugmwig täglih nah Schönbrunn gefommen, und Napoleon hatte ihn ſtets mit befonderer Güte und Huld aufgenommen. ‘Denn der Kaifer, weldher fehr wohl wußte, daß Dejterreih noch immer auf eine bewaffnete Dazwiſchenkunft Preußens hoffte, wollte die Entſchei⸗ dung Über das Schickſal Preußens wenigftens fo lange verzögern, bis der Frieden mit Oeſterreich abgefchloffen worden. Dann erſt, wenn Defterreich in den Staub getreten, wollte er daran denken, Preußen zu \ 599 ftrafen für den Uebermuth feiner legten Tage, und es zu demüthigen, wie er bisher alle feine Feinde gedemüthigt hatte. “Deshalb Hatte er den Grafen Haugwitz täglid empfangen, und ihn allmäligund unver: merkt für feine Pläne zu gewinnen gewußt. Auch heute am breizehnten December hatte fih Graf Haugwig nah Schönbrunn begeben, zur Audienz bei Napoleon. Er war in glänzenpfter Hofgala, geſchmückt mit dem großen Bande der Ehrenlegion, das er vor einem Jahr er⸗ halten, und das der preußifche Minifter befonders gern zu tragen fhien. ' Napoleon empfing den Grafen in dem früheren Wohnzimmer Maria Thereſia's, das.jegt das Arbeitözimmer Napoleons geworden war. Auf einem großen runden Tiſch in der Mitte des Zimmers lagen Landkarten ausgebreitet, mit verſchiedenen farbigen Nadeln beftedt; die grünen be- zeichneten die Etappenftraße, welche Napoleon für den Rüdzug des ruſſiſchen Heeres feftgefegt hatte, die punkelgelben umgaben die äußerften Grenzen Defterreihs, und je nad den Nachrichten, die Napoleon aus Preßburg erhielt, und die ihm immer neue Zugeftänbnifje und neue Länberabtretungen Defterreih8 brachten, veränderte er den Standpunft biefer Nadeln, welche täglich einen engern Raum umfaßten, während die blauen Nadeln, welche Baierns Grenze bezeichneten, immer weiter vorfchritten, und die rothen Nadeln, die Frankreichs Armee vepräfen- tirten in ungeheurer Zahl fih auf der Karte zu vervielfältigen ſchienen. Napoleon befchäftigte fich indeflen eben nicht mit den Karten, fon dern er ſaß, als Graf Haugmit zu ihm eintrat, vor dem dicht neben den Karten aufgeftellten Schreibtifch, und war, wie es ſchien, eifrig mit Schreiben befhäftigt. Auf dem erhöhten hintern Rande dieſes Schreib tiſches waren die Büften Friedrih8 des Großen und Maria Thereſia's ‚aufgeftellt. Zu ihnen bob Napoleon zuweilen, wenn er inne hielt im Schreiben, den düftern Blid empor, und dann war es, als ob diefe drei Häupter, die zwei marmornen Büften und das eherne Cäfarenhaupt Napoleons, ſich drohend zu einander neigten, und als ob die Dlige, bie in Napoleons Augen leuchteten, auch in den Marmoraugen der Kaiferin und des großen Königs das Teuer des Lebens und des Zorns ent- zündeten; ihre düſtern Stirnen fchienen ihn dann zu fragen, mit welchen Recht der Sohn des corfiihen Advokaten einen Sit zwifhen ihren 600 beiden gefrönten Häuptern genommen, mit weldem Recht er den legi- timen Kaifer von Defterreih aus dem Haufe feiner Väter verprängt habe? As Graf Haugwig eintrat, warf Napoleon die Feder ungeftüm fort und fland auf. Mit einem leichten Kopfniden- begrüßte er den Grafen, der fihttieffund ehrfurchtsvoll vor ihm verneigte. Sie find da, fagte der Raifer freundlich, das nenne ih Glück haben; ich erwartete Sie mit Ungeduld! Süd? fragte Graf Haugwig mit feinem gelungenften Höflings- lächeln. Glüd, Sire? Es fcheint mir, daß es weder Glüd noch Un- glüd in der Welt giebt, ja ich bin davon jest mehr als jemals über- zengt! Habe ich nicht mehr als hundert Mal fagen hören: Er iſt glüdlih! Er bat Glück! Seitdem id den großen Mann kennen ge- lernt babe, der Alles durch fich jelbft if, habe ich mich überzeugt, daß das Glüd nicht mitzählt und entfcheidet. Napoleon lächelte. Sie find ein feiner und gewandter Cavalier und Hofmann, fagte er, aber es ift für die Fürſten eine Regel ber Weisheit, daß fie ven Worten der Höflinge und Schmeichler nicht trauen bürfen, fondern immer fie in das Gegentheil überſetzen müffen. So überfege ich denn auch Ihre Schmeichelei in ihr Gegentheil, und - dann lautet fie: e8 fcheint leider, daß das Glüd uns Andere, und be- fonders die dritte Koalition für immer verlaffen hat, und immer noch bei Frankreich bleiben will. Dh, Sire, rief Graf Haugwig mit dem Ton jchmerzlichen Vor⸗ wurfs, können Ew. Majeftät wirklich meine Ergebenheit und Bewun- derung bezweifeln wollen? War ih denn nicht der Erfte, welder Em. Majeftät, dem unüberwindlichen Sieger, zu den frifchen Rorbeeren Glüd wünfchte, vie er felöft "in rauher Winterzeit fi um die Helbenftirn geflochten? | | Es ift wahr, fagte Napoleon, Sie thaten das, aber Ihr Compli⸗ ment war für Andere beftimmt, das Schickſal hatte nur die Adreſſe defielben verändert.*) Bon Ihrer Aufrichtigkeit habe ich bis jetzt gar *) Napoleons eigene Worte, wie denn überhaupt dieſes ganze Geſpräch nur bie eigenen Worte des Kaifers und des Grafen Haugmwit enthält. Siehe barüber: Fragments des Memoires inedite du Comte de Haugwitz. Jena 1837. 601 feine Beweife, aber von Ihrer Zweideutigkeit deſto mehr, denn jeden» falls haben Sie doch den Vertrag von Potsdam mit unterzeichnet? Ih babe es gethban und ich rühme mich deſſen, fagte Graf Haugwig raſch. Ein Blid in das Herz Napoleons war hinreichend, um mid zu überzeugen, daß et, welher an der Spige menſchlicher Hoheit fteht, feine edle Seele von feinem andern Ruhm bewegt fühlte, als von diefem: der Menjchheit den Frieden zu geben und fo das große Werk zu vollenden, welches vie Vorſehung uns anvertraut hat. Worte! Worte! fagte Napoleon. Laſſen Sie mich endlich Thaten fehen! Die Vollmachten, welche Sie zu Mir geführt haben, find durch die Thatfachen vernidjtet werden, darüber find wir einverftan- den; inbefien, Sie find Minifter des preußiſchen Gabinets. Indem der König Sie zu mir fandte,. bat er Ihnen allein das Wohl feiner Monardie anvertraut, wir werben alſo fehen, ob Sie es verftehen, eine feltene, vielleicht nie wiederkehrende Gelegenheit zu ergreifen und das Werk zu krönen, welches Friedrich der Zweite, troß feiner Siege, unvollendet gelaffen. Kommen Sie hierher und fehen Sie! Er trat rafch zu dem Tifh mit den Karten bin, und auf einen Wink feiner Hand flatterte Graf baugwit mit ſeinem unverwüſtlichen Lächeln auch zu ihm hin. —— Sehen Sie da, rief Napoleon auf die Karte beutend, das hier ift Sälefien, Ihr fpecielles Vaterland. Der König theilt es jetzt noch mit dem Raifer von Defterreih, aber: diefe ſchöne Provinz muß ganz zu Preußen gehören. Wir wöllen fehen und überlegen, was Ihnen davon: genehm fein Könnte, Gehen "Sie nur, folgen Sie meinem Finger! Er wird Ihnen bie neue‘ "Grenze des preußifchen Schlefiens bezeichnen! *) Und Napoleons Zeigefinger fuhr blihend wie eine Dolchſpitze über die Karten hin und umzirkelte den ganzen öſterreichiſchen Antheil an Schleſien von Teſchen bis zur ſächfiſchen Grenze und von der Berg⸗ fette von Jablunka bis dahin, wo das Rieſengebirge ſich in ber Laufitz verlänft als die künftige Grenzʒe ves preußiſchen Schleſiens.**) *) Napoleons eigene Worte. _ Fragmients indäita. S. 17. 2*) Memoires inedits. ©. 8. ° | 602 Nun, fragte er dann haftig, wäre das, nicht eine willlommene Ab- rundung Ihrer fchlefifhen Provinz? J Graf Haugwitz antwortete nicht ſogleich, ſondern blickte immer noch auf die Karte hin. Napoleons Adlerblick ruhte einen Moment auf ihm und flackerte dann hinüber Bu ben: Buſten Maria Thereſia's und Friedrichs des Großen. Oh, rief er mit einem Kächeln . des Triumphes, auf die Büſte Friedrichs deutend, der große Mann hätte meinen Vorſchlag ange⸗ nommen, ohne zu zaubern! - | Sire, jagte Graf Haugwig zögernd, aber die große Frau, die Maria Thereſia, würde es nicht ohne Weiteres zugelaſſen haben! Aber jetzt, rief Napoleon, jetzt ift feine Maria Thereſia da, um den König von Preußen zu hindern, jest bin ich da, und ich bewillige Ihrem König ganz Schlefien, wenn er fih im engen Bündniß mir anjchlieft. Bedenken Sie e8 wohl, können Sie für den Ruhm, der Sie erwartet, unempfindlich fein? Und wieder bohrten fih feine Augen wie wei Dolchſpitzen in das verlegene Angeſicht des Grafen. Sire, ſagte dieſer leiſe, Ihr Vorſchlag iſt lockend und wundervoll, aber jo viel ih Se. Majeftät ven König kenne, ih muß — Dh, unterbrad ihn Napoleon ungebuldig, es ift hier nicht Die Rede von dem König und feiner Perjon. Sie find Minifter, Ihnen liegt es ob, die Pflichten zu erfüllen, weldhe Ihre Stellung Ihnen aufs erlegt und den Moment zu ‚ergreifen, welcher nie wiederfehren wird! Man muß mädtig fein,..man kann es niemals genug fein, glauben Sie e8 mir und überlegen Sie darnach Ihre Antwort. Aber vielleicht, Sire, möchte e8 für ung beffer fein, unfere Macht⸗ vergrößerung auf einer andern Seite zu ſuchen, fagte Haugwitz. Auf der Seite Polens, oder. Frankreichs, nicht wahr? fragte Napoleon barſch. Ihr möchtet mir gern Mainz und Cleve und das Iinfe Rheinufer wieder entreißen, und Ihr thut ſchön mit Rußland und Defterreih, weil Ihr hofft, daß vie Euch vielleiht doch noch eines Tages dazu verhelfen könnten? Aber Ihr wollt e8 auch mit mir nicht verberben, weil e8 doch möglich ift, daß Eure Hoffnungen ſcheitern, und 603 weil Ihr dann meine Feinpfchaft fürchtet? Ihr Preußen wollt aber aller Welt Bundesgenoffe fein; das ift unmöglih, man muß ſich für mid oder für die Andern entjcheiven. Ich verlange Aufrichtigfeit, oder ich fage mich von Euch los, denn mir find offene Feinde lieber, als falfiche Freunde. Ihr König duldet in Hannover ein Corps von breißigtaufend Dann, welches durch feine Staaten hindurch die Ver⸗ bindung mit der großen ruffifchen Armee unterhält; das ift ein Act offner Feindſeligkeit. Ich aber, ich gehe meinen Feinden zu Leibe, wo ich fie finde. Wenn ich wollte, könnte ich für dieſe Unreblichkeit eine furchtbare Rache nehmen! Ich Könnte in Sclefien einfallen, Bolen zum Aufftand aufrufen und Preußen Schläge beibringen, von denen es fich nie wieder erholen würde. Aber ich ziehe es vor, das Vergangene zu vergefien und mic großmüthig zu zeigen! Ich will Breußen aljo eine vorübergehende Uebereilung verzeihen, aber nur unter einer Bedingung, und die ift: daß fi Preußen mit Frankreich durch unauflöslihe Bande vereinige, und als Pfand diefes Bundes verlange ich, daß e8 Hannover in Befig nehme. *) Site, rief Haugwiß freudig, dies war die wünſchenswerthe Länder⸗ vergrößerung, auf welche ich vorhin hinzudeuten mir erlaubte, und wie ich glaube, die einzige, welche das Gewiſſen des Königs ihm anzunehmen erlauben würde. Gut, nehmen Sie aljo Hannover, fagte Napoleon, id, übertrage meine Rechte auf dailelbe an Preußen; dafür tritt Preußen aber an Frankreich das Fürſtenthum Neufchatel und die Feſtung Weſel, an Baiern das Fürſtenthum Anſpach ab. | Aber Sire, rief Haugwitz erfchroden, Anſpach gehört durch Familien = verträge, die nicht angefochten werden Fünnen, zu Preußen, und Neuf- datel — | Keine Einwendungen, unterbrah ihn Napoleon rauh, es bleibt, wie ich gefagt. Entweder Krieg oder Frieden. Krieg, das heißt, ich zerſchmettere Preußen und werde für immer jein unverföhnlicher Feind; Frieden, das heißt, ich gebe Euch Hannover und empfange dafür *) Napoleons eigene Worte. Siehe: Fragments inedits. ©. 20. 604 Neufchatel, Wefel und Anſpach. Nun, entſcheiden Sie ſich rafch, ich bin des langen Zögerns und Hinhaltens müde, ich will endlich Ent- fheidung und Sie werden das Zimmer nicht eher verlaffen, als bis ich diefelbe habe! Sie haben. Zeit genug gehabt, zu bebenfen und zu überlegen, entfcheiden Sie ſich. Sagen Sie alfo furz und fchnell, was wollen Sie: Krieg oder Frieden? \ Sire, fagte Haugwitz flehend, was fann denn Preußen andere wollen, als Frieden mit Franfreich? Wahrhaftig, und es ift ein ſchönes Geſchäft, was Ihr da macht, rief Napoleon. Neufchatel ift für Preußen ein verlorner Poſten, über den es überdies nur oberflächlihe Hoheitsrechte bat. Ihr empfangt alfo dafür, für Wefel und für Anſpach mit feinen viermalhunderttaufend Einwohnern das Euch fo bequeme Königreid; Hannover mit mehr als einer Million Einwohnern! Ich glaube, Preußen fann mit feinem neuen Arrondiſſement zufrieden fein! Sire, fagte Haugwig, e8 wird befonders zufrieden jein, wenn es fid) die treue und mächtige Freundſchaft Frankreichs erwerben, und auf immer bewahren fann. Auf mein Wort können Sie rechnen, rief der Raifer, ich bleibe meinen Feinden, wie meinen Freunden treu. Jene zerſchmettere ich, tiefe fürdere ich, wo ſich mir bie Gelegenheit bietet. Wir wollen ung übrigens gegenfeitig beweifen, daß es Ernſt ift mit dieſem neuen Büntnif, und wir wollen die Bebigungen deſſelben fchon heute ſchriftlich feſtſetzen. Der Großmarſchall Duroc hat meine Weifungen bereit8 erhalten, und er wird Ihnen die einzelnen Bunte des Angriffs: und Bertheirigungsbiinpniffes zwilchen Frankreich und Preußen vor- legen. Ich bitte Sie, fi) zu ihm zu begeben und mit ihm das Nöthige zu befpreden, damit wir dann das Actenftüd unterzeichnen. Gehen Sie, mein lieber. Graf, und nehmen Sie zuerft meinen Glückwunſch, Sie haben in biefer Stunde Preußen einen wichtigen Dienft geleiftet, Sie haben e8 vom Verderben errettet. Ich würde es wie ein Spiel- zeug in meiner Hand zerbrodhen haben, wenn Sie meine: Freunbfchaft zurücgewiefen hätten. Gehen Sie, der Großmarfchall erwartet Sie! Er nidte dem betäubten, verwirrten Grafen einen Abſchiedsgruß 605 zu, und wanbte ſich wieder nach feinen Karten hin, auf dieſe Weife dem Grafen Haugwit jede Möglichkeit weiterer Erörterungen abfchnei- dend. Diefer fenfzte tief auf, und rüdwärts gehend, wandte er ſich langfam der Thür zu. Napoleon beachtete ihn gar nicht weiter, er ſchien ganz in feine Karten und Pläne. vertieft zu fein, nur als die Thür fih langfam hinter dem Grafen ſchloß, ſagte er leife: er wird das Bündniß unterzeichnen, und damit ift Defterreihs letzte Hoffnung gefallen! Jetzt werde ich in Preßburg entjchiedener auftreten, und Defterreich wird mir alle meine Bedingungen erfüllen, e8 wird mir die Niederlande, Venedig und Tos- kana abtreten müffen, denn jet kann e8 nicht mehr auf eine bewaffnete Dazwiſchenkunft Preußens rechnen. *) 3udith und Bolofernes. Napoleon war nody immer mit feinen Karten befchäftigt, und ver- änderte bald hier, bald dort den Stand der Nadeln. Zuweilen ward 0 *) Das Angriffs- und Vertheidigungsbündniß zwijchen dem Kaifer von Frankreich und dem König von Preußen fam ganz fo zu Stande, wie Napoleon e8 gewollt hatte. Graf Haugwitz, ohne weitere Inftruftionen von feinem Chef einzuholen, unterzeichnete es am 15. December, an demjelben Tage, an welchem er, dem Bertrag von Potsdam gemäß, Napoleon die Kriegserflärung Preußens übergeben ſollte. Durch den Abſchluß dieſes Bündniffes kam Defterreich aller- dings in die äußerſte Bedrängniß, und ſah fich gezwungen, die demüthigenden Bedingungen Napoleons anzunehmen, und am 26. December 1805 den „Frieden von Preßburg‘ zu unterzeichnen. Diefer beraubte Defterreich feiner ſchönſten Provinzen, mit denen Frankreich, Baiern, Wiürtemberg und Baden ſich be- reicherten. — Preußen erhielt freilich dich den Vertrag mit Frankreich Das Königreih Hannover, aber dies war doch nur ein illuforiiches Beſitzthum, das fih Preußen jedenfalls erft mit dem Schwert in ber Hand von England er⸗ kämpfen mußte. 606 er in feinen Studien unterbroden von Courieren, die nene Depeſchen aus Preßburg oder Franfreid brachten, und er Eehrte immer wieber zu feinen Karten zurüd, und fein Singer, der über diefelbeh hinfuhr, Löfchte, wie der Finger Gottes, Königreihe und Grenzen aus, um neue Länder und neue Staatenhäupter mit feinem Winken erftehen zu Lafien. Der Abend dunkelte bereits herauf, und ver Kaifer weilte nody immer in feinem Cabinet. Mehrmals fon hatte ſich die Thür leiſe geöffnet, und der Kammerbiener Conftant hatte mit fpähenden Augen herein geſchaut. Aber immer wieder, wenn er ben Kaifer fo eifrig be- Ihäftigt gefehen, hatte er ſich vorfidtig und unhörbar wieder zurüd- gezogen. Endlich indeß fchien er des langen Wartend und Zauderns müde; ftatt Diesmal wieder ſich zurüdzuziehen, trat er ein und ließ die Thür geräuſchvoll in's Schloß fallen. Dieſes Geräuſch machte, daß der Kaiſer heftig emporſchaute. Nun, Conſtant, was giebts? fragte er. Sire, flüſterte Conſtant leiſe, als fürchte er, die Wände könnten ihn belauſchen, Sire, die fremde Dame iſt ſchon ſeit einer Stunde hier, und wartet auf die verſprochene Audienz. Ah, die Gräfin oder Prinzeſſin, rief Napoleon leicht hin, die närriſche Perſon, welche behauptet mich früher gehaßt zu haben, mich jetzt zu lieben? Sire, fie ſpricht mit ſchwärmeriſcher Begeiſterung von Ew. Majeſtät! Ah bah, die Frauen lieben es, ſich für irgend Jemand zu be- geiftern, und ihr Herz in irgend einer Schwärmerei aufzubaufchen! Würden fonft wohl fo viele Weiber ins Klojter gehen, und den Herrn Chriftum ihren Bräutigam nennen? Aber wie beißt denn die Dame eigentlich, der es gefallen bat, fi für mich zu begeiftern? Sire, ich glaube, fie hat die einzige Bedingung gemacht, daß Em. Majeftät nicht nad ihrem Namen fragten! Der Raifer runzelte die Stirn. .Und man will mich bereben, die Namenlofe zu empfangen? Wer weiß, wel’ eine Abentenerin und Intriguantin fih da bei mir einfchleihen möchte, und in was für Zweden fie fommt? Sire, einer der treueften Anhänger und Bewunderer Ew. Mojeftät, > > 607 6 der Herr von Brandt, öfterreichticher Paper außer Dienft, burgt für ſie, und — In dieſem Augenblick ward die Ltr heftig geöffnet, und der Großmarſchall Duroc trat ein. Ah, Ew. Majeſtät find noch hier? rief er freudig. Ew. Majeſtät haben alſo die fremde Dame noch nicht empfangen? Nun, und was kümmert Dich das? fragte Napoleon lächelnd. Biſt Du etwa eiferſichtig? Dieſe Dame ſoll ſehr ſchön ſein! Sire, ſagte Duroc feierlich, und wenn ſie ſo ſchön wäre, wie Cleopatra, ſo dürfen Ew. Majeſtät ſie doch nicht empfangen! | Ich dürfte nicht? fragte Napoleon in ftrenger Betonung. Wer wollte e8 mir verbieten? Sire, die heilige Pflicht, welche Sie haben, ſich Ihren Völkern, Ihrem Reiche zu erhalten. Dieſe Dame, welche ſich mit ſo leiden⸗ ſchaftlicher Heftigkeit in die Nahe Eurer Majeſtät drängt, iſt eine ge⸗ fährliche Intriguantin, eine enragirte Feindin Frankreichs und Eurer Majeſtät. Napoleon warf einen triumphirenden Blick auf Conſtant hin, welcher bleich und bebend an der Wand lehnte. Nun, fragte er, willft Du fie noch vertheidigen? Dann, ohne Eonftant’8 Antwort ahzuwarten, wandte er ſich wieder an den Großmarſchall. Und woher haben Sie dieſe Nachrichten? Sire, der Commandant von Wien, Herr von Vincennes, iſt ſo eben in größter Eile hier angekommen. Sein Pferd fiel halbtodt zur Erde, als er in den Hof ſprengte. Er fürchtete, ſchon zu ſpät zu kommen. Wie denn, zu ſpät? Zu ſpät, um Ew. Majeſtät vor dieſer Dame zu warnen, welche offenbar gekommen iſt, um ein frevelhaftes Unternehmen auszuführen. Ah bah, wollte ſie mich etwa erworden? Sire, Herr von Vincennes behauptet das! Ah, rief Napoleon, ſich wieder zu Conſtant umwendend, haſt Du mir nicht geſagt, daß ſie mich ſchwarneriſch liebt? Iſt der Comman⸗ dant noch da? 608 Sa Sire, er fragt an, ob er die Dome nicht ſogleich verhaften und fie einem ftrengen Gehör unterwerfen fol? Napoleon ſchwieg einen Moment, und ſchien fih zu bedenken. Conftant, fagte er dann, rufen Sie dern von Vincennes hierher, ich will ihn ſelber ſprechen. Conſtant ſtürzte fort in den Vorſaal, und ehrte nach einer Minute zurück, um den Commandanten von: n Wien, Herrn von Vincennes, ein⸗ zuführen. Napoleon ging ihm haſig entgegen. Sie find gekommen, um mich zu warnen? fragte: er. raſch. Was haben Sie für Gründe zu dieſer Warnung? ln Sire, die allerbringendften Berbaditgrlinde Diefe Dame wird, feit ih in Wien bin, von meinen Agenten beobachtet und bewadht, meil fie der geiftige Mittelpunkt aller. gefährlichen und feinplihen Elemente Wiens if. Alle Yeinde Enrer Majeftät, alle fogenannten deutſchen Batrioten verfammeln ſich im. ihrem Haufe, und wenn wir fie alfo genau überwachten, wußten wir fo ziemlih Alles, was unfere Feinde unternahmen und thaten. Es war daher nothwendig, in ihrem Haufe felbft einen Agenten für uns zu finden, der mir täglid Bericht ab- ftattete, und ich war fo glücklich, die Geſellſchafterin der Dame für unſere Intereſſe zu gewinnen. Womit beſtachen Sie Ber Fra Napoleon Mit Liebe oder mit Gelb? Sire, Gott fei Dank, Hedurfte es nur des Geldes. Der Kaiſer lächelte. Die Perſon iſt alſo alt und häßlich. Sehr häßlich, Sire. Und ſie haßt ihre Herrin, weil ſie ſchön iſt? Denn nicht wahr, ſie iſt ſehr ſchön? | Außerordentlich ſchön, Sire,. ‚ein begaubernbee Weib, und alfo um defto gefährlicher. BE Napoleon zudte die. Achfeln Fahren Sie fort in Ihrem Bericht. Sie hatten alſo die Geſellſchafterin für Geld gewonnen? Ja, Sire, ſie führte ein genaues Journal über jeden Tag und jede Stunde, und überbrachte mir jeden Abend daſſelbe. Seit einigen 609 Tagen ſchien ihr das Benehmen ihrer Herrin beſonders auffallend, fie beobachtete fie deshalb genauer, und meine übrigen Agenten folgten ihr, fobald fie ihr Hötel verließ, in mandherlei Verkleidungen und anf jedem Schritt. Alle Anzeichen waren verbädtig genug und ließen darauf ſchließen, daß fie irgend ein Attentat beabfichtige. Aber ic) errieth noch nicht, auf wen ſich dafjelbe richten werbe. Da kommt vor zwei Stunden die Gefellfhafterin, um mir ihr Journal zu bringen und mir zu berichten, daß ihre Herrin foeben mit dem Major von Brandt ihr Hötel verlaflen habe, und daß fie nad, den legten Reben ihrer Dame vermuthen müſſe, fie habe fih nah Schönbrunn zu Ew. Majeftät begeben. Eben, wie ich noch überlegte, was zu thun fei, fam ein anderer meiner Agenten, welcher ven fpeciellen Auftrag hatte, den Herrn von Brandt zu beobadıten, denn obwohl biefer außerorbent- lid) ergeben erſcheint, traue ih ihm doch nicht. | Und daran thun Sie fehr wohl, fagte Napoleon ftrenge, Ber- räthern darf man niemals trauen, und diefer Herr von Brandt ift ein Berrätber, da er uns, den Feinden feines Vaterlandes, anhängt. Was für Nachrichten brachte Ihr Agent? Sire, mein Agent ließ durch einen feiner Leute, der ein ſehr ge- ſchickter Taſchendieb ift, dem Major feine Brieftafche ftehlen, als er eben in das Hötel der Dame gehen wollte. | Wahrbaftig, fagte Napoleon heiter, Ihre Agenten maden ihre Sache gut. Was fanden Sie in dem Tafchenbudh ? Liebesbriefe, un⸗ bezahlte Rechnungen, nicht wahr? Nein, Sire, ich fand darin ein wichtiges Document, eine Ver⸗ Schreibung, der gemäß bie Dame dem Major, wenn er ihr eine Audienz bei Ew. Majeftät verfchafft, für jede Minute der Dauer derfelben ein Solvftüd zahlt. Napoleon late. Die Dame ift alfo reich wie Cröſus? fragte er Ya, Sire, man fagt, daß die Prinzeffin — Prinzeffin, was für eine Prinzeffin? Sire, die Dame, welder Ew. Majeftät eine Aubienz bewilligt haben, ijt ja die Prinzeffin von Eybenberg. Prinzeffin von Eybenberg, wiederholte Napoleon ſinnend. Gabe Muhlbach, Napoleon. 1. Bb. W 610° ih denn dieſen Ramen nicht fchon einmal gehört? Ja, jetzt entfinne ih mich, fagte er nad kurzer Paufe leife, wie zu fich felber, die Agentin des Grafen von Provence, welche mir damals den Brief bradite, und die ich, aus Paris entfernte Haben Sie das Tagebuch der Geſellſchafterin und die übrigen. Papiere bei fih? fragte er dann den Commandanten. Zu Befehl, Sire, hier find fie Alle, erwiderte Herr von Vincennes, einige Papiere aus feinem Buſen hervorziehend. Hier ift auch bie feltfame Verſchreibung der Prinzeffin. Geben Sie ber, fagte Napoleon, und die Papiere nehmend, blät- terte er in ihnen, und las bier und da einige Zeilen. Wahrbaftig, fagte er dann, dieſe Geſchichte ift pilant, und fie fängt an, mich zu reizen. Conftant, wo ift die ‘Dame? | Sire, Herr von Bauffet hat fie in das Heine Empfangszimmer Eurer Majeftät gebracht und dort wartet fie. Gut, fagte Napoleon, fie bat lange genug gewartet, und fie möchte ungebulbig werben. Ich will alfo zu ihr gehen. Aber, Sire, tod nicht allein? fragte Duroc Ängftlid. Em. Ma⸗ jeftät werden mir. body erlauben, Sie zu: begleiten? Ab, Du bift neugierig, die gepriefene Schönheit zu fehen? fragte Napoleon lahend. Ein anderes Mal, Here Großmarſchall, diesmal gehe ich allein. Bedenken Sie nur, daß die ſchöne Prinzeffin mid) leidenſchaftlich liebt, und daß es fie alfo tödtlich beleidigen müßte, wenn ich zu einem Rendezvous mit ihr nicht allein käme. Er that einige Schritte vorwärts nad) der Thür bin. - Aber jett ftürzte Conftant zu ihm bin, und vor ihm nieberfnieend, rief er mit vor Angft zitternder Stimme: Sire, haben Ew. Majeftät Erbarmen mit mir! Segen Sie Ihr fo foftbares Leben nicht in Gefahr! Geben ' Sie mein armes Herz, weldhes Em. Majeſtät anbetet, nicht ewiger Verzweiflung Preis! Ich war es, der e8 zuerft wagte, Em. Majeftät zu bitten, diefe Dame zu empfangen. Jetzt, Sire, befhwöre ih Em. Majeſtät auf meinen Knieen, empfangen Sie diefe Dame nicht! Ih wage es, Sire, meine Bitten mit denen Conſtant's zu ver» einigen, fagte Duroc lebhaft. Sire, empfangen Sie diefe Dame nit. 611 Seftatten Ew. Majeftät mir vielmehr, fie ſogleich zu verhaften, rief Herr von Pincennes. Napoleon ließ feine flammenden Blide lächeln von einem Geſicht zum andern wandern. Wahrhaftig, fagte er, wenn man Euch hört, follte man vermeinen, diefe Schöne fei eine Pulvermine und man braude fie nur zu berühren, um in die Luft zu fliegen und zerfchmettert zu werden! Beruhigt Euch, wir werben wohl nod mit dem Leben davon fommen. Ihr habt mich gewarnt, und id) werde auf meiner Huth fein. Kein Wort, Feine Bitten weiter! Mein Entſchluß ift ge- faßt, ich will diefe Schöne fehen, und zwar allein! Sire, rief Conftant ängftlih, wenn nun diefe Wahnfinnige, indem . Em. Majeftät zu ihr eintreten, ein Piftol auf Ihr Haupt abdrückte? So würden die Kugeln wirkungslos vor mir nieberfallen, oder das Piftol würde verfagen, rief Napoleon mit dem vollften Ton ber Meberzeugung. Das Schidjal hat mich nicht hierher geftellt, um von eines Meuchelmörders Händen zu fallen! Gehen. Sie, meine Herren, und nehmen Sie meinen Danf für Ihren Eifer und Ihre Theilnahme. Herr von Bincennes, Tehren Sie nah Wien zurüd, Ihre Papiere behalte ich bier. Iſt Graf Haugwig noch bei Ihnen, Duroc? Ya, Sire, wir waren mit Abfafjung des Vertrages und deſſen einzelnen Paragraphen befchäftigt, als Herr von Pincennes mich rufen lieh. Kehren Sie zu dem Grafen zurüd, und Du, Conftant, gehe zu dem Herrn von Brandt, und zähle mit ihm die Minuten, weldye feine Dame in meiner Geſellſchaft zubringt. Es ift möglid, daß er jehr viel Goldſtücke verdient, denn ich denke die intereffante Schöne nicht fogleich wieder zu entlaffen. Er nidte leicht mit dem Kopf, und raſch das Cabinet durchſchrei⸗ tend, trat er durch die Thür, welche Conftant ihm öffnete. Haftigen Scährittes, und ohne weiter zu überlegen und zu finnen, durchſchritt er die beiden großen Empfangsfäle, und öffnete dann die Thür zu dem Heinen Salon, in weldhem, wie Conftant gejagt, die ‘Dame ihn erwartete. | Einen Moment blieb er auf der Schwelle ftehen, und feine bren- I %* 612 [4 nenden Blide wandten fih auf Mariane bin, welche bei feinem Ein- treten fih von dem Lehnftuhl erhoben hatte, auf welchem fie gefeflen. Es ift wahr, murmelte Napoleon leife vor fih hin, fie ift wirk⸗ lich ſchön! Er that einige Schritte vorwärts, dann, als erinnere er ſich jett erſt, daß er die Thür hinter ſich weit offen gelaſſen, kehrte er um, und ſchloß die Thür. Sie wollen mich doch ohne Zeugen ſprechen, nicht wahr? fragte er, ſich Mariane nähernd. | Sire, das Wort der Liebe und ber Anbetung verftummt gar leicht vor fremden Ohren, flüfterte Mariane, ihn mit‘ einem flammenden Blick anfehenn. Napoleon lächelte. Nun, warum haben Sie denn verfäumt, mir vorher das Wort der Liebe und der Anbetung zwifhen die Schultern zu jchreiben? fragte er. Ich kehrte Ihnen ja abfihtlih ven Rüden zu, ich wollte Ihnen Gelegenheit geben, Ihre heroifche That auszuführen. Wie? rief Mariane mit dem Ausdrud des Entjegens, Ew. Ma- jeftät zweifeln an mir? | Nein, fagte Napoleon lachend, ich zweifle gar nicht an Ihnen, ich bin vielmehr meiner Sache ganz gewiß! Ich weiß, daß Sie hierher gelommen find, um bie Bibel, deren Wahrheit man oft bezweifelt bat, in die Wirklichkeit zu überfegen. Sie beabfichtigten, das Capitel won der Yubith und dem Holofernes zu einer Tragödie unferer Zeit zu machen. Aber, wenn Sie au jchön und verführerifch find, wie die Judith e8 war, fo bin ih doc Fein Holofernes, welcher ſich von feiner Leidenſchaft beherrſchen läßt, und in den Armen eines Weibes der nöthigen Klugheit vergift. Ich bin niemald Sclave meiner Leiden⸗ ſchaften geweſen, Madame, und es ift nicht genug, daß ein Weib ſchön fei, um mein Herz gewinnen zu können, ih muß fie au achten fönnen, und ich würde niemals ein Weib hochachten können, welches den Ueberwinder ihres Vaterlandes liebte. Sie fehen alfo, daß ich fein Holofernes bin, und daß ich Ihnen meine Arme nicht geöffnet hätte, wenn ich Sie für eine verlorene Tochter Ihres Vaterlandes halten müßte. Aber ich weiß, dag Sie eine Patriotin find, und das ändert bie Sache, ich weiß, daR ich Sie hochachten darf, und ich fage 613 daher nicht, daß ih Sie nicht auch lieben kann, denn es ift wahr, Sie find bezaubernd ſchön. Sire, fagte Mariane glühend, wenn Sie mid nur empfangen haben, um mich zu beleidigen unb zu verhöhnen, fo bitte ich, daß Sie mir erlauben, zu gehen! Nein, ich habe Sie empfangen, weil ich Ihnen einen guten Rath geben wollte, ſagte Napoleon ernſt, ich bitte Sie alſo zu bleiben. Sie müſſen Ihre Dienerſchaft beſſer wählen, Madame, Sie müſſen ihr weniger vertrauen, und argwöhniſcher gegen fie fein, denn Sclaven- feelen find leicht zu verführen, und das Gelb ift ein Magnet, dem fte nicht widerftehen. Ihre Gefellfchafterin ift eine Berrätherin, hüten Sie fi) vor ihr! Sie hat mid alfo verläumdet und verbädtigt? fragte Marianne mit bebenden Xippen. Nein, fie hat Sie nur verrathen, fagte Näpoleon lächelnd. Selbft der Brillantring, den Sie ihr beim Abſchied überreichten, hat ihr Herz nicht gerührt. Willen Sie noch, was Sie zu ihr fagten, indem Sie ihn ihr gaben? Sire, wie joll ich das nody willen? fragte Mariane. Nun, ih will es Ihnen fagen, rief Napoleon, indem er bie Bapiere, welde Herr von Bincennes ihm gegeben, und die er noch immer, zu einer Heinen Role zufammengefügt, in ver Hand gehalten, auseinander fhlug. Hier fteht es. Sie fagten: „Ich weiß, Sie find eine gute und begeifterte Defterreicherin, Sie haſſen gleich mir den Tyrannen, ber uns unterjohen will, Sie werben die Hand fegnen, welde ihm Stillftand gebietet, und ihn aufpält ii in feinem Siegeslauf.” Run, war's nicht fo, Madame? Mariane antwortete nicht, ihre Wangen waren bleich, ihre Augen ftarrten entjeßt zu dem Kaiſer bin, der fie lächelnd betrachtete. Einen Moment vorher hatten Sie einen glänzenden Gegenftand in Ihrem Bufen verborgen, fuhr Napoleon fort. Diefer Gegenftand, ven Ihre Geſellſchafterin nicht genau erkannte, war ein Dolch, den Sie heute Vormittag gekauft hatten. Wollen Sie wiflen, wo? — Er blidte wieder in bie Papiere. und fagte dann: Sie kauften dieſen Dolch in = 614 einer Waffenhandlung am Kohlmarkt und zahlten vier Ducaten d afür. Sie tragen dieſen Dolch jetzt bei ſich, wahrhaftig, er nimmt eine be⸗ neidenswerthe Stelle ein, und ich könnte auf ihn eiferſüchtig ſein. Warum ziehen Sie ihn nicht hervor, und geben ihm die Stelle, welche Sie ihm beſtimmt haben? Glauben Sie etwa, was ſo viele Thoren von mir geſagt haben, daß ich ein Panzerhemd trage? Ich gebe Ihnen mein kaiſerliches Wort, meine Bruſt iſt unbewehrt, und eine Dolchſpitze wird keinen Widerſtand finden, wenn ſie überhaupt meiner Bruſt ſich nähern kann. Verſuchen Sie es doch! Mariane, welche, während ber Kaiſer ſprach, wie vernichtet auf einen Seſſel niedergeſunken war, erhob ſich jest raſch. Sire, fagte fle ftolz, e8 ift genug. Ihre Beamten erwarten mich ohne Zweifel ſchon in dem nächſten Gemad, um mid als eine Berbrecherin zu verhaften! Erlauben Sie, daß ich hingehe, mich ihnen zu übergeben! Sie wollte fih der Thür zuwenden, aber Napoleon faßte ihre Hand und hielt fie zurüd. Nicht doch, fagte er, unfere Zufammenkunft ift noch nicht beendet, fie dauert ja faum funfzehn Deinuten, bedenken Sie alfo, daß Herr von Brandt dann nur funfzehn Goldſtücke befäme. A, Sie fehen mid, erftaunt an. Sie wundern fi, daß ich auch das weiß? Sch bin indeß kein Zauberer, und die Sache geht ganz natürlich zu. Sehen Sie da die Berfchreibung, die Sie dem Herrn von Brandt gegeben haben! Er reihte Marianen das Papier dar, fie nahm es nicht, fondern betrachtete e8 nur mit einem flüchtigen Blid. Em. Meajeftät ſehen daraus, wie glühend mein Wunſch war, Ihnen nahen zu bürfen, fagte fie. Hätte Herr von Brandt mein halbes Vermögen für diefe Audienz bei Ew. Majeftät verlangt, ic würde es ihm mit Freuden gewährt haben, denn eine Stunde des Zuſammenſeins mit Ew. Majeftät ift mehr wertb, als alle Schäte der Welt. | Und dod wollten Sie mich jest eben fchon verlaffen? rief Na- poleon vorwurfsvol. Wie ungroßmüthig das gegen Ihren Yreund gewefen wäre, der mit Conftant im Borzimmer fteht und mit der Uhr in der Hand feine Goldſtücke berechnet. Wir wollen großmüthig fein, wollen ihm drei Stunden berilligen. Drei Stunden, das ift eime — 615 hübſche Zeit für ein Rendezvous; wenn Sie mid alsbann verlaflen, werden Sie Herrn von Brandt einhundert und achtzig Louisd'or zahlen und ich werde die Öratulationen meiner Bertrauten annehmen. Marianen's Augen flammten auf in Zorn und eine Purpurgluth überflog jest ihre Wangen. Sire, rief fie faft drohend, rufen Sie Ihre Beamten, lafjen Sie mid als eine Verbrecherin verhaften, laſſen Gie mid) tödten, wenn ich es verdient babe, nur laffen Sie mid, fort von bier. | Ä Ah, der Tod wäre Ihnen alfo lieber, als dag man glauben könnte, Sie hätten mir ein breiftündiges Liebesrendezvous bewilligt? fragte Napoleon. Freilich, dies Rendezvous, wenn es frievlih ausläuft und ohne den Eclat, den Sie in Ihrer Role als Judith fih davon ver- ſprachen, bringt Sie in Mißeredit bei Ihren Freunden! Ihre Partei wird Ihnen mißtrauen, wenn fie erfährt, daß Sie, nachdem Sie brei Stunden bei mir gemefen find, mitten in der Naht Schönbrunn ver« lafien haben, ohne daß man mich erboldt anf meinem Lager gefunden hat. Ich kann Ihnen dieſe Demüthigung nicht erfparen, aber fie fol pie einzige Strafe fein, die ih Ihnen auferlege. Sie bleiben bier! Sire, laflen Sie mic fortgehen, rief Mariane, und ih ſchwöre Ihnen, daß ich niemals wieder wagen will, Ihnen zu naben, ich fhwöre, daß ich in irgend einem ftillen Winkel in Zurüdgezogenheit leben will, jern von dem ©etreibe und der Bewegung der Welt. Oh, die Welt würde es mir nie verzeihen können, wenn id) fie auf diefe Weife ihrer jchönften Zierde beraubt hätte, fagte der Kaifer lächelnd. Sie find zu ſchön, um im Dunkeln und in der Berborgenheit leben zu können. Sie werden mir jegt drei Stunden jchenten, und es ſteht Ihnen frei,. die ganze Übrige Zeit Ihres Lebens aller Welt zu fagen, daß Sie mid hafjen, vorausgeſetzt, daß man dann auf an Ihren Haß glauben mag! Sie wollen mir alfo nicht geftatten, mich zu entfernen? fragte Mariane mit bebenden Tippen. Sie wollen, daß ich hier bleibe? Nur drei Stunden, Madame, dann mögen Sie gehen! Laflen Sie uns diefe Zeit benugen und ehrlih und offen zu einander fpreden. Bergefien Sie, wo wir find, denken Sie, wir wären zwei Partei- \ ! 616 häupter, die fi auf neutralem Boden begegneten und mit achtungs⸗ voller Offenheit einander die Wahrheit fagten, um dadurch vielleicht ben Frieden zu vermitteln. Nun alfo, jagen Sie ehrlih: Haſſen Sie mid wirklich fo fehr, daß Sie hierher kommen wollten, mich zu ermorden? Sie fordern Wahrheit von mir, rief Mariane mit zornbligenden Augen, nun denn, Sie follen fie von mir vernehmen! Ja, ich haſſe Gie, ih habe Ihnen damals in Paris, als Sie mich wie eine Ver⸗ bredyerin transportiren ließen, glühenden und unverföhnlichen Haß ge- Ihworen, und treu meinem Schwur fam idy hierher, um ein Werf zu vollbringen, welches für Deutfchland, ja für die ganze Welt eine Wohl- that fein würde. Sa, ich wollte Sie ermorden, ich wollte die Welt von dem Tyrannen befreien, der fie in Ketten legen will. Ya, ich hatte einen Dolch in meinem Bufen verborgen, um gleidy der Judith Sie zu tödten. Wäre mein Werk gelungen, fo würde vie Welt mich gefegnet und meinen Namen unter die Sterne erhoben haben, jet, da es miß- lungen ift, wird man mid verböhnen und verjpotten. — Jetzt habe ich Ihnen die Wahrheit gejagt und damit Sie nit daran zweifeln, ſehen Sie hier den Dolch, der für Ihre Bruft beftimmt war und den id) jett zu Ihren Füßen niederfchleudere als die Drachenſaat, aus der einft für unfere Sache bewaffnete Krieger hervorwachſen werden, um gegen Sie zu kämpfen. Sie zog den Dold aus ihrem Bufen hervor und warf ihn mit einer wilden Bewegung zu Napoleons Füßen nieder. Sire, fragte ſie dann mit flehender Stimme, werden Sie mich noch nicht vers haften laſſen? Weshalb? fragte Napoleon. Worte, von ſchönen Frauenlippen geiprochen, beleidigen niemals, und die Gedanken, welche nod nicht Thaten geworden, ftrafe ih nicht! Ihre Hände find rein von jeder Schuld und der einzige Verbrecher, welder fi) hier befinvet, ift dieſer Dold. Ich trete ihn unter meine Füße und er bat nicht mehr die Kraft, ſich wider mid) zu erheben! Er feste feinen Fuß auf bie blinfenbe Mordwaffe und ſchaute die, Prinzeffin mit durchbohrenden Blüten an. Movowe, fagte er, als Sie 617 das erfte Dial zu mir famen, war e8 der Graf von Provence, welcher Sie ſandte. Damals ſchickte er mir durch Sie einen Brief. War er es, der mir heute durch Sie einen Dolch fandte? Nein, beim ewigen Gott, ſchwöre ich Ihnen, er weiß nichts davon, rief Mariane. Niemand wußte um mein Unternehmen, ich hatte Feine Bertrauten und feine Mitſchuldigen. | Sie hatten nur Ihren eigenen Haß, Madame, fagte Napoleon finnend. Weßhalb haſſen Sie mich denn eigentlih? Was babe ich Euch Allen gethan, daß Ihr Euch von mir wendet? Weshalb ich Sie haſſe? fragte Mariane glühend. Weil Sie ge- fommen jind, Deutſchland in den Staub zu treten, es zu einer fran- | zöfifhen Provinz zu erniedrigen und uns um unfere Ehre, unfer Recht und unjere Selbftftänpigleit zu betrügen! Was Sie gethan haben, daß alle Gutgefinnten fih von Ihnen wenden? Sie habeıf Ihre beiligften Schwüre verrathen, Sie find ein Meineidiger geworden. Dh, das geht zu weit, rief Napoleon auffahrenn. Was hindert - mich denn — Mich verhaften zu lafjen? unterbrad ihm Mariane mit trogigem Stolz, thun Sie e8 dod! - Nein, ich werde Ihnen diefen Gefallen nicht thun! Reden Sie weiter. Sie fiehen mir gegenüber, als wären Sie die Germania felber, welche gelommen, mic anzullagen! Nun wohl, Hagen Sie mid an! Wann habe ic meine Schwüre verrathen? Bon dem Augenblid an, wo Sie die Fahne erhoben im Namen der Republik, weldye Sie ſtürzen wollten, von dem Augenblid an, als Sie die Völker zu fi riefen im Namen ber Freiheit, um fi über ihnen zu erheben, als ihr Tyrann und ihr Unterdrücker! Denen, welde uns die Despotie der Freiheit erhalten wollten, unter welcher Frankreich fo lange geblutet und gefeufzt hatte, benen war ich ein Tyrann, fagte Napoleon gelaffen, denen, welde den un- finnigen Gedanken hegten, die Bourbonen, unter welden Frankreich nicht minder lange geblutet und gefenfzt hatte, wieder zurüdführen, denen war ich ein Unterbrüder! Das Geſchlecht der Bourbonen hat ſich ausgelebt, e8 ift wie eine ausgebrädte Litrone, ‚deren welde Schaole 618 man verächtlich bei Seite wirft, weil fie feinen Inhalt und feinen Saft mehr bat. Glaubte man wirklich, ich hätte ein folcher Thor fein follen, die leere Schaale, welche Frankreich bei Seite geworfen, wieder auf- zulefen und fie mit einem Purpurmantel und einer Krone zu befleiden? Glaubte man, ich hätte, wie diefe Bourbonen und wie alle legitimen Fürften, nichts gelernt aus der Gefchichte und mich nicht belehren Laffen von den Beilpielen, die fie allen Denen entgegen hält, welche Augen haben zu fehen? Ich babe aus der Geſchichte gelernt, daß die Fürſten⸗ ſtämme vertrodnen, gleih den Baumflämmen, und daß es befier ift, den hohlen ausgetrodneten Stamm mit der Wurzel auszureißen, ftatt ihn noch langfam hinfiehend, vem Boden auf weldem er fteht, feine lettten Kräften ausfaugen zu lafjen. Sire, Sie reifen nicht bloß den ausgetrodneten Stamm aus, fon- dern mit der Art des Tyrannen beranbten Sie diefen Stamm aud feiner frifchen, grünen Zweige, rief Mariane. .: Ad, Sie meinen den Herzog von Enghien, fagte Napoleon ge- laſſen. Es war ein Act der Bolitit, welchen ich nicht bereue. “Die Bourbonen müſſen endlich erkennen, daß fie von mir nichts zu hoffen haben, daß Frankreich fie aufgegeben und ſich felber eine neue Zeit fhaffen wollte Ich fand an der Spige diefer neuen Zeit, und ich mußte die Stelle würdig einnehmen, auf welche die VBorfehung mid geftellt hat. Sie hat mid, erwählt zum Gründer einer neuen Dynaftie, und ein Tag wird fommen, wo meine Yamilie die erften Throne ber Welt einnimmt. *) Das heißt, Sie erllären allen Yürften den Krieg, vief Mariane. Den Fürften, ja, ſagte Napoleon, denn fie find lauter überreife Früchte, welche nur auf die Hand warten, die fie abſchütteln fol. Ich werde diefe Hand fein, und fie werden vor mir zu Boden fallen, und ih werde über ihnen immer höher emporfteigen. Sie nennen midy einen Eroberer, aber wie könnte ich denn jeßt inne halten, mitten im meinem Wert? Wenn ich jegt in meinen Eroberungen ftille ftände, und mein Schwert in bie Scheibe ftedte, was würde ich dann für viele *) Napoleons eigene Worte. Siehe: Le Normand II. 29. 619 Arbeit anders gewonnen haben, als ein bischen Ruhm, ohne mich dem Ziel meines Strebens genähert zu haben? Was nüßt es mir, bie Kriegsfadel über ganz Europa geſchleudert zu haben, wenn ic) mid nur damit begnügen wollte, Reiche umgeftürzt zu haben, und nicht auf feften Grundlagen mein Reich aufzubauen mid beeilte? Es tft nicht bie Geburt, welche Anſprüche anf: die Unfterblichleit verleiht! Der Mann, welher Muth befitt, welcher feinem Vaterlande gute Dienfte leiftet, und fih durch große Thaten verherrliht, der Mann bebarf feiner Ahnen, denn er ift Alles durch ſich felbft.*) Aber in den Augen der Legitimen bleibt er immer ein Empor⸗ tömmling, ein Parvenue, fagte Mariane achſelzuckend. Dann muß er alle Legitimen fürzen und vernichten, ſagte Napo- leon raſch, damit eine neue legitime Dynaftie fich erhebe, deren Be- gründer er ift. Ich bin ver Mann des Schidials, und ich werde mir eine neue Dynaftie begründen, und eines Tages wird ganz Europa nur Ein Reid, Mein Rei fein! Ihr Alle, ftatt mich zw verwünfchen, folltet mid mit Freuden begräßen, und mich willlommen beißen, als Euren gottgefandten Befreier, der Euch erheben will aus Eurer Er- niebrigung und Eurer Schmach. Schaut doch nur um Euch, Ihr Deutfchen, und ſeht, was Ihr an Euren Fürften, und Euren NRegie- rungen habt! Werdet Ihr regiert durch edle, hochſinnige Türften, ftehen bedeutende und große Männer an der Spige Eurer Regierungen? Ich fehe nur Unfähigkeit, Verworfenheit und Käuflichkeit überall in den deutfchen Cabinetten! Das Syſtem der Protection herrfcht da überall, die Stellen find die Geſchenke der Gunft, und nicht die Belohnung des Verdienſtes; Intriguen und Bittgefuche führen Unbefähigte zu. ben erften Würden des Staats, und. bie großen Geifter, wenn deren exiftiren, werben in den Schatten zurüdgefchoben. Die natürliche Folge davon ift, daß die Männer aufhören ihren Geift zu bilden, daß bie Tugenden und bie Talente, welde nit. mit einem gerechten Tribut - des Ruhms belohnt werden, ihre Stärke und Begeifterung, ja jogar oft ihre Eriftenz verlieren. Wenn eine Nation nur unfähige Protegirte *) Napoleons eigene Worte. GSlehe: Le Normand: Mémoires II. 49. EZ 620 und täuflihe Intriguanten an der Spige ihrer Adminiſtrationen und ihrer Armeen fieht, wie ſoll ſie da in Freudigkeit gedeihen, ihren Wohl- ftand vermehren und fi Siege erfämpfen! Wehe dem Boll, das fi von ſolchen Miniftern beherrſchen, und von ſolchen Generälen verthei- digen läßt, wie ich fie in Deutſchland überall gefunden. Als ver Mann des Scidfals bin ich gekommen, ihm meine Hand, meinen Mund und mein Herz zu weihen, um es von fo lafterhaften Inſtitu⸗ tionen zu befreien und zu: erlöfen: von feiner ſchmachvollen Kette!*) Und ihm noch ſchmachvollere umzuſchmieden, rief Mariane mit zornbligenden Augen, denn auf der Welt giebt es niht Schmachvolleres, als wenn die Völker fih:einem fremden Barbaren unterwerfen, und ihrem Ueberwinder demüthig die Füße küſſen, ftatt ihn zu verjagen mit ver Majeftät ihres Zorns. Wenn Gie, ein zweiter Attila, weiter fohreiten mit Ihrem würgenden Schwert,. fo ift e8 um Europa ge ſchehen und alle Würde ver Völker, alle Mittelpunkte wiflenfchaftlicher Bildung, alle Hoffnungen der Humanität find verloren! Denn die WVölker können nur Großes leiten und Großes Schaffen, wenn fie felbft- ftändig find, und die Freiheit felBft kann ihnen nichts nüßen, wenn fie fie als Gnadengeſchenk ihres: Eroberer hinnehmen jollten! Die Erde muß nur Einen. Herriher: haben, wie der Himmel nur Einen Gott hat, fagte Napoleon ifeierlih. Ich habe mein Werk erft begonnen, es ift noch nicht vollendet! Bis jest ift erft Frankreich, Stalien, die Schweiz und Holland meinem Scepter unterworfen, aber mein Ziel geht weiter. Und wer will es mir wehren, wenn ich mid Weftphalens, der hanfentifchen Städte und Roms bemächtige, wenn id) ferner die illyrifchen Provinzen, Hetrurien und Portugal mit Frankreich, vereinige? Ich weiß noch nicht, wo ich Die Grenzen meines Reiche feftfegen fol. Vielleicht wird. e&:winft ‘feine andern Grenzen als den weiten Raum ber beiden Weltthrile haben, vielleicht werde ich, gleich dem Americus Vespucius und den Columbus, mir den Ruhm er- werben, mir noch einen dritten Meletgeil entdeckt und erobert zu haben!*?} — —— u ntiehll ann να * *) Napoleons eigene Worte. Le Normand II. 39. Er): Napoleons eigene Motte: Lo Mörmand:Medmoires IL. 68. . 623 Und wenn Sie eine dritte neue Welt: entveden, rief Mariane, fo wird es Gott vielleicht fügen, daß aus diefer neuen Welt der Rächer der beiden alten entftebe, und das er mit.der Donnerftimme Jehovah's Ihnen zurufe: Hier find die Green Deines Reiches! Bis hierher und nicht weiter! Ich würde aber nicht zurückweichen, fagte Napoleon lächelnd, fon- dern ih würde vorwärts fchreiten, um mit dem Gottgejandten zu kämpfen um mein gutes Recht, denn anch ich bin ein Gottgefandter, ein anderlefener Sohn des Himmels, und wenn es für mid ein Miß- geſchick giebt, jo ift e8 nur dies, daß ich zu fpät gefommen bin. Die Menſchen find zu aufgellärt, oder zu nüdıtern, es läßt ſich daher nichts Großes mehr ausführen! Ah, das ſagen Sie, rief Mariane, Sie, deſſen Schickſal ein ſo glänzendes und erhabenes iſt? Sie, der Sie einſt ein einfacher Artillerie- Officier waren, und jest als Kaifer auf einem mächtigen Thron daftehen? Ja, fagte Napoleon leife, wie zu ſich ſelber, ich geſtehe es zu, meine Carrière iſt glänzend genug geweſen, ich habe einen ſchönen Weg gemacht! Aber welcher Unterſchied zwiſchen mir und den Heroen des Alterthums? Wie viel glücklicher war Alexander! Nachdem er Aſien erobert hatte, erklärte er ſich für den Sohn Jupiters, und der ganze Drient glaubte e8 ihm, mit Ausnahme des Olympias, der wohl wußte, woran er fih zu halten Hatte, mit Ausnahme ferner Des Ariftoteles und einiger anderer athenienftfcher Pedanten! Wenn ich aber, der ich mehr Eroberungen und Siege aufzumeifen habe, als Alerander, wenn ich mich heute für den Sohn des ewigen Vaters erflären, und ihm unter dieſem Zitel mein Dankopfer varbringen wollte, jo würde e3 fein Fiſchweib geben, das nicht auf meinem Wege hinter mir herlachte. Die Völker find zu aufgeklärt und zu nüchtern, es läßt fih nichts Großes mehr ausführen. *) Es wird ein Tag kommen, Sire, wo die Bölfer auftehen, und *) Napoleons eigene Worte Siehe: Msimoires Marechal du Duc de Raguse. II. 243. Ihnen beweifen werden, daß fr Großzes aus führen und vollbringen können! Und an dieſem Tage werden fie mid in den Staub treten, nicht wahr? fragte Napoleon mit einem faft:mitleidsvollen Lächeln. Hoffen Sie nicht zu viel auf diefen Tag, denn Ihre Hoffnung könnte Sie täufhen. Ic habe mich jo frei und offen zu Ihnen ausgefprocen, fuhr er fort, indem er aufftand, weil ih wußte, daß, indem ich zu Ihnen rede, ic durch Sie zu den Anserwählteften, Evelften und Beften Ihrer Nation redete, und weil id wünfchte, von dieſen verftanden und begriffen zu werben. Gehen Sie alfo hin und wiederholen Sie ihnen meine Worte, wieberholen Sie fie auch denen, welche vermeinen, daß ihnen ver Thron gebühre, den ich mir aufgerichtet, und daß bie Tricolore wieder eines Tages durch die Lilien verdrängt werben müßte. Sehen Sie hin, Madame, und fagen Sie biefen legitimiftiichen Schwär- mern, die Lilien feien fo befhmusgt von dem Elend und dem Blut Frankreichs, daß Niemand fie dort wieder erfennen wolle, und daß Jeder vor ihrem Leihenduft und ihrer Verweſung zurüdichaudere! Die Reihe und die Dynaftien haben, wie die Blumen, Einen Tag ber Blüthe; der Tag der Bourbonen ift vorüber, fie find verwelft und ab- gefallen! Sagen Sie das denen, welde fie einft gewiß und heute vielleicht zu mir gejandt haben. Wenn Sie ihnen dann ferner die Scene des heutigen Tages erzählen, fo mögen fie freilich beflagen, daß das Scidjal Ihnen nit geftattete, ein Judith zu fein, aber fie werden wenigftens zugeftehen müflen, daß ich fein Holofernes bin! Denn obwohl das fhönfte Weib meiner Feinde in mein Lager kam, mich zu befuchen, "hat fie mich doch nicht getübtet, und ihr Dolch liegt zu meinen Füßen! Sch werde ihn als Andenken bewahren, und der Groß-Marſchall Duroc, und der Herr von Brandt, und mein Kammer⸗ diener Conftant, welde Sie im Borzimmer erwarten, werden glauben, daß diefer Dold ein Erinnerungspfand Ihrer Liebe und einer jchönen Stunde meines Lebens if. Wir wollen fie nicht enttäufchen! Leben Sie wohl, Madame! | | Er ließ Marianen nit Zeit zu einer Antwort, fondern nahm bie 623 fülberne Handklingel und fchellte jo heftig und fo laut, daß Conftant ganz erfchroden und ängftlih in der Thür erjchien. Conftant, fagte der Kaifer, führe Madame zu ihrem Wagen, fie wird nad Wien zurüdfehren, und was den Herrn von Brandt anbes trifft, fo jage ihm, die Prinzeffin habe mir erlaubt, ihr Sädelmeifter zu fein, und ftatt ihrer ihm bie glüdlihen Minuten unjers Zufammen- jeins zu bezahlen. | Sire, rief Mariane entjegt, fie wollen — Still, unterbrach fie der Kaifer ftolz, ich will der Frau Fortuna meinen Tribut abzahlen! Leben Sie wohl, Madame, und mögen Sie zuweilen biefer Stunde gedenken. | Er winfte ihr lächelnd mit der Hand einen Abſchiedsgruß zu, und entfernte fid) dann durch Die Thür, welde in fein Schlafzimmer führte. Mariane ftarrte ihm nad mit einem Entfeßen, als habe fie eben ein Gefpenft vor ihren flaunenden Augen dahin wandeln fehen, und als fei ihr ganzes Leben gebannt in dieſen Dlid, mit weldyem fie ihm nachſchauete. Madame, ſagte Conſtant leiſe, wenn es Ihnen gefällig iſt! Und er näherte ſich der großen Ausgangsthür, welche er öffnete. Mariane ſchrack bei ſeinen Worten zuſammen, als erwache ſie aus einem Traum; ſchweigend und ohne Conſtant nur eines Blickes zu würdigen, ſchritt ſie aus dem Gemach, und folgte ihrem lächelnden Führer durch die Säle Im erſten Vorſaal ſtand der Groß⸗-Marſchall Duroc und einige Generäle, welche die daher ſchreitende Prinzeſſin mit drohenden und zugleich ſpöttiſchen Blicken betrachteten. Mariane fühlte dieſe Blicke wie Dolchſpitzen, die ihre Seele verwundeten, und wie Dolchſpitzen traf es ihr Ohr, als ſie Conſtant zu dem Major von Brandt ſagen hörte: „Sie werden hier bleiben, mein Herr, denn der Kaiſer hat befohlen, daß Ihnen hier die Goldſtücke für die Stunden ausgezahlt werden, welche Se. Majeſtät in der Geſellſchaft der Prin⸗ zeffin zugebracht hat.” Aber Mariane raffte fih zufammen mit der ganzen Energie ihres Stolzes, und hochaufgerichteten Hauptes, mit faltem, unbeweglichem 624 Angeficht fchritt fie weiter durch die Borfäle dahin, die große Treppe hinunter, zu ihrem Wagen. Nur als der Wagen durdy die Nacht dahin rollte auf der Straße nad Wien zu, glaubte der Kutfcher troß des Rollens der Räder lantes Weinen und Klagen zu vernehmen, das aus dem Innern der Kutſche zu ertönen jchien. Aber ficherlic hatte er ſich geirrt, denn als bie Equipage in dem innern Hof ihres Hötels anhielt, und die Lakaien berbeieilten den Schlag zu öffnen, ftieg die Prinzeffin ſtolz und rubig, ſchön und ftrahlend wie immer, aus dem Wagen, und fchritt gleich gültig und langfam die Treppe hinauf. Oben an der Treppe ftand Madame Camille, mit zitternden Lippen und bleihen Wangen einige Worte des Willlommens murmelnd. Mariane fchien fie gar nicht zu ſehen und ſchritt kalt und ftolz den Corridor hinunter, ber zu ihren Gemächern führte. Die Dienerinnen, welche fie in ihrem Zoilettenzimmer empfin- gen, bieß fie mit einem gebieterifhen Wink ihrer Hand fid ent. fernen, und als fie das Zimmer verlaffen hatten, ſchloß fie Hinter ihnen die Thür ab. Dann ging fie raſchen Schrittes in das neben dem Zoilettenzimmer befindliche Bouboir, und bier, wo fie ficher war, von Niemand gejehen, von Niemand belaufcht zu werben, hier ließ fie die ftolze Maske von ihrem Antlig gleiten, und es al ihre Berzweif- lung verrathen. Mit einem lauten Schrei der Dual ſank fie auf ihre Kniee nieder, und ihre Hände zum Himmel emporringend, rief fie mit den Jammertönen des Schmerzes: oh, mein Gott, mein Gott, gieb, daß ich dieſer Schmach erliege! Habe Erbarmen mit mir, und laß mich fierben! — Aber nady langen Stunden des Kämpfens und Ber zweifeln, des Klagens und der Verwünſchungen, erhob fih Mariane wieder von ihren Knieen mit trogigem Stolz, mit ruhiger Energie. Nein, murmelte fie leife vor fih bin, ih darf und ih will nidt ‚sterben! Das Leben hat noch Rechte an mid), und die geheime Ge ſellſchaft, der ich mich als erftes Mitglied angelobt habe, legt mir bie Pflicht auf zu leben und zu arbeiten in ihrem Dienft. Ich habe ven Tyrannen nit mit meinem Dold treffen Fünnen, uun wohl, fo müffen wir verfuchen, ihn mit Navelftihen nad und nad zu töbten. Ein 625 folder Nadelſtich ift die Schrift, welche Gent mir übergeben hat, daß ih für ihre Beröffentlihung forge, und fie an das Licht der Welt fördere. Irgendwo wird fi tod eine Druderei finden, welde ihre Rettern für dies Manufcript hergiebt; ic werbe fie fuchen und ihr bie Lettern mit Gold aufwiegen! In der Frühe des nädhften Morgens’ ftand der Reilewagen der Prinzeffin bereit, und Mariane im vollen Reiſecoſtüm ſchickte ſich an, abzureifen. Sie hatte die ganze Nacht mit Vorbereitungen, mit dem Ordnen ihrer Angelegenheiten und ihrer Häuslichkeit hingebracht. Jetzt war Alles fertig, Alles georbnet und bereit, und nunmehr im Begriff, vie Treppe hinunter zu gehen, wandte fidy bie Prinzeſfin zu Madame Camilla, welche demüthig ihr folgte. Madame, ſagte ſie kalt und ruhig, Sie werden die Güte haben, in dieſer Stunde noch mein Haus zu verlafſen, um Ihr Tagebnch anderswo zu fehreiben. Der franzöftlfhe Commandant von Wien wirb Ihnen vielleicht bei feinen Mouchards eine Stelle anweifen, gehen Sie alfo zu ihm, und wagen Sie es nie wieder, mein Hans zu betreten. Mein Haushofmeifter hat meine Befehle erhalten, er wird Ihnen Ihre Gage auszahlen, und dafür forgen, daß Sie in einer Stunde das Hötel verlaſſen haben. Adieu! Sie fhritt, ohne Madame Camilla eines Blickes zu wlrbigen, ruhig und ftolz die Treppe hinunter und flieg in ihren Wagen, der mit Donnerndem Geräufh aus dem hohen Portal des Hötels dahin rollte. VIII. Das Ende des deutfchen Reichs. Der Frieden von Preßburg war geſchloſſen und hatte Oeſterreich ſeiner ſchönſten Provinzen beraubt. Das Schutz⸗ und Trutzbündniß zwiſchen Preußen und Frankreich Muhlbach, Napoleon. 1. DB». N \ 626 war unterzeichnet und hatte Preußen des Furſtenthums Cleve und Berg und des Fürſtenthums Neufchatel beraubt. Deutſchland hätte alſo im Beginn des Jahres 1806 wohl Grund gehabt zur Trauer und zur Wehllage, denn feine Fürſten waren gede⸗ mütbigt und in den Staub getreten, feine Völker trugen mit ihren Fürften die Schmad der Erniebrigung und ber Abhängigkeit! Aber Deutſchland fchien Doch freudenvoll und glüdlih und überall feierte man Feſte, — Feſte zu Ehren des Kaifers Napoleon und feiner Familie, Feſte der Liebe und des Glüdes! Nah dem Siege, den Napoleon bei Aufterlig über bie beiben Kaifer errungen, nad dem Frieden von Prefburg und dem Bündniß mit Preußen, ſchien jegt alle Gelegenheit eines Krieges mit Deutſch⸗ land beendet und Napoleon legte fein Schwert aus der Hand, um im - Schoofe feiner Familie auszuruben auf feinen Xorbeeren, und ftatt ber Staaten Ehen zu ftiften, Ehen, welche das Band der Liebe und Freund- ſchaft zwifhen Frankreich und Deutfchland immer feiter Inüpfen und ganz Deutſchland zum ergebenen Schwiegerfohn und Bafallen vom Raifer von Frankreich machen follten! In Münden erflangen fie zuerft, die Hochzeitsgloden, welche Na- poleon zum Schwiegervater eines beutfchen Fürftenhaufes machten. In Münden vermäbhlte fi zu Anfang des Jahres 1806 Eugöne Beau- harnais, Napoleons Adoptiv-Sohn, der Ihönen, und edlen Prinzeffin Amalie von Baiern, der Tochter des Churfürften Marimilian, der fich jegt durch die Gnade Napoleons zum König von Baiern erhoben fah, wie Eugene fi durch die Gnade Napoleons Bicelönig von Italien nennen burfte. | Ganz Baiern jubelte vor Entzüden über diefes neue, beglüdende Band, welches das deutſche Land mit Frankreich vereinte, ganz Baiern fühlte fi geehrt und glücklich dadurch, daß der Kaifer Napoleon mit . feiner Gemahlin Joſephine felber nad Münden kam, um den Hoch—⸗ zeitsfeierlichkeiten beizumohnen. Feſte folgten fih in München auf Feſte, man fah da nur glüdlihe Gefihter, man hörte Jubeln und Laden und fröhlide Scherze, und wenn Napoleon nur durch bie Straßen daher fam, ober fi auf dem Balcon des Schloffes zeigte, 627 fo empfing ihn unermeßlicher, Jubel des Volls, und es ſchwenkte jauchzend feine Hüte empor zu dem Kaifer, nicht eingedenf, wie viel Blut und wie viel Thränen er jeßt eben wieder einem-beutfchen Rande gefoftet habe. Die Hocdzeitsgloden waren kaum in ı Münden verftummt, fo ber gannen fie in Carlsruhe zu läuten, denn wieder wollte fi Napoleon zum Schwiegervater eines deutſchen Türftenhaufes machen und die Nichte Sofephinens, Stephanie von Beauharnais, weldhe auch der Kaifer zu feiner Aboptivtochter erhob, vermählte ſich dem Churfürften von Baben, ber jet durch die Gnade Napoleons zum Großherzog von Baden fi erhoben fah. Und in diefes doppelte Hodhzeitögeläute, das in Münden und ° Carlsruhe ertönte, mifchten fi) bald die Yeier- und Feitgloden, welche Deutihland das Entftehen eines neuen Fürftenhaufes in Deutfchlands Grenzen verfündeten und den Schwager des Kaiferd von Frankreich zum Herrn und Herrſcher eines deutjchen Landes erhoben. Diefe Feier- gloden ertönten in Eleve und Berg und huldigten dem neuen Herrſcher Joachim Murat, der durch die Gnade Napoleons zum Großherzog von Berg erhoben worden. Preußen und Baiern hatten das Zeug liefern müfjen zu biefem neuen Yürftenmantel, Preußen hatte die größere Hälfte, das Herzogthuin Tleve, gegeben, und Baiern Hatte, dankbar für fo viel empfangene Huld, demfelben noch das Fürftentbum Berg hinzugefügt, fo daß aus diefen zwei deutſchen Landen ſich wohl ein Großherzogthum für den Sohn des franzöfifhen Gaſtwirths, für Joachim Murat, den Schwager des franzöſiſchen Kaiſers aufrichten Ließ. Und als-die Freudenklänge in München, Carlsruhe und dem neuen Sroßherzogthum Berg im Berklingen waren, da raufchten und jubelten fie ſchon wieder in Stuttgart auf, denn dort feierte man die Verlobung Jerome's, des jüngften Bruders Napoleons, mit einer Tochter des Ehurfürften von Württemberg, der jegt burd die Gnade Napoleons zum König von Württemberg erhoben war. Freilich trug Jerome, ber Bruder des Kaiſers, noch feine Krone, freilih war dieſer jüngfte Sohn Des Advocaten von Corſika bis jetzt weiter nichts als „kaiſerlicher Prinz von Frankreich,” aber fein Löniglicher Schwiegervater von Württemberg —X 628 begte denuod zu feinem Bruder Napoleon .vie frohe Zuverficht, daß er dem Dann feiner Tochter eine ftandesgemäße Mitgift geben und ihm irgend eine vacante oder neugefchaffene Krone auf das Haupt jegen werde. Hatte doch Napoleon foeben erft feinen ältern Bruder Joſeph mit einer ſolchen ausgeftattet und ihn zum König von Neapel erhoben, nachdem er feierlich vor ganz Europa in einem Manifeſt erflärt hatte: „Die Diynaftie von Neapel habe aufgehört zu regieren und das jchönfte Land der Erbe folle endlich befreit werden von dem Joch der treulofeften Menſchen.“ — Und treu feinem Wort hatte Napoleen die Dynaſtie von Neapel geftürzt, den König Yerdinand und die Königin Caroline vertrieben und feinen Bruder Joſeph auf den Thron von Neapel echuben.*) Der König von Wilrttemberg zagte alfo nicht, er war gewiß, daß Napoleon auch für feinen Bruder Jerome irgendwo eine paffende Königskrone entveden und der Tochter des älteften deutſchen Fürſten⸗ baufes eine der Ehre ihres Haufes würdige Stellung geben würde. Aber nicht blos in Deutſchland erflangen die TFeftesgloden ber Freude, fie tönten auch herüber von den Grenzen Holland, das jet durch die Gnade Napoleons zu einem Königreich erhoben worden, und dem wieberum durch die Gnade Napoleons ein König gefhenkt worden in ber Perſon Ludwig’s, eines zweiten Bruders des Kaifers von Frank reich; fie tönten auch herüber von Italien, wo in diefen Eronenreichen und glüdlihen Jahr 1806 an einem Tage, am 30. März 1806, plötz⸗ lich zwölf Herzogthümer aus dem Erbboden hervorwuchſen und ven Freunden und Kriegsgefährten zwölf Herzogskronen auf das Haupt fegten. Das Jahr 1806 war alfo ein gefegnetes nnd glüdliches Jahr; überall Freude und Glüd, und Napoleon der Schöpfer aller dieſer . Herrlichkeit. *) Napoleon belohnte außerdem auch feine Kriegsgefährten und Minifter mit Herzogthümern, die er für fie in Italien ſchuf, und deren reiche Einkünfte ihnen zu- fielen. So ward Marmont Herzog von Ragufa, Mortier Herzog von Treviſo, Beſſioͤres Herzog von Ifkrien, Savary Herzog von Rovigo, Lannes Herzog von Montebello, Bernabotte Herzog von Pontecorvo, Talleyrand Herzog von Benevent, Fouchs Herzog von Dtranto, Maret Herzog von Baffano, Soult Herzog von Dalmatien, Berthier Herzog von Neuihatel, Duroe Herzog von Friaul. se. ‘629 Und dennoh gab es im deutſchen Reich eine Stadt, die, troß aller dieſer neuen Herrlichfeit und Feſte, ein ernftes und büfteres An- ſehen ſich bewahrte, die gar nicht Theil zu nehmen ſchien an der alle gemeinen Freude, fonbern in trüber aſchgrauer Stille jo weiter lebte, ‚wie fie ſchon feit Jahrhunderten gelebt hatte. Diefe Stadt war das uralte Regensburg, der Sig des deutſchen Reichstages, und jet das Eigenthum und die Reſidenz des KReichserze fanzlers von Deutfchland, Freiherrn von Dalberg. Seit Jahrhunderten hatte Regensburg bie jtolge Ehre genoffen, dap in feinem großen alterthümlichen Rathhauſe die Gefandten aller deutfchen Staaten ſich verfammelten, um über das Wohl Deutſchlands fi zu beratben. Aus den hohen Bogenfenftern des großen Sigungs- fanles flatterten die neugefchaffenen Gefege durch ganz Deutſchland bin, und was tie Herren zu Regensburg geichaffen, das mußte ganz Deutſchland willig hinnehmen, unt dem mnften die Fürften und Bölfer fich beugen. Und wie vor hundert und aberhundert Jahren, tagten fie and jetzt noch immer zu Regensburg, die Geſandten vom Kaiſer und den Königen, von den Herzögen, Churfürſten, freien Städten und den Reichsgräflichen und Freiherrlichen Standesherren Deutſchland.. Im alten Rathhausſaal ſaßen fie täglich beiſammen, die Länder Oeſterreich, Preußen, Baiern, Hannover, Württemberg, Baden, Heſſen, Darmſtadt, Mecklenburg, Braunſchweig, und wie ſie ſonſt noch alle heißen mochten die einzelnen SGlieder des großen deutſchen Reichs. Sie ſaßen beiſammen, — aber ſie beriethen nicht mehr, ſondern fie riethen, — fie riethen, welches wohl das Roos Deutſchlands fein werde, wie lange fie wohl noch hier ſitzen würden in trüber Unthätig⸗ keit, und wann e8 dem neuen Beichüter Deutſchlands, dem Kaiſer won Frankreich, wohl endlich gefallen werde, ſich ihrer zu erinnern! und ihnen zuzurufen: „Geht nad) Haufe, Ihr Herren, denn Eure Zeit it um. Der deutſche Reihstag bat aufgehört zu eriftiren, und ich will Deutſchland befreien von biefer Laſt.“ | Aber ſowohl der Kaifer von Frankreich, als auch die dentſchen Fürften ſchienen gar nicht. mehr eingeben! zu fein des deutſchen Reiche: 630 tages, der zu Regensburg im uralten Rathhaus tagte, und der fonft alle Verträge, alle Friedensſchluſſe, alle Gebietsabtretungen und Ber- änderungen durch feine Zuftimmung hatte fanctioniren müflen, damit fie Anerkennung fänden und zu Recht beftänden im beutjchen Reid). Jetzt hatte der Kaifer von Deutſchland es nicht einmal für nöthig ' erachtet, dem deutſchen Reichſtag zu Regensburg den mit Napoleon abgeſchloſſenen Preßburger Frieden zur Saction vorzulegen, ſondern er batte fi begnügt, dem Reichstag anzuzeigen, daß tiefer Frieden geſchloſſen ſei. Ebenſo Hatten deſſelben Tages die Geſandten von Baiern und Württemberg ſich von ihren Lehnſeſſeln erhoben, um dem Reichstag anzuzeigen, daß fie jegt nicht mehr die Vertreter von Chur- fürften, fondern von Königen jeien, denn Baiern und Württemberg hätten mit Zuflimmung bes Kaifers von Frankreich den Königstitel angenommen; und als viefe Beiden fhwiegen, erhob ſich der Gefandte bes Churfürften von Baden, um zu erflären, daß auch er nicht mehr ein Churfürftentyum, fondern ein Großherzogthum vertrete, denn ber Churfürſt von Baden habe mit Zuftimmung des Kaijers von Frankreich den Titel eines Großherzogs angenommen. Der tagende Reichstag hatte dieſe Benachrichtigung ohne Wider⸗ ſpruch fchweigend entgegen genommen; er hatte auch gejchwiegen, ale einige Tage jpäter der franzöfiiche Geſandte Bader im Rathhausſaal erſchien und die Anzeige machte, daß Murat al8 Herzog von Cleve und Berg in ben deutſchen Reichsverband eintrete. Nur ganz leife und in ber Stille hatte Jeder ſich gefragt, wie ed denn fomme, daß das nee Reichsmitglied nicht ſich beeile, von feinen Rechten Gebrauch zu machen, und am Reichstag zu Regensburg Sitz und Stimme ein⸗ zunehmen? Der Reichstag, wie geſagt, ſchwieg zu allen dieſen Dingen, und warum hätte er ſprechen ſollen? Was half es ihm, wer achtete noch auf ſeine Stimme, wer beugte ſich noch vor ſeinem Namen? Nur zum Schein, nur um leiſe mit einander ſich zu berathen über ihr eigenes Mißgeſchick, über ihre Ohnmacht und Schwäche, kamen die Geſandten der deutſchen Fürſten und Städte noch zuſammen, und ſtatt, wie ſonſt, Deutſchland Gelege yo geben, theilten fie einander ihre Ver⸗ 631 muthungen mit, über das Roos, welches Deutfchland und dem bemtfchen Reichstag zu Regensburg aufbehalten fein möchte. Auch heute wieder waren die Herren im großen Rathsſaal ver- fammelt, und al die deufchen Länder, welche da draußen fi einander befehdeten und zankten, welche neibifch ſich bewachten und beobachteten, alle die veutfchen Länder faßen bier friedlich beiſammen um den großen grünen Tiſch, und plauderten mit einander über das, was da Draußen geichehen fei im deutſchen Reich, und was ferner noch gejchehen werbe. Haben Sie ſchon die neuen Flugſchriften gelefen, welche jegt fo viel Aufjehen machen? fragte Preußen das neben ihm figende Sachſen. Nein, ich lefe niemals Flugfchriften, erwiderte Sachſen. Diefe aber find der Mühe werth zu lejen, fagte Preußen lächelnd. Denn es ift darin eine abgejhmadte Idee mit großer Beredtjamfeit und Begeifterung behandelt. Denken Sie nur, es wird darin alles Ernſtes der Vorſchlag gemacht, es möge fi) das deutſche Reich jet, da Oeſterreichs Macht gebrochen fei, unter den Schuß Baierns be⸗ geben und den neugebadenen Baiernkönig zum Oberhaupt Deutſch⸗ lands annehmen: Der Einfall ift fo übel nit, fagte Sachſen lächelnd, Baiern iſt eins ber älteften Yürftenhäufer Deutfchlands, und jett Doppelt mächtig, da es ber Freundſchaft und Gunft des Kaifers von Frankreich ſich rühmen kann. Der Kaifer Napoleon möchte am Ende nichts Dagegen einzumenden haben, wenn Baiern zum beutfchen Kaiſer ausgerufen würbe. Nicht doc, flüfterte Braunſchweig, Sachſens Nachbar zur Linken, ich babe geftern neue authentifhe Nachrichten erhalten. Der Kaifer Napoleon will das römiſch deutfche Kaiſerthum des Mittelalters völlig “ wieberberftellen, und er felber will für Deutfchland die deutſche Kaifer- würde annehmen. *) Wie? rief Heffen, welches vie halblauten Worte gehört hatte. Der Kaifer Napoleon will fih zum Kaiſer von Deutſchland machen? Und in feiner Weberrafhung hatte Heflen jo laut geſprochen, daß ber ganze Reichstag feine Worte vernommen hatte, und jegt wieberholte *) Hänffer, Deutfche Gefchichte II. 721. 632 man bier und dort fiaunend, verwundert biefe Frage, und alle Geſichter wurden ernft und feierlid. Sie können glauben, es ift fo, fagte Baiern ziemlich vernehmlid, es ftehen uns wichtige Beränderungen bevor, und ich weiß aus befter Duelle, daß der Minifter Talleyrand neuli ganz laut und beftimmt gejagt hat: bis gegen Ende diefes Monats werde das Schidfal des deutfchen Reichs beftimmt entfchieden fein.*) Und wir fchreiben heute fchon den drei und zwanzigften Mai, fagte Oldenburg finnend, wir können alfo der Entſcheidung ſtündlich entgegen ſehen. Ja, das können wir, rief Würzburg, ich weiß gewiß, daß man in Paris ſchon mit der Ausarbeitung einer neuen Verfaſſung für Deutſchland beſchäftigt iſt. Vielleicht wäre es gut, ſagte ſein Nachbar, wenn auch wir uns damit beſchäftigten, eine neue Verfaſſung für Deutſchland auszuarbeiten und ſie dann dem Miniſter Talleyrand zuſenden, da wir jedenfalls doch die Gewohnheiten und Bedürfniſſe des deutſchen Reichs beſſer kennen, als die franzöſiſchen Staatsmänner. Wir ſollten uns hierüber mit dem Erzkanzler von Dalberg berathen. Aber wo iſt Se. Churfürſtliche Gnaden? Wo iſt Dalberg? Ja, es iſt wahr, der Reichserzkanzler iſt noch nicht erſchienen, rief Oldenburg verwundert. Wo mag er ſein? Wo iſt Dalberg? Und leiſe flüſternd rauſchte jetzt bie Frage von Mund zu Mund: wo iſt Dalberg? Einſt in den ſchönen und großen Zeiten des Deutſchen Reiches war es ver Deutſche Kaiſer geweſen, welcher allemal beim Beginn des Reichsſstages mit lauter Stimme gefragt hatte: „ift fein Dalberg da?“ Und auf feine Frage waren die Dalberg’8 hervorgetreten und hatten fih um den Thron des Kaiſers geftellt, immer bereit Großes zu unter nehmen, Kühnes auszuführen. Jetzt war es nicht Der Kaifer, welder feinen Dalberg rief, fondern der Reichstag, welcher feinen Namen flüfterte. *) Häuffer: Deutſche Gedichte. TI. 123. 633 Und es ſchien, als habe der. Gerufene dieſes Geflüfter vernommen, denn bie hohen Pforten bes alten Rathhausjanles öffneten fih, und der Reichserzlanzler Freiherr von Dalberg trat ein. Im vollen Ornat feiner Würde fchritt er in den Saal und näherte fi feinem Sig am grünen Tifh. Aber ftatt fi) auf dem hochlehnigen, geſchnitzten Lehnftnhl niederzulaflen, blieb er ftehen, und ließ feine Augen begräßend an all dieſen ernften, trüben Geſichtern, welche ihm zugewandt waren, vorüber gleiten. Ich bitte den erhabenen Reichötag, mir zu erlauben, daß ich ihm eine Mittheilung machen darf, fagte der Neichserzlanzler mit einer leichten Berneigung gegen: die Berfammlung. | Die ernften Geſichter des Reichstags nidten Gewährung, und Dalberg fuhr mit: erhäheter Stimme fort: Ich habe dem Reichstag zu eröfinen, daß, da. ich mein Alter herannahen umd meine Kräfte Ihwinden fühle, ih .es zum Wohl Deutfchlands und meiner Perſon unerläßlich erachtet babe, mir ſchon jegt bei meinen Xebzeiten einen Nachfolger und meinem nahenden Alter einen Mitregenten zu erwählen. Nachdem ic lange unter den Edlen und Würdigen, welde in fo reicher Zahl mid umgeben, mich umgeſchaut, habe ich endlich meine Wahl getroffen, und meine durch die Zeitumſtände gerechtfertigte Enſchließung gefaßt. Der Nachfolger, den ich mir erwähle, iſt ein edler und wür⸗ diger Mann, deſſen Geſchlechtsvorfahren ſich ſchon zeitig im funfzehnten und fechszehnten Jahrhundert in öffentlichen Dienſten Deutſcher Lande ausgezeichnet baben.*); Es iſt der Erzbiſchof und Cardinal Feſch, der Oheim des Kaiſers von Frankreich. Eine lange peinliche Stille trat ein; wie erſtarrt vor Schreck und Ueberraſchung blickten die Reichstagsmitgliever bin auf diefen Mann, ber, felber ein deutfcher Fürſt, es wagte, dem beutfchen Reichſtag zu erklären, ex habe einen Fremden, einen Ausländer gerufen, um. mit ihm die hohe Würde eines erften deutſchen Churfürften zu theilen und nad feinem Tode .fie zu erben _ Vielleicht las Dalberg i in ben daftern Mienen der deren bie Ge⸗ en | *) Des Reichserzkanzlers von Deiseng eigene Worte. Kiufier. TI. IE. 034 danken, die fle nicht: auszufprechen wagten, denn er :beeilte fi, dem Reichstag feine Rechtfertigungsgründe über, Die getroffene Wahl mitzu- theilen. Er fagte ihnen, er habe fo gehandelt, nicht! in feinem eigenen Intereſſe, fondern um bie bedrohete Reichsverfaſſung zu erbalten und fie unter Napoleons mächtigen Schuß zu ftellen. . Er theilte ihnen als- dann freubevoll mit, daß der Kaifer der Franzoſen bereits die Wahl feines Oheims, des Earbinals Feſch, gebilligt habe, und daß der Kaiſer ihm außerdem verfprocden habe, er werde ſich mit der Neugeftaltung and Keorganifation des Deutfchen Reichs jelber: bei Häftigen, und dem⸗ felben adeit feinen Schuß gewähren. Die Reichstagsmitgliever hatten ihm ſchweigend zugehört, ihre Mienen waren immer düſterer, immer mißvergnügter geworden, und als der Churfürſt ſchwieg, ward auch nicht Eine Stimme gehört, welche ihm den Dank votirt hätte, den Dalberg zum Schluß ſeiner Rede von ſeinen Mitſtänden für ſeine Wahl beantragte, ſondern uur ein tiefes, unbeilvolles Schweigen folgte feiner Rede. ::. : Diefes Schweigen war indeß bie einzige: officielle Demonftration, welche der deutjche Reichstag gegen bie Wahl des Cardinals Feſch zum bereinftigen Reichserzlanzler von Deutſchland zu unternehmen wagte, und dieſes Schweigen hinvderte das. unerhörte Ereigniß niht! Ein Fremder, der nicht einmal der deutihen Sprache mächtig war, warb alfo jet Coadjutor des Keichserzlanzlers: ana Deutichland, ein Aus⸗ länder warb Decan des deutfhen Churfürftenrathes, ein Ausländer sollte die Siegel des Heiches in Händen haben, die Gefetze des Reiches bewahren, vie Raiferwahlen und vie Meichötage keiten! Und biefer Ausländer war der Oheim des Kaiſers der Franzoſen, des Welt- exoberers! Über der deutihe Reichstag ſchwieg und duldete weiter. Immer drohendere Wolken ftiegen am Horizont Deutſchlands empor, — der Neichstag tagte ruhig, ftill unb unhörbarımeiter im Ratbhaus- faal zu Regensburg. ern. Immer lauter ertönte das Wort: der . Raier von Frankreich will dem Deutſchen Reich eine neue Geftaltung geben, und der Kaiſer von Deutſchland hat in dem Frieden von Preßburg fich verpflichtet, dieſer Nengeftaltung Teinen, Wiverttand eigenen, 28 Vie ..-.. = \ 635 Der Reichstag achtete nicht auf dieſes Wort, — er tagte und ſchwieg ruhig weiter. Er tagte weiter, indeß bie Hleineren deutſchen Fürſten, deren Ge⸗ ſandte in Regensburg ſaßen, in Perſon nach Paris eilten, um dort im Vorzimmer des Kaiſers und des Miniſters Talleyrand als demüthige Bittſteller zu erſcheinen, und um bie Gunſt des franzöſiſchen Kaiſers und ſeines Miniſters zu buhlen. Dieſe Gunſt ſollte ihnen Kronen und Länder verleihen, dieſe Gunſt ſollte ſie mächtig machen und ſtark, ſie ſollte ihnen eine glänzende Stellung bereiten. Denn Talleyrand hatte es heimlich Jedem von ihnen in's Ohr geflüſtert: „Diejenigen, welche fich gegen die Pläne des Kaiſers auflehnen und feine Gunſt nicht an- nehmen, feine Pläne nicht unterjtägen wollen, follen mebiatifirt wer- den!“ — Jeder von biefen Heinen deutſchen Fürften hoffte daher, daß die Andern mebiatifirt werden würben, und daß Er das Land feines Nachbars als Beute davon tragen würde. ever war alfo beeifert, für ſich felber feine Ergebenheit in den Willen des Kaiſers zu be- theuern, und für fi felber durch Schmeicheleien, Beftehungen und demüthiges leben fo viel Vortheile zu erlangen, als irgend möglich fei. Es ſchien, als ob zu Paris in den Borzimmern des Kaiſers und feines Minifters Talleyrand eine Marktbude eröffnet fei, in der man um beutjches Yand und beutihe Kronen Würfel fpielte, oder fie ver- ſchacherte in einer Auction, wo derjenige am Meiften erhielt, welcher am Meiften bot! *) *) Die Beftehungen, welche man anwandte, um fi} die hohen Beamten des franzöſiſchen Kaiferreichs geneigt zu machen, um durch fie vor der Mebia- tifirung bewahrt zu werben, und möglichft viel Zuſatz an Macht und Land zu erlangen, waren ungeheuer. Die Zrinfgelder und diplomatiſchen Geſchenke wurben nicht einmal im Geheimen ansgetbeilt, fondern ganz öffentlich, wie Börſengeſchäfte, betrieb man dieſe Sachen. Jedermann wußte, daß einer der franzöfifhen Minifter fih von dem Fürften von Salm-Kryburg um einen un- geheuren Preis zweimalhunderttaufenb Flaſchen Champagner hatte ablaufen laſſen, daß Labesnardisre, ber erſte Beamte in Talleyrand's Minifterlum, von Heflen- Darmftadt eine halbe Million Franken erhalten babe, und daß ber Herzog ven Medlenburg ihm einhundert und zwanzigtaufend Friedrichsd'oe WASC !SSS Ahr, Sn 636 Der Reihstag hörte wie aus weiter unermeßlicher Ferne von allen diefen Dingen, und er tagte ruhig weiter. Er tagte, und wartete. Und endlih am erften Auguft 1806 öffneten fi die hoben Bforten des Rathshausſaales, in welchem die Abgefandten des deutſchen Reihe , verfammelt waren, und ber Abgefandte des franzöfiihen Kaiſers er⸗ fhien in ihrer Mitte, und trat mit feierlihem Ernft heran zu dem grünen Tiſch, auf welchem bis dahin nur Deutſchland ein Recht ges habt, feine Noten und Erklärungen niederzulegen, und an welchem bis jet nur der deutſche Reichstag für Dentſchland Geſetze ger ſchrieben hatte. - Der franzdfifhe Abgeſandte Bader aber kam, dem deutſchen Reichstag ein neues Geſetz aufzubringen. Das Geſetz des franzö— ſiſchen Kaiſers. Mit feierlicher Stimme ſproch der Bote des franzöſiſchen Kaiſers zum deutſchen Reichsſtag, und die weiten Hallen des Rathhausſaales zu Regensburg tönten wieder von dieſer lauter gebieteriihen Stimme bes Fremden, der die Geifter begrabener Jahrhunderte zu wecken fchien, daß fie fih aus ihrem Grabe erhöben, und wie eine graue Nebelwolke fih ſchützend ausbreiteten über dem bebroheten Reichstag. „Die deutſche Berfaffung, fagte der Abgeſandte Frankreichs, bie deutſche Berfafjung ift nur noch ein Schatten; der Reichstag hat auf⸗ gehört einen eigenen Willen zu haben, Se. Majeftät der Kaifer von Frankreich und König von Italien ift daher gendthigt, die Eriftenz biefer deutſchen Verfaſſung nicht mehr anzuerkennen; es wird unter feinen Schuß ein neuer Bund deutfcher Fürften fih bilden, und Se. Majeftät wird den Titel ald Protector des Rheinbundes annehmen. Um den Frieden zu erhalten, bat er früher erklärt, daß er niemals bie Grenzen Branfreihs bis über den Rhein hinausſchieben wollte, und er hat getreulich Wort gehalten.“*) wenn ihm feine Selbſtſtändigkeit erhalten bliebe. Siehe: Montgaillard Histoire de France. Vol. X. 115. *) Memoires d’un homme Wätat. TR. I. 637 Und nachdem Bader alfo gefproden, erhoben fih in den Reihen des Keihstags fechszehn Herren von ihren Sigen, zwölf Yürften und vier Churfürften. Der erſte der deutſchen Churfärften, der Reichs⸗ erzfanzler Carl Theodor von Dalberg, war ihr Sprecher, und im Namen feiner funfzehn Genoffen erflärte er dem Reichstag ihre Ab⸗ fihten und Meinungen. „Die legten drei Kriege haben es bemwiejen, rief er, daß ber deutſche Reichsverband verfault und vernichtet ift, deshalb wollen wir deutſche Fürften des Südens und Weftens von Deutfchland auf die Zufammengehörigfeit mit einer Verfaſſung, die aufgehört zu fein, ver- zichten, und uns der Protection des Raifers der Franzoſen verfichern, vem das Wohl und das Gebeihen des deutſchen Reihe innig am Herzeu Liegt: Wir haben unter uns einen Bund gebildet, und ber Kaifer der Franzoſen wird das Haupt und der Beichüger dieſes Bundes fein, der fih der Rheinbund nennt. Feierlich und für alle Zeiten jagen wir Fürſten des deutſchen Rheinbundes uns los von dem deutſchen Reich und dem veutfchen Neihstag, Niemand mehr als Herrn und Beihüger anerkennend als den Raifer der Franzoſen.“ Sa, wir fagen uns los vom deutfchen Neih und vom deutſchen Neichstag, riefen die fehszehn Fürften wie mit Einem Athem und mit einem Munde. Wir jagen uns los von ihm für ewig und für alle Zeiten! Und mit lautem Geräuſch fchoben fie die hochlehnigen Armftühle bei Seite, auf denen die Vertreter ihrer Lande feit Tahrhunderten ge- feffen, und fchritten in feierlihem Zug, unter Bortritt des Reichserz- fanzlers, hinaus aus dem Rathhausſaal.*) In tiefem Schweigen ſchauten die zurückbleibenden Reichsſstagsmit⸗ glieder ihnen nach, und wie die Thür hinter den Enteilenden, hinter den Fürften des Rheinbundes, ſich dröhnend ſchloß, da war es, als ginge | *) Die Mitglieder des Rheinbundes waren: Baiern, Württemberg, Baden, der Erzlanzler mit feinem Gebiet, Berg, Heffen-Darmftadt, Naffau- Weilburg, Naffau - Ufingen,. Hohenzollern - Hechingen, Hohenzollern » Sigmaringen, Salm⸗ Salm, Salm-$yrburg, Sienburg, Aremberg, Liechtenſtein und die Srafſchaft von der Leyen. 638 . ein Raufben und Flüftern durch den alten Sigungsfarl, und als ver- nähme man von den Wänden ber, wo die alten Kaiferbilder hingen, leifes Seufzen und Wehllagen. | Den zurüdgebliebenen Reihtagsmitglievern warb es unheimlich zu Muthe, e8 graute ihnen vor den fechszehn leeren Stühlen, fie ers hoben fi, til von ihren Sigen, und verließen mit eiligen Schritten den Saal. Aber am andern Tage hielt der deutſche Reichstag doch wieder Sigung. Dean wollte jegt überlegen und berathichlagen, was zu thun fei, und wie der deutſche Reichstag ſich zu benehmen habe bei der Der- jertion von ſechszehn feiner Mitglieder! Und fie überlegten und berathicdlagten ſechs Tage lang, ohne zu einem Entjchluß zu gelangen. Aber am fechften Tage ward ihren Bes rathſchlagungen ein Ende gemadht. Am fehlten Auguft erfchien im alten Rathhausfaal zu Regensburg, wo eben wieder der Reichsrath Sigung hielt, ein bejonderer Abge⸗ fandter des Kaifers von Deutſchland. Er trat zu dem grünen Tiſch und grüßte die Keine verwaifete Reihstags-Berfammlung, und ein großes, mit dem faiferlihen Hand» fiegel verjehenes Schreiben hervorziehend, fagte er laut und feierlich: Im Namen des Raifers! Und die Keichstragsmitglieder erhoben fid) von ihren Sigen, um ebrerbietig die Botſchaft des Kaifers zu empfangen, die Botſchaft, die er in einem eigehhändigen Screiben dem deutſchen Reichstag fund thun wollte. Mit der Borlefung dieſes Schreibens hatte er feinen Sefandten beauftragt, und mit erhobener Stimme las diejer jegt: „Da Wir Uns won der Unmöglichkeit überzeugt haben, länger Unfere kaiferlihen Rechte auszuüben, erachten Wir e8 für unfere Pflicht, einer Krone zu entjagen, die für Uns nur fo lange Werth hatte, als Wir des Vertrauens der Churfürften, Fürften und der andern Standes- herren und Staaten bes deutſchen Reichs Uns erfreuten, und als Wir bie Pflichten, welche fie Uns auferlegten, erfüllen fonnten. Deshalb müſſen Wir jest durch dieſe Acte feierlich erklären, daß Wir, da Wir bie Bande, welde uns an das deutſche Reid, feflelten, durch ben \ 639 Rheinbund Als jerrifien beirachten müſſen, die ventfche Kaiſerkrone hiermit abdanken; zu gleicher Zeit entbinden Wir durch Dieſes die Churfärften, Fürſten und Staaten, jo wie die. Mitglieder des oberfteik Tribunal und anderer Magiſtrate der Pflichten, welche fie mit Uns als dem gefeglichen Hanpı bes Reichs vereinigten. Soldyes unterzeichnen Wir unter Hinzufügung :Unferer eigenhänbigen Unterſchrift. Franz der Zweite, Kaiſer vom Oeſterreich, und der oſterreichiſchen Erb- lande Herr.” *) Ein langes, furchterliches Schweigen folgte dieſer Borlefung, mit welcher das alte taufendjährige Reich Karls des Großen zu Grabe getragen warb, mit welcher das deutfche Reich aufhörte zu eriftiren. Dann erhoben fi die deutſchen Keihstagsmitglieder von ihren Sigen, ftumm und ſcheu, wie Nacteulen, die ein unvermutheter Licht- ſtrahl aus ihren dunkeln Berfteden aufgefchredt hat. Stumm und jcheu - flatterten fie hinaus aus dem alten Rathhausfaal zu Negensburg, und als vie Thür hinter ihnen in's Schloß fiel, war das deutfche Reich be graben, und ber Sargdedel darüber hingefallen! Stumm und fcheu eilten die legten Nachteulen des deutfchen ges ftorbenen Reichs dort aus dem Rathhausſaale zu Regensburg, wo bie alten Raiferbilder hinfort Wache hielten über dem Grabe des beut- fhen Reiche. Wie fie hinaustraten auf den Marltplag, fuhr eben ein Reiſe⸗ wagen an dem Rathhaus vorüber, und der Herr, weldyer in demjelben faß, lehnte ſich lächelnd aus dem Schlag und grüfte freundlih und leutjelig dieſe bleichen, ernften und traurigen Geftalten, weldhe da aus dem Rathhauſe einherſchwankten. Dieſer Herr war der Graf Clemens Metternich, welcher ſich als Abgeſandter des Kaiſers von Oeſterreich nach Paris begab, um dem Kaiſer von Frankreich zu ſeinem Geburtstag die Glückwünſche des öfterreihifchen Kaiſers darzubringen.“*) Am ſechſten Auguſt war das deutſche Reich geſtorben und begraben! *) Hiſtoriſch. Siehe: Memoires d'un homme d'état. IX. 160. *#) Hiſtoriſch. Memoires d'un homme d'état. IX. 162. 640 Am funfzehnten Auguft feierte der. Kaiſer der Franzoſen fein Ge⸗ burtstagsfeit, und die Fürſten bes deutjchen Rheiubundes und ber Kaifer von Defterreih und der König von Preußen: und alle die Fürften des entjchlafenen deutſchen Reichs feierten. ihn mit. Napoleon hatte einen neuen Sieg errungen, einen Sieg, welder ganz Deutfchland zu feinen Füßen nieberlegte. Er hatte das deutſche Reich begraben, aber er ſtand über der er- habenen Leiche als ihr Gebicter und ihr Herr. + Achtes Bud, — — Die Schlacht bei Iena. ED Mühlbach, Napoleon. 1. Db. M L Ber deutfche Suchhaͤndler als Märtyrer. Di. Naht war längft ſchon hereingebrochen; in den engen büftern Gaſſen der alten freien Reichsſtadt Nürnberg war längft alles Geräuſch verftummt, und alle Fenfter der hohen Giebelhäufer waren dunkel. Nur in dem untern Stodwerk jenes großen Haufes hinter der Sebal- duskirche brannte noch ein einfames Licht, und der Nachtwächter, der eben mit feinem langen Horn und feiner eifernen Pike vorüberjchritt, blidte neugierig durch die nur angelehnte Lade in das Fenſter hinein. Hm, fagte er leife vor fi bin, die arme Frau liegt auf ihren Knieen und betet und weint gewiß um ihren Dann. Hat aber bei allem Weinen wohl gar nicht bemerkt, daß es ſchon Mitternacht if. Will fie daran mahnen, damit fie hübſch fchlafen geht. Er ftellte fi dem Haufe degenüber auf die Straße und fließ ſchmetternd in fein Horn, .und fang dann mit ſchallender Stimme: „Hört, Ihr Herren und laßt Euch fagen, die Glock' bat Zwölf ge- ſchlagen, ein Jeder bewahr’ fein Feuer und Licht, daß biefer Stabt fein Schad' gefhicht." — So, jest weiß fie's, murmelte der Nacht⸗ wächter dann leife vor ſich hin, jegt wird fie gewiß zu Bette gehen. | Und er ging fchlendernden Schrittes die lange gewundene Straße hinunter, um an der nächſten Ede feinen Geſang zu wiederholen. — Er hatte indeß feinen Zwed erreicht; die junge Frau war bei feinem Lied ans ihrem Gebet aufgeſchreckt und hatte fi von ihren Knieen erhoben. 41* 644 | . Schon Mitternadht! murmelte fie leife. Wieder ift ein Tag ber Angſt beendet, und ein neuer beginnt. Dh, ich wollt’, ich. könnte ſchlafen, immerfort fchlafen, damit ich wenigftens nicht das Bewußtfein der Gefahren hätte, weldhe ihn bedrohen! Oh, mein Gott, mein Gott, beſchütze meinen armen, geliebten Mann, erhalte feinen Kindern den Bater! — Und jett will ich fchlafen gehen, fuhr fie nad) einer Paufe fort. Vielleicht ift Gott mir gnäbig und gönnt mir einige Stunden der Ruhe! - Sie nahm den meifingnen Leudter, auf dem eine Wachskerze brannte, und ging langſam, gebeugten Hauptes in das Nebengemad. Aber wie fie dafjelbe betrat, warb ihr Antlig ruhiger und heiterer, und ein fanftes Lächeln erhellte ihre Lieblichen Züge, als fie jegt au das Bettchen trat, in welchem ihre beiden Mädchen, Arm in Arm, mit vofigen Wangen und halbgeöffneten Purpurlippen im ruhigen Schlummer lagen. Gott erhalte Euch Euren Frieden und Eure Unſchuld, flüfterte die junge Mutter mit einem langen, zärtlichen Liebeshlid auf die Kinder. Gott führe diefe Wolfe an Euh und an uns vorüber, ohne daß ihr den Donner rollen bört und vom Blitz zerfcehmettert werdet! Gute Nacht, meine Kinder! Sie nidte ven Schlummernden lächelnd zu und ſchlich dann leife zu ihrem Lager bin. Langfam und feufzend begann fie fid zu ent- Heiden, aber wie fie eben im Begriff war, bie filberne Schnalle ihres Kleivergürtels zu öffnen, hielt fie inne und blidte lauſchend nach dem Fenſter bin. Es war ihr gewefen, als habe fie an biefem Tenfter, das nach dem hinter ihrem Haufe belegenen Garten führte, leifes Klopfen gehört, und als habe eine Stimme leife ihren Namen gerufen. Richtig, das Geräuſch ernenerte fi, und jegt hörte fie die Stimme ganz deutlich jagen: Deffne das Fenfter, Anna! Sie ftürzte zu dem Fenſter hin und riß es auf, bleih, athemlos, kaum ihrer Sinne mädıtig. | Bift Du es, Palm? flüfterte fie hinaus. Ich bin es, fagte eine leife männlide Stimme, und jeßt warb ein Arm fidhtbar, welcher fid um das Fenfterfrenz legte, jetzt bob fich raſch eine männliche Geftalt empor, ſchwang fi auf das Fenſterkreuz und ließ fih dann vorfidhtig in das Zimmer niebergleiten. Gott jei Dank, daß ich wieder da bin, fagte er hehaufathmend, mir ſcheint, alle Gefahr ſei überſtanden, wenn ich wieder hier in unſerm ſtillen Hauſe bei Dir und den Kindern bin. Nein, mein Geliebter, gerade hier droht Dir Gefahr, ſeufzte die junge Frau, in die geöffneten Arme des Gatten ſinkend, und ihk Haupt an ſeine Bruſt lehnend. Mein Gott, warum kehrteſt Du zurück? Weil ich mich fern von Dir ängſtigte, während ich hier bei Dir Muth fühle, der ganzen Welt zu trotzen, ſagte ihr Gatte faſt heiter, einen glühenden Kuß auf die Stirn ſeines jungen Weibes drückend. Glaube mir, Anna, einem Manne fehlt überall der rechte Muth, wenn ex fein Weib nnd feine Kinder in Gefahr glaubt. Ic bin ſeit ſechs Tagen von Euch getrennt; nun, in dieſen ſechs Jagen, die ih ganz unangefochten und ficher in Erlangen lebte, habe ich nicht eine Minute ‚ ohne Herzklopfen Hingebradht, nicht eine Minute gejchlafen. Ich dachte immer an Euch und zitterte für Euch! Doch find nicht wir bedroht, ſondern Du allein, mein Geliebter, fagte die junge Frau feufzend. Unfer Haus wird bewacht, glaube es mir! Ich habe franzdfifche Gensd'armen gejehen, welche drüben hinter den Pfeilern der Kirche verftedt ftanden und ſtundenlang zu unferer Hausthür herüber ftarrten. Oh, wenn fie wüßten, daß Du bier bift, würden fie Dich noch in diefer Nacht verhaften. Sie würden es nicht wagen! rief Balm laut. Noch gehören wir nicht zu Frankreich, obwohl diefer Herr Kaifer von Frankreich ſich das Recht angemaft Bat, die alte freie Reichsſtadt Nürnberg, als wäre fie nur ein aus unfern Fabriken hervorgegangenes Spielzeug, an Baiern zu verfchenten. Nod find wir Deutſche, uud kein franzöflicher Gens- d'arme hat das Recht, in unſere deutſchen Häufer einzubringen. Aber fieh, die Rinder regen ſich, die Heine Sophie ſchlägt die Augen auf. Welch ein Barbar ih bin, fo laut zu fprechen, und den Schlaf der Finder nicht einmal zu fchonen. Er eilte zu dem Bettchen hin und fid über dehebe , aR 646 er lächelnd dem Eleinen Mädchen, das ihn halb im Schlaf anftarrte, einen Gruß zu. Das Kind fläfterte leife: mein geliebter Vater, und ſchloß die Augen und ſchlief ruhig weiter. Komm, Anna, flüfterte Palm, laß uns in Dein Zimmer gehen, damit wir bie Kinder nicht flören. Aber damit vielleicht die Späheraugen unferer Feinde Dich fehen können, fagte fein Weib angſtvoll. Nein, laß uns bier bleiben, felbft wenn wir die Heinen Mädchen weden follen. Sie werben nicht weinen, fondern glüdlich fein, ihren geliebten Vater wieder fehen zu können, und was wir fpredhen, das verftehen fie nit. Komm, fegen wir ung bier auf den Heinen Divan und erlaube, daß ich den Bettfhirm davor ftelle, dann bin ich fidher, daß Dich Niemand fehen kann. Sie führte Palm zu dem Heinen Divan, der am äußerften Ende des Zimmers ftand, und ſchob mit leifen gefchäftigen Händen bem Bettfchirm vor. So, jagte fie, fih an ihn fchmiegend, jegt find wir hier, wie in einer Meinen Zelle, wo nur das Auge Gottes uns finden kann. So lange wir in diefer Zelle find, fürchte ih mich nicht. Ich glaube, Du haft auch fonft nit Urſache, Dich zu fürdten, fagte Palm lächelnd. Wir gehen zu weit in unferen Befürdtungen, glaube mir das, und weil wir fehen, wie der Herr Bonaparte ganze Länder in die Tafche ftedt, fo denken wir, es wird ihm auch ganz leicht fein, einen ehrfamen Nürnberger Bürger und Buchhändler ein> zufteden. Aber das ift, unter uns gejagt, ein fehr hochmüthiger Ge⸗ danke und der Herr Bonaparte hat ganz andere Dinge zu thun, als fih um einen Buchhändler und feine Ballen zu fünmern. ‘Denke doch nur, Rind, daß er eben erft den Rheinbund der deutſchen Fürften ge- baden bat, und daß er jet, wie man fagt, im Begriff ift einen Krieg mit Preußen anzufangen. Wie follte er da Zeit haben, fih mit einem armen Buchhändler zu Schaffen zu machen? Denkſt Du, wenn der Löwe feinem Feind entgegen zieht, um mit ihm zu kämpfen, fo wir er Die Wespe, die er auf feinem Wege findet, und bie ihn ins Ohr geftochen, ungeftraft laſſen, weil er Größeres zu tbun bat? 647 Ich habe ihn aber gar nicht geflohen, fagte Palm lachend. Laß uns einmal ruhig überlegen, thenerfte Anna, laß uns ben ganzen Verlauf der Sahe noch einmal überfhauen und Du wirft fehen, daß ich in Wirklichkeit nichts zu fürchten habe, daß vielmehr nur bie unfelige Furcht, welche ganz Deutjchland jet vor dem Herrn Bona- parte in den Gliedern ftedt, dies ganze Schredniß bereitet hat. Höre alfo nur zu und überlege ein wenig. Ich befomme vor einigen Mo⸗ naten durch die Poft und von unbekannter Hand einen Ballen Drud- ſachen zugejandt, denen ein Brief beigefügt ift, welder von einem Ungenannten die Bitte enthielt, die in dem Ballen befindlichen Eremplare einer Broſchüre ſogleich an alle deutſchen Buchhandlungen zu, verjenden und für eine vecht weite Verbreitung ter Schrift zu forgen. In dem Drief befand fih ein Wechſel auf taufend Gulden beigefügt, auf ein hiefiges großes Banquierhaus, ausgeftellt von dem Banquier Baron Franke in Wien. Die taufend Gulden, fagte der Brief, follten eine Entihädigung fein für meine Bemühungen und für den Eifer, mit bem ih, wie man von meiner Redlichkeit überzeugt fei, bie weitere Verbreitung der Schrift beforgen werbe. Aber gerade dies Geheimnigvolle hätte Dich argwöhniſch machen ſollen, mein Geliebter. Weshalb? Sind wir Deutſche nicht in der unglücklichen Lage, daß wir jetzt unſere beſten Gedanken und unſere heiligſten Empfin- dungen geheim halten müſſen? Und ſoll daher nicht Jeder von uns bemüht ſein, dieſes Geheimhalten zu ehren und zu ſchützen, ſtatt es zu verdächtigen? | Aber ſchon der Titel dieſes Broſchüre war gefährlich. „Deutſchland in feiner tiefſten Erniedrigung.“ Du hätteſt wohl ahnen koͤnnen, gegen wen biefe Anklage fi richtete. Gegen Deutſchland, glaubte ih, gegen unfere Erbärmlichkeit und Verzagtheit, gegen die Zreulofigkeit unferer Fürften, gegen die ftumpfe paffive Gleichgültigfeit unferes Bolfeg. Es ift wohl Zeit, daß Deutſch⸗ land, weldes wie ein Nachtwandler umherſchwankt, durch ein mann baftes Wort aus feinem Schlaf aufgefchredt werde, damit 'e8 ſich aufraffe und das Schwert nehme: Ich fah e8 an dem Titel, daR viele Broſchüre ein ſolches Wort enthielt und ich durfte ſie daher nicht zu» rädhalten. Es wäre ein Raub an Deutſchland, ein Diebftahl an dem gewefen, der mir das Gelb gefanbt, und dem ich es nicht zurückſenden konnte, weil ich ſeinen Namen nicht kannte. Du hätteſt an Dein Weib, an Deine Kinder denken ſollen, ſeufzte Anna leife. Ih dachte an Euch, fagte er weih, und deshalb las ich die Broſchüre niht, um mich nicht irre machen zu laffen in dem, was meine Pfliht war. Zuerſt mußte ich meine Pflicht als Bürger und als Ehrenmann erfüllen, dann erft durfte ih an Euch und meine perfünliche- Sicherheit denken. Ich fandte alſo zuerft einen Theil der Broſchüre an die Stage’fhe Buhhandlung und bat fie für fchnelle Berbreitung in ihren Geſchäftskreiſen zu forgen. Und Gott weiß, daß fie das gethan hat, feufzte Anna, und gleidy Dir an dem Titel keinen Anftand genommen hat. Gie that glei mir ihre Pflicht und verfandte die Brofhüre an Bücherliebhaber zum Verkauf. Auf diefe Weile fam fie an einen Land⸗ pfarrer, und das Unglüd wollte, daß zwei franzöſiſche Officiere bei ihm in Quartier lagen, welche Deutſch verftanven, die Brofhüre alfo lafen, und bei ihrem Obriften davon Anzeige maditen. Diefer fuchte den Pfarrer auf und erfuhr von ihm, daß ihm die Stage’fhe Budy- handlung in Augsburg die Brojhüre zugefendet habe. Man begab fih alfo nah Augsburg zu Stade. Und diefer Dann war feig und treulos genug, Deinen Namen zu nennen, und Dich anzugeben als den, welder ihm die Brofchüre ge- fandt, rief Anna mit zornglühenden Bliden. Dein Freund, Dein Ge- fhäftsgenoffe verrieth Dich! Ih hatte ihm nicht gebeten, mein Namen geheim zu halten, fagte Palm ernſt, er war in feinem Recht, wenn er mid) nannte, und ich mache es ihm nicht zum Vorwurf, daß er’s that. Man zeigte mir an, daß der franzöfifche Geſandte in Münden mit bitterer Beſchwerde meime Beſtrafung verlangt habe, und da wir jegt baierifche Unterthanen find, eilte ich felbft nad München, um mid) zu vertheidigen. And während Du dort wort, tamen wier Tremte hierher, unter: — 649 brach ibn Anna. Sie fragten nad) der Brofchlire, drangen trog meiner Segenvorftellungen mit frehem Ungeſtüm in Deine Bücherhalle, durch⸗ ſuchten Alles und entfernten fi erft, als fie fich überzeugt hatten, daß fein Eremplar der unglüdliden Broſchüre mehr vorhanden fei. Das fchriebft Du mir nah Münden und zu gleicher Zeit erfuhr ih, daß Stade in Augsburg verhaftet fei. Im einem erſten Gefühl des Schredens enfloh ich und eilte nah Erlangen, in das preußifche Gebiet, wo mich die bairifhe und die franzöftfhe Polizei nicht mehr erreichen fann. Im Erlangen aber überlegte ich, und ich geftehe Dir, ic fhämte mich, daß ich geflohen war, ftatt mich offen und frei dem Berhör zu fielen. Meine Sehnfuht und Sorge zog mid zu Dir, und fo beftellte ich mir geftern Abend einen Wagen nnd fuhr heim zu meinem geliebten Weibe und zu meinen Kindern. Siehſt Du, das ift der ganze einfache Hergang, und nun lage felbft, was kann ich zu fürdten haben? Alles, rief Anna fhmerzlih, Alles, denn unfere franzöfifchen Tyrannen wagen Alles! Aber wir leben zum Glüd nody nicht unter franzöfifhem Scepter, rief Palm lebhaft, wir find Deutſchen und nur deutſche Geſetze haben für uns Gültigkeit. Nein, ſagte Anna traurig, wir ſind nicht Deutſche, ſondern Baiern, das heißt die Bundesgenoſſen, die demüthigen Vaſallen Frankreichs. Nicht der König von Baiern, ſondern der Kaiſer von Frankreich iſt Herr über uns. | Nun, und wenn es fo wäre, fo weiß ich doch immer noch nicht, welches Verbrechens man mid anflagen wollte. Ich babe dieſe Schrift weder verfaßt, noch verlegt, ih bin ganz einfach nur der Colporteur derfelben und kann daher nicht verantwortlich gemacht werben für ihren Anhalt. Es ift möglih, daß man mic, verhaftet, wie man es mit Stage gethan, daß man mid) dadurch zwingen will, den, der mir bie Brofhüre gefandt, anzugeben, jo wie Stage mich angegeben bat. Aber ich kann zum Glüd beweilen, daß ich weber den Berfafler noch den Verleger fenne, denn ich habe das befte Zeugniß dafür: den Brief, den ich mit dem Ballen zugleich erhielt. Dielen Brief werte ih ven . 650. Gericht vorlegen und daran werben fie meine Unſchuld erfennen. Was wird ihnen alfo weiter übrig bleiben, als mid zu verwarnen, künftig nit Drudjachen, die mir anonym zugefandt werben, zu verbreiten, und dann mich wieder frei zu laflen ? Aber wenn fie Dich nun nicht wieder frei laflen, mein ©eliebter? tief feine Gattin, ſich angftvoll an ihn fohmiegend, wenn fie nun in ihrer Wuth, den eigentlichen Verbrecher nicht erlangen zu können, ‘Did als den erften Berbreiter der Schrift fefthalten und Dich ftrafen, als wärft Du der Berfafler derfelben ? Dh, Du gehft zu weit, rief Palm lachend, Deine Phantafie malt Dir Schredbilder vor, die in das Reich der Mährchen gehören. Noch leben wir in einem georbneten Staat, und wie groß auch der Einfluß Frankreichs immerhin fein mag, fo gelten bei uns noch die deutfchen Geſetze, und da wir im vollen Frieden leben, kann ich nur nach dieſen gerichtet werden. Sei alſo ohne Sorgen mein geliebtes Weib. Das Schlimmſte, was mid treffen kann, ift doch nur eine Trennung auf einige Tage, höchftens einige Wochen, wenn unfere Behörden wirklich in ihrer hundewedelnden Demuth gegen Bonaparte einen beutfchen Dürger deshalb zur Rechenschaft ziehen ſollten, weil er als Buchhändler eine Schrift verbreitet hat, wohl zu merken, eine beutfche, nur für Deutfehland beſtimmte Schrift, die vielleiht dem Herrn Kaiſer der Franzoſen nicht ganz fo ſchmeichelt, als wie unſere deutſchen Fürſten und unſere deutſchen Regierungen es thun. Oh, mein Gott, mein Gott, jammerte Anna leiſe, dieſe Schrift iſt alſo gerade gegen Napoleon ſelber gerichtet? Ja, gegen ihn, der ſeinen Fuß auf Deutſchlands Nacken geſetzt und es in den Staub getreten hat, rief Palm, gegen ihn allein kann bie Schrift, welche „Deutſchland in feiner tiefſten Erniedrigung“ heißt, gerichtet ſein. Oh, jetzt in dieſen Tagen meiner Einſamkeit in Erlangen habe ich dieſe Broſchüre geleſen, und was auch geſchehen möge, ich freue mich, daß ich es war, welcher ſie verbreitet hat; denn es iſt ein edler deutſcher Geiſt, der aus derſelben ſpricht, und die Wahrheit iſt es, welche in derſelben die Geiſtes erhebt, um die Schul⸗ digen zu treffen. Es iſt eine wit glülehen vod derben Farben auf- -651 getragene Schilderung aller veutfchen Lande und bes Zuſtandes, in welchen Bonaparte's Willkürherrſchaft fie verſetzt hat. Höre nur biefe . Eine Stelle bier, und dann ermiß. danach, ob dieſe Schrift Wahr⸗ heit enthält. Er 309 aus feiner Bufentafche einige. geudte Blätter hervor und ſchlug fie auf.. Du haft ein Eremplar diefer unſeligen Schrift bei Dir? fragte Anna entjegt. Oh, welde Unvorfidtigkeit. Wenn fie jegt kämen, Di zu verhaften, fo würden fie einen neuen Beweis Deiner Schuld haben. ch beſchwöre Dich, mein Freund, mein Geliebter, wenn Du mid; liebft, wenn Deine Kinder Dir am Herzen Liegen, fo fei vorfichtig and befonnen! Verbrenne diefe fürchterlichen Blätter, damit fie nicht Zeugniß wider Dich ablegen. Bedenke, daß auch ich fterben würde vor Gram, wenn Dein Leben bedroht wäre, bebenfe, daß unfere armen Kinder dann hülflofe Waifen wären. Ä Ob, mein armes fhüchternes Reh, fagte Palm ‚gerührt, indem er die weinende junge Frau in feine Arme ſchloß. Wie Dein treues un- ſchuldiges Herz ſchlägt und hämmert, als hätte der graufame Jäger fhon das Mordgewehr auf uns angelegt, und wir. müßten ohne Net- tung fallen. Beruhige Did, Du Liebe, ich verfpredhe Dir auch Deinen Willen zu thun. Wir wollen die Schrift verbrennen. . Vorher aber mußt Du wenigftens erfahren, welcher Geift und Sinn aus der Schrift Spricht, für welche Dein armer Mann vielleicht einige Tage Gefängniß⸗ qual zu dulden haben wird. Höre nurt Hier ift von Baiern die Rebe, und von den Bebrüdungen, Die es zu: erdnlden hat, feit wir im Freundſchaft mit Frankreich leben, und wie es in der Brofchüre heißt: „Seit fih Baiern zu einem Winter: und Kantonirungsquartier ver- dammt fieht, davon man feit dem breigigjährigen Krieg kein Beiſpiel bat. Damals lebte der Defterreicher unter Tilly und Wallenftein gerade jo, wie jeßt der Franzoſe, und wenn fein Kaifer fi aus jenem Kriege nichts anmerkt, fo bat er doch die damals übliche Unter- baltungsart eines Heeres genan copirt. Männer, denen aller Glaube beizumefien, haben als reine Wahrheiti verfichert, dag Frankreichs Dberhaupt, als ihm in München über. die unerhörten Drasıale, 652- wornnter der bairifihe Einwohner ſeufzte, die nachdrücklichſten Vor⸗ ftellungen gefhahen, mit kaltem Blut fagte: „Das haben meine Leute nicht gethan.. Es ift Krieg, man laſſe mich in Ruhe und ftöre mid; nit in meinen Plan.” Schon im December des vorigen Jahres, wird der Friede in Preßburg unterzeichnet, und von dem Augenblid an bat Defterreich Hoffnung, feine Feinde los zu werben. Hätte Baiern nit ein gegründetes Recht, ver Bortheile dieſes Friedens zu ge- nießen? Dieſe fonnten Beine andern fein, als daß das franzäftfche Heer abgeführt, und. das Land ferneren Bedrückungen enthoben würde. Gerade das Gegentheil erfolgte. Die Franzoſen ziehen ſich aus den Stanten des deutfhen Kaifers,. um fih in Baiern feftzufegen, und hier bei Freſſen und Saufen, ein durch lange Monate fortgejegtes Siegesfeft mit dem Untergang aller Einwohner zu feiern. Wenn hier vom Untergange die Rebe ift, jo nehme man das Wort in ftrengfter Bedeutung, und nicht als einen Ausdruck, ber nur die Größe ber Leiden, welche bie Yranzofen über den bairiſchen Staat herbeigeführt, angeben jol. Noch find es nicht fünf Jahre, ba ein feindliches Heer der nämlichen Nation in dieſem Lande den Meifter fpielte. Und da zweifelt wohl Niemand, daß bie damals den Einwohnern gefchlagenen Wunden binnen dieſer kurzen Frift bei ven wenigften vernarben konnten. Der Landmann, des benöthigten Zugviehes entblößt, hatte faum ange- fangen, fich wieder mit Pferden und Rindern zu verfehen, als ver einem Einfall in allen Stüden gleihe Durchzug der Franzoſen dem⸗ jelben diefen wichtigen Theil feiner Habe wieder entzog. Betrug, Lift, Gewalt boten einander hierin die Hände. Thränen und fußfälliges Bitten um Verſchonung wurden mit Hohngelächter oder mit Schlägen abgewiefen. Der Frauzoſe gab: fih den Namen eines Retter von Baiern. Wahrlich eine Rettung, jener ähnlich, da der Kranke, melden diefer Arzt früher in's Grab gejchidt hätte, unter der Hand des an⸗ dern bloß eines langſamern Todes ftirbt. Wenn irgend mit ber Freunpfchaft ein Spott getrieben wurde, konnte er wohl bitterer fein, als diefer? Doch, 88 Liegt ja in Napoleons Plan, Deutſchland fo zu entkräften, daß ihm für jept und die entferntefte Zufunft von dieſer Seite nichts zu beffrten Kent. Gr wie han verfchiebene 653 ſehr jchicdliche Wege. Fürſtliche Hänfer, deren Hoheit ſich aus dem graueften Alterthum berleitet, aus derem. einem längſt ſchon Kaifer und Könige hervorgingen, wurden mit der Familie. Bonaparte’s durch die engften Bande des Blutes verknüpft, und schon fteht Frankreichs Herriiher mit Baden, Baiern, Schweben und Rußland in naher Verwandtſchaft. Damit nicht zufriebensbet er Baiern und Württem- berg die Krone an, wozu der deutſche Kaiſer in dem legten Frieden feine Einwilligung geben mußte. So bat nun Deutſchland zwei Königreihe und” —*) Dh, ih befhwöre Dich, hör’ auf, hör’ auf, unterbrach Anna die Borlefung ihres Gatten. Es ängftigt mich, Dich diefe drohenden und zürmenden Worte nur fprechen zu hören, fie fallen auf mein Herz wie eine fürdterlihe Anklage gegen Did! Glaube e8 mir, mein Geliebter, wenn biefer ftolze und ehrgeizige Kalfer Napoleon von diefer Schmäh- fhrift hört, wenn man ihm den Inhalt derfelben mittheilt, jo bift Du verloren, und da er Niemand Anders bat, den er ftrafen Fönnte für diefe Schrift, fo wird er an Dir fi rächen! Aber mich wird er auch nicht haben, jagte Palm lächelnd, denn ih werde mich wohl hüten, mich auf franzöflfches Gebiet zu begeben, ich werde Nürnberg nicht verlaſſenn nnd: das iſt, Gott ſei Dank, deutſches Gebiet. Aber die Grenzen Frankreichs ege abe bei uns, denn wo bie Franzoſen ftehen, da ift Frankreich. Napoleons Arm reicht weit hinaus über feine Grenzen, und wenn er-Didy ergreifen will, jo wird er es thun, trog aller Örengpfähle und aller deutſchen Geſetze und Bürgerrechte. Es liegt wahrhaftig etwas fo- Vebergengenbis in Deiner Furdt, daß ih mich faft mit davon. angeftedt fühlen könnte, fagte Palm finnend. Bielleiht wäre es doch . beffer: geweien, nicht hierher zu fommen, fondern im preußifchen Erlangen zu bleiben! | *) Siebe: Deutfchland in feiner tiefften Erniedrigung 1806. Abgebrudt in: Der Volkswitz der Deutfchen über ben geſturzten Bonaparte. Stutt⸗ gart 1849. Bd. IV.S.1—1. 654 Kehre dahin zurüd, rief Anna flebenn, ich beſchwöre Did bei unferer Liebe, bei unfern Kindern, und bei unferm Glück, kehre um, gehe wieder nach Erlangen! : Morgen, meine geliebte Anna! fagte Balın lächelnd, jein junges Weib in feine Arme ſchließend. Morgen ift e8 immer noch Zeit genug, an eine neue Trennung zu denken. Jetzt günne mir einige Stunden der Ruhe, und laß mid. in vollen Zügen das Glück ge- nießen, wieber daheim zu fein! Daheim bei meinem Weib und meinen Kindern! | Bie Berhaftung. Am nähften Morgen. verbreitete fi, in Nürnberg das Gerücht, der-Buchhändler Palm fei zurüdgelehrt und halte ſich in feinem Haufe verborgen. Die Köchin hatte ed im größten Bertrauen einigen Freun- binnen erzählt, al8 fie auf den Markt gekommen war, um einige Ge- müſe für ihre Herrfchaft einzufaufen. Die Freundinnen hatten bie Nachricht natürlich auch wieder im größten Vertrauen Andern mitge- theilt, und fo war bald Die. ganze Stadt Mitwiſſerin des Geheimniſſes geworden. Die nähern Freunde d des Hauſes beeilten ſich nun zur Frau Palm zu gehen, um von ihr ſelber zu erfahren, ob die Nachricht begründet ſei. Anna leugnete ſie indeß, ſie behauptete erſt heute Morgen einen Brief von ihrem Gatten aus Erlangen erhalten zu haben; aber als einer der zudringlichern Freunde fie bat, ihm dieſen Brief doc mitzutheilen, oder ihn denjelben wenigftens fehen zu laflen, warb fie verlegen, und gab eine ausweichende Antwort. Er ift dal fläfterten bie Freunde und Gevattern einander zu, als fie Frau Anna verließen. Er ift da, aber er verftedt fi, damit ihn ⸗ 655 Die franzöfiſchen Spürnaflen, die hier feit einigen Tagen herumfchnüffeln, nit wittern follen. Er thut wohl daran, und wir wollen ibn nicht verratben, fondern getreulich fein Geheimnig bewahren! Über ein Geheimniß, das eine ganze Stadt fennt, und das den Zungen aller Frau Muhmen und Bafen Stoff giebt, ift fchlecht be- wahrt, und kann nicht mehr gehütet werden vor Verrath. Palm ahnte nichts davon. Er glaubte ſich ungefährbet und fidher in dem frieplihen und ftilen Gemach feiner Gattin, deſſen nad dem Garten belegene Fenfter feinem Späherauge zugänglid waren, deſſen einzige Ausgangsthür in die große Halle führte, wo feine beiden Commis in ihrem Gefhäft thätig waren, und bie Bücherbeftellungen und Anfragen des Publitums entgegen nahmen. Während Anna eben das Zimmer verlaffen hatte, um in wirthlichem Eifer die Angelegenheiten des Hausweſens und der Küche mit ihren Mägden zu berathen, Iag Palm in behagliher Ruhe auf dem Divan und las. Die trüben Sorgen, welche ihn in ven legten Tagen beäng- ftigt hatten, waren jet, da er wieder daheim war, von ihm gewidhen, er fühlte ſich vollkommen ruhig, und lächelte über feine eigene Furcht, die wie eine trübe Wolfe an ihm vorüber geflattert war. Auf einmal ward er durd lautes Gefpräh in der Geſchäftshalle aus feinem behaglichen Sinnen aufgeftört, und er richtete fich von dem Divan auf, um zu hören, was e8 gebe. Ih fage Ihnen, ich bin nit im Stande, Sie zu unterftügen, hörte er feinen Buchhalter fagen. Sch felbft bin unbemittelt und Herr Balm ift nicht bier: Herr Palm ift bier, und ich beſchwöre Sie, führen Sie mich zu ihm, fagte eine frembe flehende Stimme. Er hat ein großmüthiges Herz, und wenn ich ihm meine Noth Mage, wird er Erbarmen mit mir haben und mir helfen. So fommen Sie in einigen Tagen wieder, rief der Buchhalter, vieleicht ift Herr Palm dann von feiner Reife zurückgekehrt. In einigen Tagen! rief die fremde Stimme. In einigen Tagen wird mein Weib und mein Kind Hungers geftorben fein, denn wenn ich nicht in dieſer Stunde noch Hülfe fchaffen fann, werde ih von 656 meinem bartherzigen Gläubiger in den Schulbthurm gebracht; und bin dann außer Stande, meinem kranken Weibe und ihrem Heinen Kinde beizuftehen. Ob, feien Sie alfo barmberzig, haben Sie Mitleid mit meiner Noth. Führen Sie mich zu Heren Palm, damit ich ihn um Häülfe und Unterftügung anflehen kann. Herr Palm ift nicht bier, fage ich Ihnen, rief der Buchhalter mit zorniger Stimme. Wie fol ih Sie alfo zu ihm führen? Kebren Sie in einigen Jagen wieber, das ift der einzige Rath, den ich Ihnen geben kann. Gehen Sie jegt und ftören Sie mich nicht länger in meiner Arbeit! Gehen Sie! Nein, es fol nicht gefagt werben, daß ich einen Verzweifelnden von meiner Thür gewiefen, murmelte Palm, indem er raſch das Zim- mer durchſchritt und die Thür der Halle öffnete. Bleiben Sie, armer Mann, rief er dem Bettler zu, der fi ſchon umgewandt hatte, und im Begriff war, die Halle zu verlafien. Bleiben Sie! | Der Bettler kehrte um, und Palm erblidend, der auf ver Schwelle der Thür ftand, ftieß er einen Freudenfchrei aus. | Sehen Sie wohl, rief er triumphirend dem Buchhalter zu, fehen Sie wohl, daß ih Recht hatte, Herr Palm ift de, und er wirb mir helfen! | Ich werde Ihnen helfen, wenn ich e8 vermag, fagte Palm gütevoll. Wie hoch beläuft ſich Ihre Schuld? Ah, Herr Balm, ich fchulde meinem Hauswirth die Miethe für ein ganzes Bierteljahr, und das find zwanzig Gulden. Aber wenn Sie in Ihrer Großmuth mir die Hälfte diefer Summe geben, fo ift das genug, denn der Wirth hat mir verfprochen, fi) noch das nächſte Vierteljahr gebulden zu wollen, wenn ich ihm jetzt zehn Gulden abzahle. Sie jollen diefe zehn Gulden haben, fagte Palm. Herr Bertram, zahlen Sie aus der Hauptlaffe zehn Gulden an diefen Mann aus. Dh, Herr Palm, wie gütig Sie find, rief der Bettler freudig. Wie foll ich Ihnen jemals danken, was Sie heute Großes an mir gethan! Danken Sie es mir,. indem Sie fleißig find und rechtzeitig für Weib und Kind forgen, damit Sie nicht wieder in fo arge Berlegenheit 657 fommen, fagte Balm, indem er dem Fremden freundlich zunidte, und Dann wieder in das anftoßende Gemach zurüdtrat. Mit den zehn Gulden, welde ver Buchhalter ihm ausgezahlt, eilte der Bettler auf die Straße. Kaum hatte er die Schwelle des Palm'ſchen Haufes Hinter fih, al8 der Zug von Trauer und Angft aus feinem Antlig verfhwand, das jeßt einen höhnifchen und boshaften Ausdrnd annahm. Mit haftigen Schritten eilte er hinüber nach ber Sebalduskirche, zu jenem Pfeiler, hinter welchem zwei in Mäntel ge- büllte Männer ftanden. | Herr Palm ift in feinem Haufe, fagte der Bettler grinfend. Ihr geht in die Gefhäftshalle, Durchfchreitet fie und tretet durch Die gegen- überliegende Thür in das Wohnzimmer; ba drin ift er. Ich hab's Euch richtig ausgelundfchaftet, und jeßt gebt mir meinen Kohn. Erft müfjen wir willen, ob Ihr die Wahrheit gefprodhen, fagte einer der Männer. Was bürgt uns dafür, daß Ihr ung nicht betrügt? Aber ich fage Euch, ich habe ihn mit meinen eigenen Augen ge- fehen, vief der Bettler. Ich ftand in der Halle und heulte und flennte ganz jämmerlih, ‘und ſchwur body und theuer, daß mir Weib und Kind verhungern müßten, wenn Herr Palm mir nicht helfen wollte. Der Buchhalter ſchlug's mir ab, da heult’ ich blos lauter, damit Herr Balm mich hören follte Und er hörte mih auch und fam aus feinem Verſteck hervor, und gab mir richtig bie zehn Gulden, um bie ich ihn bat. Hier find fie! Nun, wenn Ihr zehn Gulden befommen habt, jo feid Ihr für Euren Berrath hinlänglid bezahlt, fagten die beiven Männer. Es ift Judasgeld. Seinen Wohlthäter, ver Euch eben ein großmüthiges Geſchenk gemacht, zu verrathen, — wahrhaftig, das fann aud nur ein Deuticher! Sie wandten fih mit verächtlichen Blicken von dem Bettler ab, und fohritten dahin über die Straße, dem Palm'ſchen Haufe zu. "Niemand war auf dem Hausflur und ungehindert traten die beiden Männer in die Halle ein. Ohne dem Buchhalter und dem Commis, bie ihnen mit gefhäftiger Eile entgegentraten, zu antworten, warfen fie ihre Mäntel ab. Mühlbach, Napoleon. I. Bb. — 658 - - Franzöfiſche Gensd'armen, murmelte der Buchhalter erbleichend, und er that einige Schritte vorwärts nad) der Thür des Wohnzimmers hin. Einer ver Gensd'armen hielt ihn zurüd. Gie bleiben Beide hier, ſagte er gebieteriih, wir wollen da bineingehen. Bei dem geringften Raut oder Warnungsruf verhaften wir Sie Beide. Schweigen Sie alfo und laffen Sie uns unfere Pflicht thun. | Ä - Die beiden Commis wagten nicht, fih zu regen und fahen mit ſtummem Entjegen zu, wie jest die Gensd'armen der Thür des Bohn zimmers zufchritten und biefe öffneten. Dann hörten fie einige heftige gebieterifche Worte, denen ein durch⸗ dringender Wehefchrei folgte. Db, die arme Frau, murmelte der Buchhalter mit zitternden Lippen, aber ohne fi, von der Stelle zu bewegen. Die Thür des Wohnzimmers, welche die Gensd'armen hinter ſich zugebrüdt hatten, that fich jetzt wieder auf und die beiden Polizeimänner traten wieder in die Halle, in ihrer Mitte Palm führend, den Jeder von ihnen an einem Arm gefaßt hatte. Palm ſah bleich aus und ſeine Stirn war umdüſtert, aber er ſchritt doch vorwärts wie ein Mann, der feinen Eutſchluß gefaßt bat und ſich von dem Mißgeſchick nicht zerfchmettern Iafien, fondern es tragen will mit aufgerichtetem Haupt. Inn der Mitte der Halle, bei dem Tifch angelangt, neben welchem feine beiden Diener ftanden, blieb er ftehen. Sie geben mir alfo nicht eine halbe Stunde Zeit, um meine Ge Ichäfte mit meinem Buchhalter zu befprechen und ihm meine Befehle zu ertheilen ? fragte er die Polizeimänner, welche ihn vorwärts ziehen wollten. Nein, nicht eine Minute, fagten fi. Wir haben ftrengen Befehl, Sie fogleicd zum General zu führen, und wenn Sie ſich ſträuben follten, gutwillig zu gehen, Sie gebunden und in Feſſeln hinzuſchaffen. Sie fehen wohl, ich firäube mic nicht, fagte Palm verachtlich. Laſſen Sie uns gehen. Bertram, fehen Sie doch nad meiner Fran, 659 fie ift ohnmächtig geworben! Bringen Sie ihr und meinen Kindern meine Grüße, Adien! Die beiden jungen Männer antworteten ihm nicht fie konnten vor Weinen nicht ſprechen. Aber als Palm verſchwunden war, ftürzten fie Beide in das Wohnzimmer, um der unglüdlichen, jungen Frau bei- zuftehen. Sie lag an der Erbe, bleich und ftarı, wie eine vom Sturm ges Inidte Lilie. Ihre Augen waren halb geöffnet und glanzlos, ihre langen blonden Haarflechten, mit deren Ordnen fie eben, als die Gensb’armen eintraten, befchäftigt gewefen, bingen Halb anfgelöft wie vingelnde Schlangen über ihr Antlig und ihre Schultern, von denen das Heine burdfichtige Flortuch fich verfchoben hatte. Ihre Züge, welche fonft immer voll Liebreiz und Unmuth waren, hatten jest den Ausdruck des Zorns und des Entfegens, fie waren in dem Ausdruck erftarrt, als fie ohnmächtig geworden war, weil fie hören mußte, wie die franzd« ſiſchen Boliziften ihren Gatten zu ihrem Oefangenen erklärten und ihm befahlen, ihnen zu folgen. Erft nad langeın Bemühen gelang es, fie wieder zum Bewußtſein zurüdzurufen. Es waren aber nicht bie flüchtigen Salze, bie ihre Dienerin ihr auf die Stirn rieb, nicht die flehenden Worte des Bud- halters, welche fie zum Leben erwedten, fundern es waren die glühenden Thränen ihrer beiden Heinen Mädchen, welche ihr erftarrtes Blut wieder fchmolzen und erwärmten. Mit einem tiefen Seufzer richtete fie fih auf und ihre wilden, geängfteten Blide flatterten im Zimmer umher, hefteten ſich forfchend und ſuchend auf jede der fie umgebenden Geftalten. Dann, als fie fidh überzeugt, daß Er nicht unter. ihnen fei, Er, den allein ihre Blide geſucht hatten, fchlug fie mit einem Schrei des Entfegens ihre beiden Arme um ihre Rinder, und fie feft an fich ziehend, weinte fie laut. Aber nicht lange mehr überließ fie fi ihrem Schmerz und ihrer Berzweiflung. Mit einer haftigen Bewegung trodnete fie ihre Thränen und ftand auf. Es iſt jeßt nicht Zeit zu weinen und zu klagen, fagte ſie, nach Athem ringend, ich werde ſpäter Zeit genug dazu haben, jetzt 42* 660 muß ich handeln, muß fehen, daß ich ihm Hülfe ſchaffen kann. Wißt Ihr, wo man ihn hingeführt hat? Zu dem franzöſiſchen General Colomb, der jetzt hier cantonirt, ſagte der Buchhalter. Ich werde zu dem General gehen und er wird mir wenigſtens fagen müffen, ob idy meinen Gatten in feinem Gefängniß fehen kann, fagte fie entfhloffen. Schnell, Kathi, hilf mir mich anfleiven, ordne mein Haar, denn Du fiehft wohl, meine Hänbe zittern fo fehr, fie find ſchwächer als mein Herz Sie fland auf, um fi nad ihrem Ankleivezimmer zu begeben. Aber die Füße verfagten ihr den Dienft, es fchwindelte vor ihren Bliden und von einer neuen Ohnmacht überwältigt, ſank fie wieder zufammen. Erft nah Stunden bes Kämpfens und Ringens konnte die arme junge Frau fid) von diefer phyſiſchen Schwäche, welche der jähe Schred ihr auferlegt, wieder aufraffen und fi zu feftem Wollen und Handeln zufammenfaffen. Jetzt hatte fie ihre ganze Energie und Beherztheit wieder gefunden, kühn und muthig, wie eine gereizte Löwin, war fie entfchloffen mit der ganzen Welt zu kämpfen um ven Geliebten, ven man ihr entrifien hatte. IN. Die Siebe einer Tran. Anna begab ſich zuerft zu dem General Colomb und bat ihn um eine Unterredung. | Bier Stunden ungefähr waren vergangen feit der Verhaftung Palm’s, als der General fie empfing. Madame, fagte er, ich weiß, weshalb Sie kommen, Sie fuchen Ihren Gatten, allein ex it mt weht ey 661 N Nicht mehr bier? rief fie entſetzt. Ihr habt ihn nach Frankreich gefchleppt? Ihr wollt ihn alfo tödten? Das Gefeg wird über ihn richten, Madame, fagte der General firenge. Ich felber babe ihn vernommen und ihn aufgefordert, uns den Urheber und PVerfaffer dieſer fluchwürdigen Schrift, welche Herr Palm ins Publifum gebracht hat, zu nennen. Hätte er es gethan, fo wäre er aller weiteren Berantwortlichkeit überhoben gewejen und hätte unangefodhten in fein Haus und zu Ihnen zurüdtehren können. Wber er weigerte fid, entjchieden, den Berfaffer und den Druder anzugeben. Er tennt beide nicht, rief Anna, ob, glauben Sie mir, mein Herr, Palm ift unſchuldig. Man hat ihm diefe Broſchüre gefandt, begleitet von einem anonymen Schreiben. Dann hätte er fi) wohl hüten müfjen, viefelbe zu publiciren, rief der General. Es ift gegen alles Gefeg, eine Druckſchrift, von der man weder Verfaſſer noch Druder kennt, zu publiciren. Nein, Herr General, es ift nicht gegen das in Nürnberg, in der freien deutfhen Reichsſtadt geltende Geſetz. Wir find dur einen Machtſpruch des Kaifers von Frankreich an Baiern gefchentt, aber bie Privilegien und Rechtſame unferer freiern Berfaffung find der alten Reichsſtadt verbürgt worden, und Palm hat aljo nichts gethan, was gegen unfer beutjches Geſetz verftieße. | Wir urtheilen und richten nad) unferm Geſetz, ſagte der General achſelzuckend, wo wir find, da ift Franfreih, und wo wir beleidigt werben, da ziehen wir den Beleibiger zur Rechenſchaft und ftrafen ihn nach unfern Gefegen. Ihr Dann bat fich eines ſchweren Verbrechens ſchuldig gemacht; er hat eine Schrift verbreitet, in welcher Frankreich und der Kaifer der Franzofen auf das Gröblichfte infultirt wird. Er hat den Urheber diefer Schrift nicht nennen wollen; fo lange er das nicht that, gilt er uns dafür und muß bie Strafe tragen. Da er mir fein Belenntniß ablegen wollte, habe ich ihn der höhern Behörde über⸗ geben. Herr Balm befindet fich feit zwei Stunden ſchon auf dem Wege nach Anspach, wo der General Bernabotte über ihn richten wird. Ih werde alfo nad Anspach gehen, zum General Bernabotte, 662. ſagte Anna, und ohne den General weiter eines Blickes zu mürbigen, wandte fie ſich um und verließ das Gemach. Sie wollte gleich jet, gleich in dieſer Stunde ſchon abreifen, aber ihr Bemühen war vergeblich, ſie konnte feinen Wagen finden, ver ſie befördert hätte. Bei der Poft waren alle Pferde requirirt für das Gefolge und die Transportwagen des Marſchalls Berthier, der ſich nah Münden begeben follte, und bie Befiger von Miethswagen wei- gerten fich bei der herannahenden Dunkelheit und ber Unſicherheit der Landſtraßen, die Reiſe zu unternehmen. Anna mußte alſo warten, bis der Morgen kam, und ſie benutzte die langen Stunden der Nacht, um eine Bittſchrift aufzuſetzen, welche ſie, wenn der Marſchall Bernadotte ihr eine Unterredung verweigerte, ihm überſenden wollte. | In der Frühe des nächſten Morgens endlich trat fie ihre Reife - an, aber die Wege waren fandig und fhleht, die Miethsgäule träge und Fraftlos, erft am fpäten Abend fam fie am Ziel ihrer Reife, in Anspach an. Wieder mußte fie eine lange troftlofe Nacht warten. Keiner konnte oder wollte ihr Antwort geben auf ihre angftvollen Fragen, ob Palm wirklich bier fei, ob man ihn nicht abermals weiter transportirt habe. Innerlich bebend vor Angft und Entfegen, aber feft entſchloſſen, Alles zu wagen, nichts unverfucht zu laflen, was zu Palm's Rettung dienen könnte, begab fih Anna am andern Morgen in die Wohnung des Marfhalls Bernabotte. Der Abjutant des Marfhalls empfing fie und fragte ſie nach ihrem Begehr. Ich muß den Herrn Marſchall ſelbſt ſprechen, denn in ſeinen Mienen werde ich leſen, ob er meinen Gatten begnadigen oder ver- nichten will, fagte Anna. Ich beſchwöre Sie, mein Herr, haben Sie Erbarmer mit dem Scymerz einer Frau, welde für den Vater ihrer Kinder bangt und zittert. Verſchaffen Sie mir eine Aubienz bei dem Herrn Marſchall. Ich werde ſehen, was ſich thun' läßt, fagte der Adjutant, gerührt von bem tiefen Seelenſchmexz, der aus dem bleichen Antlit der jungen \ 663 Frau ſprach. Aber fchon einige Minuten, nachdem er binausgegangen war, kehrte er zurüd. Madame, fagte er achfelzudend, es thut mir leid, aber Ihr Wunſch kann nicht erfüllt werden. Der Herr Marſchall will ganz und gar nichts mit dieſer Sache zu thun haben und lehnt jede Betheiligung an derſelben ab. Aus dieſem Grunde hat er auch Herrn Palm, der geftern, gleich Ihnen, eine Audienz bei dem Herrn Marſchall begehrte, nicht angenommen, und ich mußte ihn ftatt feiner empfangen, wie id) jett die Ehre habe, Sie zu empfangen. Oh, Sie haben meinen Gatten gefehen? fragte Anna faft freudig. Sie haben mit ihm geſprochen? Ich babe ihm dafjelbe im Namen des Marfchalls gefagt, was ich Ihnen jeßt fage, Madame. Der Herr Marſchall ift außer Stande, für Ihren Gatten irgend etwas zu thun. Der Befehl zu feiner Ber- haftung ift unmittelbar von Paris aus dem Cabinet des Kaiſers ge- fommen, und es ift alſo nicht in des Marſchalls Macht, ihn rüdgängig zu maden, oder den Lauf des Geſetzrs zu hemmen. Auch befindet fih Herr Palm nit mehr bier. Schon geftern beim Einbruch ver Nacht ift er weiter transportirt. Wohin? Dh, mein Herr, Sie werden Mitleid mit mir haben, Sie werben mir fagen, wohin mein unglüdlicher Gatte gebracht worben. Madame, fagte der Adjutant, ſich ſcheu umfehend, als fürdte er das Ohr eines Hordhers, er ift nach Braunau gebracht worden. Anna ftieß einen Schrei des Entfegens aus. Nah Braunau, fagte fie athemlos. Nah Braunau, das heißt, außer Landes. Mean will einen Bürger und Unterthban Baierns für ein Vergehen, das er in feinem Vaterlande begangen haben foll, nicht nad) bairifchem Gefeß, fondern nach dem Geſetz eines fremden, uns feindlichen Staates richten. Man hat meinen Mann nach Oeſterreich geſchleppt. Verzeihen Sie, ſagte der Adjutant lächelnd, die Stadt Braunau gehört noch nicht wieder zu Oeſterreich, ſie iſt bis zu dieſer Stunde noch franzöſiſches Gebiet, denn wir hatten ſie während des Krieges eingenommen und beſetzt, und wir haben fie noch nicht wieder an 664 Defterreih ausgeliefert. Herr Palm wird alfo in Braunau nah ben Geſetzen Frankreichs gerichtet werben. Dh, dann ift er verloren, rief Anna ſchmerzvoll, dann giebt es für ihn feine Rettung mehr. _ Wenn er fhulbig if, Madame, fo hat er Strafe verdient, wenn er unfhuldig ift, wird er ungefährbet bleiben, denn die Geſetze Frank⸗ reichs find unparteiifch und geredit. Dh, mein Herr, fagte Anna faft ftolz, e8 giebt Dinge, welde nad ven Gefeten Ihres Landes ftrafwiirdig, fogar verbrecherifc erfcheinen Können, welche aber nad dem Gefege eines deutfchen Landes feine Strafe, vielmehr Lob und Anerfennung verdienten. Wenn das, was Herr Palm gethan, von diefer Art ift, dann be- daure ich ihn, fagte der Adjutant achfelzudend. Uber, fügte er leifer hinzu, ic will Ihnen einen Rath geben. Eilen Sie nah München, wenden Sie fi) an den dortigen franzdfifchen Gejandten. Wenn er Ihnen eine Audienz verweigert, fo ſenden Sie ihm eine Bittfchrift, im weldher Sie tie Angelegenheit Ihres Gatten genau und der Wahrheit gemäß auseinanderfegen und um feine Vermittlung bitten. Und wenn er meine Bittfehrift unbeantwortet läßt? Wenn er fid weigert, fi für mich zu. verwenden? | Dann bleibt Ihnen nod ein legtes Mittel. Dann wenden Sie fih an ven Marfhall Berthier, der jetzt aud in Münden ift, er ver- mag viel bei dem Raifer, er allein ift dann im Stande, Ihnen zu helfen. Uber verlieren Sie feine Zeit. Ich werde in diefer Stunde noch abreifen, mein Herr, und id danfe Ihnen führen Ihren Rath und Ihre Theilnahme. Ich ſehe wohl, daß Sie nichts für mid thun künnen, aber Sie haben mir Ihr. Mits leid gegeben, und ich danke Ihnen dafür. Leben Sie wohl, mein Herr! Eine Stunde fpäter befand fih Anna auf dem Wege nah München. Nach einer ermüdenden Fahrt von vier Tagen, — denn damals gab es noch nit, wie heute, Kauffirte Wege oder gar Eifenbahnen, — batte fie München erreicht und nahm dort in einem Gaſthof ihr Quartier. Sie war hier ganz fremd, fie hatte feine Freunde, feine Beſchützer, feine Empfehlungen, und es war doher natürlid, daß fie alle Pforten "665 verſchloſſen, alle Ohren taub fand. Niemand mochte Mitleid haben mit biefer armen, geängfteten Frau, Niemand mochte ihre Klagen ah- hören, denn ihre Klagen waren zugleich Anlagen gegen den mächtigen und gewaltigen Mann, ber jett feine Hand ‚über Baiern ausgeftredt hielt, und es in berfelben zerbräden: Ponte, wenn er den Willen dazu hatte. Anna fand aljo Feine Unterftägung, nicht einmal Gehör bei den deutihen Behörden. Sie ging zu allen Miniftern, zu allen Denen, welde durch ihr Amt und ihr Anfehen verpflichtet gewefen waren, ſich ihrer Angelegenheit anzunehmen. Sie wagte fid) fogar in das Schloß des Königs und fand ftundenlang in der Borhalle, immer hoffen, daß man ihr Tlehen berüdfichtigen, daß ſich irgend eine Thür für ſie öffnen werde. Aber alle Thüren waren für ſie verfchloffen, ah, die des fran« zöftfchen Gefandten. Sie hatte ihn vergebens um eine Audienz gebeten, als ihr dieſe verweigert ‘ward, hatte fle feinem Attahe eine Bitt- ſchrift übergeben, welche fie fih von einem Rechtsgelehrten hatte auf- fegen laflen, und in der alle Anklage- und Vertheidigungs-Punkte genau erörtert und erwogen wurden. Acht Tage lang wartete fie auf eine Antwort, acht Tag lang ging fie jeven Morgen in das Hötel des franzöfifhen Botfchafters und fragte ‚mit derfelben fanften und flehenden Stimme, ob keit Beicheid für fie da, ob feine Antwort auf ihre Bitte erfolgt fei. Am achten Tage erhielt fie den Beſcheid, daß es keine Antwort auf ihre Bittſchrift gäbe, daß der franzöfiſche Geſandte nichts in dieſer Angelegenheit zu thun vermöge. Anna weinte nicht und klagte nicht, ſie empfing dieſe Nachricht mit der ſanften Ruhe einer Märtyrerin, und ftatt in Klagen auszu⸗ brechen, betete fie. Sie betete, daß Gott ihr Kraft geben möge, nicht zu verzweifeln, nicht zufammen zu finfen, fie betete, daß Gott ihrem Körper Stärke verleihen möge, damit er fie nicht hindere, ihre Pflicht zu thun, und für ihren Geliebten weitere Hälfe zu fuchen. Gekräftigt und innerlich gehoben. von dieſem Gebet, begab ſich Anna jetzt in das Hötel des Marſchalls Berthier, — nur war ihr 666 Schritt langſamer, nur glühten ihre Wangen, welche bis jegt farblos gewefen, in flammender Rothe und ihre bis jetzt wie erſtarrten Hände waren brennend heiß. Sie verlangte nicht, bei dem Marſchall Verthier eine Audienz zu haben, denn ſie hatte ſich ſchon reſignirt, ſie wußte ſchon, daß ihr dieſelbe verweigert werden würde, ſie brachte nur ein zweites Exemplar der Bittſchrift, welche fie dem. franzöflihen Geſandten übergeben, und fie flebte nur, daß. man ihr mindeſtens bald eine Antwort möge zu Theil werden laſſen. Dies Mal follte, ihr Flehen nicht unerhört bleiben, und ſchon am dritten Tage erhielt ſie einen Beſcheid. Aber dieſer Beſcheid war troſtloſer noch, als alles Schweigen. Der Marſchalb Berthier ließ ihr durch feinen Adjutauten melden, daß Palm in Braunau vor em Friegsgericht geftellt jei, und daß es daher für jede Vermittelung und jede Bitte zu fpät fei, denn das Kriegsgericht allein könne jetzt noch entjcheiden. Ein einziger Durchbringender Schmerzensfchrei rang fid) aus Anna's Bruft, als fie diefe Nachricht erhielt. Dann warb fie wieder ganz ftill, ganz gefaßt und ruhig. Ohne irgend eine andere Klage, eine Bitte, verließ fie das Hötel des Marſchalls und kehrte in den Gafthof zurüd. Mit volllommener Ruhe und Gelafjfenheit beauftragte fie den Kellner, ihre die Rechnung zu bringen, und ihr einen Wagen zur fo= forten Abreife zu bejorgen. - Eine Biertelftunde fpäter erfchien die Wirthin des Hötels felber, um‘ der Frau Palm die verlangte Rechnung zu bringen. Sie fand Anna ruhig am Fenſter fiten, die Hände im Schooß gefalten, das Haupt zurüdgelehnt an die hohe Lehne des Stuhls, und mit weitge- öffneten Augen zum Himmel empor ftarrend. Ihr Heiner Reiſekoffer ftand fertig und gejchloffen mitten im Zimmer. Schweigend reidyte ihr vie. Wirthin das Papier dar, und wanbte fh dann zur Seite, um die Thränen nicht fehen zu laffen, die beim Anblid diefer bleihen, fanften jungen Frau in ihre Augen traten. Anna ftand auf und zählte ruhig das Geld auf den Tiſch bin. Ich danke Ihnen, Madame, für Ne Woßwerkſambkeit und Freundlichkeit, 667 ie. ih in Ihrem Haufe gefunden habe, fagte fie. Nur finde ich, daß Sie meine Rechnung zu niedrig angefegt haben. Sie müſſen vielerlei zu notiven vergefien haben, denn es ift nicht möglich, daß ich in dieſer langen Zeit meines Hierſeins nicht mehr gebraucht haben follte. Madame, fagte die Wirthin bewegt, ich würbe glüdlich fein, wenn Sie mir erlaubten, gar nichts von Ihnen anzunehmen, aber ich weiß, daß Sie das verlegen würde, und deshalb brachte ih meine Rechnung. Wenn Sie mir geftatten. wollten, meinem Herzen zu folgen, fo fagte ih: gönnen Sie mir die Ehre, einer fo edlen, tapfern und getreuen Frau Gaſtfreundſchaft in meinem Haufe gewährt zu haben, und wenn Sie mir das zufagten, dann würde ich auch den Muth finden, Ihnen eine Bitte auszuſprechen, die ich jeßt nicht wagen darf, weil Sie fie für Egoismus haltn würden. Sprechen Sie fie nur immerhin aus, fagte Anna milde, ih babe feit vierzehn Tagen fo viel gebeten, und bin fo oft abgewiefen worden, daß es mich wahrhaftig erheben würde, von Andern eine Bitte zu hören, die ich erfüllen könnte. Nun denn, Madame, jagte die Wirthin, Anna's Hand nehmend, und ſie ehrfurchtsvoll an ihre Lippen drückend, dann bitte ich Sie, bleiben Sie hier, reifen Sie nicht ab. Gönnen Sie mir das Glück, Sie hier in meinem Haufe zu haben, ein wenig für Sie zu forgen, und Sie zu pflegen, wie eine Mutter ihre Tochter pflegen würde. Ic bin alt genug, um Ihre Mutter fein zu können, und Sie, mein ge- liebtes, armes Kind, Sie bepürfen ver Pflege, denn Sie find krank. Ich fühle feine Schmerzen, ih bin nicht frank, ſagte Anna mit einem Lächeln, welches ergreifender war, als laute Klagen. Sie find frank, rief die Wirthin, Ihre Hände brennen in Tieber- hige, und die Rofen, die auf Ihren Wagen blühen, find feine natür- lichen, fonvdern nur die Zeichen Ihres innern Leidens. Sie haben in biefer ganzen Zeit kaum die Speifen berührt, die man Ihnen vorſetzte, ſehr oft find fie Nachts gar nicht im Bett geweſen, und ftatt zu ſchlafen, find Sie ftundenlang im Zimmer auf- und abgegangen. et wüthet das Fieber in Ihrem zarten Körper, und wenn Sie fi nicht fhonen, und feine Arzeneien gebrauchen, wird Ihr Körper erliegen.' 668 Nein, er wird nicht erliegen, fagte Anna, mein Herz wirb ihn aufredht halten. Aber auch Ihr Herz wird breden, wenn Sie fih nicht fchonen, rief die Wirthin gerührt. Bleiben Sie bier, ich beſchwöre Sie, reifen Sie nicht ab! Bleiben Sie als Gaft in meinem Haufe. Anna legte. ihre brennende Hand auf die Schulter der Frau, und- fah fie mit einem langen, innigen Blid an. Sie waren verheirathet? fragte fie. Sie liebten Ihren Dann? Ja, fagte die Wirthin mit hervorbrechenden Thränen, ich war ver= beirathet, und Gott weiß es, daß ich meinen Mann liebte. Wir haben zwanzig Jahre in Frieden und Glüd mit einander gelebt, und als er im vorigen Jahre ſtarb, da ftarb auch mein ganzes Lebensglück. Er war frank, nit wahr, und Sie haben ihn gepflegt? Er war vier Wochen lang frank, und ich bin Nacht und Tag nicht von ſeinem Lager gewichen. Nun alſo, was würden Sie dem geantwortet haben, der Sie von dem Sterbelager Ihres Mannes hätte zurückhalten, der Sie hätte be⸗ reden wollen, Ihren Mann in ſeinen Todesſchmerzen zu verlaſſen, weil das Ihre Geſundheit angreifen könnte? Würden Sie ſich haben zurück⸗ halten laſſen? Nein, ich würde den für meinen Feind gehalten haben, der mir einen ſolchen Vorſchlag gemacht hätte, und ich würde ihm geantwortet haben: es iſt mein heiliges Recht, an dem Sterbelager meines Mannes zu ſtehen, ſeinen letzten Seufzer von feinen Lippen fortzuküſſen, ihm die Augen zuzubrüden, und kein Menſch auf der Welt jol mid) baran hindern! Nun, denn, meine liebe Mutter, ich fage, wie Sie gefagt haben: es ift mein heiliges Recht, an dem Sterbelager meines Mannes zu ftehen, und ihm die Augen zuzubrüden. In Braunau ift das GSterbe- lager meines Mannes, ich bin nicht fo glüdlid, wie Sie es gemefen, ich kann ihn nicht pflegen, nit in feinen Schmerzen bei ihm fein und ihn tröften, aber ich kann in feiner Sterbeftunpde bei ihm fein. Deine Mutter, wollen Sie Ihrer Tochter nun noch fagen, daß fie hier bleiben, 669 S daß fie fih pflegen und fchonen fol, flatt nad Braunau zu reifen zu dem Sterbelager ihres Gatten? Nein, meine Tochter, rief die Frau, nein, ich fage: reifen Sie! Sinnen Sie fih keine Minute Erholung, bevor Sie nit bei Ihrem Mann find. Gott wird fie geleiten und Sie befhügen, denn er ift die Liebe, und erbarmt ſich Derer, welche in der Liebe wandeln! Reifen Sie aljo mit Gott, aber um Ihres Mannes willen, nehmen Sie ſtärkende Nahrung zu fi, verfuhen Sie effen und zu ſchlafen, damit fie neue Kräfte gewinnen, denn Sie werden fie gebrauchen! Geben Sie mir etwas Stärkendes, ih will es effen, Mutter, rief Anna, ihre Arme zärtlid um den Naden der Wirtbin legend, ich will auch diefe Nacht zu Schlafen verſuchen, denn Sie haben Recht: ich werde meine Kräfte gebrauchen! Aber wenn ich gegeffen habe, nicht wahr, dann darf ich fofort abreifen? Ya, mein armes, theures Kind, dann dürfen Sie abreifen. Jetzt kommen Sie in mein Zimmer, Ihr Mahl ſteht ſchon bereit! Eine halbe Stunde ſpäter hob die Wirthin ſelber Anna in den Wagen, nnd rief mit einer Stimme, welche von verhaltenen Thränen zitterte, vief fie: Leben Sie wohl, meine Tochter. Gott fegne Sie und gebe Ihnen, Kraft. Wenn Sie einft allein ftehen und einer Mutter bedürfen, dann kommen Sie zu mir! Möge der Herr fit Ihrer er- barmen! Sa, möge der Herr fih meiner erbarmen und mid mit Ihm fterben lafien, flüfterte Anna, als der Wagen mit ihr auf der Straße dahin rollte. Um die Mittagsftunde bes nächſten Tages langte ſie in Braunau an; es war der Mittag des ſechs und zwanzigſten Auguſt 1806. 670 IV. Die Weiber von Braunau. Indefien haste Balm die ganze Zeit über in Braunau in fran- zöfifcher Gefangenschaft gefeflen. Zwei Mal nur in den fechszehn Tagen, bie er im Kerker faß, hatte man ihn aus demfelben geholt, um - ihn zum Verhör zu führen, zum Berhör vor ein Kriegsgericht, das ‚ vom General St. Hilaire eigens für dieſen Fall war zuſammengerufen worden. Dieſes außerordentliche Kriegsgericht beftand aus franzöſiſchen Generälen und Stabsofficieren; es trat mitten im Frieden in einer deutſchen Stadt zufammen und erklärte fi zum cumpetenten Richter über einen heutfchen Bürger, ver fein anderes Verbrechen begannen, als daß er eine Schrift verbreitet hatte, in welcher das Unglüd Deutſch⸗ lands und. bie Bedrückungen deutſcher Lande durch Napoleon und ſeine Armeen beſprochen ward. Die ganze Angelegenheit war mit einer ſolchen Eile und Ber- fhwiegenheit betrieben worden, daß bie deutſchen Behörden in Braunau faum etwas tavon vernommen hatten, während das franzöſiſche Kriegs⸗ gericht ſchon bereit war, das Urtheil zu fällen. Uebrigens wollte man ſich doch den Schein der Unparteilichkeit und Geſetzlichkeit bewahren, und bevor das Kriegsgericht Palm daher vor ſeine Schranken gerufen, hatte man ihm davon Anzeige gemacht und ihm die Wahl gelaſſen, ſich gegen die Anklage ſelbſt zu vertheidigen, oder fich einen Vertheidiger zu wählen. Palm, der franzöſiſchen Sprache nicht kundig, hatte das Letztere vorgezogen, und zu ſeiner Vertheidigung einen in Braunau anſäßigen Juriſten gewählt, mit dem er perſönlich bekannt, ja faſt befreundet wear, umb von dem er wußte, baß er der franzöſiſchen Sprache voll- kommen mächtig fei. Allein diefer Freund Iehnte es ab, ein Freund in der Noth zu fein. Er entſchuldigte fih mit einem ftarken Unwohlfein, das ihn an fein Bett fefjele und ihm alles Sprechen untitalih made. 671 Palm erhielt diefe Entſchuldigung erft als. er in ven Sigungsfaal trat, in welchem das Kriegsgericht verfanmnelt war, er mußte fi daher wohl entfchließen, feine Vertheidigung felbft zu führen und feine Worte den Herrn des keriegsgerichts durch einen Dolmetſcher überſetzen zu laffen. Und er war überzeugt, feine Bertbeibigung gut geführt, und bie- jenigen, welche ſich zu feinen Richtern aufgeworfen hatten, von ſeiner Unſchuld überführt zu haben. | Er zweifelte daher auch nicht einen Moment an feiner baldigen Erlöfung, er erwartete jeden Tag die Nachricht, daß man feine Unfchulo erkannt habe und ihn daher der Freiheit und feiner Familie zurüdgebe. Dieje Zuverfiht ließ ihn die einfame Rerkerhaft mit frobem Muth er- tragen, unb in biefen Tagen vol Entbehrung und Pein mit heiterem Auge hinſchauend auf die goldigen Tage der Zukunft, wo er wieder zu feinem Haufe, fanft behütet von dem Liebenden Auge feines jungen Weibes, das Herz erfreut von dem Anblid feiner beiden holden Kinder, in den Armen der Xiebe ruhen würde nad ben Tagen voll Arbeit und Mühfal. Aus ſolchen freudigen Zufunftstränmen weite ihn am Morgen des fehsundzwanzigften Auguſt das Eintreten des Schließers und einiger Soldaten, welde famen, ihn vor das kriegegericht zu rufen, und von demſelben ſein Urtheil zu empfangen. | Gott fei Dank, rief Palm frohmüthig, mein Urtheil, das heißt meine Freilaſſung. Kommt, laßt uns gehen, denn Ihr jeht wohl, mein Kerker ift heiß und dumpfig und. ich fehne mich nad) ver frifchen fröhlihen Gottesluft, die ich fo lange entbehrt habe. Laßt uns alfo gehen, damit ich meinen heigerfehnten Urtheilsfpruch empfange. Und mit einem freundlichen Lächeln reichte er dem Schließer, welcher mit finfterm Gefiht und mürrifhen Mienen an der Thür ftand, die Hand dar. Schaut nidt fo finfter drein, Balthafar, fagte er. Waret ja doch fonft immer ein gar munterer Gefelle und habt mir oft die langen, einfamen Stunden durch Euer gemüthlihes Plau- dern verkürzt. Nehmt meinen Dank für Eure Freundlichkeit und Milve. Ihr hättet mich viel quälen und martern können und Ihr habt e8 nicht 672 gethan, ſondern feib immer. gefällig und mitleivsvoll geweſen. Ich danfe Euch, dafür, Balthafar und ich bitt' Euch, nehmt Dies von mir zum Andenken. \ Er zog eine goldene, reich mit Steinen befette Bufennadel aus feinem Halstuh und reichte fie dem Schließer dar. Aber dieſer ftredte die Hand nicht darnad aus, ſondern wandte ſein Haupt mürriſch zur Seite. | Ich darf nichts annehmen von Gefangenen, brummte er verdrießlich. Kun, dann werde ih Euch beſuchen, ſobald ich frei bin und von dem freien Mann werbet Ihr wohl ein Feines Andenken annehmen, nit wahr? fragte Balm freundlich. Der Scließer antwortete nicht auf diefe Frage, fondern rief mürriſch: macht, daß Ihr fort fommt, es ift die höchſte Zeit! Palm lachte und dem Schließer einen Abſchiedsgruß zunidend, verließ er in der Mitte der Soldaten das Gefängnip. Armer Mann, er ahnt nichts, brummte der Schließer vor ſich bin, und feine Züge waren jet milde und weich, und feine Augen feuht von Thränen. Armer Mann, er glaubt, daß fie ihm die Freiheit geben wollen! Ya wohl, die Freiheit, aber nicht die, welche er meint und hofft. Palm folgte feinen Führern mit beiterm Muth in den Saal, in welchem die Herren des Kriegsgerichts verfammelt waren und auf hohen Lehnftühlen figend, die in einem Halbkreis aufgeftellt, die Breite des Saale einnahmen, das Kommen des ©efangenen erwarteten. Er grüßte fie mit ruhiger Stien und freiem, offenem Wefen, keine Spur von Befangenheit oder Furcht war in feinem ganzen Wefen, fein Auge heftete fi mit einem hellen Glanz auf die Lippen des Generale St. Hilaire, der dem Gericht präfidirte und fih jest von feinem Seſſel erhob. Der beifigende Secretair des Gerichts näherte fih als» dann dem General und Überreihte ihm ein Papier in Yorm eines Actenftüdes. Der General nahm es und einen frengen Blid hinüber werfend auf Palm, fagt er: das Kriegsgeriht hat heute einftimmig und ein» müthig Ihr Urtgeil geſyrochen. VBernehwen Sie es durd meinen Mund! 673 Die übrigen Officiere erhoben fih von ihren Plägen, um ftehend der Borlefung zuzubören. Ihre Gefihter waren feierlich ernft, und zum erften Mal fühlte Palm ſich ergriffen von einem ahnungsvollen Schreden, und er fragte fi, ob man fo viel Feierlichfeit und fo viel Ernft anwenden würde, wenn man ihm bloß verfündigen wolle, daß er unſchuldig und daher frei fei. | Eine Heine Pauſe trat ein, dann erhob der General feine Stimme, and mit lauter vernehmlicher Stimme [a8 er: „In Anbetradt, daß überall wo eine Armee fidh befindet, e8 die erfte und nöthigfte Pflicht ihres Chefs ift, über ihre Sicherheit und Erhaltung zu wachen; in Anbe- tracht, daß die Verbreitung von Schriften, welche den Aufruhr und den Meuchelmorb provociren, nicht blos die Sicherheit der Armee, fondern aud die der Nationen bebrohe; in Anbetracht, daß. nichts dringender und nothwendiger ift, als das Umfichgreifen foldher Tehren zu hemmen, welche ein Attentat auf die Menfchenrechte find, auf die Achtung, die man gekrönten Häuptern ſchuldig Hit und eine Beleidigung für bie ihrer Regierung unterthänigen Völker, welche mit einem Wort alle Ordnung der Dinge und alle Suborbination untergraben; in Anbe- tracht alles deifen hat die Commiffion einftimmig erflärt, und erklärt, daß alle Berfafler, Druder, Colporteure und Berbreiter von Libellen, die den oben angegebenen Charakter an ſich tragen, follen angefehen werden, als befchuldigt und überführt des Verbrechens des Hochver- raths. Demgemäß wird der hier gegenwärtige Johann Friedrich Palm überführt der Verbreitung des Libells „Deutſchland in feiner tiefften. Erniedrigung," als Hocdverräther angellagt und hat die Commiſſion ihn einftimmig und einhellig dieſes Verbrechens ſchuldig erklärt. Die Strafe des Hochverräthers ift der Tod. Der Hocverräther Johann Friedrich Balm ift daher zum Tode verurtheilt; dieſes Urtheil fol heute Mittag um zwei Uhr an ihm vollzogen werben. Um zwei Uhr wird er erfchoffen werben. Johann Friedrich Palm, Sie haben Ihr Urtheil empfangen. Bereiten Sie fid zum Tode." *) Langfam und fchwer, jedes Wort betonend, wiederholte der Dol- *%) Memoires d’un homme d’etat. IX. 247. Mühlbach, Napoleon. 1. Bb., ON 674 metſcher dem unglüdlihen Palm die Sentenz des Friegsgerichts, und langfam und fchwer wie kalte Thränen fiel jedes dieſer Worte auf Palm’8 Herz, und machte e8 erflarren. Aber nicht bloß erftarren in Scred und Entjegen, fondern auch in Entfchloffenheit und Ruhe. Diefen fremden Männern mit den falten, gleihgültigen Gefichtern gegenüber wollte er feine Schwäche verrathen. Seinen Mörbern wollte ex nicht die Freude bereiten, ihn zittern zu fehen. Sein Wefen zeigte daher nur fefte Entſchloſſenheit, ernſte Ruhe. Einen einzigen flammenden Blick voll ſtolzer Verachtung ſchleuderte er auf ſeine Richter hin. Nun wohl, ſagte er laut und feſt, ich werde ſterben, ich werde zu Gott gehen, um vor ſeinem Thron Euch zu verklagen, Euch, die Ihr allem Völkerrecht und allem Geſetz Hohn ſprechend, mich nicht gerichtet, ſondern gemordet habt. Mein Blut komme auf Eure Häupter! Gefangener, ſagte der General St. Hilaire ruhig, haben Sie vor Ihrem Tode noch einen Wunſch, fo ſagen Sie ihn. Wenn feine Er- füllung möglih ift, wird er Ihnen nicht verweigert werben! ' Ich babe nur Einen Wunſch! fagte Palm, und jeßt zitterte feine Stimme ein wenig, und ein Schatten flog über feine Stirn bin. Ic wänfche nur, daß man meiner Frau geftatte, dieſe legten Stunden bei mir zu fei, und von mir Abſchied zu nehmen! Ihrer Frau? fragte der General. Iſt Ihre Frau denn bier? Und wenn fie bier ift, wer hat es gewagt, e8 Ihnen zu fagen? Niemand bat e8 mir gefagt, erwiederte Palm, auch weiß ich nicht, ob fie bier ift, aber ich ahne es. Es ift ja fo natürlich, daß fie mir hierher gefolgt if. Man erlaube mir aljo, fie zu fehen, wenn fie kommt! Ihre Bitte fei Ihnen gewährt! Kehren Sie in Ihren Kerker zurüd. Man wird Ihnen einen Geiftlichen fenden, um Sie zum Tode vorzubereiten. Soldaten, führt den Gefagenen fort! Palm grüßte die Herren mit einer ftolzen Bewegung des Hauptes, und hob langjam und feierli die Hand zum Himmel empor. Id fordere Euch vor den Richterftuhl Gottes! fagte er mit lauter, tönender 675 Stimme. Ihr habt Eu hier zu meinen Richtern aufgeworfen, dort oben wird Gott Euch richten! Er wandte fih um und ſchritt ven Soldaten voran aus dem Saal. Jetzt bleibt uns nur nod übrig, die Magiftratsbeamten dieſer Stabt von dem, was gefchehen muß, zu benadhrichtigen, fagte ber General nad einer kurzen Pauſe. Sie müfjen der Execution beimohnen, benn nicht unter dem Schleier des Geheimnifjes, ſondern öffentlich, vor dem Auge Gottes und der Menfchen, muß die Hinrichtung ftatt- finden. Mögen alle Behörden, möge die ganze Stadt Zeuge fein, wie Frankreich diejenigen beftraft und richtet, welche in hochverrätherifchem Erfrehen ſich gegen Frankreichs Ehre und Glorie verfündigt haben! Er bob die Situng auf und kehrte in das Innere feiner Gemächer zurüd, um nad fo anftrengender Sigung auszuruhen, und bei einem ausgefuchten Mahl fi vorzubereiten zu dem unangenehmen Gefchäft, einer Hinrichtung beimohnen zu müſſen. — — Eben fchlürfte der General mit unendlihem Behagen ein Glas Malvafter und af dazu von ber würzigen Gänfeleberpaftete, die aus Straßburg verfihrieben worden, als ein feltfames und anhaltendes Geräuſch von der Straße her ihn mitten in feinen gaftronomifchen Genüſſen ftörte. Er fette verbrießlic fein Glas hin und wandte Auge und Ohr den Fenſtern zu, welche binausführten auf den Marltplag. Das Ge- räuſch dauerte immer noch fort, es Hang feltfam und ungewöhnlich, wie als ob ungeheure Schwärme von Bienen mit ihrem Summen die Luft erfüllten. Der General ftand auf und eilte ans Fenſter. In der That, ein feltjanter und ungewöhnlicher Anblid bot ſich ihm dar. Wie ein einziges jchwarzes Meer wogte der ganze Markt⸗ plag von Menfchen, nicht von drohenden, wilbbewegten Dienfchen, bie mit erhobenen Fäuften und funfelnden Augen daher flürmten in Auf- ruhr und Empörung, fondern von folden, deren Augen mit Thränen angefüllt waren, deren Arme fich flehend erhoben. | Es waren Weiber und Finder allein, weldhe den Pla anfüllten, weldhe in feierlichen Zuge durch die nächftgelegenen Straßen daher AI 676 fomen. Wie ein Lauffener hatte ſich durch ganz Braunau die Nachricht verbreitet, daß das Kriegsgericht das Urtheil gefällt, daß Palm kraft deſſelben heute Mittag um zwei Uhr im Feftungsgraben follte erſchoſſen werben. Die Bürger hatten diefe Nachricht mit dumpfer Wuth, mit ſtum⸗ mem Entjegen aufgenommen; bie Behörden und die Beamten des Magiſtrats hatten den Befehl erhalten, ſich um die feſtgeſetzte Stunde in ihrer Amtstracht auf dem Nichtplag einzufinden, um Zeuge der Erecution zu fein. Ä Zu ſchwach zum Wiverftand, und wohl wifjend, daß fie von ihren eigenen höheren veutfchen Behörden feinen Beiftand zu erwarten hätten, blieb ihnen keine Wahl. Dem Gefeg der Nothwendigkeit fi fügend, erklärten fie fich aljo bereit, den Befehlen des franzöfiihen Generals zu folgen und auf dem Richtplatz zu erfcheinen. Aber wo alle Männer zagten, wo fie alle jheu und feig ihren Schmerz und ihre Demüthigung hinunter würgten, da’ erhoben fich die Frauen in der echten fühnen Begeifterung ihres Schmerzgefühls. Sie fonnten nicht drohen, nicht ihre Hand bewaffnen mit dem Schwert, wie die Männer, aber fie konnten flehen und bitten, und ftatt der Waffen in ihren Händen hatten fie die Thränen in ihren Augen. Wenn Du nit gehen willft, um für einen deutfchen Bürger Recht und Gerechtigkeit zu fordern, fo werde ich es thun, hatte die Yrau des Bürgermeifters von Braunau zu. ihrem Oatten gejagt. Du haft zu forgen für das Wohlergehen der Stadt, ich aber will für ihre Ehre forgen. Ich will nit, daß dieſer Tag für uns eine ewige Schmad fei, und daß die Gefchichte einft zu berichten habe von der ſclaviſchen Furcht, mit welcher wir uns demuthsvoll dem Willen des franzöfifchen Tyrannen gefügt hätten. Ihr Männer wollt nicht bei dem General für Palm fprehen, nun wohl, fo werben wir rauen es thun, und Gott wenigftens wird unfere Worte hören und die Gejhichte wird fie aufbewahren! Sie wandte ihrem Gatten den Rüden und ging, um ihre Freuns binnen zu benachrichtigen und ihre Boten dur die Stabt zu ſenden. Und von Straße zu Strafe, von Haus zu Haus tönte der Auf: 677 legt Trauerkleiver an, Ihr Frauen, und kommt hinaus auf bie Strafe. Laßt uns zum General St. Hilaire gehen und für das Neben eines deutfhen Mannes bitten! Kein Ohr hatte ſich diefem heiligen Ruf verfchloffen, fein Frauen- herz batte fih ihm abgewandt. Aus allen Häufern und aus allen Hütten kamen fie daher, die Gräfin fowohl wie die Bettlerin, die Sreifin ſowohl wie das junge Mädchen; die Mütter führten ihre Kinder an den Händen, und die Bräute liehen ihren Großmüttern ihre Schulter, um fih darauf zu lehnen. | Bor dem Haufe der Bürgermeifterin orbnete fi der Zug, dann fohritten fie paarweife und langfam, wie die fhwahen Füße ber fhwanfenden Sreifinnen und der zarten Kinder es erforderten, durch die lange Straße dahin, dem Marktplatz zu. Der General Et. Hilaire fland nod immer am Fenſter und blidte ftaunend hinunter auf das feltfame Gewühl, als die Thür ſich öffnete und fein Abjutant eintrat. Kommen Sie hierher und fehen Sie, rief ihm der General lachend entgegen. Die Zage der großen Revolution fcheinen hier einen Nach⸗ Hang zu finden, und die Weiber fcheinen fih zu empören, wie fie es damals thaten. Ob, mein Gott, ic) entfinne mich noch fehr wohl jenes Tages, als die Weiber nach Verfailles zogen, um mit ihrem Betergefchrei die Königin zu erfchreden und vom König Brot zu erflehen. Aber ih bin doch Feine Marie Antoinette, und in meinen Händen wachlen feine Kornfelder. Was mögen fie aljo von mir wollen? General, eine Deputation ber Frauen ift eben in das Hötel ge- fommen und bittet um eine Aubienz bei Ew. Ercellenz. Iſt die Deputation hübſch? fragte der General lachend. Die Frau des Bürgermeifterd und bie erften Bürgerinnen ber Stadt gehören zu der Deputation, fagte der Adjutant ernſt Und was wollen ſie von mir? General, Re wollen Em. Excellenz anflehen, die Hinrichtung des deutſchen Buchhäntlers noch zu verfhieben und ihm eine Gnadenfrift zu gönnen, damit fie Zeit gewinnen, fih um Gnade an ven Kaiſer zu wenden. 678 Unmöglih, rief St. Hilaire verdrießlich, es ift Zeit, daß dieſe unangenehme Gefchichte endlich begraben und vergefien fei! Keinen Aufihub, keine Friſt! Sagen Sie das dieſen Weibern. Ich will endlich Ruhe haben. Was liegt denn an diefem Menſchen! Sind nidt Laufende der Edelſten und Beften auf unfern Schlachtfeldern begraben, und die Welt ift ruhig weiter gegangen? Sie wird alfo auch weiter gehen, wenn der Herr Balm nicht mehr da if. Wahrdaftig, es ift ein Zamento um biefen deutſchen Buchhändler, al8 wenn er bag einzige derartige Eremplar in dem brud- und fehreibjeligen Deutſchland wäre! Sehen Sie und ſchicken Sie die Frauen fort, ich will nichts von Ihnen hören. Wenn aber die jüngfte und ſchönſte zu mir herauflommen will, um mir einen Kuß zu geben, fo mag fie’s thun. Der Adjutant entfernte ſich und der General trat wieder an das Genfter, um hinunter zu ſchauen auf das wogende Frauenmeer. Er fah, wie fein Adjutant jest aus dem Haufe trat und zu der Oruppe von Frauen hinfehritt, die etwas abgefondert von den andern ftand, und ihn zu erwarten ſchien. Er fah, wie fein Adjutant mit ihnen fprad, und wie Die Frauen dann fih umwandten und ben übrigen ein Beihen gaben. Sofort fanten alle die Frauen auf ihre Knie nieber, und die ge- falteten Hände emporhebend, begannen fie in lauten und feierlichen Accorden ein frommes, heiliges Lied zu fingen, ein Lied um Erbarmen an Gott und die heilige Jungfrau. Der General befreuzigte ſich unwillkürlich, und vielleicht ohne es zu wiſſen, faltete er feine Hände zum ftilen Gebet. Abermals öffnete ſich die Thür und fein Adjutant trat wieder ein. Sagen Sie, was bedeutet dies? rief der General. Ich beorderte Sie, die Frauen nach Haufe zu ſchicken, und ftatt deſſen richten fie ſich häuslid ein auf dem Plag und fingen und plärren ihre Wehllagen. General, die Frauen bebarren bei ihrer Bitte. Sie begehren durhaus Ew. Ercellenz felber zu fprehen, um aus” Ihrem. eigenen Munde zu hören, ob wirklich fein Auffhub, feine Gnade möglich, if. Sie erllären, fie würden den Platz nicht verlafien, bevor fie Em. Er⸗ 679 cellenz nicht gefprochen hätten, und wenn man mit Karttſchen unter fie feuerte. Ah bah, man wird ihnen nicht die Freude bereiten, ſie zu Mär⸗ tyrerinnen zu machen, rief St. Hilaire mürriſch. Kommen Sie, ich will der Sache ein Ende machen. Ich will ſelbſt hinunter gehen und ſie heim ſchicken. | | Er winfte feinem Aojutanten, ihm zu folgen, und ging eiligen Schritts hinunter auf den Marltplag, gerade hinein, in ben reis ber Trauen. Das heilige Lied verftummte, aber die Srauen erhoben fi nicht von ihren Knieen, nur fenkten ſich ihre Blicke, welche bis jetzt zum Dimmel empor gewandt gewefen, auf den General hin, und ihm ſtreckten fie jegt ihre gefalteten Hände entgegen. In diefem Moment fam mitten durch das dichte Menfchengewähl ein beftäubter Reiſewagen die Straße heraufgefahren und bog auf den Marktplag ein, um vor dem großen dort belegenen Gaſthof anzuhalten. Eine bleihe junge rau lehnte aus dem Wagen und blidte ftaunend auf das wunderbare Schaufpiel hin, das fih da vor ihren Bliden entfaltete. Die Inieenden Frauen, welche den ganzen Marktplag erfüllten, adıteten nicht auf den Wagen, es kam ihnen gar nicht in den Sinn, ihre Reihen zu öffnen, um ihn durchzulafſen, er mußte alſo anhalten und warten. Die junge bleiche Frau, als fühle ſie, daß das, was alle Frauen hier auf ihre Kniee niederwarf, auch ſie angehen müſſe, verließ haſtig den Wagen und näherte ſich den knieenden Frauen. Auf einmal hörte fie eine laute gebieterifhe Stimme, welde fragte: was begehren diefe Damen von mir? . Sie haben verlangt mich zu fpredhen, hier bin ih! Was verlangen Sie von mir? Gnade! riefen hundert und aberhundert Stimmen. Aufſchub der Hinrichtung! Gnade für Palm! Ein lauter fürchterlicher Schrei tönte von den Lippen der bleichen jungen Reiſenden, wie beflügelt eilte ſie vorwärts, gerade zu dem General hin. 680 Ein Gemurmel der VBerwunderung erhob fih in den Reihen der Frauen; ihr Inftinct fagte ihnen, daß bier etwas Außerordentliches fi begebe, ihre Herzen begriffen, daß dieſe tobesbleiche junge Frau, die jegt mit keuchender Bruft, mit flammenden Augen tem General gegenüber ftand, in irgend einer nähern Beziehung zu dem armen Ber- urtheilten ftehen müſſe. Jede bielt ven Athem an, um ihre Stimme zu hören, ihre Worte zu verftehen. Sie flehen um Gnade für Balm? fragte die bleihe junge Frau mit einer Stimme, in welder ihre ganze Seele zitterte. Sie fprechen von Hinrihtung? Ihr wollt ihn alfo ermorden? Ihr habt ihn alfo ſchmählich und ſchändlich verurtheilt? | Und während fie fo fragte, bohrten fih ihre Augen wie zwei Doldfpigen in das Antlig des Generals. Wägen Sie Ihre Worte befjer ab, ich bitte, fagte der General raub, das Kriegägericht hat den Hochverräther verurtheilt; er wird aljo nicht gemordet, ſondern geftraft für ein begangenes Verbrechen. Und aus diefem Grunde, fuhr er, den rauen zugewandt mit Iauterer Stimme fort, aus diefem Grunde kann ih auch Ihre Bitte nicht erfüllen. Das Kriegsgericht hat das Urtheil ausgefprochen, ich habe nicht die Macht, ven Spruch rüdgängig zu mahen. Der Kaiſer Na- poleon allein könnte das, wenn er hier wäre. Aber da er in Paris, alfo unerreichbar ift, fo muß das Gefeg feinen Lauf haben. Heute Mittag um zwei Uhr wird Palm erfchoffen! Erſchoſſen! fehrie die junge Frau, und einen Moment taumelte fie, als wolle fie zufammen breden, aber dann raffte fie ſich muthig wieder zufammen, und ihre Arme weit ausftredend nad den Frauen bin, rief fie: bittet mit mir, meine Schweftern, daß ich Palm fehen, daß ich ihm Lebewohl fagen Kann! Ich bin fein Weib, und ich bin gelommen, um mit ihm zu fterben! Und wie eine gebrochene Lilie ſank fie zu des Generals Füßen hin. Im Kreife der Frauen wogte es auf, wie wenn ein plöglicher MWindftoß die Wellen bewegt, ein Murmeln und Seufzen, ein Weinen und Aechzen erfüllte die Luft, und war. die einzige Sprache, das einzige Zlehen, deſſen die heweaten Traun wastiy waren. 681 Der General neigte fih zu Anna nieder und hoh fie auf. Mar Dame, fagte er laut genug, um aud von den anderen Frauen gehört zu werden, Madame, Ihre Bitte ift Ihnen gewährt. Die einzige Gnade, welche der Berurtheilte ſich erbeten hat, ift diefe, daß er Sie vor feinem Tode noch fehen könnte, und wir haben fie ihm gewährt. Folgen Sie alſo meinem Adjutanten, er wird Sie zu ihm führen. Palm erwartet Sie! Ah, ich wußte es wohl, daß er mich erwartet, und daß Gott mich zur rechten Zeit zu ihm führen würde! rief Anna, ihre freudeſtrahlenden Blicke zum Himmel empor gewandt. vV. Bie Todesſtunde. Palm war in feinen Kerker zurückgekehrt, ohne eine Klage auszu⸗ floßen, einen Vorwurf. zu äußern. Nichts in feinem Weſen verrieth feinen tiefen Seelenfhmerz, feine tiefe Empörung. Er wußte wohl, daß weder feine Klagen, nod feine Vorwürfe fein Schidjal zu Ans bern vermödten, und er wollte e8 daher tragen und hinnehmen wie ein Mann. | Mit einem rührenden Lächeln grüßte er Balthafar, der ihn an der Thür feines Kerfers empfing, und der nicht mehr. nöthig hatte, die Thränen zu verbergen, die in feinen Augen ftanden. Armer Freund, fagte Balın freundlich, du wußteft alfo ſchon, was mir bevorftand, und es erbarmte Did, mich fo heiter zu fehen. Nun, jetzt wirft Du mein Geſchenk wohl annehmen können, denn nun werde ich doch frei, fo frei, daß keine Bande und Feſſeln mich jemals mehr halten können. Und Du haft mir verfprodhen, mein Geſchenk nicht zurüdzumeifen, wenn man mir die Freiheit wiedergegeben hätte. Ih habe fie erhalten, Freund, nimm alfo! 682 Er nahm die Nadel von dem Tifh und reichte fie dem Schließer dar. Diefer empfing fie mit einem kaum unterbrüdten Seufzer, und als er ſich nieverbeugte, um die Hand zu füllen, welche fie ihm dar⸗ gereicht, fiel eine glühende Thräne aus feinen Augen auf Palm’s Hand nieder. . DH, fagte Palm gerührt, ich gab Dir nur ein Meines Goldge⸗ ſchmeide, und Du giebft mir dafür einen Diamanten! Ich danke Dir, - mein Freund, und ich weiß, Du wirft in meiner Tobesftunde für mid) beten! Jetzt gönne mir eine Stunde des Alleinfeins, denn ih muß mid, fammeln und mit Gott berathen über das, was mir bevorfteht. Darfft Du mir Feder und Papier geben? Ich habe es ſchon in die Chatoulle Ihres Tiſches gelegt, fagte Balthafar leife, alle Berurtheilten haben das Recht, ihren legten Willen für ihre Familie niederzufchreiben, und ich ſchwöre Ihnen beim ewigen Gott, daß ich das, was Sie fchreiben, an feine Adreſſe befürdern will. Ih danke Dir, Freund, laß mich alfo allein, daß ich fehreiben kann. Aber höre! Entferne Dich nicht zu weit, bleib in dem Corridor, damit, wenn fie fommt, Du gleih da bift aufzufchließen. Sie? fragte der Schließer. Was für eine fie? Palm ftodte, er konnte das Wort nicht gleich ausſprechen, denn die Thränen fliegen aus feinem Herzen empor und legten ſich ſchwer auf feine Zunge! Meine Frau! fügte er endlich mühſam. Geh und erwarte fie, denn fie kommt gewiß! Er winkte Balthafar hinauszugehen und feste ſich dann matt und erichöpft auf feinen Binfenfefjel nieder. Einen Moment kam der ganze Jammer und die ganze Erdenqual über ihn und wälzte fich wie eine Lawine auf fein Herz hin. Er neigte fein Haupt auf feine Bruſt, die Arme hingen fhwer und jchlaff an feinem Körper nieder, und einzelne Thränen, groß wie Kinverthränen, brennend wie euer, rollten über feine Wangen nieder. Aber dies dauerte nicht lange, denn gerade biefe heißen Thränen medten ihn wieder und rüttelten ihn auf aus der Betäubung feines Schmerzes. Er richtete fein Haupt wieder empor und. trodnete Die Thränen von feinen Wangen fort. I Yyahe Time Yet gu weinen, fagte er 683 leife vor fih bin, meine Stunden find gezählt und ic muß an meine | Anna fohreiben. Dein Vermächtniß für fie und meine Rinder! Er nahm aus der Chatoulle das Schreibgeräth, das Balthafar forglih für ihn bereit gelegt, und ſetzte fih an den Tifh, um zu fhreiben! Nur wählte er feinen Play jo, daß er die Thür feines Kerkers immer vor Augen hatte, und oft, während er ſchrieb, hoben ſich feine Blide von dem Papier empor und richteten fih lauſchend nah der Thür hin. Jetzt hörte er in der That Schritte, welche fich näherten, jest warb der Sclüffel in das Schloß geftedt. Palm legte die Yeber bin und fand auf. Die Thür öffnete fih, Anna trat ein. Sie fchwebte ihm entgegen mit einem ſeligen Lächeln; er ſchloß ſie in ſeine Arme, und ihr Haupt tüffend, welches an feiner Bruſt ruhte, flüfterte er leiſe: Gott ſegne Di, daß Du gelommten bift! Ich wußte e8 wohl, daß ich Did) nicht vergeblich erwarten durfte! Der Scließer ftand an ber geöffneten Thür und weint. Sein Schluchzen erinnerte Palm an ihn. Balthafar, fagte er bittenb und mit der Hand auf Anna hindentend, die immer noch fhweigend an ihm ruhte, Balthafar, Du wirft mich mit ihr allein Laflen, nicht wahr, mein Freund? Es ift firenger Befehl, die Berurtheilten niemals allein mit Andern zu lafien, murmelte Balthafar, Sie könnten ihnen leiht Waffen zu- ſtecken, oder ©ift, fagen die Mugen Herren. Palm legte feine Hand wie zum heiligen Schwur auf das Haup feiner Frau. Balthafar, fagte er, bei dieſem heiligen und geliebten Haupt ſchwöre ih Dir, daß ich. mein Leben nicht freiwillig enden will. Ich ſchenke e8 meinen Mördern. Willit Du mich jest allein mit ihr laſſen? Ich will es, denn es wäre grauſam, es nicht zu thun, ſagte Balthaſar. Was Sie einander zu ſagen haben, darf nur Gott hören! Ich gebe Ihnen eine halbe Stunde, dann werden die Beamten und die Prieſter kommen, und es ſteht alsdann nicht mehr in meiner Macht, N 684 diefe Thür verfchlofien zu halten. Aber bis dahin fol auch Niemand Sie ftören. " Er verließ den Kerker und ſchloß die Thür hinter ſich zu. Die beiden Gatten waren jeßt allein bei einander, fie hatten eine halbe Stunde zum legten Zwiegeſpräch, zum legten Lebewohl. Es giebt heilige Momente, welche, wie der Ylügel des Schmetter- ling, von ber leifeften Berührung einer Menfchenhand verletzt werben, und denen man fi) daher nicht nahen darf, es giebt Worte, die fein - menſchliches Ohr belaufchen fol, und Thränen, die nur Gott zählen darf. Nach einer halben Stunde öffnete der Schließer wieder die Thür und trat ein. Palm und feine Gattin ftanden mitten in dem Raume, und ſich mit dem einen Arm umſchlungen baltend, ſchauten fie einander an, ruhig, Mar und lächelnd, wie zwei von der Erbe entrückte Geiſter. Das Papier, auf welchem Palm geſchrieben, lag nicht mehr auf dem Tiſch, ſondern ruhte jetzt auf Anna's Herzen, der goldene Trau⸗ ring, den Palm an ſeinem Finger getragen, war von demſelben verſchwunden und glänzte jetzt neben ihrem eigenen Trauring an Anna's Hand. | Der Geiftlihe ift da, fagte der Schließer, und au die Soldaten ſtehen ſchon im Corridor. Es iſt die höchſte Zeit. So gehe denn, Anna, ſagte Palm, ſeinen Arm, der ihren Nacken umſchlungen hielt, zurückziehend. Aber ſie warf fich mit einem einzigen langen Schmerzensſchrei an feine Bruſt. Du verurtheilſt mich alſo zum Leben? rief fie ſchmerzvoll. Du willſt unfere Wege trennen? Oh, fei barmberzig, mein Geliebter, benfe daran, daß wir uns gegenfeitig vor dem Altar gefchworen haben, Leben und Tod mit einander zu theilen! Laß mid) alfo mit Dir fterben! Nein, fagte er innig und feit, nein, Anna, Du folft mit mir leben! Deine Kinder find mein Leben und mein Herz, das mit mir fortlebt! Jeden Morgen werde ich Dich grüßen aus den Augen unferer Finder, und wenn fie Didy umarmen, fo denfe, daß es meine Arme find, welche Dich umfchließen. Lebe für unfere Kinder, Anna, lehre fie ihren Bater lieben, der zwar nicht mehr bei ihnen ift, deſſen Seele 685 aber Dih und fie umſchwebt! Schwöre mir, daß Du leben und das Leben muthig und feft ertragen willft! Ich ſchwöre es, fagte fie Leife. Und jest, meine Anna, verlaß mih! Meine legten Momente ge- hören Gott! Er küßte ihre Lippen, welche falt waren wie Marmor, und geleitete fie fanft ver Thür zu. Nun hob Anna ihr Haupt empor, mit einem langen, legten Blid ihn anzufhauen. Du willft, daß ich leben fol, fagte fie, ich werde es thun, fo lange e8 Gott gefällt. Ich nehme alſo Abfchien von Dir, aber nicht auf ewig und auf nicht gar lange Zeit. Wir Menfchen find ja Alle nur arme Wanderer, welche der Wille Gottes hinausgeſchickt bat auf die Erde zur Wanderſchaft. Aber zulegt öffnet er ung doch wieder die Pforten der Heimath und ruft uns wieder heim! Ich hoffe auf meine Heimkehr, mein Geliebter. Auf Wieberfehen alfo! Auf Wiederfehen! Sie reichten fih noch einmal die Hand und ſchauten fih an mit einem Lächeln, das wie ber letzte Strahl ver untergehenden Sonne ihr Antlig verklärte. | Dann ſchritt Anna, rüdwärts gehend, um ihn immer nody zu fehen, um fein Bild tief in ihr Herz zu prägen, über die Schwelle. “Der Schließer drückte raſch die Thür hinter ihr zu. Draußen hörte Palm einen herzzerreißenden Schrei, dann ward Alles ftill. — Einige Minuten fpäter öffnete fich wieder die Thür, und ein fatho- liſcher Geiſtlicher trat eih. Meine Frau ift ohnmächtig geworben, nicht wahr? fragte Palm. Nein, fie ſchien nur, als die Thür fih ſchloß, von einem plötz⸗ lihen Schwindel ergriffen, dann aber raffte fie fich wieder empor und eilte fort. Der Here möge ihr gnädig fein! Er wird e8 fein, fagte Palm zuverfichtlich. Er möge auch Ihrer ſich erbarmen, mein Sohn, fagte der Priefter. Laflen Sie uns beten, öffnen Sie mir Ihre Seele und Ihr Herz! Meine Seele und mein Herz liegen frei vor Gott da, er wirb 686 fie [hauen und fie richten, fagte Palm. Ich gehöre nit zu Ihrer Kirche, mein Vater, ich bin Proteftant. Aber wenn Sie mit mir beten wollen, fo thun Sie es, und wenn Sie mir Ihren Segen er- theilen wollen, fo werde ih ihn dankbar annehmen, denn einem Ster⸗ benden thut e8 immer wohl, eine fegnende Hand auf feiner Stim zu fühlen! Die Glocke ſchlug zwei Uhr und jet wirbelten die Trommeln, und vom Kirchthurm begann das Armefünderglödlein zu läuten. Im ganz Braunau herrfchte eine tödtliche, ſchauerliche Stille. Alle Häufer waren geichloffen, alle Fenſter verhangen. Niemand wollte dem fürdterlihen Scaufpiel zuſehen, das ber Defpotismus des fremden Gewalthabers ihnen bereitete. Die Frauen und Rinder waren in ihre Häufer zurüdgefehrt und in ihren verhüllten Stuben lagen fie auf ihren Knieen und beteten. Die Männer hielten fi verborgen, um ihre Schaam und ihre Wuth nicht ſehen zu laflen. | Niemand war daher auf der Straße, als die fürdterliche Pro⸗ ceffion ſich nahete. In der Mitte von Soldeten und Gensb’armen fam ein elender Karren daher gerumpelt. Rückwärts auf dieſem .. Karren, die Hände auf dem Rücken zufammen gebunden, ſaß Palm; ihm gegenüber ver Geiftliche, mit dem Erucifir in der Hand, Gebete murmelnd. \ Die deutſchen Bewohner Braunau’s hatten wohlgethban, ihre Thüren zu verfchießen und ihre Fenſter zu verhängen, denn es war die Schmach nnd das Elend Deutſchlands, weldhe da durch die Straßen raſſelten! Aber nicht alle waren ſo glücklich geweſen, daheim bleiben zu dürfen. Der Wille des fremden Gewalthabers hatte über ſie anders beſtimmt und die Magiſtratsbeamten und die Behörden hatten ſich in ihrer Amtstracht hinaus begeben auf den Richtplatz. Da ftanden fie, ftumm vor Schaam, Erftaunen und Entjegen, bie Augen nievergefchlagen, den Sclaven gleih, weldhe durch das Tod hindurch gehen! Hinter ihnen fanden hundert Zufchauer, aber nicht ſolche Leute, denen die Hinrichtungen nur ein pifantes Schaufpiel, eine feltene Ber- 687 fireuung find, ſondern Männer mit düftern, zornigen Bliden, Männer, welche gekommen waren, um heimlid in ihren Herzen an diefer Stelle, wo ein legtes Stüd deutfcher Ehre fih verbluten follte, vem Frevler eine heilige Rache zu ſchwören. Das Blut des Märtyrers follte fie begeiftern zu ber enblichen, heiligen That der Sühne! Palm war von dem Karren herniedergeftiegen, und mit raſ chem entjchloflenem Schritt ging er zu der Stelle hin, die man ihm bezeich- nete und neben welcher ein frifch aufgeworfenes. Grab ſich befand. Die Hand des Profofes zurüdwehrend, entledigte ex fich felber feines Oberkleides und warf es hinter fih in das offene Grab. Dann richtete er feine Blide hinüber nad) der Seite, wo der Magiftrat, wo _ feine deutſchen Brüder ſich befanden. Vreunde, rief er laut, möge mein Tod Euch Segen bringen, möge mein Blut Euch nit vergebens vergoffen fein, fondern Euch vielmehr — Lautes Trommelwirbeln übertönte ſeine Worte. Der General winkte, ſechs Schüſſe krachten. Palm ſank zur Erde, aber er richtete ſich wieder empor. Nur eine einzige Kugel hatte ihn getroffen, das Blut ſtrömte aus ſeiner Bruſt, aber er lebte noch. Eine zweite Rotte trat vor, auf's Neue krachten ſechs Schüſſe! Aber die Soldaten, welche gewohnt waren, in der Schlacht ihr Ziel ſicher in's Auge zu faſſen, hatten hier, wo ſie Henkerdienſte thun ſollten, ihr Auge abgewandt, und ihre Hände, welche niemals in der Schlacht gezittert hatten, zitterten jetzt. Zum zweiten Male erhob ſich Palm von der Erde, ein keuchendes, blutendes Opfer, das mit ſeinen emporgehobenen blutigen Händen den Himmel anzuflehen ſchien um Rache und Vergeltung. Eine dritte Gewehrſalve krachte. Dies Mal richtete Palm ſich nicht wieder auf. Er war todt! Gott hatte ſeine Seele empfangen. Sein blutiger Körper lag auf der deutſchen Erde, als wolle er ſie düngen zum Werk der Vergeltung. 688 VI. Die Kriegserklärung Preußens. König Friedrich Wilhelm der Dritte hatte heute noch nicht fein Kabinet verlaffen. Seit dem früheften Morgen hatte er fich in daſſelbe zurüdgezogen, um zu arbeiten. Landkarten, Schladhtpläne und aufge⸗ ſchlagene Bücher lagen auf den Tifhen um. ihn ber, und in ihrer Mitte fa der König, finnenden Blids und forgenvoller Miene. Ein leifes Klopfen an der Thür ftörte ihn in feinen Gedanken. Der König bob fein Haupt empor. und horchte. Das Klopfen wieder- holte ſich. Das kann nur fie fein, fagte er vor fih hin, und ein leifes Lächeln flog dur feine Züge. Er eilte nah der Thür bin und öffnete fie. Seine Ahnung hatte ihn nidt getäuſcht. Es war die Königin, welche da vor der Thür ſtand. Lächelnd, anmuthsvoll und heiter wie immer, trat ſie in das Kabinet ein, und reichte ihrem Gemahl ihre Hand dar. Zürnft Du mir, mein theurer Freund, daß ich Dich geftört habe? fragte fie zärtlid. Aber mir jchien, Du habeft heute lange genug für den Staat gearbeitet, und da konnteſt Du Deiner Luife auch wohl eine Biertelftunde weihen. Du weißt wohl, wenn ih Dich nicht am Morgen geſehen habe, fo fehlt meinem Zage der rechte Sonnenfdein, und er ift grau und düſter. Deshalb, da Du heute noch nicht zu mir gekommen bift, komme: ich zu Dir. Guten Morgen, mein Herr und Gemahl. Guten Morgen, meine Königin, ſagte der König, einen Kuß auf die durchſichtig weiße Stirn der Königin drückend. Füge hinzu, guten Tag, meine theure Luiſe, denn ein Glückwunſch aus ſo ſchönem und edlem Munde wird hoffentlich alle böſen Geiſter ſchrecken, und machen, daß dieſer Tag wirklich gut wird. Ich erwarte gar Vieles von ihm! Die Stirn des Königs, welche ſich bei dem Erſcheinen der Königin 689 ein wenig aufgeflärt hatte, bewölfte fich wieder, und er blidte büfter vor ſich hin. Die Königin fah es und legte fanft ihre Hand auf feine Schulter. Du bift nicht heiter, mein Freund, fagte fie zärtlich. Sol id nidt meinen Antheil haben an Deinem Kummer. Gebührt er Deinem Weibe niht? Oder willit Du mir graufam entziehen, worauf ich ein Recht habe? Sprich zu mir, mein Gemahl, gieb mir meinen Antheil - an Deinen Schmerzen. Bertraue mir, was diefe Wolfen auf Deiner edlen Stirn zu bedeuten haben, und was Deine Seele fo ſehr befchäf- tigt, daß Du darüber fogar mi und bie ‘Kinder vergißt, und ung Deines freundlichen Morgengrußes beraubft? Aber felbft diefe innigen Worte der Königin vermochten bie Stirn des Königs nicht wieder zu erhellen, er vermied es, ihren fchönen und leuchtenden Augen, die forfhend auf ihm rubten, zu begegnen, und wandte ten Blid zur Seite. | Regierungsgefhäfte, fügte er kurz. Nichts Intereflantes und Würdiges, um meiner Königin präfentirt zu werden. Wollen nicht damit die glüdlihen Minuten Deiner Gegenwart verbittern! Segen wir ung. | Die Königin kannte ihren Gemahl fehr genau, fie wußte, daß man ihm nicht widerſprechen durfte, wenn er in dieſer kurzen rauhen Weiſe ſprach, und daß es dann das Beſte fei, feine Berftimmung un- beachtet zu laffen, oder wo möglid fie zu zerftreuen. Sie folgte ihm daher fchweigend zu dem Divan, und fette ſich, mit einem holven Lächeln ihn einladend, neben ihr Pla zu nehmen. Der König that es, und Luiſe lehnte zärtlich ihr Haupt an feine Schulter. Wie füß ift es, fein ſchwaches Haupt an eines ftarfen Mannes Bruft zu lehnen, fagte fi. Mir fiheint, jo lange ih in Deiner Nähe bin, kann mir kein Unglüd nahen, und id ſchmiege mid vertrauenspoll und felig an Dich, wie der Epheu, der die ftarke Eiche umrankt. Der Vergleich iſt nicht richtig, ſagte der König, der Epheu blüht nicht und duftet nicht. Du aber biſt die ſchönſte Purpurroſe, die Königin der Blumen! Mühlbach, Napoleon. 1. Bd. aA 690 Wie? Mein Herr läßt fih herab, mir Artigfeiten zu fagen? rief die Königin mit einem frifchen und fröhlichen Lachen, indem fie ihr Haupt von des Königs Schulter erhob, und ihn fhalkhaft anfchauete. Aber, mein König, Dein Vergleich ift auch nicht richtig. Die Burpur- rofen haben Dornen und Staheln, und verwunden Jeden, der fie bes rührt. Ich aber möchte um alle Herrlichkeiten der Welt Dir nidt wehe thun und Did verlegen! Wäre ih eine Roſe, jo würde ich alle meine buftenden Blätter abjchütteln, um Dir ein Kiffen daraus zu be- reiten, auf dem Dein edles Haupt ausruhen mödte von der Mühfal und der Pein des Tages, und auf dem Du ſchöne Träume von einer glüdlihen Zukunft finden follteft. Nur Träume von einer glüdlihen Zukunft! fagte Friedrich Wilhelm finnend. Du magft wohl Recht haben, daß die Hoffnung auf eine glüdliche Zukunft in der That nur ein Traum ift! Nein, rief die Königin, die ftrahlenden Augen zum Himmel er- hebend, ich glaube feſt an das Glüd der Zukunft, ich glaube und weiß, daß Gott Did, den edelſten und fchulplofeften der Fürften, dazu aus- erwäblt hat, ven Uebermuth tiefes verwegenen Tyrannen zu brechen, der die ganze Welt unter fein despotifhes Joch ſchmieden möchte, und in feiner ehrgeizigen Ländergier die Hände erhebt nach allen Yürften- fronen! Deine Krone foll er nicht berühren! Die ift der Fels, an | dem feine Macht fcheitert, und, zu deſſen Füßen ſich feine ftolzen Wogen bredhen werben. Preußen wird die Schmad Deutſchlands fühnen, deſſen bin ic gewiß, und darum bin ich aud fo glüdlidh und vertrauensvoll, feit Du, mein Herr und Ränig, die Larve diefer fal- Shen Freundfhaft zu dem Tyrannen weggeworfen und ihm Dein offenes, zürnendes Feindes-Antlitz gezeigt haft. Es lag auf meinem Herzen, wie eine ſchwere Wolfe, fo lange wir noch diplomatifirten und vermittelten, und um Frieden bubhlten, und Vortheile erhofften von dieſem Mann ohne Treu und ohne Glauben, ohne Ehrlichkeit und MWahrheitsliebe. Test, feit Du ihm feindlich gegenüber getreten, feit Du Deine Armee in Kriegsbereitſchaft gefegt haft, jett ift die Wolle verfchwunden, und Alles in mir ift wieder liht und freudenhell! Und dennoh, wer weiß, ob ich Recht getban habe, jeufzte der 691 König. Der Friede iſt ein gar köſtliches Ding, und das Bolt bedarf deſſen fo fehr zu feinem Wohlergehen! Aber Dein Volk will feinen Frieden, rief die Königin. & ſchreit und jauchzt nach Krieg und wünſcht nichts ſehnlicher, als endlich dieſem unſeligen Zwitterzuſtand ein Ende gemacht zu ſehen. Du haſt jetzt mobiliſiren laſſen, und ſchon haben ſich alle Geſichter erhellt und alle Herzen aufgerichtet, verkünde Deinem Volk, daß Du dem Uſurpator den Krieg erklären willſt, und ganz Preußen. wird ſich jauchzend er- heben, und wie zu einem Giegestanz auf das Schlachtfeld eilen. Du fprihft von der Armee und nicht vom Bolf, fagte der König. Die Armee freilih ift fampfespurftig und ift auch überzeugt, daß fie fliegen wird. Indeß, wer weiß, ob fie fi nicht irrt. Es ift lange her, daß wir und gejchlagen haben, während Napoleons Heere kriegs⸗ gewohnt, Triegsgefhult find, und täglid im Felde ftehen. Das Heer Friedrichs des Großen, das Heer meines Königs hat nicht8 zu fürdten von den Horven bes Barbaren! rief die Königin mit flammenvden Augen. Der König zudte leicht bie Achſeln. Ich bedarf der Verbündeten, fagte er, allein vermag ich diefen Kampf nicht auszufämpfen. Wenn Die norbdeutfchen Höfe meiner Einladung folgen, wenn fie ſich mir an- ſchließen, wenn endlich Oeſterreich auf meinen Vorſchlag eingeht, und fih mit mir vereinen will, dann hoffe ich auf glüdlihen Erfolg. — Dies Alles wird fi noch heute entjcheiden, denn ich erwarte heute bie Rückkehr zweier wichtiger Abgefandten, die Rückkehr Harvenbergs, der meine Borfchläge nad Wien gebracht, und die Rückkehr Rombards, den ih an bie Meineren beutjchen Höfe abgefhidt, um ihnen ein Schug- und Trutzbündniß anzubieten, im Gegenſatz zum deutſchen Rheinbund Napoleons. Ich geftehe Dir, Luiſe, ich zittere vor ihren Antworten, ih kann heute keinen andern Gedanken faffen, feinem andern Gefühl mich bingeben, als nur biefem Einen! Und nun weißt Du, fuhr er lächelnd fort, weshalb ich heute Morgen fogar vergeflen konnte, Dich zu begrüßen. So geht es! Ich wollte die Unruhe als Geheimniß in meiner Bruft bewahren, aber wo giebt e8 ein Mittel einer ſolchen Zauberin zu widerftehen. Du weißt nun Alles! | —8 692 Und weißt Du aud ſchon die neue Unthat, die der Tyrann verübt hat? fragte die Königin. Weißt Du, daß er auf deutfhen Boden. herrſcht und befiehlt, al8 wäre Deutſchland nur noch feine Provinz und alle Fürften feine Bafallen? Mitten im Frieden hat er einen deutſchen Bürger aus feinem Haufe wegichleppen, auf deutſchem Boden hat er ein franzöflfches Kriegsgericht zufammentreten laffen, und dies Kriegs— gericht hat es gewagt, einen deutfchen Bürger zum Tode zu verur- tbeilen, blos weil er, ein deutfcher Buchhändler, eine Schrift verbreitet bat, welde Deutſchlands Erniebrigung beklagt. Weißt Du, daß Palm erſchoſſen worden? | | Ich weiß es Schon feit drei Tagen, fagte der König düſter. Ich verjchwieg es Dir, um Dich nicht zu betrüben! Aber die öffentlihe Meinung verfchweigt heute nichts, rief Luiſe glühend, und die öffentlihe Meinung von ganz Deutſchland fchreit gegen den Tyrannen, der fo deutjches Recht und deutſche Ehre mordet. In allen Städten werden Sammlungen eröffnet für Palms Familie, für fein junges Weib und feine Kinder. Die Armen und die Reichen beeilen fi je nad) ihren Kräften, den Hinterlaffenen des Märtyrers Gaben der Liebe darzubringen, und glaube mir nur, diefes Geld, das Deutfchland jett für Palms Wittwe fammelt, wird eine Dradenfaat fein; es werden einft geharnijchte Krieger aus ihm hervorgehen, und aus dem unſchuldig vergoffenen Blut wird Deutſchlands Rache auf- blühen! Vergönne mir, mein Freund, aud meinen Antheil zu haben an bdiefer Saat der Liebe und der Rade. Man brachte mir heute Morgen eine Liſte, auf welcher fid) die erften und edelften Familien mit namhaften Summen für Palms Wittwe unterzeichnet hatten, und man fragte bei mir an, ob es geftattet fei, daß aud meine Damen und mein Hofftaat unterzeichnen dürften. Sch möchte e8 ihnen gewähren, aber ich möchte mehr thun, ich möchte felber unterzeichnen, und mein Scherflein beiſteuern. Wilft Du es mir geflatten? Man wird das wieder für-eine Demonftration halten, fagte ber König unruhig, man wird fagen, daß wir Streit und Unfrieden fuchen und die Oemüther aufregen möchten zum Mißvergnügen! Ich glaube, es wäre Müger, nicht wor der Zeit cine ientliche Demonftration zu 693 machen, fonbern zu warten und ftill zu fein, bis die rechte Zeit ge- fommen ift. Und wann wird diefe rechte Zeit fommen, wenn fie jegt noch nicht ba ift? rief die Königin ſchmerzvoll. Gedenke, mein Geliebter, an all die Kränfungen und Demüthigungen, die wir in legter Zeit von dieſem Despoten erbuldet haben, und welche Du, in ebler, großmüthiger R⸗ fignation,- um Deinem Bolf ven Frieden zu erhalten, unbeachtet ge⸗ laſſen. Bedenke, daß er allein Dich beftimmte Hannover zu occupiren, daß er Dir den Befit deflelben garantirte, und jegt, da Deine Truppen es bejett haben, heimlich und ohne Dir ein Wort zu fagen, fih an England wendet, ihm ven Frieden anbietet, und als Friedenspfand vor- ſchlägt, Hannover wieder mit England zu vereinen, und fid, erbietet, es wieder zurädzugeben.*) Es war eine fchwere Beleidigung, rief der König ungewöhnlich lebhaft, ich habe darauf geantwortet, indem ich die Mobiliſtrung meiner Armee befahl. Aber unſere Armeen ſtehen gerüſtet ſtill und warten, rief die Königin ſchmerzlich, und in Paris verhandelt General Knobelsdorf mit Bona⸗ parte um den Frieden! Er fol verhandeln und biplomatifiren, bis ich bereit bin und ge⸗ rüftet, rief Friedrich Wilhelm, bis ich weiß, wer von den beutichen Fürften fi für und wider mid erflärt, Dan muß vor allen Dingen feine Streitkräfte kennen, um feine Pläne machen zu können. Ich muß daher willen, wer mit mir ift! Gott ift mit Dir und Deutſchlands Ehre, rief die Königin, und auf Einen treuen Freund fannft Du mit Sicherheit zählen. Du meinft den Kaiſer von Rußland? fragte der König. Ich habe freilich geftern einen Brief von dem Raifer erhalten, in welchem er meldete, „daß er mit einem Heer von flebenzigtaufend Mann, unter feiner perfönlihen Anführung, als treuer Freund und Nahbar mir zur Hülfe ziehen, und redtzeitig auf dem Schlachtfeld erfcheinen werbe, fei’8 am Rhein oder jenfeits deſſelben!“ *, Siftoriih. Siehe: Häuffer, Deutjche Geſchichte. V. 754. 694 Ob, der edle und treue Freund! rief die Königin freudenvol.' Ja, fagte der König bedächtig, er verfpridht viel, aber ruffifche Berjprehungen marfchiren fchneller, als ruſſiſche Heere.*) Ich fürchte, die Begebenheiten werden uns fo fortreißen, daß wir nicht warten können, bis der Kaifer mit feiner Armee da ifl. Sobald Napoleon ahnt, daß meine Rüftungen ihm gelten, wird Er es fein, der mir den Krieg erflärt, Er ift immer ſchlagfertig, ſeine Armee iſt immer auf dem Kriegsfuß. Mag er ſein, was er will, er iſt jedenfalls ein tapferer und großer Feldherr, und ich weiß nicht, fette der König leiſe hinzu, ih weiß nicht, ob wir einen Feldherrn von gleihem Talent ihm ent- gegen zu ftellen haben. Ob, Luiſe, ich beneive Dich um Deine Sicher⸗ beit, um Dein fühnes Vertrauen! Hegft Du denn gar feine Zweifel, feine Unruhe? Unruhe? rief die Königin mit einem ftolzen Lächeln. Ich glaube und bin überzeugt, daß es jest nur Eins giebt, was man thun muß. Man muß das Ungeheuer befämpfen, man muß es niederfchmettern, und dann erft darf man von Unruhe fprehen!**) Ich glaube außer. beim an die göttlihe Vorfehung, ich glaube an Di, meinen edlen, holyfinnigen und tapfern König und Gemahl, und ic glaube an Deine große und herrliche Armee, weldhe vor Kampfbegierde brennt! Ic glaube an den guten Stern Preußens! Oh, mir fcheint, daß er jeßt fehr von Wolken bedeckt ift, ſagte der König traurig. Der Schlachtendonner wird ſie zerſtreuen, rief Luiſe begeiſtert. Der Pulverdampf reinigt ja die Luft, und nimmt ihr die ſchädlichen Dünſte! Eben öffnete ſich leiſe die Thür und der Kammerdiener des Königs erſchien in derſelben. Majeſtät, ſagte er, Se. Excellenz der Miniſter Baron von Harden⸗ berg bittet um eine Audienz. *) Des Königs eigene Worte. **) Der Königin eigene Worte. Siehe: Schriften von Friedrich won Geng. Th. IV. ©. 169. | 695 Du fiehft, die Entfheidung naht, fagte der König, feiner Ge- mahlin zugewandt. Ich werde den Minifter ſogleich bitten, einzutreten. Der Kammerbiener entfernte ſich. Der König ging fchweigend, die Hände auf dem Rüden gefaltet, einige Male auf und ab. Luiſe wagte es nicht, ihn zu ftören, nur ihre leuchtenden Augen folgten jeder feiner Bewegungen mit einem Ausdrud inniger Sorge, zärtlicher Theilnahme. Plötzlich, mitten im Zimmer, blieb der König ſtehen und athmete hoch auf. Ich weiß nicht, ſagte er, mir iſt faſt freudig und glücklich zu Muthe, daß ich endlich vor der letzten Entſcheidung ſtehe. Franz von Sickingen hat wohl Recht: „Beſſer ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!“ Oh, rief die Königin freudig, daran erkenne ich meinen edlen und tapfern Gemahl. Wenn er das Schreckniß nicht mehr durch mildes Wort und ſanfte Klugheit bannen kann, ſo hebt er ſeinen Ritterarm empor und zerſchmettert es! Aber wir dürfen Deinen Miniſter nicht mehr warten laſſen, ich gehe alſo. Nur Eins noch! Erlaubſt Du mir für Palms Wittwe zu unterzeichnen? Nicht als Königin, ſondern nur als Frau, welche das Elend einer ihrer deutſchen Schweſtern mit em- pfindet, und aus innerm Herzensprang ihr helfen möchte. Ich werde mich nicht nennen, die gute Oberhofmeifterin mag ftatt meiner unter- zeichnen. Erlaubſt Du es, mein Freund? Volge Deinem eplen und großmüthigen Herzen, meine Ruife, jagte der König, gieb Deinen Antheil für die arme Frau! Danf, mein Freund, taufend Dank, rief Luiſe, ihrem Gemahl vie Hand darreichend. Er drüdte fie zärtlih an feine Lippen, und geleitete die Königin dann bis an die Thür. Luiſe wollte ihm bier ihre Hand entziehen, und die Thür öffnen, um binauszugehen, aber ihr Gemahl hielt fie feft uud feine Züge nahmen einen verlegenen und befangenen Ausdruck an. Ich möchte Dich auch noch um etwas bitten, fagte er furz und baftig. Wenn Du die Oberhofmeifterin in Deinem Namen haft unter- zeichnen laffen, fo befiehl doch Deinem Hofmarſchall, daß er für ſich 696 auch diefelbe Summe zeichnet. Ich werde fie ihm aus meiner Cha- toulle erſetzen.*) | Die Königin erwiderte nichts; fie fchlang ihre ſchönen, weißen Arme um den Naden des Königs und drüdte einen glühenden Kuß auf feine Lippen, dann wandte fie fih raſch um und verließ das Gemach, vielleiht um ihren Gemahl bie Thränen nicht ſehen zu laſſen, die in ihren Augen ſtanden. — Der König ſchaute ihr nach mit einem langen innigen Blick. Oh, ſagte er leiſe vor ſich hin, ſie iſt der Sonnenglanz meines Lebens. Wie öde und kalt wäre es ohne fie! — Und jetzt zu den Geſchäften! Er eilte haftig nach der entgegengefegten Thür und öffnete fie. Ich laſſe den Minifter von Hardenberg bitten, zu mir zu fommen, be⸗ fabl er dem Kammerdiener, der in der Antihambre wartete. Wenige Minuten fpäter trat Hardenberg ein. Der König ging ihm einige Schritte entgegen und fah ihn forfhend an. Gute Nachrichten? fragte er. Majeſtät, „gut” ift ein fehr relativer Begriff, erwiderte Harben- berg achſelzuckend. Ich nenne es fhon gut, wenn man eine offene und entfcheidende Antwort erhält. Die alfo bringen Sie, fagte der König rafch, berichten Sie mir zuerft das Refultat. Die weiteren Auseinanderfegungen nachher! Ew. Majeftät zu Befehl! Das Nefultat ift, daß Oeſterreich neutral bleiben und jett feine Schlacht mehr wagen will. Seine Fi- nanzen find erfchöpft, fein Heer ift durch die vielen Niederlagen demo- ralifirt und muthlos geworden. Napoleon hat Defterreih nit blos materiell, ſondern auch moralifch beftegt. Ein panifher Schreden vor dem Franzoſenkaiſer und feinen fieggewohnten Heeren hat fi der Ge- müther der öfterreihifchen Soldaten bemädjtigt; der Kaifer ift muthlos *) In Berlin, Leipzig und in allen größeren Städten Deutſchlands nicht allein warb für Balm’s Wittwe gefammelt, fondern auch in England und Ruß⸗ land fanden ähnliche Sammlungen ftatt. Im Petersburg waren ber Kaifer und die Kaiferin die Erſten, welche ihren Namen auf die Subfcriptionslifte ſetzten und eine bedeutende Summe zeichneten. Siehe: Biographie des Johann Philipp Dalm. Münden 1842. 697 und verzagt, und feine Minifter wünjchen nichts fehnlicher, als einen dauernden Trieben mit Franfreih. Seine Feldherren aber und Ge⸗ neräle fühlen eine fo glühende Bewunderung für Napoleons Feldherrn- talent, daß felbft der Erzherzog Earl gefagt hat: „er würbe es für einen Frevel halten, noch länger gegen Napoleon zu fämpfen, ftatt um’ feine Bundesgenoffenfhaft zu werben.” *) Er möchte Recht haben, fagte der König, nur hätte er es ftatt eines Trevels eine Unbefonnenheit nennen folen. Ih weiß wohl, daß wir jegt nicht mehr zurüd Fünnen, daß die Gewalt der Umftände uns zwingen wird, das Schwert aufzuheben und den Kampf zu wagen, aber ich verhehle mir nicht all die großen Mißſtände und Gefahren, die e8 für Preußen hat, wenn es allein, ohne wirkſame und thätige Bundesgenofien, den Kampf unternimmt. Ich bin jahrelang bemüht gewefen, Preußen vor den Schredniffen und Uebelſtänden bes Krieges zu bewahren, aber die Umftände find ftärfer als ih und ich werde mid ihnen fügen müffen! Im Gegentheil, die Umftärhde werben fid) Eurer Majeftät fügen müſſen und das Schidjal — Das Schidfal, unterbrach ihn der König haftig, das Schickſal ift kein Hof-Cavalier und es bat mir niemals ſonderlich gefchmeichelt. Majeftät, ich wollte es machen wie das Schidjal, ich wollte auch nicht ſchmeicheln, fagte Harbenberg lächelnd, ih wollte nur die Wahr- Heit fagen. Das Schickſal ſcheint fi uns geneigter zu erklären, das wollte ih fagen. Ich habe Briefe von dem englifchen Minifter or erhalten. Der König Georg der Dritte, da er jegt fieht, daß Preußen Ernſt macht und fih zum Kriege rüftet, ift jegt einer Allianz mit Preußen geneigter. Das erfte günftige Zeichen davon ift, daß Eng- land die Blokade der norbbdeutfchen Flüffe aufgehoben hat; wir werben bald einen Abgeſandten Englands hier anlangen fehen, um mit Preußen Frieden zu fohließen und über eine Allianz zu verhandeln, die ung ‚ Truppen und Geld zuführt. *) Rebensbilder aus dem Berfreiungskriege. Th. III. 698 Möchte dieſer Geſandte bald kommen, feufzte der König, denn wir bedürfen Beides, ver Hülfstruppen und des Geldes. *) Als nad einer langen Conferenz der Diinifter Hardenberg dag Cabinet des Königs verließ, leuchtete fein Antlig vor innerer Befrie- digung und mit vafchen Schritten eilte er hinunter zu feinem Wagen. Zum Prinzen Rouis Ferdinand, befahl er tem Kutſcher. So ſchnell die Pferde laufen! Prinz Louis Ferdinand befand fi eben inmitten feiner Freunde in feinem Mufitfaal, als der Minifter Hardenberg eintrat. Er ſaß vor dem Flügel und phantafirte Seine Gedanken mußten heute einen erhabenen Schwung genommen haben, denn es war in der Muflf, die er ben Taſten entlodte, ein Strom von Begeifterung, Kraft und Gluth, und das edle Antlig des Prinzen leuchtete wie in einer Ber: züdung. Didt neben ihm, das Haupt leife an feine Schulter gelehnt, faß Pauline Wiefel, des Prinzen ſchöne und geiftvolle Freundin, und horchte mit lächelnden Purpurlippen und feuchten Blicken auf die ſchönen und fchwungvollen Melodieen. Im ver Mitte des Saals befand fid) eine mit edlen Weinen und duftenden Südfürchten bejeßte Tafel, und um biefelbe faßen zwölf Herren, die meiften von ihnen in der Uniform höherer Dfficiere, die andern in Civil. Es waren des Prinzen milie tairifche und gelehrte Freunde, feine täglichen Gefellihafter, vie gleich Hardenberg immer das Recht hatten, unangemeldet bei ihm einzutreten. Der Minifter winkte den Herren, welde fih von ihren Siken erheben wollten, um ihn zu begrüßen, haftig zu, figen zu bleiben und eilte rajch und leife durch den Saal nad dem Prinzen hin, der ihm den Rüden zugewandt hatte und fein Kommen nicht gewahrte. *) Der Geſandte England’s Lord Morpeth, kam leider doch zu fpät; erft am 12, October langte er in Weimar, im Hauptquartier des Königs an. Aber die franzöfifche Partei, Minifter Haugwig, Lombard und Luccheſini, wußten es zu verhindern, daß der Lord überhaupt nur eine Aubienz bei dem Künig er langte und fertigten ihn mit dem Beſcheid ab: Die Unterhandlung hänge von dem Ausgang der Schladht ab, die man eben ſchlage. Häuffer: Deutſche Ge- fohichte II. 766. | 699 Mein Prinz, fagte er, ihm leife die Hand auf die Schulter legend, jest ift e8 entfhieden, fie werden Krieg haben! Krieg! jubelte der Prinz und fprang auf, um den Minifter zu umarmen und einen Kuß auf bie Lippen zu brüden, die ein jo köſt⸗ lihes Wort geſprochen. Krieg! riefen die Herren an der Tafel und fie erhoben ihre Gläſer und ſtießen jubelnd an. Krieg? ſeufzte die ſchöne Pauline Wieſel, und indem fie fich leife an des Prinzen Schulter ſchmiegte, flüfterte fie: Krieg, das heit, ich werde Gie verlieren! Nein, das heißt, ich werde Alles gewinnen, rief der Prinz mit leuchtenden Augen. Ich befhwöre Sie, Pauline, jett feine weibliche Schwäde, feine Empfindfamteit, feine Thränen! Der große Moment ift gelommen! Faſſen wir ihn groß auf! Endlich, endlich follen wir unjere Schmach fühnen, endlich unfere gevemüthigten Häupter ‘wieder erheben können und uns nicht fhämen müfjen zu fagen: ich bin ein deutfcher Dann. | Jetzt wird Ew. Königliche Hoheit fagen künnen: ich bin ein beut- fer Held! fagte Hardenberg freundlid). Der Himmel gebe mir, daß Sie recht haben, rief der Prinz. Er gebe mir Gelegenheit, mir einen Kleinen Lorbeerkranz zu verdienen, und müßte ih ihn auch fühnen mit meinem Blut und meinem Leben. Für das Baterland fterben ift ein erhabener Tod, und wenn id fo falle, Pauline, fo folft Du nicht weinen, jondern Jubelhymnen fingen und mid felig preifen! Wann, fagen Sie doch, Yreund, wann wird der Krieg beginnen? So ſchnell als es möglich ift, die einzelnen Armeecorps zufammen zu ziehen, erwiberte Hardenberg. Wir wiffen mit Beftimmtheit, daß Napoleon rüftet, um uns anzugreifen und den Krieg zu erflären. Wir werben uns beeilen, ihm zuvor zu fommen. Preußen ift zu vielfach und zu fchwer beleidigt worden, die Herausforderung muß daher von uns ausgehen. Und der Herr Bonaparte ſoll uns Revanche geben, rief der Prinz mit flammenden Augen. Es fol ein amerikaniſches Duell werden, wıx 700 [ mit dem Tode des Einen darf e8 enden! Freunde, nehmt Eure Gläfer und füllt fie bis an den Rand! Auch Sie, Hardenberg, hier, diefes Glas! Pauline fol es Ihnen kredenzen! Nun laßt uns trinken auf Preußens Ehre, nun ruft mit mir: Es lebe der Krieg! Es lebe der Helvdenfieg! Es lebe der Heldentod! Es lebe der Krieg! Es lebe der Helvdenfieg! Es lebe der Heldentod! riefen die Freunde. Die Gläfer Elirrten, die Augen der Männer leudhteten, aber PBaulinens Augen waren feucht von Thränen.*) — Am Abend viefes Tages begab fih der König, wie gewöhnlich, zur Königin, um mit ihr den Thee einzunehmen, ven fie ihm jelbft jervirte. Es war dies die Stunde, in welder, der Frau Oberhof: meifterin zum Trotz, das königliche Paar alle Etiquette von ſich fern hielt, und in ganz bürgerlicher Herzlichkeit und Bwanglofigfeit mit einander verkehrte. Die Königin war daher ganz allein, als ihr Gemahl zu ihr eintrat. Keine der Hofdamen durfte ihnen den Genuß dieſer traulichen Thee⸗ ſtunde ftören, nur wenn ber König es wünfchte, durften die königlichen Kinder fommen, um mit ihren Eltern zu plaudern, und aus ven Händen ihrer jhönen Mutter ihr Abendefjen zu empfangen. Die Königin ging ihrem Gemahl mit heiterm Liebesgruß entgegen und reichte ihm beide Hände dar. Nun? fragte fie zärtlih. Noch immer eine Wolfe auf Deiner Stimm? Komm, laß fie mich fortküffen. Sie erhob fih auf ihren Fußſpitzen und lächelte, als fie dennod nicht im Stande war, zu ber Stirn ihres Gemahls hinaufzureichen. Du mußt Did) zu mir neigen, fagte fie, ih bin zu Fein für Did. Nein, Du bift groß und herrlih, und Du mußt Dich zu mir neigen, wie die Engel zu dem armen Sterbligen, fagte der König. Ad, meine Luiſe, ich fürchte aber, felbft Dein Kuß wird die Wolfen nicht mehr von meiner Stirn verjagen. Haft Du ſchlimme Nachrichten erhalten? fragte die Königin. Sind . Deine Abgefandten gelommen ? *) Prinz Louis Ferdinand mußte feine heldenmüthige Begeifterung mit dem Tode bezahlen. Ex fiel in den Bert hä Sualtelb am 10. October 1806. 701 Sie find gefommen. Keine Hülfe von Defterreih! Das ift Hardenberg's Nachricht. Kein norddeutſcher Bund! Das ift Lom- bard's Nachricht. Jeder verfolgt feine Sonderinterefjen und denkt nur an fih. Kurſachſen möchte gern felbft einen ſächſiſchen Sonderbund ſchließen, Kurheſſen verfpricht uns beizutreten, wenn wir ihm vor allen Dingen eine bedeutende ©ebietövergrößerung zufihern, Oldenburg wartet, was die Andern thun, Walde und Lippe haben Luft fi dem Rheinbund anzujchließen, weil fie dabei mehr Bortheil fehen, und der Herzog von Medlenburg- Schwerin hat ganz ftolz geantwortet, er werde neutral bleiben; wenn er ſich in Gefahr befände, würde er dankbarlichſt den preußifchen Schuß annehmen, aber jedes Anfuchen einer Leiſtung zur Berpflegung müſſe er entſchieden zurüdweifen. *) Ob, diefe Feinlihen egoiftifhen Menſchen! rief die Königin ent- rüftet. Sie wagen es, ſich Fürften zu nennen, und es ift doch fein erhabener Gedanke und nichts von der Majeftät des Geiftes in ihnen. Böſe Saat wird ausgeſtreut durch den Heinlihen Sinn der Fürften! Wehe Deutfhland und uns Allen, wenn fie einft aufgeht in den Herzen ber Völker! — Aber von meinem Vater fagft Du mir nichts? Was hat Medtenburg-Strelig geantwortet? Ä Es ftimmt uns bei! Dein Pater ift uns treu! Ad, aber er hat uns nur ein treues, großes Herz und tapfern Treundesrath zu geben, feufzte die Königin. Sein Land ift zu Heim zu andern Hülfsleiftungen. Oh, mein Gemahl, mein Herzblut gäbe ih jest darum, wenn ich eines mächtigen Königs Tochter wäre, und mein Bater Dir eine Armee zum heiligen Krieg entgegenführen könnte. Die Armeen der ganzen Welt wären mit aud nur Einen Tropfen Deines Herzblutes zu theuer bezahlt, jagte der König. Dein Vater bat mir das Höchſte und Herrlichfte gegeben, was dieſe Erde trägt, ein edles, ſchönes Weib, eine hodhherzige Königin! Dein Vater war der reichfte Fürft, als er noch feine Tochter befaß, ich bin der reichfte Mann, feit ih Dich befite! *) Hänffer: Deutfche Gefchichte II. 770. x 702 Er Schloß die Königin in feine Arme, und fie lehnte fih an ihn mit einem ſeligen Lächeln. Uebrigens, fagte der König nad) einer Paufe, es giebt bod Einen deutjchen Fürften, der treu zu uns hält, und das ift der Herzog von Weimar. Der Freund Göthe's und Schiller's rief die Königin. Der Herzog ftellt- ung fein Jägerbataillon zur Verfügung und wird im Sriege fein Commando übernehmen. Es tommt alfo jet zum Kriege? fragte die Königin freudig. Ya, es fommt zum Kriege, fagte der König traurig. Du fagft das, und du feufzeft? rief Luife. Ya, ich feufze, fagte der König. Ich bin nicht fo glüdlich wie Du und bie Kriegsluftigen, ich glaube nicht an die Unbefiegbarkeit meines Heeres. ch fühle, daß e8 nicht gut gehen kann! Es ift eine unbejchreiblihe Verwirrung in allen Kriegsangelegenheiten, die Herren wollen das freilich nicht glauben, und behaupten, ich wäre nod zu jung und verftände das nidyt. Ach, ich wünfche von Herzen, daß ich Unrecht habe! Die nächſte Zeit wird es lehren!*) VII. Ein böfes Omen. Das entjcheidende Wort war alfo geſprochen. Preußen wollte endlih das Schwert aufheben, es wollte endlich Rache nehmen für jahrelange Demüthigungen! _ Die Armee empfing diefe Nachricht mit Jubel, und das Bublitum benugte die Gelegenheit, um jeine Kriegsbegeifterung an den Tag zu legen. Es verlangte im Theater die „Jungfrau von Orleans” zu *) Des Königs eigene Worte. Siehe: Hendel von Donnersmark. 703 fehen, und beantwortete jedes Friegerifche und anfeuernde Wort Schiller’8 mit begeiftertem Applaus. Es warf wieder einmal dem Grafen Haug- wis die Fenfter ein, und brachte dem Prinzen Louis Ferdinand, dem Minifter Hardenberg und ven friegsluftigen Generälen eine Serenade. Ale Zeitungen glühten vor Siegesftolz, und waren ſchon im Voraus entzüdt über die glänzenden Schlachten, welche die preußiſche Armee dem Teinde abgewinnen würde. Am glüdlichften aber und ftolzeften waren die Dfficiere, welche in trunfener Freude ihr Haupt ſchon umkränzt ſahen von den Lorbeern, die fie fid) in dem bevorftehenden Sriege erwerben würben, und deren Stolz die Möglichkeit eines Unterliegens gar nicht ahnen wollte. Die Armee Friedrich des Großen konnte nicht befiegt werden, und nur vor Einem hatte man zu zittern, nur davor, daß es dennoch wieder nicht zum Kriege fommen möchte, und daß die unvermeibliche und unabweis- bare Niederlage Bonapartc’s noch einmal durch einen faulen Frieden gefährdet werde. *) Die alten Generäle aus den Tagen Friedrichs des Großen, das waren die Helden, an welche die Officiere glaubten. „Wir haben Generäle, die den Krieg verſtehen, ſagten die ſtolzen preußiſchen Offi— ciere, Generäle, die von Jugend auf gedient haben; jene Schneider und Scufter, die erft durch die Revolution etwas geworben find, können vor ſolchen Generälen nur gleich Davonlaufen. **) Und in der Begeifterung ihrer kommenden Siege gaben die Officiere einander glänzende Abjchiensfefte und tranten in Champagner und Rheinwein ein jubelndes Hoch auf die kommenden Schlachten, und fangen mit muthigem Gebrüll die neuen Schladhtliever, welche Arndt dem deutſchen Volk gedichte. Dann begeiftert von Zufunftsträumen, von Wein und Liedern, gingen fie Abends vor das Hötel des franzd- ſiſchen Geſandten, um auf den Steinen vor feiner Thür ihre Klingen zu weßen. Wozu aber Degen und Gewehre? riefen die Officiere zu ben *) Varnhagen's Denkwürdigkeiten I. 389, 390. *«*) Häuffer: Deutſche Gefchichte II. 358. 704 Fenſtern des franzöfifchen Gefandten hinauf, wenn die tapfern Preußen fommen, laufen die Franzoſen von felber; Knüppel reichten bin, une bie Kerls wieder in ihr Rand zurüdzujagen. *) Aber es gab auch unter den Militaire und unter den Generälen einige Mluge und befonnene Männer, welche vie Befürchtungen des Königs theilten, und die gleich ihm mit ernftem und forgenvollem Blid in die Zufunft ſchauten. | Dieje Befonnenen kannten den Zuftand des preußifchen Heereg,- und fie wußten, daß es nicht mehr das des fiebenjährigen Krieges war, und daß fein Friedrih der Große da war, um es anzuführen. Wohl gab es in der preußifchen Armee noch viele Generäle und Dificiere aus den Zeiten Friedrichs des Großen her, und dieſe waren natürlich Friegsfundig und wohlerfahren. Aber auf ihnen laftete das Alter und die Zahl der Jahre; das Alter hemmt die Thatenluft und die Jahre machen bequem. Und defjenungeadhtet glaubten fie an fi jelber, und waren überzeugt, daß ihnen, den Kriegern Friedrichs des Großen, der Sieg treu bleiben müfje, und daß für fie eine Niederlage gar nicht denkbar fei. Die Befonnenen ſahen wohl mit Ehrfurcht auf die Ruinen des alten Prachtbaues, den der große König aufgerichtet, aber fie fahen bod, daß fie morſch und zerfallen waren. Sie fahen, daß das preu⸗ Bifhe Heer in vielen Dingen zurüdgeblieben und unzulänglid war. Nicht bloß die Führer waren zu alt, aud die Soldaten waren ergraut, — aber nit ergraut im Kriegsdienft und im Feldlager, jondern er graut im Parabedienft und in den Kantpnirungen. Sie verftanden nicht den Kriegspienft, fondern nur den Kamajchendienft. Sie waren ver- heirathet und gingen mürriſch in den Krieg, der ihre Weiber und Kinder brodlos machte, weil er ihnen den Ernährer nahm. Außerdem war Die preußifche Armee nod ganz und gar in der alten Kriegsverfaflung, und nichts von den Verbefjerungen, welde bie weit vorgeſchrittene Kriegsfunft erfunden, war in fie aufgenommen. Die Bewaffnung der Infanterie war mangelhaft und ſchlecht; die *) Biſchof Eylert: Friedrich Wilhelm IIL Th. II. ©. 8. 705 Gewehre fahen von außen glänzend aus und waren herrlich polirt und gepugt, aber ihre Conftruction war mangelhaft. Man hatte fie nur zum Paradebienft, nicht fir die Schladht berechnet. Außerdem herrſchte bei der Infanterie noch das alte Erercier-Reglement, mit unenblid) weitläuftigen Wendungen, Griffen und Evolutionen, die fih wohl auf der Parade, aber niemals in der Schlaht und vor dem Feind aus— führen ließen.*) Die Artillerie war gut beritten, aber fie hatte nur ganz alte und zum Dienft faft untaugliche Generäle; der Jüngfte von ihnen hatte bie Giebenziger Jahre weit überjchritten. ’ Die Belleivung der Armee war die elendefte, die es geben fonnte, aus den erbärmlichften, gröbften Stoffen gefertigt, nnd auf's Kärg- lichfte eingerichtet. Eben fo ungenügend war die Berpflegung, und nod ganz nad dem Färglichen Maßſtab des ſiebenjährigen Krieges ein- gerichtet. Außerdem herrfehte in der Armee feine Begeifterung und fein rechter Kriegseifer. Der lange Frieden und Kamafchenbienft hatte den Eifer der Solvaten abgefhwächt, und ließ fie die Pflichten des Sol⸗ batenftandes nur als eine leere Spielerei und Quälerei betrachten, bei ber man fi nur mit dem Putzen der Gewehre und Riemen, mit. dem richtigen Zufnöpfen der Kamaſchen, und dem funftgerehten Wideln des Zopfes zu befchäftigen habe. Jeder Fehler gegen eine biefer Aeußerlichkeiten ward mit den härteften Strafen belegt. Der Stod herrſchte noch in der preußifchen Armee und prügelte vem Soldaten das Ehrgefühl aus, indem es ihm die Disciplin einprügelte. Nicht die Kriegsbegeifterung und der Mannesmuth war es, welde den preu⸗ ßiſchen Soldaten von 1806 in den Krieg begleitete, fonbern bie Disci- plin und der Stod.**) Der Oberfeloherr dieſer innerlich veriwahrlofeten und desorgani⸗ firten Armee follte jegt in diefem neuen Kriege der regierende Herzog *) Der Krieg von 1806 und 1807. Ein Beitrag zur Geſchichte der preußi- [hen Armee. Bon Eduard von Höpfner. I. 46 und folgende. **) 9, Höpfner I. 86. Mühlbach, Napoleon. Bd. 1. An 706 von Braunfhiweig fein, ein Mann von mehr benn fiebenzig Jahren, geiftreich, Triegserfahren, aber zögernd und ſchüchtern im Handeln, fid) felbft nicht vertrauend und daher ohne Energie und Entfchlofjenheit. Ihm zur Seite und an Rang ihm ber nächfte, ſtand ber Generalfelb- marfhall von Möllenborf, einer der Tapferſten bes fiebenjährigen Krieges, jest ein Greis von achtzig Jahren. Aus folhen Beftanbtheilen war die Armee zufammengefegt, welche jest ausrüden follte, um Napoleons ruhmbegierige, ſchlachtengewöhnte und kriegserfahrene Heere zu befiegen! Die Befonnenen hatten wohl Recht zu zagen; die Sorge, welde ans den düftern Mienen des Königs ſprach, hatte wohl ihre Be- rechtigung. Aber alle dieſe Zweifel und Beforgniffe waren 1 jebt vergeblich, fie konnten die Dinge nicht mehr aufhalten, den Krieg nicht mehr auf⸗ ſchieben. Die Gewalt der Umſtände war wichtiger, als alle Zweifel, und wenn die Beſonnenen leiſe ſagten: dieſer Krieg ſei ein Unglück für Preußen, ſo jauchzte die öffentliche Meinung um ſo lauter: „Dieſer Krieg rettet die Ehre Preußens und befreit uns von bem verhaßten Tyrannen!“ Die öffentliche Meinung hatte geſiegt, der Krieg war unabänderlich. Der General von Knobelsdorf bekam den Auftrag, dem Kaiſer der Franzoſen im Namen des Königs von Preußen ein Ultimatum zu überreichen, in welchem der König forderte, die franzöſiſchen Heere ſollten binnen vierzehn Tagen Deutſchland für immer verlaſſen, der Kaiſer ſollte der Bildung des nördlichen Fürſtenbundes kein Hinderniß in den Weg legen und es ſolle Preußen ſowohl die Stadt Weſel, als auch andere von Frankreich in Beſitz genommene preußiſche Gebiete wieder herausgeben. Dieſes Ultimatum war einer Kriegserklärung gleich zu achten und die preußiſche Armee alſo marſchirte aus. Am einundzwanzigſten September ſollten bie Garde⸗Regimenter Berlin verlaſſen und ſich zur Armee begeben, der König wollte ſie begleiten. 707 Ueberall in Berlin berrfchte eine frohe, Friegamuthige Stimmung, mit Guirlanden und Kränzen waren alle Häufer gefhmüdt und in ihren Feſtgewändern wogten bie Berliner durch die Straßen, um mit ihren Jubelftimmen und Glüdwünfchen die abziehenden Garden zu grüßen. . Der König hatte ihnen fo eben die Parade abgenommen und begab fi) jet zu feiner Gemahlin, um von ihr Abfchieb zu nehmen und dann an der Spige feiner Garden Berlin zu verlaflen. Die Königin ging ihm mit einem ftrahlenden Lächeln entgegen unb ein wunderbarer Ausdruck von Freude und Glück leuchtete aus ihren Augen. Der König ſchaute mit einem wehmüthigen Ausprud in ihr ſchönes erregtes Angefiht und ihre heitere Freudigkeit machte ihn nur noch trüber. Du empfängſt mich mit einem Lächeln, ſagte er, und mein Herz iſt ſorgenvoll und traurig. Weißt Du denn nicht, weshalb ich zu Dir komme? Ich komme, um Abſchied von Dir zu nehmen! Sie legte ihre beiden Hände auf ſeine Schultern und ihr ganzes Antlitz glänzte wie unter Sonnenſtrahlen. Nein, ſagte ſie, Du kommſt, um mich abzuholen! Der König ſah ſie verwirrt und erſchrocken an. Wie denn, um Dich abzuholen? fragte er. Wohin willſt Du denn gehen? Jetzt ſchlang Luiſe ihre beiden Arme um ihres Gemahls Nacken und ſich an ihn ſchmiegend, rief fie mit lauter, freubiger Stimme: Ich will mit Dir gehen, mein Gemahl! Mit mir? rief der König. Ya, mit Dir, fagte fie. Und glaubft Du benn, mein Freund, daß ich fo heiter und freudig hätte fein fünnen, wenn Dies nicht meine Hoffnung und mein Troſt gewejen wäre? Ganz heimlih und in ber Stille habe ih alle Vorkehrungen getroffen, Alles bereitet und ange- ordnet. Jetzt bin ich reifefertig, nichts hält mich mehr zurüd. Ich habe Alles georpnet, — id) habe ſogar, fette fie leife und mit zitternder Stimme hinzu, id habe fogar fhon Abfchied genommen von den Kin⸗ bern, und ich geftehe Dir, es hat mich Thränen gefoftet. Mein halbes Herz bleibt bei ihnen zurüd, aber Die andere, die größere Hälfte, die geht mit Div und bleibt bei Dir, mein Freund, mein Geliehter an Xdo* 708 Herr! WIR Dir fie zurücſſtoßen? Willſt Du mir nicht geftatten, Dich zu begleiten? Es ift unmöglich, fagte der König kopfſchüttelnd. Unmöglich? rief fie raſch. Wenn Du, wenn der König es will! Der König darf es nicht wollen, Luiſe. Ich werde eine Zeitlang aufhören König zu fein, und nur ein Soldat im TFeldlager fein. Wo it da Raum und Bequemlichkeit für eine Königin? Wenn Du aufhörſt König zu fein, fagte Luiſe lächelnd, dann ift bie natürliche Folge, daß ich aud Feine Königin mehr bin. Wenn Du nur nod ein Soldat bift, nun, fo bin ich eine einfache Solvatenfrau, und der ziemt es wohl, daß fie ihren Dann ins Feldlager begleite. Ob, Friedrich, fage nicht Nein, verfage mir nicht mein höchſtes Glück, mein höchſtes Recht! Haben wir nicht vor dem Altar Gottes geſchworen, Hand in Hand durch das Reben zu geben, in Glüd und Unglüd treu und freudig an einander zu halten? Und jest willft Du Deines Schwurs vergeffen? Willſt unfere Wege trennen? Der Weg des Krieges ift hart und rauh, fagte der König trübe. Drum muß ich bei Dir fein, um Dir zuweilen einige Blumen auf biefen Weg zu ftreuen, rief die Königin freudig. Ih muß da fein, um nad) den Tagen, die Du in Anftrengung und Sorge durdlebft, Dir zuweilen doch eine ftille, friedliche Abenpftunde zu bereiten! Ich muß bei Dir fein, um mid mit Dir zu freuen, wenn das Glück Dir leuchtet, um Dich zu tröften, wenn das Unglüd Did heimſuchſt. Fühlft Du denn nicht, mein Geliebter, daß wir Zwei ewig unauflöglih zu einander gehören, und daß wir unzertrennlih durch das Leben dahin fchreiten müffen, fei’8 in Freuden, ſei's in Leiden? Ih darf nit an mid, denfen, Luiſe, fagte der König tiefbewegt, nicht daran, weldh ein Genuß es für mich fein würde, wenn ich in diefen wildbewegten und ftürmifchen. Tagen Dich, meinen Engel des Friedens und der Freudigkeit, an meiner Seite ſähe, ich darf nur an Dich denken, an bie Königin, an die Mutter meiner Finder, die ich keiner Gefahr ausfegen darf, die ich bewahren möchte vor jeder rauben Luft und vor jeder Sorge. Wenn ich nicht bei Die bin, wit ver Strg mit wergehren, und 709 der Sram wie ein Sturmwind mid) umtoben! rief die Königin leiden⸗ ſchaftlich. Tag und Naht würde ich feine Ruhe haben, denn immer würde mein Herz fih zu Dir fehnen und meine Seele um Dich forgen. Immer würde ih Did vor mir fehen, verwundet, blutend, denn id) weiß, Du wirft Deiner Perfon nicht fchonen, Du wirft Deines Lebens nit achten, wenn e8 gilt den Sieg zu erfechten, oder die Schmach abzuwehren. Die Kugeln fchonen nicht das Haupt der Könige, und bie Schwerter gleiten nicht machtlos ab von ihrer geheiligten Geftalt. Im Kriege ift der König nur nod ein Mann! Geftatte aljo ber Königin, daß fie im Kriege auch nur ein Weib fei, Dein Weib, weldes das Recht hat, Dich zu pflegen, werin Du verwundet wirft, und Deine Schmerzen und Sorgen mit Dir zu theilen. Ob, mein Geliebter, haſt Du den Muth, Dein Weib zu verſtoßen? Sie ſchaute ihn an mit thränenfeuchten flehenden Blicken, ihre ganze ſchöne und große Seele leuchtete in einem Ausdruck unendlicher Liebe aus ihrem Angeſicht. Der König, überwältigt, hingeriſſen von ihrem Anblick, hatte nicht mehr die Kraft ihr zu widerſtehen. Er zog ſie in ſeine Arme, und drückte einen langen glühenden Kuß auf ihre Stirn. Nein, fagte er tiefbewegt, nein, ich habe nicht ven Muth, Deine Liebe zurüdzumeifen. Möge gejhehen, was Gott über uns verhängt hat! Wir wollen es Hand in Hand muthvoll und entſchloſſen ertragen. Nichts ſoll und trennen, ald der Tod! Komm, meine Luiſe, meine ges liebtes Weib, begleite mich, wohin ich auch gehe! Die Königin ftieß einen Freudenfchrei aus, und des Königs Hand ergreifend, neigte fie fi über fie, und drückte, bevor der König es hindern. fonnte, “einen glühenden Kuß auf viefelbe. | Luife, was thuft Du? rief der König faft befhämt, Du — Lautes Gefchrei, das von ber Straße her ertönte, unterbrach ihn. Hand in Hand eilte das füniglihe Paar an das TFenfter. Drüben vor dem Haupt- Portal des Zeughaufes hatte fich eine Dichte Menfhenmenge gebildet, jchreiend, und in wilder Neugierde ſchienen fie alle um einen Gegenftand fid) zu drängen, der in der Mitte des größten Gewühls fi befand. 710 Irgend ein Unglüd mußte da drüben gefchehen fein. Bielleicht war ein Menſch, vom Schlag getroffen, tobt nieder gefallen, viell eicht war eine Morbthat verübt, denn die Geſichter ver Menſchen da drüb en waren bleich und entfeßt, fie ſchlugen verwundert die Hände zufammen, und ſchüttelten forgenvoll ihre Häupter. Der König Flingelte haftig und befahl dem eintretenden Kammer - biener, fofort hinüber zu gehen zu! dem Zeughaus und zu ſehen, was es gäbe. Nach wenigen Minuten ſchon fee er athemlos und keuchend zurüd. Nun, rief der König ihm entgegen, ift ein Unglüd geichehen? Ja, Majeftät, aber es hat feinen Menfchen betroffen! Die Statue ber Bellona, welche über dem Bortal des Zeughaufes ftand, ift plötzlich vom Giebel herunter auf das GSteinpflafter gefallen. | Sie ift zerfoyjmettert worden? fragte die Königin, deren Wangen erbleicht waren. Nein, Majeftät, aber ihr rechter Arm ift gebrochen! Der König winfte ihm hinaus zu gehen, und ging finnend auf und ab. Die Königin war wieder an das Fenſter getreten, und ihre gen Himmel gewandten Blide waren von Thränen umbüftert. Nach einer langen Baufe näherte fi ihr des König wieder. Luiſe, fagte er leife, wilft Du nod mit mir gehen? Es ift fonnenhelles Wetter, Fein Lüftchen regt fih, und die Statue der Bellona fält von dem Giebel unſers Zeughaufes und bricht fih den Arm. Das ift ein böfes Omen! Willſt Du: Did nicht davon warnen laffen? Die Königin reichte ihm ihre Hand dar, und ihre Augen ftrahlten ſchon wieder in Liebe und Freudigkeit. Wo Du bleibft, fagte fte freudig, da bleibe ih! Dein Leben ift mein Leben, und Dein Unglüd ift mein Unglüd. Ich fürchte die böfen Omen nicht! *) *) Noch ein anderes boſes Dmen gejchah an dieſem Tage. Der Feldmar⸗ ſchall von Möllenborf, der mit den Truppen ausmarſchiren follte, fiel, als feine Diener ihn auf der linken Seite auf das Streitroß gehoben, auf ber rechten wieder herunter. Siehe: F. Förfter, Neuere und neuefte preußiſche Gejchichte. 711 VIII. Bor der Schlacht bei Senn. Der Abend war angebroden. Ein kalter büfterer Abend. “Die Berge des thüringer Waldes zeigten rings am Horizont ihre Häupter mit leuchtendem Schnee bebedt, und ein ſchneidender Wind heulte über die Höhen und Thäler hin. Die preußifhe Armee ſchien num endlich am Ziel ihrer Wanderung angelangt, und hier auf den Höhen und Thälern von Jena und Auer- ſtädt mußte der große Völkerftreit fich entjcheiden, denn hier befand fih die preußifche Armee der franzöfifchen endlich gegenüber. In Auerftäpt lagerte die Hauptarmee mit dem Oberfeldherrn, dem Herzog von Braunfhweig, dem König und dem Oeneralftab: Bei Jena befand ſich die fleinere Armee mit dem Fürften von Hohenlohe an der Spike. Immer noch zweifelte man nicht, daß Preußen ſein großes Ziel erreichen, daß es Napoleon befiegen werde. Das unglüdlide Gefecht bei Saalfeld, und der Tod des Prinzen Louis Ferdinand hatte wohl einen Moment das Bertrauen getrübt, aber nicht erſchüttert. Die Preußen froren zwar, denn fie hatten Feine Deäntel, fie hun⸗ gerten zwar, denn fie hatten in den letzten Tagen wegen eingetretenen Brodmangels nur halbe Portionen bekommen, aber ihre Herzen waren doch noch unverzagt, und fie fehnten fih nur nad dem Einen: nad dem entjcheidenden Kampf. Die Entſcheidung mußte jedenfalls ihrem Hungef ein Ende machen, entweder durch den Tod, oder durch den Sieg, der ihnen Magazine und Vorräthe öffnen mußte. Die preußifchen Truppen, die bei Jena lagerten, ftanden ruhig vor ihren Zelten und plauderten unter einander von den Hoffnungen der nächſten Tage, und erzählten fih, daß Bonaparte mit feinen Franzofen, ſobald er gehört, daß die Preußen fchon bei Jena ftänden, eilend8 wieder von Weimar aufgebrochen fei und den Rückmarſch ange» treten habe nach Gera hin. Ä 712 Dann wird es alſo nod länger dauern, bi8 wir ben Tranzofen paden fünnen, riefen einige Soldaten. Dachten, wir hätten ihn endlich fiher und er könnt’ uns nicht mehr entjchlüpfen, und num, da er ung wittert, findet er doch noch ein Mauſeloch, wo er hinausfchlüpfen Tann. Aber wir wollen ihm dies Mauſeloch auch noch verftopfen, fagte eine mächtige Stimme neben ihnen, und wie die Soltaten ſich erfchroden umwandten, fahen fie ihren Feldherrn, den Fürften von Hohenlohe, der mit feinen Adjutanten durch das Lager fchreitend, eben bis zu ihnen gelangt war. Die Soldaten machten Front und begrüßten ehrfurchtsvoll den Feldherrn, der links und rechts freundlich feine Grüße nidte. Ihr wäret es alfo zufrieden, wenn wir ben Sranzofen bald gegen- über ftänden? fragte er die Soldaten, deren Geſpräch er belaufcht hatte. Ya, wir wären's zufrieden, ‚riefen fie, es follt’ ein Feſttag für uns ſein! Nun, dazu kann bald Rath werden, ſagte der Fürſt lächelnd, indem er vorwärts ging. Es lebe der Fürft von Hohenlohe! jubelten die Soldaten ihm nad). Der Fürft fchritt weiter, überall Grüße gebend und Grüße empfangend, überall Jubel verbreitend, wenn er verfprach, daß es nun bald zur Schlacht kommen, daß man bald bie Franzofen be- fiegen werbe. Jetzt blieb er vor den Grenadieren ſtehen, die ſich in Reih und Glied vor ihm aufgeſtellt hatten. Kinder, ſagte er laut und freudig, die ſchwerſte Arbeit werde ich für Euch aufſparen. Wenn es Noth thut, müßt Ihr mit dem Ba- jonnet drauf gehen, und id weiß, Ihr werdet den Feind werfen, mo Ihr ihn trefit. Nicht wahr, Ihr thut das? Ja, wir thun es, brüllten die Grenadiere, ja, wir thun's gewiß! Wenn's nur erft fo weit wäre! Es wird bald genug fo weit fommen, rief der Fürft, und indem ex die Reiben hinunter fchritt, fragte er einen hochgewachſenen, breite ſchultrigen Grenadier: Nun, wie viel Tranzofen nimmft Du denn auf Did? 713 Fünf! fagte der Grenabier. Und Du? fragte der Fürft einen andern Grenadier. Drei! fagte biefer. Sch thu's nicht unter fieben Franzofen, fchrie ein Dritter. Ich nicht unter zehn! jubelte ein Vierter. *) Der Fürft lachte und fchritt weiter durch das Lager hin. Dann, als die Nacht hereingebrochen, ritt er mit feinem Stabe auf einen Hügel bei Kapellendorf, wo er fein Hauptquartier hatte. Bon dem Hügel aus überfchaute er mit fpähendem Blid bie Gegend, wo der Feind ftand, deſſen Lager nur bier und bort von wenigen Lichtern und Feuern bezeichnet waren. Wir werben morgen nichts zu thun haben, fagte ber Fürſt, ſich . " an feine Officiere wendend. Wie es ſcheint, wird die franzöſiſche Hauptarmee ſich nach Leipzig und Naumburg wenden. Wir werden höchſtens morgen kleine Scheingefechte haben, weiter nichts. Wir können alſo ruhig ſchlafen gehen und unſere Soldaten auch. Gute Nacht, meine Herren! | Und der Fürft ritt mit feinen Adjutanten hinunter nad) Kapellen- borf zu feinem Quartier, um zu Bett zu gehen und zu jchlafen. Eine Stunde fpäter herrfchte im preußifchen Lager bei Iena eine tiefe Stille. Die Soldaten ſchliefen und auch ihr Feldherr ſchlief. Und tiefe Stille herrſchte auch im preußifchen Lager zu Auerſtädt; der König hatte noch fpät am Abend einen Kriegsrath gehalten, und mit dem Herzog von Braunfchweig, dem Feldmarſchall von Möllendorf und ben übrigen Generälen berathen, was die Armee am nädjten Tage zu thun babe. Das Refultat diefer Berathung war gewefen, daß für den morgenden Tag an eine Schlacht nicht zu denken fei, daß die Arme alfo ruhig vorwärts rüden, dem Feinde, der ſich zurüd zu ziehen fcheine, nachgehen und ihn verhindern folle, über die Saale zu ſchreiten. Damit war der Kriegsrath ‚geendet, und ber Herzog von Braun⸗ *) F. Fbiſter: Neuere und neueſte preußiſche Geſchichte, J. 753. 714 ſchweig eilte in ſein Quartier, um, gleich dem — Bürfen von Hohenlohe, ſein Lager zu ſuchen und zu ſchlafen. Eine Stunde ſpäter herrſchte auch im preußiſchen Lager bei Auer- ſtädt eine tiefe Stille. Der Herzog von Braunſchweig ſchlief, und die Soldaten ſchliefen auch. | Nur der König wachte. Traurigen Herzens und trüben Angefihts ging er in feinem Zelt auf und ab. Er fühlte fich grenzenlos einfam und allein, denn feine Gemahlin war nicht mehr neben ihm. Sie hatte heute unter heißen Thränen den Bitten ihres Gemahls nacdhgegeben, das Hauptlager ver- laſſen und fih nad Naumburg gewendet. Der König hatte fie gebeten, zu gehen, aber fein Herz war fehwer, und als er endlich fpät in der Nacht fein Lager fuchte, kam doch fein Schlaf in feine Augen. Um dieſelbe Zeit, während das preußifhe Herr und feine Feld⸗ herren fchliefen, leuchtete unfern von den Schlafenden ein wunderbares Bild auf, und ein feltfamer Zug fam daher über die Haide, unfern von Jena. Rings umher Stille, Dunkelheit und Nebel, und plötzlich theilten fih die Nebel, und man fah zwei Fadelträger mit ernten Geftchtern, in ihrer Mitte auf einem weißen Roß einen Reiter in grünem Ober- rod mit weißen Aufichlägen und auf dem Haupt ein Feines breiediges Hüthen. Der Fadelfhein beleuchtete fein bleiches Angeficht, feine Augen flammten wie bie eines Adlers, und ſchienen den Nebeln ge- bieten zu wollen, daß fie fielen, damit er hauen fünnte, was fie ihm verbargen. Seitwärts von diefem Reiter tauchten, wenn bie Fackeln höher aufflammten, zwei andere Keitergeftalten in bligenden Uniformen empor, aber ihre Augen fuhten nit den Nebel, fondern nur das Antlig des ftolzen Reiters neben ihnen zu ergründen, und auf ihm nur ruhten ihre Blide, nur auf diefem bleichen Nachtgeſicht, auf welchem dennoch die Sonne von Aufterlig ftrahlte. Während die preußifche Armee mit ihren Feldherren fchlief, wachte Napoleon und ordnete in feinen Gedanken die kommende Schladt. Der 715 Poftmeifter von Jena und ber General Denzel waren feine Fadelträger; die Marfhälle Lannes und Soult feine Begleiter. Der Kaifer Napoleon prüfte in der Stille der Nacht das Terrain, wo er morgen den Preußen eine Schlacht abgewinnen wollte, wie er jüngft den Defterreihern eine Schlacht abgewonnen hatte. Defterreih hatte fein Aufterlig gehabt, — Preußen follte fein Auerftädt und Jena haben. Napoleon hatte feinen Plan gemadht, — morgen war der Tag, wo er Rache nehmen wollte an dem König von Preußen für den Ver⸗ trag von Potsdam und für das Bündniß mit Rußland. Am Fuß des Berges von Yena angelangt, hielt der Kaifer jetzt fein Pferd an und flieg ab, um zu Fuß hbinaufzugehen. Oben ange- langt, ftand er lange ſchwei gend da, die Yadelträger ftanden ihm zur Seite, die beiden Marfchälle neben diefen. Des Kaiſers Blick ſchweifte hinüber zu den Bergen und weilte befonders lange auf den Höhen des Dornbergs, an dem er vorher vorübergeritten war. Der Berg lag dunfel und ftill da, ein einfamer, ſchlafender Rieſe. Der Kaiſer hob den Arm empor und deutete auf den Dornberg hin. Die Preußen haben die Höhe verlaſſen, ſagte er, ſich mit einer langſamen Kopfbewegung zu dem Marſchall Lannes hinwendend, ver- muthlich ſcheuten ſie die kalte Nachtluft und ſind ins Thal gegangen, um zu ſchlafen. Sie meinen, wir werden ihnen Ruhe dazu gönnen. Aber ſie ſollen ſich ſchauderhaft getäuſcht haben, die alten Verrüden!*) Sobald die Nebel tiefer herabgeſunken find, laßt die Höhen des Dorn- bergs von den Scharffhüten bejegen, damit fie den Preußen, wenn fie wieder hinauf marſchiren wollen, ihren Morgengruß darbringen können! — Er wandte wieder den Blick hinunter in das Thal; plötzlich flammten ſeine Augen höher auf und ſchienen mit ihrer Gluth und ihrem Feuer die Nacht und die Dunkelheit durch bohren zu wollen. Was iſt dort unten im Thal? fragte er haſtig. *) Napoleons eigene Worte. Ils se tromperont formidablement ces vieux perruques, waren die Worte. 716 Die Tadelträger fenkten ihre Tadeln tiefer; der Kaifer und die Marſchälle ſchauten prüfend hinab auf diefen langen, dunfeln Streifen, der fih da unten in der Mitte des Hohlweges hinzog, hier und da beleuchtet von einem gelben, matten Licht, das aus wandelnden Laternen zu leuten fchien. \ Napoleon wandte fidy mit einem ‚ornflommenben Blick zu Lannes bin. Sein Antlitz war bleich, feine-rehte Schulter zuckte, ein Zeichen feines höchſten Zornes. Es ift die Artillerie Deiner Divifion, fagte er. Sie hat fih im Hohlweg feftgefahren. Wenn fie dort fteden bleibt, ift die morgende Schladt verloren! Komm! Und mit beflügelten Schritten eilte er den Berg hinunter, fo un- aufhaltfam und eilig, daß die Täadelträger und die Marſchälle ihm faum zu folgen vermodten. Wie eine Geiftererfheinung, mit bligenben Augen, mit zornigem, bleihem Angeſicht tauchte feine Geſtalt plöglid aus der Dunkelheit vor den Kanonieren auf, welde ſich vergeblich bemühten, vie feftge- fahrenen Stüde, die fi tief in den Sand gebohrt hatten, wieder in Dewegung zu fegen. Hinter ihnen war die ganze Reihe der Kanonen und Munitionswagen ins Stoden gerathen, von den vordern feftge- fahrenen Kanonen aufgehalten, drängten fie, das Hinderniß nicht abnend, vorwärts; eine unbefchreibliche Verwirrung, ein allgemeines Feſtſitzen mußte eintreten, wenn nicht fchnelle und energifhe Hülfe fa. Aber die Hülfe fam, denn Napoleon war da. Mit lauter Stimme rief er nady dem ©eneral-Commandanten ber Artillerie; drei Mal wiederholte ex den Auf, jedes Mal war feine Stimme brobender und fein Antlig bleicher.. Aber der Gerufene erſchien nit. Der Kaifer fagte fein Wort, nur feine rechte Schulter zudte und feine Augen jprühten Flammen. Mit lautem Commandowort rief er ſämmtliche Kanoniere zu fid und befahl ihnen, ihre Werkzeuge zu nehmen und die Stangenlaternen anzuzünden. Die erfte angezündete Stangenlaterne nahm der Kaiſer felbft in die Hand. Jetzt die Haden und vie Säaufeln genommen, befahl er. Wir 717 miüffen den Hohlweg breiter ausgraben, damit die Kanonen wieder flott werben. | Es war eine ſchwere und anftrengende Arbeit. Den Kanonieren rann der Schweiß in biden Tropfen über die Stirn und ihr Athem ging keuchend aus ihrer Bruft hervor. Aber fie arbeiteten muthig und unverzagt, denn der Kaiſer ftand neben ihnen mit der Laterne in der Hand umd er leuchtete ihnen zu ihrem ſchwierigen Werk. Zuweilen hielten die Kanoniere inne und lehnten fih auf ihre Schaufeln, aber nicht um zu ruhen, fondern mit ftaunenden Bliden diefes wunderbare Bild anzufhauen, diefen Mann mit dem bleichen Marmorangefiht und den funfelnden Augen, dieſen Kaiſer, der fi in einen Artillerie-Dfficier verwandelt hatte und mit der Laterne in ber Hand feinen Kanonieren leuchtete.*) Erft als die Wagen und Kanonen, Dank der rüftigen Arbeit der Kanoniere, ſich wieder in Bewegung gefett hatten, verließ der Kaifer den Hohlweg und fehrte in fein Bivouac zurüd. Haftig und. gedanfen- vol nahm er fein Abendmahl ein, dann berief er alle feine Generäle und ertheilte ihnen klar und ruhig wie immer feine Befehle jur mor⸗ genden Schlacht. Und jest wollen wir fchlafen, damit wir morgen um vier Uhr Alle wad ſind! fagte der Raifer, indem er mit einem freumblichen Lächeln ſeine Generäle verabſchiedete. Wenige Minuten ſpäter herrſchte ringe umher tiefe Stille; der Kaiſer lag auf ſeinem Strohlager und ſchlief; Rouſtan ſaß in einiger Entfernung und ſeine dunkeln Augen ruhten auf ſeinem Herrn mit dem Ausdruck eines treuen wachſamen Bernhardinerhundes. Die Flammen des Nachtfeuers hüllten, wenn ſie höher aufflackerten, die ganze Geſtalt des Kaiſers wie in eine Glorie ein und wenn ſie wieder zuſammen⸗ ſanken, fielen die Schatten der Nacht wieder über dieſelbe hin. — Bier Schildwachen gingen in gleichmäßigem ruhigem Tact neben dem Bivouac des Kaiſers auf und ab. *) Mémoires du Duc de Rovigo. II. 278. 718 Der Morgen dämmerte herauf; ber Morgen des vierzehnten Oktober 1806. Die Preußen lagen noch immer in ihren Lagerzelten und fchliefen. — Aber bie Franzofen wadten, und an ihrer Spige der Raifer! Um vier Uhr flanden, wie Napoleon e8 befohlen, die zum erften Angriff beftimmten Divifionen unter den Waffen. Der Kaifer auf feinem Schimmel ſprengte heran; ein ungeheurer Jubel empfing ihn. Es lebe unſer kleiner Corporal! & lebe der Kaifer! tönte es jauchzend vieltaufenbftimmig ihm entgegen. ‚Der Kaiſer lüftete ein wenig feinen Hut und dankte ven Soldaten mit einem Lächeln, das wie ein warmer Sonnenftrahl in alle Herzen fhien. Dann winkte er ihnen mit erhobener Rechten zu fchweigen, und durch bie Stille des Herbftmorgens ertönte jet feine volle mächtige Stimme. Soldaten, rief er mit feinem kurzen, gebieterifchen Herrſcherton, Soldaten, die preußifche Armee ift abgefchnitten, wie bie des Generals Mad zu Ulm vor einem Jahre. Diefe Armee kämpft nur no, um fi) durchzuſchlagen, und ihre Verbindungen wieder zu gewinnen. Das Corps, welches ſich durchbrechen läßt, entehrt fi. Fürchtet dieſe berühmte Cavallerie nicht; fett ihr gefchlofiene Vierede und das Bajonet entgegen! Es lebe der Kaifer! Es lebe der Heine Corporal! tönte r jubelnd wieder von allen Seiten. Der Kaiſer nidte lächelnd und fprengte weiter, um bier und dort feine Befehle zu ertheilen und die Soldaten anzureben. Es war jehs Uhr Morgens; bie Preußen fchliefen noch immer! Aber jetzt donnerten bie erften Kanonenſchüſſe; ſie weckten die ſchlafen⸗ den Preußen. 719 IX. Ber deutſche Philofoph. Tiefe Stille herrfchte in dem Heinen Stübchen; Bücher lagen und fanden rings umber in den Schränfen an der Wand, auf den Tiſchen und an der Erde, und machten faft den einzigen Schmud diefes Zimmers and, in dem ſich nur wenige und ganz auf den Bebarf befchränfte Meubles befanden. E8 war das Zimmer eines deutfchen Gelehrten, eines Profeflors ber weitberähmten Univerfität Jena. Er faß da drüben vor dem großen eichenen Tifh und war mit Schreiben befhäftigt. Seine mittelgroße Geftalt war eingehüllt im einen weiten Schlafrod von grünem Seidenzeug, verbrämt mit ſchwarzem Pelzwerk, das hier und da einige defecte und abgenugte Stellen zeigte. Ueber feiner hohen gedanfenreihen Stirn, welde nur von wenigem hellbraunem Haar befchattet war, jaß ein Heine grünes Sammet- füppchen, in feiner Form an die Müte des gelehrten Melanchton er- innernb. | Bor ihm auf dem Tiſch lagen eine Menge engbefchriebener Blätter, und auf biefen ruhte das Auge des Gelehrten, des Philofophen. Diejer Gelehrte in dem einfamen Stübchen, diefer Philofoph war Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Seit zwei Tagen hatte er fein Zimmer nicht verlaflen, feit zwei Tagen hatte Niemand zu ihm eintreten dürfen, als tie alte Aufwärterin, die ihm ſchweigend und leife ben Tiſch deckte, und ihm das aus der nahen Garküche geholte Mahl hinſetzte. Allem Aeußerlichen und Irdiſchen abgewandt, hatte der Philoſoph gearbeitet und gedacht, und nichts gehört als die Stimmen der Geiſter, die aus ſeinem eigenen Geiſt zu ihm ſprachen. Draußen war die Weltgeſchichte mit ehernem Schritt über das Schlachtfeld gegangen, und hatte ihre Thaten vollbracht, hier drinnen in dem Zimmer des Philoſophen hatte der Weltgeiſt ſeine große Idee enthüllt und vollführt. 720 Am vierzehnten Dftober und in der Nacht vom vierzehnten auf den funfzehnten Dftober vollendete Hegel feine PBhänomenologie des Geiftes, ein Werk, dur das er den fühnen Bau der philofophifch en Idee vorbereiten wollte, in welchem er feinen erften Gang burdy bie Satacomben des conftruirenden Geiſtes mit hallenden Prophetenſchritten zurückgelegt. | Für ihn ruhte ale Macht und alle Kraft der Wirklichkeit nur in biefer Idee, die er in dem Schweiß feiner hohen Denkerftirn zu be- gründen ftrebte, — über der Idee hatte er die Wirklichkeit vergeffen - Test hatte er fein Werk vollendet, jest hatte er das letzte Wort gefchrieben; die Feder entſank feinen Händen, vie fih auf fein Ma- nufcript, wie zum ftilen Segnen, ausbreiteten. Sein Haupt, weldes bis jegt geneigt gewefen, richtete fih empor, und feine blauen Augen voll Milde und Tiefe wandten fih zum Himmel mit einem ftummen Gebet um Gedeihen für fein Werk. Sein ſchönes aber geiftvolles Antlig Leuchtete von Energie und Entfchloffen- heit; der Philofoph war fid des Kampfes bewußt, den jein Werk in dem Reich der Geifter hervorrufen würbe, aber er fühlte ſich gewappnet und bereit, dieſen Kampf zu beftehen. Das Werk ift vollbracht, rief er laut und freudig, möge es jegt hinausgehen in die Welt! Er flug baftig fen Manuſcript zufammen und machte ein Padet daraus, das er verfiegelte und adreffirte. Dann fah er nad) der Uhr. Acht Uhr, murmelte er leife, wenn ich mid) eile, kann die Poft heute noch mein Manufcript mitnehmen. Er warf feinen Schlafrod ab und Hleivete fih an. Dann nahm er fein Manufeript und feinen Hut, und eilte hinunter auf die Straße, der Boft zu. Sein nah innen gefehrter Blid fah weder die unge- wöhnlihe Bewegung auf der Straße, nod die traurigen Geſicht er der PVorübergehenvden, er dachte nur an fein Werk, nidt an bie Wirklichkeit. Jetzt trat er im die Poſt ein, alle Thüren waren offen, alle 721 Menſchen ftanden plaudernd umher, Niemand faß hinter dem Bureau um zu arbeiten, und die Briefe in Empfang zu nehmen. Hegel mußte daher zu dem Boftmeifter, der ihn gar nicht bemerft hatte, jondern ſich laut und angelegentlicdy mit einigen Herren unterhielt, hingehen. | Hier ein Padıt für bie Poft nad) Bamberg, fagte der Philoſoph, ben Poftmeifter fein Padet darreichend. Die Poſt ift doch noch nit abgegangen? Der Boftmeifter ftarrte ihn verwundert.an. Nein, fagte er, fie ift nod nit abgegangen, und fie wird auch nidyt abgehen. Jetzt war ed an dem Bhilofophen, fi zu verwundern. Sie wird nicht abgehen? fragte er. Weshalb denn nicht? Es ift unmöglid in der allgemeinen Verwirrung und Aufregung. Es find Feine Pferde und Feine Menfchen da. Das Entfegen und die Angſt ift grenzenlos. | Was ift denn gefhehen? fragte ver Philofoph leife. Wie? Sie wilfen alſo nichts von diefen ungeheuerlihen ‘Dingen, Herr Brofeffor? rief der Poſtmeiſter entfegt. Nichts weiß ich, ſagte der Philoſoph ſchüchtern, und faft beſchämt. Sie haben vielleicht auch den Donner der Kanonen gar nicht in Ihrem Studirzimmer gehört? Ich habe wohl zuweilen ein dumpfes und anhaltendes Geräuſch gehört, aber ich geſtehe, daß ich nicht weiter darüber nachgedacht habe. Was hat es denn gegeben? Eine Schlacht hat es gegeben, rief der Poſtmeiſter, und wenn ich ſage, Eine Schlacht, ſo meine ich eigentlich zwei Schlachten; die eine iſt bei Jena, die andere bei Auerſtädt geſchlagen, aber bei Jena haben ſie nichts geahnt von der Schlacht bei Auerſtädt, und dort drüben haben ſie ebenſo wenig, wie der Herr Profeſſor, die Kanonen von Jena gehört. Und wer hat die Schlacht gewonnen? fragte Hegel theilnahmsvoll. Wer anders als der Weltenbezwinger, der Kaiſer Napoleon! rief der Poſtmeiſter. Die Preußen ſind geſchlagen, ruinirt, auseinander geſprengt; in tollſter Flucht rennen fie auf der Tanuitraie wart, U Niblbach, Napoleon. I. Bo. W 722 wenn ſie zwei Franzoſen daher ſprengen ſehen, werfen hunderte von Preußen ihre Waffen fort und flehen um Pardon. Die ganze preu⸗ Bifhe Armee ift auseinandergeplakt, wie eine Seifenblafe. Der König war immer mitten im Gefecht, er wollte den Tod ſuchen, da er fah, daß Alles verloren war; aber der Tod wollte ihn nicht finden. Zwei Pferde find ihm unter dem Leib erfchoflen worden, aber ihn hat feine Kugel und fein Hieb getroffen. Jetzt ift er auf der Flucht, aber bie Franzoſen find hinter ihm ber. Gott gebe, daß er ihnen entgeht! Der Oberfeloherr, der Herzog von Braunfchweig, ift tödtlich verwundet; beide Augen find ihm ausgefchoffen. Ob, es ift ein entfeglihes Miß⸗ geihid! Preußen ift verloren und Weimar aud, denn ber Kaifer Napoleon wird’8 unferm Herzog nimmer vergeben, daß er, ftatt fi dem Rheinbund anzufchliegen, fi zu Preußen gehalten, und gegen Frankreich gekämpft hat. Unfer armes Land wird es entgelten müſſen. Hegel hatte dem gefprädhigen Mann mit trüben Bliden zugehött, und feine Züge waren immer büfterer und ernfter geworben. Er fühlte fi wie von einem Schwindel erfaßt, e8 lag wie eine Centnerlaft auf feiner Bruft. Er grüßte ben Poſtmeiſter mit einem Niden feines Hauptes und ging wieder hinaus auf die Straße. Aber feine Kniee zitterten unter ihm; die ungeheure Größe der Begebenheiten hatte fein ganzes Weſen erſchüttert. Langſam wankte er die Straße hinunter. Auf einmal flammte und bligte es da am untern Ende der Straße auf. Trommeln wirbelten, Hurrah's ertönten. Ein glänzender Reiterzug fam daher. Boran auf einem Schimmel mit wallenden Mähnen und fliegenven Nüftern, ritt der Mann des Iahrhunderts, der Mann mit dem ehernen Imperator-Angefiht, der Yulius Cäſar der Neuzeit. Ein fühnes Feuer bligte aus feinen Augen, ein triumphirendes Lächeln umſchwebte feine Lippen. Es war der Triumphator, welder feinen Einzug hielt in die eroberte Stadt. Der Gelehrte gedachte der alten Zeiten Rom's, und wie eine Vebenbig gewordene Antite erihien ihm das Antlig des Cäfaren. Das bligende Auge Rhöeoos KCe A er vokc hen Philos 723 fopben, und er fühlte den Blid feines Auges bis in das Innerſte ſeines Herzens. *) Bon unwillfürliher Ehrfurdt ergriffen nahm Hegel feinen Hut ab, und verneigte ſich tief. Der Kaifer berührte lächelnd feinen Hut und dankte, dann [prengte er vorüber, der glänzende Zug der Murfchälle und Generäle hinter ihm ber. Der deutfhe Philoſoph fand wie an den Boden gefefjelt, und ihaute ihm nad, finnend, heiligen Ernftes voll. Er jelber, der Napoleon der dee, mußte feine Schlachten nod gewinnen im gelehrten Deutjchland. Der Kaifer, ver Napoleon der That, hatte feine Schlachten ſchon gewonnen, und Deutihland lag ihm zu Füßen. Das überwundene, zerfchmetterte Deutjchland ſchien in den Schlachten von Jena und Aueritäpt feinen legten Todeskampf ausgerungen zu haben. *) Die Erzählung diefes Begegnens mit Kaifer Napoleon bat Die Verfafferin im Sabre 1829 aus dem Munde des berühmten Philofophen felber gehört. Mit einfachen, ſchlichten und Doch tief ergreifenden Worten fchilderte er den tiefen, be- wältigenden Eindrud, den die Erſcheinung des großen Napoleons auf ihn gemacht habe, und nannte dieſes Begegnen mit Napoleon einen der größten Momente feines Lebens. Die Verfafferin, Damals ein halberwachjenes Mädchen, börte an der Seite ihres Vaters in atbemlofer Spannung der Erzählung zu, welche gerade durch ihre einfache Darftellung jo mächtig wirkte, und bingerifjen von ihrem Gefühl, ftlirzten die Thränen ihr aus den Augen. Der Pbilofoph legte Tächelnd feine Hand auf ihre Stirn. „Die Jugend weint mit dem Herzen, fagte er, aber wir Männer weinten damals mit dem Kopf.‘ | Die Berfafferin. Buchdruckerei von Otto Janke in Berlin. — — — — *4 ö— vr